Generalaudienzen 2005-2013 7066

Mittwoch, 7. Juni 2006

7066
Liebe Brüder und Schwestern!


Wir nehmen die wöchentlichen Katechesen wieder auf, mit denen wir in diesem Frühjahr begonnen haben. Bei der letzten Katechese vor vierzehn Tagen hatte ich von Petrus als dem Ersten der Apostel gesprochen; heute wollen wir noch einmal auf diese große und wichtige Gestalt der Kirche zurückkommen. Der Evangelist Johannes berichtet von der ersten Begegnung Jesu mit Simon, dem Bruder des Andreas, und erwähnt dabei einen einzigartigen Vorfall: »Jesus blickte ihn an und sagte: Du bist Simon, der Sohn des Johannes, du sollst Kephas heißen. Kephas bedeutet: Fels (Petrus)« (
Jn 1,42). Gewöhnlich änderte Jesus die Namen seiner Jünger nicht. Sieht man von dem Beinamen »Donnersöhne« ab, den er in einer ganz bestimmten Situation auf die Söhne des Zebedäus anwandte (vgl. Mc 3,17) und der später nicht mehr gebraucht wurde, so hat er nie einem Jünger einen neuen Namen gegeben. Bei Simon hingegen hat er das getan, als er ihn »Kephas« nannte. Dieser Name wurde dann im Griechischen zu »Petros«, im Lateinischen zu »Petrus«. Und er wurde eben deshalb übersetzt, weil es sich nicht bloß um einen Namen handelte; es war ein »Auftrag«, den Petrus auf diese Weise vom Herrn erhielt. Der neue Name »Petrus« kehrt in den Evangelien dann mehrmals wieder und ersetzt schließlich den ursprünglichen Namen Simon.

Diese Tatsache nimmt besondere Bedeutung an, wenn man bedenkt, daß im Alten Testament die Namensänderung im allgemeinen der Übertragung einer Sendung vorausging (vgl. Gn 17,5 32,28ff.; usw. ). Tatsächlich gibt es zahlreiche Hinweise auf den Willen Christi, Petrus eine besondere Stellung innerhalb des Apostelkollegiums zu geben: In Kafarnaum geht der Meister in das Haus des Petrus, um dort zu übernachten (vgl. Mc 1,29); als sich das Volk am Ufer des Sees Gennesaret um ihn drängt, wählt Jesus von den beiden dort liegenden Booten das Boot des Simon aus (vgl. Lc 5,3); wenn Jesus sich in besonderen Situationen nur von drei Jüngern begleiten läßt, wird Petrus stets als erster der Gruppe erwähnt: so bei der Auferweckung der Tochter des Jairus (vgl. Mc 5,37 Lc 8,51), bei der Verklärung (vgl. Mc 9,2 Mt 17,1 Lc 9,28) und schließlich während der Agonie im Garten Getsemani (vgl. Mc 14,33 Mt 26,37). Und weiter: An Petrus wenden sich die Steuereintreiber des Tempels, und der Meister zahlt nur für sich und für ihn (vgl. Mt 17,24-27); dem Petrus wäscht Jesus beim Letzten Abendmahl als erstem die Füße (vgl. Jn 13,6), und nur für ihn betet er, damit sein Glaube nicht erlischt und er dann die anderen Jünger im Glauben stärken kann (vgl. Lc 22,30-31).

Petrus selbst ist sich dieser besonderen Stellung auch bewußt: Er ist es, der oft auch im Namen der anderen spricht, und um die Erklärung eines schwierigen Gleichnisses bittet (vgl. Mt 15,15) oder nach dem genauen Sinn eines Gebotes fragt (Mt 18,21) oder die förmliche Zusage einer Belohnung erbittet (vgl. Mt 19,27). Insbesondere ist er es, der gewissen Situationen ihre Verlegenheit nimmt, indem er im Namen aller eingreift. Als Jesus beispielsweise wegen des Unverständnisses der Menge nach seiner Rede über das »Brot des Lebens« betrübt ist und fragt: »Wollt auch ihr weggehen?«, antwortet Petrus mit Entschiedenheit: »Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens« (vgl. Jn 6,67-69). Ebenso deutlich ist das Glaubensbekenntnis, das er, wieder im Namen der Zwölf, bei Cäsarea Philippi ablegt. Auf die Frage Jesu: »Für wen haltet ihr mich?«, antwortet Petrus: »Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!« (Mt 16,15-16). Als Erwiderung spricht Jesus daraufhin die feierliche Erklärung aus, die ein für allemal die Rolle des Petrus in der Kirche festlegt: »Ich aber sage dir: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen … Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein« (Mt 16,18-19). Die drei Metaphern, auf die Jesus zurückgreift, sind in sich sehr deutlich: Petrus wird der »Felsengrund« sein, auf dem das Gebäude der Kirche stehen wird; er wird die »Schlüssel« des Himmelreichs besitzen, um es für Menschen zu öffnen oder zu verschließen, so wie er es bei jedem für richtig hält; schließlich wird er »binden« und »lösen« können, in dem Sinne, daß er festlegen oder verbieten kann, was er für das Leben der Kirche, die die Kirche Christi ist und bleibt, als notwendig erachtet. Die Kirche ist immer die Kirche Christi und nicht die des Petrus. So wird in sehr anschaulichen Bildern das beschrieben, was in der späteren theologischen Reflexion mit dem Begriff »Jurisdiktionsprimat« bezeichnet werden wird.

