Generalaudienzen 2005-2013 20211

Mittwoch, 2. Februar 2011: Hl. Teresa von Jesus

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Liebe Brüder und Schwestern!

In den Katechesen, die ich den Kirchenvätern sowie großen Theologen und Frauengestalten des Mittelalters gewidmet habe, hatte ich auch Gelegenheit, über einige heilige Männer und Frauen zu sprechen, die aufgrund ihrer herausragenden Lehre zu Kirchenlehrern erklärt wurden. Heute möchte ich mit einer kurzen Reihe von Begegnungen beginnen, die die Vorstellung der Kirchenlehrer abschließen soll. Und ich beginne mit einer Heiligen, die einen der Höhepunkte der christlichen Spiritualität aller Zeiten darstellt: mit der hl. Theresia von Ávila [von Jesus].

Sie wird 1515 in Ávila in Spanien geboren, mit dem Namen Theresia de Ahumada. In ihrer Autobiographie erwähnt sie selbst einige Einzelheiten aus ihrer Kindheit: Von »tugendhaften und gottesfürchtigen Eltern« wird sie in eine kinderreiche Familie hineingeboren; es waren neun Brüder und drei Schwestern. Schon als Kind – sie ist noch keine neun Jahre alt – liest sie die Lebensbeschreibungen einiger Märtyrer, die in ihr den Wunsch nach dem Martyrium wecken. Sie läuft sogar kurz von zu Hause weg, um als Märtyrerin zu sterben und in den Himmel einzugehen (vgl. Das Buch meines Lebens 1,4): »Ich will Gott schauen«, sagt die Kleine zu ihren Eltern. Einige Jahre später wird Theresia über ihre Kindheitslektüre sagen, daß sie darin die Wahrheit gefunden hat, die sie in zwei grundlegenden Prinzipien zusammenfaßt: auf der einen Seite »die Tatsache, daß alle Dinge dieser Welt vergehen«, und auf der anderen Seite, daß nur Gott allein »für immer, für immer« ist. Dieses Thema kehrt wieder in ihren berühmten Versen: »Nichts soll dich ängstigen, nichts dich erschrecken! Alles geht vorüber: Gott, er bleibt derselbe. Geduld erreicht alles. Wer Gott hat, dem fehlt nichts. Gott allein genügt.« Als sie mit zwölf Jahren ihre Mutter verliert, bittet sie die allerseligste Jungfrau Maria, ihre Mutter zu sein (vgl. Das Buch meines Lebens 1,7).

In der Jugend hatte die Lektüre profaner Bücher sie zu den Ablenkungen eines weltlichen Lebens geführt, aber die Erfahrung als Schülerin der Augustinerinnen von »Nuestra Señora de Gracia« in Ávila und der Umgang mit geistlichen Büchern, vor allem Klassikern der franziskanischen Spiritualität, lehren sie die Sammlung und das Gebet. Mit 20 Jahren tritt sie, ebenfalls in Ávila, in das Karmelitinnenkloster der Menschwerdung ein; im Ordensleben nimmt sie den Namen Theresia von Jesus an. Drei Jahre später wird sie so schwer krank, daß sie für vier Tage ins Koma fällt und scheinbar tot ist (vgl. Das Buch meines Lebens 5,9). Auch der Kampf gegen ihre Krankheiten ist für die Heilige ein Kampf gegen die Schwächen und die Widerstände gegen den Ruf Gottes. Sie schreibt: »Ich sehnte mich danach zu leben, denn ich verstand sehr wohl, daß ich nicht eigentlich lebte, sondern mit einem Schatten des Todes rang, aber es gab niemanden, der mir Leben gab, selbst geben konnte ich es mir aber auch nicht; der es mir aber geben konnte, hatte Recht, mir nicht zu Hilfe zu kommen, denn viele Male hatte er mich wieder an sich gezogen, während ich ihn im Stich gelassen habe« (Das Buch meines Lebens 8,12). 1543 verliert sie die Nähe ihrer Angehörigen: Der Vater stirbt, und all ihre Brüder wandern einer nach dem anderen nach Amerika aus. In der Fastenzeit des Jahres 1554 erreicht Theresia mit 39 Jahren den Höhepunkt des Kampfes gegen ihre Schwächen. Die zufällige Entdeckung des Bildes »eines ganz mit Wunden bedeckten Christus« zeichnet ihr Leben zutiefst (vgl. Das Buch meines Lebens 9). Die Heilige, die zu jener Zeit in tiefem Einklang mit dem Augustinus der Bekenntnisse steht, beschreibt den entscheidenden Tag ihrer mystischen Erfahrung so: »Es widerfuhr mir …, daß mich ganz unverhofft ein Gefühl der Gegenwart Gottes überkam, so daß ich in keiner Weise bezweifeln konnte, daß er in meinem Innern weilte oder ich ganz in ihm versenkt war« (Das Buch meines Lebens 10,1).

Mit dem Heranreifen ihrer Innerlichkeit beginnt die Heilige, das Ideal der Reform des Karmelordens konkret zu entwickeln: 1562 gründet sie in Ávila mit Unterstützung des Bischofs der Stadt, Alvaro de Mendoza, den ersten reformierten Karmel, und wenig später erhält sie auch die Approbation des Generaloberen des Ordens, Giovanni Battista Rossi. In den folgenden Jahren gründet sie weitere neue Karmelklöster, insgesamt 17. Grundlegend ist die Begegnung mit dem hl. Johannes vom Kreuz, mit dem sie 1568 in Duruelo bei Ávila das erste Kloster der Unbeschuhten Karmeliten gründet. 1580 erhält sie von Rom die Genehmigung zur Errichtung einer autonomen Provinz für ihre reformierten Karmelklöster: der Ausgangspunkt des Ordens der Unbeschuhten Karmeliten. Theresia beendet ihr irdisches Leben inmitten ihrer Gründungstätigkeit: Nachdem sie 1582 den Karmel von Burgos errichtet hat und sich auf der Rückreise nach Ávila befindet, stirbt sie in der Nacht auf den 15. Oktober in Alba de Tormes, während sie demütig folgende Sätze wiederholt: »Letztlich sterbe ich als Tochter der Kirche « und »Mein Bräutigam, die Stunde ist gekommen, daß wir uns sehen«. Ihr Leben spielte sich innerhalb von Spanien ab, wurde aber für die ganze Kirche hingegeben. Sie wird 1614 von Papst Paul V. selig- und 1622 von Gregor XV. heiliggesprochen. Vom Diener Gottes Paul VI. wird sie 1970 zur Kirchenlehrerin erklärt.

