Generalaudienzen 2005-2013 14117

Mittwoch, 14. November 2007: Der heilige Hieronymus (2)

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Liebe Brüder und Schwestern!

Wir fahren heute damit fort, die Gestalt des hl. Hieronymus vorzustellen. Wie wir am vergangenen Mittwoch gesagt haben, widmete er sein ganzes Leben so sehr dem Studium der Bibel, daß er von einem meiner Vorgänger, Papst Benedikt XV., als »herausragender Lehrer der Auslegung der Heiligen Schrift« gewürdigt wurde. Hieronymus hob die Freude und die Wichtigkeit hervor, sich mit den biblischen Texten vertraut zu machen: »Will dir nicht scheinen, schon hier auf Erden im Himmelreich zu wohnen, wenn du unter diesen Texten lebst, wenn du sie betrachtest, wenn du nichts anderes kennst und suchst?« (EP 53,10). In Wirklichkeit ist der Dialog mit Gott, mit seinem Wort in gewissem Sinn Gegenwart des Himmels, das heißt Gegenwart Gottes. Sich den biblischen Texten, vor allem dem Neuen Testament zu nähern ist für den Gläubigen ganz wesentlich, denn »die Schrift nicht kennen heißt Christus nicht kennen«. Das ist ein berühmter Satz von ihm, der vom Zweiten Vatikanischen Konzil in der Konstitution Dei Verbum (
DV 25) zitiert wird.

Er war in das Wort Gottes richtiggehend »verliebt« und fragte sich: »Wie könnte man ohne die Kenntnis der Schrift leben, durch die man lernt, Christus selbst zu kennen, der das Leben der Gläubigen ist?« (EP 30,7). Die Bibel, das Instrument, »durch das Gott jeden Tag zu den Gläubigen spricht« (EP 133,13), wird so Ansporn und Quelle des christlichen Lebens für alle Situationen und für jeden Menschen. Die Schrift lesen heißt mit Gott sprechen: »Wenn du betest« - schreibt er an eine junge adelige Frau aus Rom -, »sprichst du mit dem Bräutigam; wenn du (die Bibel) liest, spricht er zu dir« (EP 22,25). Das Studium und die Betrachtung der Heiligen Schrift machen den Menschen weise und gelassen (vgl. In Eph., prol.). Um immer tiefer in das Wort Gottes einzudringen, bedarf es gewiß einer ständigen und zunehmenden Hingabe. So empfahl Hieronymus dem Priester Nepotianus: »Lies sehr häufig die göttlichen Schriften; ja, lege das Heilige Buch nie aus der Hand. Lerne hier das, was du lehren sollst« (EP 52,7). Der römischen Matrone Leta gab er für die christliche Erziehung ihrer Tochter diese Ratschläge: »Vergewissere dich, daß sie täglich einige Abschnitte aus der Schrift studiert… An das Gebet schließe sie die Lesung an und an die Lesung das Gebet… Statt der Juwelen und Seidengewänder soll sie die Heiligen Bücher lieben« (EP 107,9 EP 107,12). Mit der Betrachtung der Schrift und ihrer Kenntnis »wird das Gleichgewicht der Seele aufrechterhalten« (vgl. In Eph, prol.). Nur ein tiefer Gebetsgeist und die Hilfe des Heiligen Geistes können uns in das Verständnis der Bibel einführen: »Bei der Auslegung der Heiligen Schrift benötigen wir immer die Hilfe des Heiligen Geistes« (In Mich. 1,1,10,15).

Eine leidenschaftliche Liebe für die Heilige Schrift durchdrang also das ganze Leben des Hieronymus, eine Liebe, die er stets auch in den Gläubigen zu wecken suchte. Einer seiner geistlichen Töchter empfahl er: »Liebe die Heilige Schrift, und die Weisheit wird dich lieben; liebe sie zärtlich, und sie wird dich beschützen; halte sie in Ehren und du wirst ihre Liebkosungen empfangen. Sie sei für dich wie deine Halsketten und deine Ohrringe« (EP 130,20). Und weiter: »Liebe die Wissenschaft der Schrift, und du wirst die Laster des Fleisches nicht lieben« (EP 125,11).

Ein grundlegendes methodologisches Kriterium bei der Auslegung der Schrift war für Hieronymus die Übereinstimmung mit dem Lehramt der Kirche. Wir können niemals alleine die Schrift lesen. Wir finden zu viele Türen verschlossen und gleiten leicht in den Irrtum ab. Die Bibel wurde vom Volk Gottes und für das Volk Gottes unter der Inspiration des Heiligen Geistes geschrieben. Nur in dieser Gemeinschaft mit dem Volk Gottes können wir wirklich mit dem »Wir« in den Kern der Wahrheit eintreten, die Gott selbst uns sagen will. Für Hieronymus mußte eine authentische Auslegung der Bibel immer in harmonischer Übereinstimmung mit dem Glauben der katholischen Kirche stehen. Es handelt sich nicht um eine Forderung, die diesem Buch von außen auferlegt würde; die Bibel ist die Stimme des pilgernden Gottesvolkes, und nur im Glauben dieses Volkes befinden wir uns sozusagen in der richtigen Tonart, um die Heilige Schrift zu verstehen. Deshalb mahnte Hieronymus: »Bleibe fest mit der traditionellen Lehre verbunden, die man dich gelehrt hat, damit du gemäß der gesunden Lehre diejenigen ermahnen und widerlegen kannst, die dir widersprechen« (EP 52,7). Besonders angesichts der Tatsache, daß Jesus Christus seine Kirche auf Petrus gegründet hat, muß jeder Christ - so seine Schlußfolgerung - »in Gemeinschaft mit der Kathedra des hl. Petrus« stehen. »Ich weiß, daß auf diesen Fels die Kirche gebaut ist« (EP 15,2). Und folgerichtig nannte er die Dinge beim Namen: »Ich stehe auf der Seite eines jeden, der mit der Kathedra des hl. Petrus verbunden ist« (EP 16).

