Generalaudienzen 2005-2013 7070

Mittwoch, 7. Juli 2010: Johannes Duns Scotus

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Liebe Brüder und Schwestern!

Nach einigen Katechesen über verschiedene große Theologen möchte ich euch heute vormittag eine andere wichtige Gestalt in der Geschichte der Theologie vorstellen: den seligen Johannes Duns Scotus, der am Ende des 13. Jahrhunderts lebte. Eine alte Inschrift an seinem Grab faßt die geographischen Koordinaten seines Lebens zusammen: »England hat ihn aufgenommen; Frankreich hat ihn unterrichtet; Köln in Deutschland bewahrt seine sterblichen Reste; in Schottland wurde er geboren.« Wir können diese Informationen nicht vernachlässigen, auch weil wir recht wenige Nachrichten über das Leben von Duns Scotus besitzen. Er wurde wahrscheinlich 1266 geboren, in einem Dorf namens Duns, das bei Edinburgh gelegen war.

Vom Charisma des hl. Franz von Assisi angezogen, trat er in die Familie der Minderbrüder ein und wurde 1291 zum Priester geweiht. Begabt mit hervorragender Intelligenz und einem Hang zur Spekulation - jener Intelligenz, die ihm in der Überlieferung den Titel »Doctor subtilis«, scharfsinniger Denker, einbrachte -, wurde Duns Scotus zum Studium der Philosophie und der Theologie an den berühmten Universitäten von Oxford und Paris bestimmt. Nach erfolgreichem Abschluß des Studiums lehrte er an den Universitäten von Cambridge und Oxford und später in Paris Theologie. Wie alle Meister seiner Zeit begann er, die Sentenzen des Petrus Lombardus zu kommentieren. Die Hauptwerke von Duns Scotus sind die reife Frucht dieser Vorlesungen. Sie sind nach den Orten benannt, an denen er lehrte: Opus Oxoniense (Oxford), Reportatio Cambrigensis (Cambridge), Reportata Parisiensia (Paris). Er verließ Paris, nachdem ein schwerer Konflikt zwischen König Philipp IV. dem Schönen und Papst Bonifatius VIII. ausgebrochen war und Duns Scotus lieber freiwillig ins Exil ging als ein Dokument zu unterzeichnen, das gegen den Papst gerichtet war, wie der König es von allen Ordensmännern verlangte. So verließ er aus Liebe zum Stuhl Petri zusammen mit den Franziskanern das Land.

Liebe Brüder und Schwestern, diese Tatsache lädt uns ein, daran zu denken, wie oft die Gläubigen in der Kirchengeschichte Feindseligkeiten ausgesetzt waren und sogar Verfolgungen erlitten haben aufgrund ihrer Treue und ihrer Ergebenheit gegenüber Christus, der Kirche und dem Papst. Wir alle blicken mit Bewunderung auf diese Christen, die uns lehren, den Glauben an Christus und die Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri und so mit der Universalkirche als kostbares Gut zu bewahren.

Jedoch waren die Beziehungen zwischen dem König von Frankreich und dem Nachfolger Bonifatius’ VIII. schon bald wieder freundschaftlich geprägt, und 1305 konnte Duns Scotus nach Paris zurückkehren, um dort als »Magister regens« - heute würde man sagen, »ordentlicher Professor« - Theologie zu lehren. Später sandten ihn seine Oberen nach Köln als Professor am theologischen »Studium« der Franziskaner, aber er starb am 8. November 1308 im Alter von nur 43 Jahren. Er hinterließ jedoch eine beachtliche Anzahl von Werken.

Da er im Ruf der Heiligkeit stand, verbreitete sich seine Verehrung recht schnell im Franziskanerorden, und der ehrwürdige Diener Gottes Papst Johannes Paul II. nahm am 20. März 1993 seine feierliche Seligsprechung vor und nannte ihn »Verkündiger des menschgewordenen Wortes und Verteidiger der Unbefleckten Empfängnis«. In diesem Ausdruck ist der große Beitrag zusammengefaßt, den Duns Scotus zur Geschichte der Theologie geleistet hat.

Vor allem hat er über das Geheimnis der Menschwerdung nachgedacht und hat im Gegensatz zu vielen anderen christlichen Denkern seiner Zeit die Auffassung vertreten, daß Christus auch dann Mensch geworden wäre, wenn die Menschheit nicht gesündigt hätte. In der Reportata Parisiensa sagt er: »Zu glauben, daß Gott auf dieses Werk verzichtet hätte, wenn Adam nicht gesündigt hätte, wäre völlig unvernünftig! Ich sage daher, daß der Sündenfall nicht die Ursache für die Vorherbestimmung Christi war und daß Christus auch unter dieser Annahme - wenn also niemand, weder Mensch noch Engel, zu Fall gekommen wäre - noch immer in gleicher Weise vorherbestimmt gewesen wäre« (in III Sent., d. 7,4). Dieser vielleicht etwas überraschende Gedanke kommt daher, daß für Duns Scotus die Menschwerdung des Sohnes Gottes, die Gottvater in seinem Liebesplan von Ewigkeit her vorgesehen hatte, die Vollendung der Schöpfung ist, die es jedem Geschöpf ermöglicht, in Christus und durch ihn von der Gnade erfüllt zu sein und Gott bis in alle Ewigkeit Lobpreis und Ehre zu erweisen. Obgleich Duns Scotus weiß, daß Christus uns in Wirklichkeit aufgrund der Erbsünde durch sein Leiden, seinen Tod und seine Auferstehung erlöst hat, betont er, daß die Menschwerdung das größte und schönste Werk der ganzen Heilsgeschichte ist: Sie ist nicht durch eine kontingente Tatsache bedingt, sondern entspricht dem ursprünglichen Plan Gottes, am Ende die ganze Schöpfung in der Person und im Fleisch des Sohnes mit sich zu vereinen.

