Generalaudienzen 2005-2013 23021

Mittwoch, 23. Februar 2011: Hl. Robert Bellarmin

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Liebe Brüder und Schwestern!

Der hl. Robert Bellarmin, über den ich heute zu euch sprechen möchte, bringt uns in Gedanken zurück in die Zeit der schmerzlichen Spaltung der abendländischen Christenheit, als eine schwere politische und religiöse Krise die Loslösung ganzer Nationen vom Apostolischen Stuhl hervorrief.

Er wurde am 4. Oktober 1542 in Montepulciano bei Siena geboren und war mütterlicherseits Neffe von Papst Marcellus II. Er erhielt eine ausgezeichnete humanistische Ausbildung, bevor er am 20. September 1560 in die Gesellschaft Jesu eintrat. Die philosophischen und theologischen Studien, die er am »Collegio Romano«, in Padua und in Löwen absolvierte und in deren Mittelpunkt der hl. Thomas sowie die Kirchenväter standen, waren für seine theologische Ausrichtung entscheidend. Er wurde am 25. März 1570 zum Priester geweiht und war einige Jahre lang Theologieprofessor in Löwen. Danach wurde er nach Rom als Professor am »Collegio Romano« berufen, wo ihm der Lehrstuhl für »Apologetik« anvertraut wurde. In den zehn Jahren, in denen er dieser Aufgabe nachging (1576–1586), erarbeitete er eine Vorlesungsreihe, die später in die Kontroversen einfloß, ein Werk, das sofort Berühmtheit erlangte wegen der Klarheit und des Reichtums seiner Inhalte und wegen seiner vorwiegend historischen Ausrichtung. Das Konzil von Trient war gerade beendet, und die katholische Kirche mußte ihre Identität neu stärken und festigen, auch gegenüber der protestantischen Reformation. Bellarmins Wirken fügte sich in diesen Zusammenhang ein. Von 1588 bis 1594 war er zunächst geistlicher Leiter der Jesuiten, die am »Collegio Romano« studierten – unter ihnen traf und leitete er den hl. Aloysius Gonzaga –, und dann ihr Oberer im Ordensleben. Papst Clemens VIII. ernannte ihm zum Päpstlichen Theologen, Konsultor des Heiligen Uffiziums und Rektor des Kollegs der Pönitentiare der Petersbasilika. In den Jahren 1597 bis 1598 entstand sein Katechismus, Dottrina christiana breve, sein am weitesten verbreitetes Werk.

Am 3. März 1599 wurde er von Papst Clemens VIII. zum Kardinal kreiert, und am 18. März 1602 wurde er zum Erzbischof von Capua ernannt. Am 21. April desselben Jahres empfing er die Bischofsweihe. In den drei Jahren, in denen er Diözesanbischof war, zeichnete er sich aus durch seinen Eifer als Prediger in seiner Kathedrale, durch den Besuch, den er wöchentlich den Pfarreien abstattete, durch die drei Diözesansynoden und das Provinzialkonzil, die er ins Leben rief. Nachdem er an den Konklaven teilgenommen hatte, die Leo XI. und Paul V. zum Papst wählten, wurde er nach Rom zurückberufen, wo er Mitglied der Kongregationen des Heiligen Uffiziums, des Index, der Riten, für die Bischöfe und für die Glaubensverbreitung war. Er hatte auch diplomatische Aufträge bei der Republik Venedig und in England, zur Verteidigung der Rechte des Apostolischen Stuhls. In seinen letzten Lebensjahren verfaßte er mehrere Bücher zur Spiritualität, in denen er die Frucht seiner jährlichen geistlichen Exerzitien zusammenfaßte. Ihre Lektüre dient dem christlichen Volk noch heute zur großen Erbauung. Er starb am 17. September 1621 in Rom. Papst Pius XI. sprach ihn 1923 selig, 1930 heilig und erklärte ihn 1931 zum Kirchenlehrer.

Der hl. Robert Bellarmin nahm in der Kirche der letzten Jahrzehnte des 16. und der ersten Jahrzehnte des folgenden Jahrhunderts eine wichtige Stellung ein. Seine Kontroversen stellen einen auch heute noch gültigen Bezugspunkt für die katholische Ekklesiologie über Fragen zur Offenbarung, zum Wesen der Kirche, zu den Sakramenten und zur theologischen Anthropologie dar. In ihnen steht aufgrund der Irrtümer über diese Fragen, die damals umgingen, der institutionelle Aspekt der Kirche im Vordergrund.

Bellarmin klärte jedoch auch die unsichtbaren Aspekte der Kirche als mystischem Leib und erläuterte sie anhand der Analogie des Leibes und der Seele, um die Beziehung zwischen den inneren Reichtümern der Kirche und den äußeren Aspekten, die sie sichtbar machen, zu beschreiben. In diesem Monumentalwerk, in dem die verschiedenen theologischen Auseinandersetzungen der Zeit systematisch erfaßt werden sollten, vermeidet er jeden polemischen und aggressiven Ton gegenüber den Ideen der Reformation, sondern erläutert durch Argumente, die der Vernunft und der kirchlichen Überlieferung entnommen sind, deutlich und eindrucksvoll die katholische Lehre.

