Generalaudienzen 2005-2013 22087

Mittwoch, 22. August 2007: Gregor von Nazianz

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Liebe Brüder und Schwestern!

In der Reihe der großen Kirchenväter und Kirchenlehrer, deren Bild ich in diesen Katechesen vermitteln möchte, habe ich beim letzten Mal über den hl. Gregor von Nazianz gesprochen, einem Bischof aus dem 4. Jahrhundert, und heute möchte ich das Bild dieses großen Lehrers noch vervollständigen. Wir werden heute versuchen, einige seiner Lehren zusammenzutragen. Die Reflexion über die Sendung, die Gott ihm anvertraut hatte, führte den hl. Gregor von Nazianz zu dem Schluß: »Ich bin dazu geschaffen worden, um mit meinem Handeln bis zu Gott emporzusteigen« (Oratio 14,6 de pauperum amore: PG 35,865). Tatsächlich stellte er seine Begabung als Schriftsteller und Redner in den Dienst Gottes und der Kirche. Er verfaßte zahlreiche Reden, mehrere Predigten und Lobreden, viele Briefe und dichterische Werke (fast 18.000 Verse!): eine wirklich erstaunliche Tatkraft. Er hatte verstanden, daß dies die Sendung war, die Gott ihm anvertraut hatte: »Als Diener des Wortes trete ich in den Dienst des Wortes; auf daß ich es nie zulasse, dieses Gut zu vernachlässigen. Diese Berufung schätze ich und sie ist mir lieb, ihr entnehme ich mehr Freude als allen anderen Dingen zusammen« (Oratio 6,5: SC 405,134 vgl. auch Oratio SC 4,10).

Der Nazianzener war ein gütiger Mann, und zu Lebzeiten versuchte er stets, Frieden zu stiften in der durch Streitigkeiten und Irrlehren gespaltenen Kirche seiner Zeit. Mit evangeliumsgemäßem Wagemut bemühte er sich, die eigene Schüchternheit zu überwinden, um die Wahrheit des Glaubens zu verkünden. Er verspürte zutiefst die Sehnsucht, sich Gott zu nähern, sich mit ihm zu vereinen. Das bringt er selbst in einem seiner Gedichte zum Ausdruck, wo er schreibt: inmitten der »mächtigen Fluten des Ozeans des Lebens, / von heftigen Stürmen hin- und hergeworfen, / … / ist mir nur eines lieb, mein einziger Reichtum, / Trost und Vergessen der Mühsal, / das Licht der Heiligen Dreifaltigkeit« (Carmina [historica] 2,1,15: PG 37,1250ff.)

Gregor ließ das Licht der Dreifaltigkeit erstrahlen, indem er den vom Konzil von Nizäa verkündigten Glauben verteidigte: ein einziger Gott in drei gleichen und voneinander unterschiedenen Personen - Vater, Sohn und Heiliger Geist -, »dreifaches Licht, das in einem einzigen / Glanz sich vereint« (Vesperhymnus: Carmina [historica] 2,1,32: PG 37,512). Daher, sagt Gregor dem hl. Paulus folgend (
1Co 8,6), »haben wir doch nur einen Gott, den Vater, von dem alles ist, und einen Herrn, Jesus Christus, durch den alles ist, und einen Heiligen Geist, in dem alles ist« (Oratio 39,12: SC 358,172).

Gregor hat die volle Menschennatur Christi stark hervorgehoben: Um den Menschen in seiner Ganzheit - in Leib, Seele und Geist - zu erlösen, nahm Christus alle Elemente der menschlichen Natur an, denn sonst wäre der Mensch nicht gerettet worden. Gegen die Irrlehre des Apollinarios, der die Auffassung vertrat, daß Christus keine vernunftbegabte Seele angenommen habe, betrachtet Gregor das Problem im Licht des Geheimnisses der Erlösung: »Das, was nicht angenommen wurde, wurde nicht geheilt« (EP 101,32, SC 208,50), und wenn Christus »keine Geistvernunft besessen hätte, wie hätte er dann Mensch sein können?« (Ep 101,34, SC 208,50). Eben unser Verstand, unsere Vernunft ist es, die der Beziehung zu Gott und der Begegnung mit ihm in Christus bedurfte und bedarf. Indem er Mensch wurde, hat Christus es uns ermöglicht, unsererseits wie er zu werden. Der Nazianzener mahnt: »Werden wir wie Christus, da Christus gleich uns geworden ist! Werden wir durch ihn Götter, da er durch uns Mensch geworden ist! Das Geringste nahm er auf sich, um das Beste zu geben« (Oratio 1,5: SC 247,78).