Theresia von Jesus hatte keine akademische Ausbildung, aber sie hat sich die Lehre von Theologen, Literaten und geistlichen Lehrern stets zunutze gemacht. Als Schriftstellerin hat sie sich immer an das gehalten, was sie persönlich erlebt oder in der Erfahrung anderer gesehen hatte (vgl. Vorwort zum Weg der Vollkommenheit); sie ging also von der Erfahrung aus. Theresia kann geistliche Freundschaften mit vielen Heiligen knüpfen, insbesondere mit dem hl. Johannes vom Kreuz. Gleichzeitig zieht sie Nahrung aus der Lektüre der Kirchenväter: aus dem hl. Hieronymus, dem hl. Gregor dem Großen, dem hl. Augustinus. Zu ihren größten Werken gehört vor allem ihre Autobiographie mit dem Titel Das Buch meines Lebens; sie nennt sie Von den Erbarmungen Gottes. Sie wurde 1565 im Karmel von Ávila verfaßt und berichtet über den biographischen und geistlichen Weg, der niedergeschrieben wurde, um – wie Theresia selbst sagt – ihre Seele der Begutachtung durch den »Meister der geistlichen Menschen «, den hl. Johannes von Ávila, zu unterziehen. Ziel ist es, die Gegenwart und das Wirken des barmherzigen Gottes in ihrem Leben hervorzuheben; daher gibt das Werk oft den Gebetsdialog mit dem Herrn wieder.

Es ist eine faszinierende Lektüre, denn die Heilige erzählt nicht nur, sondern sie zeigt, daß sie die tiefe Erfahrung ihrer Beziehung zu Gott noch einmal durchlebt. 1566 schreibt Theresia den Weg der Vollkommenheit; sie nennt ihn »Anweisungen und Ratschläge, die Theresia von Jesus ihren Töchtern, den Ordensschwestern, gibt«. Empfängerinnen sind die zwölf Novizinnen des Karmel »San José« in Ávila. Ihnen bietet Theresia ein tiefgreifendes Programm des kontemplativen Lebens im Dienst der Kirche, dessen Grundlage die evangelischen Tugenden und das Gebet sind. Einer der wertvollsten Abschnitte ist der Kommentar zum »Vaterunser«, dem Vorbild für das Gebet. Das berühmteste mystische Werk der hl. Theresia ist die Innere Burg, das sie 1577 schrieb, in voller Reife. Es ist eine neue Auslegung ihres geistlichen Weges und gleichzeitig eine Kodifizierung des möglichen Ablaufs des christlichen Lebens auf seine Fülle, die Heiligkeit, hin, unter dem Wirken des Heiligen Geistes. Theresia greift dabei zurück auf die Struktur einer Burg mit sieben Wohnungen als Bild der Innerlichkeit des Menschen und führt gleichzeitig das Symbol der Seidenraupe ein, die als Schmetterling neu geboren wird, um den Übergang vom Natürlichen zum Übernatürlichen zum Ausdruck zu bringen. Inspiriert durch die Heilige Schrift, besonders durch das Hohelied, gelangt die Heilige am Ende zum Symbol der beiden »Brautleute«, mit dem sie in der siebten Wohnung den Höhepunkt des christlichen Lebens unter seinen vier Aspekten beschreiben kann: dem dreifaltigen, dem christologischen, dem anthropologischen und dem kirchlichen Aspekt. Ihrer Tätigkeit als Gründerin der reformierten Karmelklöster widmet Theresia Das Buch der Gründungen, das zwischen 1573 und 1582 entstanden ist und in dem sie über das Leben der entstehenden Ordensgemeinschaft spricht. Wie bei der Autobiographie soll der Bericht vor allem das Wirken Gottes beim Werk der Gründung der neuen Klöster hervorheben.

Es ist nicht leicht, die tiefe und vielschichtige Theresianische Spiritualität in wenigen Worten zusammenzufassen. Erstens verweist die hl. Theresia auf die evangelischen Tugenden als Grundlage des ganzen christlichen und menschlichen Lebens: insbesondere die Abkehr von den Gütern oder die evangelische Armut, und das betrifft uns alle; die Liebe zueinander als wesentliches Element des Gemeinschaftslebens und des gesellschaftlichen Lebens; die Demut als Liebe zur Wahrheit; die Entschlossenheit als Frucht des christlichen Wagemuts; die theologische Hoffnung, die sie als Durst nach dem lebendigen Wasser beschreibt. Sie vergißt darüber jedoch nicht die menschlichen Tugenden: Freundlichkeit, Wahrhaftigkeit, Bescheidenheit, Höflichkeit, Fröhlichkeit, Bildung. Zweitens verweist Theresia auf eine tiefe Übereinstimmung mit den großen biblischen Gestalten und das aufrichtige Hören auf das Wort Gottes. Sie fühlt sich im Einklang vor allem mit der Braut des Hohenlieds und mit dem Apostel Paulus sowie mit dem leidenden Christus und dem eucharistischen Jesus. Die Heilige hebt außerdem hervor, wie wesentlich das Gebet ist. Sie sagt: Beten ist »nichts anderes als Verweilen bei einem Freund, mit dem wir oft allein zusammenkommen, einfach um bei ihm zu sein, weil wir sicher wissen, daß er uns liebt« (Das Buch meines Lebens 8,5). Die Idee der hl. Theresia stimmt mit der Definition der theologischen Liebe durch den hl. Thomas von Aquin als »amicitia quaedam hominis ad Deum« überein: eine Art Freundschaft des Menschen mit Gott, der dem Menschen als erster seine Freundschaft angeboten hat; die Initiative geht von Gott aus (vgl. Summa theologiae
II-II 23,1). Das Gebet ist Leben, und es entwickelt sich nach und nach zusammen mit dem Wachstum des christlichen Lebens: vom gesprochenen Gebet über die Verinnerlichung durch Betrachtung und Sammlung bis hin zur liebenden Vereinigung mit Christus und mit der Allerheiligsten Dreifaltigkeit. Natürlich handelt es sich nicht um eine Entwicklung, bei der man beim Aufstieg zu den höheren Stufen die vorhergehende Art des Gebets zurückläßt, sondern vielmehr wird die Beziehung zu Gott, die das ganze Leben umfaßt, nach und nach vertieft. Bei Theresia handelt es sich nicht so sehr um eine Unterweisung im Gebet als vielmehr um eine »Mystagogik«: Sie lehrt den Leser ihrer Werke beten, indem sie selbst mit ihm betet; häufig unterbricht sie den Bericht oder die Darlegung, um ein Gebet hervorzubringen. Ein weiteres Thema, das der Heiligen am Herzen lag, ist die Zentralität der Menschheit Christi.

