Generalaudienzen 2005-2013 30107

Mittwoch, 3. Januar 2007

30107

Liebe Brüder und Schwestern!

Danke für eure Zuneigung. Ich wünsche euch allen ein gutes Jahr! Diese erste Generalaudienz des neuen Jahres findet noch in weihnachtlicher Stimmung statt, in einer Atmosphäre, die uns zur Freude über die Geburt des Erlösers einlädt. Mit seinem Kommen in die Welt hat Jesus Gaben der Güte, Barmherzigkeit und Liebe in Fülle unter den Menschen ausgeteilt. Der Apostel Johannes interpretiert gleichsam die Empfindungen der Menschen aller Zeiten, wenn er schreibt: »Seht, wie groß die Liebe ist, die der Vater uns geschenkt hat« (
1Jn 3,1). Wer vor dem Gottessohn, der hilflos in der Krippe liegt, innehält, um nachzudenken, muß sich von diesem aus menschlicher Sicht unglaublichen Ereignis überrascht fühlen; er muß das Staunen und die demütige Hingabe der Jungfrau Maria teilen, die Gott gerade wegen ihrer Demut zur Mutter des Erlösers erwählt hat. In dem Kind von Betlehem entdeckt jeder Mensch, daß er von Gott umsonst geliebt wird; im Licht von Weihnachten offenbart sich jedem von uns die unendliche Güte Gottes. In Jesus hat der himmlische Vater eine neue Beziehung zu uns eröffnet; er hat uns »zu Söhnen im Sohn« gemacht. Über diese Wirklichkeit nachzudenken, lädt uns in diesen Tagen der hl. Johannes mit dem Reichtum und der Tiefe seines Wortes ein, von dem wir vorhin einen Abschnitt gehört haben.

Der Lieblingsjünger des Herrn unterstreicht, daß wir Kinder Gottes heißen und es wirklich sind (vgl. 1Jn 3,1): Wir sind nicht nur Geschöpfe, sondern wir sind seine Kinder; auf diese Weise ist Gott uns nahe; auf diese Weise zieht er uns im Augenblick seiner Menschwerdung, als er einer von uns wird, an sich. Wir gehören also wirklich zu der Familie, die Gott zum Vater hat, weil Jesus, der eingeborene Sohn, unter uns sein »Zelt« aufgeschlagen hat, das »Zelt« seines Fleisches, um alle Völker in einer einzigen Familie, der Familie Gottes, zu versammeln, die wirklich zum göttlichen Sein gehört, vereint in einem einzigen Volk, in einer einzigen Familie. Er ist gekommen, um uns das wahre Antlitz des Vaters zu enthüllen. Und wenn wir jetzt das Wort »Gott« gebrauchen, handelt es sich nicht mehr um eine nur aus weiter Ferne erkannte Wirklichkeit. Wir kennen das Antlitz Gottes: Es ist das Antlitz des Sohnes, der gekommen ist, um uns auf der Erde die himmlische Wirklichkeit näher zu bringen. Der hl. Johannes schreibt: »Nicht darin besteht die Liebe, daß wir Gott geliebt haben, sondern daß er uns geliebt hat« (1Jn 4,10). An Weihnachten erschallt auf der ganzen Welt die einfache und bewegende Botschaft: »Gott liebt uns.« »Wir wollen lieben«, sagt der heilige Johannes, weil er uns zuerst geliebt hat« (1Jn 4,19). Dieses Geheimnis ist nun unseren Händen anvertraut, damit wir uns durch die Erfahrung der göttlichen Liebe auf die himmlische Wirklichkeit hin ausstrecken. Und das ist, so meinen wir, auch die Übung dieser Tage: wirklich ausgestreckt auf Gott hin leben, indem wir vor allem das Himmelreich und seine Gerechtigkeit suchen, in der Gewißheit, daß uns alles Übrige dazugegeben werden wird (vgl. Mt 6,33). Die geistliche Atmosphäre der Weihnachtszeit hilft uns, in diesem Bewußtsein zu wachsen.

Die Freude der Weihnacht läßt uns jedoch nicht das Geheimnis des Bösen (»mysterium iniquitatis«) vergessen, die Macht der Finsternis, die den Glanz des göttlichen Lichtes zu verdunkeln trachtet: und diese Macht der Finsternis erleben wir leider täglich. Im Prolog seines Evangeliums, der in diesen Tagen mehrmals verkündet wird, schreibt der Evangelist Johannes: »Das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfaßt« (Jn 1,5). Es ist das Drama der Ablehnung Christi, das, wie in der Vergangenheit, leider auch heute in vielen verschiedenen Formen auftritt und sich äußert. Vielleicht sind die Formen der Ablehnung Gottes in der heutigen Zeit sogar noch heimtückischer und gefährlicher: sie reichen von der völligen Verwerfung bis zur Gleichgültigkeit, vom wissenschaftlichen Atheismus bis zur Vorstellung eines sogenannten modernisierten oder postmodernen Jesus. Jesus als ein Mensch, der in verschiedener Weise auf einen gewöhnlichen Menschen seiner Zeit verkürzt und damit seiner Göttlichkeit beraubt wird; oder ein Jesus, der in einem Maße idealisiert wird, daß er manchmal wie eine Märchenfigur erscheint.