Als treuer Schüler des hl. Franziskus liebte Duns Scotus es, das Geheimnis des heilbringenden Leidens Christi zu betrachten, den Ausdruck der unermeßlichen Liebe Gottes, der seine Güte und seine Liebe mit äußerster Großherzigkeit um sich herum ausstrahlt (vgl. Tractatus de primo principio, Kap. 4). Und diese Liebe offenbart sich nicht nur auf dem Kalvarienberg, sondern auch in der heiligsten Eucharistie, die Duns Scotus hoch verehrte. Er betrachtete sie als das Sakrament der Realpräsenz Jesu und als das Sakrament der Einheit und der Gemeinschaft, das uns dazu führt, einander zu lieben und Gott als das gemeinsame höchste Gut zu lieben (vgl. Reportata Parisiensia, in IV Sent., d. 8, q. 1, n. 3). „Und wie diese liebende Zuwendung, diese Liebe, am Anfang von allem steht“ - wie ich, den Gedanken des sel. Duns Scotus aufgreifend, in meinem Schreiben anläßlich des Internationalen Kongresses zu dessen 700. Todestag betont habe - „so wird auch unsere Glückseligkeit allein in liebender Zuwendung und Liebe bestehen: ‚Das Wollen in Form der Liebe ist das ewige, seligmachende und vollkommene Leben‘ (AAS 101 [2009], 5).

Liebe Brüder und Schwestern, diese stark »christozentrische« theologische Sichtweise macht uns offen für die Betrachtung, das Staunen und die Dankbarkeit: Christus ist der Mittelpunkt der Geschichte und des Kosmos. Er ist es, der unserem Leben Sinn, Würde und Wert verleiht! Wie Papst Paul VI. in Manila möchte auch ich heute der Welt zurufen: »[Christus] ist der Offenbarer des unsichtbaren Gottes; er ist der Erstgeborene der ganzen Schöpfung; er ist die Grundlage von allem; er ist der Lehrer der Menschheit, er ist der Erlöser; er ist für uns geboren, gestorben und auferstanden; er ist der Mittelpunkt der Weltgeschichte; er ist derjenige, der uns kennt und liebt; er ist der Gefährte und Freund unseres Lebens … Ich könnte nicht aufhören, von ihm zu sprechen« (Predigt, 29. November 1970).

Nicht nur die Rolle Christi in der Heilsgeschichte, sondern auch die Marias ist Gegenstand der Reflexion des »Doctor subtilis«. Zur Zeit von Duns Scotus setzte der größte Teil der Theologen der Lehre, nach der die allerseligste Jungfrau Maria vom ersten Augenblick ihrer Empfängnis an ohne Erbsünde war, einen Einwand entgegen, der unüberwindlich schien: Auf den ersten Blick konnte nämlich eine solche Aussage der Universalität der von Christus gewirkten Erlösung Abbruch tun - so als hätte Maria Christus und seine Erlösung nicht gebraucht. Daher widersetzten sich die Theologen dieser Annahme. Um die Bewahrung vor der Erbsünde verständlich zu machen, entwickelte Duns Scotus damals ein Argument, das später, im Jahre 1854, auch der selige Papst Pius IX. übernahm, als er das Dogma von der Unbefleckten Empfängnis Mariens feierlich verkündigte. Es ist das Argument der »Vorauserlösung «, der zufolge die Unbefleckte Empfängnis das schönste Werk der von Christus gewirkten Erlösung darstellt, weil durch die Kraft seiner Liebe und seiner Mittlerschaft die Mutter vor der Erbsünde bewahrt wurde. Maria wurde also von Christus vollkommen erlöst, aber bereits vor ihrer Empfängnis. Seine Mitbrüder, die Franziskaner, nahmen diese Lehre mit Begeisterung auf und verbreiteten sie, und andere Theologen verpflichteten sich - oft unter feierlichem Eid -, sie zu verteidigen und zu vollenden.

In diesem Zusammenhang möchte ich etwas hervorheben, was mir wichtig erscheint. Hervorragende Theologen - wie Duns Scotus im Fall der Lehre über die Unbefleckte Empfängnis - haben durch den besonderen Beitrag ihres Denkens das bereichert, was das Gottesvolk bereits von sich aus in bezug auf die allerseligste Jungfrau glaubte und in Werken der Frömmigkeit, in der Kunst und ganz allgemein im christlichen Leben zum Ausdruck brachte. Der Glaube sowohl an die Unbefleckte Empfängnis als auch an die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel war im Gottesvolk bereits vorhanden, während die Theologie noch nicht den Schlüssel gefunden hatte, um ihn im Rahmen der gesamten Glaubenslehre zu interpretieren. Das Gottesvolk geht also den Theologen voraus, und zwar dank jenes übernatürlichen »sensus fidei«, jener vom Heiligen Geist eingegossenen Fähigkeit, die in die Lage versetzt, die Wirklichkeit des Glaubens mit demütigem Herzen und Verstand anzunehmen.

