Generalaudienzen 2005-2013 23031

Mittwoch, 23. März 2011: Hl. Laurentius von Brindisi

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Liebe Brüder und Schwestern!

Ich erinnere mich noch mit Freude an den festlichen Empfang, der mir 2008 in Brindisi bereitet wurde, in der Stadt, in der 1559 ein bedeutender Kirchenlehrer geboren wurde: der hl. Laurentius von Brindisi. Diesen Namen nahm Giulio Cesare Rossi an, als er in den Kapuzinerorden eintrat. Seit seiner Kindheit hatte die geistliche Familie des hl. Franz von Assisi ihn angezogen. Als er mit sieben Jahren seinen Vater verlor, wurde er von der Mutter der Obhut der Franziskaner-Minoriten seiner Stadt anvertraut. Einige Jahre später zog er jedoch mit der Mutter nach Venedig. In Venetien lernte er die Kapuziner kennen, die sich in jener Zeit großherzig in den Dienst der ganzen Kirche gestellt hatten, um die große geistliche Reform zu unterstützen, die vom Konzil von Trient ausging. 1575 wurde Laurentius durch die Ordensprofeß Kapuzinerbruder, und 1582 wurde er zum Priester geweiht. Schon während der kirchlichen Studien zeigte sich, daß er mit hervorragenden intellektuellen Fähigkeiten begabt war. Er lernte mit Leichtigkeit die alten Sprachen – Griechisch, Hebräisch und Syrisch – sowie die modernen Sprachen wie Französisch und Deutsch, die zur Kenntnis des Italienischen und des Lateinischen, das einst von allen Klerikern und gebildeten Männern fließend gesprochen wurde, hinzukamen.

Dank der Beherrschung so vieler Sprachen konnte Laurentius ein intensives Apostolat bei verschiedenen Kategorien von Personen durchführen. Er war ein erfolgreicher Prediger und war nicht nur mit der Bibel, sondern auch mit der rabbinischen Literatur so sehr vertraut, daß selbst die Rabbiner darüber staunten, ihn bewunderten und ihm Anerkennung und Respekt entgegenbrachten. Als Theologe mit einer fundierten Kenntnis der Heiligen Schrift und der Kirchenväter war er in der Lage, die katholische Lehre in mustergültiger Weise auch den Christen zu erläutern, die – vor allem in Deutschland – der Reformation anhingen. Mit seinen klaren und ruhigen Ausführungen zeigte er die biblische und patristische Grundlage aller Glaubensartikel auf, die Martin Luther in Frage gestellt hatte – unter anderem des Primats des hl. Petrus und seiner Nachfolger, des göttlichen Ursprungs des Bischofsamts, der Rechtfertigung als innere Verwandlung des Menschen, der Notwendigkeit der guten Werke für das Heil. Der Erfolg, den Laurentius genoß, hilft uns zu verstehen, daß die Auseinandersetzung mit der Heiligen Schrift, in der Überlieferung der Kirche ausgelegt, auch heute, wo der ökumenische Dialog mit viel Hoffnung vorangetragen wird, ein unverzichtbares Element von grundlegender Bedeutung ist, wie ich im Apostolischen Schreiben Verbum Domini in Erinnerung gerufen habe (vgl. Nr. 46).

Auch die einfachen Gläubigen, die keine große Bildung besaßen, zogen Nutzen aus Laurentius’ überzeugendem Wort. Er wandte sich an die einfachen Menschen, um alle zu einem Leben zu ermahnen, das im Einklang steht mit dem Glauben, den man bekennt. Dies war ein großes Verdienst der Kapuziner und anderer Ordensgemeinschaften, die im 16. und 17. Jahrhundert zur Erneuerung des christlichen Lebens beitrugen, indem sie mit ihrem Lebenszeugnis und ihrer Lehre tief in die Gesellschaft vordrangen. Auch heute bedarf es für die Neuevangelisierung gut ausgebildeter, eifriger und mutiger Apostel, damit das Licht und die Schönheit des Evangeliums die Oberhand haben über die kulturellen Ausrichtungen des ethischen Relativismus und der religiösen Gleichgültigkeit und die verschiedenen Denkströmungen und Handlungsweisen in einen echten christlichen Humanismus verwandeln können. Es ist erstaunlich, daß der hl. Laurentius von Brindisi dieser Tätigkeit als angesehener und unermüdlicher Prediger in vielen Städten Italiens und in verschiedenen Ländern unermüdlich nachgehen konnte, obgleich er weitere gewichtige und verantwortungsvolle Ämter bekleidete. Innerhalb des Kapuzinerordens war er Professor der Theologie, Novizenmeister, mehrmals Provinzial und Generaldefinitor und schließlich, von 1602 bis 1605, Generalminister.