Sein Erbe liegt jedoch in der Auffassung, die er von seiner Arbeit hatte. Die verantwortungsvollen Leitungsämter hinderten ihn nämlich nicht am täglichen Streben nach der Heiligkeit durch die Treue zu den Erfordernissen seines Standes als Ordensmann, Priester und Bischof. Dieser Treue entspringt sein Bemühen um die Verkündigung.

Als Priester und Bischof war er vor allem ein Seelenhirt, und so fühlte er sich verpflichtet, unermüdlich zu predigen. Er hielt Hunderte von »sermones« – Predigten – bei liturgischen Feiern in Flandern, Rom, Neapel und Capua. Nicht weniger zahlreich sind seine an Pfarrer, Ordensfrauen und Studenten des »Collegio Romano« gerichteten »expositiones« und »explanationes«, die oft die Heilige Schrift zum Gegenstand haben, besonders die Briefe des hl. Paulus. Sowohl seine Verkündigung als auch seine Katechese sind stets auf das Wesentliche ausgerichtet, das er der Ignatianischen Ausbildung entnommen hatte: die Kräfte der Seele ganz darauf zu verwenden, Jesus, den Herrn zutiefst zu erkennen, zu lieben und nachzuahmen.

In den Schriften dieses mit Leitungsämtern betrauten Mannes ist – obgleich er seine Empfindungen hinter Zurückhaltung verbirgt – der Primat, den er den Lehren Christi zuschreibt, sehr deutlich spürbar. Der hl. Bellarmin ist somit ein Vorbild für das Gebet, die Seele jeder Tätigkeit: ein Gebet, das auf das Wort des Herrn hört, sich an der Betrachtung seiner Größe erfreut, sich nicht in sich selbst verschließt, sondern sich freudig Gott hingibt. Ein Merkmal von Bellarmins Spiritualität ist die lebendige und persönliche Wahrnehmung der grenzenlosen Güte Gottes. Daher fühlte sich unser Heiliger wirklich als geliebter Sohn Gottes, und es war ein Quell großer Freude, sich in innerlicher Ruhe und Einfachheit im Gebet, in der Betrachtung Gottes zu sammeln. In seinem Buch De ascensione mentis in Deum – Erhebung des Geistes zu Gott –, das nach dem Muster des Itinerarium des hl. Bonaventura aufgebaut ist, ruft er aus: »O Seele, dein Vorbild ist Gott – die unendliche Schönheit, das Licht ohne Schatten, der Glanz, der Sonne und Mond übertrifft. Erhebe die Augen zu Gott, in dem sich die Urbilder aller Dinge finden und von dem wie aus einem Quell unendlicher Fruchtbarkeit diese schier unendliche Vielfalt der Dinge ausgeht. Daraus schließe: Wer Gott findet, findet alles; wer Gott verliert, verliert alles.«

In diesem Text hört man einen Anklang der berühmten »contemplatio ad amorem obtineundum « – Kontemplation, um Liebe zu erlangen – der Geistlichen Übungen des hl. Ignatius von Loyola. Bellarmin, der in der prunkvollen und oft ungesunden Gesellschaft des ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts lebt, entnimmt dieser Kontemplation praktische Anwendungen und stellt mit lebhaftem pastoralem Geist die Situation der Kirche seiner Zeit in sie hinein. In dem Buch De arte bene moriendi – Von der Kunst, selig zu sterben – zum Beispiel rät er als sichere Richtschnur für ein gutes Leben und auch für ein gutes Sterben, oft und ernsthaft daran zu denken, daß man vor Gott Rechenschaft ablegen muß für seine Taten und seine Lebensweise, und danach zu streben, keine Reichtümer auf Erden anzuhäufen, sondern mit Einfachheit und Liebe zu leben, um Güter im Himmel zu schaffen. In dem Buch De gemitu columbae – Das Seufzen der Taube, wobei die Taube für die Kirche steht – mahnt er den Klerus und die Gläubigen nachdrücklich zu einer persönlichen und konkreten Reform des eigenen Lebens gemäß den Lehren der Schrift und der Heiligen, unter denen er insbesondere den hl. Gregor von Nazianz, den hl. Johannes Chrysostomus, den hl. Hieronymus und den hl. Augustinus erwähnt und darüber hinaus die großen Ordensgründer wie den hl. Benedikt, den hl. Dominikus und den hl. Franziskus. Bellarmin lehrt mit großer Klarheit und mit dem Vorbild des eigenen Lebens, daß es keine wahre Reform der Kirche geben kann, wenn dieser nicht unsere persönliche Reform und die Bekehrung unseres Herzens vorausgeht.

Den Geistlichen Übungen des hl. Ignatius entnahm Bellarmin Ratschläge, um auch den einfachsten Menschen die Schönheiten der Geheimnisse des Glaubens tiefgreifend zu vermitteln. Er schreibt: »Wenn du Weisheit besitzt, dann verstehe, daß du für die Herrlichkeit Gottes und für dein ewiges Heil geschaffen bist. Das ist dein Ziel, das ist der Kernpunkt deiner Seele, das ist der Schatz deines Herzens. Erachte daher das, was dich zu deinem Ziel führt, als wahres Gut und das, was dich dieses Ziel verfehlen läßt, als wahres Übel. Glück oder Unglück, Reichtum und Armut, Gesundheit und Krankheit, Ehre und Schmach, Leben und Tod darf der Weise für sich selbst weder anstreben noch meiden. Sie sind nur dann gut und erstrebenswert, wenn sie zur Ehre Gottes und zu deiner ewigen Glückseligkeit beitragen; sie sind dann schlecht und zu meiden, wenn sie dieser im Wege stehen« (De ascensione mentis in Deum, grad. 1).