Maria, die Christus die menschliche Natur gegeben hat, ist wahre Mutter Gottes (Theotókos: vgl. EP 101,16, SC 208,42), und im Hinblick auf ihre erhabenste Sendung ist sie »zuvor geläutert worden« (Oratio 38,13: SC 358,132, beinahe ein ferner Auftakt zum Dogma der Unbefleckten Empfängnis). Maria wird den Christen als Vorbild gegeben, vor allem den Jungfrauen, und als Helferin, die man in der Not anrufen kann (vgl. Oratio 24,11: SC 282,60-64).

Gregor erinnert uns daran, daß wir als Menschen miteinander solidarisch sein müssen. Er schreibt: »Alle ›sind wir eins in Christus‹ (vgl. Rm 12,5), ob reich oder arm, ob Sklaven oder Freie, ob gesund oder krank; und einer ist das Haupt aller, Christus, von dem alles kommt. Und wie die Glieder eines Leibes soll sich jeder um jeden kümmern und alle um alle«. Dann schließt er im Hinblick auf die Kranken und Notleidenden: »Das ist das einzige Heil für unser Fleisch und unsere Seele: die Liebe zu ihnen« (Oratio 14,8 de pauperum amore: PG 35,868). Gregor hebt hervor, daß der Mensch die Güte und die Liebe Gottes nachahmen soll, und daher rät er: »Bist du gesund und reich, dann lindere die Not des Kranken und Darbenden! Bist du selbst nicht gefallen, dann hilf dem in seiner Not, der gefallen ist und in Bedrängnis lebt! Bist du vergnügt, dann stehe dem Trostlosen bei; bist du mit Gütern gesegnet, dann erbarme dich dessen, der im Unglück schmachtet! Zeige dich Gott dafür dankbar, daß du zu denen gehörst, denen es gut geht, und nicht zu denen, die der Wohltaten bedürfen … Dein Reichtum soll nicht bloß in Hab und Gut, sondern auch in Frömmigkeit, nicht nur in Gold, sondern auch in Tugend, ja eigentlich in dieser allein bestehen! Suche durch Wohltun die Ehre des Nächsten zu übertreffen! Ahme Gottes Erbarmen nach und werde für den Notleidenden Gott!« (Oratio 14,26 de pauperum amore: PG 35,892).

Gregor lehrt uns vor allem die Wichtigkeit und die Notwendigkeit des Gebets. Er sagt, »man soll sich häufiger an Gott erinnern als man atmet« (Oratio 27,4: PG 250,78), denn im Gebet begegnet der Durst Gottes unserem Durst. Gott dürstet danach, daß wir nach ihm dürsten (vgl. Oratio 40,27: SC 358,260). Im Gebet müssen wir unser Herz Gott zuwenden, um uns ihm als eine Opfergabe, die geläutert und verwandelt werden soll, zu übergeben. Im Gebet sehen wir alles im Licht Christi, lassen wir unsere Masken fallen und versenken uns in die Wahrheit und in das Hören auf Gott und nähren so das Feuer der Liebe.

In einem Gedicht, das zugleich Betrachtung über den Sinn des Lebens und stillschweigende Anrufung Gottes ist, schreibt Gregor: »Du hast eine Aufgabe, meine Seele, / eine große Aufgabe, wenn du willst. / Erforsche dich selbst ernsthaft, / dein Sein, deine Bestimmung, / woher du kommst und wo du einst ruhen wirst; / versuche zu erkennen, ob das, was du lebst, Leben ist / oder ob es mehr gibt. / Du hast eine Aufgabe, meine Seele, / läutere daher dein Leben: / Denke bitte nach über Gott und seine Geheimnisse, / erkunde, was vor diesem Universum gewesen ist / und was es für dich ist, / woher es gekommen ist und welches seine Bestimmung sein wird. / Das ist deine Aufgabe, / meine Seele, / läutere daher dein Leben« (Carmina [historica] 2,1,78: PG 37,1425-1426). Ohne Unterlaß bittet der heilige Bischof Christus um Hilfe, um wieder aufgerichtet zu werden und seinen Weg wieder aufzunehmen: »Ich wurde enttäuscht, o mein Christus, / ob meiner zu großen Vermessenheit: / Aus den Höhen bin ich sehr tief gefallen. / Aber richte mich jetzt wieder auf, denn ich sehe, / daß ich mich selbst in die Irre geführt habe; / sollte ich noch einmal zu sehr auf mich selbst vertrauen, / dann werde ich sofort fallen, und der Fall wird verhängnisvoll sein« (Carmina [historica] 2,1,67: PG 37,1408).