Inmitten der vielen Arbeiten pflegte Laurentius ein geistliches Leben von außergewöhnlichem Eifer, indem er dem Gebet und besonders der Feier der heiligen Messe viel Zeit widmete. Diese zog er oft über Stunden hin, tief bewegt in das Gedenken des Leidens, des Todes und der Auferstehung des Herrn hineingenommen. In der Schule der Heiligen kann jeder Priester, wie im kürzlich beendeten Priester-Jahr oft hervorgehoben wurde, die Gefahr des Aktivismus – also des Handelns, das die tiefen Beweggründe des Dienstes vergißt – nur dann vermeiden, wenn er für sein eigenes inneres Leben Sorge trägt. In meiner Ansprache an die Priester und Seminaristen in der Kathedrale von Brindisi, Laurentius’ Geburtsstadt, habe ich in Erinnerung gerufen: »Der Augenblick des Gebets ist der wichtigste Moment im Leben des Priesters, denn in ihm wirkt die göttliche Gnade und verleiht seinem Dienst Fruchtbarkeit. Beten ist der vorrangige Dienst an der Gemeinde. Deshalb müssen die Momente des Gebets in unserem Leben eine bevorzugte Stelle einnehmen. … Wenn wir nicht mit Gott innerlich in Gemeinschaft sind, können wir auch den anderen nichts geben. Deshalb hat Gott den absoluten Vorrang. Wir müssen immer die notwendige Zeit aufbringen, um mit unserem Herrn in Gebetsgemeinschaft zu sein« (in O.R. dt., Nr. 29, 18.7.2008, S. 12). Mit seinem unverwechselbar leidenschaftlichen Stil ermahnt Laurentius alle – nicht nur die Priester –, das Gebetsleben zu pflegen, weil wir dadurch zu Gott sprechen und Gott zu uns. Er ruft aus: »O hielten wir uns doch nur diese Wirklichkeit vor Augen: daß Gott wirklich gegenwärtig ist, wenn wir betend zu ihm sprechen; daß er unser Gebet wirklich hört, auch wenn wir nur mit dem Herzen und im Geiste beten – daß er nicht nur gegenwärtig ist und uns hört, sondern sogar gerne und mit größter Freude unseren Bitten entgegenkommt und dies seinem Wunsch entspricht«.

Ein weiterer Zug, der das Werk dieses Sohnes des hl. Franziskus auszeichnet, ist sein Einsatz für den Frieden. Sowohl die Päpste als auch die katholischen Fürsten vertrauten ihm wiederholt wichtige diplomatische Missionen an, um Streitigkeiten beizulegen und die Eintracht zwischen den europäischen Staaten zu fördern, die in jener Zeit durch das Osmanische Reich bedroht waren. Das moralische Ansehen, das er genoß, machte ihn zu einem gesuchten Ratgeber, auf den man hörte. Wie zur Zeit des hl. Laurentius hat die Welt auch heute einen großen Bedarf an Frieden, braucht sie Männer und Frauen, die den Frieden lieben und die Frieden vermitteln. Alle, die an Gott glauben, müssen immer ein Quell des Friedens und Friedensstifter sein. Im Rahmen einer dieser diplomatischen Missionen beendete Laurentius sein irdisches Leben: Er starb 1619 in Lissabon, wo er den König von Spanien, Philipp III., aufgesucht hatte, um das Anliegen der neapolitanischen Untertanen zu vertreten, die von den örtlichen Obrigkeiten schikaniert wurden.

Er wurde 1881 heiliggesprochen und verdiente sich durch seine kraftvolle und intensive Tätigkeit, sein umfassendes und ausgewogenes Wissen den Titel »Doctor apostolicus«, apostolischer Kirchenlehrer, der ihm von seiten des seligen Papstes Johannes XXIII. 1959 anläßlich seines 400. Geburtstages verliehen wurde. Diese Anerkennung wurde Laurentius von Brindisi auch deshalb zuteil, weil er Autor zahlreicher exegetischer und theologischer Werke sowie von Schriften war, die für die Predigt bestimmt waren. In ihnen bietet er eine in sich geschlossene Darlegung der Heilsgeschichte, bei der das Geheimnis der Menschwerdung im Mittelpunkt steht, die größte Offenbarung der göttlichen Liebe für die Menschen. Als hochkarätiger Mariologe und Autor einer Sammlung von Predigten über die Gottesmutter mit dem Titel »Mariale« hebt er die einzigartige Rolle der Jungfrau Maria hervor, deren Unbefleckte Empfängnis und deren Mitwirken am durch Christus gewirkten Heil er klar bestätigt. Mit feinem theologischem Gespür hat Laurentius von Brindisi auch das Wirken des Heiligen Geistes im Leben des Gläubigen hervorgehoben. Er erinnert uns daran, daß die dritte Person in der Dreifaltigkeit unser Bemühen, die Botschaft des Evangeliums freudig zu leben, erleuchtet und unterstützt. Der hl. Laurentius schreibt: »Der Heilige Geist sorgt dafür, daß das Joch des göttlichen Gesetzes nicht drückt und seine Last leicht ist, damit wir die Gebote Gottes mit größter Leichtigkeit, ja sogar mit Freude befolgen «.

