Generalaudienzen 2005-2013 30052

Mittwoch, 30. Mai 2012

30052


Liebe Brüder und Schwestern!

In diesen Katechesen denken wir über das Gebet in den Briefen des hl. Paulus nach und versuchen, das christliche Gebet als eine wahre und persönliche Begegnung mit Gott, dem Vater, in Christus durch den Heiligen Geist zu sehen. Heute treten in dieser Begegnung das treue Ja Gottes und das vertrauensvolle Amen der Gläubigen miteinander in Dialog. Und ich möchte diese Dynamik hervorheben, indem ich beim zweiten Korintherbrief verweile. Der hl. Paulus sendet diesen leidenschaftlichen Brief an eine Kirche, die sein Apostolat mehrmals in Frage gestellt hat, und er öffnet sein Herz, um die Empfänger seiner Treue zu Christus und zum Evangelium zu versichern. Der zweite Korintherbrief beginnt mit einem der höchsten Segensgebete des Neuen Testaments. Es lautet so: »Gepriesen sei der Gott und Vater Jesu Christi, unseres Herrn, der Vater des Erbarmens und der Gott allen Trostes. Er tröstet uns in all unserer Not, damit auch wir die Kraft haben, alle zu trösten, die in Not sind, durch den Trost, mit dem auch wir von Gott getröstet werden« (2 Kor 1,3–4).

Paulus lebt also in großer Not, er mußte viele Schwierigkeiten und Mühsale erleiden, aber er hat sich nie entmutigen lassen, gestützt von der Gnade und der Nähe des Herrn Jesus Christus, dessen Apostel und Zeuge er geworden war, indem er sein ganzes Leben in seine Hände gegeben hat. Gerade deshalb beginnt Paulus diesen Brief mit einem Segens- und Dankgebet zu Gott, denn es gab keinen Augenblick in seinem Leben als Apostel Christi, in dem er gespürt hätte, daß der Halt des barmherzigen Vaters, des Gott allen Trostes, nachläßt. Er hat schrecklich gelitten, das sagt er in eben diesem Brief, aber in all diesen Situationen, in denen sich kein weiterer Weg aufzutun schien, hat er von Gott Trost und Zuspruch erhalten. Um Christus zu verkündigen, hat er auch Verfolgungen erlitten und wurde sogar in den Kerker gesperrt, aber er hat sich innerlich stets frei gefühlt, beseelt von der Gegenwart Christi und mit dem Verlangen, das Wort der Hoffnung des Evangeliums zu verkünden. So schreibt er aus dem Kerker an Timotheus, seinen treuen Mitarbeiter. Er schreibt in Fesseln: »Das Wort Gottes ist nicht gefesselt. Das alles erdulde ich um der Auserwählten willen, damit auch sie das Heil in Christus Jesus und die ewige Herrlichkeit erlangen « (2 Tim 2,9b–10). In seinem Leiden für Christus erfährt er Gottes Trost. Er schreibt: »Wie uns nämlich die Leiden Christi überreich zuteil geworden sind, so wird uns durch Christus auch überreicher Trost zuteil« (
2Co 1,5).

In dem Segensgebet, das den zweiten Korintherbrief einleitet, herrscht also neben dem Thema des Leidens das Thema des Trostes vor, der nicht einfach nur als Zuspruch zu verstehen ist, sondern vor allem als Ermutigung und Ermahnung, sich nicht von Not und Schwierigkeiten überwältigen zu lassen. Es ist die Einladung, jede Situation vereint mit Christus zu leben, der alles Leid und alle Sünde der Welt auf sich nimmt, um Licht, Hoffnung, Erlösung zu bringen. Und so macht Jesus uns fähig, unsererseits alle zu trösten, die in Not sind. Die tiefe Vereinigung mit Christus im Gebet, das Vertrauen auf seine Gegenwart führen zur Bereitschaft, die Leiden und die Not der Brüder zu teilen. Paulus schreibt: »Wer leidet unter seiner Schwachheit, ohne daß ich mit ihm leide? Wer kommt zu Fall, ohne daß ich von Sorge verzehrt werde?« (2Co 11,29). Dieses Teilen kommt nicht aus einfachem Wohlwollen heraus, nicht nur aus menschlicher Großherzigkeit oder dem Geist der Selbstlosigkeit, sondern es entspringt dem Trost des Herrn, dem unerschütterlichen Halt aus dem »Übermaß der Kraft«, die »von Gott und nicht von uns kommt« (2Co 4,7).