In diesem Sinne ist das Gottesvolk »vorausgehendes Lehramt«, das dann von der Theologie vertieft und intellektuell angenommen werden muß. Mögen die Theologen stets diese Quelle des Glaubens anhören und die Demut und Einfachheit der Kleinen bewahren! Das habe ich vor einigen Monaten ins Gedächtnis gerufen, als ich sagte: »Es gibt große Gelehrte, große Fachleute, große Theologen, Lehrer des Glaubens, die uns vieles gelehrt haben. Sie haben sich zwar eingehend mit Detailfragen der Heiligen Schrift… befaßt, aber es ist ihnen nicht gelungen, das Mysterium selbst zu erkennen, den eigentlichen Kern… Das Wesentliche blieb ihnen verborgen! … Es gibt aber auch in unserer Zeit die Kleinen, die dieses Mysterium erkannt haben. Denken wir nur an die hl. Bernadette Soubirous; an die hl. Therese von Lisieux mit ihrer neuen, unwissenschaftlichen Art, die Bibel zu lesen« (Predigt in der Heiligen Messe mit den Mitgliedern der Theologenkommission, 1. Dezember 2009; in O.R. dt., Nr. 51 vom 18.12.2009, S. 12).

Schließlich hat Duns Scotus einen Punkt entwickelt, dem gegenüber die Moderne sehr sensibel ist: Es geht um das Thema der Freiheit und ihrer Beziehung zum Willen und zum Intellekt. Unser Autor hebt die Freiheit als grundlegende Eigenschaft des Willens hervor und beginnt einen Ansatz voluntaristischer Tendenz, der sich im Gegensatz zum sogenannten augustinischen und thomistischen Intellektualismus entwickelte. Für den hl. Thomas von Aquin, der dem hl. Augustinus folgt, kann die Freiheit nicht als Eigenschaft betrachtet werden, die dem Willen innewohnt, sondern vielmehr als Frucht der Zusammenarbeit von Willen und Intellekt. Die Idee einer angeborenen und absoluten Freiheit, die dem Willen innewohnt, der dem Intellekt vorausgeht, sowohl bei Gott als auch beim Menschen, birgt nämlich die Gefahr, zur Idee eines Gottes zu führen, der nicht einmal an die Wahrheit und das Gute gebunden wäre.

Der Wunsch, die absolute Transzendenz und Andersheit Gottes durch eine so radikale und undurchschaubare Hervorhebung seines Willens zu retten, berücksichtigt nicht, daß der Gott, der sich in Christus offenbart hat, der Gottes-»Logos« ist, der liebend für uns gehandelt hat und handelt. Gewiß übersteigt, wie Duns Scotus auf der Linie der franziskanischen Theologie bekräftigt, die Liebe die Erkenntnis und ist sie in der Lage, immer mehr wahrzunehmen als das Denken, aber es ist stets die Liebe des Gottes-»Logos« (vgl. Benedikt XVI., Ansprache in Regensburg, 12. September 2006; in O.R. dt., Nr. 38 vom 22.9.2006, S. 8). Auch im Menschen übersieht die Idee der absoluten, im Willen angesiedelten Freiheit, die die Bindung an die Wahrheit vergißt, daß auch die Freiheit selbst befreit werden muß von den Grenzen, die ihr durch die Sünde gesetzt werden.

In meiner Ansprache an die römischen Seminaristen im vergangenen Jahr habe ich in Erinnerung gerufen: »Die Freiheit war zu allen Zeiten der große Traum der Menschheit - von Anfang an, aber besonders in der Moderne« (Ansprache im Römischen Priesterseminar, 20. Februar 2009; in O.R. dt., Nr. 10 vom 6.3.2009, S. 8). Nicht nur unsere persönliche Erfahrung, sondern gerade auch die Neuere Geschichte lehrt uns jedoch, daß die Freiheit nur dann authentisch ist und zum Aufbau einer wirklich menschlichen Zivilisation beiträgt, wenn sie mit der Wahrheit versöhnt ist. Wenn sie von der Wahrheit losgelöst ist, dann wird die Freiheit tragischerweise zum Prinzip der Zerstörung der inneren Eintracht des Menschen, zur Quelle des Mißbrauchs der Macht durch die Stärkeren und die Gewalttätigen und zur Ursache von Leid und Trauer. Wie alle Fähigkeiten, mit denen der Mensch ausgestattet ist, wächst die Freiheit und wird sie vollendet, so Duns Scotus, wenn der Mensch sich Gott gegenüber öffnet, indem er sich die Veranlagung zum Hören auf seine Stimme zunutze macht, die er potentia oboedientialis nennt: Wenn wir auf die göttliche Offenbarung, das Wort Gottes, hören, um es anzunehmen, dann erreicht uns eine Botschaft, die unser Leben mit Licht und Hoffnung erfüllt; dann sind wir wirklich frei.

