(Contra Haereses) 214

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14. Kapitel: Die heidnischen Quellen der Gnostiker

1.

Viel wahrscheinlicher und annehmbarer sprach über die Erschaffung der Welt einer von den alten Lustspieldichtern, ein gewisser Antiphanes, in seiner Theogonie. Dieser läßt aus der Nacht und der Stille das Chaos hervorgehen, aus dem Chaos und der Nacht den Eros, aus diesem das Licht, und darauf folgt das übrige erste Geschlecht der Götter. Auf diese folgt wiederum das zweite Geschlecht der Götter und die Erschaffung der Welt, und alsdann läßt er den Menschen von den zweiten Göttern gebildet werden. Diese Dichtung nahmen jene auf, erörterten sie wie einen natürlichen Vorgang und veränderten nur die Namen, indem sie dies für den Anfang der Weltschöpfung und Emanation ausgaben. Nacht und Stille nannten sie Bythos und Sige; für das Chaos setzten sie den Nous ein, für den Eros, durch den nach dem Lustspieldichter alles übrige angeordnet sein soll, nahmen sie den Logos, für die ersten und höchsten Götter bildeten sie die Äonen, für die zweiten Götter außerhalb des Pleroma die zweite Achtheit als ein Produkt ihrer Mutter, und dann lassen sie in ähnlicher Weise die Erschaffung der Welt und die Gestaltung des Menschen erfolgen, indem sie behaupten, daß nur sie die unaussprechlichen und verborgenen Geheimnisse wüßten. Und doch haben sie nur das sich angeeignet, was überall auf den Schaubühnen von den Komödianten in prunkenden Worten vorgetragen wird, ja tragen das als ihre eigene Lehre vor, obwohl sie nur die Namen geändert haben.



2.

Doch nicht nur bei den Komikern haben sie eine geistige Anleihe gemacht. Auch die Äußerungen der sogenannten Philosophen, die Gott gar nicht kennen, stellen sie zusammen, machen sich so aus vielen, armseligen Lumpen gleichsam einen Teppich und einen luftigen Überwurf mit feiner Rede. Neu ist die von ihnen eingeführte Lehre, insofern sie durch neue Kunstgriffe hergestellt ist, alt aber und wertlos, insofern sie aus alten Dogmen zusammengestoppelt ist, die den Stempel der Unwissenheit und Gottlosigkeit auf der Stirn tragen. Thales von Milet lehrte, das Wasser sei die Ursache und der Ursprung von allem. Wasser und Bythos aber ist ein und dasselbe. — Der Dichter Homer erblickte in dem Ozean den Ursprung der Götter und in der Thetis ihre Mutter, was diese gleichfalls auf den Bythos und die Sige übertragen haben. — Anaximander ferner betrachtete den unbegrenzten Weltenraum als den Anfang aller Dinge, der in seinem Innern keimartig den Ursprung aller Dinge trug, woraus dann die unermeßlichen Welten entstanden. Das haben sie einfach auf den Bythos und ihre Äonen bezogen. — Anaxagoras dann, der auch der Ungläubige genannt wurde, ließ die Lebewesen aus vom Himmel gefallenen Samenkörnern entstehen. Das übertrugen sie auf die Samen ihrer Mutter und nannten sich selbst diesen Samen, wodurch sie sich selbst bei den Verständigen als den Samen des ungläubigen Anaxagoras hinstellen.



3.

Ihren Schatten aber und ihre Leere haben sie von Demokrit und Epikur entlehnt und sich angepaßt, indem diese zuerst viel Gerede machten von der Leere und den Atomen und dies das Seiende, jenes das Nichtseiende nannten. Geradeso bezeichnen sie, was innerhalb des Pleroma ist, als das Seiende, wie jene die Atome; was aber außerhalb ist, als das Nichtseiende, wie jene die Leere. So haben sie sich selbst, da sie in dieser Welt außerhalb des Pleroma sich befinden, in das Nichtseiende versetzt — Wenn sie aber behaupten, diese Dinge hier seien nur Abbilder des Seienden, so wandeln sie wiederum recht deutlich die Pfade des Demokrit und Plato. Demokrit nämlich sagte zuerst, die vielen und mannigfaltig ausgeprägten Gestalten seien aus dem Weltenall in diese Welt hinabgestiegen. Plato hinwiederum bezeichnet die Materie als Idee und Gott. Dementsprechend nannten sie die Dinge hienieden Abbilder, also Gestalten und Ideen der oberen, und nur den Namen umändernd, rühmten sie sich als Erfinder und Bildner ihres eingebildeten Gebildes.



4.

Wenn sie weiter lehren, daß der Weltenschöpfer aus einer bereits vorhandenen Materie die Welt gemacht, so haben das schon Anaxagoras, Empedokles und Plato vor ihnen gelehrt, sicherlich wohl von ihrer Mutter gleichfalls inspiriert. Wenn ferner ein jedes Ding dahin zurückkehren muß, woher es gekommen, und Gott ein Sklave der Notwendigkeit sein soll, so daß auch er nicht imstande wäre, dem Sterblichen Unsterblichkeit, dem Vergänglichen Unvergänglichkeit zu verleihen, sondern daß alles in die Substanz zurückkehre, die seiner Natur ähnlich ist, so behaupten dies schon die nach der Stoa so genannten Stoiker, wie alle Dichter und Schriftsteller, die Gott nicht kennen. Nichts anders tun diese in ihrem Unglauben, wenn sie den geistigen Dingen die Gegend innerhalb des Pleroma anweisen, den seelischen die Mitte, den körperlichen aber das Irdische; wenn sie sagen, daß dagegen Gott nichts vermöge, alles müsse in sein Gebiet zurückkehren.



