(Contra Haereses) 224

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24. Kapitel: Die Zahlenbezeichnung ist falsch und grundlos

1.

Weiterhin zeigt sich ihre Erklärung als falsch und ihre Dichtung als haltlos auch darin, daß sie bald durch Zahlen und Silben der Worte, bald auch durch die Buchstaben der Silben oder die Zahlenwerte der griechischen Buchstaben ihre Beweise zu liefern suchen. So zeigen sie auf das klarste ihre Ratlosigkeit und die Verwirrung, Haltlosigkeit und das Gezwungene ihrer Wissenschaft. Obwohl nämlich der Name Jesu aus einer andern Sprache stammt, geben sie ihn, indem sie ihn in die Zahl der Griechen übertragen, bald als ein Symbol aus, weil er sechs Buchstaben hat, bald als die Fülle der Achtheit, weil sein Zahlenwert 888 beträgt. Seinen griechischen Namen aber, Soter, d. h. Heiland, verschweigen sie, weil er weder seinem Zahlenwert noch den Buchstaben nach zu ihrer Dichtung paßt. Wären aber die Namen von der göttlichen Vorsehung so ausgewählt worden, daß sie ihrem Zahlenwert und den Buchstaben nach etwas aus dem Pleroma bezeichneten, dann müßte auch der griechische Name Soter durch seine Buchstaben und den Zahlenwert ein Geheimnis des Pleroma andeuten. Das ist jedoch nicht der Fall, da er nur fünf Buchstaben zählt und sein Zahlenwert 1408 beträgt. Das steht in gar keiner Beziehung zu ihrem Pleroma, Also ist erfunden, was sie von den Vorgängen im Pleroma erzählen.



2.

Der Name Jesus aber enthält in der hebräischen Sprache, wie ihre Gelehrten sagen, zwei und einen halben Buchstaben und bedeutet jenen Herrn, der Himmel und Erde umfaßt. Denn Jesus bedeutet im Althebräischen „Herr des Himmels und der Erde“[57] . Das Wort also, das Himmel und Erde enthält, ist eben Jesus. Falsch also ist ihre Angabe vom Symbol und umgestürzt offenbar ist ihre Berechnung. Denn in ihrer eignen Sprache, der griechischen, hat das Wort Soter fünf Buchstaben und in der hebräischen zweieinhalb. Also fällt auch ihre Rechnung mit den 888 zusammen. Und „überhaupt stimmen die hebräischen Buchstaben in ihrem Zahlenwert nicht mit den griechischen überein, obwohl sie doch als die älteren und zuverlässigeren die Berechnung der Namen aufweisen müßten. Denn die alten und ursprünglichen Buchstaben der Hebräer, die auch die priesterlichen genannt werden, sind zehn an der Zahl, reichen aber bis fünfzehn, indem der letzte Buchstabe mit dem ersten verbunden wird. Daher schreiben sie dieselben hintereinander, wie auch wir, lesen sie aber von rechts nach links. — Ferner müßte auch Christus einen Zahlenwert haben, der zu ihrem Äonenpleroma paßt, da er ja zur Befestigung und Berichtigung ihres Pleroma hervorgebracht ist, wie sie sagen. Ebenso müßte ihr Vater durch die Buchstaben und ihren Zahlenwert die Zahl der von ihm hervorgebrachten Äonen angeben, und gleichfalls der Bythos, nicht minder auch der Eingeborene, vor allem aber der allerhöchste Name Gott, der im Hebräischen Baruch heißt und zwei und einen halben Buchstaben hat. Da nun die fester stehenden Namen weder im Hebräischen noch im Griechischen weder nach der Zahl ihrer Buchstaben noch nach deren Zahlenwert zu ihrer Dichtung stimmen, so erweist sich auch hinsichtlich der übrigen Namen ihre Rechnung als eine schamlose Klügelei.



3.

Aus dem Gesetze nämlich suchen sie alles zusammen, was zu der Zahl ihrer Lehre paßt und machen daraus mit Gewalt ihre Beweise. Hätte aber ihre Mutter oder der Heiland die Absicht gehabt, durch den Demiurgen Abbilder der im Pleroma enthaltenen Dinge zu zeigen, dann hätten sie das an reelleren und heiligeren Dingen gemacht und besonders an der Bundeslade, nach der auch das ganze Bundeszelt eingerichtet war. Es war aber jene zwei und eine halbe Elle lang und anderthalb Ellen breit, welche Zahlen gar nicht zu ihrer Dichtung stimmen, obwohl man doch hier am meisten ein Vorbild erwarten konnte. Ebensowenig stimmt der Sühnealtar zu ihren Erklärungen oder der Schaubrotetisch von zwei Ellen Länge und einer Elle in die Breite und anderthalb Ellen Höhe. Und obgleich dieser vor dem Allerheiligsten stand, stimmt nicht eine einzige Zahl zu ihrer Vierheit oder Achtheit oder den übrigen Verhältnissen im Pleroma. Was soll ferner der siebenarmige Leuchter mit den sieben Lichtern? Wäre er als Abbild gemacht, dann hätte er doch acht Arme und ebensoviele Lichter haben müssen als Abbild der ersten Achtheit, die den Äonen voranleuchtet und das ganze Pleroma durchstrahlt. Die zehn Vorhallen aber haben sie sorgfältig gezählt, weil sie ein Vorbild der zehn Äonen sein sollen, die Vorhänge aber nicht mehr, da deren elf sind. Doch auch die Größe der Vorhallen, die jede achtundzwanzig Ellen lang sind, haben sie nicht mehr gemessen. Die Länge der Säulen, die zehn Ellen betrug, beziehen sie auf die zehn Äonen, aber ihre Breite, die anderthalb Ellen ausmachte, erklären sie nicht mehr und ebensowenig die Zahl aller Säulen noch ihre Riegel, weil diese nicht mehr in ihre Beweisführung passen. Was soll ferner das Salböl, welches das ganze Zelt heiligte? 

