(Contra Haereses) 229

29. Kapitel: Seele und Leib nach dem Tode

229 1.

Doch zu den andern Punkten ihrer Lehre müssen wir noch zurückkehren. Sie sagten nämlich, daß beim Weltenende ihre Mutter in das Pleroma zurückkomme und als Bräutigam den Erlöser empfange; daß sie als die Geistigen, nachdem sie ihrer Seelen entkleidet wären, zu Bräuten der geistigen Engel würden, und dass der Demiurg, der ja nur seelisch sei, an den Platz der Mutter trete, die Seelen der Gerechten aber an dem Ort der Mitte ausruhten, weil ja das Seelische zu dem Seelischen, das Geistige zu dem Geistigen sich hinziehen, das Materielle aber im Materiellen verbleiben müsse. Doch widersprechen sie sich damit selber. Es sollen ja die Seelen nicht wegen ihrer Natur an den Ort der Mitte zu ihresgleichen gehen, sondern wegen ihrer Werke, die gerechten nämlich dorthin und die gottlosen in das Feuer. Kommen nämlich alle Seelen an den Ort der Ruhe und der Mitte, eben weil sie Seelen von der gleichen Wesenheit sind, dann wäre der Glaube überflüssig und überflüssig die Herabkunft des Heilands. Geschieht es aber wegen ihrer Gerechtigkeit, dann ist der Grund der Rettung nicht mehr ihre Wesenheit. Dann müssten aber durch die Gerechtigkeit, ohne die sie sonst untergehen würden, auch die Körper gerettet werden; warum nämlich sollten sie es nicht, da sie doch an der Gerechtigkeit auch teilgenommen haben? Macht nämlich die Natur und Wesenheit selig, dann werden alle Seelen gerettet werden; ist es aber die Gerechtigkeit und der Glaube, warum sollen dann die Leiber nicht gerettet werden, die ähnlich wie die Seelen dem Verderben anheimfallen sollten? Sonst würde die Gerechtigkeit als machtlos oder ungerecht erscheinen, wenn sie den einen Teil wegen der Verbindung mit ihr rettet, den andern aber nicht.



2.

In dem Leibe nämlich werden offenbar die Werke der Gerechtigkeit vollbracht, Entweder werden daher alle Seelen notwendig in den Ort der Mitte eingehen und dem Gerichte entrinnen, oder es werden auch die Leiber, die an der Gerechtigkeit teilgenommen haben, mit den Seelen, die ähnlich daran teilnehmen, den Ort der Ruhe erlangen, wenn die Gerechtigkeit es überhaupt vermag, die dorthin zu bringen, die mit ihr verbunden waren; und wahr und unerschütterlich wird die Lehre von der Auferstehung des Fleisches hervorleuchten. Das aber ist unser Glaube, daß Gott auch unsere sterblichen Leiber, die die Gerechtigkeit bewahrten, auferwecken, unversehrbar und unsterblich machen wird. Denn Gott ist mächtiger als die Natur. Er will es, weil er gut ist; er kann es, weil er mächtig ist; er tut es, weil er unendlich gütig ist.



3.

Jene aber widersprechen sich in jeder Hinsicht, wenn sie angeben, daß nicht alle Seelen in den Ort der Mitte übergehen, sondern nur die Seelen der Gerechten. Drei von Natur und Wesenheit verschiedene Zeugungen sollen nämlich von der Mutter ausgegangen sein: Erstlich aus der Verlegenheit, dem Ekel und der Furcht die Materie, zweitens aus dem Ungestüm das Seelische, drittens aus der Anschauung der Christus begleitenden Engel das Geistige. Wenn nun also dieses letztere, weil es geistig ist, unter allen Umständen ins Pleroma eingeht, das Materielle aber unten verbleibt, nur weil es materiell ist und durch den Ausbruch des in ihm enthaltenen Feuers gänzlich verzehrt wird: warum soll dann das Seelische nicht gänzlich in den Ort der Mitte übergehen, wohin sie auch den Demiurgen schicken? Was aber soll denn nun von ihnen in das Pleroma eingehen? Die Seelen sollen an dem Ort der Mitte verbleiben, die Leiber aber, da sie von materieller Beschaffenheit sind, in die Materie aufgelöst und von dem ihr innewohnenden Feuer verzehrt werden. Wenn nun aber ihr Leib zerstört ist und ihre Seele in der Mitte verbleibt, dann ist von dem Menschen nichts mehr übrig, was ins Pleroma eingehen könnte. Denn die Sinne des Menschen und sein Verstand, sein Denken und Fühlen und, was sonst noch derart ist, sind nicht etwas anderes als die Seele, sondern nur ihre Bewegungen und Tätigkeiten, die ohne die Seele keine eigene Wesenheit haben. Was also bleibt von ihnen noch für das Pleroma übrig? Was von ihnen Seele ist, verbleibt in der Mitte, was aber Leib ist, wird mit der übrigen Materie brennen.





30. Kapitel: Die „Geistigen“ stehen nicht über dem Demiurgen

230 1.

Also wollen sie sich in ihrer Unvernunft über den Demiurgen erheben, wollen also höher gelten als der Gott, der die Himmel und die Erde, die Meere und alles, was in ihnen ist, gemacht und geschmückt hat. Sich selbst nennen sie ehrvergessen geistig, wo sie doch bei ihrer ungeheuren Gottlosigkeit fleischlich sind — der aber „die Geister zu seinen Boten gemacht hat“ (
Ps 103,4)und “sich mit Licht umkleidet wie mit einem Gewand“ (Ps 103,2), der gleichsam in der Hand den Erdkreis hält, gegen den “die Erdenkinder wie Heuschrecken zu erachten sind“ (Is 40,22), den Gott und Schöpfer aller geistigen Wesen, den nennen sie seelisch! Das ist doch zweifellos und wahrhaftig Wahnsinn. Sind sie nicht wirklich in noch höherem Maße verblendet als die Giganten der griechischen Sage, weil sie in eitler Anmaßung und Aufgeblasenheit sich gegen Gott erheben? Die Nießwurz der ganzen Welt würde nicht ausreichen, um sie von ihrer erschrecklichen Torheit zu befreien.



2.

