Generalaudienzen 2005-2013 29049

Mittwoch, 29. April 2009: Der Hl. Germanus, Patriarch von Konstantinopel

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Liebe Brüder und Schwestern!

Patriarch Germanus von Konstantinopel, über den ich heute sprechen möchte, gehört zwar nicht zu den repräsentativsten Gestalten der östlichen christlichen Welt griechischer Sprache, und dennoch erscheint sein Name mit einer gewissen Feierlichkeit in der Liste der großen Verteidiger der heiligen Bilder, die auf dem Zweiten Konzil von Nizäa, dem siebenten ökumenischen Konzil, abgefaßt worden war (787). Die griechische Kirche feiert sein Fest in der Liturgie des 12. Mai. Er spielte eine maßgebende Rolle in der komplexen Geschichte des Kampfes für die Bilderverehrung während der vom sogenannten Ikonoklasmus (Ikonenzerstörung) ausgelösten Krise: Er verstand es, sich dem Druck eines ikonoklastischen Kaisers, also Gegners der Ikonen, wie es Leo III. war, wirksam zu widersetzen.

Während des Patriarchats des Germanus (715-730) hatte die Hauptstadt des Byzantinischen Reiches, Konstantinopel, eine sehr gefährliche Belagerung durch die Sarazenen zu ertragen. In jener Situation (717-718) wurde in der Stadt eine feierliche Prozession mit der Ausstellung des Bildes der Muttergottes, der Theotókos, und der Reliquie des Heiligen Kreuzes abgehalten, um vom Himmel die Verteidigung der Stadt zu erflehen. Tatsächlich wurde Konstantinopel von der Belagerung befreit. Die Feinde beschlossen, für immer die Idee aufzugeben, ihre Hauptstadt in der Stadt zu errichten, die Symbol des christlichen Reiches war, und beim Volk herrschte übergroße Dankbarkeit für die göttliche Hilfe.

Patriarch Germanus war nach jenem Geschehen davon überzeugt, daß das Eingreifen Gottes als eine offenkundige Billigung der den heiligen Ikonen vom Volk erwiesenen Frömmigkeit gesehen werden mußte. Völlig anderer Auffassung war hingegen Kaiser Leo III., der sich gerade in jenem Jahr (717) als unbestrittener Kaiser in der Hauptstadt niederließ, über die er bis 741 herrschte. Nach der Befreiung Konstantinopels und nach einer Reihe weiterer Siege begann der christliche Kaiser immer offenkundiger die Überzeugung zu vertreten, daß die Festigung des Reiches gerade mit einer Neuordnung der Glaubensäußerungen beginnen müßte, unter besonderer Bezugnahme auf die Gefahr des Götzendienstes, der seiner Ansicht nach das Volk aufgrund des übertriebenen Ikonenkults ausgesetzt war.

Die Hinweise des Patriarchen Germanus auf die Überlieferung der Kirche und auf die tatsächliche Wirksamkeit einiger Bilder, die einmütig als »Wunder wirkend« anerkannt waren, nützten nichts. Der Kaiser wurde immer unbeugsamer in der Anwendung seines Restaurationsvorhabens, das die Beseitigung der Ikonen vorsah. Und als er am 7. Januar 730 in einer öffentlichen Sitzung offen gegen die Bilderverehrung Stellung nahm, wollte sich Germanus keinesfalls dem Willen des Kaisers in jenen Fragen beugen, die er als wesentlich für den orthodoxen Glauben hielt, zu dem nach ihm gerade die Bilderverehrung und die Liebe zu den Bildern gehörte. Germanus sah sich infolgedessen gezwungen, als Patriarch zurückzutreten, und verurteilte sich selbst zum Exil in einem Kloster, wo er, nahezu von allen vergessen, starb. Sein Name tauchte dann anläßlich des Zweiten Konzils von Nizäa (787) wieder auf, als sich die orthodoxen Konzilsväter für die Ikonen entschieden und damit die Verdienste des Germanus anerkannten.

Patriarch Germanus pflegte die liturgischen Feiern sehr und für eine gewisse Zeit galt er auch als der Begründer des Festes des »Akáthistos«. Der »Akáthistos«. ist bekanntlich ein antiker und berühmter Hymnus, der im byzantinischen Raum entstanden und der »Theotókos«, der Muttergottes, gewidmet ist. Auch wenn man Germanus in theologischer Hinsicht nicht als einen großen Denker bezeichnen kann, fanden einige seiner Werke vor allem wegen mancher seiner Ansichten zur Mariologie eine gewisse Resonanz. Von ihm sind in der Tat verschiedene Homilien marianischen Inhalts erhalten, und einige von ihnen haben die Frömmigkeit ganzer Generationen von Gläubigen sowohl im Osten wie auch im Westen tief geprägt. Seine wunderbaren »Homilien über die Darstellung Mariens im Tempel« sind noch immer lebendige Zeugnisse einer nicht niedergeschrieben Überlieferung der christlichen Kirchen. Generationen von Ordensfrauen, Mönchen und Mitgliedern unzähliger Institute des geweihten Lebens finden in jenen Texten noch heute sehr kostbare Schätze der Spiritualität.