Liebe Brüder und Schwestern, unser Leben und unser Weg sind oft von Schwierigkeiten, von Unverständnis, von Leiden geprägt. Das wissen wir alle. In der treuen Beziehung zum Herrn, im beständigen täglichen Gebet können auch wir konkret den Trost spüren, der von Gott kommt. Und das stärkt unseren Glauben, denn es läßt uns auf konkrete Weise das Ja Gottes zum Menschen, zu uns, zu mir in Christus erfahren; es läßt uns die Treue seiner Liebe spüren, die bis zur Hingabe seines Sohnes am Kreuz reicht. Der hl. Paulus sagt: »Gottes Sohn Jesus Christus, der euch durch uns verkündigt wurde – durch mich, Silvanus und Timotheus –, ist nicht als Ja und Nein zugleich gekommen; in ihm ist das Ja verwirklicht. Er ist das Ja zu allem, was Gott verheißen hat. Darum rufen wir durch ihn zu Gottes Lobpreis auch das Amen« (2 Kor 1,19–20). Das Ja Gottes ist nicht geschmälert, es ist kein Mittelding zwischen Ja und Nein, sondern es ist ein einfaches und sicheres Ja. Und auf dieses Ja antworten wir mit unserem Ja, mit unserem Amen, und so sind wir sicher im Ja Gottes.

Der Glaube ist nicht in erster Linie menschliches Handeln, sondern ein unentgeltliches Geschenk Gottes, das in seiner Treue, in seinem Ja verwurzelt ist, das uns verstehen läßt, wie wir unser Leben führen sollen, indem wir ihn und unsere Brüder lieben. Die ganze Heilsgeschichte ist ein allmähliches Offenbarwerden dieser Treue Gottes, trotz unserer Untreue und unserer Verleugnungen, denn wir dürfen gewiß sein: »Unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt«, wie der Apostel im Brief an die Römer sagt (Rm 11,29).

Liebe Brüder und Schwestern, Gottes Handeln – das ganz anders ist als unseres – schenkt uns Trost, Kraft und Hoffnung, denn Gott zieht sein Ja nicht zurück. Angesichts der Auseinandersetzungen in den menschlichen Beziehungen, oft auch in der Familie, neigen wir dazu, nicht in der unentgeltlichen Liebe zu verharren, die Einsatz und Opfer verlangt. Gott dagegen wird unserer nicht müde, er wird nie müde, Geduld mit uns zu haben, und er geht uns mit seinem unermeßlichen Erbarmen stets voraus, er kommt uns als Erster entgegen, sein Ja ist absolut vertrauenswürdig. Im Ereignis des Kreuzes bietet er uns das volle Maß seiner Liebe an, die nicht berechnend ist und kein Maß hat. Der hl. Paulus schreibt im Brief an Titus, daß »die Güte und Menschenliebe Gottes, unseres Retters, erschien« (Tt 3,4). Und damit dieses Ja täglich erneuert wird, hat er »uns alle gesalbt …, uns sein Siegel aufgedrückt und als ersten Anteil (am verheißenen Heil) den Geist in unser Herz gegeben « ().

Der Heilige Geist ist es nämlich, der Gottes Ja in Jesus Christus ständig vergegenwärtigt und in unserem Herzen den Wunsch hervorruft, ihm nachzufolgen, um eines Tages völlig in seine Liebe einzutreten, wenn wir eine Wohnung im Himmel erhalten werden, die nicht von Menschenhand gebaut ist. Es gibt keinen Menschen, der nicht erreicht und vor Fragen gestellt wird durch diese treue Liebe, die in der Lage ist, auch auf jene zu warten, die weiterhin mit dem Nein der Ablehnung oder der Verhärtung des Herzens antworten. Gott wartet auf uns, er sucht immer nach uns, er will uns aufnehmen in die Gemeinschaft mit sich, um jedem von uns die Fülle des Lebens, der Hoffnung und des Friedens zu schenken.