Natürlich sind dies keine Worte, die aus der Mode gekommen sind, sondern Worte, über die wir heute lange nachdenken sollten, um unserem Weg auf Erden Orientierung zu geben. Sie rufen uns in Erinnerung, daß das Ziel unseres Lebens der Herr ist, der Gott, der sich in Jesus Christus offenbart hat, in dem er uns auch weiterhin ruft und uns die Gemeinschaft mit ihm verheißt. Sie rufen uns in Erinnerung, wie wichtig es ist, auf den Herrn zu vertrauen, ein Leben in Treue zum Evangelium zu führen, mit dem Glauben und mit dem Gebet jede Situation und alles Handeln unseres Lebens anzunehmen und zu erleuchten und stets nach der Vereinigung mit ihm zu streben. Amen.
* * *


Von Herzen grüße ich alle deutschsprachigen Pilger, heute besonders Bischof Ludwig Schwarz mit den Dechanten aus der Diözese Linz. Die Heiligen sind Menschen, die ein ganz normales Leben, ein anspruchsvolles Berufsleben wie der heilige Bellarmin gelebt haben, aber darin inwendig bei Gott geblieben sind und von daher auch das Berufliche besser bewältigt haben. So sollten wir vom heiligen Robert Bellarmin dies lernen: den inneren Kontakt mit Gott, mit Christus zu halten und so von ihm langsam geformt und erleuchtet zu werden. Er sagt ausdrücklich: Jede Reform der Kirche beginnt mit der Reform meiner selbst. Nur wenn ich mich reformieren lasse, trage ich auch wirklich zur Erneuerung der Kirche bei. Der Herr schenke uns allen dazu seine Gnaden.

Audienzhalle




Mittwoch, 2. März 2011

20311

Hl. Franz von Sales

Liebe Brüder und Schwestern!

»Dieu est le Dieu du coeur humain« [Gott ist der Gott des menschlichen Herzens] (Abhandlungen über die Gottesliebe, I,15; Deutsche Ausgabe der Werke des hl. Franz von Sales, Bd. 3, Eichstätt und Wien 1957, S. 87): In diesen scheinbar einfachen Worten erkennen wir die Prägung der Spiritualität eines großen Lehrmeisters, über den ich heute zu euch sprechen möchte: des heiligen Bischofs und Kirchenlehrers Franz von Sales. Er wurde 1567 in einem französischen Grenzgebiet geboren, als Sohn des Herrn von Boisy, einer alten Adelsfamilie in Savoyen. Sein Leben spielte sich im Übergang zwischen zwei Jahrhunderten ab, dem 16. und dem 17., er nahm das Beste der Lehren und kulturellen Errungenschaften des ausgehenden Jahrhunderts in sich auf und versöhnte das humanistische Erbe mit dem Streben nach dem Absoluten, das den mystischen Strömungen zu eigen war. Er erhielt eine sehr gründliche Ausbildung: in Paris absolvierte er die höheren Studien, wobei er sich auch der Theologie widmete, und an der Universität von Padua auf Wunsch seines Vaters das Studium der Rechtswissenschaft begann, das er hervorragend abschloß mit dem Doktorat in »utroque iure« – Kirchenrecht und Zivilrecht. In seiner harmonisch verlaufenden Jugend befaßte er sich mit dem Denken des hl. Augustinus und des hl. Thomas von Aquin. Dabei hatte er eine tiefe Krise, die ihn dazu führte, über sein ewiges Heil und Gottes Prädestination für ihn nachzudenken. So durchlitt er die wichtigsten theologischen Fragen seiner Zeit als wahres geistliches Drama. Er betete inständig, aber der Zweifel quälte ihn so stark, daß er einige Wochen lang fast gar nicht essen und schlafen konnte. Auf dem Höhepunkt der Prüfung begab er sich in die Kirche der Dominikaner in Paris, öffnete sein Herz und betete: »Was auch immer geschehen mag, Herr, der du alles in deinen Händen hältst und dessen Wege Gerechtigkeit und Wahrheit sind; wofür auch immer du mich bestimmt hast…; dich, der du stets ein gerechter Richter und barmherziger Vater bist, werde ich lieben, o Herr […], ich werde dich hier lieben, o mein Gott, und werde immer auf deine Barmherzigkeit hoffen, und werde dich stets aufs Neue loben… O Herr Jesus, du sollst stets meine Hoffnung und mein Heil im Land der Lebenden sein« (1 Proc. Can., Bd. I, Art. 4). Der 20jährige Franz fand den Frieden in der radikalen und befreienden Wirklichkeit der Liebe Gottes: ihn zu lieben, ohne irgend etwas dafür zu verlangen und auf die göttliche Liebe zu vertrauen; nicht mehr zu fragen, was Gott mit mir machen wird: Ich liebe ihn einfach, unabhängig davon, was er mir gibt oder nicht gibt. So finde ich den Frieden, und das Problem der Prädestination – über das in jener Zeit diskutiert wurde – war gelöst, weil er nicht mehr suchte als das, was er von Gott bekommen konnte. Er liebte ihn einfach, er überließ sich seiner Güte. Und das wird das Geheimnis seines Lebens sein, das in seinem Hauptwerk zutage tritt: den Abhandlungen über die Gottesliebe.