   Vielleicht ist es dem Heiland entgangen, oder es hat der Demiurg aus sich selbst, während ihre Mutter schlief, seine Gewichtsteile angeordnet, so daß es mit dem Pleroma nicht übereinstimmt, da es aus 500 Sekel Myrrhe, 500 Sekel Iris, 250 Sekel Zimmt, 250 Sekel Kalmus und dazu Öl, also im ganzen aus fünf Mischungen bestand. Ähnlich ist auch das Rauchwerk aus Myrrhe, Harz, Balsam, Galban, Krauseminze und Weihrauch zusammengesetzt, was weder in den Mischungen noch im Gewichte mit ihrer Lehre übereinstimmt. Unvernünftig und geradezu bäuerisch ist die Behauptung, daß in den erhabensten und schönsten Teilen des Alten Bundes kein Vorbild beachtet sei, wohl aber seien in den übrigen die Vorbilder innegehalten, sobald irgend eine Zahl mit ihren Sätzen übereinstimmt. Da nun jegliche Zahl in den Schriften vielfach vorkommt, so kann jeder nach seinem Belieben nicht nur die heilige Acht, Zehn und Zwölf, sondern auch jede andere beliebige Zahl aus den Schriften begründen und behaupten, diese sei das Abbild des von ihm erfundenen Irrtums.



4.

Die Wahrheit unserer Behauptung wollen wir aus den Schriften an der Fünfzahl erhärten, die in keiner Beziehung zu ihrem Lehrgebilde noch zu den Vorgängen in ihrem Pleroma steht. Der Name Soter hat fünf Buchstaben und Vater auch, und ebenso hat die Liebe fünf Buchstaben. Desgleichen hat unser Herr fünf Brote gesegnet und fünftausend Menschen gesättigt; von den klugen Jungfrauen gab es fünf und ebenso von den törichten. Gleichfalls fünf waren zugegen, wie der Vater seinen Sohn bezeugte, nämlich Petrus, Johannes, Jakobus, Moses und Elias; fünf, wie der Herr zu dem toten Mägdlein kam, das er erweckte, denn keinen, heißt es (Lc 8,51) , ließ er hineingehen als Petrus, Jakobus, den Vater und die Mutter des Mädchens. Jener Reiche in der Hölle hat fünf Brüder, die ein von den Toten Auferstehender besuchen sollte. Der Schwemmteich, von dem der Herr den Gichtbrüchigen gesund nach Hause gehen hieß, hatte fünf Hallen. Die Gestalt des Kreuzes hat fünf End- oder Hauptpunkte, je einen oben, unten, rechts, links und einen in der Mitte. Mit fünf Nägeln war er am Kreuze befestigt. Unsere Hand hat fünf Finger, wir haben fünf Sinne. Fünf ist die Zahl unserer Eingeweide: Herz, Leber, Lungen, Milz und Nieren. Der ganze Mensch zerfällt in fünf Teile: Kopf, Brust, Bauch, Schenkel und Füße. Fünf Alter durchschreitet der Mensch, denn er ist zuerst Säugling, dann Kind, dann Knabe, dann Jüngling, dann Mann. In fünf Büchern übergab Moses dem Volke das Gesetz. Jede der Gesetzestafeln, die Moses von Gott erhielt, enthielt fünf Gebote. Der das Allerheiligste verhüllende Vorhang hatte fünf Säulen, und der Brandopferaltar war fünf Ellen lang. Fünf Priester wurden in der Wüste erwählt: Aaron, Nadab, Abiud, Eleazar und Ithamar. Der Leibrock, das Brustkleid und die übrigen Priesterkleider waren aus fünf Stücken gewebt: aus Gold, blauer Seide, Purpur, Scharlach und feinstem weißem Linnen. Und Jesus Nave verschloß fünf Könige der Amorrhäer in Höhlen und gab deren Köpfe dem Volke zum Zertreten. Wie für die Fünf, so kann man auch für jede andere Zahl noch viele tausend andere Dinge dieser Art aus der Schrift oder aus den Werken der Natur sammeln. Dennoch reden wir deswegen nicht von fünf Äonen, noch weihen wir die Fünfzahl zu einer göttlichen Sache, noch versuchen wir, unhaltbare Wahngebilde auf solchem Wege zu beweisen, noch zwingen wir die schöne Ordnung der göttlichen Schöpfung mit Gewalt in die Vorbilder von Wahngebilden, noch stellen wir gottlose und frevelhafte Dogmen auf, um uns von dem gesunden Menschenverstände entlarven und widerlegen zu lassen.



5.