Aus den Werken erkennt man den Meister. Wie können sie sich demnach als größer erweisen als der Weltenschöpfer? Nur notgedrungen lassen wir uns in solch gottloses Gerede ein, daß wir zwischen Gott und unvernünftigen Menschen einen Vergleich anstellen und in ihre eignen Lehren hinabsteigen, um sie durch ihre eignen Dogmen zu widerlegen. Gott verzeihe uns das! Aber wir wollen ihn ja nicht mit jenen vergleichen, sondern nur ihre Unvernunft darlegen und stürzen, weil viele unvernünftigen Menschen sie anstaunen, gleich als ob sie von ihnen tiefer in die Wahrheit eingeführt werden könnten. Erklären sie doch das Schriftwort: „Suchet, so werdet ihr finden“ (Mt 7,7)dahin, daß sie über dem Weltenschöpfer sich selber finden, sich als höher und hehrer erklären als Gott, sich geistig, den Weltenschöpfer bloß seelisch nennen, und daß sie deswegen über Gott emporsteigen und in das Pleroma eingehen würden, während Gott an dem Ort der Mitte verbleibe. Mögen sie also aus ihren Werken ihre Überlegenheit über den Weltenschöpfer dartun! Nicht durch Worte nämlich, sondern durch die Wirklichkeit muß man seine Überlegenheit dartun.



3.

Ist denn nun ein größeres, herrlicheres, klügeres Werk durch sie aus ihrem Heiland oder von ihrer Mutter gemacht worden als die, welche von dem geschaffen worden, der dies alles angeordnet hat? Welche Himmel haben sie gefestigt, welche Erde gegründet, welche Sterne hervorgebracht, welche Lichter angezündet? Welche Bahnen haben sie den Sternen gewiesen, welchen Regen, welchen Frost oder, was sonst nach Zeit und Zone erforderlich ist, haben sie der Erde zugeführt? Welche Hitze oder Trockenheit ferner haben sie angeordnet, welche Flüsse haben sie steigen, welche Quellen entspringen lassen? Mit welchen Blumen oder Bäumen haben sie die Erde geschmückt, wieviele Lebewesen, vernünftige oder unvernünftige, alle schön von Gestalt, haben sie geschaffen? Wer kann all das übrige, was durch Gottes Kraft hervorgerufen und durch seine Weisheit gelenkt wird, im einzelnen aufzählen oder die Größe der Weisheit Gottes, des Schöpfers, ergrübeln? Zu schweigen von der Größe der unvergänglichen Dinge, die über dem Himmel sind, den zahllosen Engeln, Erzengeln, Thronen, Herrschaften und Mächten. Welchem dieser Werke wollen sie sich gegenüberstellen? Können sie, die doch als seine Geschöpfe aus seiner Hand stammen, auch nur ein einziges derartiges Werk aufweisen, das durch sie oder von ihnen gemacht wäre? Hat sich nämlich der Heiland oder ihre Mutter — wir wollen ihre eigenen Ausdrücke beibehalten, um sie mit ihren eigenen Worten der Lüge zu überführen — des Demiurgen bedient, um das Abbild der im Pleroma befindlichen Dinge aller derer, die sie bei dem Heiland schaute, herzustellen, dann hielt sie ihn für mächtiger und geeigneter, ihren Willen auszuführen, weil sie das Abbild so großer Dinge nicht durch einen schlechteren, sondern durch einen besseren herstellte.



4.

Denn sie selbst existierten schon damals, wie sie sagen, als geistige Empfängnis kraft der Anschauung der Begleiter, welche die Pandora umgaben. Da diese nun untätig blieben — denn nichts hat durch sie ihre Mutter mittels des Heilandes hervorgebracht — so war ihre Empfängnis unnütz und zwecklos. Offenbar ist nichts durch sie gemacht worden. Der Gott aber, der nach ihrer Lehre unter ihnen steht, weil er doch nur als seelisches Wesen hervorgebracht wurde, der war nach allen Seiten tätig und wirksam und fähig, aus sich die Abbilder aller Dinge herzustellen, nicht bloß der sichtbaren Dinge, sondern auch der unsichtbaren Engel, Erzengel, Herrschaften, Mächte und Kräfte. Durch diesen hätten sie alles gemacht, da er mächtig genug war, ihrem Willen zu dienen. Durch sie aber hätte die Mutter offenbar nichts gemacht, wie sie ja selber eingestehen, so daß man sie mit Recht für eine Fehlgeburt ihrer armen Mutter halten könnte. Keine Hebammen standen ihr bei, und darum wurden sie als eine Fehlgeburt ausgeworfen, da sie ihrer Mutter zu gar nichts gut und nütze waren. Obwohl sie also durch ihre eigene Lehre als viel schwächer dargestellt werden als der, durch den so große Dinge und so schöne gemacht und geordnet wurden, so wollen sie nichtsdestoweniger besser sein als jener!



5.

Wenn, ein Künstler z. B. zwei Arbeitsgeräte oder Werkzeuge hätte, von denen er das eine immer bei der Hand und im Gebrauche hätte und mit ihm alles machte, was er wollte, und so seine Kunst und Geschicklichkeit zeigte, das andere aber ruhig und unbenutzt und ungebraucht ließe, nichts mit ihm machte und zu nichts es verwendete, würde jemand dann sagen, daß dieses unnütze, eitle und unbrauchbare Werkzeug besser und wertvoller sei als jenes, dessen sich der Künstler bedient und das ihm zu Ruhm verhilft? Wer das sagte, der müßte mit Recht für dumm oder seiner Sinne nicht mächtig gehalten werden. Geradeso sind auch jene verrückt und in unheilbare Verrücktheit verfallen, wenn sie sich als die Geistigen und Höheren bezeichnen, den Demiurgen aber seelisch nennen, deswegen einfach behaupten, daß sie in die Höhe steigen und in das Pleroma zu ihren Männern eindringen werden — sie sind ja Weiber, wie sie selbst eingestehen — Gott aber geringer sei und deswegen in der Mitte verharre, aber keinen Beweis hierfür beibringen. Den Meister nämlich erkennt man aus seinen Werken. Von dem Demiurgen ist alles gemacht worden, aber jene sind nicht imstande, auch nur ein vernünftiges Werk aufzuweisen.



6.

Sollten sie dagegen einwenden, daß zwar alles Materielle, wie z. B. der Himmel und die gesamte Welt, soweit sie sich unter ihm erstreckt, von dem Demiurgen gemacht sei, das Geistigere aber, das über dem Himmel ist, wie z. B. die Fürsten und Mächte, die Engel, Erzengel, Herrschaften und Kräfte, durch eine geistige Geburt, als die sie sich selbst bezeichnen, erschaffen sein sollen, dann werden wir ihnen erstlich aus der Schrift des Herrn nachweisen, daß alles Vorgenannte, das Sichtbare wie das Unsichtbare von einem Gott gemacht ist. Ist doch ihre Autorität nicht größer als die der Schrift. Wir bleiben bei den Worten des Herrn und Moses und den übrigen Propheten, die die Wahrheit verkündet haben, und können denen nicht glauben, die überhaupt nichts Vernünftiges lehren und Haltloses zusammenfiebern. Wenn zweitens durch sie das, was über dem Himmel sich befindet, gemacht ist, dann mögen sie uns sagen, welches die Natur der unsichtbaren Wesen sei, mögen uns die Zahl der Engel und die Ordnung der Erzengel verraten, mögen uns die Geheimnisse der Throne aufweisen, die Einteilungen der Herrschaften lehren, der Fürsten, der Mächte und Kräfte! Aber das können sie nicht, also ist es auch von ihnen nicht gemacht worden. Sind diese aber, wie es in Wirklichkeit auch der Fall ist, von dem Demiurgen gemacht, und sind sie geistig und heilig, dann ist nicht mehr seelisch, wer das Geistige erschaffen hat, und niedergeworfen ist ihre große Gotteslästerung.