Liebe Brüder und Schwestern, der sel. Duns Scotus lehrt uns, daß das Wesentliche in unserem Leben darin besteht zu glauben, daß Gott bei uns ist und uns in Christus Jesus liebt, und daher eine tiefe Liebe zu ihm und seiner Kirche zu pflegen. Wir sind Zeugen dieser Liebe in unserer Welt. Die allerseligste Jungfrau Maria möge uns helfen, diese unendliche Liebe Gottes zu empfangen, die wir in der himmlischen Ewigkeit in Fülle genießen werden, wenn unsere Seele endlich für immer mit Gott vereint sein wird, in der Gemeinschaft der Heiligen.


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Ganz herzlich begrüße ich die deutschsprachigen Pilger und Besucher. Für den seligen Johannes Duns Scotus stand Christus im Zentrum der Geschichte, und auf ihn hat er auch sein eigenes Leben ausgerichtet und so die wahre Freiheit gefunden. Das soll uns allen ein Ansporn sein, uns gerade auch in den Sommermonaten mehr Zeit für das Gebet zu nehmen, um Christus nahe zu sein und in der Liebe zu ihm zu wachsen. Euch allen wünsche ich einen gesegneten Aufenthalt in Rom.




Petersplatz

Mittwoch, 4. August 2010: Hl. Tarzisius

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Liebe Brüder und Schwestern!

Ich möchte meine Freude zum Ausdruck bringen, daß ich heute hier unter euch sein kann, auf diesem Platz, wo sich zu dieser Generalaudienz eine so bedeutsame Zahl von Teilnehmern an der großen Europäischen Ministrantenwallfahrt in festlicher Stimmung versammelt hat. Liebe Jungen und Mädchen, liebe Jugendliche, seid willkommen! Weil die große Mehrheit der auf dem Platz anwesenden Ministranten deutschsprachig ist, werde ich mich in meiner Muttersprache vor allem an sie wenden.

Liebe Ministrantinnen und Ministranten, liebe Freunde, liebe deutschsprachige Pilger, willkommen hier in Rom! Mit euch grüße ich den Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone; er heißt Tarcisio wie euer Patron. Ihr habt ihn freundlicherweise eingeladen, und er, der den Namen des hl. Tarzisius trägt, freut sich, daß er mit unter den Ministranten der Welt und unter den deutschen Ministranten sein kann. Ich grüße die lieben Mitbrüder im Bischofsamt sowie die Priester und Diakone, die an dieser Audienz teilnehmen. Von Herzen danke ich Weihbischof Martin Gächter aus Basel, dem Präsidenten des »Coetus Internationalis Ministrantium«, für die Begrüßungsworte, die er an mich gerichtet hat, für das große Geschenk der Tarzisiusstatue und für das Halstuch, das er mir überreicht hat. All das erinnert mich an die Zeit, als ich selber ein Ministrant war. Weihbischof Gächter danke ich in euer aller Namen auch für den großen Einsatz, den er unter euch leistet. Ebenso danke ich seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und allen, die dieses fröhliche Beisammensein möglich gemacht haben. Mein Dank gilt auch den Förderern aus der Schweiz und allen, die auf vielfältige Weise mitgeholfen haben, die große Statue des hl. Tarzisius zu realisieren.

Ihr seid in großer Zahl hier! Ich habe mit dem Hubschrauber schon den Petersplatz überflogen und all die Farben und die Freude gesehen, die auf diesem Petersplatz zugegen ist. So sorgt ihr nicht nur für eine gute Stimmung auf diesem Platz, sondern vermehrt auch die Freude in meinem Herzen! Vielen Dank! Die Tarzisiusstatue hat schon einen langen Pilgerweg hinter sich. Im September 2008 wurde sie im Beisein von 8.000 Ministranten erstmals in der Schweiz präsentiert. Sicher waren einige von euch damals schon dabei. Von dort wurde sie über Luxemburg bis nach Ungarn gebracht. Heute nehmen wir sie hier festlich in Empfang und freuen uns, diese Gestalt aus den ersten Jahrhunderten der Kirche besser kennenzulernen. Später wird die Statue, wie Weihbischof Gächter schon gesagt hat, bei den Kalixtuskatakomben aufgestellt werden, wo sich das Grab des hl. Tarzisius befindet. Vor euch allen äußere ich meinen Wunsch, daß dieser Ort, die Kalixtuskatakomben und diese Statue, ein Bezugspunkt für die Ministrantinnen und Ministranten wird sowie für alle, die Jesus als Priester, Ordensleute und Missionare unmittelbarer nachfolgen wollen. Sie alle können auf diesen mutigen und starken jungen Menschen hinschauen und dabei ihre Freundschaft mit dem Herrn selber erneuern. So lernen wir, immer mit Gott zu leben und dem Weg zu folgen, den er uns mit seinem Wort und durch das Zeugnis so vieler Heiliger und Märtyrer zeigt, von denen wir durch die Taufe Brüder und Schwestern sind.