Doch Jesus, der wahre Jesus der Geschichte, ist wahrer Gott und wahrer Mensch und wird nicht müde, sein Evangelium allen anzubieten, wobei er weiß, »ein Zeichen zu sein, dem widersprochen wird«, damit »die Gedanken vieler Menschen offenbar werden«, wie der greise Simeon prophezeien sollte (vgl. Lc 2,34-35). Tatsächlich besitzt allein das Kind in der Krippe das wahre Geheimnis des Lebens. Darum bittet es, daß wir es aufnehmen, daß wir ihm in uns, in unseren Herzen, in unseren Häusern, in unseren Städten und in unseren Gesellschaften Raum geben. Im Geist und im Herzen klingen die Worte aus dem Prolog des Johannes wider: »Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden« (Jn 1,12). Bemühen wir uns, zu denen zu gehören, die ihn aufnehmen. Man kann ihm gegenüber nicht gleichgültig bleiben. Auch wir, liebe Freunde, müssen unablässig Stellung nehmen. Wie wird also unsere Antwort lauten? Mit welcher Haltung empfangen wir ihn? Dabei kommt uns die Einfachheit der Hirten und das Suchen der Magier zu Hilfe, die durch den Stern die Zeichen Gottes ergründen; ein Vorbild ist für uns die Fügsamkeit Mariens und die weise Besonnenheit Josefs. Die über 2000 Jahre christlicher Geschichte sind voller Beispiele von Männern und Frauen, Jugendlichen und Erwachsenen, Kindern und Alten, die an das Weihnachtsgeheimnis geglaubt haben, die den Immanuel mit offenen Armen empfangen haben und durch ihr Leben zu Leuchtfeuern des Lichts und der Hoffnung geworden sind. Die Liebe, die Jesus durch seine Geburt in Betlehem in die Welt gebracht hat, bindet alle, die ihn aufnehmen, in einer dauerhaften Beziehung der Freundschaft und Brüderlichkeit an sich. Der hl. Johannes vom Kreuz drückt das so aus: »Als Gott uns alles, nämlich seinen Sohn, gab, hat er uns nun in ihm alles gegeben. Richte die Augen allein auf ihn … und auch du wirst dort mehr finden als alles, was du erbittest und ersehnst« (Der Aufstieg zum Berge Karmel, Lib. I, Ep. 22,4-5).

Liebe Brüder und Schwestern, wir wollen uns zu Beginn dieses neuen Jahres unser Bemühen erneut lebendig werden lassen, Christus Geist und Herz zu öffnen, indem wir ihm unseren aufrichtigen Willen zeigen, als seine wahren Freunde zu leben. So werden wir zu Mitarbeitern seines Heilsplans und zu Zeugen jener Freude werden, die er uns schenkt, auf daß wir sie in reichem Maße in unserer Umgebung verbreiten. Maria helfe uns, das Herz dem Immanuel zu öffnen, der unser armes und schwaches Fleisch angenommen hat, um den mühsamen Weg des irdischen Lebens mit uns zu teilen. Begleitet von Jesus wird dieser mühsame Weg jedoch zu einem freudigen Weg. Gehen wir zusammen mit Jesus, gehen wir mit ihm - dann wird das neue Jahr ein glückliches und gutes Jahr sein.

Diese erste Audienz im neuen Jahr steht noch ganz im Zeichen von Weihnachten. Gottes Sohn als Kind in der Krippe, das will uns sagen, daß Gott alle Menschen liebt und sich der Liebe der Menschen anvertraut. Ja, noch mehr: die Getauften gehören zu einer Familie, die Gott zum Vater hat. „Wir heißen Kinder Gottes, und wir sind es“ (1Jn 3,1), sagt der Apostel Johannes. Unsere Antwort besteht darin, uns immer mehr auszustrecken auf die himmlische Wirklichkeit hin und zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit zu suchen, denn dann wird uns alles andere dazugegeben (vgl. Mt 6,33).

Leider ist in unserer Welt auch das Böse gegenwärtig; es gibt eine Ablehnung Christi, die von der völligen Verwerfung bis zur gleichgültigen Haltung reicht. Man stellt sich Jesus als postmodernen „Weisheitslehrer“ vor und entblößt ihn seiner göttlichen Natur. Dem halten wir die weihnachtliche Botschaft entgegen: Jesus, wahrer Gott und wahrer Mensch, besitzt den Schlüssel des Lebens. Er bittet um Aufnahme in unsere Herzen, um uns mit der Fülle seiner Gaben zu beschenken.
* * *


Mit Freude grüße ich alle Pilger und Besucher deutscher Sprache. Gott gibt uns alles - nämlich sich selbst - in seinem Sohn. Gehen wir mit ihm durch dieses Jahr und durch unser Leben als seine Freunde und Weggefährten! Euch allen wünsche ich ein gutes neues Jahr und einen gesegneten Aufenthalt hier in Rom.



Mittwoch, 10. Januar 2007

10017

Liebe Brüder und Schwestern!

Nach den Festtagen kehren wir zu unseren Katechesen zurück. Ich hatte mit euch über die Gestalten der zwölf Apostel und des hl. Paulus meditiert. Danach haben wir begonnen, über weitere Gestalten der entstehenden Kirche nachzudenken, und so wollen wir heute bei der Person des hl. Stephanus verweilen, dessen Fest die Kirche am Tag nach Weihnachten begeht. Der hl. Stephanus ist die repräsentativste Figur innerhalb einer Gruppe von sieben Gefährten. Die Überlieferung sieht in dieser Gruppe den Keim des künftigen »Diakonen«-Amtes, auch wenn man feststellen muß, daß diese Bezeichnung in der Apostelgeschichte nicht vorkommt. Die Bedeutung des Stephanus ergibt sich auf jeden Fall daraus, daß ihm Lukas in diesem seinem wichtigen Buch zwei ganze Kapitel widmet.