5.

Wenn sie aber den Heiland aus allen Äonen hervorgehen lassen, indem diese gleichsam ihre Blüte in ihm niederlegten, so greifen sie nur auf die Pandora des Hesiod zurück. Was dieser von Pandora, das lehren jene vom Heiland und machen ihn zum Pandoros, da ja jeder von den Äonen ihm sein Bestes schenkte. Ihre Lehre von der Indifferenz der Speisen und übrigen Handlungen, sodaß sie meinen, sie könnten überhaupt wegen ihrer vornehmen Abstammung von niemanden befleckt werden, mögen sie essen oder treiben, was sie wollen, haben sie von den Zynikern entlehnt, zu deren Gesellschaft sie gehören. Nach Aristoteles aber versuchen sie ihre Haarspaltereien und Distinktionen in die Glaubenslehre hineinzutragen.



6.

Wenn sie ferner versuchen, das Weltall in Zahlen auszudrücken, so haben sie das von den Pythagoräern übernommen. Diese nämlich erhoben zuerst die Zahlen zum Urgrund aller Dinge und als Urgrund der Zahlen das Gerade und Ungerade, woraus das Wahrnehmbare und Übersinnliche bestehe. Das Eine sei der Urgrund der Idee, das Andre der Urgrund der greifbaren Gestalt; aus diesen zwei Prinzipien bestünden alle erschaffenen Dinge, wie eine Statue aus dem Erz und der Gestalt. Diese Lehre haben sie auf das angepaßt, was sich außerhalb des Pleroma befinden soll. Das nannten sie den Anfang der Erkenntnis, insofern der Geist das erkennt, was zuerst angenommen wurde, und sucht, bis er ganz ermüdet auf das Eine und Unteilbare stößt. Darum sei der Urgrund von allem und das Wesen der gesamten Schöpfung das Hen, d. h, das Eins, und aus diesem stamme die Zweiheit und die Vierheit und die Fünfheit und die übrigen mannigfachen Paarungen. Dies wenden jene wortwörtlich auf ihr Pleroma und ihren Bythos an und bemühen sich auch, jene Verbindungen einzuführen, die von dem Hen ausgehen, was Markus freilich als seine ureigenste Erfindung ausgibt, indem er die Vierheit des Pythagoras als den Urgrund und die Mutter aller Dinge hinstellt.



7.

Hierauf erwidern wir, wie folgt: Haben die, von denen ihr nachgewiesenermaßen entlehnt habt, die Wahrheit erkannt oder nicht? Haben sie dieselbe erkannt, dann war es überflüssig, daß der Erlöser auf die Welt kam. Wozu kam er nämlich? Etwa um eine erkannte Wahrheit denen, die sie kennen, zur Erkenntnis zu bringen? Haben sie aber dieselbe nicht erkannt, wie könnt ihr euch dann rühmen, mit denen, die sie nicht kannten, allein die alles übersteigende Gnosis zu besitzen, welche schon die haben, so Gott nicht kennen. In offenkundigem Widerspruch also nennen sie die Unkenntnis der Wahrheit Erkenntnis, und mit Recht spricht Paulus von den Wortneuheiten der falschen Erkenntnis (1Tm 6,20) . Denn fürwahr, als falsch erfunden ist ihre Erkenntnis. Wenn sie aber in ihrer Frechheit weiter sagen wollten, die Menschen hätten zwar die Wahrheit nicht erkannt, aber ihre Mutter oder der väterliche Samen habe durch einzelne Menschen, wie z. B. durch die Propheten, ohne Wissen des Demiurgen die geheimnisvollen Wahrheiten verkündet, so ist zu antworten erstens: die genannten Lehren sind derart, daß sie von jedem verstanden werden können, denn sowohl jene Männer wußten, was sie sagten, als auch ihre Schüler und deren Nachfolger. Zweitens, wenn die Mutter oder der Same die Wahrheit kannten und verkündeten, die Wahrheit aber der Vater ist, dann hätte auf diese Weise der Erlöser gelogen, indem er sagt: „Niemand kennt den Vater als der Sohn“ (Mt 11,27). Wenn nämlich die Mutter oder der Same ihn kennt, so ist das Wort aufgehoben: „Niemand kennt den Vater als der Sohn“, es sei denn, daß sie sagten, ihr Same oder die Mutter seien der Niemand!



8.

Soweit haben sie durch die menschlichen Leidenschaften einige verführt, indem sie für die, welche Gott nicht kannten, glaubwürdig Ähnliches lehrten, und durch den Gebrauch der bekannten Ausdrücke zogen sie sie in ihre völlige Gefolgschaft, indem sie den Ursprung des göttlichen Wortes und des Lebens ihnen auseinander setzten und sogar bei dem Ausgang des Nous und Gottes Geburtshilfe leisteten. Was aber aus diesen hervorgehen soll, das haben sie nicht glaubwürdig gemacht noch bewiesen, sondern in allem völlig erlogen. Wie die, welche ein Tier anlocken wollen, ihm die gewohnte Speise zunächst vorwerfen, und, um es zu fangen, ihm durch das gewohnte Futter schmeicheln, bis sie es haben, dann es aber gefangen nehmen, grausam knebeln und mit Gewalt fortschleppen, wohin immer sie wollen — so werden auch diese allmählich geködert. Sie überreden sie durch den Mißbrauch gewohnter Worte, die erwähnte Emanation anzunehmen, and kommen dann mit ihren offenbar unmöglichen und unwahrscheinlichen übrigen Emanationen, Da sind denn aus dem Logos und der Zoe zehn Äonen hervorgegangen, aus dem Menschen und der Kirche zwölf, wofür sie weder einen Beweis, noch ein Zeugnis, noch irgend eine Wahrscheinlichkeit haben, noch irgend etwas anderes dieser Art. Auf ihr blankes Wort und Antlitz, verlangen sie, solle man glauben, daß aus den Äonen Logos und Zoe, Bythius und Mixis hervorgegangen seien, der ewig Junge und die Vereinigung, der selbst Entstandene und die Ergötzung, der Unbewegliche und die Vermischung, der Eingeborene und die Glückseligkeit. Von den ähnlichen Äonen Mensch und Kirche aber seien ausgegangen der Tröster und der Glaube, der Vatersohn und die Hoffnung, der Muttersohn und die Liebe, der Ainous und die Einsicht, Ekklesiastikos und Makariotes, Theletos und Sophia.