Gegen den Widerstand seines Vaters folgte Franz dem Ruf des Herrn und wurde am 18. Dezember 1593 zum Priester geweiht. 1602 wurde er Bischof von Genf, in einer Zeit, als die Stadt Hochburg des Calvinismus war, so daß der Bischofssitz sich sogar »in der Verbannung« in Annecy befand. Als Hirte einer armen und von Schwierigkeiten heimgesuchten Diözese, in einer Gebirgslandschaft, deren Härte und Schönheit ihm wohlbekannt war, schreibt er: »Ich bin ihm [Gott] in seiner ganzen Güte und Milde selbst inmitten unserer höchsten und rauhesten Berge begegnet, wo viele einfache Seelen ihn in aller Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit lieben und anbeten, wo die Ziegen und Gemsen inmitten schrecklicher Gletscher herumspringen und sein Lob künden« (Brief an Mutter von Chantal, Oktober 1606; Deutsche Ausgabe der Werke des hl. Franz von Sales, Bd. 5: Briefe 1: An Johanna Franziska von Chantal, Eichstätt und Wien 1963, S. 133). Dennoch hat sein Leben und seine Lehre auf das Europa seiner Zeit und der folgenden Jahrhunderte einen immensen Einfluß gehabt. Er ist Apostel, Prediger, Schriftsteller, Mann der Tat und des Gebets; darum bemüht, die Ideale des Konzils von Trient umzusetzen; beteiligt an der Auseinandersetzung und am Dialog mit den Protestanten, wobei er jenseits der notwendigen theologischen Diskussion immer mehr die Wirkkraft der persönlichen Beziehung und der Liebe erfährt. Er war auch mit diplomatischen Missionen auf europäischer Ebene sowie mit sozialen Aufgaben zur Vermittlung und zur Versöhnung betraut. Der hl. Franz von Sales ist jedoch vor allem ein Seelenführer: Die Begegnung mit einer jungen Dame, der Frau von Charmoisy, wird ihn anregen, eines der meistgelesenen Bücher der Moderne zu schreiben, die Anleitung zum frommen Leben; aus seiner tiefen geistlichen Gemeinschaft mit einer außergewöhnlichen Persönlichkeit, der hl. Johanna Franziska von Chantal, wird eine neue Ordensfamilie entstehen, der Orden von der Heimsuchung Mariens, der – wie der Heilige es wollte – gekennzeichnet ist durch eine völlige Weihe an Gott, die in Einfachheit und Demut gelebt wird, im außergewöhnlich guten Tun gewöhnlicher Dinge. Er schreibt: Ich »will, daß meine Töchter keinen anderen Anspruch erheben, als [unseren Herrn] durch ihre Demut zu ehren« (Brief an Erzbischof de Marquemont, Juni 1615; ebd. Bd. 8, Briefe 4: Korrespondenz im Überblick, Eichstätt 1973, S. 231). Er stirbt 1622 im Alter von 55 Jahren, nach einem Leben, das von der Härte der Zeit und den apostolischen Mühen gezeichnet war.

Das Leben des hl. Franz von Sales war relativ kurz, wurde aber mit großer Tiefe gelebt. Von der Gestalt dieses Heiligen geht der Eindruck einer Erfüllung aus, die man nur selten findet. Sie zeigt sich in der inneren Ruhe seiner intellektuellen Suche, aber auch im Reichtum seiner Empfindungen, in der »Sanftheit« seiner Lehren, die einen großen Einfluß auf das christliche Gewissen hatten. Er verkörperte mehrere Bedeutungen des Begriffs »Menschlichkeit«, die dieses Wort damals wie heute annehmen kann: Kultur und Höflichkeit, Freiheit und Zärtlichkeit, Adel und Solidarität. Im Aussehen hatte er etwas von der Majestät der Landschaft, in der er lebte, und er bewahrte auch ihre Einfachheit und Natürlichkeit. Die altehrwürdigen Worte und Bilder, in denen er sich ausdrückte, klingen auch in den Ohren des heutigen Menschen ganz unerwartet wie eine vertraute Muttersprache.

An Philothea, die ideelle Empfängerin seiner Anleitung zum frommen Leben (1607), richtet Franz von Sales eine Aufforderung, die damals revolutionär erscheinen konnte: die Aufforderung, völlig Gott zu gehören, die Anwesenheit in der Welt und die Pflichten des eigenen Standes in Fülle zu leben. Ich »will gerade jenen helfen, die in der Stadt, im Haushalt oder bei Hof leben […]« (Vorwort zur Anleitung zum frommen Leben; ebd., Bd. 1, Eichstätt-Wien 1959). Das Dokument, mit dem Papst Pius IX. ihn über zwei Jahrhunderte später zum Kirchenlehrer erklären wird, hebt diese Erweiterung der Berufung zur Vollkommenheit, zur Heiligkeit noch einmal hervor. Dort heißt es: »[Die wahre Frömmigkeit] ist bis zum Thron des Königs vorgedrungen, in das Zelt der Heerführer, in die Gerichtssäle, in die Ämter, in die Werkstätten und sogar in die Hütten der Hirten […]« (Breve Dives in misericordia
DM 16 November 1877).