Staunen erregen noch jetzt einige mariologische Texte des Germanus, die Teil der Homilien »In SS. Deiparae dormitionem« sind, die er an diesem Fest, das unserem Hochfest der Aufnahme Mariens in den Himmel entspricht, gehalten hat. Diesen Texten entnahm Papst Pius XII. einen Abschnitt, den er wie eine Perle in die Apostolische Konstitution Munificentissimus Deus (1950) einfügte, mit der er das Glaubensdogma von der Aufnahme Mariens in den Himmel verkündete. Diesen Text zitierte Papst Pius XII. in der erwähnten Konstitution, wobei er ihn als eines der Argumente für den bleibenden Glauben der Kirche über die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel vorstellte. Germanus schreibt: »Konnte es jemals geschehen, o heiligste Mutter Gottes, daß sich der Himmel und die Erde durch deine Anwesenheit geehrt fühlten und du mit deinem Weggang die Menschen ohne deinen Schutz gelassen hättest? Nein. Dies zu denken, ist unmöglich. Wie dir, als du auf Erden weiltest, die himmlischen Dinge nicht fremd waren, so ist dir auch nach deinem Fortgang aus dieser Welt die Möglichkeit nicht fremd, im Geist zu den Menschen zu sprechen… Mitnichten hast du jene verlassen, denen du das Heil verbürgt hast… In der Tat lebt dein Geist in Ewigkeit, und dein Fleisch blieb unversehrt von der Verwesung im Grab. Du, Mutter, bist allen nahe und behütest alle, und obwohl es unseren Augen nicht gegeben ist, dich zu sehen, wissen wir dennoch, o Heiligste, daß du mitten unter uns allen wohnst und auf verschiedenste Weise gegenwärtig bist… Du (Maria) erscheinst, wie geschrieben steht, ganz in deiner Schönheit. Dein jungfräulicher Leib ist ganz heilig, ganz keusch, ganz Gottes Wohnzelt; so ist er auch deshalb der Auflösung in Staub nicht verfallen. Er ist unveränderbar von dem Augenblick an, wo das, was an ihm menschlich war, in die Unverweslichkeit aufgenommen wurde, er ist lebend und absolut glorreich, unversehrt und des vollkommenen Lebens teilhaftig. Es war in der Tat unmöglich, daß diejenige, die Gefäß Gottes und lebendiger Tempel der allerheiligsten Göttlichkeit des Eingeborenen geworden war, im Grab der Toten verschlossen geblieben wäre. Andererseits glauben wir mit Gewißheit, daß du weiter mit uns gehst« (, coll. 344B-346B, passim).

Es ist gesagt worden, daß für die Byzantiner die Schönheit der rhetorischen Form in der Predigt und mehr noch in den Hymnen oder dichterischen Werken, die sie »tropari« nennen, in der liturgischen Feier ebenso wichtig ist wie die Schönheit des sakralen Gebäudes, in dem sie stattfindet. Der Patriarch Germanus ist in jener Tradition als einer derjenigen anerkannt worden, die viel dazu beigetragen haben, diese Überzeugung lebendig zu erhalten, das heißt, daß die Schönheit des Wortes, der Sprache und die Schönheit des Gebäudes und der Musik übereinstimmen müssen.

Abschließend zitiere ich die an Inspiration reichen Worte, mit denen Germanus zu Beginn dieses seines kleinen Meisterwerkes die Kirche bestimmt: »Die Kirche ist Tempel Gottes, heiliger Raum, Haus des Gebetes, Einberufung des Volkes, Leib Christi… Sie ist der Himmel auf Erden, wo der transzendente Gott wie in seinem Haus wohnt und umhergeht, aber sie ist auch verwirklichtes Zeichen (›antitypos‹) der Kreuzigung, des Grabes und der Auferstehung… Die Kirche ist das Haus Gottes, in dem das mystische und lebendig machende Opfer gefeiert wird, zur selben Zeit innerster Teil des Heiligtums und heilige Grotte. In ihr finden sich nämlich das Grab und der Tisch, Nahrung für die Seele und Gewährleistungen für das Leben. In ihr finden sich schließlich jene wahren kostbaren Perlen, die die göttlichen Dogmen der Lehre sind, die vom Herrn direkt seinen Jüngern geboten wird« (, coll. 384B-385A).

Zum Schluß bleibt die Frage: Was hat uns heute dieser Heilige zu sagen, der uns zeitlich und auch kulturell ziemlich fern steht? Ich denke, es geht im wesentlichen um drei Dinge. Erstens: Es gibt eine gewisse Sichtbarkeit Gottes in der Welt, in der Kirche, die wir wahrzunehmen lernen müssen. Gott hat den Menschen nach seinem Bild geschaffen, aber dieses Bild ist von soviel Schmutz der Sünde bedeckt worden, infolgedessen Gott gleichsam nicht mehr durchschien. So ist der Sohn Gottes wahrer Mensch geworden, vollkommenes Bild Gottes: In Christus können wir so auch das Antlitz Gottes betrachten und lernen, selbst wahre Menschen zu sein, wahre Bilder Gottes. Christus lädt uns ein, ihn nachzuahmen, ihm ähnlich zu werden, so daß in jedem Menschen von neuem das Antlitz Gottes, das Bild Gottes durchscheint. Um die Wahrheit zu sagen: Gott hatte in den Zehn Geboten verboten, Bilder von Gott zu machen, dies aber wegen der Versuchungen des Götzendienstes, denen der Gläubige in einem Umfeld des Heidentums ausgesetzt sein konnte. Als aber Gott in Christus durch die Fleischwerdung sichtbar geworden ist, ist es rechtmäßig geworden, das Antlitz Christi bildlich darzustellen. Die heiligen Bilder lehren uns, Gott in der Darstellung des Antlitzes Christi zu sehen. Nach der Menschwerdung des Sohnes Gottes ist es also möglich geworden, Gott in den Bildern Christi und auch im Antlitz der Heiligen zu sehen, im Antlitz aller Menschen, in denen die Heiligkeit Gottes aufleuchtet.

Das Zweite ist die Schönheit und Würde der Liturgie. Die Liturgie im Bewußtsein der Gegenwart Gottes zu feiern, mit jener Würde und Schönheit, die ein wenig von seinem Glanz sehen läßt, ist die Verpflichtung jedes Christen, der in seinem Glauben gebildet ist. Das Dritte ist, die Kirche zu lieben. Gerade hinsichtlich der Kirche neigen wir Menschen dazu, vor allem die Sünden, das Negative zu sehen; aber mit der Hilfe des Glaubens, der uns befähigt, auf echte Weise zu sehen, können wir auch heute und immer in ihr die göttliche Schönheit entdecken. In der Kirche wird Gott gegenwärtig, bietet er sich uns in der Heiligen Eucharistie an und bleibt anwesend für die Anbetung. In der Kirche spricht Gott mit uns, in der Kirche »geht Gott mit uns«, wie der hl. Germanus sagt. In der Kirche empfangen wir die Vergebung Gottes und lernen wir, zu vergeben.