Zum Abschluß dieser kurzen Vorstellung des Lebens und der Lehre des hl. Laurentius von Brindisi möchte ich hervorheben, daß seine ganze Tätigkeit von einer großen Liebe zur Heiligen Schrift beseelt war, die er großenteils auswendig kannte, sowie von der Überzeugung, daß das Hören und das Annehmen des Wortes Gottes uns von innen her verwandelt und diese Verwandlung uns zur Heiligkeit führt. Er sagt: »Das Wort Gottes ist Licht für den Verstand und Feuer für den Geist, so daß der Mensch Gott erkennen und lieben kann. Dem inneren Menschen, der vom Geist Gottes lebt, ist es Brot und Wasser: Brot, das süßer ist als Honig, und Wasser, das besser ist als Wein… Es ist ein Hammerschlag gegen ein Herz, das hartnäckig in den Untugenden verharrt. Es ist ein Schwert gegen das Fleisch, die Welt und den Teufel, das jede Sünde vernichtet«. Der hl. Laurentius von Brindisi lehrt uns, die Heilige Schrift zu lieben, in der Vertrautheit mit ihr zu wachsen, täglich die freundschaftliche Beziehung zum Herrn im Gebet zu pflegen, damit unser ganzes Handeln, alle unsere Tätigkeiten in ihm ihren Anfang und ihr Ende haben. Aus dieser Quelle müssen wir schöpfen, damit unser christliches Zeugnis leuchten kann und fähig ist, die Menschen unserer Zeit zu Gott zu führen.
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Mit Freude heiße ich alle Gäste deutscher Sprache willkommen und grüße besonders die Diakone aus dem Bistum Mainz in Begleitung von Weihbischof Werner Guballa. Der heilige Laurentius von Brindisi lehrt uns, die Schrift zu lieben, immer mehr mit ihr vertraut zu werden und im Gebet die Beziehung zum Herrn zu vertiefen. Ich denke, gerade dieser Rat wird uns in der Fastenzeit helfen, ihr den rechten Gehalt zu geben. Gottes Segen begleite euch allezeit.



Petersplatz

Mittwoch, 30. März 2011: Hl. Alfons Maria von Liguori

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Liebe Brüder und Schwestern!

Heute möchte ich euch die Gestalt eines heiligen Kirchenlehrers vorstellen, dem wir viel zu verdanken haben, da er ein bedeutender Moraltheologe und ein Lehrmeister des geistlichen Lebens für alle war, vor allem für die einfachen Menschen. Er ist der Urheber der Worte und der Musik eines der beliebtesten Weihnachtslieder in Italien und darüber hinaus: »Tu scendi dalle stelle«.

Alfons Maria von Liguori wurde 1696 als Sohn einer reichen neapolitanischen Adelsfamilie geboren. Mit hervorragenden intellektuellen Fähigkeiten ausgestattet, schloß er bereits mit 16 Jahren das Studium des zivilen und kanonischen Rechts ab. Er war der erfolgreichste Rechtsanwalt am Gerichtshof von Neapel: Acht Jahre lang gewann er alle Prozesse, bei denen er die Verteidigung innehatte. In seiner Seele, die nach Gott dürstete und nach Vollkommenheit verlangte, gab der Herr ihm jedoch zu verstehen, daß seine Berufung eine andere war. Empört über die Korruption und die Ungerechtigkeit, die bei Gericht herrschten, gab er 1723 seinen Beruf auf – und mit ihm Reichtum und Erfolg – und entschloß sich, gegen den Widerstand seines Vaters Priester zu werden. Er hatte ausgezeichnete Lehrer, die ihn in das Studium der Heiligen Schrift, der Kirchengeschichte und der Mystik einführten. Er erwarb eine umfassende theologische Bildung, die er fruchtbringend einsetzte, als er einige Jahre später seine schriftstellerische Arbeit aufnahm. 1726 wurde er zum Priester geweiht und schloß sich zur Ausübung des Dienstes einer Weltpriestergemeinschaft an, der »Congregazione diocesana delle Missioni Apostoliche«.

Alfons begann eine Tätigkeit der Evangelisierung und der Katechese bei den unteren Schichten der neapolitanischen Gesellschaft, für die er sehr gerne predigte und die er in den Grundwahrheiten des Glaubens unterwies. Nicht wenige der armen und einfachen Menschen, an die er sich wandte, waren oft Lastern verfallen und begingen kriminelle Handlungen. Geduldig lehrte er sie zu beten und ermutigte sie, ihre Lebensweise zu bessern. Alfons erzielte hervorragende Ergebnisse: In den armseligsten Vierteln der Stadt entstanden immer mehr Gruppen von Personen, die sich abends in Privatwohnungen und Werkstätten versammelten, um zu beten und das Wort Gottes zu betrachten, unter der Führung einiger Katecheten, die von Alfons und anderen Priestern ausgebildet worden waren, die diese Gruppen von Gläubigen regelmäßig besuchten. Als diese Versammlungen auf Wunsch des Erzbischofs von Neapel in den Kapellen der Stadt abgehalten wurden, bekamen sie den Namen »cappelle serotine« – »Abendkapellen« oder »Werk der Kapellen«. Sie waren eine wirkliche Quelle der sittlichen Erziehung, des sozialen Wiederaufbaus, der gegenseitigen Hilfe unter den Armen: Diebstahl, Duelle und Prostitution verschwanden fast vollständig.