7.

Daß es nämlich im Himmel geistige Wesen gibt, verkündet die gesamte Schrift, und auch Paulus legt davon Zeugnis ab, indem er sagt, daß er bis in den dritten Himmel entrückt worden sei, und wiederum, daß er in das Paradies getragen sei und unaussprechliche Worte gehört habe, die ein Mensch nicht reden dürfe (2Co 12,2 ff.) . Und was nützt es ihm, das Paradies zu betreten oder in den dritten Himmel aufgenommen zu werden, wenn dies alles unter der Herrschaft des Demiurgen steht? Sollte er doch die Geheimnisse, die über dem Demiurgen sind, schauen und hören, wie einige von ihnen zu sagen sich erkühnen. Sollte er die Einrichtung über dem Demiurgen kennen lernen, dann durfte er doch nicht in dem Gebiet des Demiurgen stecken bleiben, ohne selbst dies durchstudiert zu haben, denn nach ihrer Lehre blieb ihm doch noch der vierte Himmel übrig, bis er zu dem Demiurgen gelangte und die ihm unterworfene Siebenzahl erblickte. Wenigstens hätte er bis zur Mitte, d. h. bis zur Mutter, gelangen müssen, um von ihr zu erfahren, was im Pleroma ist. Denn der innere Mensch, der in ihm sprach und unsichtbar ist, wie sie sagen, der konnte nicht nur bis zum dritten Himmel, sondern auch bis zu ihrer Mutter gelangen. Wenn nämlich sie, d. h. ihr Mensch, den Demiurgen überflügeln und zur Mutter vordringen konnte, dann müßte dies noch viel mehr dem Menschen des Apostels möglich gewesen sein. Der Demiurg hätte ihn nicht aufgehalten, da er ja selbst dem Erlöser unterworfen sein soll, und wenn er es versucht hätte, wäre es ihm nicht gelungen, denn er kann nicht stärker sein als die Vorsehung des Vaters, zumal der innere Mensch für den Demiurgen auch unsichtbar sein soll. Wenn nun der Apostel es als etwas Großes und Herrliches hervorhebt, daß er bis zum dritten Himmel erhoben wurde, dann steigen jene sicherlich nicht bis zum siebenten Himmel empor, da sie nicht höher sind als der Apostel. Wollen sie sich aber über den Apostel überheben, so werden sie von ihren Werken überführt werden, da von ihnen nicht so große Dinge gerühmt werden wie von dem Apostel. — Weiter fügt er hinzu: „Ob in dem Leibe oder außer dem Leibe, Gott weiß es“ (Ebd. 12,2). Man soll nämlich wissen, daß auch der Leib an jener Vision hätte teilnehmen können, da er doch dereinst daran teilnehmen soll, was er gesehen und gehört hatte. Und ebensowenig soll jemand sagen, daß er wegen des Gewichtes seines Leibes nicht höher emporgehoben sei. Vielmehr ist es auch ohne Leib möglich, die geistigen Geheimnisse Gottes und das Wirken dessen zu verstehen, der die Himmel und die Erde gemacht hat und den Menschen gebildet und in das Paradies gesetzt hat, Gott zu schauen ähnlich dem Apostel, wenn man sehr vollkommen ist in der Liebe Gottes.



8.

Die geistigen Dinge bis zum dritten Himmel also, die der Apostel schauen durfte, und die unaussprechlichen Dinge, die er nicht aussprechen durfte, weil sie geistig sind, hat er gemacht und zeigt sie den Würdigen, wie er will, denn ihm gehört das Paradies. Und Geist Gottes, aber nicht seelisch ist der Demiurg, sonst hätte er nichts Geistiges schaffen können. Wäre er seelisch, dann sollen sie uns sagen, durch wen das Geistige geschaffen ist. Etwa durch sie selbst, die sie die Geburt der Mutter sein wollen? Doch sie können so wenig etwas Geistiges hervorbringen, daß sie nicht einmal eine Fliege oder Schnake oder eins von den armseligsten kleinsten Tierchen auf andere Weise zustande bringen können, als diese seit Erschaffung der Welt von Gott durch Befruchtung und Zeugung auf natürliche Weise gemacht wurden und gemacht werden. Oder etwa von ihrer Mutter allein? Sie sagen doch, daß sie den Weltenschöpfer und Herrn der gesamten Welt allein hervorgebracht habe. Und dieser Demiurg und Herr der ganzen Welt soll seelisch sein, während sie, die keine Welt gemacht haben und Herren sind weder über die Dinge, die außer ihnen sind, noch über ihre eigenen Leiber, geistig sein wollen! Wieviel müssen die doch an ihrem Leibe wider ihren Willen dulden, die sich geistig nennen und sich über den Weltenschöpfer erheben!



9.