So entstand jener Aufruf an die Laien, jene Sorge um die Weihe der weltlichen Dinge und die Heiligung des Alltags, die das Zweite Vatikanische Konzil und die Spiritualität unserer Zeit immer wieder hervorheben. Es zeigte sich das Ideal einer versöhnten Menschheit, im Einklang von weltlicher Tätigkeit und Gebet, von weltlichem Stand und Streben nach Vollkommenheit, mit Hilfe der Gnade Gottes, die das Menschliche durchdringt, es läutert, ohne es zu zerstören, und es in die göttlichen Höhen erhebt. Theotimus, dem erwachsenen, geistlich reifen Christen, an den er einige Jahre später seine Abhandlungen über die Gottesliebe richtet (1616), bietet der hl. Franz von Sales eine komplexere Lehre an. Sie setzt zu Anfang eine bestimmte Sichtweise vom Menschen, eine Anthropologie voraus: Der »Verstand« des Menschen oder die »vernunftbegabte Seele«, wird dort als harmonischer Bau betrachtet, als Tempel, der in mehrere Räume unterteilt ist, die sich um einen Mittelpunkt herum befinden. Diesen nennt er, ebenso wie die großen Mystiker, »erhabene Höhe«, »Gipfel« des Geistes oder »höchste Spitze« der Seele. Dies ist der Punkt, an dem der Verstand, nachdem er all seine Stufen durchlaufen hat, »die Augen schließt« und die Erkenntnis eins wird mit der Liebe (vgl. Buch 1, Kap.12). Daß die Liebe in ihrer theologischen, göttlichen Dimension der Seinsgrund aller Dinge ist, in einem Aufstieg, der keine Brüche und Abgründe zu kennen scheint, hat der hl. Franz von Sales in einem berühmten Wort zusammengefaßt: »Der Mensch ist Vollendung des Weltalls, der Geist Vollendung des Menschen, die Liebe Vollendung des Geistes und die göttliche Liebe Vollendung der Liebe« (ebd., Bd. 2S 168).

In einer großen Blütezeit der Mystik sind die Abhandlungen über die Gottesliebe im wahrsten Sinne des Wortes eine Summa und gleichzeitig ein faszinierendes literarisches Werk. Ihre Beschreibung des Weges zu Gott geht von der »natürlichen Neigung« aus (ebd., Buch 1, Kap. 16), die in das Herz des – wenngleich sündigen – Menschen eingeschrieben ist, Gott über alles zu lieben. Nach dem Vorbild der Heiligen Schrift spricht der hl. Franz von Sales über die Vereinigung von Gott und Mensch, indem er eine ganze Reihe von Bildern zwischenmenschlicher Beziehungen entwickelt. Sein Gott ist Vater und Herr, Bräutigam und Freund; er hat mütterliche Züge und die einer Amme; er ist die Sonne, die sogar von der Nacht auf geheimnisvolle Weise offenbart wird. Ein solcher Gott zieht den Menschen an sich mit Banden der Liebe, also der wahren Freiheit: »Denn die Liebe hält keine Sträflinge und keine Sklaven, sondern stellt alles unter ihren Gehorsam mit einer so bezaubernden Kraft, daß zwar nichts so stark ist wie die Liebe, aber auch nichts so liebenswert wie ihre Kraft« (ebd., Buch 1, Kap. 4, S. 63). In der Abhandlung unseres Heiligen finden wir eine tiefe Betrachtung über den menschlichen Willen und die Beschreibung seines Fließens, Dahinscheidens, Sterbens, um zu leben (vgl. ebd., Buch 9, Kap. 13) in der völligen Hingabe nicht nur an den Willen Gottes, sondern an das, was ihm gefällt, sein »bon plaisir«, sein Wohlgefallen (vgl. ebd., Buch 9, Kap. 1). Am Höhepunkt der Vereinigung mit Gott stehen die Verzückungen der kontemplativen Ekstase ebenso wie das Strömen der konkreten Nächstenliebe, die auf die Nöte der anderen achtet und die er »Ekstase der Tat und des Lebens« nennt (ebd., Buch 7, Kap. 6).

Wenn man das Buch über die Gottesliebe und noch mehr die vielen Briefe der Seelenführung und der geistlichen Freundschaft liest, dann merkt man, welch ein Kenner des menschlichen Herzens der hl. Franz von Sales war. An die hl. Johanna von Chantal schreibt er: »Dies soll die Grundregel unseres Gehorsams sein: Ich schreibe sie in großen Buchstaben: Alles aus Liebe tun und nichts aus Zwang! Mehr den Gehorsam lieben, als den Ungehorsam fürchten! – Ich lasse Ihnen den Geist der Freiheit; nicht jenen, der den Gehorsam verneint, denn dies ist die Freiheit des Fleisches, sondern jenen, der Zwang, Skrupel und Hast ausschließt« (Brief vom 14. Oktober 1604; ebd. Bd. 5, S. 58). Nicht ohne Grund finden wir am Ursprung vieler Wege der Pädagogik und der Spiritualität unserer Zeit die Spur dieses Lehrmeisters, ohne den es weder den hl. Johannes Bosco gegeben hätte noch den heroischen »kleinen Weg« der hl. Thérèse von Lisieux.