Bitten wir Gott, daß er uns lehre, in der Kirche seine Gegenwart, seine Schönheit zu sehen, seine Gegenwart in der Welt zu sehen, und daß er uns helfe, daß auch wir sein Licht durchscheinen lassen.

In dieser Katechese möchte ich den Patriarchen Germanus von Konstantinopel vorstellen, der von 715 bis 730 in der Hauptstadt des oströmischen Reiches wirkte. Zu seinen großen Verdiensten gehört die Verteidigung der Verehrung der heiligen Ikonen, besonders in jenen Zeiten der Not, als Konstantinopel die Belagerung durch die Sarazenen unversehrt überstand und man dies dem Gebet der Gläubigen vor den Ikonen zuschrieb. Der oströmische Kaiser Leo III. sah in der Bilderverehrung hingegen eine Gefahr des Aberglaubens und wollte seine Herrschaft durch eine Neuordnung des religiösen Lebens festigen. Germanus konnte dem nicht zustimmen und mußte schließlich ins Exil gehen. Die Frömmigkeit des Patriarchen zeigte sich auch in seiner Liebe zur Schönheit der Liturgie und zur kunstvollen Formulierung der Gebete und Predigten, wie es besonders in der Ostkirche Tradition ist. Noch heute können wir die Erhabenheit und zugleich die freimütige, dialogische Sprache seiner Homilien zur Darstellung Marias im Tempel oder zu ihrer Aufnahme in den Himmel bewundern. So hören wir ihn zu Maria sagen: „Wie dir, als du auf Erden weiltest, die himmlischen Dinge nicht fremd waren, so ist dir auch nach deinem Fortgang aus dieser Welt die Möglichkeit nicht fremd, im Geist zu den Menschen zu sprechen... Du, oh Mutter, bist allen nahe und behütest alle... Wir glauben fest, daß du weiter mit uns gehst.“
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Ganz herzlich heiße ich alle deutschsprachigen Pilger und Besucher willkommen. Besonders grüße ich die niederländischen und belgischen Gäste: unter ihnen Kardinal Simonis, die Bischöfe von Haarlem, Rotterdam, Breda und Antwerpen, die Alumnen des Spätberufenenseminars "Bovendonk" und das Musik-institut der Kathedrale von Haarlem. Vielen Dank für Ihre musikalische Darbietung! Wie der Patriarch Germanus wollen auch wir in der Kirche unsere besten Fähigkeiten und unser ganzes Leben in den Dienst Gottes stellen und durch eine würdig gestaltete Liturgie ihm Lob und Dank darbringen. Christus, der Auferstandene, begleite euch und eure Angehörigen überall mit seinem Segen.



Mittwoch, 6. Mai 2009: Der Hl. Johannes von Damaskus

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Liebe Brüder und Schwestern!

Heute möchte ich über Johannes von Damaskus sprechen, eine Persönlichkeit ersten Ranges in der Geschichte der byzantinischen Theologie, ein großer Kirchenlehrer in der Geschichte der Universalkirche. Er ist vor allem ein Augenzeuge des Übergangs von der im östlichen Teil des Byzantinischen Kaiserreiches verbreiteten griechisch-syrischen christlichen Kultur zur Kultur des Islams, der sich mit seinen militärischen Eroberungen in dem Gebiet ausbreitet, das gewöhnlich als Mittlerer oder Naher Osten bekannt ist. Johannes, der aus einer reichen christlichen Familie stammte, übernahm noch als junger Mann das vielleicht schon von seinem Vater bekleidete Amt eines Verantwortlichen für den Wirtschaftsbereich des Kalifats. Nachdem er jedoch schon bald des Lebens am Hofe überdrüssig geworden war, reifte in ihm die Entscheidung für das monastische Leben, und er trat in das Kloster von Mar Saba bei Jerusalem ein. Das war um das Jahr 700. Er verließ nie das Kloster und widmete sich mit all seinen Kräften der Askese und der literarischen Tätigkeit, war aber auch einer gewissen Seelsorgetätigkeit nicht abgeneigt, wovon vor allem seine zahlreichen Predigten Zeugnis geben. Sein liturgischer Gedenktag wird am 4. Dezember gefeiert. Papst Leo XIII. rief ihn 1890 zum Lehrer der Gesamtkirche aus.

In Erinnerung geblieben sind von ihm im Orient vor allem die drei »Reden gegen die Verleumder der heiligen Bilder«, die nach seinem Tod auf dem ikonoklastischen Konzil von Hiereia verurteilt wurden (754). Gerade diese Reden waren aber auch der Hauptgrund für seine Rehabilitierung und Heiligsprechung durch die zum Zweiten Konzil von Nizäa (787), dem siebten Ökumenischen Konzil, versammelten orthodoxen Konzilsväter. In diesen Texten lassen sich die ersten bedeutenden theologischen Versuche zur Rechtfertigung der Verehrung der heiligen Bilder ausmachen, indem diese mit dem Geheimnis der Fleischwerdung des Sohnes Gottes im Schoß der Jungfrau Maria in Verbindung gebracht wird.