Natürlich vernachlässigt Hieronymus nicht den ethischen Aspekt. Ja, er mahnt oft zur Pflicht, das Leben mit dem göttlichen Wort in Einklang zu bringen, denn nur wenn wir es leben, finden wir auch die Fähigkeit, es zu verstehen. Dieser Zusammenhang ist unverzichtbar für jeden Christen, besonders für den Prediger, damit seine Handlungen, falls sie nicht mit seinem Reden übereinstimmen sollten, ihn nicht in Verlegenheit bringen. So ermahnt er den Priester Nepotianus: »Deine Handlungen sollen deine Worte nicht Lügen strafen, damit es nicht geschehe, daß, wenn du in der Kirche predigst, jemand in seinem Inneren überlegt: ›Warum also handelst gerade du nicht so?‹ Gut macht sich wirklich jener Meister, der mit vollem Bauch scharfsinnig über das Fasten diskutiert; auch ein Dieb kann die Habgier tadeln; aber im Priester Christi müssen der Geist und das Wort in Einklang stehen« (EP 52,7). In einem anderen Brief bekräftigt Hieronymus: »Auch wenn er eine glänzende Lehre besitzt, bleibt jener Mensch beschämt, der sich von seinem eigenen Gewissen verurteilt fühlt« (EP 127,4). Weiter bemerkt er zum Thema Kohärenz: Das Evangelium muß in Haltungen wahrer Nächstenliebe umgesetzt werden, da in jedem Menschen die Person Christi selbst gegenwärtig ist. Als er sich zum Beispiel an den Priester Paulinus wendet (der dann Bischof von Nola und ein Heiliger wurde), gibt ihm Hieronymus folgenden Rat: »Der wahre Tempel Christi ist die Seele des Gläubigen: Schmücke es, dieses Heiligtum, verschönere es, lege in ihm deine Opfergaben nieder und empfange Christus. Wozu soll man die Wände mit Edelsteinen auskleiden, wenn Christus in der Person eines Armen an Hunger stirbt?« (EP 58,7). Hierony-mus sagt es ganz konkret: Man muß »Christus in den Armen kleiden, in den Leidenden aufsuchen, in den Hungernden speisen, in den Obdachlosen beherbergen« (EP 130,14). Die durch das Studium und die Betrachtung genährte Liebe zu Christus läßt uns jede Schwierigkeit überwinden: »Lieben auch wir Jesus Christus, suchen wir immer die Vereinigung mit ihm: Dann wird uns auch das leicht erscheinen, was schwer ist« (EP 22,40).

Hieronymus, der von Prosperus von Aquitanien als »Vorbild der Lebensführung und Lehrmeister des Menschengeschlechts« (Carmen de ingratis, 57) bezeichnet wurde, hat uns auch eine reiche und vielfältige Lehre über das christliche Asketentum hinterlassen. Er erinnert daran, daß ein mutiger Einsatz für die Vollkommenheit eine ständige Wachsamkeit, häufige Abtötungen, wenn auch mit Maß und Vorsicht, eine unermüdliche intellektuelle oder manuelle Arbeit, um den Müßiggang zu vermeiden (vgl. Epp. 125,11 und 130,15), und vor allem Gehorsam gegenüber Gott erfordert: »Nichts … gefällt Gott so sehr wie der Gehorsam…, der die höchste und einzige Tugend ist« (Hom. de obeodientia: CCL 78,552). Zum asketischen Weg kann auch die Praxis der Wallfahrten gehören. Hieronymus gab insbesondere den Wallfahrten ins Heilige Land Auftrieb, wo die Pilger in den Gebäuden aufgenommen und beherbergt wurden, die dank der Großzügigkeit der Adligen Paula, einer geistlichen Tochter des Hieronymus, neben dem Kloster von Betlehem entstanden waren (vgl. Ep 108,14).