Wer nämlich wird ihnen zugeben, daß nur deswegen das Jahr 365 Tage habe, damit die zwölf Monate zu je dreißig Tagen ein Abbild der zwölf Äonen seien? Besteht nicht bereits hier zwischen dem Vorbild und dem Abbild eine Unähnlichkeit? Dort nämlich ist jeder Äon der dreißigste Teil des gesamten Pleroma, der Monat aber zugestandenermaßen der zwölfte Teil des Jahres. Würde das Jahr in dreißig Teile zerfallen und der Monat in zwölf, dann könnte noch das Vorbild zu ihrem Lügenbau passen. Nun aber wird umgekehrt ihr Pleroma zwar in dreißig Teile zerlegt, einer seiner Teile in zwölf; das Jahr aber wird in zwölf Teile zerlegt und diese Teile wiederum in dreißig. Wie ungeschickt war also ihr Heiland, daß er den Monat zum Vorbild des gesamten Pleroma machte, das Jahr aber zum Vorbild der Zwölfheit des Pleroma! Passender hätte er doch das Jahr sowie das ganze Pleroma in dreißig Teile zerlegen müssen, den Monat aber in zwölf nach den Äonen des Pleroma. Weiter zerlegen jene das gesamte Pleroma in drei Teile, eine Achtheit, Zehnheit und Zwölfheit, das Jahr hingegen zerfällt in vier Teile: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Doch auch die Monate, die das Vorbild der hl. Dreißig sein sollen, haben nicht einmal genau dreißig Tage, sondern einige mehr, andere weniger, so daß im ganzen ihnen noch fünf Tage hinzugelegt werden. Ebenso hat auch der Tag nicht immer genau zwölf Stunden, sondern wächst von neun auf fünfzehn Stunden und fällt wieder von fünfzehn auf neun. Also sind die dreißigtägigen Monate nicht im Hinblick auf die dreißig Äonen erschaffen worden, sonst müßten sie genau dreißig Tage haben, noch können die zwölfstündigen Tage die zwölf Äonen abbilden, weil sie eben nicht immer genau zwölf Stunden haben.



6.

Sie nennen ferner die materiellen Dinge das Linke und sagen, daß alles, was zur Linken gehört, notwendig ins Verderben stürze, daß weiter der Heiland zu dem verlorenen Schaf gekommen sei, um es zur Rechten, d. h. zu jenen neunundneunzig erlösten Schafen überzuführen, die nicht verloren gingen, sondern im Schafstall geblieben waren. Da nun aber bis neunundneunzig noch mit der Linken gezählt wird, so müssen sie zugeben, daß sie nicht erlöst waren. So werden sie alles, was die Zahl hundert nicht erreicht, der Linken und somit der Verdammnis zuweisen müssen. Das Wort Liebe, das auf griechisch Agape heißt, zählt nach dem griechischen Zahlenwert der Buchstaben, wonach sie ja ihre Berechnung anstellen, nur dreiundneunzig und gehört somit auch zur Linken; auf ähnliche Weise gilt die Wahrheit, Alethia, nach obiger Berechnung vierundsechzig und gehört zu den materiellen Dingen, und so müssen sie überhaupt all die heiligen Namen, welche die Zahl hundert nicht erreichen, sondern noch an der linken Hand gezählt werden, dann als materielle und vergängliche gelten lassen.





25. Kapitel: Vernünftige Weltbetrachtung

225 1.

Dem könnte aber jemand entgegenhalten: Wie also, sind denn eitel und zufällig die verschiedenen Namen, die Wahl der Apostel, die Taten des Herrn und die Zusammensetzung der erschaffenen Dinge? Darauf wäre zu antworten: Keineswegs, sondern mit großer Weisheit und Sorgfalt, offenbar zweckmäßig und schon ist alles von Gott gemacht worden, sowohl das Alte als auch alles, was in den letzten Zeiten von seinem Worte gemacht worden ist; doch muß man dies nicht mit der Zahl dreißig, sondern mit dem innern Grunde oder der Ursache in Verbindung setzen. Über Gott Untersuchungen anzustellen auf Grund der Zahlen, Buchstaben und Silben, das ist etwas ganz Unzuverlässiges wegen ihrer vielfachen und verschiedenen Bedeutung. Auf diese Art könnte heute noch einer jeden Beweis führen mit den Zeugnissen, die der Wahrheit ins Gesicht schlagen, weil sie sich eben nach vielen Richtungen gebrauchen lassen. Die Zahlen selbst und alles Erschaffene müssen auf den wahren inneren Grund zurückgeführt werden. Nicht ist die Lehre aus den Zahlen, sondern die Zahlen sind aus der Lehre zu entnehmen; nicht resultiert Gott aus dem Erschaffenen, sondern das Erschaffene aus Gott. Denn alles stammt von ein und demselben Gott.



2.

Die mannigfache Verschiedenheit aber der erschaffenen Dinge läßt sich so erklären: In Bezug auf die ganze Schöpfung sind alle passend und wohlgeordnet, zueinander jedoch sind sie entgegengesetzt und nicht passend, so wie der Klang der Zither durch den Unterschied der verschiedenen Töne eine schöne Melodie hervorbringt, die aus vielen und entgegengesetzten Tönen besteht. Wer also die Wahrheit liebt, darf sich durch den Unterschied der verschiedenen Töne nicht verleiten lassen, für diese verschiedene Künstler und Urheber anzunehmen, so daß der eine die hohen, der andere die tiefen, der dritte die mittleren Töne gemacht habe, sondern ein und derselbe hat das ganze weise Werk schön und richtig, gut und prächtig hergestellt. Wer nun ihren Klang hört, der muß den Künstler loben und preisen, bei dem einen die Kraft bewundern, bei dem andern auf die Weichheit des Tones achten, bei dem dritten die Mischung von Kraft und Weichheit heraushören, ein andermal wieder die besondere Art und Bedeutung erwägen und ihre Ursachen aufsuchen. So[58] wird man nie von der gegebenen Lehre abweichen, noch an dem Künstler irre werden, noch den Glauben an den einen Gott verwerfen, der alles gemacht hat, noch unsern Schöpfer lästern.



3.