Diese Vorrangstellung, die Jesus dem Petrus zuerkannt hat, begegnet uns auch nach der Auferstehung: Jesus beauftragt die Frauen, die Auferstehung dem Petrus gesondert von den anderen Aposteln zu verkündigen (vgl. Mc 16,7); zu ihm und zu Johannes läuft Maria von Magdala, um diesen mitzuteilen, daß der Stein vom Eingang des Grabes weggenommen ist (vgl. Jn 20,2), und Johannes wird ihm den Vortritt lassen, als die beiden vor dem leeren Grab angekommen sind (vgl. Jn 20,4-6); Petrus wird dann unter den Aposteln der erste Zeuge einer Erscheinung des Auferstandenen sein (vgl. Lc 24,34 1Co 15,5). Seine Rolle, die deutlich unterstrichen wird (vgl. Joh 20,3-10), betont die Kontinuität zwischen der Vorrangstellung, die Petrus in der Gruppe der Apostel hatte, und der Vorrangstellung, die er, wie die Apostelgeschichte bezeugt, in der Gemeinde haben wird, die mit dem Ostergeschehen entstanden ist (vgl. Ac 1,15-26 Ac 2,14-40 Ac 3,12-26 Ac 4,8-12 Ac 5,1-11 Ac 5,29 Ac 8,14-17 Ac 10; usw.). Sein Verhalten wird als so entscheidend angesehen, daß es aufmerksam beobachtet wird und auch Kritik unterworfen ist (vgl. Ac 11,1-18 Ga 2,11-14). Beim sogenannten Konzil von Jerusalem kommt Petrus eine Leitungsfunktion zu (vgl. Ac 15 und Ga 2,1-10), und eben weil er Zeuge des wahren Glaubens ist, wird auch Paulus in ihm in gewisser Weise den »Ersten« erkennen (vgl. 1Co 15,5 Ga 1,18 Ga 2,7f.; usw.). Verschiedene auf Petrus bezogene Schlüsseltexte können auf den Kontext des Letzten Abendmahls zurückgeführt werden, in dem Christus dem Petrus den Auftrag gibt, seine Brüder zu stärken (vgl. Lc 22,31f.). Das zeigt, daß die Kirche, die aus dem österlichen Gedächtnis entsteht, das in der Eucharistie gefeiert wird, in dem Petrus anvertrauten Amt eines ihrer grundlegenden Elemente besitzt.

Dieses Hineinstellen des Primats des Petrus in den Kontext des Letzten Abendmahls, in den Augenblick der Einsetzung der Eucharistie, des Pascha des Herrn, weist auch auf den letztendlichen Sinn dieses Primats hin: Petrus muß für alle Zeiten der Hüter der Gemeinschaft mit Christus sein; er muß zur Gemeinschaft mit Christus hinführen; er muß dafür Sorge tragen, daß das Netz nicht reißt und so die universale Gemeinschaft fortdauern kann. Nur gemeinsam können wir mit Christus sein, der der Herr aller Menschen ist. Bei Petrus liegt also die Verantwortung, mit der Liebe Christi die Gemeinschaft mit Christus zu gewährleisten, indem er zur Umsetzung dieser Liebe im täglichen Leben hinführt. Beten wir darum, daß der Primat des Petrus, der einfachen Menschen anvertraut worden ist, immer in diesem ursprünglichen, vom Herrn gewollten Sinn ausgeübt werden kann und so von den Brüdern, die noch nicht in voller Gemeinschaft mit uns stehen, immer mehr in seiner wahren Bedeutung erkannt werden kann.

Heute möchte ich mit euch weiter über Simon Petrus und seine Stellung im Kreis der Apostel nachdenken. Das Evangelium berichtet uns, daß Simon bei seiner Berufung einen neuen Namen erhält. Jesus blickt „den Sohn des Johannes“ an und sagt ihm: „Du sollst Kephas heißen.“ Der Evangelist fügt erläuternd hinzu: „Kephas bedeutet Fels - Petrus“ (Jn 1,42). Diese Namensgebung zu Beginn der Mission des „Menschenfischers“ unterstreicht die ihm vom Herrn selbst zugedachte hervorgehobene Rolle unter den Jüngern. Immer wieder ist es Petrus, der im Namen der anderen Apostel spricht. Auf sein Bekenntnis zu Jesus „Du bist der Sohn des lebendigen Gottes!“ erhält er den Auftrag und die Vollmacht des Herrn: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen“ (vgl. Mt 16,15-18). Die anschaulichen Worte des Evangeliums von den „Schlüsseln des Himmelreichs“ und vom Mandat Petri zu „binden“ und zu „lösen“ begründen später den mit dem Petrusamt verbundenen Jurisdiktionsprimat. Wir sehen, liebe Freunde, die Vorrangstellung Petri im Apostelkollegium setzt sich fort in der Gemeinschaft der Kirche. Einen ersten Hinweis darauf finden wir in den Berichten über das „Apostelkonzil in Jerusalem“, bei dem Petrus eine Leitungsfunktion innehat (Ac 15 Ga 2,1-10).
* * *


Ein herzliches Willkommen sage ich allen Pilgern und Besuchern deutscher Zunge. Unter den vielen Gruppen, die ich gerne namentlich grüßen würde, kann ich hier nur einige nennen: die Delegation der Stadt Altötting, Mitarbeiter des Erzbistums München und Freising, die Mesnerwallfahrt der Diözese Eichstätt und die Bayerische Studentenverbindung Rhaetia. Bleibt alle stets in lebendiger Einheit mit Petrus und unterstützt den Papst, den Nachfolger Petri, mit eurem Gebet. Euch allen wünsche ich eine gesegnete Zeit hier in Rom!



Mittwoch, 14. Juni 2006

14066

Liebe Brüder und Schwestern!