Der Bericht des Lukas beginnt mit der Feststellung einer in der Urkirche von Jerusalem verbreiteten Untereinteilung: Diese Kirche setzte sich zur Gänze aus Christen jüdischer Herkunft zusammen, von denen aber manche aus den Gebieten Israels stammten und »Hebräer« genannt wurden, während andere Angehörige des alttestamentlich- jüdischen Glaubens aus der griechischsprachigen Diaspora kamen und »Hellenisten « genannt wurden. Das Problem, das sich abzuzeichnen begann, war folgendes: Die Bedürftigsten unter den Hellenisten, besonders die Witwen, die ohne jede soziale Unterstützung waren, liefen Gefahr, bei der Hilfe für die tägliche Versorgung übergangen zu werden. Um diese Schwierigkeit zu beheben, beschlossen die Apostel, sich das Gebet und den Dienst am Wort als ihre zentrale Aufgabe vorzubehalten und »sieben Männer von gutem Ruf und voll Geist und Weisheit « zu beauftragen, die Aufgabe der Versorgung (
Ac 6,2-4), also den karitativen Sozialdienst, zu übernehmen. Zu diesem Zweck wählten die Jünger, wie Lukas schreibt, auf Weisung der Apostel sieben Männer. Wir kennen auch ihre Namen. Sie lauten: »Stephanus, ein Mann, erfüllt vom Glauben und vom Heiligen Geist, ferner Philippus und Prochorus, Nikanor und Timon, Parmenas und Nikolaus… Sie ließen sie vor die Apostel hintreten und diese beteten und legten ihnen die Hände auf« (Ac 6,5-6).

Der Gestus der Handauflegung kann verschiedene Bedeutungen haben. Im Alten Testament bedeutet er vor allem die Übertragung eines wichtigen Amtes, wie es Mose mit Josua machte (vgl. Nb 27,18-23), als er ihn auf diese Weise zu seinem Nachfolger bestimmte. Auf dieser Linie wird auch die Kirche von Antiochien von diesem Gestus Gebrauch machen, um Paulus und Barnabas in die Mission zu den Völkern der Welt zu entsenden (vgl. Ac 13,3). Auf eine ähnliche Handauflegung, nämlich bei Timotheus, um ihn mit einer offiziellen Aufgabe zu beauftragen, nehmen die beiden an ihn gerichteten Briefe des Paulus Bezug (vgl. 1Tm 4,14 2Tm 1,6). Daß es dabei um eine wichtige Handlung ging, die nach reiflicher Überlegung zu vollziehen war, ist aus dem zu entnehmen, was wir im Ersten Brief an Timotheus lesen: »Lege keinem vorschnell die Hände auf, und mach dich nicht mitschuldig an fremden Sünden« (5,22). Wir sehen also, daß sich der Gestus der Handauflegung zu einem sakramentalen Zeichen entwickelt. Im Fall des Stephanus und seiner Gefährten handelt es sich mit Sicherheit um die offizielle Übertragung einer Aufgabe seitens der Apostel und zugleich um die Erflehung der Gnade für die Erfüllung dieser Aufgabe.

Als wichtigstes Faktum ist aber festzuhalten, daß Stephanus außer den karitativen Diensten auch eine Evangelisierungsaufgabe gegenüber seinen Landsleuten, den sogenannten »Hellenisten«, erfüllt. Lukas hebt nämlich hervor, daß Stephanus, »voll Gnade und Kraft« (Ac 6,8), im Namen Jesu eine neue Auslegung des Mose und des Gesetzes Gottes vorlegt, das Alte Testament im Lichte der Verkündigung des Todes und der Auferstehung Jesu neu deutet. Diese Lesart des Alten Testamentes, die christologische Lesart, provoziert die Reaktionen der Juden, die seine Worte als Gotteslästerung empfinden (vgl. Ac 6,11-14). Aus diesem Grund wird er zum Tod durch Steinigung verurteilt. Der hl. Lukas übermittelt uns die letzte Rede des Heiligen, eine Zusammenfassung seiner Verkündigungstätigkeit. Wie Jesus den Emmausjüngern gezeigt hatte, daß das ganze Alte Testament von ihm, von seinem Kreuz und seiner Auferstehung spricht, so liest der hl. Stephanus, der Lehre Jesu folgend, das ganze Alte Testament unter christologischem Aspekt. Er zeigt, daß das Geheimnis des Kreuzes im Zentrum der im Alten Testament erzählten Heilsgeschichte steht, er zeigt, daß wirklich Jesus, der Gekreuzigte und Auferstandene, der Zielpunkt dieser ganzen Geschichte ist. Und er zeigt somit auch, daß der Tempelkult überholt ist und Jesus, der Auferstandene, der neue und wahre »Tempel« ist. Eben dieses »Nein« zum Tempel und zu seinem Kult provoziert die Verurteilung des hl. Stephanus, der in diesem Augenblick - wie uns der hl. Lukas sagt - zum Himmel blickte und die Herrlichkeit Gottes und Jesu sah, der zu seiner Rechten steht. Und als der hl. Stephanus den Himmel, Gott und Jesus sah, rief er: »Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen« (Ac 7,56). Es folgt sein Martyrium, das in der Tat nach dem Beispiel der Passion Jesu selbst vollzogen wird, da er dem »Herrn Jesus« seinen Geist übergibt und darum betet, daß seinen Mördern ihre Schuld nicht angerechnet werde (vgl. Ac 7,59-60).