Sollte einer aber auch nicht von allem, was er sucht, die Ursache finden, so möge er bedenken, daß er ein Mensch ist, der unendlich kleiner ist als Gott, nur stückweise die Gnade empfangen hat und seinem Schöpfer noch nicht gleich oder ähnlich ist und demgemäß nicht die Erfahrung oder Einsicht haben kann wie Gott. Um wieviel der Mensch von heute, der eben geworden ist, kleiner ist als der Unerschaffene und Unveränderliche, um soviel muß er auch an Wissenschaft und Kenntnis der innern Gründe aller Dinge kleiner sein als der Schöpfer. Nicht unerschaffen bist du, o Mensch, und lebtest nicht von Ewigkeit mit Gott, wie es dem Worte zukommt, sondern wegen seiner überströmenden Güte hast du jetzt einen Anfang genommen und lernst von seinem Worte den Heilswillen Gottes, der dich erschaffen.



4.

Halte also Ordnung in deinem Wissen und erhebe dich nicht über Gott selbst, indem du verkennst, was dir gut ist, denn du kannst ihn nicht übersteigen! Suche auch nicht, was über dem Demiurgen ist, denn du wirst es nicht finden! Unergründlich nämlich ist dein Schöpfer und über ihn hinaus sollst du keinen andern Vater dir erdenken, gleich als ob du diesen gänzlich durchmessen und seine Schöpfung durchwandert und seine Tiefe und Breite und Länge erfaßt hättest. Du wirst keinen über ihm dir erdenken können, sondern gegen die Natur denkend, wirst du unvernünftig werden und, wenn du darin verharrst, in Wahnsinn versinken, weil du dich für besser und höher hieltest als deinen Schöpfer, wähnend, daß du seine Reiche durchwandert hättest.





26. Kapitel: Das Zahlensuchen ist unnütz

226 1.

Besser ist es also und nützlicher, in schlichter Einfalt wenig zu wissen und durch die Liebe Gott nahe zu kommen, als sich für gelehrt zu halten und bei vieler Erfahrung als ein Gotteslästerer erfunden zu werden, der sich einen andern Gott Vater gemacht hat. Darum ruft der hl. Paulus: „Wissenschaft bläst auf, Liebe erbaut“ (
1Co 8,1), nicht als ob er die wahre Gottesgelehrtheit tadelte, sonst würde er sich ja selbst anklagen, sondern weil er weiß, daß manche, mit falscher Wissenschaft sich spreizend, von der Liebe Gottes abgefallen sind, darob sich für vollkommen hielten und einen unvollkommenen Weltenmeister aufbrachten. Den auf solcher Weisheit sich gründenden Dünkel will er treffen, wenn er sagt: „Wissenschaft bläst auf, Liebe erbaut.“ Welcher Dünkel aber ist größer, als wenn einer glaubt, er sei besser und vollkommener als der, welcher ihn gemacht und erschaffen hat, ihm den Hauch des Lebens und das Dasein selbst gegeben hat! Besser also ist es, wie ich gesagt habe, wenn einer gar nichts weiß, nicht eine einzige Ursache der erschaffenen Dinge kennt, aber im Glauben an Gott und in seiner Liebe verharrt, als wenn er durch sogenannte Wissenschaft aufgeblasen, von der Liebe abfällt, die den Menschen lebendig macht. Besser ist es, nichts anderes zu kennen wie Jesum Christum, der für uns gekreuzigt ist, als durch spitzfindige Untersuchungen und Haarspaltereien in Gottlosigkeit zu fallen.



2.

Wie denn, wenn jemand, durch solche Versuche etwas aufgeblasen, deshalb, weil der Herr gesagt hat: “Alle Haare eures Hauptes sind gezählt“ (Mt 10,30), neugierig erforschen wollte, wieviel Haare ein jeder auf seinem Haupte hat, und welches die Ursache ist, daß dieser soviel, jener aber soviel und nicht alle die gleiche Anzahl haben, so daß er viele tausendmal tausend verschiedene Zahlen fände, weil diese einen großen, jene einen kleinen Kopf haben, diese dichte, jene spärliche, andere wieder fast gar keine Haare haben, und dann, in der Meinung, die Zahl der Haare gefunden zu haben, versuchen wollte, aus dieser die Beweise für die von ihm erdachten Irrlehre herzuleiten? Oder wiederum, wenn jemand, weil es im Evangelium heißt: „Kauft man nicht zwei Spatzen um einen Pfennig, und keiner von ihnen fällt zur Erde ohne den Willen eures Vaters?“ (Ebd. 10,29) , nun zählen wollte, wieviel Spatzen täglich in jeder Gegend gefangen werden, und die Ursache erforschen wollte, warum gestern soviel, vorgestern soviel und heute soviel gefangen wurden, und diese Zahl der Spatzen zu seiner Lehre in Beziehung setzen wollte? Würde er sich nicht selbst anführen und die, so ihm anhängen, in große Torheit bringen, zumal die Menschen immer geneigt sind, in derlei Dingen zu glauben, daß sie noch mehr gefunden hätten als ihre Lehrer?



3.

Wie aber, wenn jemand uns fragen wollte, ob jegliche Zahl der Dinge, die geworden sind und werden, Gott bekannt ist, und ob jedes nach seiner Vorsehung die ihm zustehende Menge empfangen hat, so werden wir zugeben und eingestehen, daß nichts von dem, was geworden ist und wird und werden wird, der göttlichen Kenntnis entgeht, sondern jedes Einzelding gemäß seiner Vorsehung Gestalt, Platz, Zahl und Menge nach seiner Eigenart empfangen habe und empfange, und daß nichts davon ziellos oder zufällig geworden sei oder werde, sondern mit großer Zweckmäßigkeit und erhabener Weisheit, und daß ein bewunderungswürdiger und wahrhaft göttlicher Verstand dazu erforderlich ist, um dergleichen unterscheiden und die eigentlichen Ursachen angeben zu können. Wenn jener nun von uns dieses Zeugnis und Bekenntnis empfinge und darauf fortfahren wollte, den Sand und die Steinchen der Erde, die Wellen des Meeres und die Sterne des Himmels zu zählen und die Ursachen für die angeblich gefundenen Zahlen zu erforschen, würde ein solcher ob seiner unnützen Arbeit nicht als verrückt und unvernünftig von allen Vernünftigen betrachtet werden? Und je mehr er vor allen übrigen sich mit solchen Untersuchungen befaßt und glaubt, mehr als die andern gefunden zu haben und jene Ignoranten, Idioten und Irdische nennt, weil sie seine so unnütze Arbeit nicht achten, um so mehr ist er unverständig und dumm, gleichsam wie vom Blitze getroffen, weil er Gott keinen Platz läßt, sondern durch seine vermeintlichen Erfindungen in der Wissenschaft Gott umgestaltet und seine Ansicht hinausschleudert über die Größe des Schöpfers hinweg.