9.

Die Leidenschaften und Verirrungen unserer Sophia aber, wie sie in Gefahr geriet, bei der Suche nach dem Vater zugrunde zu gehen, was sie außerhalb des Pleroma anstellte, und aus welchem Fehltritt der Weltenmacher hervorgegangen sein soll, diese Lehren der Häretiker haben wir im ersten Buche dargestellt und mit aller Sorgfalt klargelegt. Christus aber, den sie zuletzt aus diesen allen hervorgehen lassen, und der Heiland, die hätten ihre Wesenheit aus den im Fehltritt erzeugten Äonen erhalten. Notgedrungen haben wir jetzt ihre Namen erwähnt, damit aus ihnen ihre ungeheuerliche Lüge und die Verwirrung ihrer erdichteten Namengebung hervorgehe. Derartige viele Benennungen gereichen aber ihren Äonen zur Unehre, wohingegen die Heiden ihren sogenannten zwölf Göttern doch wenigstens wahrscheinliche und glaubhafte Namen beilegen. Diese sollen die Urbilder für ihre zwölf Äonen sein; und doch haben sie viel geziemendere Namen, die kraft ihrer Bedeutung viel eher zur Betrachtung der Gottheit zu führen vermögen.




215

15. Kapitel: Für die Emanationen fehlt die Ursache

1.

Kehren wir jedoch zurück zu der angeschnittenen Emanationsfrage! Erstens mögen sie uns den Grund für derartige Äonenemanationen angeben, da diese zu der Schöpfung doch in keiner Beziehung stehen. Nicht sollen sie wegen der Schöpfung geworden sein, sondern die Schöpfung um ihretwillen; sie seien nicht die Abbilder von jenen, sondern vielmehr umgekehrt, wie sie ja behaupten, der Monat habe dreißig Tage wegen der dreißig Äonen, und der Tag habe zwölf Stunden ebenso wie das Jahr zwölf Monate wegen der zwölf Äonen im .Pleroma, und was weiter derartiger Unsinn ist. Nun also, welches ist denn der Grund dieser Äonenemanation, warum es gerade so geschehen ist, warum zu allererst und ursprünglich die Achtheit ausgesandt wurde und nicht die Fünfheit oder die Dreiheit oder die Siebenheit oder irgend eine andere Zahlenkonstellation. Warum sind denn aus dem Logos und der Zoe grade zehn Äonen hervorgegangen und nicht mehr oder minder? Und aus dem Menschen und der Kirche hinwiederum grade zwölf, da es doch ebenso gut mehr oder weniger hätten sein können?



2.

Warum ist ferner das gesamte Pleroma dreifach in eine Achtheit, Zehnheit und Zwölfheit gerade eingeteilt und nicht in irgend eine andere Zahl? Und warum gerade drei Teile und nicht vier oder fünf oder sechs oder sonst irgend wie viele? Die in der Schöpfung auftretenden Zahlen können sie ja nichts angehen, da die Schöpfung doch erst später hinzugekommen ist und diese Zahlen doch einen besonderen Grund haben müssen, der vor der Schöpfung liegt und nicht in ihr, damit eine Harmonie erzielt werde.



3.

Wir können nämlich von einer Harmonie sprechen, wenn wir von dem ausgehen, was bereits erschaffen ist; sie aber vermögen in dem, was vorher war und aus sich selbst erschaffen wurde, keinen besonderen Grund[54] anzugeben und geraten somit notwendigerweise in die höchste Verlegenheit. Sie befragen uns, als ob wir Ignoranten wären, über die Schöpfung — und wenn sie über ihr Pleroma befragt werden, dann erzählen sie uns von menschlichen Affekten oder steigen zu einem Gerede hinab, das die Gründe in der Schöpfung sucht. Nicht in Betreff ihres Urgrundes geben sie uns Antwort, sondern über das, was darauf folgte. Und doch fragen wir sie nicht über die Harmonie in der Schöpfung noch über irgend welche menschlichen Affekte. Soll also ihr Pleroma, dessen Abbild die Schöpfung ist, acht und zehn und zwölf Gestalten haben, dann müssen sie zugeben, daß ihr Vater töricht und unklug diese Gestalten gemacht habe, und so ihren Vater verunehren, wenn er etwas ohne Grund gemacht hat. Wenn sie hingegen behaupten, daß wegen der Voraussicht des Vaters behufs guter Übereinstimmung mit der Schöpfung ihr Pleroma so gestaltet worden sei, dann ist ja das Pleroma nicht mehr seiner selbst willen gemacht, sondern wegen des Bildes, das nach seiner Ähnlichkeit gemacht werden sollte, wie das Tonbild nicht seiner selbst wegen hergestellt wird, sondern wegen des ehernen oder goldenen oder silbernen Standbildes, Dann aber ist die mehr wert als das Pleroma, wenn dieses ihretwegen erschaffen wurde.