In den letzten beiden Katechesen haben wir von der Gestalt des hl. Petrus gesprochen. Jetzt wollen wir, soweit es die Quellen erlauben, auch die anderen elf Apostel ein wenig näher kennenlernen. Daher sprechen wir heute vom Bruder des Simon Petrus, dem hl. Andreas, der ebenfalls einer der Zwölf ist. Die erste Eigenschaft, die bei Andreas auffällt, ist der Name: Es ist kein hebräischer Name, wie man es sich eigentlich erwarten würde, sondern ein griechischer Name; das ist ein nicht unbedeutendes Zeichen einer gewissen kulturellen Aufgeschlossenheit seiner Familie. Wir befinden uns in Galiläa, wo die griechische Sprache und Kultur ziemlich stark vertreten sind. In den Aufzählungen der Apostel steht Andreas an zweiter Stelle - bei Matthäus (10,1-4) und Lukas (6,13-16) - beziehungsweise an vierter Stelle - bei Markus (
Mc 3,13-19) und in der Apostelgeschichte (1,13-14). Auf jeden Fall besaß er innerhalb der ersten christlichen Gemeinden sicherlich großes Ansehen.

Die Blutsbande zwischen Petrus und Andreas sowie ihre gemeinsame Berufung durch Jesus gehen aus den Evangelien deutlich hervor. Dort ist zu lesen: »Als Jesus am See von Galiläa entlangging, sah er zwei Brüder, Simon, genannt Petrus, und seinen Bruder Andreas; sie warfen gerade ihr Netz in den See, denn sie waren Fischer. Da sagte er zu ihnen: Kommt her, folgt mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen« (Mt 4,18-19; vgl. Mc 1,16-17). Dem Vierten Evangelium entnehmen wir ein weiteres wichtiges Detail: Zuerst war Andreas ein Jünger Johannes des Täufers gewesen; das zeigt uns, daß er ein Suchender war, ein Mann, der die Hoffnung Israels teilte und der das Wort des Herrn, die Wirklichkeit des gegenwärtigen Herrn näher kennenlernen wollte. Er war wirklich ein Mann des Glaubens und der Hoffnung; und eines Tages hörte er, daß Johannes der Täufer Jesus als »das Lamm Gottes« bezeichnete (Jn 1,36); da beeilte er sich und folgte zusammen mit einem anderen Jünger, dessen Name nicht erwähnt wird, Jesus, demjenigen, den Johannes »Lamm Gottes« nannte. Der Evangelist berichtet: Sie »sahen, wo er wohnte, und blieben jenen Tag bei ihm« (Jn 1,37-39). Andreas erlebte also kostbare Augenblicke enger Vertrautheit mit Jesus. Die Erzählung geht weiter mit einer bedeutsamen Anmerkung: »Andreas, der Bruder des Simon Petrus, war einer der beiden, die das Wort des Johannes gehört hatten und Jesus gefolgt waren. Dieser traf zuerst seinen Bruder Simon und sagte zu ihm: Wir haben den Messias gefunden. Messias heißt übersetzt: der Gesalbte (Christus). Er führte ihn zu Jesus« (Jn 1,40-42) und bewies damit sofort einen außergewöhnlichen apostolischen Geist. Andreas war also der erste der Apostel, der berufen wurde, Jesus nachzufolgen. Aus diesem Grund ehrt ihn die Liturgie der byzantinischen Kirche mit dem Beinamen Protóklitos, was eben »der Erstberufene« bedeutet. Und sicher ist, daß sich auch wegen der brüderlichen Beziehung zwischen Petrus und Andreas die Kirche von Rom und die Kirche von Konstantinopel in besonderer Weise untereinander als Schwesterkirchen fühlen. Um diese Beziehung hervorzuheben, hat mein Vorgänger Papst Paul VI. im Jahre 1964 die berühmte Reliquie des hl. Andreas, die bis dahin in der Vatikanischen Basilika aufbewahrt worden war, dem orthodoxen Metropoliten der Stadt Patras in Griechenland zurückgegeben, wo der Überlieferung nach der Apostel gekreuzigt wurde.

Darüber hinaus erwähnen die Überlieferungen der Evangelien den Namen des Andreas besonders im Zusammenhang mit drei weiteren Ereignissen, durch die wir diesen Mann noch ein wenig besser kennenlernen können. Das erste ist die Brotvermehrung in Galiläa. In jener schwierigen Lage war es Andreas, der Jesus auf die Anwesenheit eines kleinen Jungen aufmerksam machte, der fünf Gerstenbrote und zwei Fische bei sich hatte: viel zu wenig - so stellte er heraus - für all die Menschen, die an jenem Ort zusammengekommen waren (vgl. Jn 6,8-9). Der Realismus des Andreas verdient dabei hervorgehoben zu werden: Er sah den kleinen Jungen - er hatte sich also schon gesagt: »Doch was ist das für so viele!« (ebd.) - und merkte, daß dessen geringe Vorräte nicht ausreichten. Jesus jedoch vermochte es zu bewirken, daß sie ausreichten für die Menschenmenge, die gekommen war, um ihm zuzuhören. Das zweite Ereignis geschah in Jerusalem. Als sie aus der Stadt herausgingen, machte einer der Jünger Jesus auf den Anblick der gewaltigen Mauern aufmerksam, die den Tempel trugen. Die Antwort des Meisters war überraschend: Er sagte, daß von jenen Mauern kein Stein auf dem andern bleiben würde. Da befragte ihn Andreas, zusammen mit Petrus, Jakobus und Johannes: »Sag uns, wann wird das geschehen, und an welchem Zeichen wird man erkennen, daß das Ende von all dem bevorsteht?« (Mc 13,1-4). Als Antwort auf diese Frage hielt Jesus eine wichtige Rede über die Zerstörung Jerusalems und über das Ende der Welt und forderte seine Jünger auf, die Zeichen der Zeit aufmerksam zu lesen und immer wachsam zu bleiben. Aus dieser Begebenheit können wir schließen, daß wir keine Angst haben brauchen, Jesus Fragen zu stellen, daß wir jedoch gleichzeitig bereit sein müssen, die Lehren, die er uns erteilt, anzunehmen, auch die überraschenden und schwierigen.