27. Kapitel: Die geoffenbarte Wahrheit sei Fundament des Forschens!

227 1.

Wer aber gesunden Verstandes und geraden, frommen und wahrheitsliebenden Herzens ist, der wird eifrig erforschen, was Gott in die Gewalt der Menschen gegeben und unserer Kenntnis unterworfen hat, und wird darin fortschreiten und durch tägliche Übung leicht zu einer Wissenschaft von diesen Dingen gelangen. Hierzu gehören die, welche uns vor Augen liegen und was offen und mit unzweideutigen Ausdrücken in den Schriften niedergelegt ist. Demgemäß müssen die Parabeln den klaren Lehren angepaßt werden, dann wird der Erklärer nicht Gefahr laufen, falsch zu erklären, und die Parabeln werden von allen in gleicher Weise erklärt werden, und der Leib der Wahrheit wird unversehrt, wohlgeordnet in allen seinen Teilen und unerschütterlich bleiben. Will aber jemand das geheimnisvoll Gesagte und den Augen Verborgene mit Parabelerklärungen verbinden, dann unterliegt alles der Willkür, dann gibt es bei keinem eine Richtschnur für die Wahrheit, sondern alle Parabelerklärer haben ihre besonderen Wahrheiten, und stellen einander widersprechende, entgegengesetzte Dogmen auf, wie es die Lehrsätze der heidnischen Philosophen sind.



2.

Unter solchen Umständen wird der Mensch dann immer suchen, aber niemals finden, weil er die rechte Methodik für sein Forschen verworfen hat. Wenn dann der Bräutigam kommen wird und ihre unvorbereiteten Lampen kein deutlich leuchtendes Licht geben werden, dann werden sie zu denen laufen, die ihre Parabelerklärungen im Finstern stückweise verkaufen, weil sie den verlassen haben, der durch seine klare Predigt umsonst den Eingang zum Himmelreich verleiht, und werden ausgeschlossen werden von seinem Brautgemach. 

   Die ganze Schrift, die Propheten und die Evangelien lehren nun klar und unzweideutig, so daß sie von allen verstanden werden können, wenn auch nicht alle glauben: Es ist ein einziger Gott und kein anderer außer ihm; er hat durch sein Wort alles gemacht, das Sichtbare und Unsichtbare, das Himmlische, das Irdische, was im Wasser oder unter der Erde wohnt, wie wir oben aus den Schriften bewiesen haben; und die Schöpfung selber, in der wir leben, bezeugt es durch das, was uns in die Augen fällt, daß es einer sei, der sie gemacht hat und regiert. Sehr stumpf also sind offenbar die, welche gegen eine so klare Erkenntnis ihre Augen verschließen und das Licht der Predigt nicht sehen wollen. Diese knebeln sich selbst, und jeder von ihnen wähnt, durch seine dunkeln Erklärungen der Parabeln einen besonderen Gott gefunden zu haben, daß aber über den Vater, den sich die Häretiker ausgedacht haben, nirgendwo in der Schrift etwas Klares und Unbestreitbares ausgesagt ist, das bezeugen sie selbst, indem sie sagen, daß dies der Heiland im Verborgenen nicht allen gelehrt habe, sondern nur einigen seiner Schüler, die das begreifen und die von ihm angeführten Gründe, Rätselreden und Gleichnisse verstehen konnten. So kommen sie sogar dazu zu behaupten, daß der Gott, der gepredigt wird, ein anderer sei als der in den Parabeln und Rätselreden bezeichnete Vater.



3.

Jeder Freund der Wahrheit wird aber zugeben müssen, daß es sehr tollkühn und unverständig ist, aus den Parabeln, die vielerlei Erklärungen zulassen, sich einen Gott konstruieren zu wollen, das aber, was klar, unzweifelhaft und wahr ist, beiseite zu lassen. Das heißt doch wahrlich, sein Haus nicht auf einen festen, starken, zuverlässigen Felsen, sondern auf unzuverlässigen Flugsand bauen (
Mt 7,24 ff.) . Deshalb ist auch nicht schwer, solch ein Gebäude umzustürzen.





28. Kapitel: Vieles entzieht sich unserm Verständnis

228 1.

Da wir nun als Richtschnur die Wahrheit selbst und das offen vorliegende Zeugnis in betreff Gottes haben, so dürfen wir uns nicht noch auf die Suche begeben und immer neue Erklärungen ausfindig machen, indem wir die zuverlässige und wahre Kenntnis in betreff Gottes verwerfen, sondern müssen uns geziemenderweise in die Erforschung der Geheimnisse und der Heilsordnung Gottes versenken, indem wir hierauf die Erklärung der Fragen richten und in der Liebe dessen wachsen, der für uns so große Dinge getan hat und noch tut, und dürfen niemals von der Überzeugung abtrünnig werden, die auf das klarste gepredigt wird, daß es in Wahrheit keinen andern Gott und Vater gibt als den, der diese Welt erschaffen, den Menschen gebildet hat; daß er es ist, der seiner Kreatur Wachstum verlieh, sie von kleinen Anfängen zu dem höheren Glücke, das in ihm selber ist, berief, gleichwie er das im Mutterleibe empfangene Kind an das Licht der Sonne hinausführt und den Weizen, nachdem er am Halme erstarkt ist, in die Scheune einbringt. Ein und derselbe Weltenschöpfer ist es, der den Mutterleib gebildet und die Sonne erschaffen hat, ein und derselbe Herr, der den Halm hervorbringt, der den Weizen wachsen läßt und mehrt und auch die „Scheune“ zubereitet hat.