Auch wenn sich der soziale und religiöse Kontext, in dem der hl. Alfons lebte, von unserem sehr unterschied, so ist das »Werk der Kapellen« dennoch ein Modell für die missionarische Tätigkeit, an dem wir uns auch heute für eine »Neuevangelisierung«, insbesondere der Armen, ausrichten können, und um ein gerechteres, brüderlicheres und solidarischeres menschliches Zusammenleben aufzubauen. Den Priestern ist die Aufgabe des geistlichen Dienstes anvertraut, während solide ausgebildete Laien gute christliche Gruppenleiter sein können, echter Sauerteig des Evangeliums mitten in der Gesellschaft. Zunächst hatte Alfons vorgehabt, zur Evangelisierung der heidnischen Völker aufzubrechen, aber im Alter von 35 Jahren kam er mit den Bauern und Hirten in den inneren Regionen des Königreichs Neapel in Berührung. Betroffen von ihrer religiösen Unkenntnis und von dem Zustand der Verwahrlosung, in dem sie lebten, entschloß er sich, die Hauptstadt zu verlassen und sich diesen Menschen zu widmen, die geistlich und materiell arm waren. 1732 gründete er die Kongregation des Heiligsten Erlösers, die er unter den Schutz von Bischof Tommaso Falcoia stellte und deren Oberer er selbst später wurde. Diese von Alfons geführten Ordensmänner waren echte Wandermissionare, die auch die entlegensten Dörfer erreichten und zur Umkehr und Beharrlichkeit im christlichen Leben, vor allem durch das Gebet, aufriefen. Auch heute noch setzen die Redemptoristen in vielen Ländern der Welt diese Evangelisierungssendung durch neue Formen des Apostolats fort. Ich denke mit Anerkennung an sie und ermutige sie, dem Vorbild ihres heiligen Ordensgründers stets treu zu sein.

Alfons, der aufgrund seiner Güte und seines Hirteneifers geschätzt war, wurde 1762 zum Bischof von Sant’Agata dei Goti ernannt. 1775 legte er dieses Amt infolge der Krankheiten, unter denen er litt, mit Genehmigung von Papst Pius VI. nieder. Als der Papst 1778 von seinem Tod erfuhr, der nach vielen Leiden eingetreten war, rief er aus: »Er war ein Heiliger!« Und er irrte sich nicht: Alfons wurde 1839 heiliggesprochen, und 1871 wurde er zum Kirchenlehrer erklärt. Dieser Titel kommt ihm aus mehreren Gründen zu. Vor allem weil er eine reiche moraltheologische Lehre erarbeitet hat, die der katholischen Lehre angemessenen Ausdruck verleiht. Von Papst Pius XII. wurde er deshalb sogar zum »Patron der Beichtväter und der Moraltheologen« ernannt. Zu seiner Zeit hatte sich eine sehr strenge Auffassung vom moralischen Leben verbreitet, auch aufgrund der jansenistischen Denkweise, die – statt Vertrauen und Hoffnung auf die Barmherzigkeit Gottes zu nähren – die Angst schürte und ein Antlitz Gottes zeigte, das finster und streng war, weit entfernt von dem, das Jesus uns offenbart hat. Vor allem in seinem Hauptwerk mit dem Titel Theologia moralis bietet er eine ausgewogene und überzeugende Synthese aus den Anforderungen des göttlichen Gesetzes, das in unsere Herzen eingeschrieben ist, von Christus vollkommen offenbart wurde und von der Kirche maßgeblich ausgelegt wird, und den Dynamiken des Gewissens und der Freiheit des Menschen, die gerade in der Treue zur Wahrheit und zum Guten das Heranreifen und die Verwirklichung der Person gestatten. Den Seelenhirten und den Beichtvätern legte der hl. Alfons ans Herz, der katholischen Morallehre treu zu sein und gleichzeitig eine liebevolle, verstehende, gütige Haltung einzunehmen, damit sich die Büßer auf ihrem Weg des Glaubens und des christlichen Lebens begleitet, gestützt und ermutigt fühlen können. Der hl. Alfons wurde nie müde, immer wieder zu sagen, daß die Priester ein sichtbares Zeichen der unendlichen Barmherzigkeit Gottes sind, der vergibt und das Herz des Sünders erleuchtet, damit er umkehrt und sein Leben ändert. In unserer Zeit, in der es deutliche Zeichen der Verwirrung des sittlichen Bewußtseins gibt und – das muß zugegeben werden – einen gewissen Mangel an Wertschätzung gegenüber dem Sakrament der Beichte, ist die Lehre des hl. Alfons immer noch von großer Aktualität.