216

16. Kapitel: Die Vorbilder gleichfalls grundlos

1.

Wollen sie aber durch keinen dieser Gründe sich von uns überzeugen lassen, daß sie keine Ursache für die Emanationen ihres Pleroma beibringen können, so werden sie zu dem Schluß gezwungen, daß über ihrem Pleroma noch eine andere und gewaltigere Macht bestehe, gemäß welcher ihr Pleroma gebildet worden ist. Wenn nämlich der Demiurg nicht von sich selbst solche Gestalt der Schöpfung hervorgebracht hat, sondern gemäß der Idee der oberen Dinge, von wem hat dann ihr Bythos, der doch das Pleroma solcher Gestaltung gemacht hat, die Idee der Dinge, die vor ihm gemacht wurden, empfangen? Entweder nämlich muß unser Denken Halt machen bei dem Gotte, der die Welt gemacht hat, und annehmen, daß er aus eigner Macht und von sich selbst die Idee dieser Welt empfangen hat, oder man wird gezwungen sein, wenn er von irgend einem andern den Anstoß empfangen hat, immer weiter zu fragen: Woher hat denn der, der über ihm ist, die Idee der erschaffenen Dinge? Wieviele solcher Emanationen gibt es? Welches ist die Wesenheit des Vorbildes? War es aber dem Bythos gestattet, von sich selbst solche Gestalt des Pleroma hervorzubringen, warum war es dann dem Demiurgen nicht gestattet, aus sich selbst diese Welt zu machen? Ist aber die Welt nur das Abbild jener Dinge, dann muß es auch für diese oberen Dinge Vorbilder geben und für diese wieder andere, und so gelangt man zu unendlich vielen Vorbildern.



2.

So ist es dem Basilides ergangen. Ohne die Wahrheit im entferntesten zu erreichen, glaubte er, durch eine gewaltige Reihe der auseinander hervor gegangenen Dinge dieser Schwierigkeit zu entrinnen, indem er 365 Himmel in sukzessiver Gleichheit aus einander entstehen ließ und den Beweis dafür in der Zahl der Tage erblickte, wie wir oben gesagt haben. Über diesen stehe eine Macht, Namenlos genannt, und ihre Kraft. Doch auch diese Ausflucht kann ihm nichts helfen. Denn wir werden ihn fragen: Von wo hat denn der allererste Himmel, von dem die übrigen abstammen, die Idee seiner Schöpfung? „Von der unnennbaren Kraft“, wird er antworten. Dann wird er entweder sagen müssen, daß die Unnennbare aus sich selbst die Schöpfungsidee gemacht hat, oder er wird zugeben müssen, daß es darüber hinaus noch eine andere Macht gebe, von der die Unnennbare alle ihre Ideen empfangen hat.



3.

Ist es da nicht viel sicherer und vernünftiger, der Wahrheit gemäß von vorneherein zu bekennen, daß der Schöpfergott, der die Welt gemacht hat, der einzige Gott ist, und daß es außer ihm keinen andern gibt, der aus sich selbst die Idee und das Vorbild aller erschaffenen Dinge entnommen hat? Denn schließlich muß man doch, nach so vielen Gottlosigkeiten und Umwegen ermüdet, in seinem Denken einmal bei irgend einem Halt machen, von dem die Idee der erschaffenen Dinge stammt



4.

Die Valentinianer werfen uns vor, wir blieben in der unteren Siebenzahl, erhöben unsern Sinn nicht empor, noch begriffen wir das Obere, da wir ja ihre wundersamen Faseleien nicht annehmen. Aber denselben Vorwurf machen diesen die Basilidianer, weil sie, nur bis zur ersten und zweiten Achtheit sich erhebend, törichterweise wähnen, daß sie nach den dreißig Äonen gleich den allerhöchsten Vater gefunden hätten, und ihren Sinn nicht auf das Pleroma über den 365 Himmeln richteten, das über den 45 Achtheiten sich befindet. Doch auch diese wiederum kann man leichtlich übertrumpfen, indem man 4380 Himmel oder Äonen bildet, weil die Tage eines Jahres soviel Stunden haben. Legt aber einer noch die Stunden der Nächte hinzu und verdoppelt so die angegebene Stundenzahl, in der Meinung, daß er nun eine gewaltige Menge von Achtheiten und eine geradezu unzählige Wirtschaft von Äonen außer dem allerhöchsten Vater gefunden habe — so kann er sich für noch vollkommener als all die andern halten und auf gleiche Weise diesen vorwerfen, daß sie zu der Höhe seiner zahllosen Himmel oder Äonen sich nicht erhöben, sondern unten Halt machten oder in der Mitte stecken blieben.




217

17. Kapitel: Die Emanationen stimmen nicht

1.

Viele Widersprüche und Schwierigkeiten ergaben sich also bei der Annahme ihres Pleroma und vorzüglich der ersten Achtheit. Doch nun wollen wir noch ihres Unverstandes halber auch das übrige betrachten und das suchen, was überhaupt nicht ist. Wir sind dazu gezwungen, weil uns die Sorge hierüber anvertraut ist, und weil wir wollen, daß alle Menschen zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen. Hast Du selbst doch verlangt, von uns jeden und allen Anhalt zu ihrer Widerlegung zu erhalten.



2.