Mit Recht machen wir ihnen daher den Vorwurf, daß sie weit und gänzlich von der Wahrheit abgewichen sind. Denn wenn auch der Heiland durch den Demiurgen die Geschöpfe gemacht hat, so ist dieser offenbar nicht kleiner, sondern größer als sie, da er doch auch als ihr Schöpfer erscheint und sie zu seinen Geschöpfen gehören. Wie soll man sich nun das denken, daß sie geistig seien, der aber, der sie erschaffen, bloß seelisch? Wenn er aber — was allein wahr ist und auf vielfache Weise durch die klarsten Beweise von uns nachgewiesen wurde — aus sich selbst, frei und aus eigner Macht alles eingerichtet und vollendet hat, und die Wesenheit aller auf seinen Willen zurückzuführen ist, dann offenbart sich dieser als der wahre Gott, der alles gemacht hat, als der allein Allmächtige und einzige Vater, der alles, das Sichtbare und Unsichtbare, das Sinnliche und Unsinnliche, das Himmlische und Irdische durch das Wort seiner Kraft (He 1,3) macht und schafft, der durch seine Weisheit alles abstimmt und ordnet, alles umfaßt und von niemandem umfaßt wird. Er hat es gebildet, erschaffen, erdacht, gemacht, er, des Weltalls Herr, und weder außer ihm noch über ihm gibt es eine Mutter, wie jene sie erlügen, noch einen andern Gott, wie Markion sich ihn erdacht, noch ein Pleroma von den dreißig Äonen, das in seiner Leere aufgedeckt wurde, noch einen Bythos, noch eine Proarche, noch verschiedene Himmel, noch ein jungfräuliches Licht, noch einen unnennbaren Äonen, noch überhaupt irgend etwas von dem, was diese und die andern Häretiker fiebern. Sondern nur einer ist Gott und Schöpfer, er, der über alle Hoheit und Macht und Herrschaft und Kraft erhaben ist; er ist der Vater, er der Gott, er der Schöpfer, der Urheber, der Bildner, der durch sich selbst, d. h. durch sein Wort und durch seine Weisheit, Himmel und Erde und Meere und alles, was in ihnen ist, gemacht hat. Er ist der Gerechte und Gute, der den Menschen gebildet hat, der das Paradies gepflanzt hat, der die Welt erschaffen und die Sintflut gesandt hat, der den Noe gerettet hat. Er ist der Gott Abrahams, der Gott Isaaks, der Gott Jakobs, der Gott der Lebenden, den das Gesetz verkündet, die Propheten verheißen, Christus offenbart, die Apostel predigen, die Kirche bekennt. Er ist durch sein Wort, welches sein Sohn ist, der Vater unsers Herrn Jesus Christus, durch ihn offenbart und zeigt er sich allen, denen er sich offenbart, denn es erkennen ihn die, denen der Sohn es offenbart hat. Indem aber der Sohn gleich ewig mit dem Vater ist, offenbart er immer und von Anbeginn den Vater den Engeln und den Erzengeln und den Mächten und Kräften und allen, denen Gott es offenbaren will.





31. Kapitel: Rekapitulation. — Wunder und Scheinwunder

231 1.

Nachdem also die Valentinianer widerlegt worden sind, ist auch die gesamte Menge der Häretiker zu Falle gebracht. Wir haben inbetreff des Pleroma und dessen, was außer ihm ist, gezeigt, daß der Allvater von dem, was außer ihm ist, wenn es überhaupt etwas Derartiges geben könnte, eingeschlossen und begrenzt wird, und daß es notwendig viele Väter und viele Pleromata und viele Weltschöpfungen geben müßte, die nach allen Seiten hin einen Anfang und ein Ende haben müßten, daß jeder in seinem Gebiet verweilen und sich um die andern nicht kümmern dürfe, da es zwischen ihnen keine Teilnahme und Verbindung gibt, daß keiner der Gott aller übrigen sei, und daß der Allmächtige dann nur ein leerer Name sei. All das läßt sich auch gegen die Anhänger des Markion, Simon, Menander und der übrigen anwenden, welche die sichtbare Schöpfung dem Vater nicht zuschreiben wollen. — Wir widerlegten weiter jene, die den Vater zwar alles umfassen ließen, aber die sichtbare Schöpfung nicht ihm zuschrieben, sondern irgend einer andern Kraft oder Engeln, die den Urvater nicht kannten, die die Schöpfung in dem Mittelpunkt des ungeheuer großen Universums wie einen Schmutzflecken im Mantel darstellten; wir zeigten, daß unmöglich ein anderer als der Vater des Weltalls die sichtbare Schöpfung gemacht haben könne. Diese Darlegungen richten sich ähnlich auch gegen die Anhänger des Saturninus, Basilides, Karpokrates und der übrigen Gnostiker, die dasselbe auf ähnliche Weise sagen. Unsere Ausführungen über die Äonen, ihre Abstufungen und die Haltlosigkeit ihrer Mutter richten sich auch gegen Basilides und die übrigen fälschlich so genannten Gnostiker, die mit ähnlichen Worten dasselbe sagen und nur die Zahl der Irrtümer in ihrer Lehre noch vermehrt haben. Was wir in Betreff der Zahlen ausgeführt haben, läßt sich gegen alle sagen, die mit der Wahrheit ähnlichen Unfug treiben. Und wenn wir von dem Demiurgen zeigten, daß er allein Gott und Vater des Weltalls ist, und was darüber in den nächsten Büchern noch folgen wird, das sage ich gegen alle Häretiker. — Du aber wirst die milderen und gemäßigteren unter den Häretikern davon abzubringen wissen, daß sie ihren Urheber, Schöpfer, Ernährer und Herrn nicht lästern und aus dem Fehltritt und der Unwissenheit entsprungen sein lassen; die trotzigen, wilden und unvernünftigen jedoch wirst Du Dir fernhalten und ihr Geschwätze nicht länger ertragen.



2.

Die Anhänger des Simon, Karpokrates und, wer sonst noch Zeichen wirken soll, die werden überführt werden, daß sie dies nicht durch die Kraft Gottes, noch in Wahrheit, noch zum Nutzen der Menschen verrichten, sondern zu ihrem Verderben und ihrer Irreführung, indem sie denen, welche ihnen glauben, durch magische Künste und allerlei Betrügereien mehr Nachteil als Nutzen bringen. Können sie Blinden das Gesicht, Tauben das Gehör wiedergeben, können sie andere Dämonen austreiben als höchstens die, welche sie selbst eingetrieben haben? Können sie Schwache, Lahme, Gichtbrüchige oder andere Kranke heilen, wenn es erforderlich ist bei irgend einem körperlichen Gebrechen, oder die Gesundheit wiederherstellen bei solchen Krankheiten, die von außen kommen? Unser Herr und die Apostel haben durch das Gebet Tote auferweckt, und unter unsern Brüdern ist sehr häufig wegen irgend einer Not, wenn die gesamte Kirche unter Fasten und vielem Beten darum flehte, der Geist des Toten zurückgekehrt und das Leben dem Menschen auf das Gebet der Heiligen geschenkt worden. Sie aber sind so weit davon entfernt, dies zu vermögen, dass sie nicht einmal glauben, es zu können. Vielmehr behaupten sie, die Auferstehung von den Toten sei nichts anders als die Erkenntnis ihrer sogenannten Wahrheit.



3.

Bei ihnen also findet man Irrtum, Verführung und gottlose Zauberkunststücke für die Schaulust der Menschen, bei uns aber wird Mitleid, Erbarmen, Treue und Wahrheit den Menschen zum Tröste geübt, nicht bloß ohne Entgelt und umsonst, sondern wir geben noch das Unsrige hin für das Heil der Menschen und reichen denen, welche von uns geheilt werden, wenn sie wie gewöhnlich nichts haben, das was sie brauchen. In der Tat, so werden sie durch den Augenschein als solche bloßgestellt, die von der göttlichen Wesenheit und Güte Gottes und geistiger Kraft himmelweit entfernt sind, aber mit jeglichem Betruge, dem Geiste des Abfalls, dämonischer Kraft und teuflischer Zauberei völlig erfüllt sind. Sie sind wahrlich Vorläufer jenes Drachen, der durch solche Zaubereien „den dritten Teil der Sterne mit seinem Schwänze niederreißen und zur Erde hinabstürzen wird“ (
Ap 12,4). Ähnlich also wie diesen muß man jene fliehen, und je größere Zaubereien man ihnen nachsagt, um so mehr muß man sich vor ihnen hüten, als hätten sie einen um so größeren Geist der Bosheit empfangen. Wer deshalb ihren täglichen Lebenswandel beobachtet, wird finden, daß er der gleiche wie bei den Dämonen ist.