Der Ort des Martyriums des Stephanus in Jerusalem liegt der Überlieferung nach etwas außerhalb des Damaskustores im Norden, wo sich jetzt, neben der bekannten »École Biblique« der Dominikaner, die Kirche »Saint-Étienne« erhebt. Auf die Tötung des Stephanus, des ersten christlichen Märtyrers, folgte vor Ort eine Verfolgung der Jünger Jesu (vgl. Ac 8,1), die erste Verfolgung in der Geschichte der Kirche. Sie bildete den konkreten Anlaß, der die Gruppe der jüdischhellenistischen Christen zur Flucht aus Jerusalem und in die Zerstreuung trieb. Nach ihrer Vertreibung aus Jerusalem wurden sie zu Wandermissionaren: »Die Gläubigen, die zerstreut worden waren, zogen umher und verkündeten das Wort« (Ac 8,4). Die Verfolgung und die sich daraus ergebende Zerstreuung werden zur Mission. So verbreitete sich das Evangelium in Samaria, Phönizien und Syrien bis hin zur Großstadt Antiochien, wo es nach Lukas zum ersten Mal auch den Heiden verkündet wurde (vgl. Ac 11,19-20) und wo auch zum ersten Mal der Name »Christen« zu hören war (Ac 11,26).

Als Detail führt Lukas an, daß die Männer, die Stephanus steinigten, »ihre Kleider zu Füßen eines jungen Mannes niederlegten, der Saulus hieß« (Ac 7,58) - es war derselbe Mann, der vom Verfolger zum berühmten Apostel des Evangeliums werden sollte. Das bedeutet, daß der junge Saulus die Predigt des Stephanus gehört haben mußte und somit ihre grundsätzlichen Inhalte kannte. Der hl. Paulus befand sich wahrscheinlich unter denen, die, als sie diese Rede hörten, »aufs äußerste über ihn empört [waren] und mit den Zähnen knirschten« (Ac 7,54). An diesem Punkt nun können wir das Wunder der göttlichen Vorsehung erkennen. Saulus, erbitterter Gegner der Sicht des Stephanus, nimmt nach der Begegnung mit dem auferstandenen Christus auf dem Weg nach Damaskus die christologische Deutung des Alten Testaments auf, die der Protomärtyrer vorgenommen hatte, er vertieft und vervollständigt sie und wird so zum »Völkerapostel«. Das Gesetz ist im Kreuz Christi erfüllt, so lehrt er. Und der Glaube an Christus, die Gemeinschaft mit der Liebe Christi, ist die wahre Erfüllung des ganzen Gesetzes. Das ist der Inhalt der Predigt des Paulus. Er zeigt so, daß der Gott Abrahams der Gott aller wird. Und alle, die an Jesus Christus glauben, werden als Söhne Abrahams zu Teilhabern an den Verheißungen. In der Mission des hl. Paulus erfüllt sich die Sicht des Stephanus.

Die Geschichte des Stephanus sagt uns vieles. Zum Beispiel lehrt sie uns, daß man nie das soziale karitative Bemühen von der mutigen Verkündigung des Glaubens trennen darf. Er war einer der Sieben, der vor allem zur Nächstenliebe beauftragt worden war. Es war jedoch unmöglich, Nächstenliebe und Verkündigung voneinander zu trennen. So verkündet er mit der Nächstenliebe den gekreuzigten Christus, bis er auch das Martyrium auf sich nimmt. Das ist die erste Lehre, die wir von der Gestalt des hl. Stephanus lernen können: Nächstenliebe und Verkündigung gehen immer zusammen. Der hl. Stephanus spricht zu uns vor allem von Christus, dem gekreuzigten und auferstandenen Christus als Mittelpunkt der Geschichte und unseres Lebens. Wir können verstehen, daß das Kreuz im Leben der Kirche und auch in unserem persönlichen Leben immer zentral bleibt. In der Geschichte der Kirche werden das Leid und die Verfolgung nie fehlen. Und gerade die Verfolgung wird nach dem berühmten Ausspruch Tertullians Quelle der Mission für die neuen Christen. Ich zitiere seine Worte: »Wir vermehren uns jedes Mal, wenn wir von euch niedergemetzelt werden: Ein Same ist das Blut der Christen« (Apologeticum 50,13: Plures efficimur quoties metimur a vobis: semen est sanguis christianorum). Aber auch in unserem Leben wird das Kreuz, an dem es nie fehlen wird, zum Segen. Und indem wir das Kreuz annehmen, wissend, daß es Segen wird und ist, lernen wir die Freude des Christen auch in den schwierigen Augenblicken. Der Wert des Zeugnisses ist unersetzlich, da das Evangelium zu ihm hinführt und sich die Kirche von ihm nährt. Der hl. Stephanus möge uns lehren, diese Lehren zu beherzigen; er möge uns lehren, das Kreuz zu lieben, da es der Weg ist, auf dem Christus immer wieder neu in unsere Mitte kommt.
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In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Nach dem Ende der festlichen Weihnachtszeit möchte ich heute die vor etwa einem halben Jahr begonnenen Betrachtungen über bedeutende Gestalten der Urkirche fortsetzen.