Liebe Brüder und Schwestern, in einer Zeit wie der unseren, die die Freiheit sucht, auch mit Gewalt und innerer Unruhe, darf uns die Aktualität dieses großen Lehrmeisters der Spiritualität und des Friedens nicht entgehen, der seinen Schülern den »Geist der Freiheit« übermittelt – der wahren Freiheit – am Höhepunkt einer faszinierenden und vollständigen Lehre über die Wirklichkeit der Liebe. Der hl. Franz von Sales ist ein vorbildlicher Zeuge des christlichen Humanismus; mit seinem vertrauten Stil, mit Gleichnissen, die zuweilen den Flügelschlag der Poesie besitzen, erinnert er daran, daß der Mensch tief im Innern die Sehnsucht nach Gott eingeschrieben trägt und daß er nur in ihm die wahre Freude und seine völlige Verwirklichung findet.



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Einen herzlichen Gruß richte ich an alle Gäste deutscher Sprache und heute ganz besonders natürlich an die Pilger aus Pentling. Insbesondere danke ich auch den Südtirolern für die schöne Musik. Wie der heilige Franz von Sales wollen wir uns der Hand Gottes anvertrauen und uns von seiner Liebe immer mehr prägen lassen. Der Herr segne euch alle.





Audienzhalle

Mittwoch, 9. März 2011: Aschermittwoch

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Liebe Brüder und Schwestern!

Mit dem schlichten Symbol der Asche bezeichnet treten wir heute in die Fastenzeit ein und beginnen einen geistlichen Weg, der uns bereitmacht, die Ostergeheimnisse würdig zu feiern. Die geweihte Asche, die auf unser Haupt aufgelegt wird, ist ein Zeichen, das uns unser Geschaffensein in Erinnerung ruft und uns auffordert, Buße zu tun und uns stärker um eine Umkehr zu bemühen, um dem Herrn immer enger nachzufolgen.

Die Fastenzeit ist ein Weg, auf dem wir Jesus begleiten, der nach Jerusalem hinaufsteigt, wo das Geheimnis seines Leidens, seines Todes und seiner Auferstehung zur Erfüllung gelangt; sie ruft uns in Erinnerung, daß das christliche Leben ein zu beschreitender »Weg« ist, der nicht so sehr in einem Gesetz besteht, das es zu beachten gilt, sondern vielmehr in der Person Christi, dem wir begegnen, den wir annehmen, dem wir nachfolgen müssen. Jesus sagt uns nämlich: »Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach« (
Lc 9,23). Er sagt uns also, daß auch wir täglich unser Kreuz auf uns nehmen müssen, um mit ihm zum Licht und zur Freude der Auferstehung zu gelangen, zum Sieg des Lebens, der Liebe, des Guten, wie ein schöner Abschnitt aus der Nachfolge Christi uns mahnt: »Nimm also dein Kreuz auf dich, und folge Jesus nach, und du wirst in das ewige Leben eingehen. Er selbst ist dir vorangegangen und hat sein Kreuz getragen (vgl. Jn 19,17) und ist für dich am Kreuz gestorben, damit auch du dein Kreuz tragen und den Wunsch haben mögest, selbst gekreuzigt zu werden. Denn wenn du mit ihm stirbst, dann wirst du mit ihm und wie er leben. Und wenn du mit ihm gelitten hast, wirst du auch an seiner Herrlichkeit teilhaben « (Buch 2, Kap. 12, Nr. 2). In der heiligen Messe des ersten Fastensonntags werden wir beten: »Allmächtiger Gott, du schenkst uns die heiligen vierzig Tage als eine Zeit der Umkehr und der Buße. Gib uns durch ihre Feier die Gnade, daß wir in der Erkenntnis Jesu Christi voranschreiten und die Kraft seiner Erlösungstat durch ein Leben aus dem Glauben sichtbar machen« (Tagesgebet). Diese Bitte richten wir an Gott, weil wir wissen, daß nur er unser Herz bekehren kann. Und wir werden vor allem in der Liturgie, in der Teilnahme an den heiligen Geheimnissen dahin geführt, diesen Weg mit dem Herrn zu gehen; es bedeutet, in der Schule Jesu zu lernen, die Ereignisse nachzuvollziehen, die uns das Heil gebracht haben, aber nicht in Form eines einfachen Gedenkens, einer Erinnerung an Vergangenes: In den liturgischen Handlungen wird Christus durch das Wirken des Heiligen Geistes gegenwärtig, wird das Heilsgeschehen gegenwärtig. Ein Schlüsselwort, das in der Liturgie häufig vorkommt, verweist darauf: das Wort »heute«. Und dieses Wort muß in seinem ursprünglichen und konkreten Sinn, nicht metaphorisch, verstanden werden. »Heute« offenbart uns Gott sein Gesetz, und »heute« müssen wir zwischen Segen und Fluch, zwischen Leben und Tod wählen (vgl. Dt 30,19); »heute« ist »das Reich Gottes nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium« (Mc 1,15); »heute« ist Christus auf Golgota gestorben und von den Toten auferstanden, ist er zum Himmel aufgefahren und sitzt zur Rechten des Vaters; »heute« wird uns der Heilige Geist geschenkt; »heute« ist die Zeit der Gnade. An der Liturgie teilzunehmen bedeutet also, das eigene Leben in das Geheimnis Christi einzutauchen, in seine ständige Gegenwart. Es bedeutet, einen Weg zu beschreiten, auf dem wir in seinen Tod und seine Auferstehung hineingenommen werden, damit wir das Leben haben.