Gregor verspürte also das Bedürfnis, sich Gott zu nähern, um die Müdigkeit des eigenen Ich zu überwinden. Er hat den Schwung der Seele erfahren, die Lebendigkeit eines empfindsamen Geistes und die Unbeständigkeit des vergänglichen Glücks. Für ihn hatte im Drama eines Lebens, auf dem das Bewußtsein der eigenen Schwäche und des eigenen Elends lastete, die Erfahrung der Liebe Gottes stets die Oberhand. Du hast eine Aufgabe, Seele - sagt der hl. Gregor auch zu uns -, die Aufgabe, das wahre Licht zu finden, die wahre Höhe deines Lebens zu finden. Und dein Leben ist es, Gott zu begegnen, der danach dürstet, daß wir nach ihm dürsten.

In der letzten Mittwochskatechese vor zwei Wochen habe ich über den heiligen Gregor von Nazianz gesprochen. Heute möchte ich mich erneut diesem Kirchenvater des Orients zuwenden und mit euch einige Aspekte seiner Lehre betrachten. Gregor war ein unermüdlicher Hirte, der uns überdies zahlreiche Predigten, Ansprachen, Briefe und poetische Werke hinterlassen hat. Er nannte sich selbst einmal einen „Diener des Wortes“, dem diese hohe Aufgabe von Gott anvertraut war. In seinen Werken widmete er sich nicht nur dogmatischen Themen wie der Heiligsten Dreifaltigkeit, der Inkarnation des Gottessohns oder der Gottesmutterschaft Marias, sondern auch der Unterweisung in der christlichen Nächstenliebe und dem Gebet. Der Heilige mahnt uns zur Solidarität mit den Armen und Bedürftigen. Dies ist auch eine Antwort auf Gottes Liebe zu den Menschen. „Zeige dich gegenüber den Menschen in Not, wie Gott sich ihrer erweist, ahme ihn nach in seiner Huld und Güte“ (Or. 14,26). Dieser Dienst an den Menschen bedarf aber immer auch des Gebetes. Für Gregor von Nazianz ist das Gebet eine besondere Art der Begegnung: Gott „dürstet“ danach, daß wir nach ihm dürsten. Wir sollen ihm unser Inneres, das stets der Läuterung durch das Feuer seiner Liebe bedarf, öffnen.
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Frohen Herzens heiße ich alle Pilger und Besucher aus dem deutschen Sprachraum willkommen. Besonders begrüße ich die vielen jungen Menschen, die heute hier sind. Liebe Freunde, begegnet euren Mitmenschen, wie Gregor uns sagt, mit christlicher Liebe und Güte, Gottes Güte nachahmend. So helfen wir, am Frieden in der Welt mitzubauen. - Gott, der Herr, geleite euch auf euren Wegen, jetzt in der Freizeit und Zuhause!



Mittwoch, 29. August 2007: Der Hl. Gregor von Nyssa

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Liebe Brüder und Schwestern!

In den letzten Katechesen habe ich über zwei große Kirchenlehrer des 4. Jahrhunderts gesprochen, über Basilius und Gregor von Nazianz, Bischof in Kappadozien, in der heutigen Türkei. Heute fügen wir einen dritten hinzu, den Bruder des Basilius, den hl. Gregor von Nyssa, der sich als Mann von meditativem Charakter zeigte, mit großem Denkvermögen und von lebhafter Intelligenz, die offen war gegenüber der Kultur seiner Zeit. So hat er sich als origineller und tiefer Denker in der Geschichte des Christentums erwiesen.

Er wurde um 335 geboren; um seine christliche Bildung kümmerten sich besonders sein Bruder Basilius - den er als »Vater und Lehrer« (EP 13,4 SC 363,198) bezeichnet - und seine Schwester Makrina. Er kam seinen Studien nach, wobei er die Philosophie und die Rhetorik besonders schätzte. Zunächst widmete er sich der Lehre und heiratete. Dann widmete auch er sich, wie sein Bruder und seine Schwester, ganz dem asketischen Leben. Später wurde er zum Bischof von Nyssa gewählt und erwies sich als eifriger Hirte, so daß er hohes Ansehen in der Gemeinde erwarb. Von häretischen Gegnern der Veruntreuung von Geldern bezichtigt, mußte er kurzzeitig seinen Bischofssitz verlassen, kehrte aber dann triumphierend dorthin zurück (vgl. EP 6, SC 363,164-170) und setzte sich weiterhin im Kampf zur Verteidigung des wahren Glaubens ein.

Vor allem nach dem Tod des Basilius, gleichsam sein geistliches Erbe übernehmend, trug er zum Triumph der Rechtgläubigkeit bei. Er nahm an mehreren Synoden teil und versuchte, die Gegensätze zwischen den Kirchen beizulegen. Er hatte aktiv teil an der kirchlichen Neuordnung, und als »Säule der Orthodoxie« war er eine der zentralen Gestalten des Konzils von Konstantinopel im Jahre 381, das die Göttlichkeit des Heiligen Geistes definierte. Er erhielt mehrere offizielle Aufträge, die ihm Kaiser Theodosius anvertraute, hielt wichtige Predigten und Trauerreden und widmete sich der Abfassung mehrerer theologischer Werke. Im Jahr 394 nahm er noch einmal an einer Synode teil, die in Konstantinopel stattfand. Sein Todesdatum ist unbekannt.