Nicht verschwiegen werden kann schließlich der Beitrag, den Hieronymus auf dem Gebiet der christlichen Pädagogik geleistet hat (vgl. Epp. 107 und 128). Er nimmt sich vor, »eine Seele zu bilden, die zum Tempel des Herrn werden soll« (EP 107,4), zu einem »wertvollen Juwel« in den Augen Gottes (EP 107,13). Mit tiefer Einfühlung rät er, sie vor dem Bösen und vor den sündhaften Gelegenheiten zu bewahren, fragwürdige oder zerstreuende Freundschaften auszuschließen (vgl. Ep 107,4 und 8-9; vgl. auch Ep. 128,3-4). Vor allem ermahnt er die Eltern, daß sie um die Kinder ein Umfeld der Ruhe und Freude schaffen, sie durch Lob und Wetteifern auch zum Studium und zur Arbeit anregen (vgl. Epp. 107,4 und 128,1), sie ermuntern, die Schwierigkeiten zu überwinden, in ihnen die guten Gewohnheiten fördern und sie davor bewahren sollen, schlechte anzunehmen, weil - und hier zitiert er einen Satz des Publilius Syrus, den er in der Schule gehört hatte - »es dir kaum gelingen wird, an dir jene Dinge zu berichtigen, an die du dich ruhig gewöhnst« (EP 107,8). Die Eltern sind die wichtigsten Erzieher der Kinder, die ersten Lehrer des Lebens. Indem sich Hieronymus mit großer Klarheit an die Mutter eines Mädchens wendet und dann auf den Vater anspielt, mahnt er - und bringt damit gleichsam ein Grundbedürfnis jedes Menschen zum Ausdruck, der ins Dasein tritt: »Sie möge in dir ihre Lehrerin finden, und auf dich blicke mit Staunen ihre unerfahrene Kindheit. Weder in dir noch in ihrem Vater soll sie je Haltungen sehen, die sie zur Sünde führen, wenn sie nachgeahmt würden. Denkt daran, daß … ihr sie mehr durch das Vorbild als durch das Wort erziehen könnt« (EP 107,9). Unter den hauptsächlichen Einsichten des Hieronymus als Pädagoge sind hervorzuheben: die Bedeutung, die einer gesunden und ganzheitlichen Erziehung von der ersten Kindheit an zugeschrieben wird; die besondere Verantwortung, die den Eltern zuerkannt wird; die Dringlichkeit einer ernsthaften moralischen und religiösen Bildung; das Erfordernis des Lernens für eine vollständigere menschliche Bildung. Ein für die Antike ziemlich unerwarteter, aber von unserem Autor als lebenswichtig betrachteter Aspekt ist darüber hinaus die Förderung der Frau, der er das Recht auf eine vollständige Bildung zuerkennt: menschlich, schulisch, religiös und beruflich. Und wir sehen gerade heute, daß die Erziehung der Persönlichkeit in ihrer Ganzheit, die Erziehung zur Verantwortlichkeit vor Gott und vor dem Menschen die wahre Voraussetzung für jeden Fortschritt, für jeden Frieden, für jede Versöhnung und jeden Ausschluß von Gewalt ist. Erziehung vor Gott und vor dem Menschen: Es ist die Heilige Schrift, die uns die Führung der Erziehung und so des wahren Humanismus bietet.

Wir können diese raschen Anmerkungen über den großen Kirchenvater nicht abschließen, ohne auf den wirkungsvollen Beitrag hinzuweisen, der von ihm zur Bewahrung der positiven und gültigen Elemente der antiken jüdischen, griechischen und römischen Kultur in der entstehenden christlichen Zivilisation geleistet worden ist. Hieronymus hat die in den Klassikern vorhandenen künstlerischen Werte, den Reichtum der Gefühle und die Harmonie der Bilder, die das Herz und die Phantasie zu edlen Gefühlen erziehen, anerkannt und aufgenommen. Vor allem hat er das Wort Gottes, das den Menschen auf die Wege des Lebens hinweist und ihm die Geheimnisse der Heiligkeit enthüllt, zum Mittelpunkt seines Lebens und Handelns gemacht. Für all das können wir ihm nur zutiefst dankbar sein, gerade in unserer heutigen Zeit.

Im Anschluß an die Katechese vom vergangenen Mittwoch über das Leben des heiligen Hieronymus möchte ich heute einen kurzen Überblick über sein Denken geben. Um zum geistigen Gut dieses Kirchenvaters einen Zugang zu erhalten, müssen wir ihn als gläubigen Christen begreifen. Im Zentrum seines Denkens steht Christus, das Wort des Vaters und das wahre Leben, das Hieronymus im Studium der Heiligen Schrift immer tiefer zu erkennen sucht. Sein berühmter Satz „Die Schrift nicht kennen heißt Christus nicht kennen“, der sich auch in einem Dokument des Zweiten Vatikanischen Konzils wiederfindet (Dei Verbum DV 25), bringt dies treffend zum Ausdruck.

Der Heilige lädt die Gläubigen ein, mit der Bibel einen vertrauten Umgang zu pflegen. Die Heilige Schrift ist das Instrument, durch das Gott jeden Tag zu uns sprechen will. Allerdings bedarf es des Gebets und der Bitte um den Heiligen Geist, um im Verständnis des Wortes Gottes voranzuschreiten. Auf diesem Weg lernt der Christ auch, seinen Herrn in Werken der Nächstenliebe zu erkennen: Christus in den Armen zu kleiden, in den Leidenden zu begegnen, in den Hungernden zu speisen und in den Heimatlosen zu beherbergen. Die Gläubigen sind zur Vervollkommnung ihres geistlichen Lebens aufgerufen, die durch beständige Wachsamkeit, durch Verzicht, Arbeitseifer und Gehorsam erlangbar ist. Der Kirchenvater Hieronymus weiß und sagt uns: Das Wort Gottes erschließt uns Menschen Wege des Lebens und der Heiligkeit.
* * *


Von Herzen grüße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache. Der hl. Hieronymus mag uns allen in seinem Ringen, das oft nicht leicht war - er hatte ein schwieriges und wildes Temperament - ein Vorbild sein und uns ermutigen im beständigen Gebet, im Hören auf Gottes Wort, im Ringen mit Gottes Wort und im Ringen mit uns selbst, den rechten Weg zu finden. Der Herr unseres Lebens schenke euch seinen Frieden und geleite euch auf allen euren Wegen.



Mittwoch, 21. November 2007: Der "persische Weise" Aphrahat

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Liebe Brüder und Schwestern!