Neben den theologischen Werken verfaßte der hl. Alfons sehr viele weitere Schriften, die der religiösen Unterweisung des Volkes gewidmet waren. Der Stil ist einfach und ansprechend. Die Werke des hl. Alfons werden in vielen Sprachen gelesen, in die sie übersetzt wurden, und haben dazu beigetragen, die volkstümliche Spiritualität der letzten beiden Jahrhunderte herauszubilden. Einige dieser Texte liest man auch heute noch mit großem Nutzen, wie die Massime eterne, die Herrlichkeiten Mariä, die Übung der Liebe zu Jesus Christus, wobei das letztere Werk sein Denken zusammenfaßt und sein Meisterwerk darstellt. Er besteht sehr auf der Notwendigkeit des Gebets, durch das man sich der göttlichen Gnade öffnet, um täglich den Willen Gottes zu erfüllen und die eigene Heiligung zu erlangen. Über das Gebet schreibt er: »Gott verweigert keinem die Gnade des Gebetes, mit dem er Hilfe erhält, um alle Begierde und Versuchung zu besiegen. Ich wiederhole und werde es wiederholen, solange ich lebe, daß unser Heil im Gebet liegt.« Von hier kommt sein großer Lehrsatz: »Wer betet, wird sicherlich gerettet« (vgl. Del gran mezzo della preghiera e opuscoli affini. Opere ascetiche II,
Rm 1962, S. 171). In diesem Zusammenhang kommt mir die Mahnung meines Vorgängers, des ehrwürdigen Dieners Gottes Johannes Paul II., in den Sinn: »Unsere christlichen Gemeinden müssen echte ›Schulen‹ des Gebets werden. … Deshalb muß die Gebetserziehung (…) zu einem bedeutsamen Punkt jeder Pastoralplanung werden« (Apostolisches Schreiben Novo millennio ineunte, 33–34).

Unter den Gebetsformen, die der hl. Alfons nachdrücklich empfahl, nahm der Besuch des Allerheiligsten oder, wie wir heute sagen würden, die kurze oder längere, persönliche oder gemeinschaftliche Anbetung der Eucharistie eine herausragende Stellung ein. Alfons schreibt: »Nach den Sakramenten ist die Anbetung Jesu im Sakrament die erste aller Frömmigkeitsübungen. Sie ist Gott sehr gefällig und uns äußerst nützlich… O wie wunderbar, gläubig vor einem Altar zu verweilen… und ihm seine Sorgen und Nöte vorzubringen, wie ein Freund dem vertrauten Freunde!« (vgl. Besuchungen des allerheiligsten Sakraments und der allerseligsten Jungfrau Maria, Einleitung). Die alfonsianische Spiritualität ist in der Tat höchst christologisch, auf Christus und sein Evangelium ausgerichtet. Die Betrachtung des Geheimnisses der Menschwerdung und des Leidens des Herrn sind häufig Gegenstand seiner Verkündigung. In diesen Ereignissen wird nämlich allen Menschen die Erlösung »überreich« angeboten. Und gerade weil sie christologisch ist, ist die alfonsianische Frömmigkeit auch zutiefst marianisch. Als großer Marienverehrer erläutert er ihre Rolle in der Heilsgeschichte: Sie ist Teilhaberin der Erlösung und Mittlerin der Gnade, Mutter, Fürsprecherin und Königin. Außerdem sagt der hl. Alfons, daß die Marienverehrung uns in der Stunde unseres Todes ein großer Trost sein wird. Er war überzeugt, daß das Nachdenken über unsere ewige Bestimmung, unsere Berufung, für immer an Gottes Seligkeit teilzuhaben, ebenso wie über die tragische Möglichkeit der Verdammnis dazu beiträgt, mit innerem Frieden und großem Bemühen zu leben und angesichts der Wirklichkeit des Todes stets das volle Vertrauen in Gottes Güte zu bewahren.

Der hl. Alfons Maria von Liguori ist ein Beispiel für einen eifrigen Hirten, der die Seelen eingenommen hat, indem er das Evangelium verkündigte und die Sakramente spendete, verbunden mit einem Handeln, das von einer sanften und milden Güte geprägt war, die aus der tiefen Beziehung zu Gott, der unendlichen Güte, heraus entstand. Er hatte eine realistische und optimistische Auffassung von den Ressourcen des Guten, die der Herr jedem Menschen schenkt, und er maß den Zuneigungen und den Herzensregungen ebenso wie dem Verstand Bedeutung bei, um Gott und den Nächsten lieben zu können. Abschließend möchte ich daran erinnern, daß unser Heiliger, ebenso wie der hl. Franz von Sales – über den ich vor einigen Wochen gesprochen habe – immer wieder sagt, daß jeder Christ die Heiligkeit erlangen kann: »Der Ordensmann als Ordensmann, der Laie als Laie, der Priester als Priester, der Verheiratete als Verheirateter, der Händler als Händler, der Soldat als Soldat, und so weiter für jeden Stand« (vgl. Übung der Liebe zu Jesus Christus). Danken wir dem Herrn, der durch seine Vorsehung an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten Heilige und Kirchenlehrer erweckt, die dieselbe Sprache sprechen, um uns einzuladen, im Glauben zu wachsen und mit Liebe und Freude unser Christsein in den einfachen täglichen Handlungen zu leben, um auf dem Weg der Heiligkeit zu gehen, auf dem Weg zu Gott und zur wahren Freude. Danke.


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Von Herzen grüße ich alle deutschsprachigen Pilger, heute besonders das Präsidium des Österreichischen Gemeindebundes. Danken wir dem Herrn, der in seiner Vorsehung zu allen Zeiten Heilige wie Alfons Maria von Liguori erweckt hat, die uns einladen, im Glauben zu wachsen und mit Liebe und Freude unsere christliche Berufung zu leben. Sie zeigen uns durch ihr Leben, daß die Bindung an die Wahrheit und an das Gute zur Reife und zur wahren Selbstverwirklichung führt. Der Herr schenke uns allen dazu seine Gnade.