Gregor sagt deutlich, was der Zweck seiner Studien ist, das höchste Ziel, auf das er sich in seiner Arbeit als Theologe ausrichtet: das Leben nicht mit belanglosen Dingen zu verbringen, sondern das Licht zu finden, das es gestattet, das wirklich Nützliche zu erkennen (vgl. In Ecclesiasten hom. 1: SC 416,106-146). Er fand dieses höchste Gut im Christentum, durch das »die Nachahmung der göttlichen Natur« möglich ist (De professione christiana: PG 46,244C). Mit seiner scharfen Intelligenz und seinem großen philosophischen und theologischen Wissen verteidigte er den christlichen Glauben gegen die Irrlehrer, die die Göttlichkeit des Sohnes und des Heiligen Geistes leugneten (wie Eunomius und die Makedonianer) oder die vollkommene Menschennatur Christi in Frage stellten (wie Apollinaris). Er kommentierte die Heilige Schrift, wobei er der Schöpfung des Menschen große Aufmerksamkeit schenkte. Dies war für ihn ein zentrales Thema: die Schöpfung. Er sah im Geschöpf den Abglanz des Schöpfers und fand hier den Weg zu Gott. Er schrieb aber auch ein wichtiges Buch über das Leben des Moses, den er als Menschen darstellt, der auf dem Weg zu Gott ist: Dieser Aufstieg zum Berg Sinai wird für ihn zu einem Bild unseres Aufstiegs im menschlichen Leben zum wahren Leben, zur Begegnung mit Gott. Er hat auch das Gebet des Herrn, das Vaterunser, und die Seligpreisungen ausgelegt. In seiner »Großen Katechese« (Oratio catechetica magna)trug er die Grundlinien der Theologie vor - nicht für eine akademische, in sich selbst verschlossene Theologie, sondern um den Katecheten ein Bezugssystem zu bieten, das bei ihren Unterweisungen zu beachten ist: gleichsam der Rahmen, innerhalb dessen sich dann die pädagogische Auslegung des Glaubens bewegt.

Gregor ist darüber hinaus berühmt für seine geistliche Lehre. Seine ganze Theologie war keine akademische Reflexion, sondern Ausdruck eines geistlichen Lebens, eines Lebens des gelebten Glaubens. Als großer »Vater der Mystik« legte er in mehreren Abhandlungen - wie im »De professione christiana« und im »De perfectione christiana« - den Weg dar, den die Christen einschlagen müssen, um das wahre Leben, die Vollkommenheit zu erlangen. Er pries die geweihte Jungfräulichkeit (De virginitate) und zeigte ein hervorragendes Vorbild dafür im Leben seiner Schwester Makrina auf, die ihm stets ein Leitbild und Beispiel blieb (vgl. Vita Macrinae). Er hielt mehrere Reden und Predigten und schrieb zahlreiche Briefe. In seinem Kommentar zur Schöpfung des Menschen hebt Gregor hervor, daß Gott, »der beste aller Künstler, unsere Natur derart formt, daß sie zur Ausübung der Königswürde geeignet ist. Durch die Überlegenheit, die durch die Seele bestimmt ist, und die Beschaffenheit des Leibes selbst ordnet er die Dinge so, daß der Mensch wirklich für die Königsherrschaft geeignet ist« (De hominis opificio 4: PG 44,136B). Wir sehen jedoch, daß der im Netz der Sünden gefangene Mensch oft die Schöpfung mißbraucht und keine wahre Königswürde ausübt. Um also eine wahre Verantwortung gegenüber den Geschöpfen zu übernehmen, muß er von Gott durchdrungen sein und in seinem Licht leben. Der Mensch ist nämlich ein Widerschein jener ursprünglichen Schönheit, die Gott ist: »Alles, was Gott schuf, war sehr gut«, schreibt der heilige Bischof. Und er fügt hinzu: »Das bezeugt der Schöpfungsbericht (vgl.
Gn 1,31). Eines von den sehr schönen (Geschöpfen) war auch der Mensch, der viel mehr als die anderen mit Schönheit geschmückt war. Was nämlich könnte sonst noch so schön sein, wie das Gleichnis (vgl. Gn 1,26f.) der lauteren Schönheit?… Da er aber Abbild des ewigen Lebens und dessen Gleichnis war (vgl. Gn 1,26f.), war er wirklich schön, und sogar sehr schön, geschmückt mit dem heiteren Wesenszug des Lebens« (Homilia in Canticum 12: PG 44,1020C; Fontes Christiani, Band 16/3, Freiburg 1994, S. 627).