Die Apostelgeschichte berichtet uns vom heiligen Stephanus an der Spitze der sieben Diakone der Jerusalemer Gemeinde. Die Bezeichnung »Diakon« steht freilich nicht im Text, die Überlieferung hat die Siebenergruppe als Ursprung des Diakonenamtes gedeutet. Die Apostel wählten also bewährte Männer als Helfer für den christlichen Liebesdienst aus, weil nicht mehr alle gleichmäßig und in gleich gerechter Weise bedacht werden konnten, und wählten bewährte Männer dann als Helfer eben für diesen Liebesdienst, um sich selber uneingeschränkt dem Gebet, d.h. vor allem der Feier der Eucharistie, und der Verkündigung widmen zu können. Zum Zeichen der Beauftragung mit diesem Dienst und der Bitte um die dafür notwendige Gnade legten die Apostel den sieben Männern die Hände auf. Stephanus sah über den karitativen Bereich hinaus seine Aufgabe auch in der Evangelisierung. Seine Predigt und sein klares Bekenntnis zu Jesus Christus, den er als die innere Mitte des ganzen Alten Testamentes deutete, brachte ihm dann wieder Widerstand und schließlich das Martyrium ein. Als erster Märtyrer für Christus betete er nach dem Vorbild Jesu noch im Sterben für seine Verfolger.

Die Verfolgung der jungen Kirche von Jerusalem gab den Jüngern Jesu den Anstoß, die Botschaft Christi über Jerusalem hinaus, zunächst nach Samaria und dann bis nach Syrien, bis nach Antiochien und schließlich zu den Heiden zu tragen. Paulus, der bei der Steinigung des Stephanus zugegen war, führte nach seiner Bekehrung dessen Verkündigung fort, führte vor allem seine Deutung des ganzen Alten Testaments auf Christus hin weiter und befreit so das Alte Testament von der Bindung an die äußere Befolgung des Kultgesetzes und seiner Rechtsvorschriften, öffnet es auf die ganze Welt hin, so daß der Gott Abrahams der Gott aller Menschen werden konnte und alle in der Taufe im Glauben an Christus Söhne Abrahams und damit Träger der Verheißung werden durften. Er zeigt uns, daß das Kreuz in der Mitte des Alten Testamentes steht und so, dem gekreuzigten Christus zu glauben, Erfüllung aller Worte Gottes ist. Dies ist der wunderbare Vorgang, daß der, der Gegner des Stephanus war, durch die Begegnung mit Christus selbst dessen Erbe aufnimmt und damit zum Apostel der Völker wird, zum Mitbegründer der universalen Kirche wurde.

Sehr herzlich heiße ich alle deutschsprachigen Pilger und Besucher willkommen. Der heilige Stephanus zeigt uns, daß unser sozialer und karitativer Einsatz nicht von der Verkündigung des Evangeliums getrennt werden kann - beides gehört untrennbar zusammen. St. Stephanus helfe uns, nicht vor Schwierigkeiten zurückzuschrecken, sondern darin die Chance zum Zeugnis für Christus zu sehen. Der Heilige Geist stärke und führe euch alle Tage!





Mittwoch, 17. Januar 2007



Liebe Brüder und Schwestern!

Morgen beginnt die Gebetswoche für die Einheit der Christen, die ich persönlich am kommenden 25. Januar in der Basilika Sankt Paul vor den Mauern mit der Feier der Vesper abschließen werde, zu der auch die Vertreter der anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften Roms eingeladen sind. Die Tage vom 18. bis zum 25. Januar - in anderen Teilen der Welt die Tage der Pfingstwoche - sind eine intensive Zeit des Bemühens und Betens seitens aller Christen, die sich der Handreichungen bedienen können, welche gemeinsam vom Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen und von der Kommission »Glaube und Verfassung« des Ökumenischen Rates der Kirchen ausgearbeitet worden sind. Wie sehr die Sehnsucht nach der Einheit verspürt wird, habe ich bei den Begegnungen empfinden können, die ich in diesen Jahren mit verschiedenen Vertretern von Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften gehabt habe, und in sehr bewegender Weise während des jüngsten Besuchs in der Türkei beim Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. in Istanbul. Auf diese und andere Erfahrungen, die mein Herz der Hoffnung geöffnet haben, werde ich am nächsten Mittwoch ausführlicher zurückkommen. Der Weg zur Einheit bleibt gewiß lang und nicht leicht; es gilt jedoch, sich nicht entmutigen zu lassen und ihn weiterzugehen und dabei vor allem auf die sichere Hilfe dessen zu bauen, der vor seiner Himmelfahrt den Seinen versprochen hat: »Seid gewiß. Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt« (Mt 28,20). Die Einheit ist Gabe Gottes und Frucht des Wirkens seines Geistes. Darum ist es wichtig zu beten. Je mehr wir uns Christus annähern, indem wir uns zu seiner Liebe bekehren, desto mehr kommen wir auch einander näher.

In einigen Ländern, darunter auch in Italien, geht der Gebetswoche für die Einheit der Christen der Tag der jüdisch-christlichen Reflexion voran, der eben heute, am 17. Januar, begangen wird. Seit fast zwei Jahrzehnten widmet die Italienische Bischofskonferenz diesen Tag dem Judentum mit dem Ziel, seine Kenntnis und Wertschätzung zu fördern und die Beziehung der gegenseitigen Freundschaft zwischen der christlichen und der jüdischen Gemeinde wachsen zu lassen; eine Beziehung, die sich nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil und nach dem historischen Besuch des Dieners Gottes Johannes Paul II. in der Hauptsynagoge von Rom positiv entwickelt hat. Um zu wachsen und fruchtbar zu sein, muß sich auch die jüdisch-christliche Freundschaft auf das Gebet gründen. Ich lade daher alle ein, am heutigen Tag eine eindringliche Anrufung an den Herrn zu richten, auf daß Juden und Christen sich gegenseitig respektieren, sich schätzen und miteinander für Gerechtigkeit und Frieden in der Welt zusammenarbeiten.