Für Theresia ist das christliche Leben eine persönliche Beziehung zu Jesus, das seinen Höhepunkt in der Vereinigung mit ihm aus Gnade, aus Liebe und in der Nachahmung findet. Daher mißt sie der Betrachtung des Leidens große Bedeutung bei, ebenso wie der Eucharistie als Gegenwart Christi in der Kirche, durch das Leben eines jeden Gläubigen und als Herzstück der Liturgie. Die hl. Theresia lebt eine bedingungslose Liebe zur Kirche: Sie offenbart einen aufrichtigen »sensus Ecclesiae« angesichts der Spaltungen und Konflikte in der Kirche ihrer Zeit. Sie reformiert den Karmelorden in der Absicht, der »heiligen römisch-katholischen Kirche« besser zu dienen und sie besser zu verteidigen, und ist bereit, ihr Leben für sie hinzugeben (vgl. Das Buch meines Lebens 33,5). Ein letzter wesentlicher Aspekt der Theresianischen Lehre, den ich hervorheben möchte, ist die Vollkommenheit als Bestreben und Endziel des gesamten christlichen Lebens. Die Heilige hat eine sehr klare Vorstellung von der »Fülle« Christi, die der Christ aufs neue lebt. Am Ende des Weges der Inneren Burg, in der letzten »Wohnung«, beschreibt Theresia diese Fülle, verwirklicht in der Einwohnung der Dreifaltigkeit, in der Vereinigung mit Christus durch das Geheimnis seiner Menschheit.

Liebe Brüder und Schwestern, die hl. Theresia von Jesus ist eine wahre Lehrerin des christlichen Lebens für die Gläubigen jeder Zeit. In unserer Gesellschaft, in der es oft an geistlichen Werten mangelt, lehrt uns die hl. Theresia, unermüdliche Zeugen Gottes, seiner Gegenwart und seines Wirkens zu sein; sie lehrt uns, wirklich diesen Durst nach Gott zu spüren, der in der Tiefe unseres Herzens vorhanden ist, dieses Verlangen, Gott zu schauen, Gott zu suchen, mit ihm im Gespräch zu stehen und seine Freunde zu sein. Das ist die Freundschaft, die wir alle brauchen und nach der wir jeden Tag aufs neue suchen müssen.

Das Vorbild dieser Heiligen, die zutiefst kontemplativ war und tatkräftig ans Werk ging, möge auch uns anspornen, jeden Tag die rechte Zeit dem Gebet , der Öffnung gegenüber Gott und diesem Weg zu widmen, um Gott zu suchen, ihn zu schauen und seine Freundschaft und somit das wahre Leben zu finden. Denn in Wirklichkeit müßten viele von uns sagen: »Ich lebe nicht, ich lebe gar nicht wirklich, denn ich lebe nicht das Eigentliche meines Lebens.« Die Zeit des Gebets ist daher keine verlorene Zeit, sondern eine Zeit, in der sich der Weg des Lebens öffnet, in der sich der Weg öffnet, um von Gott eine glühende Liebe zu ihm, zu seiner Kirche und eine konkrete Liebe zu unseren Brüdern zu lernen. Danke.
* * *


Von Herzen grüße ich alle deutschsprachigen Pilger, heute besonders die Druschki der katholischen sorbischen Jugend sowie mit großer Freude das Kölner Dreigestirn in Begleitung von Kardinal Meisner. Herzlich willkommen! Ich finde es schön, daß der Kölner Karneval bis nach Rom reicht. Das tiefe Gottvertrauen der heiligen Theresia, daß »Gott allein genügt«, wollen auch wir uns immer mehr zu eigen machen. Dazu schenke der Herr uns allen seine Gnade.

Audienzhalle




Mittwoch, 9. Februar 2011: Hl. Petrus Canisius

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Liebe Brüder und Schwestern!

Heute möchte ich zu euch über den hl. Petrus Kanis sprechen, Canisius in der latinisierten Form seines Nachnamens, eine sehr wichtige Persönlichkeit im Katholizismus des 16. Jahrhunderts. Er wurde am 8. Mai 1521 im holländischen Nimwegen geboren. Sein Vater war Bürgermeister der Stadt. Als Student der Kölner Universität stand er in Verbindung mit den Kartäusermönchen vom Kloster der hl. Barbara, einem Zentrum, von dem viele Impulse für das katholische Leben ausgingen, sowie mit anderen frommen Männern, die die Spiritualität der sogenannten »Devotio moderna« pflegten. Er trat am 8. Mai 1543 in Mainz (Rheinland-Pfalz) in die Gesellschaft Jesu ein, nachdem er an geistlichen Exerzitien unter der Leitung des sel. Pierre Favre, Peter Faber, teilgenommen hatte, einem der ersten Gefährten des hl. Ignatius von Loyola. 1546 wurde er in Köln zum Priester geweiht und nahm bereits im folgenden Jahr als Theologe des Bischofs von Augsburg, Kardinal Otto Truchseß von Waldburg, am Konzil von Trient teil, wo er mit zwei Mitbrüdern, Diego Laínez und Alfonso Salmerón, zusammenarbeitete.