Der Mensch ist von Gott geehrt und über jedes andere Geschöpf gestellt worden: »Nicht der Himmel ist Bild Gottes geworden, nicht der Mond, nicht die Sonne, nicht die Sternenpracht oder etwas anderes in der Schöpfung sichtbares - nichts (von alldem)! Du allein [die menschliche Seele] bist Abbild der allen Verstand überragenden Natur geworden, Gleichnis der unvergänglichen Schönheit, Nachbildung der wahrhaften Gottheit, Gefäß des seligen Lebens, Abdruck des wahrhaften Lichts. Wenn du darauf schaust, wirst du das, was jener (sc. Gott) ist, indem du den, der in dir leuchtet, nachahmst durch den widerscheinenden Glanz, der aus deiner Reinheit kommt. Nichts Seiendes ist so groß, daß es sich mit deiner Größe messen könnte« (Homilia in Canticum 2: PG 44,805D; Fontes Christiani, Band 16/1, Freiburg 1994, S. 197). Betrachten wir diesen Lobpreis auf den Menschen. Sehen wir auch, wie sehr der Mensch von der Sünde erniedrigt ist. Und versuchen wir, zur ursprünglichen Größe zurückzukehren: Nur wenn Gott gegenwärtig ist, gelangt der Mensch zu dieser seiner wahren Größe.

Der Mensch erkennt also in seinem Innern den Widerschein des göttlichen Lichts: Wenn er sein Herz reinigt, dann wird er wieder das, was er im Anfang war: ein reines Abbild Gottes, der makellosen Schönheit (vgl. Oratio catechetica 6: SC 453,174). So kann der Mensch, indem er sich reinigt, Gott sehen, wie diejenigen, die ein reines Herz haben (vgl. Mt 5,8): »Wenn du mit einem sorgsamen und aufmerksamen Lebenswandel den Schmutz wegspülen wirst, der sich auf deinem Herzen abgelagert hat, so wird in dir die göttliche Schönheit erglänzen … Wenn du dich selbst betrachtest, so wirst du in dir denjenigen sehen, nach dem dein Herz begehrt, und du wirst selig sein« (De beatitudinibus, 6: PG 44,1272AB). Wir müssen daher den Schmutz wegspülen, der sich auf unserem Herzen abgelagert hat, und in uns selbst das Licht Gottes wiederfinden.

Die Bestimmung des Menschen ist also die Gottesschau. Nur in ihr wird er seine Genugtuung finden können. Um dieses Ziel in gewissem Maße bereits in diesem Leben vorauszunehmen, muß er unablässig zu einem geistlichen Leben voranschreiten, zu einem Leben im Gespräch mit Gott. Mit anderen Worten - und das ist die wichtigste Lehre, die der hl. Gregor von Nyssa uns schenkt -, die volle Verwirklichung des Menschen besteht in der Heiligkeit, in einem Leben, das in der Gottesbegegnung gelebt wird und das so auch für die anderen, auch für die Welt zum Licht wird.

Der heilige Gregor von Nyssa ist neben seinem Bruder Basilius und neben Gregor von Nazianz die dritte große Bischofsgestalt Kappadoziens im vierten Jahrhundert. Um 335 geboren, schlug Gregor zunächst eine weltliche Laufbahn ein, folgte aber dann dem Beispiel seiner Geschwister Makrina und Basilius und wählte ebenso das asketisch-monastische Leben. Später wurde Gregor Bischof von Nyssa und wirkte an der Überwindung der Irrlehren seiner Zeit mit. Er zählte zu den Hauptfiguren auf dem Konzil von Konstantinopel im Jahre 381 und nahm auch wichtige öffentliche Aufgaben wahr, die ihm Kaiser Theodosius anvertraute.

Gregor besaß umfassende philosophische Kenntnisse und einen scharfen Geist und erwies sich als ein origineller Denker. Neben seinen dogmatischen und exegetischen Schriften tat sich Gregor als „Vater der Mystik“ vor allem durch seine spirituelle Lehre hervor. In verschiedenen Werken behandelte er den Weg der Gläubigen zur Vollkommenheit. Der Mensch, der im Zentrum der Schöpfung Gottes steht, ist mit einer Schönheit ausgestattet, die ein Abglanz der ursprünglichen Schönheit ist, die Gott selber ist. In seinem Inneren erkennt der Mensch den Widerschein des göttlichen Lichtes. Wenn er sein Herz reinigt, stahlt seine Ähnlichkeit mit dem Urbild neu auf. Die volle Verwirklichung des Menschen besteht in der Schau Gottes, in der Heiligkeit. Dazu muß er unaufhörlich auf dem Weg zu einem immer vollkommeneren geistlichen Leben voranschreiten.
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Sehr herzlich heiße ich alle deutschsprachigen Pilger und Besucher willkommen. Besonders grüße ich die Bürgermeister aus dem Landkreis Altötting sowie die Seminaristen aus dem Bistum 's-Hertogenbosch in den Niederlanden gemeinsam mit ihrem Bischof. Gregor von Nyssa erinnert uns an unsere Berufung zur Heiligkeit. Bemühen wir uns täglich neu um ein Leben im Einklang mit Gott. Dazu schenkke der Herr uns seine Gnade.