In das treue Ja Gottes fügt sich das Amen der Kirche ein, das in allem Handeln der Liturgie widerhallt: »Amen« ist die Antwort des Glaubens, die stets unser persönliches und gemeinschaftliches Gebet beendet und die unser Ja auf Gottes Initiative zum Ausdruck bringt. Oft antworten wir aus Gewohnheit mit unserem Amen im Gebet, ohne seinen tiefen Sinn zu erfassen. Dieser Begriff kommt von »‘aman«, was im Hebräischen und im Aramäischen bedeutet, »festigen«, »konsolidieren«, und folglich »sicher sein«, »die Wahrheit sagen«. Wenn wir die Heilige Schrift betrachten, sehen wir, daß dieses Amen am Ende der Psalmen des Segens und des Lobpreises gesprochen wird, wie zum Beispiel im Psalm 41: »Weil ich aufrichtig bin, hältst du mich fest / und stellst mich vor dein Antlitz für immer. Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels, / von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen, ja amen« (V. 13–14). Oder es bringt die Zustimmung zu Gott zum Ausdruck, in dem Augenblick, in dem das Volk Israel voll Freude aus dem Babylonischen Exil zurückkehrt und sein Ja, sein Amen zu Gott und zu seinem Gesetz spricht. Im Buch Nehemia heißt es: Nach dieser Rückkehr öffnete Esra »das Buch [des Gesetzes] vor aller Augen; denn er stand höher als das versammelte Volk. Als er das Buch aufschlug, erhoben sich alle. Dann pries Esra den Herrn, den großen Gott; darauf antworteten alle mit erhobenen Händen: Amen, amen!« (). Von Anfang an ist also das Amen der jüdischen Liturgie zum Amen der ersten christlichen Gemeinden geworden. Und das Buch der christlichen Liturgie schlechthin, die Offenbarung des hl. Johannes, beginnt mit dem Amen der Kirche: »Er liebt uns und hat uns von unseren Sünden erlöst durch sein Blut; er hat uns zu Königen gemacht und zu Priestern vor Gott, seinem Vater. Ihm sei die Herrlichkeit und die Macht in aller Ewigkeit. Amen« (). So heißt es im ersten Kapitel der Offenbarung.Und dasselbe Buch schließt mit der Anrufung: »Amen. Komm, Herr Jesus!« (Ap 22,20).

Liebe Freunde, das Gebet ist die Begegnung mit einer lebendigen Person, der man zuhören und mit der man sprechen kann; es ist die Begegnung mit Gott, der seine unerschütterliche Treue erneuert, sein Ja zum Menschen, zu einem jeden von uns, um uns inmitten der Stürme des Lebens seinen Trost zu schenken und uns vereint mit ihm ein Leben voll Freude und Gutem führen zu lassen, das seine Vollendung im ewigen Leben finden wird.

In unserem Gebet sind wir aufgerufen, Ja zu sagen zu Gott, mit dem Amen der Zustimmung, der Treue unseres ganzen Lebens zu ihm zu antworten. Diese Treue können wir nie mit unseren eigenen Kräften erlangen, sie ist nicht nur Frucht unseres täglichen Bemühens; sie kommt von Gott und gründet auf dem Ja Christi, der sagt: Meine Speise ist es, den Willen des Vaters zu tun (vgl. Jn 4,34). In dieses Ja müssen wir eintreten, wir müssen eintreten in dieses Ja Christi, in die Zustimmung zum Willen Gottes, um schließlich mit dem hl. Paulus zu sagen, daß nicht wir leben, sondern Christus in uns lebt. Dann wird das Amen unseres persönlichen und gemeinschaftlichen Gebets unser ganzes Leben umfangen und verwandeln, ein Leben des Trostes Gottes, ein Leben, das hineingenommen ist in die ewige und unerschütterliche Liebe. Danke.

APPELL


Die Ereignisse, die in diesen Tagen geschehen sind und die Kurie und meine Mitarbeiter betreffen, haben mein Herz mit Traurigkeit erfüllt, aber es hat sich nie die feste Gewißheit getrübt, daß trotz der Schwachheit des Menschen, der Schwierigkeiten und Prüfungen die Kirche vom Heiligen Geist geleitet ist und der Herr es ihr niemals an seiner Hilfe mangeln lassen wird, um sie auf ihrem Weg zu stützen. Es haben sich jedoch völlig unhaltbare Behauptungen vermehrt, von einigen Kommunikationsmitteln verstärkt, die weit über die Tatsachen hinausgegangen sind und die ein Bild vom Heiligen Stuhl vermitteln, das nicht der Wirklichkeit entspricht. Ich möchte daher meinen engsten Mitarbeitern sowie allen, die mir täglich in Treue, Opfergeist und Stille bei der Ausübung meines Dienstes helfen, erneut mein Vertrauen und meine Ermutigung aussprechen.