Petersplatz

Mittwoch, 6. April 2011: Hl. Theresia von Lisieux

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Liebe Brüder und Schwestern!

Heute möchte ich über die hl. Theresia von Lisieux, Theresia vom Kinde Jesu und vom heiligen Antlitz, sprechen. Sie hat nur 24 Jahre in dieser Welt gelebt, am Ende des 19. Jahrhunderts, und ein sehr einfaches und verborgenes Leben geführt, ist aber nach ihrem Tod und der Veröffentlichung ihrer Schriften zu einer der bekanntesten und beliebtesten Heiligen geworden. Die »kleine Theresia« läßt nicht nach, den einfachen Seelen, den Kleinen, den Armen und den Leidenden zu helfen, die zu ihr beten, aber sie hat auch die ganze Kirche mit ihrer tiefen geistlichen Lehre erleuchtet. Daher hat der ehrwürdige Diener Gottes Papst Johannes Paul II. ihr 1997 den Titel der Kirchenlehrerin verliehen, zusätzlich zu dem der Patronin der Missionen, den sie bereits 1927 von Pius XI. erhalten hatte. Mein geliebter Vorgänger bezeichnete sie als »Expertin der ›scientia amoris‹« (Novo millennio ineunte
NM 42).

Diese »Wissenschaft«, die in der Liebe die ganze Wahrheit des Glaubens erstrahlen sieht, faßt Theresia vor allem in ihrer Lebensbeschreibung in Worte, die ein Jahr nach ihrem Tod unter dem Titel Geschichte einer Seele veröffentlicht wurde. Dieses Buch war sofort sehr erfolgreich, wurde in viele Sprachen übersetzt und in der ganzen Welt verbreitet. Ich möchte euch einladen, diesen kleinen und doch so großen Schatz wiederzuentdecken, diesen leuchtenden, in ganzer Fülle gelebten Kommentar zum Evangelium! Die Geschichte einer Seele ist in der Tat eine wunderbare Liebesgeschichte, die mit einer solchen Wahrhaftigkeit, Einfachheit und Frische erzählt wird, daß sie den Leser einfach faszinieren muß! Aber welche Liebe hat Theresias ganzes Leben, von der Kindheit bis zum Tod, erfüllt? Liebe Freunde, diese Liebe hat ein Antlitz, sie hat einen Namen: Jesus! Die Heilige spricht unablässig von Jesus. Ich möchte also die großen Abschnitte ihres Lebens nachvollziehen, um in das Herz ihrer Lehre einzutreten.

Theresia wird am 2. Januar 1873 in Alençon, einer Stadt in der Normandie in Frankreich geboren. Sie ist die jüngste Tochter von Louis und Zélie Martin, vorbildlichen Eheleuten und Eltern, die am 19. Oktober 2008 gemeinsam seliggesprochen wurden. Sie hatten neun Kinder; vier von ihnen starben bereits in zartem Alter. Übrig blieben fünf Töchter, die alle Ordensfrauen wurden. Mit vier Jahren wurde Theresia vom Tod ihrer Mutter zutiefst getroffen (Ms A, 13r; vgl. Therese von Lisieux, Geschichte einer Seele und weitere Selbstzeugnisse, gesammelt, übersetzt und eingeleitet von Otto Karrer, München 1952, S. 34–36). Der Vater zog daraufhin mit den Töchtern in die Stadt Lisieux, wo sich das ganze Leben der Heiligen abspielen wird. Später wurde Theresia, die von einem schweren Nervenleiden befallen wurde, durch eine göttliche Gnade geheilt, die sie selbst als das »Lächeln der seligsten Jungfrau « bezeichnet (29v–30v; ebd. S. 61). Dann empfing sie die Erstkommunion, die sie zutiefst erlebte (35r; vgl. ebd., S.70–72), und stellte den eucharistischen Jesus in den Mittelpunkt ihrer Existenz. Die »Weihnachtsgnade« von 1886 ist die große Wende, die sie als »meine vollständige innere Wandlung« bezeichnet (44v–45r; ebd., S. 85): Sie wird von ihrer kindlichen Überempfindlichkeit geheilt und beginnt voranzuschreiten, »wie ein Riese seinen Weg läuft«.

Im Alter von 14 Jahren nähert sich Theresia immer mehr mit großem Glauben dem gekreuzigten Jesus und nimmt sich des scheinbar aussichtslosen Falles eines zum Tode verurteilten und unbußfertigen Verbrechers an (45v–46v; ebd., S.88–89). »Um jeden Preis wollte ich die Sünder dem ewigen Verderben entreißen«, schreibt die Heilige in der Gewißheit, daß ihr Gebet ihn dem erlösenden Blut Christi zugeführt hätte. Es ist ihre erste und grundlegende Erfahrung der geistlichen Mutterschaft. »So sehr vertraue ich auf deine [Jesu] grenzenlose Barmherzigkeit«, schreibt sie (ebd., S. 88). Wie die Gottesmutter Maria liebt, glaubt und hofft die junge Theresia »mit dem Herzen einer Mutter« (vgl. PR 6/10r).