Bei unserem Gang durch die Welt der Kirchenväter möchte ich euch heute in einen wenig bekannten Teil dieses Universums des Glaubens führen, nämlich in die Gebiete, wo Kirchen semitischer Sprache florierten, die noch nicht vom griechischen Denken beeinflußt waren. Diese Kirchen entwickeln sich im Laufe des 4. Jahrhunderts im Nahen Osten, vom Heiligen Land bis zum Libanon und nach Mesopotamien. In jenem Jahrhundert, das auf kirchlicher und literarischer Ebene eine Zeit der Formung ist, erleben diese Gemeinden das Sich-Durchsetzen des asketisch-mönchischen Phänomens mit autochthonen Charakteristiken, die nicht dem Einfluß des ägyptischen Mönchtums unterliegen. Die syrischen Gemeinden des 4. Jahrhunderts repräsentieren somit die semitische Welt, aus der die Bibel selbst hervorgegangen ist, und sind Ausdruck eines Christentums, dessen theologische Ausdrucksform noch nicht mit andersgearteten kulturellen Strömungen in Berührung gekommen ist, sondern in eigenen Denkgestalten lebt. Es sind Kirchen, in denen das Asketentum unter verschiedenen Gestalten des Einsiedlerlebens (Eremiten in der Wüste, Eremiten in Höhlen, Reklusen, Styliten [»Säulenheilige«]) und das Mönchtum in Formen des Gemeinschaftslebens bei der Entwicklung des theologischen und geistlichen Denkens eine Rolle von entscheidender Wichtigkeit spielen.

Ich möchte diese Welt durch die große Gestalt des Aphrahat vorstellen, der auch unter dem Beinamen »der Weise« bekannt ist, eine der bedeutendsten und zugleich rätselhaftesten Persönlichkeiten des syrischen Christentums des 4. Jahrhunderts. Er stammte aus der Gegend von Ninive-Mossul - im heutigen Irak - und lebte in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts. Über sein Leben haben wir wenige Nachrichten; er unterhielt jedenfalls enge Beziehungen zu den asketisch-mönchischen Kreisen der syrischen Kirche, über die er uns in seinem Werk Nachrichten hinterlassen hat und denen er zum Teil seine Überlegungen widmet. Nach einigen Quellen stand er sogar einem Kloster vor und wurde schließlich auch zum Bischof geweiht. Er schrieb 23 Reden, die unter dem Titel Expositiones oder Demonstrationes - Darlegungen - bekannt sind und in denen er verschiedene Themen christlichen Lebens, wie den Glauben, die Liebe, das Fasten, die Demut, das Gebet, das asketische Leben selbst und auch die Beziehung zwischen Judentum und Christentum, zwischen Altem und Neuem Testament behandelt. Er schreibt in einem einfachen Stil, mit kurzen Sätzen und Parallelismen, die manchmal im Gegensatz zueinander stehen; es gelingt ihm jedoch, eine kohärente Rede mit einer gut gegliederten Entfaltung der verschiedenen von ihm behandelten Themen aufzubauen.

Aphrahat stammte aus einer Kirchengemeinde, die sich an der Grenze zwischen Judentum und Christentum befand. Es war eine Gemeinde, die eng an die Mutterkirche von Jerusalem gebunden war und deren Bischöfe traditionell aus dem Kreis der sogenannten »Familienangehörigen « des Jakobus gewählt wurden, des »Bruders des Herrn« (vgl.
Mc 6,3): das heißt, es waren Personen, die durch Blut und Glaube mit der Kirche von Jerusalem verbunden waren. Die Sprache Aphrahats ist das Syrische, also eine semitische Sprache wie das Hebräische des Alten Testaments und wie das von Jesus selbst gesprochene Aramäische. Die kirchliche Gemeinde, in der Aphrahat lebte, war eine Gemeinde, die versuchte, der jüdisch-christlichen Tradition treu zu bleiben, als deren Tochter sie sich fühlte. Sie unterhielt deshalb eine enge Beziehung mit der jüdischen Welt und deren heiligen Büchern. Bemerkenswerterweise bezeichnet sich Aphrahat als »Jünger der Heiligen Schrift« des Alten und des Neuen Testaments (Demonstratio 22,26), die er als seine einzige Inspirationsquelle betrachtet und auf die er in so reicher Weise zurückgreift, daß er sie zum Mittelpunkt seiner Betrachtung macht.

Aphrahat entfaltet in seinen Darlegungen verschiedene Themen. Getreu der syrischen Tradition stellt er oft das von Christus gewirkte Heil als eine Heilung dar und folglich Christus selbst als Arzt. Die Sünde hingegen wird als eine Wunde gesehen, die allein die Buße zu heilen vermag: »Ein Mann, der im Kampf verwundet wurde«, sagt Aphrahat, »schämt sich nicht, sich in die Hände eines weisen Arztes zu begeben…; in gleicher Weise darf sich der, der vom Satan verwundet wurde, nicht schämen, seine Schuld einzugestehen und von ihr Abstand zu nehmen, indem er um die Medizin der Buße bittet« (Demonstratio 7,3). Ein anderer wichtiger Aspekt im Werk Aphrahats ist seine Lehre über das Gebet und besonders über Christus als Meister des Gebets. Der Christ betet, indem er der Lehre Jesu und dessen Vorbild als Betender folgt: »Unser Heiland hat uns so zu beten gelehrt und sagt: ›Bete im Verborgenen zu dem, der verborgen ist, aber alles sieht‹; und weiter: ›Geh in deine Kammer und bete zu deinem Vater im Verborgenen. Dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten‹ (Mt 6,6) … Was unser Heiland zeigen will, ist, daß Gott die Wünsche und Gedanken des Herzens kennt« (Demonstratio 4,10).