Wer war der hl. Tarzisius? Wir haben nicht viele Auskünfte über ihn. Er lebte in den ersten Jahrhunderten der Kirchengeschichte, näherhin im 3. Jahrhundert. Man erzählt sich, daß Tarzisius ein Junge war, der regelmäßig die Kalixtuskatakomben hier in Rom besuchte und seine Pflichten als Christ besonders treu erfüllte. Er hatte eine große Liebe zur Eucharistie, und aufgrund einiger Anhaltspunkte kommen wir zu dem Schluß, daß er vermutlich ein Akolyth, also ein Ministrant gewesen ist. In jenen Jahren verfolgte Kaiser Valerian die Christen mit aller Härte. Sie mußten sich heimlich in ihren Privathäusern oder gelegentlich auch in den Katakomben treffen, um das Wort Gottes zu hören, miteinander zu beten und die heilige Messe zu feiern. Auch der Brauch, die Eucharistie zu den Gefangenen und Kranken zu bringen, wurde immer gefährlicher. Eines Tages fragte der Priester wie gewohnt, wer bereit sei, die Eucharistie zu den Brüdern und Schwestern zu bringen, die darauf warteten. Da erhob sich der junge Tarzisius und sagte: »Schicke mich!« Dieser Junge schien aber noch zu klein für eine so schwierige Aufgabe. »Mein junges Alter«, erwiderte Tarzisius, »wird der beste Schutz für die Eucharistie sein.«

Das überzeugte den Priester, und er vertraute ihm das kostbare Lebensbrot an und sagte: »Tarzisius, denk daran, daß du einen himmlischen Schatz in deinen schwachen Händen hältst. Vermeide die vollen Straßen und vergiß nicht, daß die heiligen Dinge nicht den Hunden und die Edelsteine nicht den Schweinen vorgeworfen werden dürfen. Wirst du die heiligen Geheimnisse treu und sicher bewahren?« »Ich werde eher sterben, als sie mir wegnehmen zu lassen«, erwiderte Tarzisius. Unterwegs traf er ein paar Freunde, die auf ihn zukamen und ihn einluden, mit ihnen zu gehen. Als er ablehnte - es waren Heiden -, wurden sie mißtrauisch und aufdringlich. Dann bemerkten sie, daß er etwas an seine Brust drückte, als wollte er es verteidigen. Sie versuchten, es ihm zu entreißen, aber vergeblich. Der Kampf wurde immer wilder, vor allem als sie erfuhren, daß Tarzisius Christ war. Sie traten ihn mit den Füßen, bewarfen ihn mit Steinen, aber er gab nicht nach. Von einem Prätorianergardisten namens Quadratus, der auch heimlich Christ geworden war, wurde der Sterbende zu einem Priester gebracht. Sein Körper war bereits leblos, aber an seiner Brust hielt er immer noch das kleine Leinentuch mit der Eucharistie. Gleich danach wurde er in den Kalixtuskatakomben begraben. Papst Damasus hat eine Inschrift für das Grab des hl. Tarzisius verfaßt, gemäß der er im Jahr 257 gestorben ist. Das Römische Martyrologium legt den Todestag auf den 15. August fest und gibt auch die schöne mündliche Überlieferung wieder, nach der das Allerheiligste nicht am Körper des hl. Tarzisius gefunden wurde, nicht in seinen Händen und auch nicht in seiner Kleidung. Das legte man so aus, daß die geweihte Hostie, die der kleine Märtyrer mit seinem Leben verteidigt hatte, Fleisch von seinem Fleisch geworden war und so mit seinem eigenen Leib vereint ein einziges makelloses Opfer, das Gott dargebracht wurde.

Liebe Ministrantinnen und Ministranten, das Zeugnis des hl. Tarzisius und diese schöne Überlieferung zeigen uns die tiefe Liebe und die große Verehrung, die wir für die Eucharistie haben müssen: Sie ist ein kostbares Gut, ein Schatz von unermeßlichem Wert, sie ist das Brot des Lebens, sie ist Jesus selbst, der für uns zur Speise wird, Stütze und Kraft für unseren täglichen Weg und ein Pfad, der zum ewigen Leben führt; sie ist das größte Geschenk, das Jesus uns hinterlassen hat. So wende ich mich an euch, die ihr hier versammelt seid, und durch euch an alle Ministrantinnen und Ministranten der Welt: Tut großzügig euren Dienst an Jesus, der in der Eucharistie gegenwärtig ist! Das ist eine wichtige Aufgabe, die euch erlaubt, besonders nahe beim Herrn zu sein und in einer tiefen wirklichen Freundschaft mit ihm zu wachsen. Bewahrt diese Freundschaft voll Eifer in eurem Herzen, so wie der hl. Tarzisius, und seid bereit, dafür einzustehen, dafür zu ringen, dafür euer Leben hinzugeben, damit Jesus zu allen Menschen kommt. Teilt auch ihr euren Altersgefährten das Geschenk dieser Freundschaft mit, mit Freude und Begeisterung und ohne Angst, daß sie spüren, ihr kennt es, es ist wahr, und ihr liebt dieses Geheimnis! Jedes Mal, wenn ihr zum Altar hintretet, habt ihr das Glück, bei der großen Liebestat Gottes dabei zu sein, der sich auch heute jedem von uns schenken will, uns nahe sein will, uns helfen will und Kraft geben will, damit wir richtig leben. Bei der Wandlung, ihr wißt es, wird dieses kleine Stück Brot Leib Christi, und der Wein wird Blut Christi. Ihr habt das große Glück, dieses unsagbare Geheimnis aus nächster Nähe erleben zu dürfen! Erfüllt eure Aufgaben als Ministranten mit Liebe, Andacht und Treue und kommt nicht einfach irgendwie herein, sondern bereitet euch inwendig auf die heilige Messe vor!