32 Kapitel: Verhältnis der Gnostiker zu Jesu Lehre von den guten Werken

1.

Ihre gottlose Lebensmaxime aber, die da besagt, man müsse alle Werke, auch die schlechtesten, durchprobieren, wird aus der Lehre des Herrn vernichtet (
Mt 5,21 ff.) . Er verurteilt nicht nur den, welcher die Ehe bricht, sondern schon den, der sie brechen will. Bei ihm wird nicht nur der, welcher tötet, als Mörder des Gerichtes schuldig, sondern schon der, welcher seinem Bruder ohne Grund zürnt. Er befiehlt nicht allein, die Menschen nicht zu hassen, sondern die Feinde sogar zu lieben. Er verbietet nicht nur das falsche Schwören, sondern das Schwören überhaupt. Nicht nur nichts Schlechtes sollen wir von dem Nächsten reden, sondern wir dürfen ihn nicht einmal Racha oder Tor nennen, sonst sind wir des höllischen Feuers schuldig. Wir dürfen nicht nur nicht schlagen, sondern sollen, wenn wir geschlagen werden, noch die andere Backe hinhalten; das Fremde nicht nur nicht verleugnen, sondern das Eigne nicht einmal zurückverlangen, wenn es uns genommen wird. Wir dürfen den Nächsten nicht nur nicht verletzen oder ihm sonst etwas Böses tun, sondern sollen, wenn wir schlecht behandelt werden, großmütig sein, Güte unsern Feinden erweisen und für sie beten, damit sie Buße tun und gerettet werden, und in keinem Stücke dürfen wir ihren Beschimpfungen, ihren Lüsten, ihrem Hochmut nachahmen. 

   Wenn nun der, den jene als Lehrer rühmen, von dem sie sagen, daß seine Seele besser und stärker als die der übrigen gewesen sei, mit allem Nachdruck alles zu tun befohlen hat, was gut und herrlich ist, in anderer Hinsicht aber nicht bloß die Werke, sondern auch die bösen, schädlichen, nichtswürdigen Gedanken verboten hat, die zu bösen Werken führen, müssen sie sich dann nicht schämen, ihn als einen hervorragend starken und guten Lehrmeister zu bezeichnen und doch seiner Lehre offenbar widersprechende Vorschriften zu geben? Würde es in Wirklichkeit nichts Schlechtes oder Gutes geben, sondern nur nach der Meinung der Menschen für dieses oder jenes gelten, dann hätte er nicht so sicher gesprochen: „Die Gerechten werden leuchten wie die Sonne in dem Reiche ihres Vaters“ (Mt 13,43). Die Ungerechten aber und, die keine Werke der Gerechtigkeit hervorbringen, wird er in das ewige Feuer schicken, „wo ihr Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt“ (Mt 25,41 Mc 9,45).



2.

Wenn sie nun weiter sagen, sie müßten jegliche Tat und Lebensweise durchmachen, um womöglich in einer Herabkunft alles zu vollenden und zum Vollkommenen überzugehen, so trifft man sie nirgends bei dem Versuch, jene Werke zu verrichten, die sich auf die Tugend beziehen, die Mühe kosten, Ehre bringen, Kunst verlangen und von allen Menschen als gut gelobt werden. Wenn es nämlich nötig ist, alle Werke, alle Tätigkeit durchzumachen, dann müßten sie zunächst alle Künste lernen, sowohl die, welche Geist, als die, welche Geschicklichkeit erfordern, die durch Selbstzucht gelernt werden und die durch Anstrengung, Ausdauer und Nachdenken erworben werden, also Musik jeglicher Art, Arithmetik, Geometrie und Astronomie und alle Künste des Geistes, die gesamte Medizin, Botanik und Hygiene, Malerei und Bildhauerei, die Bearbeitung des Erzes, des Marmors usw., ferner Agrikultur, Tierarzneikunde und Viehzucht, die sämtlichen Handwerke, soviel ihrer sind, Seefahrt, Gymnastik, Jagd, Kriegskunst und Staatswissenschaft und all das übrige, wovon sie nicht den zehnten, nicht den tausendsten Teil in ihrem ganzen Leben mit aller Mühe lernen können. Auf diesen Gebieten versuchen sie nun nichts zuzulernen, obwohl sie sagen, daß sie alles durchmachen müßten; auf Vergnügungen aber, Lust und Schändlichkeit stürzen sie sich. So werden sie nach ihrer eignen Lehre gerichtet: da ihnen die obengenannten Künste abgehen, so werden sie hingehen in das verzehrende Feuer. Nach Epikurs Philosophie und des Zynikers Lehre vom Indifferentismus leben sie, und Jesum preisen sie als ihren Lehrmeister, ihn, der nicht allein die bösen Werke, sondern auch solche Reden und Gedanken, wie wir gezeigt haben, seinen Schülern verbietet.



3.

Sie behaupten auch, daß ihre Seelen und die Seele Jesu aus demselben Kreise stammen und sich ähnlich seien, ihre Seelen bisweilen sogar noch besser. Sieht man aber auf die Werke, die jener zum Heil und Nutzen der Menschen wirkte, so haben jene offenbar nichts Derartiges oder Ähnliches gewirkt, was damit verglichen werden könnte. Was sie machen, tun sie durch Zauberei, um, wie wir gesagt haben, Unverständige betrügerisch zu verführen. Frucht und Nutzen bringen sie denen keineswegs, auf die sie ihre angeblichen Kräfte verwenden. Unmündigen Knaben machen sie allerlei Blendwerk und Zaubereien vor, deren Wirkung schnell vergeht und nicht einen Augenblick anhält. So sind sie nicht unserm Herrn Jesus, sondern dem Zauberer Simon ähnlich. Jesus ferner stand am dritten Tage von den Toten auf — das ist eine sichere Tatsache —, zeigte sich seinen Jüngern und wurde vor ihren Augen in den Himmel aufgenommen; sie aber sterben, ohne aufzuerstehen und sich jemandem zu zeigen — also haben ihre Seelen durchaus keine Ähnlichkeit mit der Seele Jesu.



4.