Das biblische Thema, das zum gemeinsamen Nachdenken und Beten in dieser »Woche« vorgeschlagen wurde, lautet dieses Jahr: »Er macht, daß die Tauben hören und die Stummen sprechen« (Mc 7,31-37). Diese Worte stammen aus dem Markusevangelium und beziehen sich auf die Heilung eines Taubstummen durch Jesus. In dieser kurzen Perikope erzählt der Evangelist, daß der Herr, nachdem er die Finger in die Ohren des Taubstummen gelegt und seine Zunge mit Speichel berührt hatte, das Wunder vollbrachte und sagte: »Effatà«, das heißt »Öffne dich!« Als jener Mann das Gehör und die Gabe der Sprache wiedererlangt hatte, erregte er das Erstaunen der anderen, als er ihnen erzählte, was ihm widerfahren war. Jeder Christ, der aufgrund der Ursünde geistlich taub und stumm ist, empfängt mit der Taufe die Gabe des Herrn, der seine Finger auf dessen Gesicht legt, und wird so durch die Gnade der Taufe dazu fähig, das Wort Gottes zu hören und es den Brüdern zu verkünden. Ja, von diesem Augenblick an ist es seine Aufgabe, in der Erkenntnis Christi und in seiner Liebe zu reifen, so daß er das Evangelium auf wirksame Weise verkünden und bezeugen kann.

Dieses Thema rückt zwei Aspekte der Sendung jeder christlichen Gemeinschaft ins Licht - die Verkündigung des Evangeliums und das Zeugnis der Nächstenliebe - und hebt auch hervor, wie wichtig es ist, die Botschaft Christi in konkrete Initiativen der Solidarität umzusetzen. Das begünstigt den Weg der Einheit, weil man sagen kann, daß jede noch so kleine Tröstung, die die Christen gemeinsam dem Leiden des Nächsten erweisen, dazu beiträgt, auch ihre Gemeinschaft und ihre Treue zum Gebot des Herrn sichtbarer zu machen. Das Gebet für die Einheit der Christen darf sich freilich nicht auf eine Woche im Jahr beschränken. Die vielstimmige Anrufung des Herrn, daß er es sein möge, der zu Zeiten und auf Wegen, die nur er kennt, die volle Einheit aller seiner Jünger verwirklicht, muß sich auf jeden Tag des Jahres erstrecken. Darüber hinaus sind die Harmonie der Absichten in der Diakonie zur Linderung der Leiden des Menschen, die Suche nach der Wahrheit der Botschaft Christi, die Bekehrung und die Buße verpflichtende Etappen, durch die jeder Christ, der dieses Namens würdig ist, sich dem Bruder anschließen muß, um die Gabe der Einheit und der Gemeinschaft zu erflehen. Ich rufe euch also dazu auf, diese Tage in einer Atmosphäre des betenden Hörens auf den Geist Gottes zu verbringen, damit bedeutsame Schritte auf dem Weg zur vollen und vollkommenen Gemeinschaft unter allen Jüngern Christi vollbracht werden. Dies erwirke für uns die Jungfrau Maria, die wir als Mutter der Kirche und Stütze aller Christen, Stütze unseres Weges zu Christus, anrufen.

Das Augenmerk unserer heutigen Katechese ist auf die Gebetswoche der Einheit der Christen gerichtet, die morgen beginnt. In diesem Jahr steht sie unter dem Schriftwort: „Er macht, daß die Tauben hören und die Stummen sprechen“ (Mc 7,37). Dieses Wort gibt das Staunen der Menschen wieder, die Zeugen der Heilung eines Taubstummen durch Jesus wurden. Wir Christen machen doch eine ähnliche Erfahrung: Im Effata der Taufe werden wir fähig, das Wort Gottes zu hören, es unseren Mitmenschen weiterzugeben und es durch gute Werke zu bezeugen. Gerade das konkrete Tun stärkt die Solidarität und die Einheit. Die Hilfe, die Christen für Bedürftige leisten, fördert Gemeinschaft und ist ein Zeugnis für die Treue zu den Weisungen des Herrn. So ist der gemeinsame Einsatz aus Nächstenliebe - neben der beständigen Ausrichtung auf Christus, das lebendige Wort Gottes, und neben der Prüfung des Gewissens - ein wichtiger Schritt, damit sich Christen näher kommen und einmütig die Gabe der Einheit von Gott erflehen.
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Frohen Herzens heiße ich alle Pilger und Besucher aus dem deutschen Sprachraum willkommen. Die Einheit ist ein Gottesgeschenk. Wir müssen darum beharrlich beten. Je mehr wir uns Christus im Gebet nähern, um so enger wird auch unsere Beziehung zu den anderen Betern. Der Heilige Geist stärke eure Gemeinschaft im Gebet und in den guten Werken.


Mittwoch, 24. Januar 2007

24017

Liebe Brüder und Schwestern!

Morgen geht die Gebetswoche für die Einheit der Christen zu Ende, die dieses Jahr die Worte aus dem Markusevangelium zum Thema hatte: »Er macht, daß die Tauben hören und die Stummen sprechen« (vgl.
Mc 7,31-37). Auch wir könnten diese Worte wiederholen, die die Bewunderung der Menschen angesichts der von Jesus vollbrachten Heilung eines Taubstummen zum Ausdruck bringen, wenn wir die wunderbare Blüte des Einsatzes für die Wiederherstellung der Einheit der Christen sehen. Erinnert man sich an den Weg der letzten 40 Jahre, überrascht es, wie der Herr uns aus der Trägheit der Selbstgenügsamkeit und Gleichgültigkeit geweckt hat; wie er uns immer fähiger macht, »aufeinander zu hören« und uns nicht bloß »wahrzunehmen«; wie er unsere Zunge gelöst hat, so daß das Gebet, das wir zu ihm erheben, mehr Überzeugungskraft für die Welt hat. Ja, es ist wahr, der Herr hat uns viele Gnaden gewährt, und das Licht seines Geistes hat viele Zeugen erleuchtet. Sie haben gezeigt, daß durch das Gebet alles erreicht werden kann, wenn wir es verstehen, vertrauensvoll und demütig dem göttlichen Gebot der Liebe zu gehorchen und den inständigen Wunsch Christi nach der Einheit aller seiner Jünger zu erfüllen.