Wenn ihr euren Priestern beim Dienst am Altar helft, tragt ihr dazu bei, daß Jesus mehr erfahrbar wird, daß die Menschen mehr spüren und erkennen: er ist da, daß er in dieser Welt, im Alltag, in der Kirche und an jedem Ort immer mehr gegenwärtig sein kann. Liebe Freunde, ihr leiht Jesus eure Hände, eure Gedanken, eure Zeit. Das wird er euch vergelten, indem er euch die wahre Freude schenkt und spüren läßt, wo das wirkliche Glück zu Hause ist. Der hl. Tarzisius hat uns gezeigt, daß jemand sogar sein Leben für ein wirkliches Gut, für das wahre Gut, für den Herrn aus Liebe hingeben kann. Von uns wird nicht sogleich das Martyrium verlangt, aber Jesus bittet um die Treue in den kleinen Dingen, um die innere Sammlung, das innere Mit-dabei-Sein, unseren Glauben, und darum, daß wir uns mühen, im Alltag diesen Schatz gegenwärtig zu halten. Er bittet uns um Treue in den täglichen Aufgaben, um das Zeugnisgeben für seine Liebe, indem wir in die Kirche gehen aus innerer Überzeugung und Freude, daß er da ist. So können wir auch für unsere Freunde erfahrbar machen, daß Jesus lebt. Dabei helfe uns die Fürsprache des hl. Johannes Maria Vianney, dessen Gedenktag wir heute feiern, des demütigen Pfarrers von Frankreich, der eine kleine Gemeinde umgewandelt und der Welt damit ein neues Licht geschenkt hat. Das Beispiel der hll. Tarzisius und Johannes Maria Vianney ermutige uns jeden Tag, Jesus zu lieben und seinen Willen zu erfüllen, so wie die Jungfrau Maria, die ihrem Sohn bis zum Ende treu war. Noch einmal herzlichen Dank euch allen! Gesegnete Tage und gute Heimkehr!
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Liebe Freunde, ich grüße euch alle noch einmal ganz herzlich. Vor allem danke ich dafür, daß ihr mir euer Gebet versprochen habt. Ich wünsche euch Gottes Segen alle Tage!





Castel Gandolfo

Mittwoch, 11. August 201: Die Bedeutung des Martyriums

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Liebe Brüder und Schwestern!

In der Liturgie rufen wir heute die hl. Klara von Assisi in Erinnerung, die Gründerin der Klarissen, eine leuchtende Gestalt, über die ich in einer der nächsten Katechesen sprechen werde. In dieser Woche gedenken wir jedoch - wie ich bereits beim Angelus am vergangenen Sonntag erwähnt habe - einiger heiliger Märtyrer, sowohl aus den ersten Jahrhunderten der Kirche, wie des heiligen Diakons Laurentius, des heiligen Papstes Pontianus und des heiligen Priesters Hippolyt, als auch aus einer uns näheren Zeit, wie der hl. Teresia Benedicta a Cruce, Edith Stein, Patronin Europas, und des hl. Maximilian Maria Kolbe. Ich möchte also kurz über das Martyrium sprechen, Form der vollkommenen Liebe zu Gott. Worauf gründet das Martyrium? Die Antwort ist einfach: auf dem Tod Christi, auf seinem höchsten Opfer der Liebe, das am Kreuz vollzogen wurde, damit wir das Leben haben (vgl.
Jn 10,10). Jesus ist der leidende Gottesknecht, von dem der Prophet Jesaja spricht (vgl. Is 52,13-15) und der sein Leben hingegeben hat als Lösegeld für viele (vgl. Mt 20,28). Er ermahnt seine Jünger, einen jeden von uns, täglich das eigene Kreuz auf sich zu nehmen und ihm nachzufolgen auf dem Weg der vollkommenen Liebe zu Gott, dem Vater, und zur Menschheit. Er sagt zu uns: »Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig. Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen« (Mt 10,38-39). Es ist die Logik des Weizenkorns, das stirbt, um aufzukeimen und Leben zu bringen (vgl. Jn 12,24). Jesus selbst »ist das von Gott gekommene Weizenkorn, das göttliche Weizenkorn, das sich in diese Erde hineinfallen läßt, das sich aufreißen, aufbrechen läßt im Tode und gerade dadurch offen wird und so in die Weite der Welt hinein Frucht bringen kann« (Benedikt XVI., Besuch der evangelisch-lutherischen Gemeinde Roms, 14. März 2010; in O.R. dt., Nr. 11, 19.3.2010, S. 7). Der Märtyrer folgt dem Herrn bis zum Äußersten, in der freien Annahme des Todes für das Heil der Welt, als höchsten Erweis des Glaubens und der Liebe (vgl. Lumen gentium LG 42).