Für Aphrahat besteht der Mittelpunkt des christlichen Lebens in der Nachfolge Christi, sein Joch auf sich zu nehmen und ihm auf dem Weg des Evangeliums zu folgen. Eine der Tugenden, die sich für den Jünger Christi am meisten ziemt, ist die Demut. Sie ist kein nebensächlicher Aspekt im geistlichen Leben des Christen: Die Natur des Menschen ist niedrig, und es ist Gott, der sie zu seiner Herrlichkeit erhebt. Die Demut ist kein negativer Wert, bemerkt Aphrahat: »Wenn die Wurzel des Menschen in die Erde gepflanzt ist, steigen seine Früchte vor dem Herrn der Größe auf« (Demonstratio 9,14). Bleibt der Christ demütig, kann er auch in der irdischen Wirklichkeit, in der er lebt, in eine Beziehung zum Herrn eintreten: »Der Niedrige ist niedrig, aber sein Herz hebt sich empor zu herausragenden Höhen. Die Augen seines Antlitzes beobachten die Erde, und die Augen des Geistes die herausragende Höhe« (Demonstratio 9,2).

Die Sichtweise, die Aphrahat vom Menschen und seiner leiblichen Wirklichkeit hat, ist sehr positiv: Der Leib des Menschen ist nach dem Vorbild des demütigen Christus zur Schönheit, zur Freude, zum Licht berufen: »Gott nähert sich dem Menschen, den er liebt, und es ist recht, die Demut zu lieben und im Zustand der Demut zu verbleiben. Die Demütigen sind einfach, geduldig, geliebt, unbestechlich, rechtschaffen, erfahren im Guten, vorsichtig, gelassen, weise, ruhig, friedvoll, barmherzig, bereit zur Umkehr, wohlwollend, tief, besonnen, schön und wünschenswert« (Demonstratio 9,14). Bei Aphrahat wird das christliche Leben oft in einer deutlichen asketischen und spirituellen Dimension präsentiert: Der Glaube ist die Basis, die Grundlage des christlichen Lebens; er macht aus dem Menschen einen Tempel, wo Christus selbst wohnt. Der Glaube macht daher eine aufrichtige Liebe möglich, die in der Liebe zu Gott und zum Nächsten zum Ausdruck kommt. Ein weiterer wichtiger Aspekt bei Aphrahat ist das Fasten, das von ihm in einem sehr weiten Sinn verstanden wird. Er spricht vom Fasten in Form des Verzichts auf Nahrung als notwendiger Praxis, um wohltätig und jungfräulich zu sein, vom Fasten, das in der Mäßigung im Blick auf die Heiligkeit besteht, vom Fasten in Form des Verzichts auf leere und verabscheuungswürdige Worte, vom Fasten als Verzicht auf die Wut, vom Fasten in Form des Verzichts auf den Besitz von Gütern im Hinblick auf den Dienst, vom Fasten als Verzicht auf den Schlaf, um sich dem Gebet zu widmen.

Liebe Brüder und Schwestern, kehren wir abschließend zur Lehre Aphrahats über das Gebet zurück. Nach diesem antiken »Weisen« verwirklicht sich das Gebet, wenn Christus im Herzen des Christen wohnt und ihn zu einem kohärenten Einsatz der Nächstenliebe einlädt. Er schreibt nämlich:

»Tröste die Niedergeschlagenen, besuche die Kranken,
sorge dich um die Armen: Das ist das Gebet.
Das Gebet ist gut, und seine Werke sind schön.
Das Gebet ist willkommen, wenn es dem Nächsten ein Trost ist.
Das Gebet wird erhört,
wenn sich in ihm auch die Vergebung der Kränkungen findet.
Das Gebet ist stark,
wenn es erfüllt von der Kraft Gottes ist« (Demonstratio 4,14-16).

Mit diesen Worten lädt uns Aphrahat zu einem Gebet ein, das christliches Leben wird, verwirklichtes Leben, Leben, das vom Glauben durchdrungen ist, von der Öffnung zu Gott und so von der Liebe zum Nächsten.

Heute möchte ich über Aphrahat, einen bedeutenden Vertreter der syrischen Kirche in der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts, sprechen. In den im wesentlichen semitisch geprägten und vom griechischen Denken unberührten Gemeinden der syrischen Kirche entfaltete das Christentum eigene Ausdrucksformen in Theologie und Frömmigkeit, besonders in der Askese und im Mönchstum. So ist Aphrahat, der auch der „persische Weise“ genannt wird, der erste Zeuge einer eigenständigen syrischen christlichen Literatur. Über sein Leben und seine Person ist wenig bekannt. Er stammte aus der Gegend von Mosul in Mesopotamien, aus einer Gemeinde, die in Kontakt mit der Kirche von Jerusalem stand. Aphrahat hatte Verbindungen mit dem Mönchstum und war vielleicht selbst Vorsteher eines Klosters. Aus seiner Feder sind uns 23 „Demonstrationes“ - „Darlegungen“ in syrischer Sprache überliefert. Diese Darlegungen haben Themen gelebter christlicher Frömmigkeit und des asketischen Lebens zum Inhalt: Glaube, Liebe, Demut, Gebet, Fasten, Buße etc. Ein Teil der Darlegungen widmet sich der Beziehung von Judentum und Christentum. Ausgangs- und Mittelpunkt der Überlegungen des persischen Weisen ist die Heilige Schrift. Jesus nachahmen und ihm auf dem Weg des Evangeliums nachfolgen ist für Aphrahat die Mitte des christlichen Lebens. Einen wichtigen Platz in den „Darlegungen“ nimmt das Gebet ein. Christus ist Lehrer und Vorbild des Gebets. Wenn der Herr im Herzen des Gläubigen wohnt, dann verwirklicht sich sein Beten im tätigen Einsatz der Nächstenliebe.
* * *