Johannes von Damaskus war zudem einer der ersten, die im öffentlichen und privaten Kult der Christen zwischen Anbetung (»latreia«) und Verehrung (»proskynesis«) unterschieden: erstere darf allein an Gott gerichtet sein und ist in höchstem Sinne geistlich, die zweite hingegen kann ein Bild verwenden, um sich an den zu wenden, der im Bild selbst dargestellt ist. Natürlich darf der Heilige keinesfalls mit der Materie identifiziert werden, aus der die Ikone besteht. Diese Unterscheidung erwies sich sogleich als sehr wichtig für eine christliche Antwort an diejenigen, die die Einhaltung des strengen Verbots des Alten Testaments in bezug auf den kultischen Gebrauch der Bilder als universal und immerwährend forderten. Das war auch die große Diskussion in der islamischen Welt, die diese jüdische Tradition des völligen Ausschlusses von Bildern im Kult akzeptiert. Die Christen hingegen haben in diesem Umfeld das Problem erörtert und die Rechtfertigung für die Bilderverehrung gefunden. Der Damascener schreibt: »In alter Zeit wurde Gott, der Körper- und Gestaltlose, auf keinerlei Art bildlich gestaltet, jetzt aber, nachdem Gott im Fleische erschienen und mit den Menschen umgegangen ist, bilde ich an Gott das Sichtbare ab. Ich verehre nicht die Materie, ich verehre vielmehr den Schöpfer der Materie, denjenigen, der meinetwillen Materie geworden ist, der es auf sich genommen hat, in Materie zu wohnen, und der durch die Materie mein Heil gewirkt hat, und ich werde nicht aufhören, die Materie zu verehren, durch die mein Heil gewirkt ist. Ich verehre sie aber nicht als Gott - das sei ferne; denn wie könnte das, was aus Nicht-Seiendem sein Werden erhalten hat, Gott sein?… Die übrige Materie, durch die mein Heil zustande gekommen ist, verehre und achte ich als voll von göttlichem Wirken und göttlicher Gnade. Ist nicht Materie das Holz des Kreuzes, dreimal glücklich und dreimal selig?… Ist nicht Materie die Tinte und das hochheilige Evangelienbuch? Ist nicht Materie der lebensspendende Tisch, der uns das Brot des Lebens darbietet? … Sind nicht Materie vor all diesen Dingen der Leib und das Blut meines Herrn? Nimm all diesen Dingen ihre Würde und Verehrung weg, oder gestehe der kirchlichen Tradition auch die Verehrung der Bilder Gottes und der seiner Freunde zu, die durch den Namen Gottes geheiligt und deshalb von der Gnade des göttlichen Geistes geschmückt werden! Mache die Materie nicht schlecht; denn sie ist nicht wertlos! Nichts nämlich ist wertlos, was von Gott stammt« (Erste Verteidigungsschrift gegen diejenigen, welche die heiligen Bilder verwerfen, 16, dt. Ausgabe, Leipzig 1994, S. 39-40). Wir sehen, daß die Materie aufgrund der Fleischwerdung gleichsam vergöttlicht erscheint, als Wohnstatt Gottes gesehen wird. Es handelt sich um eine neue Sicht der Welt und der materiellen Wirklichkeiten. Gott ist Fleisch geworden, und das Fleisch ist wirklich zur Wohnstatt Gottes geworden, dessen Herrlichkeit im menschlichen Antlitz Christi erstrahlt. Daher sind die Anmahnungen des östlichen Kirchenlehrers noch heute von äußerster Aktualität angesichts der großen Würde, die die Materie in der Fleischwerdung erhalten hat, so daß sie im Glauben zum Zeichen und wirksamen Sakrament der Begegnung des Menschen mit Gott werden kann. Johannes von Damaskus bleibt also ein Hauptzeuge der Ikonenverehrung, die bis heute einer der hervorstechendsten Aspekte der östlichen Theologie und Spiritualität ist. Es ist jedoch eine Form des Kultes, die schlicht und einfach zum christlichen Glauben gehört, zum Glauben an jenen Gott, der Fleisch geworden ist und sich sichtbar gemacht hat. Die Lehre des hl. Johannes von Damaskus fügt sich somit in die Überlieferung der Gesamtkirche ein, deren Sakramentenlehre vorsieht, daß aus der Natur entnommene materielle Elemente kraft der Anrufung (»epiklesis«) des Heiligen Geistes, die vom Bekenntnis des wahren Glaubens begleitet ist, zum Vermittler von Gnade werden können.

Im Rahmen dieser grundsätzlichen Gedanken stellt Johannes von Damaskus auch die Verehrung der Reliquien von Heiligen auf die Grundlage der Überzeugung, daß die christlichen Heiligen, da sie der Auferstehung Christi teilhaftig geworden sind, nicht einfach als »Tote« betrachtet werden können. Indem er zum Beispiel jene Heiligen aufzählt, deren Reliquien oder Bilder verehrungswürdig sind, stellt er in seiner Dritten Rede zur Verteidigung der Bilder klar: »Zuerst (verehren wir) diejenigen, in denen Gott ruht, der einzige Heilige und unter Heiligen Ruhende (vgl.
Is 57,15), ebenso die heilige Gottesgebärerin und alle Heiligen. Es sind diejenigen, die ihren Kräften entsprechend auf Grund ihrer Erwählung, Gottes Einwohnen in ihnen und ihrer Mitarbeit Gott ähnlich geworden sind, die man in Wahrheit auch Götter nennt (vgl. Ps 82,6), nicht von Natur aus, sondern nach Übereinkunft, so wie man das glühende Eisen Feuer nennt, nicht von Natur aus, sondern nach Übereinkunft und Teilhabe am Feuer. Denn Gott spricht: ›Seid heilig, denn ich bin heilig‹ (nach Lv 19,2)« (Dritte Verteidigungsschrift gegen diejenigen, welche die heiligen Bilder verwerfen, 33, , S. Dt 118). Nach einer Reihe von Hinweisen dieser Art konnte der Damaszener daher ruhig den Schluß ziehen: »Der gute, übergute Gott hat sich nicht mit der Betrachtung seiner selbst begnügt, nein, im Übermaße seiner Güte hat er gewollt, daß von ihm wohlgelittene Wesen seien, die an seiner Güte Anteil haben könnten: Daher schuf er aus dem Nichts alle Dinge, die sichtbaren und die unsichtbaren, einschließlich den Menschen, sichtbare und unsichtbare Wirklichkeit. Und er schuf ihn, indem er ihn als ein zum Denken fähiges Wesen (›ennoema ergon‹) dachte und ihn als solches verwirklichte, das mit dem Wort angereichert (›logo[i] sympleroumenon‹) und auf den Geist ausgerichtet (›pneumati teleioumenon‹) ist« (Genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens, II, 2, PG 94, col. 865A). Und um den Gedanken weiter zu erläutern, fügt er hinzu: »Man muß sich von Staunen (›thaumazein‹) über alle Werke der Vorsehung (›tes pronoias erga‹) erfüllen lassen, alle muß man loben und annehmen, wobei die Versuchung zu überwinden ist, in ihnen Seiten auszumachen, die vielen unrecht oder ungerecht (›adika‹) erscheinen, und dagegen zugegeben wird, daß der Plan Gottes (›pronoia‹) über die Fähigkeit des Erkennens und Begreifens (›agnoston kai akatalepton‹) des Menschen hinausgeht, während im Gegenteil hierzu allein er unsere Gedanken, unsere Handlungen und sogar unsere Zukunft kennt« (ebd., II, 29, , col. 964C). Im übrigen sagte schon Platon, die ganze Philosophie beginne mit dem Staunen: Auch unser Glaube beginnt mit dem Staunen über die Schöpfung, über die Schönheit Gottes, die sichtbar wird.