APPELL


In diesen Tagen werden einige Regionen der Erde von schweren Katastrophen heimgesucht: Ich denke dabei an die Überschwemmungen in einigen Ländern des Fernen Ostens sowie an die verheerenden Brände in Griechenland, in Italien und in anderen europäischen Nationen. Angesichts so dramatischer Notsituationen, die zahlreiche Opfer gefordert und ungeheure materielle Schäden verursacht haben, kann man nicht unbesorgt sein über das unverantwortliche Verhalten einiger, die die Unversehrtheit der Menschen gefährden und das Erbe der Umwelt, ein kostbares Gut der ganzen Menschheit, zerstören. Ich schließe mich denjenigen an, die zu Recht diese kriminellen Taten verurteilen, und lade alle ein, für die Opfer dieser Tragödien zu beten.



Petersplatz

Mittwoch, 5. September 2007: Gregor von Nyssa

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Liebe Brüder und Schwestern!

Ich möchte euch einige Aspekte der Lehre des hl. Gregor von Nyssa darlegen, über den wir bereits am vergangenen Mittwoch gesprochen haben. Vor allem bringt Gregor von Nyssa eine sehr hohe Auffassung von der Würde des Menschen zum Ausdruck. Ziel des Menschen ist es, sagt der heilige Bischof, Gott ähnlich zu werden, und dieses Ziel erreicht er vor allem durch die Liebe, die Erkenntnis und die Übung der Tugenden, »Lichtstrahlen, die von der göttlichen Natur herkommen« (De beatitudinibus 6: PG 44,1272C), in einer immerwährenden Bewegung hin zum Guten, so wie der Läufer nach vorne ausgestreckt ist. Gregor gebraucht in diesem Zusammenhang ein eindrucksvolles Bild, das bereits im Brief des Paulus an die Philipper vorkommt: épekteinómenos (3,13), das heißt »mich ausstreckend« nach dem Größeren, hin zur Wahrheit und zur Liebe. Dieser bildhafte Ausdruck verweist auf eine tiefe Wirklichkeit: Die Vollkommenheit, die wir finden wollen, ist nicht etwas, das für immer errungen wäre: Vollkommenheit ist dieses Unterwegs-Bleiben, sie ist eine ständige Bereitschaft, vorwärts zu streben, weil man nie zur vollen Ähnlichkeit mit Gott gelangt; wir sind stets auf dem Weg (vgl. Homilia in Canticum 12: PG 44,1025). Die Geschichte jeder Seele ist die Geschichte einer Liebe, die jedes Mal Erfüllung findet und sich gleichzeitig zu neuen Horizonten hin öffnet, weil Gott die Fähigkeiten der Seele ständig erweitert, um sie bereit zu machen für immer größere Güter. Gott selbst, der die Keime des Guten in uns hineingelegt hat und von dem jede Initiative der Heiligkeit ihren Ausgang nimmt, »bearbeitet den unförmigen Block … Indem er unseren Geist zurechtfeilt und poliert, formt er Christus in uns« (In Psalmos 2,11: PG 44,544B).

Gregor ist daran gelegen, noch genauer auszuführen: »Der Gottheit ähnlich zu werden, ist in der Tat nicht unser Werk, und das Gelingen steht nicht in der Macht des Menschen, sondern es ist die Frucht der großherzigen Freigiebigkeit Gottes, der von den ersten Anfängen an unserer Natur die Gnade erwiesen hat, ihm ähnlich zu sein« (De virginitate 12,2: SC 119,408-410). Für die Seele also »geht es darum, nicht etwas von Gott zu kennen, sondern Gott in sich zu haben« (De beatitudinibus 6: PG 44,1269). Im Übrigen, bemerkt Gregor scharfsinnig, »ist die Gottheit Reinheit, sie ist Befreiung von den Leidenschaften und Beseitigung allen Übels: Wenn all diese Dinge in dir sind, so ist Gott wirklich in dir« (De beatitudinibus 6: PG 44,1272C).