In den Evangelien wird schließlich noch von einer dritten Initiative des Andreas berichtet. Der Schauplatz ist wiederum Jerusalem, kurz vor der Passion. Zum Paschafest waren - so berichtet Johannes - auch einige Griechen, wahrscheinlich Proselyten oder Gottesfürchtige, in die Heilige Stadt gekommen, um am Paschafest den Gott Israels anzubeten. Andreas und Philippus, die beiden Apostel mit griechischen Namen, fungieren als Dolmetscher und Vermittler dieser kleinen Gruppe von Griechen bei Jesus. Die Antwort des Herrn auf ihre Frage erscheint - wie so oft im Johannesevangelium - rätselhaft, aber gerade so erweist sich ihr Bedeutungsreichtum. Jesus sagt den beiden Jüngern und durch sie der griechischen Welt: »Die Stunde ist gekommen, daß der Menschensohn verherrlicht wird. Amen, amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht« (Joh 12,23-24). Was bedeuten diese Worte in diesem Zusammenhang? Jesus will sagen: Ja, die Begegnung zwischen mir und den Griechen wird stattfinden, aber nicht als einfaches kurzes Gespräch zwischen mir und einigen Menschen, die vor allem von der Neugier getrieben sind. Mit meinem Tod, der mit dem Fallen eines Weizenkorns in die Erde vergleichbar ist, wird die Stunde meiner Verherrlichung kommen. Von meinem Tod am Kreuz wird große Fruchtbarkeit ausgehen: Das »tote Weizenkorn« - Symbol für mich als den Gekreuzigten - wird in der Auferstehung zum Brot des Lebens für die Welt werden; es wird Licht für die Völker und Kulturen sein. Ja, die Begegnung mit der griechischen Seele, mit der griechischen Welt wird in jener Tiefe verwirklicht werden, auf die die Geschichte vom Weizenkorn anspielt, das die Kräfte der Erde und des Himmels anzieht und zu Brot wird. Mit anderen Worten, Jesus prophezeit die Kirche der Griechen, die Kirche der Heiden, die Kirche der Welt als Frucht seines Pascha.

Sehr alte Überlieferungen sehen in Andreas, der den Griechen dieses Wort übermittelt hat, nicht nur den Dolmetscher einiger Griechen bei der eben erwähnten Begegnung mit Jesus, sondern sie betrachten ihn als Apostel der Griechen in den Jahren, die auf die Pfingstereignisse folgten; sie lassen uns wissen, daß er für den Rest seines Lebens Verkünder und Sprachrohr Jesu für die griechische Welt war. Petrus, sein Bruder, gelangte von Jerusalem über Antiochia nach Rom, um hier seine universale Sendung auszuüben; Andreas hingegen war der Apostel der griechischen Welt: So erscheinen sie im Leben und im Tod als wirkliche Brüder - und das kommt symbolisch zum Ausdruck in der besonderen Beziehung der Bischofssitze von Rom und Konstantinopel, die wirklich Schwesterkirchen sind. Eine spätere Überlieferung berichtet, wie schon angedeutet, vom Tod des Andreas in Patras, wo auch er durch die Kreuzigung hingerichtet wurde. In jener großen Stunde jedoch bat er, ebenso wie es sein Bruder Petrus tat, darum, an ein Kreuz gehängt zu werden, das sich vom Kreuz Jesu unterschied. In seinem Fall handelte es sich um ein x-förmiges Kreuz, das heißt ein Kreuz mit zwei diagonal verlaufenden Balken, das deshalb auch »Andreaskreuz« genannt wurde. Einem antiken Bericht vom Anfang des 6. Jahrhunderts zufolge, der den Titel Passion des Andreas trägt, soll der Apostel damals gesagt haben: »Gegrüßet seist du, o Kreuz, das du durch den Leib Christi geweiht und von seinen Gliedern wie mit kostbaren Perlen geschmückt wurdest. Bevor der Herr dich bestieg, hattest du irdische Angst eingeflößt. Jetzt hingegen bist du mit himmlischer Liebe ausgestattet und wirst deshalb wie eine Gabe empfangen. Die Gläubigen wissen von dir, welch große Freude du besitzt, wie viele Geschenke du bereithältst. Nun komme ich sicher und voller Freude zu dir, damit du auch mich unter Jubel als Jünger dessen empfängst, der an dich gehängt wurde… O seliges Kreuz, das du die Majestät und Schönheit der Glieder des Herrn empfingst! … Nimm mich, führe mich weit weg von den Menschen und gib mich meinem Meister zurück - auf daß mich durch dich derjenige empfange, der mich durch dich erlöst hat. Gegrüßet seist du, o Kreuz; ja, sei wahrhaft gegrüßt!« Wie man sieht, tritt hier eine sehr tiefe christliche Spiritualität zutage, die im Kreuz nicht so sehr ein Folterwerkzeug sieht als vielmehr das herausragende Mittel für eine vollkommenen Angleichung an den Erlöser, an das in die Erde gefallene Weizenkorn. Wir müssen daraus eine sehr wichtige Lehre ziehen: Unsere Kreuze erhalten einen Wert, wenn sie als Teil des Kreuzes Christi betrachtet und angenommen werden, wenn der Abglanz seines Lichtes sie erreicht. Nur von jenem Kreuz werden auch unsere Leiden geadelt und erhalten ihren wahren Sinn.