2.

Falls wir aber auch nicht für alles, was wir in den Schriften suchen, Erklärungen finden können, so dürfen wir doch nicht nach einem andern Gotte als den, welcher ist, ausschauen. Denn das wäre die größte Gottlosigkeit. Da müssen wir einfach hinter Gott zurücktreten, der uns gemacht hat, da wir ja sehr wohl wissen, daß die Schrift vollkommen ist, weil sie von Gottes Wort und seinem Geist gesprochen ist, daß aber wir der[59] Kenntnis seiner Geheimnisse in dem Maße entbehren, wie wir kleiner sind und jünger als Gottes Wort und sein Geist. Keineswegs ist es zu verwundern, wenn es uns bei den geistigen und himmlischen und den übrigen Gegenständen der Offenbarung so ergeht, wo doch schon vieles von dem, was zu unsern Füßen liegt[60] , unserer Kenntnis entgeht und Gott überlassen bleiben muß. Er muß ja doch alles überragen. Wie, wenn wir versuchen wollten, die Ursache der Überschwemmungen des Nils zu erklären? Wir können zwar viel darüber reden, Wahrscheinliches vielleicht und Unwahrscheinliches, was aber davon wahr, sicher, zuverlässig ist, weiß allein Gott. Auch die Wohnung der Zugvögel, die im Frühling zu uns kommen und im Herbste fortziehen, entgeht unserer Kenntnis und gehört doch zu dieser Welt. Des Ozeans Ebbe und Flut hat seine bestimmte Ursache gewiß, doch wer möchte sie angeben oder erzählen, was jenseits des Ozeans ist? Was können wir sagen über die Ursache des Regens, des Blitzes, des Donners, der Wolken, des Nebels, der Winde u. a. m., über die Schatzkammern des Schnees und des Hagels und was damit verwandt ist? Wie sammeln sich die Wolken, und wie kommt der Nebel zustande? Warum nimmt der Mond ab und zu? Warum sind Wasser, Metalle und anderes derart verschieden? Indem wir die Ursachen dieser Dinge suchen, können wir zwar vielerlei schwätzen, die Wahrheit aber ist allein bei Gott, der sie gemacht hat.



3.

Wenn nun schon von den Dingen dieser Schöpfung nur ein Teil zu unserer Kenntnis kommt, während ein anderer Gott vorbehalten bleibt, was schadet es dann, wenn auch von dem, was wir in der Schrift suchen, die doch durchweg geistig ist, nur ein Teil unserer Erklärung zugänglich ist, der andere aber Gott überlassen bleibt, nicht nur in dieser, sondern auch in der zukünftigen Welt, so daß Gott immer Lehrer, der Mensch aber immer sein Schüler bleibt? Sagt doch auch der Apostel, daß, wenn alles übrige vernichtet sein wird, diese drei bleiben werden: Glaube, Hoffnung und Liebe (
1Co 13,13) . Immerdar unerschüttert bleibt der Glaube an unsern Lehrer, der uns die Gewißheit gibt, dass nur einer Gott ist, daß wir ihn immer wahrhaft lieben, weil er allein unser Vater ist, und daß wir hoffen, immer mehr von ihm zu empfangen, und daß wir von Gott lernen, daß er gut ist und unendlichen Reichtum besitzt und ein Reich ohne Ende und unbegrenzte Belehrung. Überlassen wir also auf obengenannte Weise einige Fragen Gott, dann werden wir unsern Glauben bewahren, ungefährdet darin verharren und erkennen, daß die ganze Schrift, wie sie von Gott gegeben ist, wohl übereinstimmt, daß die Parabeln zu dem, was deutlich gesagt ist, passen und daß das deutlich Gesagte die Parabeln erklärt, und aus der Polyphonie der verschiedenen Aussprüche wird eine Symphonie uns entgegenklingen, Gott zum Lobe, der alles gemacht hat. —Fragt jemand z. B.: „Was tat Gott, ehe er die Welt schuf?“, so sagen wir: Die Antwort auf diese Frage steht Gott zu. Die Schrift lehrt uns nur, daß diese Welt vollständig von Gott gemacht ist und in der Zeit einen Anfang genommen hat; was vordem Gott tat, lehrt keine Schrift. Indem wir also darauf die Antwort Gott überlassen, erübrigen sich für uns jene törichten und sinnlos-gottlosen Erfindungen, die darauf hinauslaufen, dass man Gott verwirft, der alles gemacht hat.



4.