Wenn sie aber sagen, daß auch der Herr nur zum Schein dergleichen getan habe, so werden wir sie auf die Prophezeiungen verweisen und aus ihnen dartun, dass alles so über ihn vorausgesagt und sicher geschehen ist, und daß er allein der Sohn Gottes ist. In seinem Namen wirken deshalb seine wahren Schüler, die von ihm die Gnade empfangen haben, Wunder an den übrigen Menschen, wie ein jeder von ihm die Gnade empfangen hat. Die einen treiben wahrhaft und bestimmt Geister aus, so daß oftmals die ihnen glauben, die von den bösen Geistern befreit sind, und in die Kirche eintreten. Die andern schauen in die Zukunft, haben Gesichte und weissagen. Wieder andere legen den Kranken die Hände auf und machen sie gesund. Ja sogar Tote sind auferstanden, wie wir bereits gesagt haben, und lebten unter uns noch etliche Jahre. Doch wer vermöchte alle die Gnaden aufzuzählen, welche die Kirche auf der ganzen Welt von Gott empfängt und zum Heile der Völker im Namen Jesu Christi, des unter Pontius Pilatus gekreuzigten, Tag für Tag ausspendet. Und keinen verführt sie oder nimmt ihm sein Geld ab. Denn was sie umsonst von Gott empfangen hat, teilt sie umsonst auch aus.



5.

Keine Engel ruft sie an, keine Zaubersprüche gebraucht sie, noch macht sie irgend welche frevelhaften Experimente. Rein, lauter und offen richtet sie ihre Gebete zu dem Herrn, der alles erschaffen hat, und ruft den Namen unseres Herrn Jesu Christi an und gebraucht ihre Wunderkraft zum Nutzen der Menschen, nicht zu ihrer Verführung. Wenn nun nicht des Simon, Menander oder Karpokrates oder eines andern Name, sondern allein der Name unseres Herrn Jesu Christi auch jetzt noch Gnade spendet und alle, die an ihn glauben, fest und sicher heilt, so ist es offenbar, daß er zur Zeit seines Erdenwallens gemäß dem Willen des Allerhöchsten durch die Kraft Gottes in Wahrheit alles getan hat, wie die Propheten es vorher verkündet. Was dieses war, wird erzählt werden, wenn wir auf die Propheten zu sprechen kommen.






33 Kapitel: Es gibt keine Seelenwanderung

1.

Ihre Lehre aber von der Seelenwanderung wird dadurch widerlegt, daß sich die Seelen gar nicht mehr an das erinnern, was vordem gewesen ist. Wenn sie nämlich dazu ausgesandt wurden, um alles durchzumachen, dann müßten sie sich auch an das Vergangene erinnern können, um das Fehlende noch nachzuholen und nicht elendiglich immer um dasselbe sich abzumühen. Wenn sie deshalb auf die Erde kamen, dann konnte die Vereinigung mit dem Körper die Erinnerung und Erwägung der Vergangenheit nicht gänzlich auslöschen. Was nämlich jetzt die Seele, während der Körper schläft und ruht, bei sich sieht und im Traume erlebt, das teilt sie gemäß ihrer Erinnerung zum größten Teile dem Körper mit, und bisweilen erzählt einer wachend noch nach sehr langer Zeit, was er im Träume gesehen hat. So müßte sie sich auch dessen erinnern, was sie getan hat, bevor sie in den Körper kam. Wenn sie nämlich das, was sie während eines Augenblickes schaute und im Traume empfing, auch über den Traum hinaus noch weiß, nachdem sie sich dem Körper wieder mitgeteilt und in jedes Glied zerstreut hat, so müßte sie noch viel mehr das wissen, wo sie so lange Zeit und die ganze Ewigkeit des verflossenen Lebens gewesen ist.



2.

Um diesen Einwand zu entkräften, hat jener berühmte Athener Plato, der die Lehre von der Seelenwanderung aufgebracht hat, den Becher der Vergessenheit erdacht, indem er glaubte, auf diese Weise der Schwierigkeit entgehen zu können. Ohne jeden Beweis stellte er es als Dogma hin, daß die Seelen vor ihrem Eintritt in dieses Leben von dem Dämon am Eingang mit Vergessenheit getränkt würden. Doch ohne es zu merken, ist er in eine noch größere Schwierigkeit geraten. Wenn nämlich das Trinken des Vergessenheitsbechers die Erinnerung an alles auslöscht, woher weißt denn du, Plato, daß deine Seele, bevor sie in den Körper kam, da sie doch jetzt in ihrem Körper ist, von dem Dämon die Arznei der Vergessenheit zu trinken bekam? Erinnerst du dich nämlich an den Dämon, den Becher und deinen Eintritt, dann müßtest du auch das übrige wissen; weißt du dies aber nicht — dann ist dein Dämon erlogen und der Vergessenheitsbecher nicht kunstgerecht gemischt.



3.

Denen aber, die behaupten, der Leib sei selber die Arznei der Vergessenheit, kann man folgendes entgegenhalten: Was die Seele in sich selbst schaut, während der Körper ruht, sei es im Traum oder in rein geistigem Schauen, das behält sie und erzählt es weiter. Wäre aber der Körper Vergessenheit, dann könnte sie nicht einmal das behalten, was sie früher einmal durch die Augen oder die Ohren erfahren hat, als sie bereits im Körper war, vielmehr müßte auch die Erinnerung an den geschauten Gegenstand verschwinden, sobald sich das Auge von demselben entfernt. Denn in dem Organ der Vergessenheit lebend kann sie nichts anders erkennen, als allein das, was sie gerade gegenwärtig sieht. Wie könnte sie vollends göttliche Dinge lernen und behalten, solange sie sich im Körper befindet, wenn der Körper die Vergessenheit selbst wäre? Ebenso haben auch die Propheten, als sie auf Erden weilten, was sie in ihren geistigen Visionen von himmlischen Dingen sahen oder hörten, behalten und nach der Ekstase den andern verkündet. Keineswegs also bewirkte bei ihnen die Rückkehr in den Leib, daß ihre Seele das vergaß, was sie geistig geschaut hatten, vielmehr belehrte die Seele den Leib und gab ihm Anteil an der ihr geistigerweise gewährten Vision.



4.

Mitnichten nämlich ist der Leib mächtiger als die Seele, denn von ihr wird er belebt und bewegt, von ihr empfängt er Wachstum und Gliederung. Die Seele besitzt und beherrscht den Leib. Wenn sie auch insoweit in ihrer Schnelligkeit gehindert wird, als sie dem Leibe von ihrer Bewegung mitteilt, so verliert sie doch nicht ihr Wissen. Denn der Körper ist einem Werkzeug ähnlich, die Seele aber ist dem Künstler zu vergleichen. Wie nämlich der Künstler sich sein Werk im Geiste schnell zurechtlegt, es aber nur langsam mit dem Werkzeug zustande bringt, weil es sich um unbewegliche Materie handelt und die Verbindung mit der Langsamkeit des Werkzeugs trotz der Schnelligkeit des Denkens nur ein langsames Arbeiten gestattet, so wird auch die Seele durch die Verbindung mit ihrem Körper beträchtlich gehindert, da ihre Schnelligkeit in der Langsamkeit des Körpers aufgeht. Dennoch verliert sie keineswegs gänzlich ihre eignen Kräfte; gleichsam dem Körper das Leben schenkend, hört sie selbst nicht auf zu leben. Ebensowenig verliert sie ihre Kenntnis oder die Erinnerung an das, was sie geschaut hat, wenn sie ihrem Körper davon mitteilt.