Es fragt sich also: Wie wurden die übrigen Äonen hervorgebracht? Blieben sie vereint mit dem, der sie aussandte, wie etwa die Sonnenstrahlen mit der Sonne, oder verließen sie denselben und trennten sich von ihm, so daß jeder derselben seine eigne und besondere Gestalt hatte wie der Mensch vom Menschen und vom Tiere das Tier? Oder sproßten sie hervor wie die Zweige eines Baumes? Waren sie von derselben Substanz wie die, welche sie hervorgebracht, oder hatten sie ihre Substanz von einer anderen? Wurden sie alle in demselben Augenblick hervorgebracht, so daß sie alle gleich alt waren, oder waren einige von ihnen älter und andere jünger? Waren sie einfach und von einer Gestalt, in jeder Hinsicht sich gleich und ähnlich, wie Geister und Lichter ausgesandt wurden, oder waren sie zusammengesetzt und verschieden und ungleich in ihren Gliedern?



3.

Nehmen wir an, daß sie nach Art menschlicher Zeugung einzeln als Wirkungen ausgesandt wurden, dann werden die Sprößlinge des Vaters entweder seine Wesenheit haben und ihm ähnlich sein, oder, wenn sie ihm unähnlich sind, dann müssen sie notwendig aus einer andern Substanz bestehen. Sind aber die Sprößlinge des Vaters ihrem Erzeuger ähnlich, dann müssen sie, wie er, auch leidensunfähig sein. Bestehen sie aber aus einer andern leidensfähigen Substanz, woher kommt dann diese ungleichartige Substanz in das unvergängliche Pleroma? Bei dieser Auffassung muß dann jeder von ihnen einzeln und voneinander abgesondert gedacht werden, wie die Menschen, nicht vermischt, noch miteinander vereint, sondern von besonderer Gestalt und bestimmter Umgrenzung und gewisser Größe, ein jeder besonders gestaltet, was alles Eigenschaften des Körpers sind und nicht des Geistes. Also dürften sie das Pleroma nicht mehr geistig nennen, noch sich selbst geistig. Sitzen doch ihre Äonen wie Menschen mit dem Vater zu Tische und verraten ihn, der sie ausgesandt, als das, was sie selbst sind.



4.

Stammen aber die Äonen vom Logos, der Logos vom Nous, der Nous vom Bythos, wie z.B. Lichter vom Lichte oder Fackeln an der Fackel angezündet werden, dann werden sie zwar unter Umständen durch Abstammung und Größe sich voneinander unterscheiden, müssen aber derselben Wesenheit wie ihr Urheber sein, so daß sie entweder leidensunfähig bleiben wie der Vater, oder ihr Vater muß teilnehmen an ihren Leiden. So hat auch die Fackel, die von einer andern angezündet wurde, kein anderes Licht als die erste, und werden daher ihre Lichter vereinigt, so bilden sie wieder die ursprüngliche Einheit und werden wieder das eine Licht, das sie anfangs gewesen sind. Was aber jünger und was älter ist, kann man weder an dem Lichte selbst erkennen, weil doch das Licht ein Ganzes ist, noch an den Fackeln, die das Licht empfangen haben, weil die Fackeln alle die gleiche Beschaffenheit besitzen. Nur daß die einen vor kurzem, die andern aber soeben erst angezündet wurden.



5.

Da sie nun alle derselben Beschaffenheit sind, so wird entweder ihr gesamtes Pleroma mit dem Makel der Leidenschaft und Unwissenheit behaftet sein und sogar ihr Urvater, der sich selbst nicht kennt, — oder es werden alle Lichter innerhalb des Pleroma leidensunfähig verbleiben. Dann aber ist die Leidenschaft des jüngeren Äonen unerklärlich, wenn er, wie all die andern Lichter, Licht vom Vater ist, das natürlicherweise keiner Leidenschaft zugänglich war. Und wie kann man einen von den Äonen jünger oder älter nennen, da doch das gesamte Pleroma nur ein Licht hat. Doch wollte man sie auch Sterne nennen, so würden sie nichtsdestoweniger alle von derselben Beschaffenheit bleiben. Zwar ist ein Stern vom andern an Glanz verschieden (1Co 15,41) , aber doch nicht an Beschaffenheit und Wesenheit, so dass der eine leidensfähig, der andere leidensunfähig wäre. Folglich müssen alle, da sie vom Lichte des Vaters stammen, von Natur leidensunfähig und unveränderlich sein — oder es müssen alle zusammen mit dem Lichte des Vaters leidensfähig, veränderlich und zerstörbar sein.



6.

Dieselbe Schlußfolgerung ergibt sich auch, wenn sie sagen, daß die Äonen vom Logos ausgegangen seien wie die Äste eines Baumes. Da der Logos von ihrem Vater abstammt, so werden sie ersichtlich alle dieselbe Wesenheit wie der Vater haben und höchstens durch ihre Größe, nicht aber durch ihre Natur sich voneinander unterscheiden und die Größe des Vaters ausmachen, wie die Finger eine Hand bilden. Befindet sich also der Vater in Leidenschaft und Unwissenheit, dann werden es freilich auch die Äonen sein, die von ihm abstammen. Ist aber diese Annahme gottlos, dann können die nicht mehr fromm heißen, welche einen von ihm ausgegangenen Äonen in Leidenschaft fallen lassen und sogar der Weisheit Gottes dieselbe Gottlosigkeit beilegen.



7.