Gerne heiße ich alle deutschsprachigen Teilnehmer an der heutigen Audienz willkommen. Einen besonderen Gruß richte ich an das Generalkapitel der Barmherzigen Brüder von Maria Hilf in Trier. Der Kirchenvater Aphrahat erinnert uns daran, daß Glaube und Gebet ihren Platz im täglichen Leben haben. Der Herr helfe euch und uns allen, im Alltag Zeugnis für seine Liebe zu geben. Dazu schenke er uns seinen Heiligen Geist.

APPELL


Es erreichen uns schmerzliche Nachrichten über die prekäre humanitäre Situation in Somalia, insbesondere in Mogadischu, wo immer größere soziale Unsicherheit und Armut herrschen. Mit Besorgnis verfolge ich die Entwicklung der Ereignisse und appelliere an die verantwortlichen Politiker auf lokaler und internationaler Ebene, daß sie friedliche Lösungen finden mögen, um diesem geliebten Volk zu helfen. Ich ermutige ebenso die Bemühungen all jener, die trotz der Ungewißheit und Beschwernisse in jener Region bleiben, um den Bewohnern Hilfe und Unterstützung zu bringen.



Mittwoch, 28. November 2007: Der Hl. Ephräm der Syrer

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Liebe Brüder und Schwestern!

Nach heutiger allgemeiner Meinung wäre das Christentum eine europäische Religion, die dann die Kultur dieses Kontinents in andere Länder exportiert hätte. Aber die Wirklichkeit ist sehr viel komplexer, da die Wurzel der christlichen Religion im Alten Testament und somit in Jerusalem und in der semitischen Welt liegt. Das Christentum nährt sich immer aus dieser Wurzel des Alten Testaments. Auch seine Ausbreitung in den ersten Jahrhunderten erfolgte sowohl in Richtung Westen - in die griechisch-lateinische Welt, wo es dann die europäische Kultur inspirierte - als auch nach Osten, bis nach Persien und Indien, und trug so zur Entstehung einer spezifischen Kultur in semitischen Sprachen mit einer eigenen Identität bei. Um diese kulturelle Vielgestaltigkeit des einen christlichen Glaubens der Anfangszeit zu zeigen, habe ich in der Katechese am vergangenen Mittwoch über einen Vertreter dieses anderen Christentums gesprochen, nämlich über Aphrahat, den persischen Weisen, der bei uns nahezu unbekannt ist. Auf derselben Linie möchte ich heute über den hl. Ephräm den Syrer sprechen, der um das Jahr 306 in Nisibis in einer christlichen Familie zur Welt kam. Er war der bedeutendste Vertreter des Christentums syrischer Sprache, und es gelang ihm, auf einzigartige Weise die Berufung des Theologen mit jener des Dichters zu verbinden. Er bildete sich und wuchs heran an der Seite des Bischofs Jakobus von Nisibis (303-338); mit ihm gemeinsam gründete er die theologische Schule seiner Stadt. Nach seiner Diakonweihe nahm er intensiv am Leben der christlichen Ortsgemeinde teil, bis Nisibis im Jahr 363 in die Hände der Perser fiel. Ephräm emigrierte nun nach Edessa, wo er seine Tätigkeit als Prediger fortsetzte. In dieser Stadt starb er 373 als Opfer der Pest, mit der er sich bei der Pflege der Pestkranken angesteckt hatte. Man weiß nicht mit Sicherheit, ob er Mönch war, aber gewiß ist jedenfalls, daß er sein ganzes Leben lang Diakon blieb und sich an das Gebot der Jungfräulichkeit und der Armut gehalten hat. So kommt in der Besonderheit seiner kulturellen Ausdrucksweise die gemeinsame und grundlegende christliche Identität zum Vorschein: der Glaube, die Hoffnung - diese Hoffnung, die ihn arm und keusch in dieser Welt leben läßt, indem er alle Erwartung auf den Herrn setzt - und schließlich die Liebe bis zur Selbsthingabe in der Pflege der Pestkranken.

Der hl. Ephräm hat uns ein großes theologisches Erbe hinterlassen: Sein beachtliches Werk läßt sich in vier Kategorien unterteilen: in gewöhnlicher Prosa geschriebene Werke (seine Streitschriften oder die Bibelkommentare); Werke in poetischer Prosa; Homilien in Versform; schließlich die Hymnen, mit Sicherheit das umfassendste Werk Ephräms. Er ist unter vielen Aspekten, besonders aber in theologischer Hinsicht ein reicher und interessanter Schriftsteller. Die Besonderheit seiner Arbeit liegt darin, daß sich in ihr Theologie und Dichtung begegnen. Wenn wir uns seiner Lehre nähern wollen, müssen wir von Anfang folgendes betonen, nämlich die Tatsache, daß er Theologie in poetischer Gestalt betreibt. Die Dichtung gestattet ihm, die theologische Reflexion durch Paradoxa und Bilder zu vertiefen. Gleichzeitig wird seine Theologie Liturgie, sie wird Musik: Er war in der Tat ein großer Komponist, ein Musiker. Theologie, Reflexion über den Glauben, Dichtung, Gesang, Lob Gottes gehen zusammen; und gerade in diesem liturgischen Charakter tritt in der Theologie Ephräms mit aller Klarheit die göttliche Wahrheit zutage. In seiner Suche nach Gott, in der Art, wie er Theologie betreibt, folgt er dem Weg des Paradoxons und des Symbols. Einander entgegengesetzte Bilder werden von ihm weithin bevorzugt, weil sie ihm dazu dienen, das Geheimnis Gottes hervorzuheben.