»Die Sorge um die Wiederherstellung der Einheit - erklärt das Zweite Vatikanische Konzil - ist Sache der ganzen Kirche, sowohl der Gläubigen wie auch der Hirten, und geht einen jeden an, je nach seiner Fähigkeit, sowohl in seinem täglichen christlichen Leben wie auch bei theologischen und historischen Untersuchungen« (Unitatis redintegratio UR 5). Die erste gemeinsame Pflicht ist die des Gebets. Indem die Christen beten und indem sie gemeinsam beten, werden sie sich ihres Status als Geschwister immer bewußter, auch wenn sie noch getrennt sind; und indem wir beten, lernen wir, besser auf den Herrn zu hören, denn nur wenn wir auf den Herrn hören und seiner Stimme folgen, können wir den Weg der Einheit finden.

Der Ökumenismus ist gewiß ein langsamer, bisweilen vielleicht auch entmutigender Prozeß, wenn man der Versuchung nachgibt, »wahrzunehmen« und nicht zu »hören«, undeutlich zu sprechen statt mutig zu verkündigen. Es fällt nicht leicht, eine »bequeme Taubheit« aufzugeben, so als wäre das unveränderte Evangelium nicht imstande, wieder aufzublühen, indem es sich von neuem als der von der Vorsehung bestimmte Sauerteig der Umkehr und geistlichen Erneuerung für jeden von uns durchsetzt. Der Ökumenismus ist - so sagte ich - ein langsamer Prozeß, er ist ein langsamer und ansteigender Weg, so wie jeder Bußweg. Ein Weg jedoch, der nach den anfänglichen Schwierigkeiten und gerade in ihnen auch weite Räume der Freude, erfrischende Rastplätze aufweist und es dann und wann erlaubt, aus voller Lunge die reinste Luft der vollen Gemeinschaft zu atmen.

Die Erfahrung dieser letzten Jahrzehnte nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil zeigt, daß sich die Suche nach der Einheit unter den Christen auf verschiedensten Ebenen und unter zahllosen Umständen vollzieht: in den Pfarreien, in den Krankenhäusern, in den Kontakten der Menschen untereinander, in der Zusammenarbeit zwischen den Ortsgemeinden überall auf der Welt und besonders in den Regionen, wo es eine große Anstrengung und auch eine Reinigung des Gedächtnisses erfordert, um gegenüber dem Bruder eine Geste guten Willens zu vollbringen. In diesem hoffnungsvollen Kontext, der von konkreten Schritten hin zur vollen Gemeinschaft der Christen übersät ist, stehen auch die Begegnungen und Ereignisse, die mein Amt, das Amt des Bischofs von Rom und Hirten der universalen Kirche, ständig auszeichnen. Ich möchte nun die bedeutsamsten Ereignisse durchgehen, die im Jahr 2006 stattgefunden haben und die Grund zu Freude und Dankbarkeit gegenüber dem Herrn gewesen sind.

Das Jahr begann mit dem offiziellen Besuch des Weltbundes der Reformierten Kirchen. Die internationale katholisch-reformierte Kommission vertraute den jeweiligen Autoritäten ein Dokument zur Überlegung an, das einen 1970 angebahnten Dialog, der sich also über 36 Jahre hinzog, zum Abschluß bringt; dieses Dokument trägt den Titel: »Die Kirche als Gemeinschaft des gemeinsamen Zeugnisses für das Reich Gottes«. Am 25. Januar 2006 - also vor einem Jahr - haben an dem feierlichen Abschlußgottesdienst der »Gebetswoche für die Einheit der Christen« in der Basilika St. Paul vor den Mauern die Delegierten Europas für den Ökumenismus teilgenommen, die gemeinsam vom Rat der Bischofskonferenzen Europas und von der Konferenz der Europäischen Kirchen für die erste Etappe der Vorbereitung auf die Dritte Europäische Ökumenische Versammlung einberufen worden waren, die im September 2007 auf orthodoxem Boden, in Sibiu, stattfinden wird. Anläßlich der Mittwochsaudienzen konnte ich die Delegationen des Baptistischen Weltbundes und der »Evangelical Lutheran Church« in Amerika empfangen, die der Gepflogenheit ihrer periodischen Besuche in Rom treu bleibt. Außerdem wurde mir die Möglichkeit gegeben, die Hierarchen der orthodoxen Kirche von Georgien zu treffen, der meine Zuneigung gilt; so führe ich jene freundschaftlichen Bande weiter, die Seine Heiligkeit Ilias II. mit meinem verehrten Vorgänger, dem Diener Gottes Papst Johannes Paul II., verbunden hat.