Sollten se aber sagen, ihre Äonen seien wie die Strahlen von der Sonne ausgegangen, so müssen sie alle leidensfähig mit dem sein, der sie aussandte, da sie doch alle von derselben Wesenheit sind und von ebendemselben abstammen, oder es müssen alle leidensunfähig sein. Unmöglich nämlich ist es zu lehren, daß bei dieser Art von Emanation die einen leidensfähig, die andern leidensunfähig seien. Sind aber alle leidensunfähig, dann zerfällt ihr ganzes Lehrgebäude. Wie nämlich konnte der jüngere Äon in Leiden geraten, wenn alle leidensunfähig waren? Sollen aber alle an diesem Leiden ihren Anteil gehabt haben, wie einige kühn behaupten, daß es beim Logos begann und auf die Sophia überströmte, dann führen sie offenkundig das Leiden auf den Logos, den Verstand dieses Urvaters, also auf den Verstand des Urvaters und somit auf den Urvater selbst zurück. Denn der Vater ist nicht, gleich einem zusammengesetzten Lebewesen, etwas anderes als der Verstand, wie wir vorher gezeigt haben, sondern der Verstand ist Vater und der Vater Verstand. Also muß auch der, welcher vom Logos abstammt, ja vielmehr der Verstand selbst, da er der Logos ist, vollkommen und leidensunfähig sein, und ebenso müssen die von ihm ausgehenden Äonen vollkommen und leidensunfähig und immer dem ähnlich bleiben, der sie aussandte, da sie ja der gleichen Wesenheit wie er selber sind.



8.

Also kannte der Logos, in dritter Reihe vom Vater abstammend, den Vater, was jene leugnen. Das mag vielleicht bei menschlicher Abstammung wahrscheinlich sein, wie ja nicht selten die Eltern unbekannt sind; aber bei dem Logos des Vaters ist das durchaus unmöglich. Wenn er nämlich in dem Vater ist, dann erkennt er auch den, in dem er ist, d. h. sich selbst. Ebenso müssen die von ihm ausgehenden Äonen, die seine Kräfte sind und ihm immer beistehen, den erkennen, der sie von sich ausgesandt hat, wie die Sonne ihre Strahlen. Ebensowenig kann also auch die Sophia innerhalb des Pleroma, die auch zu den genannten Emanationen gehört, in Leiden geraten und so große Unwissenheit empfangen haben. Das wäre nur möglich bei der Weisheit des Valentinus. Diese kann, da sie vom Teufel ausging, allerdings in Leiden geraten und das Meer der Unwissenheit hervorgebracht haben. Wo man nämlich seiner Mutter das Zeugnis ausstellt, daß sie aus dem Fehltritt eines Äonen entsprungen sei, da braucht man keinen weiteren Grund zu suchen, warum die Söhne einer solchen Mutter fortwährend im Meere der Unwissenheit umherschwimmen.



9.

Damit wären, soweit ich sehe, alle Möglichkeiten der Emanationsart erschöpft, und ebensowenig konnten sie uns noch eine andere Möglichkeit angeben, so viele Unterredungen wir auch mit ihnen über diesen Punkt gehabt haben. Nur das geben sie noch an, daß jeder Äon allein den gekannt habe, von dem er selbst ausgegangen sei, nicht aber weiter hinauf. Sobald sie jedoch erklären sollen, auf welche Weise die Emanationen erfolgten, oder wie solches bei einem geistigen Wesen möglich ist, sitzen sie fest. Sofern sie sich nämlich weiter vorwagen, sind sie gezwungen, wider allen gesunden Verstand und die Wahrheit zu behaupten, daß der Logos, der von dem Nous ihres Urvaters ausgesandt wurde, bei seiner Emanation geringer geworden wäre. Der von dem vollkommenen Bythos ausgegangene vollkommene Nous hätte schon nicht mehr eine vollkommene Emanation hervorbringen können, sondern nur noch eine, die hinsichtlich der Erkenntnis und der Größe des Vaters blind gewesen sei, welches Geheimnis der Erlöser durch den Blindgeborenen angezeigt hätte: der blinde, von dem Eingeborenen ausgegangene Äon sei nämlich die Unwissenheit. So lügen sie Unwissenheit und Blindheit dem Worte Gottes an, das in zweiter Linie von dem Urvater ausging. O diese wunderbaren Weisheitslehrer und Erforscher der Tiefen des unbekannten Vaters und Erklärer der überhimmlischen Geheimnisse, „in welche die Engel zu schauen verlangen!“ (Petr. 11,12) Der vom Nous des allerhöchsten Vaters ausgegangene Logos ist blind gewesen, d. h. hat den Vater nicht gekannt, von dem er ausging!



10.

Wie konnte bloß, o ihr kläglichen Sophisten, der Nous des Vaters oder vielmehr der Vater selber, da er doch der Verstand selbst und vollkommen in allem ist, seinen Logos als unvollkommenen und blinden Äonen aussenden, wo er doch imstande war, auch sogleich mit ihm die Erkenntnis des Vaters auszusenden? Wenn Christus, der nach allen übrigen hervorgebracht wurde, vollkommen gewesen ist, um wieviel mehr muß dann der Logos, der doch älter als jener ist, von demselben Nous vollkommen hervorgebracht sein und nicht blind? Und wie konnte dieser noch blindere Äonen hervorbringen, als er selbst war, bis daß dann eure Weisheit für immer verblendet, eine so große Masse von Übeln hervorbrachte! Dieses Übels Ursache aber ist euer Vater, denn ihr sagt doch, daß die Größe und Kraft des Vaters der Grund der Unwissenheit seien, indem ihr ihn einem Abgrunde vergleicht und ihm den Namen des unnennbaren Vaters beilegt. Wenn aber die Unwissenheit ein Übel ist und nach eurer Erklärung alle Übel aus ihr entsprossen sind, ihre Ursache aber die Größe und Kraft des Vaters sein soll, dann erklärt ihr ihn zum Schöpfer der Übel. — Denn darin, daß er nicht die Größe des Vaters erfassen konnte, liegt nach euch die Ursache des Übels. Wenn es aber dem Vater unmöglich war, von vorneherein sich denen, die er erschaffen hatte, bekannt zu geben, dann war der schuldlos, der die Unwissenheit derjenigen nicht aufheben konnte, die nach ihm kamen. Wenn er aber später durch seinen Willen die immer weiter fortgeschrittene und den Äonen eingepflanzte Unwissenheit aufheben konnte, dann hätte er umsoweniger gestatten dürfen, daß die vorher noch nicht gewesene Unwissenheit entstand.