Der Apostel Andreas möge uns also lehren, Jesus bereitwillig nachzufolgen (vgl. Mt 4,20 Mc 1,18), allen Menschen, denen wir begegnen, mit Begeisterung von ihm zu erzählen und vor allem eine Beziehung echter Vertrautheit mit ihm zu pflegen, im Bewußtsein, daß wir nur in ihm den letzten Sinn unseres Lebens und unseres Todes finden können.

Nach den Katechesen über Petrus richtet sich unsere Betrachtung heute auf seinen Bruder, den Apostel Andreas. Im Evangelium haben wir gehört, daß Johannes der Täufer Andreas und einen weiteren Jünger auf Jesus aufmerksam macht. Andreas erkennt in Jesus schon bei dieser ersten Begegnung den Messias. Daraufhin wird er selbst zum Apostel und führt auch seinen Bruder Simon Petrus zum Meister. Kurze Zeit später treten Andreas und sein Bruder Petrus am See von Galiläa vollständig in die Nachfolge Christi. Namentlich wird Andreas auch bei der Brotvermehrung und bei der Rede über den Untergang Jerusalems erwähnt. Wenige Tage vor dem Leiden Jesu wirkt dieser Apostel, der einen griechischen Namen trägt, gemeinsam mit Philippus als Vermittler für eine Gruppe von gottesfürchtigen Griechen, die Jesus sehen wollen. Dieser antwortet mit einem gleichnishaften Hinweis auf seinen Erlösertod und die Vielzahl der Menschen, die dadurch Leben und Heil erlangen werden. Der Apostel Andreas bezeugt diese Frohe Botschaft später mit seinem Wort und seinem Märtyrertod im griechischen Kulturkreis. Unter den Christen dort, die ihn mit dem Ehrentitel des „Erstberufenen“ anrufen, genießt er besondere Verehrung.
* * *


Mit diesen Gedanken grüße ich die Pilger und Besucher aus den deutschsprachigen Ländern. Das Beispiel des Apostels Andreas möge euch allen zum Ansporn für ein wahrhaft christliches Leben werden. Laßt euch von Christus rufen, folgt ihm nach und werdet zu Zeugen seiner göttlichen Erlöserliebe. Dazu erbitte ich euch von Herzen Gottes reichen Segen. - Einen frohen und gesegneten Tag!



Mittwoch, 21. Juni 2006: Jakobus, der Ältere

21066
Liebe Brüder und Schwestern!

Wir wollen mit der Reihe der Porträts der Apostel fortfahren, die Jesus, als er auf Erden lebte, direkt erwählt hat. Wir haben bereits vom hl. Petrus und seinem Bruder Andreas gesprochen. Heute begegnen wir der Gestalt des Jakobus. Die biblischen Aufzählungen der Zwölf erwähnen zwei Personen dieses Namens: Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und Jakobus, den Sohn des Alphäus (vgl.
Mc 3,17-18 Mt 10,2-3), die gewöhnlich durch ihre Beinamen als Jakobus der Ältere und Jakobus der Jüngere unterschieden werden. Diese Bezeichnungen wollen gewiß nicht Ausdruck für das Maß ihrer Heiligkeit sein, sondern nur der unterschiedlichen Bedeutung Rechnung tragen, die sie in den Schriften des Neuen Testaments und besonders im Rahmen des irdischen Lebens Jesu erhalten. Heute widmen wir unsere Aufmerksamkeit der ersten dieser beiden gleichnamigen Persönlichkeiten.

Der Name Jakobus ist die Übersetzung von Iákobos, der gräzisierten Form des Namens des berühmten Erzvaters Jakob. Der Apostel dieses Namens ist der Bruder des Johannes und nimmt in den oben genannten Aufzählungen bei Markus (Mc 3,17) den zweiten Platz gleich nach Petrus ein oder - im Matthäus- (10,2) und im Lukasevangelium (6,14) - den dritten Platz nach Petrus und Andreas, während er in der Apostelgeschichte nach Petrus und Johannes genannt wird (1,13). Dieser Jakobus gehört zusammen mit Petrus und Johannes zur Gruppe jener drei bevorzugten Jünger, die Jesus an bedeutenden Augenblicken seines Lebens teilnehmen ließ.

Da es sehr heiß ist, möchte ich mich kurz fassen und hier nur zwei dieser Begebenheiten erwähnen. Er durfte, zusammen mit Petrus und Johannes, an der Stunde der Agonie Jesu im Garten Getsemani und am Ereignis der Verklärung Jesu teilhaben. Es handelt sich also um Situationen, die sehr verschieden voneinander sind: Im einen Fall erlebt Jakobus zusammen mit den beiden anderen Aposteln die Herrlichkeit des Herrn, er sieht ihn mit Mose und Elija sprechen, er sieht in Jesus den Glanz der göttlichen Herrlichkeit aufleuchten; im anderen Fall steht er vor dem Leiden und der Erniedrigung, er sieht mit eigenen Augen, wie sich der Sohn Gottes erniedrigt und gehorsam ist bis zum Tod. Die zweite Erfahrung war für ihn sicherlich eine Gelegenheit, um im Glauben zu reifen und die einseitige, triumphalistische Interpretation der ersten Erfahrung zu korrigieren: Er mußte erkennen, daß der vom jüdischen Volk als Triumphator erwartete Messias in Wirklichkeit nicht nur von Ehre und Herrlichkeit umgeben war, sondern auch von Leid und Schwäche. Die Herrlichkeit Christi verwirklicht sich gerade am Kreuz, in der Teilhabe an unseren Leiden.