Woher kommt wiederum die Kraft, das Martyrium auf sich zu nehmen? Aus der tiefen und innigen Vereinigung mit Christus, denn das Martyrium und die Berufung zum Martyrium sind nicht das Ergebnis menschlicher Anstrengungen, sondern sie sind die Antwort auf eine Initiative und auf einen Ruf Gottes; sie sind ein Geschenk seiner Gnade, das dazu befähigt, aus Liebe zu Christus und zur Kirche und damit zur Welt das eigene Leben hinzugeben. Wenn wir die Lebensbeschreibungen der Märtyrer lesen, sind wir erstaunt über die innere Ruhe und den Mut, mit denen sie Leiden und Tod auf sich nehmen: Die Kraft Gottes erweist sich in ganzer Fülle in der Schwachheit, in der Armut dessen, der sich ihm anvertraut und seine Hoffnung nur auf ihn setzt (vgl. 2Co 12,9). Es ist jedoch wichtig hervorzuheben, daß die Gnade Gottes die Freiheit dessen, der das Martyrium auf sich nimmt, nicht unterdrückt oder erstickt, sondern sie im Gegenteil bereichert und verherrlicht. Der Märtyrer ist ein Mensch, der in höchstem Maße frei ist - frei gegenüber der Macht, der Welt: ein freier Mensch, der in einem einzigen endgültigen Akt Gott sein ganzes Leben hingibt und sich im höchsten Akt des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe den Händen seines Schöpfers und Erlösers überläßt; er opfert sein eigenes Leben, um am Opfer Christi am Kreuz vollkommen teilzuhaben. Kurz gesagt, das Martyrium ist ein großer Akt der Liebe als Antwort auf die unermeßliche Liebe Gottes.

Liebe Brüder und Schwestern, wie ich am vergangenen Mittwoch gesagt habe, sind wir wahrscheinlich nicht zum Martyrium berufen, aber niemand von uns ist ausgeschlossen vom göttlichen Ruf zur Heiligkeit, zu einem in hohem Maße christlichen Leben, und dazu gehört, das tägliche Kreuz auf sich zu nehmen. Besonders in unserer Zeit, in der Egoismus und Individualismus die Oberhand zu haben scheinen, müssen wir alle es als unsere erste und grundlegende Pflicht betrachten, jeden Tag in größerer Liebe zu Gott und zu den Brüdern zu wachsen, um unser Leben zu verwandeln und so auch unsere Welt zu verwandeln. Durch die Fürsprache der Heiligen und der Märtyrer bitten wir den Herrn, unser Herz zu entflammen, um fähig zu sein, so zu lieben wie er einen jeden von uns geliebt hat.
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Einen herzlichen Gruß richte ich an die deutschsprachigen Pilger und Besucher und heiße besonders die vielen Jugendlichen aus dem Ferienlager in Ostia willkommen. Am nächsten Samstag begehen wir den Gedenktag des bekannten Märtyrerpriesters Maximilian Maria Kolbe. Durch den freiwilligen Gang in den Hungerpunker hat er in der Hölle von Auschwitz einen unschuldigen Familienvater vor dem Tod bewahrt und so den Irrsinn der Gewalt durchbrochen. Dieses bewegende Zeugnis des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe spornt auch uns an, Jesus Christus nachzufolgen und Tag für Tag in der Liebe zu Gott und zu unseren Mitmenschen zu wachsen. Dazu erbitte ich euch allen den Beistand des Heiligen Geistes.




Castel Gandolfo

Mittwoch, 18. August 2010: Pius X.

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Liebe Brüder und Schwestern!

Heute möchte ich bei der Gestalt meines Vorgängers verweilen, des hl. Pius X., dessen liturgischer Gedenktag am kommenden Samstag gefeiert wird, und dabei einige seiner Charakterzüge hervorheben, die auch für die Hirten und die Gläubigen unserer Zeit nützlich sein können.

Giuseppe Sarto, so lautete sein Name, wurde 1835 in Riese bei Treviso in einer Bauernfamilie geboren und nach dem Studium im Seminar von Padua mit 23 Jahren zum Priester geweiht. Zunächst war er Kaplan in Tombolo, dann Pfarrer in Salzano und danach Domherr in Treviso, wo er mit dem Amt des bischöflichen Kanzlers und Spirituals des Diözesanseminars betraut war. In diesen Jahren, in denen er reiche und umfassende pastorale Erfahrungen sammelte, bewies der zukünftige Papst jene tiefe Liebe zu Christus und zur Kirche, jene Demut und Einfachheit und jene große Fürsorge für die Notleidenden, die sein ganzes Leben kennzeichneten. 1884 wurde er zum Bischof von Mantua ernannt und 1893 zum Patriarchen von Venedig. Am 4. August 1903 wurde er zum Papst gewählt. Diesen Dienst nahm er nur zögernd an, da er sich einer so hohen Aufgabe nicht gewachsen fühlte.