In Fortführung dieser Berichterstattung über die ökumenischen Begegnungen des vergangenen Jahres komme ich zum »Gipfeltreffen der Religionsoberhäupter«, das im Juli 2006 in Moskau abgehalten wurde. Der Patriarch von Moskau und ganz Rußland, Aleksij II., hatte mit einer besonderen Botschaft die Teilnahme des Heiligen Stuhls angeregt. Nützlich war dann der Besuch des Metropoliten Kyrill des Moskauer Patriarchats, der die Absicht erkennen ließ, zu einer deutlicheren Normalisierung unserer bilateralen Beziehungen zu gelangen. In gleicher Weise willkommen war der Besuch der Priester und Studenten des Kollegs der Apostolischen Diakonie des Heiligen Synods der orthodoxen Kirche Griechenlands. Gern erinnere ich mich auch daran, daß der Ökumenische Rat der Kirchen auf seiner Vollversammlung in Porto Alegre der Teilnahme der katholischen Kirche breiten Raum vorbehalten hat. Ich habe zu jenem Anlaß eine besondere Botschaft übermittelt. Eine Botschaft habe ich auch der allgemeinen Versammlung der Methodistischen Weltkonferenz in Seoul zukommen lassen. Zudem erinnere ich mich mit Freude an den herzlichen Besuch der Sekretäre der »Christian World Communions«, einer Organisation für gegenseitige Information und Kontakt zwischen den verschiedenen Konfessionen.

Wenn wir in dem chronologischen Bericht über das Jahr 2006 weitergehen, kommen wir zu dem offiziellen Besuch des Erzbischofs von Canterbury und Primas der Anglikanischen Gemeinschaft im vergangenen November. In der Kapelle »Redemptoris Mater« des Apostolischen Palastes teilte ich mit ihm und seinem Gefolge einen bedeutsamen Augenblick des Gebets. Was sodann die unvergeßliche Apostolische Reise in die Türkei und die Begegnung mit Seiner Heiligkeit Bartholomaios I. betrifft, möchte ich die vielen Gesten ins Gedächtnis rufen, die vielsagender sind als Worte. Ich nehme die Gelegenheit wahr, um Seine Heiligkeit Bartholomaios I. noch einmal zu grüßen und ihm für den Brief zu danken, den er mir zu meiner Rückkehr nach Rom geschrieben hat. Ich versichere ihn meines Gebets und meines Einsatzes, dafür zu wirken, daß die Konsequenzen aus jener Friedensumarmung gezogen werden, die wir uns während der Göttlichen Liturgie in der Kirche Sankt Georg im Phanar gegeben haben. Das Jahr endete mit dem offiziellen Rombesuch des Erzbischofs von Athen und ganz Griechenland, Seiner Seligkeit Christodoulos, mit dem wir anspruchsvolle Geschenke ausgetauscht haben: die Ikone der »Panagia«, der »Allheiligen«, und die Ikone der sich umarmenden Heiligen Petrus und Paulus.

Sind dies nicht Augenblicke von hohem geistlichem Wert, Augenblicke der Freude, des Aufatmens auf diesem langsamen und ansteigenden Weg zur Einheit, von dem ich gesprochen habe? Diese Augenblicke rücken das - oft stille, aber starke - Bemühen ins Licht, das uns auf der Suche nach der Einheit verbindet. Sie ermutigen uns, jede Anstrengung zu unternehmen, um auf diesem langsamen und ansteigenden, aber wichtigen Weg fortzuschreiten. Wir vertrauen uns der ständigen Fürsprache der Muttergottes und unserer Schutzheiligen an, auf daß sie uns unterstützen und helfen, nicht von unseren guten Vorsätzen abzuweichen; auf daß sie uns ermutigen, jede Anstrengung zu intensivieren, indem wir vertrauensvoll beten und arbeiten, in der Gewißheit, daß der Heilige Geist alles Übrige tun wird. Er wird uns die vollständige Einheit schenken, wie und wann es ihm gefallen wird. Und gestärkt durch dieses Vertrauen gehen wir weiter voran auf dem Weg des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe. Der Herr möge uns führen.

Morgen endet die jährliche Gebetswoche für die Einheit der Christen, die in diesem Jahr unter dem Motto steht: „Er macht, daß die Tauben hören und die Stummen sprechen“ (Mc 7,31). Die vergangenen Jahrzehnte des ökumenischen Dialogs erfüllen uns alle mit Dankbarkeit. Zugleich liegt noch ein weiter Weg vor uns. Darum bitten wir voll Vertrauen, daß Gott selbst uns durch das Wirken des Heiligen Geistes zu immer besseren Zuhörern und zu immer mutigeren Verkündern der ungeteilten Botschaft Christi werden lasse.

Das Zweite Vatikanische Konzil erinnert uns daran: „Die Sorge um die Wiederherstellung der Einheit ist Sache der ganzen Kirche, sowohl der Gläubigen wie auch der Hirten, und geht einen jeden an, je nach seiner Fähigkeit, sowohl in seinem täglichen christlichen Leben wie auch bei theologischen und historischen Untersuchungen“ (Unitatis redintegratio UR 5). Gerne denke ich heute an meine zahlreichen Begegnungen mit Vertretern der verschiedenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften im Laufe des vergangen Jahres, in denen ich stets erfahren durfte, wie sehr das Bemühen um die Einheit der Christen ein gemeinsames Anliegen aller Getauften ist.
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Ein herzlichen Gruß richte ich heute an die Pilger und Besucher deutscher Sprache, besonders an die Delegation der Stadt Tittmoning sowie an die Vertreter des Johann-Adam-Möhler-Instituts für Ökumenik in Paderborn, dessen Mitglied ich lange - seit 1959 - gewesen bin. Ich grüße auch herzlich eine Gruppe von lutherischen Pastoren aus Niedersachsen. Christus öffne unsere Ohren und unser Herz, damit wir sein Wort aufnehmen und unseren Mitmenschen verkünden können. Er begleite euch alle mit seinem Segen!




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