Da nun der alleinig wahre Gott der Vater ist, den jene Demiurgen nennen, und die Schrift diesen allein als Gott kennt und auch der Herr diesen allein seinen eigentlichen Vater nennt und einen andern nicht kennt, wie wir ihnen aus seinen Worten beweisen werden, so mögen alle, die derartiges erfinden, bedenken, wie sehr sie den lästern, der der wahre Gott ist, wenn sie ihn Frucht des Fehltritts oder Erzeugnis der Unwissenheit nennen, der nichts wisse von dem, was über ihm ist, und anderes derart. Zuerst behaupten sie mit großem Nachdruck und ehrbarer Miene, daß sie an Gott glauben, und dann nennen sie den Gott, an den sie zu glauben vorgeben, Frucht des Fehltritts und Erzeugnis der Unwissenheit, da sie einen andern Gott durchaus nicht aufzuweisen vermögen. Diese Blindheit und dies törichte Gerede kommt daher, daß sie Gott nichts übrig lassen wollen, daß sie die Geburt Gottes selbst, seiner Ennoia, des Wortes, des Lebens und Christi und ihr Hervorgehen verkünden wollen und dies nirgend anderswoher als aus den Affekten der Menschen ableiten wollen. Sie wollen also nicht einsehen, was wir oben bereits gesagt haben, daß man bei dem Menschen zwar, weil er ein zusammengesetztes Lebewesen ist, von seinem Verstand und seinem Bewußtsein reden darf, und daß aus dem Verstand das Bewußtsein, aus dem Bewußtsein die Begierde, aus der Begierde wiederum der Logos, das Wort hervorgeht, wobei noch nach dem Griechischen zu unterscheiden ist zwischen dem Logos, welcher die Ursache des Denkens ist, und dem Organ, von welchem das Wort ausgeht: daß nur der Mensch bisweilen ruhe und schweige, bisweilen aber spreche und wirke. Da Gott aber ganz Verstand, ganz Vernunft, ganz wirkender Geist ist, ganz Licht ist und immer sich gleich und ähnlich bleibt, wie es sich für uns geziemt, von Gott zu denken und wie die Schrift es uns lehrt, so können wir bei ihm geziemenderweise solche Affekte und Unterschiede nicht annehmen. Kann doch schon der Schnelligkeit des menschlichen Verstandes die Zunge nicht schnell genug folgen, weil sie fleischlich ist, so daß innerlich das Wort gehemmt wird und nicht auf einmal hervorgebracht wird, wie es von dem Verstande erfaßt worden ist, sondern nur stückweise, wie es eben die Zunge zu schaffen vermag.



5.

Da aber Gott ganz Verstand und ganz Wort ist, so denkt er, was er spricht, und spricht, was er denkt. Denn sein Denken ist das Wort, und das Wort ist sein Verstand, und der alles umfassende Verstand ist der Vater selber. Wer also von dem Verstande Gottes spricht und diesen Verstand ein besonderes Erzeugnis sein läßt, der predigt Gott als ein zusammengesetztes Wesen, als wenn Gott etwas anders sei als der ursprüngliche Verstand. Macht man in ähnlicher Weise den Logos zur dritten Emanation des Vaters, ohne seine Größe zu kennen, so hat man ihn sofort auch von Gott weit getrennt. Der Prophet sagt von ihm: „Wer wird seine Geburt angeben?“ (Is 53,8) Ihr aber, die ihr seine Geburt aus dem Vater orakelt und die Hervorbringung des menschlichen Wortes auf das Wort Gottes übertraget, verratet recht eigentlich euch selbst, daß ihr weder menschliche noch göttliche Angelegenheiten kennt.



6.

Ihr behauptet in eurer törichten Aufgeblasenheit ganz frech, daß ihr die unaussprechlichen Geheimnisse Gottes wüßtet, wohingegen der Herr, der der Sohn Gottes selbst ist, die Kenntnis des jüngsten Tages und seiner Stunde nur dem Vater zuschreibt, indem er ausdrücklich sagt: „Den Tag aber und die Stunde weiß niemand, auch nicht der Sohn, sondern nur der Vater“ (Vgl. Mc 13,32). Wenn also der Sohn sich nicht schämte, diese Kenntnis nur dem Vater zuzuschreiben, sondern der Wahrheit Zeugnis gab, dann brauchen auch wir uns nicht zu schämen, was in den tieferen Fragen uns dunkel bleibt, Gott zu überlassen. Niemand nämlich ist über seinem Meister (Mt 10,24) . Wenn aber jemand uns fragen sollte: Wie ist also der Sohn vom Vater hervorgebracht? dann antworten wir ihm: Seine Emanation oder Geburt oder Aussprechung oder Eröffnung oder, wie immer man seine unaussprechliche Geburt nennen möge, weiß niemand, weder Markion, noch Valentinus, noch Saturninus, noch Basilides, noch die Engel oder Erzengel oder Fürsten und Herrschaften, sondern nur der Vater, der hervorbrachte, und der Sohn, der gezeugt wurde. Da also seine Geburt unaussprechlich ist, so übernehmen die, welche sich bemühen, seine Geburt und Hervorbringung zu beschreiben, sich selbst, indem sie versprechen, das Unaussprechliche auszusprechen. Denn wie aus der Denkkraft und dem Verstande das Wort hervorgeht, das wissen ja alle Menschen. Also haben die wahrlich keine großartige Erfindung gemacht, die solch ein Hervorgehen erdachten, noch ein tiefes Geheimnis entdeckt, wenn sie das, was von allen gewußt wird, auf den eingeborenen Sohn Gottes übertrugen. Und den, welchen sie den unaussprechlichen Unnennbaren heißen, den verkünden sie, gleich als ob sie selbst bei seiner Geburt geholfen hätten, als die Hervorbringung und Geburt der ersten Zeugung, indem sie ihn der Aussendung des menschlichen Wortes gleichstellen.



7.