Der Optimismus angesichts der Naturbetrachtung (»physikè theorie«), angesichts dieses Sehens des Guten, des Schönen und des Wahren in der sichtbaren Schöpfung, dieser christliche Optimismus ist kein naiver Optimismus: Er trägt der Wunde Rechnung, die der menschlichen Natur durch eine Wahlfreiheit zugefügt wurde, die von Gott gewollt ist, von der aber der Mensch unangemessen Gebrauch gemacht hat, mit allen daraus erwachsenen Folgen einer verbreiteten Unstimmigkeit. Daraus folgt die vom Theologen aus Damaskus klar wahrgenommene Forderung, daß die Natur, in der sich die Güte und Schönheit Gottes widerspiegelt, die durch unsere Schuld verletzt worden ist, durch die Fleischwerdung des Sohnes Gottes »gestärkt und erneuert wird«, nachdem Gott selbst auf vielerlei Weise bei verschiedenen Gelegenheiten versucht hatte zu zeigen, daß er den Menschen geschaffen habe, damit er nicht nur im »Sein«, sondern im »Gut-Sein« wäre (vgl. ebd., II, 1, PG 94, col. 981o). Voller Leidenschaft erklärt Johannes: »Zudem galt es, die Natur zu stärken und zu erneuern und den Weg der Tugend, der vom Verderben wegund zum ewigen Leben hinführt, durch die Tat zu weisen und zu lehren (›didachthenai aretes hodòn‹). Da endlich zeigt er das große Meer der Liebe, die er zu ihm [= dem Menschen] hat (›philanthropias pelagos‹) …«. Das ist ein schöner Ausdruck. Einerseits sehen wir die Schönheit der Schöpfung und andererseits die durch die menschliche Schuld angerichtete Zerstörung. Aber wir sehen im Sohn Gottes, der herabsteigt, um die Natur zu erneuern, das Meer der Liebe Gottes für den Menschen. Johannes von Damaskus fährt fort: »Denn der Schöpfer und Herr selbst übernimmt für sein Gebilde den Kampf und wird Lehrer durch die Tat… Denn ›der eingeborene Sohn‹…, der ›in göttlicher Gestalt existierte‹, der neigt nach dem Wohlgefallen Gottes des Vaters die Himmel und steigt … zu seinen Knechten herab … und vollbringt das Neueste von allem Neuen, das allein Neue unter der Sonne, wodurch sich die unendliche Macht Gottes offenbart« (ebd., II, 1. PG 94, coll. 981C-984 B).

Wir können uns den Trost und die Freude vorstellen, die diese Worte - reich an faszinierenden Bildern - im Herzen der Gläubigen verbreiteten. Auch wir hören sie heute und teilen dieselben Gefühle der damaligen Christen: Gott will in uns ruhen, er will die Natur auch durch unsere Umkehr erneuern, er will uns an seiner Gottheit teilhaben lassen. Der Herr helfe uns, aus diesen Worten den Wesenskern unseres Lebens zu machen.

In der heutigen Katechese wollen wir uns mit einem bedeutenden geistlichen Autor des Orients, dem heiligen Johannes von Damaskus, befassen, der auch Augenzeuge der Umwandlung des christlichen Kulturkreises seiner Heimat durch den Islam wurde. Johannes stammte aus einer vornehmen christlichen Familie. Wie sein Vater war er zunächst im Dienst des Kalifen tätig. Um das Jahr 700 zog er sich aus dem öffentlichen Leben zurück und trat in das Kloster Mar Saba bei Jerusalem ein. Hier widmete er sich ganz der Askese und der Abfassung geistlicher Werke. Die zahlreichen erhaltenen Predigten weisen darauf hin, daß er auch seelsorglich tätig war. In der theologischen Kontroverse seiner Zeit, ob man sich von Gott ein Bild machen dürfe, verteidigte Johannes die Verehrung der Ikonen. Zur Begründung sagte er, daß der Gläubige ja nicht die Materie verehrt, sondern den Schöpfer aller Dinge, der für uns Mensch geworden ist und das Heil durch die Materie wirken will. In der Inkarnation erhält die Materie einen hohen Wert und wird sogar Zeichen und Sakrament der Begegnung des Menschen mit Gott. In ähnlicher Weise erklärte Johannes die Verehrung der Reliquien. Da die Heiligen an der Auferstehung Christi teilhaben, können sie nicht einfach als Tote betrachtet werden. Ähnlich wie das glühende Eisen, das nicht das Feuer selbst ist, aber doch zum Teil seine Eigenschaften übernommen hat, sind die Heiligen vom göttlichen Leben durchdrungen. Johannes, der sich auch als Dichter von geistlichen Liedern einen Namen machte, starb hochbetagt vor dem Jahr 754.
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Einen herzlichen Gruß richte ich an alle Pilger und Besucher deutscher Sprache. Besonders grüße ich heute die Freunde aus der Schweiz, die zur Vereidigung der neuen Schweizergardisten nach Rom gekommen sind. Herzlich willkommen! Der hl. Johannes von Damaskus helfe uns, Gott in den Dingen der Welt zu ehren und die Menschen zu lieben. Euch allen wünsche ich Gottes reichen Segen!

BOTSCHAFT ANLÄSSLICH DER BEVORSTEHENDEN REISE INS HEILIGE LAND


Wie ihr wißt, trete ich übermorgen meine Reise ins Heilige Land an. Deshalb richte ich jetzt eine besondere Botschaft an die Menschen in Jordanien, in Israel und in den Palästinensergebieten.