Dieses Heranreifen des Glaubens wurde vom Heiligen Geist an Pfingsten vollendet, so daß Jakobus, als für ihn die Stunde des höchsten Zeugnisses gekommen war, sich ihm nicht entzog. Am Anfang der vierziger Jahre des ersten Jahrhunderts ließ König Herodes Agrippa, ein Enkel Herodes’ des Großen, nach dem Bericht des Lukas »einige aus der Gemeinde verhaften und mißhandeln. Jakobus, den Bruder des Johannes, ließ er mit dem Schwert hinrichten« (Ac 12,1-2). Diese knappe Notiz ohne jedes erzählerische Detail zeigt einerseits, wie normal es für die Christen gewesen sein muß, mit ihrem Leben für den Herrn Zeugnis abzulegen, und andererseits, welch herausragende Stellung Jakobus in der Kirche von Jerusalem einnahm, auch wegen der Rolle, die er während des irdischen Daseins Jesu innehatte. Eine spätere Überlieferung, die mindestens bis zu Isidor von Sevilla zurückreicht, berichtet, daß sich Jakobus in Spanien aufgehalten habe, um in jener wichtigen Region des Römischen Reiches das Evangelium zu verkünden. Einer anderen Überlieferung zufolge soll sein Leichnam hingegen nach Spanien gebracht worden sein, in die Stadt Santiago de Compostela. Wie wir alle wissen, ist dieser Ort zu einer Stätte großer Verehrung geworden und nach wie vor Ziel zahlreicher Wallfahrten nicht nur aus Europa, sondern aus der ganzen Welt. Daraus erklärt sich die ikonographische Darstellung des hl. Jakobus mit dem Pilgerstab und der Buchrolle des Evangeliums in der Hand, den Kennzeichen des Wanderapostels, der sich der Verkündigung der »Frohen Botschaft« widmet, den Kennzeichen der Pilgerschaft des christlichen Lebens.

Vom hl. Jakobus können wir also vieles lernen: die Bereitschaft, den Ruf des Herrn anzunehmen, auch wenn er uns auffordert, das »Boot« unserer menschlichen Sicherheiten zu verlassen; die Begeisterung, ihm auf den Wegen zu folgen, die er uns zeigt, jenseits all unserer illusorischen Anmaßung; die Bereitschaft, mutig für ihn Zeugnis abzulegen, wenn es sein muß, bis zum höchsten Opfer des Lebens. So steht Jakobus der Ältere vor uns als beredtes Vorbild großherziger Treue zu Christus. Er, der anfangs durch seine Mutter die Bitte ausgesprochen hatte, zusammen mit seinem Bruder neben dem Meister in dessen Reich zu sitzen, war der erste, der den Kelch des Leidens trank, das Martyrium mit den Aposteln teilte.

Und zum Schluß können wir zusammenfassend sagen, daß nicht nur der äußere, sondern vor allem der innere Weg, vom Berg der Verklärung zum Berg der Agonie, die ganze Pilgerschaft des christlichen Lebens symbolisiert, eine Pilgerschaft zwischen den Verfolgungen der Welt und den Tröstungen Gottes, wie das II. Vatikanische Konzil sagt. Wenn wir wie der hl. Jakobus Jesus nachfolgen, wissen wir auch in schwierigen Situationen, daß wir auf dem rechten Weg sind.

In der Fortführung der Katechesen über die einzelnen Apostel betrachten wir heute Jakobus, den Bruder des Johannes. Jakobus, mit dem Beinamen „der Ältere“ in Unterscheidung zum anderen Apostel gleichen Namens, nimmt in der Erzählung von der Berufung der ersten Jünger den dritten Platz nach Petrus und Andreas ein. Er steht aber an zweiter Steller der drei ausgewählten Apostel, die den Herrn bei besonderen Ereignissen begleiten: Zusammen mit Petrus und Johannes ist Jakobus Zeuge der Auferweckung der Tochter des Jaïrus, der Verklärung Jesu und von dessen Todesangst im Garten Getsemani. Christus gibt Jakobus und seinem Bruder Johannes den Beinamen „Donnersöhne“ - offenbar im Hinblick auf ihren ungestümen Eifer. In der Tat beanspruchen die beiden die Plätze rechts und links vom Herrn in seinem Reich; und für die ungastlichen Samariter fordern sie ein Strafgericht. Jesus weist sie zurecht und läutert ihren Eifer. Schließlich ist Jakobus der erste der Zwölf, der im Martyrium sein Leben für Christus hingibt, wie uns die Apostelgeschichte berichtet. Das Grab dieses großen Apostels, das nach alter Tradition in Santiago de Compostela verehrt wird, ist bis heute Ziel unzähliger Pilger.
* * * * *


Gerne heiße ich alle Besucher deutscher Sprache willkommen. Unter den vielen grüße ich heute besonders die Delegation der Stadt Regensburg, den Zentral-Dombau-Verein zu Köln, das St. Gundekar-Werk Eichstätt sowie die Kommunionkinder der deutschen Pfarrei St. Michael in Mailand. Laßt euch alle von der Begeisterung des Jakobus für Christus anstecken. Lernt von ihm, bereitwillig und ohne eigene Forderungen dem Ruf Jesu zu folgen. Der Herr schenke euch die Kraft und die Freude des Heiligen Geistes!