1548 ließ Ignatius ihn in Rom die geistliche Ausbildung abschließen und sandte ihn dann in das Kolleg von Messina, um sich in bescheidenen häuslichen Diensten zu üben. Nachdem er am 4. Oktober 1549 in Bologna das Doktorat in Theologie erlangt hatte, wurde er vom hl. Ignatius für das Apostolat in Deutschland bestimmt. Am 2. September desselben Jahres 1549 suchte er Papst Paul III. in Castel Gandolfo auf und begab sich dann in die Petersbasilika, um zu beten. Hier bat er die großen heiligen Apostel Petrus und Paulus um Hilfe, auf daß sie dem Apostolischen Segen für seine große Bestimmung, für seine neue Sendung bleibende Wirkkraft verleihen möchten. In seinem Tagebuch hielt er einige Worte dieses Gebetes fest. Es heißt dort: »Da fühlte ich überaus großen Herzenstrost und die Gegenwart deiner Gnade, die mir durch diese mächtigen Fürbitter [Petrus und Paulus] liebevoll angeboten wurde. Auch sie gaben mir jetzt ihren Segen und bestätigten meine Sendung nach Deutschland. Es war mir, als verhießen sie mir ihren wohlwollenden Schutz für meinen Apostelberuf in Deutschland. Du weißt es, o Herr, wie sehr und wie oft du mir an jenem Tag Deutschland ans Herz gelegt hast. Ich sollte fortfahren, für dieses Land besorgt zu sein, mich ganz dafür hingeben… und nichts anderes mehr begehren, als für es zu leben und zu sterben« (Die Bekenntnisse des heiligen Petrus Canisius SJ und sein Testament. Aus dem Lateinischen übersetzt und herausgegeben von Johannes Metzler SJ, Mönchengladbach 1925, S. 54).

Wir müssen uns vor Augen halten, daß wir uns in der Zeit der lutherischen Reformation befinden, in dem Augenblick, in dem der katholische Glaube in den Ländern deutscher Sprache angesichts der Anziehungskraft der Reformation zu verlöschen schien. Canisius war die beinahe unmögliche Aufgabe übertragen worden, den katholischen Glauben in den deutschen Ländern neu zu beleben, zu erneuern. Möglich war dies nur kraft des Gebets. Es war nur aus der inneren Mitte heraus möglich, aus einer tiefen persönlichen Freundschaft mit Jesus Christus: einer Freundschaft mit Christus in seinem Leib, der Kirche, die von der Eucharistie, seiner Realpräsenz, genährt werden muß.

Der Sendung folgend, die er von Ignatius und von Papst Paul III. erhalten hatte, brach er nach Deutschland auf. Zunächst ging er in das Herzogtum Bayern, das für viele Jahre der Ort seines Dienstes war. Als Dekan, Rektor und Vizekanzler der Universität Ingolstadt kümmerte er sich um das akademische Leben des Instituts sowie um die religiöse und sittliche Reform des Volkes. In Wien, wo er für kurze Zeit Bistumsverwalter war, war er in der Seelsorge in den Krankenhäusern und Gefängnissen tätig, sowohl in der Stadt als auch auf dem Land, und arbeitete an der Veröffentlichung seines Katechismus.1556 gründete er das Kolleg in Prag und war bis 1569 der erste Obere der Oberdeutschen Jesuitenprovinz.

In diesem Amt errichtete er in den deutschen Ländern ein dichtes Netz von Gemeinschaften seines Ordens, besonders von Kollegien, die Ausgangspunkte für die katholische Reform, für die Erneuerung des katholischen Glaubens waren. In jener Zeit nahm er auch am Wormser Religionsgespräch mit den protestantischen Oberhäuptern, darunter Philipp Melanchthon (1557), teil; er übte die Funktion des Päpstlichen Nuntius in Polen aus (1558); er nahm an zwei Reichstagen zu Augsburg teil (1559 und 1565); er begleitete Kardinal Stanislaus Hosius, den Legaten von Papst Pius IV., zu Kaiser Ferdinand (1560); er nahm an der Schlußsitzung des Konzils von Trient teil, wo er über die Frage der Kommunion unter beiden Gestalten und den Index der verbotenen Bücher sprach (1562).

1580 zog er sich nach Fribourg in der Schweiz zurück, wo er sich ganz der Predigt und der Abfassung seiner Werke widmete; er starb dort am 21. Dezember 1597. Er wurde 1864 durch den sel. Pius IX. seliggesprochen und 1897 von Papst Leo XIII. zum zweiten Apostel Deutschlands erklärt. 1925 wurde er von Papst Pius XI. heiliggesprochen und zum Kirchenlehrer proklamiert.

Der hl. Petrus Canisius verbrachte einen großen Teil seines Lebens im Kontakt mit den sozial bedeutendsten Personen seiner Zeit und übte einen besonderen Einfluß durch seine Schriften aus. Er war Herausgeber des Gesamtwerkes des hl. Cyrill von Alexandrien und des hl. Leo des Großen, der Briefe des hl. Hieronymus und der Gebete des hl. Nikolaus von der Flüe. Er veröffentlichte Gebets- und Andachtsbücher in mehreren Sprachen, die Lebensbeschreibungen einiger Schweizer Heiliger und viele Texte im Bereich der Homiletik. Seine am weitesten verbreiteten Schriften waren jedoch die drei zwischen 1555 und 1558 verfaßten Katechismen. Der erste Katechismus war für Studenten bestimmt, die in der Lage waren, Grundbegriffe der Theologie zu verstehen; der zweite für Kinder und Jugendliche aus dem Volk, für eine erste religiöse Unterweisung; der dritte für Jugendliche mit mittlerer und höherer Schulbildung. Die katholische Lehre war in Form von Fragen und Antworten dargelegt – in kurzen Worten, mit biblischen Begriffen, klar und deutlich und ohne polemische Untertöne. Allein zu seinen Lebzeiten erschienen etwa 200 Auflagen dieses Katechismus! Und weitere Hunderte von Auflagen folgten bis zum 20. Jahrhundert.