11.

Da also der Vater, sobald er wollte, nicht nur von den Äonen, sondern auch von den Menschen der jüngsten Zeiten erkannt wurde, wo er aber anfangs nicht wollte, unbekannt blieb, so ist die Ursache der Unwissenheit nach euch lediglich der Wille des Vaters. Wenn er nämlich das Kommende voraussah, warum hat er dann nicht lieber von vorneherein die Unwissenheit jener aufgehoben, als daß er gleichsam aus Reue nachher dafür durch die Aussendung Christi sorgte? Denn die Kenntnis, die er später durch Christus allen verlieh, die konnte er viel eher verleihen durch den Logos, der der Erstgeborene des Eingeborenen war. Wollte er aber von vorneherein dies so haben, dann müssen die Werke der Unwissenheit fortdauern und gehen niemals vorüber. Was nämlich aus dem Willen eures Urvaters entstanden ist, das muß auch mit seinem Willen fortdauern, oder wenn dies vorübergeht, dann geht auch damit der Wille dessen vorüber, der ihm das Dasein verliehen hat. Durch welche Wissenschaft denn gaben sich die Äonen zufrieden und erlangten die vollkommene Erkenntnis, wenn der Vater selbst unfaßbar und unbegreifbar ist? Konnten sie denn nicht ihre Erkenntnis auch erlangen, bevor sie in Leiden gerieten, oder wurde denn die Größe des Vaters verringert für die, die von Anfang an wußten, daß er unfaßbar und unbegreiflich ist? Blieb er nämlich wegen seiner unfaßbaren Größe unbekannt, dann hätte er auch wegen seiner unfaßbaren Liebe die vor Leiden bewahren müssen, die aus ihm geboren waren. Dem stand nicht nur nichts im Wege, sondern es wäre sogar viel besser gewesen, wenn sie gleich von Anfang erkannt hätten, daß der Vater unfaßbar und unbegreiflich ist.




218

18. Kapitel: Die Leidensgeschichte der Sophia voller Widersprüche

1.

Wie sollte es nicht töricht sein, wenn jene behaupten, daß die göttliche Weisheit in Unwissenheit, Verkleinerung und Leiden gewesen sei! Fremd ist dies alles der Weisheit und entgegengesetzt und hat in ihr keinen Platz. Wo die Voraussicht fehlt und die Kenntnis des Nützlichen, da ist doch keine Weisheit! Mögen sie also aufhören, den gefallenen Äonen Sophia zu nennen! Entweder mögen sie diese Bezeichnung oder ihren Fehltritt fallen lassen. Auch dürfen sie das gesamte Pleroma nicht geistig nennen, wenn sie lehren, daß in ihm der arme Äon sich aufgehalten hat, als er in so große Leidenschaft geriet. Das wird nicht einmal eine starke Seele ertragen, geschweige denn eine geistige Substanz.



2.

Wie konnte ferner die Enthymesis mit der Leidenschaft durchgehen und von dem Äonen sich loslösen? Die Enthymesis kann man sich doch nur denken als ein Akzidens und niemals als eine besondere Substanz. Denn ausgetrieben und verschlungen wird die böse Enthymesis von der guten, wie die Krankheit von der Gesundheit. Welcher Art war denn die Enthymesis vor ihrem Leiden? Den Vater zu erforschen und seine Größe zu betrachten. Was aber hat sie später erkannt, so daß sie genas? Daß der Vater unfaßbar und unauffindbar ist. Also war es für sie nicht gut, daß sie den Vater erkennen wollte, und deswegen geriet sie in ihr Leiden. Als sie sich aber überzeugt hatte, daß der Vater unauffindbar ist, da genas sie! Da hat denn wohl der Nous selber, der Verstand aufgehört, den Vater fürderhin zu suchen, indem er erkannte, daß der Vater unfaßbar ist.



3.

Wie ferner konnte die Enthymesis nach ihrer Trennung von dem Äonen noch Leiden erdulden, die ihrerseits wieder ihre Affekte waren? Der Affekt ist doch auch nur ein Akzidens, das keine selbständige Existenz besitzen kann. Das ist nicht nur haltlos, sondern widerspricht auch dem Worte des Herrn: “Suchet und ihr werdet finden“ (Mt 7,7). Indem der Heiland seine Schüler lehrt, den Vater zu suchen und zu finden, führt er sie zur Vollkommenheit. Ihr Christus, der von oben ist, verbietet den Äonen, den Vater zu suchen, indem er sie belehrt, daß sie ihn trotz aller Mühe nicht finden werden, und macht sie auf diese Weise vollkommen. Sich selbst nennen sie vollkommen, weil sie ihren Bythos gefunden haben wollen — die Äonen aber deshalb, weil diese gelernt haben, daß unergründbar ist, der von ihnen gesucht wurde.



4.