Mittwoch, 28. Juni 2006: Jakobus, der Jüngere

28066

Liebe Brüder und Schwestern!

Neben der Gestalt Jakobus’ »des Älteren«, Sohn des Zebedäus, von dem wir am vergangenen Mittwoch gesprochen haben, kommt in den Evangelien noch ein weiterer Jakobus vor, der »der Jüngere« genannt wird. Auch er scheint in den Listen der von Jesus persönlich erwählten zwölf Apostel auf und wird immer als »der Sohn des Alphäus« bezeichnet (vgl.
Mt 10,3 Mc 3,18 Lc 6,15 Ac 1,13). Er wurde oft mit einem anderen Jakobus identifiziert, der »der Kleine« genannt wird (vgl. Mc 15,40) und Sohn einer Maria war (vgl. ebd.), die »Maria, Frau des Klopas« sein könnte. Sie stand laut dem Vierten Evangelium zusammen mit der Mutter Jesu unter dem Kreuz (vgl. Jn 19,25). Auch Jakobus stammte aus Nazaret und war wahrscheinlich ein Verwandter Jesu (vgl. Mt 13,55 Mc 6,3); deshalb wird er nach semitischem Brauch als dessen »Bruder« bezeichnet (vgl. Mc 6,3 Ga 1,19). Die Apostelgeschichte hebt die herausragende Rolle dieses letztgenannten Jakobus in der Kirche von Jerusalem hervor. Beim Apostelkonzil, das dort nach dem Tod Jakobus’ des Älteren, abgehalten wurde, trat er zusammen mit den anderen dafür ein, daß die Heiden in die Kirche aufgenommen werden konnten, ohne sich vorher der Beschneidung zu unterziehen (vgl. Ac 15,13ff.). Der hl. Paulus, der ihm eine besondere Erscheinung des Auferstandenen zuschreibt (vgl. 1Co 15,7), nennt ihn, als er von seinem eigenen Gang nach Jerusalem berichtet, sogar vor Kephas- Petrus und bezeichnet ihn wie diesen als »Säule« der Kirche (vgl. Ga 2,9). In der Folge sahen die Judenchristen in ihm ihren Hauptbezugspunkt. Ihm wird auch der Brief zugeschrieben, der als Jakobusbrief zum Kanon der neutestamentlichen Schriften gehört. Darin bezeichnet er sich nicht als »Herrenbruder«, sondern als »Knecht Gottes und Jesu Christi, des Herrn« (Jc 1,1).

Unter den Gelehrten wird die Frage der Gleichsetzung dieser beiden Persönlichkeiten mit demselben Namen, Jakobus, Sohn des Alphäus, und Jakobus, der »Herrenbruder«, diskutiert. Die Überlieferungen der Evangelien haben uns weder über den einen noch über den anderen irgendeinen Bericht hinterlassen, der auf die Zeit des irdischen Lebens Jesu Bezug nähme. Die Apostelgeschichte hingegen zeigt uns, daß ein »Jakobus«, wie wir schon erwähnt haben, nach der Auferstehung Jesu eine sehr wichtige Rolle in der Urkirche gespielt hat (vgl. Ac 12,17 15,13-21; Ac 21,18). Die bedeutendste Tat, die er vollbrachte, war seine Stellungnahme in der Frage der schwierigen Beziehung zwischen den Christen jüdischer Herkunft und jenen heidnischer Herkunft: Er hat zusammen mit Petrus dazu beigetragen, die ursprüngliche jüdische Dimension des Christentums zu überwinden - oder, besser gesagt, zu ergänzen - durch die Forderung, den bekehrten Heiden nicht die Verpflichtung aufzuerlegen, sich sämtlichen Vorschriften des mosaischen Gesetzes zu unterwerfen. Die Apostelgeschichte hat uns die von Jakobus vorgeschlagene und von den anderen anwesenden Aposteln angenommene Kompromißlösung überliefert, wonach die Heiden, die an Jesus Christus glauben, nur angewiesen werden sollen, sich des götzendienerischen Brauchs, das Fleisch der den Göttern zum Opfer dargebrachten Tiere zu essen, und der »Unzucht« zu enthalten, ein Begriff, der wahrscheinlich auf bestimmte nicht gestattete eheliche Verbindungen anspielte. Es handelte sich praktisch nur um die Einhaltung weniger Verbote der mosaischen Gesetzgebung, die als sehr wichtig angesehen wurden.

Auf diese Weise gelangte man zu zwei bedeutsamen, einander ergänzenden Ergebnissen, die beide bis heute gültig sind: Auf der einen Seite wurde die unlösbare Beziehung anerkannt, die das Christentum an die jüdische Religion als seinen ewig lebendigen und gültigen Ursprung bindet; auf der anderen Seite wurde den Christen heidnischer Herkunft erlaubt, ihre eigene soziologische Identität beizubehalten, die sie verloren hätten, wenn sie zur Einhaltung der sogenannten mosaischen »Zeremonialvorschriften« gezwungen gewesen wären: Diese sollten nun für die bekehrten Heiden nicht mehr als verpflichtend gelten. Im wesentlichen begann damit eine Praxis gegenseitiger Wertschätzung und Achtung, die trotz bedauerlicher späterer Mißverständnisse ihrem Wesen nach darauf abzielte, das zu bewahren, was für jede der beiden Seiten charakteristisch war.