An den Sonntagen der Fastenzeit, ganz besonders in diesem Lesejahr A, werden wir dazu geführt, einen Weg zur Taufe zu leben, gleichsam als würden wir den Weg der Katechumenen nachvollziehen, die sich auf den Empfang der Taufe vorbereiten, um dieses Geschenk in uns neu zu beleben und dafür zu sorgen, daß unser Leben den Anforderungen und den Verpflichtungen dieses Sakraments, das unserem christlichen Leben zugrunde liegt, wieder entspricht. In meiner Botschaft zur diesjährigen Fastenzeit habe ich die besondere Verbindung, die zwischen der Fastenzeit und der Taufe besteht, in Erinnerung gerufen. Seit jeher bringt die Kirche die Osternacht mit der Feier der Taufe in Zusammenhang, Schritt für Schritt: In der Taufe wird jenes große Geheimnis verwirklicht, durch das der Mensch der Sünde stirbt, des neuen Lebens im auferstandenen Christus teilhaftig wird und den Heiligen Geist empfängt, der Jesus von den Toten auferweckt hat (vgl. Röm Rm 8,11). Die Lesungen, die wir an den kommenden Sonntagen hören werden – ich bitte euch, ihnen besondere Aufmerksamkeit zu widmen –, sind der antiken Überlieferung entnommen, die die Katechumenen bei der Entdeckung der Taufe begleitete: Sie sind die große Verkündigung dessen, was Gott in diesem Sakrament wirkt, eine wunderbare Taufkatechese, die an jeden von uns gerichtet ist. Der erste Sonntag, der »Sonntag der Versuchung« genannt wird, weil er uns die Versuchungen Jesu in der Wüste vor Augen führt, lädt uns ein, unsere endgültige Entscheidung für Gott zu erneuern und uns mutig dem Kampf zu stellen, der uns erwartet, um ihm treu zu bleiben. Wir müssen uns immer wieder entscheiden, dem Bösen zu widerstehen und Jesus nachzufolgen. An diesem Sonntag feiert die Kirche, nachdem sie das Zeugnis der Paten und der Katecheten gehört hat, die Erwählung jener, die zu den Ostersakramenten zugelassen werden. Der zweite Sonntag wird der »Sonntag Abrahams« und »der Verklärung« genannt. Die Taufe ist das Sakrament des Glaubens und der göttlichen Kindschaft; wie Abraham, der Vater der Glaubenden, sind auch wir berufen aufzubrechen, unser Land zu verlassen, die Sicherheiten zurückzulassen, die wir uns aufgebaut haben, um unser Vertrauen in Gott zu setzen. Das Ziel wird in der Verklärung Christi ersichtlich, des geliebten Sohnes, in dem auch wir zu »Kindern Gottes« werden. An den folgenden Sonntagen wird die Taufe in den Bildern des Wassers, des Lichtes und des Lebens dargelegt. Am dritten Sonntag begegnen wir der Samariterin (vgl. ). Wie Israel im Exodus so haben auch wir in der Taufe das heilbringende Wasser empfangen. Jesus sagt zur Samariterin, daß er ein Wasser des Lebens hat, das jeden Durst löscht; und dieses Wasser ist sein Geist. Die Kirche feiert an diesem Sonntag das erste Skrutinium der Katechumenen und übergibt ihnen in dieser Woche das »Symbolon«: das Glaubensbekenntnis, das Credo. Der vierte Sonntag läßt uns über die Erfahrung des »Blindgeborenen« nachdenken (vgl. ). In der Taufe werden wir von der Finsternis des Bösen befreit und empfangen das Licht Christi, um als Kinder des Lichts zu leben. Auch wir müssen lernen, die Gegenwart Gottes im Antlitz Christi und so das Licht zu erkennen. Auf dem Weg der Katechumenen wird das zweite Skrutinium gefeiert. Schließlich führt uns der fünfte Sonntag die Auferweckung des Lazarus vor Augen (vgl. ). In der Taufe sind wir vom Tod ins Leben übergegangen und werden so befähigt, Gott zu gefallen, den alten Menschen sterben zu lassen, um aus dem Geist des Auferstandenen heraus zu leben. Was die Katechumenen betrifft, so wird das dritte Skrutinium gefeiert, und in der Woche wird ihnen das Gebet des Herrn übergeben: das Vaterunser.

Dieser Weg, den wir in der Fastenzeit beschreiten sollen, ist in der Überlieferung der Kirche von bestimmten Übungen gekennzeichnet: Fasten, Almosengeben und Gebet. Fasten bedeutet den Verzicht auf Speisen, aber umfaßt auch andere Formen der Enthaltsamkeit für ein genügsameres Leben. All das ist jedoch noch nicht die volle Wirklichkeit des Fastens: Es ist das äußere Zeichen einer inneren Wirklichkeit, unseres Bemühens, mit Gottes Hilfe dem Bösen zu entsagen und aus dem Evangelium zu leben. Wer sich nicht mit dem Wort Gottes nährt, fastet nicht wirklich.