Da nun also die Enthymesis, losgetrennt von einem Äonen, nicht existenzfähig ist, so bringen sie eine noch größere Lüge auf über ihr Leiden, indem sie dieses wiederum loslösen und trennen und als eine besondere materielle Substanz hinstellen, gleich als ob Gott nicht das Licht wäre, noch der Logos da wäre, der sie Lügen strafen, und ihre Bosheit aufdecken könnte. Was nämlich der Äon fühlte, das litt er auch, und was er litt, das fühlte er auch. Nach ihnen nämlich war die Enthymesis, die Begier, nichts anders als das Leiden des Äonen, der gedachte, den Unbegreiflichen zu begreifen, und diese Begier war sein Leiden, denn er begehrte eben Unmögliches. Wie konnte man also den Affekt und das Leiden voneinander trennen und zu einer ganz materiellen Substanz machen, da doch die Enthymesis selbst ein Leiden war und das Leiden eine Enthymesis? Also kann die Enthymesis weder ohne Äonen, noch können die Affekte ohne die Enthymesis eine besondere Substanz haben, und aufgelöst also ist hier wiederum ihr Lehrgebäude.



5.

Wenn nun der Äon derselben Wesenheit wie das Pleroma war, und das Pleroma gänzlich aus dem Vater stammt, wie konnte er dann aufgelöst werden und leiden? Ähnliches nämlich löst sich in Ähnlichem nicht in Nichts auf, noch läuft es Gefahr unterzugehen, sondern verharrt vielmehr und wächst beständig wie Feuer im Feuer, Geist im Geist, Wasser im Wasser. Und umgekehrt wird Gegensätzliches durcheinander beeinträchtigt, aufgehoben, vernichtet. Demgemäß konnte die Emanation des Lichtes im gleichen Lichte nicht abgeschwächt werden, noch untergehen, sondern mußte vielmehr aufleuchten und sich steigern wie der Tag vom Sonnenlichte. Soll doch der Bythos das Abbild ihres Vaters sein! Tiere, die einander fremd, entgegengesetzt und verschieden sind, gefährden und vernichten einander, wohingegen verwandte und bekannte Tiere keine Gefahr füreinander bilden, wenn sie in demselben Raume sich aufhalten, sondern infolgedessen Unterstützung und Leben empfangen. Hätte also die Emanation des Äonen dieselbe Wesenheit wie das gesamte Pleroma, aus dem es stammt, so könnte er niemals irgend eine Verringerung erdulden, da er sich ja in dem ihm gleichen und gewohnten Element befindet als Geist im Geistigen. Furcht, Entsetzen, Leiden, Zerstörung und anderes derart gehen wenigstens in unsern körperlichen Verhältnissen von uns entgegengesetzten Wesen aus, in geistigen Wesen aber, über die das göttliche Licht ausgegossen ist, haben derartige Mißstände keinen Platz. Mir scheint, der verhaßte Liebhaber des Komikers Menander hat für diesen Äonen das Vorbild abgegeben. Denn die, welche sich solches erdachten, haben mehr einen unglücklich Liebenden im Sinne gehabt und dargestellt denn ein Wesen von göttlicher und geistiger Substanz.



6.

Weiterhin konnte der Gedanke, den vollkommenen Vater zu suchen, und der Wunsch, in ihn hinein zu gelangen und von ihm einen Begriff zu bekommen, unmöglich Leiden und Unwissenheit einbringen, zumal bei einem geistigen Äonen, sondern doch nur Vollendung, Leidensunfähigkeit und Wahrheit. Wenn jene, die doch nur Menschen sind, über den, der vor ihnen ist, nachdenken und ihn gleichsam als den Vollkommenen schon begreifen, und in seine Kenntnis eingedrungen sind, dann sagen sie doch keineswegs von sich, daß sie sich im Leiden der Verwirrung befänden, sondern vielmehr in der Erkenntnis und Erfassung der Wahrheit. Lassen sie doch den Heiland sein: „Suchet und ihr werdet finden“ deswegen sprechen, damit sie den von ihnen erdachten, über dem Schöpfer des Weltalls stehenden, unaussprechlichen Bythos suchen sollten. Sie selbst also wollen als die Vollkommenen gelten, weil sie den Vollkommenen gesucht und gefunden haben, obschon sie noch auf Erden sind; der ganz geistige Äon aber, der innerhalb des Pleroma ist, soll in Leiden geraten sein, als er den Urvater suchte, in seine Größe einzudringen wagte und einen Begriff von der Wahrheit des Vaters zu erhalten verlangte. Und dies Leiden soll so groß gewesen sein, daß er in diese allgemeine Substanz aufgelöst und vernichtet worden wäre, wenn ihm nicht die alles befestigende Kraft begegnet wäre.



7.

Verrückt ist diese Annahme, und allen Sinn für Wahrheit müssen jene Menschen verloren haben. Nach ihrem Eingeständnis und ihrer Genealogie ist dieser Äon besser und älter als sie, da sie die Frucht der Begierde des in Leidenschaft geratenen Äonen sind, so dass dieser der Vater ihrer Mutter, d. h, ihr Großvater ist. Nun brachte seinen späteren Nachkommen, wie sie sagen, das Suchen nach dem Vater Wahrheit, Vollendung, Befestigung, Loslösung von der vergänglichen Materie, Versöhnung mit dem Vater; ihrem Großvater aber das nämliche Suchen Unwissenheit, Leiden, Schrecken, Furcht und Bestürzung, woraus dann das Wesen der Materie gebildet worden sein soll. Ihnen selbst also soll das Suchen und Erforschen des vollkommenen Vaters, die Begierde, sich mit ihm zu vereinigen und zu verbinden, zum Heile gereichen, dem Äonen aber, von dem sie abstammen, Auflösung und Verderben bewirken. Das ist gewiß nach jeder Hinsicht ungereimt, töricht und unverständig. Die ihnen folgen, sind in Wahrheit blind und haben Blinde zu Führern und stürzen gerechterweise in den Abgrund der Unwissenheit, der vor ihren Füßen sich auftut.





(Contra Haereses) 214