Ich kann jetzt nicht viel von ihm vorlegen, auch weil seine Dichtung schwierig zu übersetzen ist; aber um wenigstens eine Vorstellung von seiner poetischen Theologie zu geben, möchte ich aus zwei Hymnen zitieren. Vor allem auch im Hinblick auf den bevorstehenden Advent unterbreite ich euch einige wunderbare Bilder aus den Hymnen »Über die Geburt Christi«. Angesichts der Jungfrau bekundet Ephräm in inspiriertem Ton sein Staunen:

»Der Herr trat in sie ein,
um Knecht zu werden.
Das Wort trat in sie ein,
um in ihrem Schoß zu verstummen.
Der Donner trat in sie ein,
um sein Lärmen zum Schweigen zu bringen.
Der Hirt trat in sie ein,
und siehe, das geborene Lamm, das leise weint.
Denn der Schoß Mariens
kehrte die Rollen um:
Er, der alle Dinge geschaffen hat,
nahm ihn in Besitz, aber als Armer.
Der Allerhöchste kam in sie (Maria),
aber er trat ein in Niedrigkeit.
Die Herrlichkeit kam in sie,
gekleidet aber in ärmliche Tücher.
Er, der alle Dinge spendet,
lernte den Hunger kennen.
Er, der allen zu trinken gibt,
lernte den Durst kennen.
Nackt und unbekleidet trat er aus ihr hervor,
er, der alle Dinge (mit Schönheit) kleidet«.
(Hymnus De Nativitate 11,6-8).

Um das Geheimnis Christi zum Ausdruck zu bringen, verwendet Ephräm eine große Vielfalt von Themen, Ausdrucksformen und Bildern. In einem seiner Hymnen verbindet er auf wirksame Weise Adam (im Paradies) mit Christus (in der Eucharistie):

»Verschlossen wurde
mit dem Schwert des Cherubs
der Weg
des Baumes des Lebens.
Aber für die Völker
hat sich der Herr dieses Baumes
selbst als Speise hingegeben
in der (eucharistischen) Darbringung.
Die Bäume des Gartens Eden
wurden dem ersten Adam als Nahrung gegeben.
Für uns ist der Gärtner
des Gartens selbst
zur Nahrung
für unsere Seelen geworden.
Wir alle waren nämlich
aus dem Paradies hinausgegangen,
zusammen mit Adam,
der es hinter sich gelassen hat.
Jetzt, da das Schwert weggenommen ist
von der Lanze,
dort unten (am Kreuz),
können wir dorthin zurückkehren«.
(Hymnus 49,9-11)

Um über die Eucharistie zu sprechen, bedient sich Ephräm zweier Bilder: der Glut oder der glühenden Kohle und der Perle. Das Thema der Glut ist dem Propheten Jesaja entnommen (vgl. 6,6). Es ist das Bild des Seraphs, der die Glut mit der Zange nimmt und damit einfach die Lippen des Propheten berührt, um sie zu reinigen; der Christ hingegen berührt und ißt die Glut, die Christus selbst ist:


»In deinem Brot verbirgt sich der Geist,
der nicht gegessen werden kann;
in deinem Wein ist das Feuer, das man nicht trinken kann.
Der Geist in deinem Brot, das Feuer in deinem Wein:
Siehe, ein Wunder, das von unseren Lippen aufgenommen wird.
Der Seraph konnte seine Finger nicht der Glut nähern,
die sich nur dem Mund des Jesaja näherte;
weder Finger haben sie genommen, noch Lippen haben sie geschluckt;
uns aber hat der Herr gestattet, beides zu tun.
Das Feuer kam mit Zorn herab, um die Sünder zu zerstören,
aber das Feuer der Gnade kommt auf das Brot herab und bleibt dort.
Statt des Feuers, das den Menschen zerstörte,
haben wir das Feuer im Brot gegessen
und sind belebt worden«
(Hymnus De Fide 10,8-10)

Und noch ein letztes Beispiel aus den Hymnen des hl. Ephräm, wo er von der Perle als Symbol des Reichtums und der Schönheit des Glaubens spricht:

»Ich legte (die Perle), meine Brüder, auf meine Hand,
um sie prüfen zu können.
Ich schickte mich an, sie von der einen und von der anderen Seite zu betrachten:
sie hatte von allen Seiten ein und dasselbe Aussehen.
(So) ist die Suche des Sohnes, undurchschaubar,
weil sie ganz Licht ist.
In ihrer Klarheit sah ich den Klaren,
der nicht undurchsichtig wird;
und in ihrer Reinheit
das große Symbol des Leibes unseres Herrn,
der rein ist.
In ihrer Unteilbarkeit sah ich die Wahrheit,
die unteilbar ist«
(Hymnus Über die Perle 1,2-3)