Meine lieben Freunde, an diesem Freitag verlasse ich Rom zu meinem Apostolischen Besuch in Jordanien, Israel und den Palästinensergebieten. Ich möchte heute vormittag die Gelegenheit nutzen, während dieser Rundfunk- und Fernsehübertragung alle Völker jener Länder zu grüßen. Erwartungsvoll freue ich mich darauf, bei euch zu sein und mit euch eure Wünsche und Hoffnungen ebenso wie eure Schmerzen und Kämpfe zu teilen. Ich komme als ein Pilger des Friedens zu euch. Meine erste Absicht ist es, die durch das Leben Jesu geheiligten Stätten zu besuchen und dort um das Geschenk des Friedens und der Einheit für eure Familien und alle jene zu beten, für die das Heilige Land und der Nahe Osten Heimat sind. Unter den vielen religiösen und weltlichen Begegnungen, die im Laufe der Woche stattfinden werden, sind Treffen mit Vertretern der muslimischen und jüdischen Gemeinschaften, mit denen in Dialog und kulturellem Austausch große Fortschritte erzielt worden sind. Ganz besonders herzlich grüße ich die Katholiken der Region und bitte euch, mit mir darum zu beten, daß der Besuch viele Früchte für das geistliche und weltliche Leben aller Bewohner des Heiligen Landes tragen möge. Laßt uns Gott für seine Güte preisen! Laßt uns alle Menschen der Hoffnung sein! Laßt uns alle standhaft sein in unserem Wunsch und unserem Streben nach Frieden!



Mittwoch, 20. Mai 2009: Apostolische Reise ins Heilige Land

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Liebe Brüder und Schwestern!

Heute will ich über die Apostolische Reise sprechen, die ich vom 8. bis 15. Mai ins Heilige Land unternommen habe und für die ich dem Herrn unaufhörlich danke, hat sie sich doch als ein großes Geschenk für den Nachfolger Petri und für die ganze Kirche erwiesen. Noch einmal möchte ich Seiner Seligkeit Patriarch Fouad Twal, den Bischöfen der verschiedenen Riten, den Priestern sowie den Franziskanern der Kustodie des Heiligen Landes meinen tief empfundenen Dank aussprechen. Ich danke dem König und der Königin von Jordanien, dem Präsidenten Israels und dem Präsidenten der autonomen Palästinensergebiete mit ihren jeweiligen Regierungen, allen Autoritäten und allen, die an der Vorbereitung und an dem guten Gelingen des Besuchs in verschiedener Weise mitgewirkt haben. Es handelte sich zuallererst um eine Pilgerreise, ja um die Pilgerreise schlechthin zu den Quellen des Glaubens; und gleichzeitig um einen Pastoralbesuch bei der Kirche, die im Heiligen Land lebt; eine Gemeinschaft von einzigartiger Bedeutung, weil sie eine lebendige Gegenwart dort darstellt, wo sie ihren Ursprung hatte.

Die erste Etappe, vom 8. Mai bis zum Vormittag des 11. Mai, war Jordanien, auf dessen Territorium sich zwei wichtige heilige Stätten befinden: der Berg Nebo, von dem aus Mose das Gelobte Land erblickte und wo er starb, ohne es betreten zu haben; und dann Bethanien, »jenseits des Jordans«, wo laut dem vierten Evangelium der hl. Johannes anfangs taufte. Der Mose-Gedenkstein auf dem Berg Nebo ist ein Ort von starkem symbolischen Wert: Er spricht von unserer Situation als Pilger zwischen einem »Schon« und einem »Noch nicht«, zwischen einer so großen und schönen Verheißung, daß sie uns auf dem Weg stützt, und einer Erfüllung, die uns und auch diese Welt übersteigt. Die Kirche lebt in ihrem Innern diese »eschatologische und pilgernde Natur «: Sie ist bereits mit Christus, ihrem Bräutigam, vereint, aber das Hochzeitsfest ist vorerst in Erwartung seiner glorreichen Wiederkunft am Ende der Zeiten nur vorausgeahnt (vgl. II. Vat. Konzil, Lumen gentium, 48-50). In Bethanien konnte ich zu meiner Freude die Grundsteine zweier Kirchen segnen, die an der Stelle errichtet werden, wo der hl. Johannes taufte. Diese Tatsache ist Zeichen der Offenheit und der Achtung für die Religionsfreiheit und die christliche Tradition, die in dem Haschemitischen Reich herrschen, und dies verdient große Wertschätzung. Ich hatte Gelegenheit, diese gerechte Anerkennung, verbunden mit der tiefen Achtung für die muslimische Gemeinde, den bei der Al- Hussein bin Talal-Moschee versammelten Religionsführern, dem Diplomatischen Korps und den Rektoren der Universitäten zu zeigen; diese Moschee hat König Abdullah II. zum Gedächtnis seines Vaters, des berühmten Königs Hussein, errichten lassen, der Papst Paul VI. bei seiner historischen Pilgerreise im Jahr 1964 empfangen hatte. Wie wichtig ist es, daß Christen und Muslime in gegenseitiger Achtung friedlich zusammenleben! Dank der Hilfe Gottes und dem Einsatz der Regierenden geschieht dies in Jordanien. Ich habe daher gebetet, daß es auch anderswo so sein möge, wobei ich besonders an die Christen dachte, die hingegen im nahen Irak schwierige Situationen durchleben.