So nannten die Menschen in Deutschland noch in der Generation meines Vaters den Katechismus ganz einfach »den Canisius«: Er war wirklich der Katechet Deutschlands, er hat über Jahrhunderte hinweg den Glauben der Menschen geprägt.

Das ist ein Merkmal des hl. Petrus Canisius: Er weiß die Treue zu den dogmatischen Grundsätzen mit der jeder Person gebührenden Achtung harmonisch zu verbinden. Der hl. Canisius hat den bewußten, schuldhaften Abfall vom Glauben vom unverschuldeten Glaubensverlust, der den Umständen entspringt, unterschieden. Er hat Rom gegenüber erklärt, daß den größten Teil der zum Protestantismus übergetretenen Deutschen keine Schuld träfe. In einem Augenblick der Geschichte, der von starken konfessionellen Gegensätzen geprägt war, vermied er, was außergewöhnlich ist, jede Bitterkeit und zornige Rhetorik – das war, wie gesagt, zu jener Zeit in den Auseinandersetzungen zwischen Christen selten – und zielte nur darauf ab, die geistlichen Wurzeln darzulegen und den Glauben in der Kirche neu zu beleben. Dazu diente seine große und durchdringende Kenntnis der Heiligen Schrift und der Kirchenväter: Dieselbe Kenntnis stützte seine persönliche Beziehung zu Gott und die strenge Spiritualität, die ihm aus der »Devotio moderna« und aus der rheinischen Mystik erwuchs.

Kennzeichnend für die Spiritualität des hl. Canisius ist eine tiefe persönliche Freundschaft mit Jesus. Zum Beispiel schreibt er am 4. September 1549 in sein Tagebuch folgende an den Herrn gerichtete Worte: »Darauf hast du mir gleichsam in deiner heiligsten Brust dein Herz geöffnet. Es war mir, als sähe ich es unmittelbar vor mir. Und du befahlst mir, aus diesem Born zu trinken, indem du mich einludest, aus deinen Quellen, o mein Erlöser, die Wasser meines Heiles zu schöpfen« (ebd., S. 56). Und dann sieht er, daß der Erlöser ihm ein Gewand gibt, das aus drei Teilen besteht, die Friede, Liebe und Ausdauer heißen. Und mit diesem Gewand aus Frieden, Liebe und Ausdauer hat Canisius sein Erneuerungswerk des Katholizismus durchgeführt. Seine Freundschaft mit Jesus – dem Mittelpunkt seiner Persönlichkeit –, die genährt war von der Liebe zur Bibel, von der Liebe zum Sakrament, von der Liebe zu den Vätern, diese Freundschaft war ganz klar vereint mit dem Bewußtsein, in der Kirche die Sendung der Apostel fortzusetzen. Und das ruft uns in Erinnerung, daß jeder wahre Verkünder des Evangeliums stets ein mit Jesus und mit seiner Kirche vereintes und gerade deshalb fruchtbares Werkzeug ist.

Die Freundschaft mit Jesus hatte der hl. Petrus Canisius im geistlichen Umfeld der Kölner Kartause herausgebildet, wo er in enger Verbindung mit zwei kartäusischen Mystikern stand: mit Johannes von Landsberg, latinisiert Lanspergius, und mit Nicolaus van Hesche, latinisiert Eschius. Später vertiefte er die Erfahrung jener Freundschaft, »familiaritas stupenda nimis«, durch die Betrachtung der Geheimnisse des Lebens Jesu, die in den Geistlichen Übungen des hl. Ignatius großen Raum einnehmen. Seine tiefe Verehrung für das Herz des Herrn, die in der Weihe zum apostolischen Dienst in der Vatikanischen Basilika ihren Höhepunkt hatte, findet hier ihre Grundlage.

In der christozentrischen Spiritualität des hl. Petrus Canisius wurzelt eine tiefe Überzeugung: Es gibt keine um ihre Vollkommenheit bemühte Seele, die nicht jeden Tag das Gebet, das innere Gebet praktiziert: das alltägliche Mittel, das es dem Jünger Jesu erlaubt, in Vertrautheit mit dem göttlichen Meister zu leben. Daher verweist unser Heiliger in den Schriften, die zur geistlichen Unterweisung des Volkes bestimmt sind, immer wieder auf die Bedeutung der Liturgie durch seine Kommentare zu den Evangelien, zu den Festen, zum Ritus der Heiligen Messe und der anderen Sakramente. Gleichzeitig trägt er jedoch Sorge, den Gläubigen zu zeigen, wie notwendig und schön es ist, daß das tägliche persönliche Gebet die Teilnahme am öffentlichen Gottesdienst der Kirche begleitet und durchdringt.

Diese Ermahnung und Methode bewahren auch heute ihren ganzen Wert, besonders nachdem sie durch das Zweite Vatikanische Konzil in der Konstitution Sacrosanctum Concilium noch einmal maßgeblich dargelegt wurden: Das christliche Leben wächst nicht, wenn es nicht genährt wird durch die Teilnahme an der Liturgie, insbesondere an der heiligen Sonntagsmesse, und durch das tägliche persönliche Gebet, durch den persönlichen Kontakt mit Gott. Inmitten der tausend Aktivitäten und zahlreichen Anregungen, die uns umgeben, ist es notwendig, jeden Tag Augenblicke der Sammlung vor dem Herrn zu finden, um ihm zuzuhören und mit ihm zu sprechen.