Das Pontifikat des hl. Pius X. hat in der Kirchengeschichte bleibende Spuren hinterlassen und war von einem beachtlichen Reformstreben gekennzeichnet, das zusammengefaßt ist in dem Motto »Instaurare omnia in Christo - Alles in Christus erneuern«. In der Tat betraf sein Wirken verschiedene kirchliche Bereiche. Gleich zu Anfang widmete er sich der Neuordnung der Römischen Kurie; dann leitete er die Arbeiten zur Abfassung des Codex des Kanonischen Rechtes in die Wege, der von seinem Nachfolger Benedikt XV. promulgiert wurde. Außerdem förderte er die Revision der Studien und des Ausbildungsweges der zukünftigen Priester, auch indem er mehrere regionale Seminare gründete, die mit guten Bibliotheken und qualifizierten Professoren ausgestattet waren. Ein weiteres wichtiges Feld war die Unterweisung des Gottesvolkes in der kirchlichen Lehre. Schon in seiner Zeit als Pfarrer hatte er selbst einen Katechismus verfaßt, und als Bischof von Mantua hatte er darauf hingearbeitet, zu einem einheitlichen - wenn nicht universalen, so doch wenigstens italienischen - Katechismus zu gelangen. Als echter Hirt hatte er verstanden, daß die damalige Situation, auch aufgrund des Phänomens der Auswanderung, einen Katechismus erforderte, auf den jeder Gläubige zurückgreifen konnte, unabhängig davon, wo und unter welchen Umständen er lebte. Als Papst veröffentlichte er eine Schrift über die christliche Lehre für die Diözese Rom, die dann in ganz Italien und in der Welt Verbreitung fand. Dieser Katechismus, der den Namen Pius’ X. trägt, war aufgrund seiner einfachen, klaren und genauen Sprache und seinem gut durchdachten Aufbau für viele eine sichere Leitlinie zum Verständnis der Glaubenswahrheiten.

Beachtliche Aufmerksamkeit widmete er der Reform der Liturgie, insbesondere der Kirchenmusik, um die Gläubigen zu einem tieferen Gebetsleben und einer volleren Teilnahme an den Sakramenten zu führen. Im Motu Proprio Tra le sollecitudini - es erschien 1903, im ersten Jahr seines Pontifikats - sagt er, daß der wahre christliche Geist seine erste und unentbehrliche Quelle in der aktiven Teilnahme an den hochheiligen Mysterien und dem öffentlichen, feierlichen Gebet der Kirche hat (vgl. ASS 36 [1903], 531). Daher empfahl er, die Sakramente häufig zu empfangen, förderte den täglichen, gut vorbereiteten Empfang der heiligen Kommunion und senkte das Alter für die Erstkommunion der Kinder zu Recht auf etwa sieben Jahre, »wenn das Kind beginnt, die Vernunft zu gebrauchen« (vgl. S. Congr. de Sacramentis, Decretum Quam singulari: AAS 2 [1910], 582).

Treu seiner Aufgabe, die Brüder im Glauben zu stärken, griff der hl. Pius X. angesichts einiger Tendenzen, die am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Theologie deutlich wurden, entschieden ein und verurteilte den »Modernismus«, um die Gläubigen vor Irrtümern zu schützen und eine wissenschaftliche Vertiefung der Offenbarung in Übereinstimmung mit der Überlieferung der Kirche zu fördern. Am 7. Mai 1909 gründete er mit dem Apostolischen Schreiben Vinea electa das Päpstliche Bibelinstitut. Die letzten Monate seines Lebens waren vom Ausbruch des Krieges überschattet. Der Appell, den er am 2. August 1914 an die Katholiken der Welt richtete, um den »bitteren Schmerz« der gegenwärtigen Stunde zum Ausdruck zu bringen, war der leidvolle Ruf eines Vaters, der seine Kinder gegeneinander zu Felde ziehen sieht. Er starb kurz darauf, am 20. August, und sein Ruf der Heiligkeit begann sofort, sich im christlichen Volk zu verbreiten.

Liebe Brüder und Schwestern, der hl. Pius X. lehrt uns alle, daß die Grundlage unseres apostolischen Wirkens in den verschiedenen Bereichen, in denen wir tätig sind, stets die innige persönliche Vereinigung mit Christus sein muß, die Tag für Tag gepflegt und vertieft werden muß. Das ist das Kernstück seiner ganzen Lehre, seines ganzen pastoralen Bemühens. Nur wenn wir in den Herrn verliebt sind, sind wir in der Lage, die Menschen zu Gott zu bringen, sie für seine barmherzige Liebe zu öffnen und so die Welt für die Barmherzigkeit Gottes zu öffnen.
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Ganz herzlich grüße ich alle Brüder und Schwestern aus den Ländern deutscher Sprache, heute besonders die Wallfahrer aus der Diözese Eisenstadt mit ihrem bisherigen Bischof Paul Iby und seinem Nachfolger Ägidius Zsifkovics. Und vielen Dank den Pilgern aus Vils für die schöne Musik, die sie uns schenken. In dieser Woche gedenken wir großer Heiliger wie Stefan von Ungarn oder Bernhard von Clairvaux und schließlich des Papstes Pius X., der uns einlädt - wie sein Motto lautete -, unser Leben stets »in Christus zu erneuern«. Gottes Geist geleite euch auf allen euren Wegen!








Castel Gandolfo

Mittwoch, 25. August 2010


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