In Jordanien lebt eine wichtige christliche Gemeinde, die durch palästinensische und irakische Flüchtlinge angewachsen ist. Es handelt sich um eine bedeutende Präsenz, die aufgrund ihrer Werke im Bereich der Erziehung und der Fürsorge, die der menschlichen Person gegenüber - unabhängig von ihrer ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit - aufmerksam ist, auch in der Gesellschaft geschätzt wird. Ein schönes Beispiel ist das Rehabilitationszentrum »Regina Pacis« in Amman, das zahlreiche Menschen aufnimmt, die von Invalidität gezeichnet sind. Bei meinem Besuch dort konnte ich ein Wort der Hoffnung bringen, aber auch ich habe es meinerseits empfangen als ein Zeugnis, das durch das Leid und das menschliche Teilen seinen Wert gewonnen hat. Als Zeichen des Einsatzes der Kirche im Bereich der Kultur habe ich zudem den Grundstein der Universität Madaba des Lateinischen Patriarchats von Jerusalem gesegnet. Es hat mir große Freude bereitet, den Anfang dieser neuen wissenschaftlichen und kulturellen Einrichtung zu setzen, da sie anschaulich zeigt, daß die Kirche die Forschung nach der Wahrheit und dem Gemeinwohl fördert und allen jenen einen offenen und qualifizierten Raum bietet, die sich in einer solchen Forschung engagieren wollen - eine unverzichtbare Voraussetzung für einen wahren und fruchtbaren Dialog unter Kulturen. Gleichfalls in Amman fanden zwei feierliche Gottesdienste statt: die Vesper in der griechisch-melkitischen Sankt-Georgs-Kathedrale und die heilige Messe im internationalen Stadion; sie haben uns die Gelegenheit gegeben, miteinander die Schönheit zu genießen, sich als pilgerndes Gottesvolk vorzufinden, das reich an seinen verschiedenen Traditionen und geeint im einen Glauben ist.

Nachdem ich am Montag, den 11. Mai, am späten Vormittag Jordanien verlassen hatte, bin ich nach Israel gekommen, wo ich mich von meiner Ankunft an als Pilger des Glaubens in dem Land vorstellte, wo Jesus geboren worden ist, wo er gelebt hat, gestorben und auferstanden ist, und gleichzeitig als Pilger des Friedens, um Gott anzuflehen, daß dort, wo er Mensch geworden ist, alle Menschen als seine Kinder, das heißt als Brüder leben können. Dieser zweite Aspekt meiner Reise ist natürlich in den Begegnungen mit den zivilen Autoritäten zutage getreten: im Rahmen des Besuchs beim israelischen Präsidenten und dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde. In jenem von Gott gesegneten Land scheint es manchmal unmöglich zu sein, aus der Spirale der Gewalt herauszukommen. Aber für Gott und alle, die auf ihn vertrauen, ist nichts unmöglich! Deshalb muß der Glaube an den einen gerechten und barmherzigen Gott, der die kostbarste Ressource jener Völker ist, seine ganze Fülle an Respekt, Versöhnung und Zusammenarbeit verströmen. Diesen Wunsch wollte ich zum Ausdruck bringen, indem ich sowohl den Großmufti und die Oberhäupter der islamischen Gemeinschaft von Jerusalem als auch das Großrabbinat von Israel besuchte, ebenso wie bei der Begegnung mit den Organisationen, die im interreligiösen Dialog engagiert sind, und danach mit den Religionsführern von Galiläa.

Jerusalem ist der Kreuzungspunkt der drei großen monotheistischen Religionen, und sein Name selbst - »Stadt des Friedens« - bringt den Plan Gottes für die Menschheit zum Ausdruck: sie zu einer großen Familie zu machen. Dieser Plan, der Abraham verkündet worden war, hat sich in Jesus Christus voll verwirklicht, den der hl. Paulus »unseren Frieden« nennt, da er mit der Kraft seines Opfers die Mauer der Feindschaft niedergerissen hat (vgl.
Ep 2,14). Alle Gläubigen müssen daher Vorurteile und den Willen zur Herrschaft hinter sich lassen und einträchtig das grundlegende Gebot praktizieren: Gott mit seinem ganzen Sein lieben und den Nächsten lieben wie uns selbst. Das zu bezeugen sind Juden, Christen und Muslime berufen, um mit ihren Werken den Gott zu ehren, zu dem sie mit den Lippen beten. Und genau das ist es, was ich betend im Herzen trug, als ich in Jerusalem die Westmauer - oder Klagemauer - und den Felsendom besuchte, symbolische Orte für das Judentum bzw. den Islam. Ein Moment eindringlicher Sammlung war darüber hinaus mein Besuch an der Gedenkstätte Yad Vashem, die in Jerusalem zur Ehre der Opfer der Schoah errichtet worden ist. Dort verharrten wir in Schweigen, in Gebet und Meditation über das Geheimnis des »Namens«: Jeder Mensch ist unantastbar, und sein Name ist in das Herz des ewigen Gottes eingeschrieben. Niemals darf die schreckliche Tragödie der Schoah vergessen werden! Es ist im Gegenteil notwendig, daß sie immer in unserem Gedächtnis als universale Mahnung an die unabdingbare Achtung des menschlichen Lebens ist, das immer einen unendlichen Wert hat.

Wie ich schon angedeutet habe, war das vorrangige Ziel meiner Reise der Besuch bei den katholischen Gemeinden im Heiligen Land, und das geschah in unterschiedlichen Momenten auch in Jerusalem, in Betlehem und in Nazaret. Mit dem Geist Christus zugewandt, der die Füße der Apostel wäscht und die Eucharistie einsetzt, wie auch der Gabe des Heiligen Geistes an die Kirche am Pfingsttag, konnte ich im Abendmahlssaal unter anderen dem Kustos des Heiligen Landes begegnen und gemeinsam über unsere Berufung nachdenken, eins zu sein, einen Leib und einen Geist zu bilden, die Welt mit der sanften Macht der Liebe zu verwandeln. Gewiß, diese Berufung stößt im Heiligen Land auf besondere Schwierigkeiten. Deshalb habe ich mit dem Herzen Christi meinen Brüdern im Bischofsamt seine Worte wiederholt: »Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn euer Vater hat beschlossen, euch das Reich zu geben« (Lc 12,32). Dann habe ich kurz die Ordensmänner und Ordensfrauen kontemplativen Lebens begrüßt und ihnen für den Dienst gedankt, den sie mit ihrem Gebet der Kirche und der Sache des Friedens bieten.