Im November 1887 begibt sich Theresia zusammen mit ihrem Vater und der Schwester Céline auf eine Pilgerreise nach Rom (55v–67r; vgl. ebd., S. 107–124). Der Höhepunkt ist für sie die Audienz bei Papst Leo XIII., den sie um Erlaubnis bittet, mit 15 Jahren in den Karmel von Lisieux eintreten zu dürfen. Ein Jahr später wird ihr Wunsch Wirklichkeit: Sie wird Karmelitin, »um Seelen zu retten und besonders für die Priester zu beten« (69v; ebd., S. 130). Gleichzeitig beginnt auch die schmerzhafte und demütigende Geisteskrankheit ihres Vaters. Dieser große Schmerz bringt Theresia dazu, das Antlitz Jesu in seinem Leiden zu betrachten (71rv; vgl. ebd., S. 133). So bringt sie durch ihren Ordensnamen – Schwester Theresia vom Kinde Jesu und vom heiligen Antlitz – ihren ganzen Lebensplan zum Ausdruck, vereint mit den zentralen Geheimnissen der Menschwerdung und der Erlösung.

Ihre Ordensprofeß am Fest Mariä Geburt, dem 8. September 1890, ist für sie eine wahre geistliche Vermählung in der »Kleinheit« nach dem Evangelium, für die sie das Symbol der Blume gebraucht. Sie schreibt: »Mariä Geburt, welch schönes Fest für die Vermählung mit Christus! Das kleine Kind Maria brachte dem kleinen Jesus seine kleine Blume dar« (77r; ebd., S. 145). Ordensfrau zu sein bedeutet für Theresia, Braut Christi und Mutter der Seelen zu sein (vgl. Ms B, 2v). Am selben Tag schreibt die Heilige ein Gebet, das die ganze Ausrichtung ihres Lebens darlegt: Sie bittet Jesus um das Geschenk seiner grenzenlosen Liebe; sie bittet darum, die Kleinste zu sein, und vor allem bittet sie um das Heil aller Menschen: »Keine Seele soll heute in die Verdammnis geraten« (Pr 2). Von großer Bedeutung ist ihre Weihe an die barmherzige Liebe, die sie am Dreifaltigkeitssonntag des Jahres 1895 vornimmt (Ms A, 83v–84r; Pr 6 vgl. 160–161). An dieser Weihe läßt Theresia, die bereits stellvertretende Novizenmeisterin ist, ihre Mitschwestern sofort teilhaben.

1896, zehn Jahre nach der »Weihnachtsgnade«, kommt die »Ostergnade«, die Theresias letzten Lebensabschnitt eröffnet: der Beginn ihres Leidens in tiefer Vereinigung mit dem Leiden Jesu. Es ist ein leibliches Leiden in Form der Krankheit, die sie durch große Leiden zum Tod führen wird, vor allem aber ein Leiden der Seele in Form einer äußerst schmerzlichen Glaubensprüfung (Ms C, 4v–7v). Mit Maria beim Kreuz Jesu lebt Theresia damals einen heroischen Glauben, wie Licht in der Finsternis, die in ihre Seele eindringt. Die Karmelitin ist sich bewußt, daß sie diese große Prüfung für das Heil aller glaubenslosen Menschen der modernen Welt lebt, die sie »Brüder« nennt. Daher lebt sie die geschwisterliche Liebe noch intensiver (8r–33v; vgl. ebd., S. 169–190): zu den Schwestern ihrer Gemeinschaft, zu den Missionaren, ihren geistlichen Brüdern, zu den Priestern und zu allen Menschen, besonders den Fernstehenden. Sie wird wirklich zu einer »universalen Schwester«! Ihre sanfte und lächelnde Liebe ist Ausdruck der tiefen Freude, deren Geheimnis sie uns offenbart: »Jesus, dich zu lieben ist meine Freude« (P 45/7). Mitten in diesem Leiden lebt die Heilige die größte Liebe in den kleinsten Dingen des Alltags und erfüllt so ihre Berufung, im Herzen der Kirche die Liebe zu sein (vgl. Ms B, 3v; vgl. ebd., S. 232).

Theresia stirbt am Abend des 30. September 1897 mit den einfachen Worten »Mein Gott, ich liebe Dich!«; ihr Blick ist auf das Kreuz gerichtet, das sie in Händen hält. Diese letzten Worte der Heiligen sind der Schlüssel zu ihrer ganzen Lehre, zu ihrer Auslegung des Evangeliums. Die Liebesbekundung, die sie in ihrem letzten Atemzug machte, war gleichsam der ständige Atem ihrer Seele, ihr Herzschlag. Die einfachen Worte »Jesus, ich liebe dich« stehen im Mittelpunkt all ihrer Schriften. Die Liebe zu Jesus nimmt sie in die allerheiligste Dreifaltigkeit hinein. Sie schreibt: »Ach du weißt, daß ich dich liebe, göttlicher Jesus, / Der Geist der Liebe entflammt mich mit seinem Feuer, / In der Liebe zu dir ziehe ich den Vater an« (P 17/2).