Gleichzeitig ist das Vorbild, das der hl. Petrus Canisius uns nicht nur in seinen Werken, sondern vor allem durch sein Leben hinterlassen hat, stets zeitgemäß und von bleibendem Wert. Er lehrt ganz deutlich, daß der apostolische Dienst nur dann wirksam ist und Früchte des Heils in den Herzen hervorruft, wenn der Prediger ein persönlicher Zeuge Jesu ist und es versteht, ein fügsames Werkzeug zu sein, wenn er eng mit ihm verbunden ist durch den Glauben an sein Evangelium und an seine Kirche, durch ein sittlich konsequentes Leben und durch ein Gebet, das unablässig ist wie die Liebe. Und das gilt für jeden Christen, der mit Hingabe und Treue seine Zugehörigkeit zu Christus leben will. Danke.

* * *

Mit Freude grüße ich die deutschsprachigen Pilger und Besucher. Wie der heilige Petrus Canisius wollen wir stets die Wahrheit suchen und für sie eintreten, um so unsere innere Freundschaft mit Christus zu vertiefen und zu verlebendigen. Dies ist ja das Herzstück und die Mitte seines Lebens gewesen: die Freundschaft mit Christus, dessen offenes Herz er gesehen hat, von dem er sich aufgefordert fühlte, aus den Wassern des Lebens zu trinken, die von Ihm kamen. Dies ist die Mitte, von der wir Christen leben, und dies ist die Mitte, von der her die Kirche immer wieder erneuert werden kann. Euch allen wünsche ich einen gesegneten Aufenthalt in Rom.





Audienzhalle

Mittwoch, 16. Februar 2011: Hl. Johannes vom Kreuz

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Liebe Brüder und Schwestern!

Vor zwei Wochen habe ich die Gestalt der großen spanischen Mystikerin Theresia von Jesus vorgestellt. Heute möchte ich über einen weiteren wichtigen Heiligen aus jenem Land sprechen, einen geistlichen Freund der hl. Theresia, der gemeinsam mit ihr die karmelitische Ordensfamilie reformiert hat: den hl. Johannes vom Kreuz, der 1926 von Papst Pius XI. zum Kirchenlehrer erhoben wurde und traditionell den Beinamen »Doctor mysticus« – »Lehrer der Mystik« – trägt.

Johannes vom Kreuz wurde 1542 in dem kleinen Dorf Fontiveros bei Ávila in Altkastilien geboren, als Sohn von Gonzalo de Yepes und Catalina Alvarez. Die Familie war sehr arm, weil der Vater, der toledanischem Adel entstammte, von zu Hause verjagt und enterbt wurde, da er Catalina geheiratet hatte, eine einfache Seidenweberin. Bereits in zartem Alter verlor er seinen Vater und zog mit neun Jahren mit seiner Mutter und seinem Bruder Francisco nach Medina del Campo bei Valladolid, ein Handels- und Kulturzentrum. Hier besuchte er das »Colegio de los Doctrinos« und erledigte auch einige einfache Arbeiten für die Ordensschwestern des Konvents bei der Kirche »Santa María Magdalena«. Dann wurde er dank seiner menschlichen Eigenschaften und schulischen Erfolge zunächst als Krankenpfleger im Hospital »Inmaculada Concepción« und dann in das Jesuitenkolleg aufgenommen, das in Medina del Campo gerade gegründet worden war: Hier trat Johannes mit 18 Jahren ein und studierte drei Jahre lang Humanwissenschaften, Rhetorik und klassische Sprachen. Am Ende der Ausbildung hatte er seine Berufung ganz deutlich vor Augen: das Ordensleben, und unter den vielen Orden, die in Medina anwesend waren, fühlte er sich in den Karmel berufen.

Im Sommer 1563 begann er das Noviziat bei den Karmeliten der Stadt und nahm den Ordensnamen Johannes vom hl. Matthias an. Im folgenden Jahr wurde er an die berühmte Universität von Salamanca geschickt, wo er drei Jahre lang die Freien Künste und Philosophie studierte. 1567 wurde er zum Priester geweiht und kehrte nach Medina del Campo zurück, um umgeben von der Liebe seiner Angehörigen seine erste heilige Messe zu feiern. Hier kam es zur ersten Begegnung zwischen Johannes und Theresia von Jesus. Die Begegnung war für beide entscheidend: Theresia erläuterte ihm ihren Plan zur Reform des Karmels auch für den männlichen Zweig des Ordens und schlug Johannes vor, sich ihm »zur größeren Ehre Gottes« anzuschließen. Der junge Priester war von Theresias Ideen so fasziniert, daß er zu einem großen Befürworter des Plans wurde. Die beiden arbeiteten einige Monate lang zusammen und teilten einander Ideale und Vorschläge mit, um so schnell wie möglich das erste Haus der Unbeschuhten Karmeliten zu eröffnen: Die Eröffnung fand am 28. Dezember 1568 in Duruelo statt, einem einsamen Ort in der Provinz Ávila. Zusammen mit Johannes bildeten drei weitere Gefährten diese erste reformierte männliche Gemeinschaft. Bei der Erneuerung ihrer Ordensprofeß nach der ursprünglichen Regel nahmen die vier einen neuen Namen an: Johannes hieß jetzt »vom Kreuz«, wie man ihn später weltweit kennen wird. Ende 1572 wurde er auf Bitte der hl. Theresia Beichtvater und Kaplan des Klosters der Menschwerdung in Ávila, wo die Heilige Priorin war. Es waren Jahre enger Zusammenarbeit und geistlicher Freundschaft, die beide bereicherte. Auf diese Zeit gehen auch die wichtigsten Theresianischen Werke und die ersten Schriften des Johannes zurück.