Die älteste Nachricht über den Tod dieses Jakobus liefert uns der jüdische Historiker Josephus Flavius. In seinem Werk Antiquitates Iudaicae (Jüdische Altertümer, 20,201f.), das er Ende des ersten Jahrhunderts in Rom verfaßte, berichtet er uns, daß der Tod des Jakobus beschlossen worden sei durch eine unrechtmäßige Initiative des Hohenpriesters Anan, Sohn des in den Evangelien bezeugten Hannas. Anan habe die Zeitspanne zwischen der Absetzung eines römischen Statthalters (Festus) und der Ankunft von dessen Nachfolger (Albinus) ausgenützt, um im Jahr 62 die Steinigung des Jakobus durch Dekret zu verfügen.

Mit dem Namen dieses Jakobus ist neben dem apokryphen Protoevangelium des Jakobus, das die Heiligkeit und Jungfräulichkeit Mariens, der Mutter Jesu, hervorhebt, vor allem der Brief verbunden, der seinen Namen trägt. Im Kanon der Schriften des Neuen Testaments nimmt er unter den sogenannten Katholischen Briefen, also den Briefen, die nicht nur an eine einzelne Gemeinde - wie Rom, Ephesus usw. -, sondern an viele Gemeinden gerichtet sind, den ersten Platz ein. Es handelt sich um ein sehr bedeutendes Schreiben, das die Notwendigkeit stark betont, den eigenen Glauben nicht auf eine rein verbales oder abstraktes Bekenntnis zu reduzieren, sondern ihn konkret in guten Werken auszudrücken. Unter anderem fordert er uns zur Beständigkeit in den Prüfungen auf, die mit Freude angenommen werden sollen, und zum vertrauensvollen Gebet, um von Gott die Gabe der Weisheit zu erlangen, durch die wir schließlich begreifen, daß die wahren Werte des Lebens nicht in den vergänglichen Reichtümern, sondern vielmehr in der Fähigkeit liegen, seinen Besitz mit den Armen und Bedürftigen zu teilen (vgl. Jak Jc 1,27).

So zeigt uns der Brief des hl. Jakobus ein sehr konkretes und praxisbezogenes Christentum. Der Glaube muß im Leben verwirklicht werden, vor allem in der Liebe zum Nächsten und besonders im Einsatz für die Armen. Vor diesem Hintergrund muß auch das berühmte Wort gelesen werden: »Denn wie der Körper ohne den Geist tot ist, so ist auch der Glaube tot ohne Werke« (Jc 2,26). Diese Erklärung des Jakobus wurde bisweilen den Aussagen des Paulus entgegengestellt, wonach wir von Gott nicht durch unsere Werke, sondern allein durch unseren Glauben gerechtfertigt werden (vgl. Ga 2,16 Rm 3,28). Doch diese beiden Sätze, die sich aufgrund ihrer unterschiedlichen Sichtweise zu widersprechen scheinen, ergänzen einander in Wirklichkeit, wenn sie richtig ausgelegt werden. Der hl. Paulus widersetzt sich dem Hochmut des Menschen, der meint, er bedürfe der uns zuvorkommenden Liebe Gottes nicht; er widersetzt sich dem Hochmut der Selbstrechtfertigung ohne die Gnade, die ein reines Geschenk und unverdient ist. Der hl. Jakobus hingegen spricht von den Werken als einer ganz normalen Frucht des Glaubens: »Jeder gute Baum bringt gute Früchte«, sagt der Herr (Mt 7,17).

Und der hl. Jakobus wiederholt und sagt es uns. Zuletzt ermahnt uns der Jakobusbrief, uns in allem, was wir tun, den Händen Gottes zu überlassen und dabei immer die Worte zu sprechen: »Wenn der Herr will« (Jc 4,15). So lehrt er uns, uns nicht anzumaßen, unser Leben unabhängig und nur auf unsere eigenen Interessen ausgerichtet zu planen, sondern dem unerforschlichen Willen Gottes Raum zu geben, der das wahrhaft Gute für uns kennt. Auf diese Weise bleibt der hl. Jakobus ein stets zeitgemäßer Lehrmeister des Lebens für jeden von uns.

In der heutigen Katechese betrachten wir den zweiten Apostel, der den Namen Jakobus trägt: Jakobus den Jüngeren oder, wie er in den Apostellisten aufscheint, Jakobus, den Sohn des Alphäus. Die Evangelien machen keine genaueren Angaben über ihn, aber in der Apostelgeschichte lesen wir, daß ein „Jakobus“, der aufgrund seiner nahen Verwandtschaft mit Jesus auch „Herrenbruder“ genannt wird, eine gewichtige Rolle in der frühen Kirche und beim Apostelkonzil in Jerusalem einnimmt. Dort unterbreitet er einen bedeutsamen Vorschlag: Den Heiden, die sich zu Gott bekehrt haben, soll nicht die schwere Last aller mosaischen Gesetzesvorschriften aufgebürdet werden; nur an einige besonders wichtige müssen sie sich halten (vgl. Ac 15,19-20). Schließlich betont der Jakobusbrief, daß der Glaube und die Werke zusammengehören und daß der Glaube ohne die Werke tot ist (vgl. Jak Jc 2,14-26). Dabei geht es nicht um „Werkgerechtigkeit“ oder gar um Selbsterlösung, sondern darum, daß der Glaube und die Gnade Gottes im Leben der Christen durch die Werke der Liebe fruchtbar und sichtbar werden.
* * * * *



Einen herzlichen und frohen Gruß richte ich an dieser Stelle an alle Pilger und Besucher deutscher Sprache, heute besonders an die Teilnehmer der Diözesanwallfahrt Trier und an die Kirchenchöre aus Oberösterreich. Gottes Gnade stärke euren Glauben und lasse ihn allzeit reiche Frucht bringen in Werken der Liebe. Der Herr segne euch und eure Familien!




Generalaudienzen 2005-2013 7066