Liebe Freunde, gemeinsam mit der hl. Theresia vom Kinde Jesu sollten auch wir dem Herrn jeden Tag immer wieder sagen können, daß wir aus der Liebe zu ihm und zu den anderen leben und in der Schule der Heiligen lernen wollen, wahrhaft und vollkommen zu lieben. Theresia ist eine der »Kleinen« des Evangeliums, die sich von Gott in die Tiefen seines Geheimnisses führen lassen. Sie ist eine Führerin für alle, besonders für jene, die im Gottesvolk den Dienst der Theologen ausüben. Mit Demut und Liebe, Glauben und Hoffnung dringt Theresia unablässig in das Herz der Heiligen Schrift vor, die das Geheimnis Christi enthält. Und eine solche Lektüre der Bibel, von der »Wissenschaft der Liebe« genährt, steht nicht im Gegensatz zur akademischen Wissenschaft. Die »Wissenschaft der Heiligen«, von der sie selbst am Ende der Geschichte einer Seele spricht, ist die höchste Wissenschaft. »Alle Heiligen haben dies begriffen, vielleicht am besten solche, die die Welt mit der Predigt des Evangeliums erhellten. Der heilige Paulus, Augustinus, Thomas von Aquin, Johannes vom Kreuz, die heilige Theresia und so viele Gottesfreunde – schöpften sie nicht aus dem Gebete ihre ganze erhabene Weisheit, das Entzücken der größten Geister?« (Ms C, 36r; ebd., S. 220–221). Die Eucharistie, vom Evangelium untrennbar, ist für Theresia das Sakrament der göttlichen Liebe, die sich bis zum Äußersten erniedrigt, um uns zu Gott zu erheben. In ihrem letzten Brief schreibt die Heilige über ein Bild, auf dem das Jesuskind in der geweihten Hostie dargestellt ist, diese einfachen Worte: »Ich kann einen Gott, der für mich so klein geworden ist, nicht fürchten! (.…) Ich liebe ihn! Denn er ist nichts als Liebe und Barmherzigkeit!« (LT 266).

Im Evangelium entdeckt Theresia vor allem die Barmherzigkeit Jesu. Sie sagt sogar: »Er hat mir seine unendliche Barmherzigkeit geschenkt; durch sie betrachte und verehre ich die anderen göttlichen Vollkommenheiten! (…) Dann erscheinen mir alle strahlend vor Liebe, und selbst die Gerechtigkeit – vielleicht noch mehr als jede andere – scheint mir mit Liebe bekleidet (Ms A, 84r). So drückt sie sich auch am Ende der Geschichte einer Seele aus: »Ich brauche nur das heilige Evangelium aufzuschlagen, da weht mir der Duft des Lebens Jesu entgegen, und ich weiß, wohin ich mich wenden soll. Nicht auf den ersten Platz stürze ich mich – zum untersten eile ich. … Selbst wenn ich alle möglichen Verbrechen auf dem Gewissen hätte, ich glaube, mein Vertrauen wäre doch nicht geringer: mit einem vom Schmerz der Reue gebrochenen Herzen eilte ich in die Arme meines Erlösers. Ich weiß, er liebte den verlorenen Sohn« (Ms C, 36v–37r; ebd., S. 221–222). »Vertrauen und Liebe« sind also der Schlußpunkt ihrer Lebensbeschreibung, zwei Worte, die ihren ganzen Weg der Heiligkeit wie Leuchtfeuer erhellt haben, um andere auf demselben »kleinen Weg des Vertrauens und der Liebe«, der geistlichen Kindschaft zu leiten (vgl. Ms C, 2v–3r; LT 226): ein Vertrauen wie das eines Kindes, das sich in die Hände Gottes fallen läßt. Dieses Vertrauen ist nicht zu trennen vom starken, radikalen Einsatz der wahren Liebe, der immerwährenden Selbsthingabe, wie die Heilige mit Blick auf Maria sagt: »Zu lieben heißt, alles hinzuschenken, sich selbst hinzuschenken« (Warum ich dich liebe, o Maria, P 54/22). So zeigt Theresia uns allen, daß das christliche Leben darin besteht, die Taufgnade durch die völlige Selbsthingabe an die Liebe des Vaters in Fülle zu leben, um wie Christus im Feuer des Heiligen Geistes seine Liebe zu allen Menschen zu leben.

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Von Herzen grüße ich alle Pilger und Besucher deutscher Sprache. Die heilige Therese von Lisieux lädt uns ein, den »kleinen Weg« zu gehen. Sie sagt: Auf dem Marathon des Glaubens will ich die allerletzte sein, aber es reicht mir anzukommen. Und wenn ich die größte Sünderin wäre, würde ich mich voll Vertrauen in die Hände Gottes stürzen. Sie lädt uns ein, den »kleinen Weg« zu gehen, den einfachen Weg des Vertrauens, darauf zu vertrauen, daß Christus in uns wirkt und wir mit unserer Liebe zu den Menschen darauf antworten. So können wir dem Wirken Gottes in der Welt Raum geben. Der Herr begleite euch auf allen euren Wegen.




Petersplatz

Mittwoch, 13. April 2011: Heiligkeit


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