5.

Wenn sie also keine Ahnung hat von dem Vergangenen, sondern alle Kenntnis von den existierenden Dingen hier empfängt, dann war sie auch niemals in anderen Körpern, hat das nicht getan, wovon sie nichts weiß, weiß das nicht, was sie nicht einmal sieht. Vielmehr hat ein jeder von uns seine eigne Seele, wie er auch vermöge göttlicher Anordnung seinen eignen Leib empfängt. Denn Gott ist nicht so arm oder beschränkt, daß er nicht vermöchte, einem jeden seinen eignen Leib, seine eigne Seele, seinen eignen Charakter zu geben. Wenn daher die Zahl, die er selbst bei sich vorherbestimmt hat, voll geworden ist, dann werden alle, die[61] eingetragen sind, zum Leben auferstehen und ihre eignen Leiber, ihre eignen Seelen und ihren eignen Geist haben, in dem sie Gott gefielen. Die aber der Strafe würdig sind, werden ihr auch anheimfallen und gleichfalls ihre Seelen und ihre Leiber haben, in denen sie Gott mißfielen. Dann werden sie beide nicht mehr zeugen, noch gezeugt werden, werden weder freien, noch sich freien lassen, damit durch die Vollendung der von Gott vorherbestimmten zueinander abgepaßten Zahl der Menschen die Anordnung des Vaters erfüllt werde.






34 Kapitel: Die Unsterblichkeit der Seele

1.

Daß aber die Seelen nicht von einem Leibe in den andern übergehen, sondern fortdauern, sogar den besonderen Charakter des Körpers, zu dem sie gehörten, unverändert bewahren und sich der Werke erinnern, die sie hier vollbracht haben und schon nicht mehr tun können, das hat der Herr auf das deutlichste in jener Erzählung von dem Reichen und von Lazarus gelehrt, der im Schoße Abrahams ausruhte (
Lc 16,19 ff.) . Dort sagt er, daß der Reiche den Lazarus nach dem Tode erkannte und ähnlich auch den Abraham, und daß jeder von ihnen an seinem Orte verbleibe und jener bat, daß ihm Lazarus zu Hilfe geschickt werde, dem er nicht einmal von den Brosamen seines Tisches mitgeteilt hatte. Und aus der Antwort Abrahams ersehen wir, daß jener nicht nur über sich, sondern auch über den Reichen Bescheid wußte, und daß er befahl, dem Moses und den Propheten zu gehorchen, um nicht an jenen Ort der Strafe zu kommen, und die Botschaft desjenigen anzunehmen, der von den Toten auferstehen würde. Hierdurch ist deutlich erklärt worden, daß die Seelen nicht von Körper zu Körper übergehen, sondern fortdauern, die menschliche Gestalt beibehalten, um erkannt zu werden, und sich an die irdischen Dinge erinnern; daß ferner dem Abraham die Lehrgabe innewohnt, und daß auch schon vor dem Gerichte jede Menschenart den ihr gebührenden Wohnplatz erhält.



2.

Nun könnte jemand an dieser Stelle einwenden, es sei unmöglich, daß die Seelen, deren Existenz vor kurzem begonnen hätte, lange Zeit fortdauerten; sind sie unsterblich, dann müßten sie auch unerzeugt sein, haben sie aber durch Zeugung einen Anfang genommen, dann müßten sie auch mit dem Körper sterben. Darauf ist zu erwidern, daß ohne Anfang und ohne Ende, ganz unveränderlich und immer derselbe allein Gott der Allerhöchste ist, alles aber, was von ihm gemacht worden ist und gemacht wird, im Entstehen seinen Anfang nimmt und nach dem Willen seines Schöpfergottes fortdauert und sich in die Länge der Jahrhunderte erstreckt. Wie er ihnen in diesen Dingen die Existenz verlieh, so verleiht er ihnen auch hernach die Fortdauer.



3.

Wie nämlich der Himmel über uns und das Firmament und Sonne und Mond und die übrigen Sterne mit all ihrer Pracht zuerst nicht waren und dann geworden sind und lange Zeit fortdauern nach dem Willen Gottes, so wird man logischerweise auch von den Seelen und Geistern und allem Gewordenen denken müssen. Das alles nahm einmal in seiner Existenz einen Anfang und dauert fort, solange Gott seine Existenz und Fortdauer will. Diese Lehre bezeugt auch der Geist des Propheten, der da spricht: „Er sprach, und es ward; er gebot, und es war erschaffen. Er hat es festgestellt in alle Ewigkeit“ (Ps 148,5 f.). Und wiederum sagt er von dem Menschen, der erlöst werden soll, also: „Um Leben bat er dich, und du gewährtest ihm die Länge der Tage ewiglich“ (Ps 20,5). Somit schenkt der Vater aller in Ewigkeit Fortdauer denen, die gerettet werden. Nicht aus uns nämlich, noch aus unserer Natur ist das Leben, sondern gemäß der Gnade Gottes wird es uns gegeben. Wer deshalb das Geschenk des Lebens bewahrt und dankbar ist gegen den Geber, der wird in Ewigkeit die Länge der Tage empfangen. Wer es aber von sich wirft und seinem Schöpfer undankbar wird, keinen Dank dafür weiß, daß er geworden, und den Geber nicht erkennt, der beraubt sich selbst der Fortdauer in Ewigkeit. Deshalb spricht der Herr zu solchen Undankbaren: „Wenn ihr im Kleinen nicht getreu gewesen, was Großes wird man euch geben können?“ (Lc 16,11) . Das soll heißen: Wer in dem kurzen zeitlichen Leben undankbar gewesen ist gegen den, der es gab, wird gerechterweise von ihm in Ewigkeit die Länge der Tage nicht empfangen.



4.