In der christlichen Überlieferung ist das Fasten außerdem eng mit dem Almosengeben verbunden. Der hl. Leo der Große lehrte in einer seiner Predigten über die Fastenzeit: »Was also (…) jedem Christen stets zu tun obliegt, das hat man jetzt mit noch mehr Sorgfalt und Hingebung zu erfüllen. In einem vierzigtägigen Fasten sollen wir der von den Aposteln getroffenen Einrichtung nachkommen und dabei nicht allein den Genuß der Speisen einschränken, sondern vor allem auch dem Laster entsagen! (…) Nichts aber ist uns nützlicher, als wenn wir mit einem vernunftgemäßen und heiligen Fasten auch noch die Werke des Almosens verbinden. In dem einen Worte ›Barmherzigkeit‹ sind gar viele löbliche fromme Handlungen inbegriffen. (…) Ein gar weites Feld der Betätigung bietet sich für die Werke der Barmherzigkeit. Gerade durch ihre Mannigfaltigkeit ermöglichen sie es den wahren Christen, daß nicht allein die Reichen und im Überfluß Lebenden, sondern auch die nur mäßig Begüterten und die Armen sich an der Spendung der Almosen beteiligen können, daß die durch liebevolle Gesinnung einander ähnlich werden, denen für die Ausübung der Freigebigkeit nicht die gleichen Kräfte eigen sind« (Sechste Predigt über die Fastenzeit, 2: PL 54,286). Der hl. Gregor der Große hat in seiner Regula pastoralis daran erinnert, daß das Fasten durch die Tugenden, die es begleiten, geheiligt wird, vor allem durch die Liebe, durch jede großherzige Geste, die den Armen und Notleidenden die Frucht unserer Entbehrung zukommen läßt (vgl. 19,10–11).

Die Fastenzeit ist auch eine bevorzugte Zeit für das Gebet. Der hl. Augustinus sagt, daß Fasten und Almosengeben »die beiden Flügel des Gebets« sind, die uns helfen, die Leichtigkeit zu finden, um nach oben zu steigen und zu Gott zu gelangen. Er sagt: »Wenn wir unser Gebet in Demut und Liebe, im Fasten und Almosengeben, im Maßhalten und im Vergeben von Kränkungen tätigen, Gutes geben und Böses nicht vergelten, uns vom Bösen fernhalten und Gutes tun, dann sucht unser Gebet den Frieden und erlangt ihn. Mit den Flügeln dieser Tugenden erhebt sich unser Gebet und wird mit Leichtigkeit in den Himmel getragen, wohin Christus, unser Friede, uns vorangegangen ist« (Predigt 206,3 über die Fastenzeit: PL 38,1042). Die Kirche weiß, daß wir uns aufgrund unserer Schwachheit schwertun, still vor Gott zu verharren, um uns zu Bewußtsein zu führen, daß wir von ihm abhängige Geschöpfe und Sünder sind, die seiner Liebe bedürfen; daher lädt sie uns in der Fastenzeit ein, treuer und intensiver zu beten und das Wort Gottes länger zu betrachten. Der hl. Johannes Chrysostomus mahnt: »Schmücke dein Haus mit Bescheidenheit und Demut durch das Gebet. Verleihe deiner Wohnung Glanz durch das Licht der Gerechtigkeit; ziere ihre Wände mit guten Werken wie mit einem Überzug aus reinem Gold und ersetze die Mauern durch Glauben und übernatürliche Großherzigkeit. Über alles, ganz oben auf den Giebel, stelle das Gebet als Schmuck des ganzen Gebäudes. So bereitest du dem Herrn eine würdige Wohnstatt, so nimmst du ihn auf in einem herrlichen Palast. Er wird dir gewähren, deine Seele in den Tempel seiner Gegenwart zu verwandeln« (Sechste Predigt über das Gebet: ).

Liebe Freunde, auf diesem Weg durch die Fastenzeit wollen wir sorgfältig darauf achten, die Einladung Christi anzunehmen, ihm entschiedener und konsequenter nachzufolgen, indem wir die Gnade und die Verpflichtungen unserer Taufe erneuern, um den alten Menschen in uns abzulegen und Christus als Gewand anzulegen, damit wir erneuert zum Osterfest gelangen und mit dem hl. Paulus sagen können: »Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir« (Ga 2,20). Ich wünsche euch allen einen guten Weg durch die Fastenzeit! Danke!
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Ganz herzlich grüße ich die deutschsprachigen Pilger und Besucher, besonders das Diözesankomitee des Bistums Regensburg und die Priesteramtskandidaten des Eichstätter Priesterseminars, natürlich die Surberger und die Traunsteiner. Sehr herzlich danke ich der Allgäuer Blaskapelle für ihre wunderbare Musik. Gehen wir mit Fasten, Almosengeben und Gebet den Weg der Erneuerung in Christus, so daß auch wir mit dem heiligen Apostel Paulus sagen können: »Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir« (Ga 2,20). Euch allen wünsche ich eine gesegnete Fastenzeit!




Petersplatz

Mittwoch, 23. März 2011: Hl. Laurentius von Brindisi


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