Wir werden aber auch nicht fehlgehen, wenn wir ebenso von dem Wesen der Materie behaupten, daß Gott sie hervorgebracht hat. Wissen wir doch aus der Schrift, daß Gott die Oberherrschaft über alles besitzt. Woher aber die Materie stammt, oder auf welche Weise sie erschaffen ist, das verrät die Schrift nirgends, noch können wir es erraten, indem wir endlose Vermutungen über Gott aufstellen, denn die Kenntnis dieser Dinge müssen wir Gott überlassen. Ähnlich verhält es sich mit der Frage, warum einige Geschöpfe, wo doch alle von Gott erschaffen sind, seinen Willen übertraten und sich gegen ihn auflehnten, andere aber und bei weitem die meisten ihm treu blieben und im Gehorsam gegen ihren Schöpfer verharren, welcher Natur jene und welcher Natur diese sind. Das muß man Gott und seinem Worte überlassen, zu dem allein er gesprochen hat: „Setze dich zu meiner Rechten, bis daß ich lege deine Feinde zum Schemel deiner Füße“ (Ps 109,1). Wir aber, die wir auf Erden weilen, sitzen noch nicht neben seinem Throne, Der Geist des Erlösers, der in ihm ist, durchforscht freilich alles, auch die Tiefen Gottes (Vgl. 1Co 2,10) . Bei uns aber sind die Gnadengaben verschieden, und die geistlichen Verrichtungen und die Wunderkräfte (Vgl. ebd. 12,4 ff.) , und solange wir auf Erden sind, ist, wie der hl. Paulus sagt, Stückwerk unser Erkennen und Stückwerk unser Prophezeien (1Co 13,9) . Wie also unser Erkennen beschränkt ist, so müssen wir uns auch in den verschiedenen Fragen dem anvertrauen, der uns stückweise seine Gnade schenkt. Daß den Ungehorsamen das ewige Feuer zubereitet ist, hat der Herr ausdrücklich gelehrt, und bekunden auch die übrigen Schriften; daß er dies als zukünftig voraus gewußt hat, lehrt ebenfalls die Schrift, wie er auch, das ewige Feuer denen zubereitet hat, die ungehorsam sein würden, aber die Ursache ihrer Natur hat keine Schrift berichtet, noch ein Apostel benannt, noch der Herr gelehrt. Also müssen wir auch diese Kenntnis Gott überlassen, wie die Kenntnis des Tages und der Stunde. Wie dürften wir uns soweit versteigen, daß wir Gott nichts überließen, da wir doch nur teilweise die Gnade empfangen haben! Wollen wir suchen, was über uns liegt, und was wir nicht erreichen können, dann müssen wir allerdings zu solcher Kühnheit gelangen, daß wir Gott sezieren und uns stellen, als ob wir das Unauffindbare schon gefunden hätten, und erklären, daß Gott, der Schöpfer des Weltalls, durch die törichten Emanationen seine Wesenheit aus dem Fehltritt und der Unwissenheit erhalten habe, und so gegen Gott selbst eine gottlose Lehre zusammenstellen.



8.

Alsdann können sie doch ihre neu erfundene Erdichtung nicht dadurch beweisen, daß sie bald durch irgend welche Zahlen, bald durch Silben oder durch Namen oder durch Buchstaben, die in den Buchstaben enthalten sein sollen, oder durch Parabeln, die sie falsch erklären, oder durch irgend welche Vermutungen jene fabelhaften Erzählungen, die sie sich selbst erdichtet haben, zu bekräftigen versuchen. Sollte nämlich jemand fragen, warum denn der Vater, der dem Sohn doch alles mitteilt, wie der Herr ausdrücklich erklärt, den Tag und die Stunde allein weiß, dann kann er keine passendere, geziemendere und gefahrlosere Erklärung für die Gegenwart finden, weil doch der Herr der allein wahre Lehrer ist, als daß wir von ihm lernen, daß der Vater der Allerhöchste ist. „Der Vater ist nämlich größer als ich“ (Jn 14,28). Deswegen also hat unser Herr gelehrt, daß auch hinsichtlich seiner Erkenntnis der Vater allen überlegen ist, damit auch wir, solange wir noch in der Gestalt dieser Welt wandeln, die vollkommene Erkenntnis und derartige Fragen Gott überlassen und nicht etwa auf der Suche nach der Höhe des Vaters in die Gefahr stürzen, zu suchen, ob über Gott noch ein anderer Gott sei.



9.

Will nun jemand unsere Ausführungen und dem Worte des Apostels widersprechen, daß Stückwerk unser Erkennen und Stückwerk unser Prophezeien ist, weil er meint, daß er nicht eine stückweise, sondern universelle Kenntnis der existierenden Dinge besitze, sei es nun ein Valentinus oder Ptolomäus oder Basilides oder ein anderer von jenen, welche die Tiefen Gottes erforscht haben wollen, so möge er uns doch die Gründe der Dinge, die in dieser Welt sind, und die wir nicht wissen, wie z. B. die Zahl der Haare seines Kopfes oder der Sperlinge, die täglich gefangen werden, oder ähnliche uns unbekannte Dinge sorgfältig erforschen, von seinem Vater lernen und uns verkünden, damit wir auch die größeren Dinge ihm glauben! Aber nicht möge er sich mit eitler Prahlerei ausputzen und inbetreff unsichtbarer Dinge, die nicht bewiesen werden können, sich rühmen, mehr als andere zu wissen. Wenn nämlich die, welche sich die Vollkommenen nennen, nicht einmal das, was uns auf der Hand oder vor den Füßen liegt, und sich in unserm Gesichtskreis auf Erden befindet, ja nicht einmal den Stand ihrer eignen Kopfhaare wissen, wie sollen wir ihnen dann das glauben, was sie über geistige und überhimmlische, ja sogar über übergöttliche Dinge in eitlem Wortgepränge behaupten? 

   Soviel möge nun von uns über ihre Zahlen, Namen, Silben, überirdische Fragen und falsche Parabelauslegungen gesagt sein! Du wirst aus dem Deinigen noch mehr hinzufügen können.






(Contra Haereses) 224