Wie aber der von der Seele belebte Leib nicht die Seele selbst ist, sondern an ihr nur teilhat, solange Gott will, so ist auch die Seele nicht das Leben selbst, sondern nimmt nur teil an dem Leben, das ihr Gott verleiht. Daher spricht das prophetische Wort von dem ersten Menschen: „Er wurde zur lebendigen Seele“ (Gn 2,17), indem es uns lehrte, daß die Seele erst durch die Teilnahme am Leben lebendig wurde; denn etwas anderes ist die Seele und etwas anderes das ihr verliehene Leben. Weil also Gott Leben und Fortdauer verleiht, darum können die Seelen, die zunächst nicht waren, fortdauern, wenn Gott will, daß sie sind und bestehen. Denn Gottes Wille muß alles beherrschen und lenken, alles übrige muß ihm folgen, dienen und gehorchen. — Soviel möge über die Erschaffung und Fortdauer der Seelen gesagt sein.






35 Kapitel: Ein Himmel, ein Gott

1.

Außerdem wird Basilides gemäß seiner Lehre gezwungen sein, nicht nur dreihundertfünfundsechzig Himmel, die voneinander abstammen, anzunehmen, sondern eine unendliche und unzählbare Menge von Himmeln, die entstanden sind, entstehen und entstehen werden, und niemals damit aufzuhören. Wenn nämlich nach dem Bilde des ersten aus diesem ein zweiter Himmel hervorging und aus dem zweiten ein dritter und so fort, dann muß auch aus unserm Himmel, den er den letzten nennt, wieder ein anderer hervorgegangen sein und aus jenem wieder ein anderer, und niemals darf die Schöpfung und Hervorbringung von Himmeln ein Ende nehmen, sondern muß sich in eine unendliche und unbegrenzte Zahl ausdehnen.



2.

Die übrigen aber, die sich fälschlicherweise Gnostiker nennen, die da sagen, die Propheten hätten aus verschiedenen Göttern geweissagt, werden leicht dadurch widerlegt, daß alle Propheten einen und denselben Gott und Herrn als Schöpfer des Himmels und der Erde und was in ihnen ist, verkündet haben, und daß sie alle die Ankunft seines Sohnes verheißen haben, wie wir aus ihren Schriften in den folgenden Büchern zeigen werden.



3.

Wenn aber andere darauf hinweisen, daß im Hebräischen verschiedene Bezeichnungen[62] gebraucht werden, nämlich Sabaoth, Eloe, Adonai und andere mehr, und daß sich daraus verschiedene Mächte und Götter ergeben, so sollen sie wissen, daß dies alles nur verschiedene Namen und Bezeichnungen für einen und denselben sind. Eloe bezeichnet nämlich nach jüdischem Sprachgebrauch Gott, Eloeim aber und Elouth im Hebräischen den Allumfassenden. Adonai wird gebraucht für den wunderbaren, unaussprechlichen Namen oder auch mit doppeltem Delta und Aspiration, denn er trennt und scheidet das Land vom Wasser, damit das Meer es nicht überflute[63] . Sabaoth mit langem O in der letzten Silbe bedeutet den Willen, mit kurzem O aber den ersten Himmel. Ebenso bedeutet Jaoth, die letzte Silbe lang und aspiriert, das vorbestimmte Maß, mit kurzem O aber den, der das Übel vertreibt. So sind auch die übrigen Namen Bezeichnungen für ein und denselben, wie wir auch in unserer Sprache ihn den starken Herrn, den Vater aller, den Allmächtigen, den Allerhöchsten, den Herrn des Himmels, den Schöpfer und die letzte Ursache nennen, ohne mit jedem Namen einen andern bezeichnen zu wollen. Vielmehr sind das alles nur Namen und Bezeichnungen für den einen Gott und Vater, der über alles herrscht und allen das Dasein verleiht.



4.

Mit unsern Ausführungen stimmt überein die Verkündigung der Apostel, die Belehrung des Herrn, die Verkündigung der Propheten, die Predigt der Missionäre, das kirchliche Gesetz. Sie alle bekennen einen und denselben Gott Vater aller und nicht immer einen anderen, der aus verschiedenen Göttern oder Kräften seine Wesenheit empfinge; verkünden, daß nicht von Engeln oder irgend einer Kraft, sondern von ein und demselben Gott Vater alles Sichtbare und Unsichtbare und, was es sonst noch geben mag, geschaffen und seiner Bestimmung angepaßt worden ist. Das glaube ich nun durch all dies hinlänglich bewiesen zu haben, nachdem ich gezeigt habe, daß der eine Gott Vater der Schöpfer aller dieser Dinge ist. Doch damit man nicht glaube, daß wir dem Beweis aus der Schrift des Herrn aus dem Wege gehen wollen, wo doch die Schriften eben dasselbe noch viel deutlicher und klarer verkünden, so wollen wir noch für alle, die das Rechte wollen, ein eigenes Buch mit den einschlägigen Schriftstellen folgen lassen and aus den göttlichen Schriften den offenkundigen Beweis erbringen für alle Freunde der Wahrheit.







Drittes Buch



Vorrede

1.

Du hattest, mein Lieber, uns aufgetragen, die von Valentinus stammenden, angeblich verborgenen Irrlehren ans Licht zu ziehen, ihre Verschiedenheit darzutun und sie zu widerlegen. Wir haben es aber unternommen, von Simon an, dem Vater aller Irrlehren, ihre falschen Meinungen und ihre Abhängigkeit voneinander zu zeigen und die Gegenbeweise beizubringen. Da nun ihre Überführung und vielfache Widerlegung in ein Werk gehört, so schickten wir Dir zunächst zwei Bücher, von denen das erste die Lehren all dieser enthält und ihre Gebräuche sowie die Art ihres Lebenswandels darstellt. Das zweite widerlegt und vernichtet ihre falschen Lehren, stellt sie bloß und offenbart ihr eigentliches Wesen. In dem vorliegenden dritten Buche werden wir nun die Beweise aus der Schrift beibringen, damit wir Dir all Deine Wünsche erfüllen, und noch darüber hinaus jegliche Handhabe bieten, um ihre verschiedenen falschen Lehren zurückzuweisen und zu vernichten. Denn die Liebe Gottes, reich und ohne Neid, gibt mehr als jemand von ihr verlangt. Erinnere Dich also an das, was wir in den ersten beiden Büchern gesagt haben! Nimmst Du dazu noch das Folgende, dann hast Du von uns das vollkommenste Rüstzeug gegen alle Irrlehrer, um gegen sie mit vollem Nachdruck und Vertrauen in die Schranken zu treten für den allein wahren und lebenspendenden Glauben, den die Kirche von den Aposteln empfangen hat und an ihre Kinder austeilt. Denn den Auftrag, das Evangelium zu verkünden, gab der Herr seinen Aposteln. Von ihnen lernten wir die Wahrheit, d. h. die Lehre des Sohnes Gottes. Zu ihnen hat auch der Herr gesprochen: «Wer euch hört, hört mich, wer euch verachtet, verachtet mich und den, der mich gesandt hat“ (
Lc 10,16 gekürzt).






(Contra Haereses) 229