Die Gestalt Ephräms ist für das Leben der verschiedenen christlichen Kirchen noch immer sehr aktuell. Wir entdecken ihn vor allem als Theologen, der ausgehend von der Heiligen Schrift poetisch über das Geheimnis der von Christus, dem fleischgewordenen Wort Gottes, gewirkten Erlösung des Menschen nachdenkt. Seine theologische Reflexion wird mit Bildern und Symbolen zum Ausdruck gebracht, die der Natur, dem Alltagsleben und der Bibel entnommen sind. Der Dichtung und den Hymnen für die Liturgie verleiht Ephräm einen didaktischen und katechetischen Charakter; es handelt sich um theologische Hymnen, die sich gleichzeitig für das Gebet oder für den liturgischen Gesang eignen. Ephräm bedient sich dieser Hymnen, um anläßlich der liturgischen Feste die Lehre der Kirche zu verbreiten. Mit der Zeit haben sie sich als ein äußerst wirksames katechetisches Mittel für die christliche Gemeinde erwiesen.

Wichtig ist Ephräms Reflexion zum Thema Schöpfergott: Nichts in der Schöpfung ist zusammenhanglos, und die Welt ist neben der Heiligen Schrift eine Bibel Gottes. Wenn der Mensch in falscher Weise von seiner Freiheit Gebrauch macht, stellt er die Ordnung des Kosmos auf den Kopf. Für Ephräm ist die Rolle der Frau bedeutsam. Die Art und Weise, in der er von ihr spricht, ist immer von Einfühlungsvermögen und Achtung inspiriert: Der Aufenthalt Jesu im Schoß Mariens hat die Würde der Frau sehr erhöht. Wie es keine Erlösung ohne Jesus gibt, so gibt es für Ephräm keine Menschwerdung ohne Maria. Die göttlichen und menschlichen Dimensionen des Geheimnisses unserer Erlösung finden sich schon in den Texten Ephräms; auf poetische Weise und mit Bildern, die grundsätzlich der Heiligen Schrift entnommen sind, nimmt er den theologischen Hintergrund und in gewisser Weise selbst die Sprache der großen christologischen Definitionen der Konzilien des 5. Jahrhunderts vorweg.

Ephräm, der von der christlichen Tradition mit dem Titel »Zither des Heiligen Geistes« geehrt wurde, blieb sein ganzes Leben lang Diakon seiner Kirche. Es war eine entscheidende und sinnbildliche Wahl: Er war Diakon, das heißt Diener, sowohl im liturgischen Dienst als auch, auf radikalere Weise, in der Liebe zu Christus, der von ihm auf unvergleichliche Weise besungen wurde, und schließlich in der Liebe zu den Brüdern, die er mit seltener Meisterhaftigkeit in die Kenntnis der göttlichen Offenbarung einführte.

Ephräm der Syrer ist der bedeutendste Kirchenvater syrischer Sprache. Seiner Person und seinem Werk möchte ich die heutige Katechese widmen. Der heilige Ephräm kam um 306 zur Welt und wuchs an der Seite des Bischofs Jakobus von Nisibis auf. Als Diakon und theologischer Lehrer stellte er sich ganz in den Dienst der Kirche. Im Jahr 363 mußte er nach Edessa auswandern, wo er zehn Jahre später an der Pest starb, mit der er sich bei der Pflege von Kranken angesteckt hatte. Das Werk des Kirchenlehrers Ephräm ist vielfältig: Streitschriften und Bibelkommentare in Prosa, Homilien in Versform und schließlich zahlreiche Hymnen, in denen er sich zugleich als Theologe und als Dichter auszeichnet. Mit kontrastreichen Bildern und Symbolen lotet er das Geheimnis des Dreifaltigen Gottes und der Heilsgeschichte aus. Die einprägsamen mit Melodien versehenen Texte dienten aber auch der Katechese. Im Blick auf den schon nahen Advent und das Weihnachtsfest möchte ich einige Verse über Christus und die selige Jungfrau Maria vorlesen: „Der Herr trat in sie ein - und wurde zum Knecht. Der Wortbegabte trat ein - und wurde stumm in ihr. Der Donner trat ein - und brachte seine Stimme zum Schweigen. Der Hirte trat ein - und wurde in ihr zum Lamm.“
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Einen frohen Gruß richte ich an die deutschsprachigen Pilger und Besucher. Der Kirchenvater Ephräm, seine Werke und sein Leben, das mit der Hingabe für die Leidenden endet, sind für uns alle ein Ansporn, unseren Glauben und unser Gebet aus den großen und schönen Texten und Gesängen der Kirche zu nähren und so zu Leben werden zu lassen. Diese Gesänge, die Freude der Liturgie macht unser Herz froh, stärkt unseren Glauben und unsere Hoffnung. Der Herr segne und behüte euch und eure Familien.

APPELL

Am kommenden 1. Dezember wird der Welt-Aids-Tag begangen. Im Geiste bin ich all jenen nahe, die an dieser schrecklichen Krankheit leiden, wie auch ihren Familien, und insbesondere denjenigen, die vom Verlust eines Angehörigen betroffen sind. Allen sichere ich mein Gebet zu.

Zudem möchte ich alle Menschen guten Willens aufrufen, ihre Bemühungen zu vermehren, um die Verbreitung des HIV-Virus zu stoppen, der Verachtung entgegenzuwirken, der die Betroffenen oft ausgesetzt sind, und sich der Kranken anzunehmen, besonders wenn es sich um Kinder handelt.




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