Wenn wir Gott in uns haben, wenn der Mensch Gott liebt, dann will er aufgrund jener Wechselseitigkeit, die zum Gesetz der Liebe gehört, das, was Gott selbst will (vgl. Homilia in Canticum 9: PG 44,956). Er arbeitet daher mit Gott zusammen, um in sich das göttliche Bild zu formen, so daß »unsere geistliche Geburt die Frucht einer freien Entscheidung ist und wir gewissermaßen die Eltern unserer selbst sind, indem wir uns so schaffen, wie wir selbst sein wollen, und uns aus freiem Willen nach dem Vorbild formen, das wir wählen« (Vita Moysis 2,3: SC 1a,108). Um zu Gott aufzusteigen, muß der Mensch sich reinigen: »Der Weg, der die menschliche Natur zum Himmel zurückführt, ist nichts anderes als die Abwendung von den Übeln dieser Welt… Gott ähnlich zu werden bedeutet, gerecht, heilig und gut zu werden… Wenn also der Ekklesiastes sagt (vgl.
Qo 5,1), daß ›Gott im Himmel ist‹, und wenn ihr nach den Worten des Propheten (vgl. Ps 73,28) ›Gott nahe seid‹, dann folgt daraus notwendigerweise, daß ihr da sein müßt, wo Gott sich befindet, da ihr mit ihm vereint seid. Der Herr hat euch geboten, Gott, wenn ihr betet, ›Vater‹ zu nennen, und so sagt er euch, daß ihr eurem himmlischen Vater ohne weiteres ähnlich werden sollt, durch ein Leben, das Gottes würdig ist, wie er uns an einer anderen Stelle noch deutlicher gebietet, indem er sagt: ›Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist‹ (Mt 5,48)« (De oratione dominica 2: PG 44,1145).

Auf diesem Weg des geistlichen Aufstiegs ist Christus das Vorbild und der Meister, der uns das schöne Bild Gottes sehen läßt (vgl. De perfectione christiana: PG 46,272). Jeder von uns wird, wenn er auf ihn schaut, zum »Maler des eigenen Lebens«, wobei der Wille die Arbeit ausführt und die Tugenden die Farben sind, derer er sich bedient (ebd.: PG 46,272). Wenn also der Mensch des Namens Christi für würdig erachtet wird, wie muß er sich dann verhalten? Gregor antwortet folgendermaßen: »Er muß stets in seinem Innern die eigenen Gedanken, die eigenen Worte und das eigene Handeln prüfen, um zu sehen, ob sie auf Christus ausgerichtet sind oder ob sie sich von ihm abwenden« (ebd.: PG 46,284). Und dieser Punkt ist wichtig für den Wert, den er dem Wort »Christ« beimißt. Der Christ ist einer, der den Namen Christi trägt, und daher muß er sich ihm auch im Leben angleichen. Wir Christen nehmen durch die Taufe eine große Verantwortung auf uns.

Christus aber - so ruft Gregor in Erinnerung - ist auch in den Armen gegenwärtig, weshalb diese niemals geschmäht werden dürfen: »Verachte diejenigen nicht, die am Boden liegen, so als wären sie aus diesem Grunde nichts wert. Bedenke, wer sie sind, und du wirst entdecken, welche Würde sie besitzen: Sie stellen für uns die Person des Heilands dar. Und so ist es, denn der Herr in seiner Güte gab ihnen seine eigene Person, damit durch sie bei denjenigen, die hartherzig und Feinde der Armen sind, das Mitleid geweckt wird« (De pauperibus amandis: PG 46,460). Gregor, haben wir gesagt, spricht von Aufstieg: Aufstieg zu Gott im Gebet durch die Reinheit des Herzens, aber Aufstieg zu Gott auch durch die Liebe zum Nächsten. Die Liebe ist die Leiter, die zu Gott führt. Daher spricht der Nyssener eindringlich alle seine Zuhörer an: »Sei großherzig gegenüber diesen Brüdern, die dem Unglück zum Opfer gefallen sind. Gib dem Hungrigen das, was du deinem Bauch vorenthältst« (ebd.: PG 46,457).

Mit großer Deutlichkeit erinnert Gregor uns daran, daß wir alle von Gott abhängig sind, und daher ruft er aus: »Denkt nicht, daß alles euch gehört! Es muß auch einen Teil für die Armen, die Freunde Gottes, geben. Die Wahrheit ist nämlich, daß alles von Gott kommt, dem Vater aller, und daß wir Brüder sind und ein und demselben Geschlecht angehören« (ebd.: PG 46,465). Der Christ prüfe sich also, sagt Gregor noch einmal mit Nachdruck: »Aber was nützt es dir zu fasten und dich der Fleischspeisen zu enthalten, wenn du doch mit deiner Bosheit nichts anderes tust als deinen Bruder mit den Zähnen zu packen? Welchen Gewinn ziehst du daraus vor Gott, wenn du von dem, was dir gehört, nicht ißt und dann ungerecht handelst und dem Armen das, was ihm gehört, aus den Händen reißt?« (ebd.: PG 46,456).