Die Mitwirkung an der Reform des Karmelordens war nicht leicht und brachte für Johannes auch schwere Leiden mit sich. Das traumatischste Ereignis, im Jahre 1577, war seine Entführung und seine Kerkerhaft im Konvent der Karmeliten der Alten Observanz in Toledo infolge einer falschen Anklage. Der Heilige blieb monatelang eingekerkert und war physischen und seelischen Entbehrungen und Nötigungen ausgesetzt. Hier verfaßte er zusammen mit anderen Gedichten den berühmten Geistlichen Gesang. In der Nacht vom 16. auf den 17. August 1578 gelang ihm schließlich eine abenteuerliche Flucht; er fand Zuflucht im Kloster der Unbeschuhten Karmelitinnen der Stadt. Die hl. Theresia und die reformierten Gefährten feierten seine Befreiung mit großer Freude. Nach einer kurzen Zeit der Erholung wurde Johannes, um wieder zu Kräften zu kommen, nach Andalusien gesandt, wo er zehn Jahre in verschiedenen Klöstern verbrachte, vor allem in Granada. Er übernahm immer wichtigere Aufgaben im Orden, bis hin zum Provinzvikar, und vollendete seine geistlichen Abhandlungen. Dann kehrte er in seine Heimatregion zurück als Mitglied der Generalleitung der Theresianischen Ordensfamilie, die nunmehr völlige rechtliche Autonomie genoß. Er wohnte im Karmel von Segovia, wo er das Amt des Oberen der Gemeinschaft innehatte. 1591 wurde er aller Verantwortungen enthoben und sollte in die neue Ordensprovinz Mexiko entsandt werden. Während er sich mit zehn weiteren Gefährten auf die lange Reise vorbereitete, zog er sich in ein einsames Kloster in Jaén zurück, wo er schwer krank wurde. Johannes nahm große Leiden mit vorbildlicher Ruhe und Geduld auf sich. Er starb in der Nacht vom 13. auf den 14. Dezember 1591, während seine Mitbrüder die Matutin beteten. Er verabschiedete sich von ihnen mit den Worten: »Heute gehe ich im Himmel das Offizium beten.« Seine sterblichen Überreste wurden nach Segovia überführt. Er wurde 1675 von Clemens X. selig-, und 1726 von Benedikt XIII. heiliggesprochen.

Johannes gilt als einer der bedeutendsten lyrischen Dichter der spanischen Literatur. Seine vier Hauptwerke sind: Aufstieg auf den Berg Karmel, Die dunkle Nacht, Der geistliche Gesang und Die lebendige Flamme der Liebe.

Im Geistlichen Gesang legt der hl. Johannes den Weg der Reinigung der Seele dar, also den allmählichen freudigen Besitz Gottes, bis die Seele schließlich spürt, daß sie Gott mit derselben Liebe liebt, mit der sie von ihm geliebt wird. Die lebendige Flamme der Liebe fährt in dieser Perspektive fort und beschreibt detaillierter den Zustand der umwandelnden Vereinigung mit Gott. Als Vergleich gebraucht Johannes stets das Feuer: Je mehr das Feuer brennt und das Holz verzehrt, desto mehr glüht es auf und wird schließlich zur Flamme. Ebenso erleuchtet und erwärmt der Heilige Geist, der in der dunklen Nacht die Seele reinigt und »läutert«, diese mit der Zeit, als wäre sie eine Flamme. Das Leben der Seele ist ein ständiges Fest des Heiligen Geistes, das die Herrlichkeit der Vereinigung mit Gott in der Ewigkeit erkennen läßt.

Der Aufstieg auf den Berg Karmel zeigt den geistlichen Weg unter dem Aspekt der allmählichen Reinigung der Seele, die notwendig ist, um zum höchsten Punkt der christlichen Vollkommenheit zu gelangen, symbolisiert durch den Gipfel des Berges Karmel. Diese Reinigung ist als ein Weg dargestellt, den der Mensch unternimmt, indem er mit dem göttlichen Wirken zusammenarbeitet, um die Seele von jeder Anhänglichkeit oder Zuneigung, die dem Willen Gottes entgegensteht, zu befreien. Die Reinigung, die vollkommen sein muß, um zur liebenden Vereinigung mit Gott zu gelangen, beginnt bei der des sinnlichen Lebens und wird fortgesetzt durch die, die man durch die drei göttlichen Tugenden erlangt – Glaube, Hoffnung und Liebe –, die das Streben, das Gedächtnis und den Willen reinigen.

Die dunkle Nacht beschreibt den »passiven« Aspekt, also das Wirken Gottes in diesem Prozeß der »Reinigung« der Seele. Die menschliche Anstrengung allein ist nämlich unfähig, bis zu den tiefsten Wurzeln der Neigungen und der schlechten Gewohnheiten der Person zu gelangen: Sie kann sie nur zügeln, aber nicht völlig ausrotten. Um das zu tun bedarf es des besonderen Wirkens Gottes, der den Geist bis auf den Grund reinigt und ihn für die liebende Vereinigung mit ihm bereitmacht. Der hl. Johannes bezeichnet diese Reinigung als »passiv«, denn obgleich die Seele sie annimmt, wird sie umgesetzt durch das geheimnisvolle Wirken des Heiligen Geistes, der wie eine Feuerflamme jede Unreinheit vertilgt. In diesem Zustand wird die Seele allen möglichen Prüfungen unterzogen, als befände sie sich in einer dunklen Nacht.

Diese Angaben zu den Hauptwerken des Heiligen helfen uns, uns den wesentlichen Punkten seiner umfassenden und tiefen mystischen Lehre zu nähern, deren Ziel es ist, einen sicheren Weg darzulegen, um zur Heiligkeit zu gelangen, dem Zustand der Vollkommenheit, zu dem Gott uns alle beruft. Johannes vom Kreuz zufolge ist alles, was existiert, was von Gott geschaffen ist, gut. Durch die Geschöpfe können wir den entdecken, der in ihnen eine Spur seiner selbst hinterlassen hat. Der Glaube ist jedoch die einzige Quelle, die dem Menschen geschenkt ist, um Gott so kennenzulernen, wie er in sich selbst ist, als den einen und dreifaltigen Gott. Alles, was Gott dem Menschen mitteilen wollte, hat er in Jesus Christus gesagt, seinem fleischgewordenen Wort. Jesus Christus ist der einzige und endgültige Weg zum Vater (vgl.
Jn 14,6). Alles Erschaffene ist nichts im Vergleich zu Gott, und nichts hat Wert außer ihm: Folglich muß jede andere Liebe, um zur vollkommenen Liebe Gottes zu gelangen, sich in Christus der göttlichen Liebe angleichen.