Höhepunkte der Gemeinschaft mit den katholischen Gläubigen waren vor allem die Eucharistiefeiern. Im Josafat-Tal in Jerusalem haben wir die Auferstehung Christi als Kraft der Hoffnung und des Friedens für jene Stadt und für die ganze Welt betrachtet. In Betlehem, in den palästinensischen Territorien wurde die heilige Messe vor der Geburtskirche mit der Teilnahme auch von Gläubigen aus Gaza gefeiert, denen ich zu meiner Freude persönlich Trost zusprechen und sie meiner besonderen Nähe versichern konnte. Betlehem, der Ort, an dem der himmlische Friedensgesang für alle Menschen erklungen ist, ist Symbol für die Distanz, die uns noch von der Erfüllung jener Verkündigung trennt: Unsicherheit, Isolierung, Ungewißheit, Armut. Das alles hat viele Christen dazu bewogen, in die Ferne zu gehen. Aber die Kirche setzt ihren Weg fort, getragen von der Kraft des Glaubens, während sie die Liebe durch konkrete Werke im Dienst an den Brüdern bezeugt, wie zum Beispiel dem »Caritas Baby Hospital« in Betlehem, das von den Diözesen der Schweiz und Deutschlands getragen wird, und dem humanitären Einsatz in den Flüchtlingslagern. In dem Lager, das ich besuchte, wollte ich den dort untergebrachten Familien die Nähe und die Ermutigung der universalen Kirche zusichern und alle einladen, dem Vorbild des hl. Franz von Assisi folgend den Frieden mit gewaltlosen Mitteln zu suchen. Die dritte und letzte Messe habe ich am vergangenen Donnerstag mit der Bevölkerung in Nazaret, der Stadt der Heiligen Familie, gefeiert. Wir haben für alle Familien gebetet, damit die Schönheit der Ehe und des Familienlebens, der Wert der häuslichen Spiritualität und der Erziehung sowie die Aufmerksamkeit für die Kinder wiederentdeckt werden, die ein Recht darauf haben, in Frieden und Ruhe aufzuwachsen. Außerdem haben wir in der Verkündigungsbasilika zusammen mit allen Bischöfen, Priestern, Ordensleuten, Mitgliedern der kirchlichen Bewegungen und den Laienmitarbeitern aus Galiläa unseren Glauben an die schöpferische und verwandelnde Kraft Gottes zum Ausdruck gebracht. Dort, wo das Wort im Schoß der Jungfrau Maria Fleisch geworden ist, sprudelt eine unerschöpfliche Quelle der Hoffnung und der Freude, die nicht aufhört, das Herz der Kirche, Pilgerin in der Geschichte, zu beseelen.

Meine Pilgerreise ging am vergangenen Freitag mit dem Aufenthalt beim Heiligen Grab und mit zwei wichtigen ökumenischen Begegnungen in Jerusalem zu Ende: am Sitz des Griechisch-Orthodoxen Patriarchats, wo alle kirchlichen Vertretungen des Heiligen Landes versammelt waren, und schließlich bei der Armenisch-Apostolischen Patriarchalkirche. Es freut mich, den gesamten Weg zu rekapitulieren, den ich im Zeichen der Auferstehung Christi zurücklegen konnte: Trotz der Geschehnisse, die die Heiligen Stätten über die Jahrhunderte hinweg gezeichnet haben, trotz der Kriege, der Zerstörungen und leider auch der Konflikte unter Christen hat die Kirche, getrieben vom Geist des auferstandenen Herrn, ihre Sendung fortgesetzt. Sie ist unterwegs zur vollen Einheit, damit die Welt an die Liebe Gottes glaube und die Freude seines Friedens erfahre. Als ich auf Golgota und am Grab Christi kniete, habe ich um die Kraft der Liebe gefleht, die dem Ostergeheimnis entspringt, die einzige Kraft, die die Menschen zu erneuern und die Geschichte und den Kosmos auf ihr Ziel hin auszurichten vermag. Ich bitte auch euch, dafür zu beten, während wir uns auf das Fest Christi Himmelfahrt vorbereiten, das wir im Vatikan morgen feiern werden. Danke für eure Aufmerksamkeit.

Nach meiner Pilgerreise ins Heilige Land möchte ich bei der heutigen Audienz, wie üblich, Rückblick halten. Vor allem danke ich dem Herrn für diese Tage der Gnade. Ebenso bin ich allen dankbar, die diese Reise nach Jordanien, nach Israel und in die Palästinensischen Gebiete möglich gemacht und zu ihrem Gelingen beigetragen haben. Der Anlaß meiner Reise war ein zweifacher: Zum einen war es eine Wallfahrt, zu der ich mich als Pilger des Glaubens und Pilger des Friedens in die Länder der Bibel aufgemacht habe. Zugleich wollte ich der Kirche im Heiligen Land mit ihren reichen Traditionen und vielfältigen Riten einen Pastoralbesuch abstatten. Es war mein Wunsch, den Christen, deren Anwesenheit im Land Jesu und im ganzen Nahen Osten so wichtig ist, die Nähe des Nachfolgers Petri spürbar zu zeigen. Hier möchte ich vor allem die bewegenden Gottesdienste in Amman, in Jerusalem, Betlehem und Nazaret wie auch die ökumenischen Treffen nennen. Ebenso bedeutend waren die Begegnungen mit den Vertretern des Judentums und des Islams wie auch mit den verschiedenen staatlichen Autoritäten. Der Glaube an den einen Gott, der gerecht und barmherzig ist, wird den Völkern der Region die Kraft geben, den Teufelskreis der Gewalt zu durchbrechen und zu echter Versöhnung und dauerhaften Frieden zu gelangen. Jerusalem wird, wie sein Name sagt, wirklich „Stadt des Friedens“ sein, wenn die Menschen Gott mit ihrem ganzen Dasein lieben und den Nächsten wie sich selbst.
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Mit diesen Gedanken grüße ich die Pilger und Besucher aus dem deutschen Sprachraum wie auch aus Belgien und den Niederlanden. Vielen Dank sage ich für die wundervolle musikalische Darbietung. Der Besuch der Stätten des irdischen Lebens Jesu ist für mich ein großes Geschenk gewesen. Der auferstandene Christus ist unsere Hoffnung: Nicht das Böse, nicht die Gewalt hat das letzte Wort, sondern Gottes rettende Liebe ist stärker, auch wenn sie oft noch so schwach, ja abwesend erscheint. Beten wir inständig um Gottes Heil und um Frieden für das Heilige Land. Von Herzen segne ich euch alle.




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