Zum Abschluß unserer Katechesen über die drei großen kappadozischen Väter wollen wir noch einmal jenen so wichtigen Aspekt der geistlichen Lehre Gregors von Nyssa aufgreifen, der das Gebet ist. Um auf dem Weg zur Vollkommenheit voranzuschreiten und Gott in sich aufzunehmen, den Geist Gottes, die Liebe Gottes in sich zu tragen, muß der Mensch sich im Gebet vertrauensvoll an ihn wenden: »Durch das Gebet gelingt es uns, bei Gott zu sein. Wer aber bei Gott ist, ist fern vom Feind. Das Gebet ist Stütze und Verteidigung der Keuschheit, Zügel des Zorns, Beruhigung und Beherrschung des Hochmuts. Das Gebet ist Schutz der Jungfräulichkeit, Bewahrung der ehelichen Treue, Hoffnung für die Wachenden, reiche Frucht für die Bauern, Sicherheit für die Seeleute« (De oratione dominica 1: PG 44,1124A-B). Der Christ orientiert sich in seinem Gebet stets am Gebet des Herrn: »Wenn wir also beten wollen, daß das Reich Gottes auf uns herabkomme, dann bitten wir ihn durch die Kraft des göttlichen Wortes um dies: daß ich fern sei von der Verderbnis, daß ich befreit werde vom Tod, daß ich losgelöst werde von den Ketten des Irrtums; niemals möge der Tod über mich seine Gewalt ausüben, die Tyrannei des Bösen möge niemals Macht über uns haben, der Feind möge nicht über mich herrschen noch mich zum Gefangenen machen durch die Sünde. Sondern dein Reich komme über mich, auf daß die Leidenschaften, die jetzt über mich herrschen und mich in der Gewalt haben, von mir entfernt oder besser noch vernichtet werden« (ebd.: PG 44,1156d-1157a).

Am Ende seines irdischen Lebens wird sich der Christ so mit innerem Frieden an Gott wenden können. Wenn er darüber spricht, dann denkt der hl. Gregor an den Tod seiner Schwester Makrina und schreibt, daß sie in der Todesstunde so zu Gott betete: »Du, der du auf Erden die Macht hast, die Sünden zu vergeben, vergib mir, ›so daß ich heiter blicken kann‹ (Ps 39,14) und ohne Makel gefunden werde vor deinem Angesicht, wenn ich mich lossage von meinem Körper (vgl. Col 2,11), auf daß mein Geist, heilig und makellos (vgl. Ep 5,27) in deine Hände aufgenommen werde ›wie ein Rauchopfer vor dir‹ (Ps 141,2)« (Vita Macrinae 24: SC 178,224). Diese Lehre des hl. Gregor behält immer Gültigkeit: nicht nur von Gott sprechen, sondern Gott in sich tragen. Wir tun dies mit eifrigem Gebet und indem wir im Geist der Liebe zu allen unseren Brüdern leben.

In der heutigen Katechese möchte ich einzelne Aspekte der Lehre des heiligen Gregor von Nyssa vorstellen, über dessen Person und Leben ich bereits am vergangenen Mittwoch gesprochen habe. Gregor betont immer wieder die hohe Würde des Menschen, der berufen ist, Gott ähnlich zu werden und unablässig nach Vollkommenheit zu streben. Dabei wirken die Gnade Gottes und die Übung der Liebe und aller übrigen Tugenden harmonisch zusammen. Unser Vorbild und unser Lehrer ist Jesus Christus. Darum fordert uns Gregor von Nyssa auf, selbstkritisch zu prüfen, ob all unsere Gedanken, Worte und Werke auf Christus ausgerichtet sind oder ob sie uns gar von ihm entfernen.
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Frohen Herzens begrüße ich die zahlreichen Pilger und Besucher aus dem deutschen Sprachraum, ganz besonders die vielen Gläubigen aus Bayern: die Pilger aus Bamberg, die zum 1000-jährigen Bistumsjubiläum mit ihrem Erzbischof Ludwig Schick nach Rom gekommen sind, die Teilnehmer der Diözesanwallfahrt des Bistums Passau mit Bischof Wilhelm Schraml sowie die Kirchenchöre und Musiker aus den Diözesen Regensburg und Würzburg in Begleitung der Weihbischöfe Reinhard Pappenberger und Helmut Bauer. Auch ich werde mich in diesen Tagen auf eine Pilgerfahrt begeben und freue mich auf den nahen Besuch in Österreich anläßlich der 850-Jahr-Feier des Heiligtums von Mariazell. Meine Reise steht unter dem Motto „Auf Christus schauen“. Diese Einladung gilt uns allen, denn Christus ist der Herr unseres Lebens. Gott segne euch und eure Familien!




Generalaudienzen 2005-2013 22087