Daher besteht der hl. Johannes immer wieder auf der Notwendigkeit der Reinigung und der inneren Entäußerung, um mit Gott, dem einzigen Ziel der Vollkommenheit, gleichgestaltet zu werden. Diese »Reinigung« besteht nicht einfach nur in der physischen Abwesenheit der Dinge und ihres Gebrauchs; was die Seele rein und frei macht, ist vielmehr die Beseitigung jeder ungeordneten Abhängigkeit von den Dingen. Alles muß in Gott als Mittelpunkt und Ziel des Lebens hineingestellt werden.

Der lange und mühsame Prozeß der Reinigung erfordert natürlich die persönliche Anstrengung, aber der wahre Hauptakteur ist Gott: Alles, was der Mensch tun kann, ist, sich »bereit« zu machen, für das göttliche Wirken offen zu sein und ihm keine Hindernisse entgegenzustellen. Indem er die göttlichen Tugenden lebt, erhebt sich der Mensch und verleiht seinen eigenen Bemühungen Wert. Der Rhythmus, in dem der Glaube, die Hoffnung und die Liebe wachsen, geht im Gleichschritt einher mit der Reinigung und der allmählichen Vereinigung mit Gott bis hin zur Gleichgestaltung mit ihm. Wenn man zu diesem Ziel gelangt, dann wird die Seele in das dreifaltige Leben hineingenommen: So sagt der hl. Johannes, daß sie dahin gelangt, Gott mit derselben Liebe zu lieben, mit der auch Er sie liebt, denn er liebt sie im Heiligen Geist. Daher hält der Kirchenlehrer der Mystik daran fest, daß es keine wahre liebende Vereinigung mit Gott gibt, die nicht in der dreifaltigen Vereinigung ihren Höhepunkt findet. In diesem erhabenen Zustand erkennt die heilige Seele alles in Gott und muß nicht mehr den Weg über die Geschöpfe gehen, um zu ihm zu gelangen. Die Seele fühlt sich nunmehr von der göttlichen Liebe überflutet und erfreut sich völlig in ihr.

Liebe Brüder und Schwestern, am Ende bleibt die Frage: Hat dieser Heilige mit seiner hohen Mystik, mit diesem mühsamen Weg zum Gipfel der Vollkommenheit auch uns etwas zu sagen, dem gewöhnlichen Christen in den heutigen Lebensverhältnissen, oder ist er nur ein Beispiel, ein Vorbild für wenige auserwählte Seelen, die diesen Weg der Reinigung, des mystischen Aufstiegs wirklich unternehmen können? Um die Antwort zu finden, müssen wir uns vor allem vor Augen halten, daß das Leben des hl. Johannes vom Kreuz kein »Schweben auf mystischen Wolken« war, sondern ein sehr hartes, sehr praktisches und sehr konkretes Leben – als Reformator des Ordens, wo er vielen Widerständen begegnete, als Provinzoberer und auch im Kerker seiner Mitbrüder, wo er unglaublichen Schmähungen und physischen Mißhandlungen ausgesetzt war. Es war ein hartes Leben, aber gerade in den Monaten, die er im Kerker verbrachte, hat er eines seiner schönsten Werke geschrieben. Und so können wir verstehen, daß der Weg mit Christus, das Unterwegssein mit Christus – dem »Weg« – keine Last ist, die der Mühsal unseres Leben, die schon hart genug ist, noch zusätzlich aufgebürdet wird, daß es nichts ist, was diese Mühsal noch schwerer macht, sondern etwas ganz anderes: ein Licht, eine Kraft, die uns hilft, diese Mühsal zu tragen.

Wenn ein Mensch eine große Liebe in sich trägt, dann verleiht diese Liebe ihm gleichsam Flügel, und er erträgt alle Beschwernisse des Lebens leichter, weil er dieses große Licht in sich trägt. Das ist der Glaube: von Gott geliebt zu sein und sich von Gott in Jesus Christus lieben zu lassen. Dieses Sich-Lieben-Lassen ist das Licht, das uns hilft, die tägliche Mühsal zu tragen. Und die Heiligkeit ist nicht unser Werk, ein sehr schwieriges Werk, sondern sie ist genau diese »Öffnung«: die Fenster unserer Seele zu öffnen, damit das Licht Gottes eintreten kann, Gott nicht zu vergessen, denn gerade in der Öffnung gegenüber seinem Licht findet man Kraft, findet man die Freude der Erlösten. Bitten wir den Herrn, daß er uns helfen möge, diese Heiligkeit zu finden, sich von Gott lieben zu lassen, was unser aller Berufung ist und die wahre Erlösung. Danke.
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Sehr herzlich heiße ich alle Brüder und Schwestern deutscher Sprache willkommen, besonders die Pilger aus der Diözese Eisenstadt in Begleitung von Bischof Ägidius Zsifkovics. Der heilige Johannes vom Kreuz lädt uns ein, unser ganzes Dasein mit allen Freuden und Mühsalen im Licht des Herrn zu sehen und mit ihm den Aufstieg zum wahren Leben in Gott zu wagen. Lassen wir uns also von der Liebe Christi formen, damit Er in uns und durch uns wirkt. Die Heiligkeit ist kein Privileg weniger, sondern Berufung und Geschenk eines jeden Christen. Gottes Gnade führe euch auf allen euren Wegen.



Audienzhalle

Mittwoch, 23. Februar 2011: Hl. Robert Bellarmin


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