* * *


Ein herzliches Grüß Gott sage ich allen Pilgern und Besuchern deutscher Sprache. Besonders grüße ich heute die Gäste aus Aschau am Inn – im Gedenken an meine Kindheit –, dann die große Gruppe von Ministranten aus der Diözese Eichstätt und all die vielen jungen Freunde. Im Gebet wollen wir uns dem Willen und der Liebe Gottes anvertrauen, in der Verbundenheit mit Gott leben und so die Kraft finden, unseren Alltag zu bewältigen und mit beizutragen, daß in dieser Welt das Licht Gottes nicht erlischt, daß sie Hoffnung bleibt und Leben. Danke.





Petersplatz

Mittwoch, 6. Juni 2012 - Pastoralbesuch in der Erzdiözese Mailand - VII. Weltfamilientreffen

60612

Liebe Brüder und Schwestern!

»Die Familie: Arbeit und Fest«. Dies war das Thema des VII. Weltfamilientreffens, das in den vergangenen Tagen in Mailand stattgefunden hat. Ich habe noch die Bilder und Emotionen dieses unvergeßlichen und wunderbaren Ereignisses vor Augen und im Herzen, das Mailand in eine Stadt der Familien verwandelt hat: Familien aus aller Welt, vereint von der Freude, an Jesus Christus zu glauben. Ich bin Gott zutiefst dankbar, daß er es mir gewährt hat, dieses Ereignis »mit« den Familien und »für« die Familie zu erleben. Bei jenen, die mir in diesen Tagen zugehört haben, habe ich eine aufrichtige Bereitschaft gefunden, das »Evangelium der Familie« anzunehmen und zu bezeugen. Ja, denn ohne die Familie gibt es keine Zukunft für die Menschheit; besonders die jungen Menschen müssen, um die Werte zu lernen, die dem Leben Sinn verleihen, in jener Gemeinschaft des Lebens und der Liebe geboren werden und aufwachsen, die Gott selbst für den Mann und die Frau gewollt hat.

Die Begegnung mit den zahlreichen Familien aus verschiedenen Kontinenten gab mir die glückliche Gelegenheit, zum ersten Mal als Nachfolger Petri die Erzdiözese Mailand zu besuchen. Kardinal Angelo Scola, die Priester und alle Gläubigen, ebenso wie der Bürgermeister und die anderen Autoritäten haben mich sehr herzlich empfangen, wofür ich zutiefst dankbar bin. So konnte ich aus der Nähe den Glauben der Ambrosianischen Bevölkerung erfahren, die reich ist an Geschichte, Kultur, Menschlichkeit und tätiger Nächstenliebe. Auf dem Domplatz – der Dom ist das Wahrzeichen und das Herz der Stadt – fand die erste Begegnung dieses eindrucksvollen dreitägigen Pastoralbesuchs statt. Ich vergesse nie die herzliche Umarmung der zahllosen Mailänder und Teilnehmer am VII. Weltfamilientreffen, die mich dann auf dem Weg meines Besuchs begleitet haben; die Straßen waren gedrängt voll mit Menschen: Soweit das Auge blickte, Familien in Festtagsstimmung, die sich mit Empfindungen tiefer Anteilnahme besonders dem herzlichen und solidarischen Gruß angeschlossen haben, den ich sofort an jene gerichtet habe, die Hilfe und Trost brauchen und von Sorgen verschiedener Art geplagt sind, besonders an die Familien, die am meisten von der Wirtschaftskrise betroffen sind und an die geliebte Bevölkerung in den vom Erdbeben betroffenen Gebieten. In dieser ersten Begegnung mit der Stadt wollte ich vor allem zum Herzen der Ambrosianischen Gläubigen sprechen und sie ermahnen, den Glauben in ihrer persönlichen und gemeinschaftlichen, privaten und öffentlichen Erfahrung zu leben, um so einen echten »Wohlstand« zu fördern, ausgehend von der Familie, die als wichtigster Reichtum der Menschheit wiederentdeckt werden muß. Vom Dom herab schien die Statue der Gottesmutter mit ausgebreiteten Armen alle Familien von Mailand und aus der ganzen Welt mit mütterlicher Zärtlichkeit zu empfangen!

Mailand hat mir dann eine einzigartige und vornehme Begrüßung bereitet an einem der eindrucksvollsten und bedeutsamsten Orte der Stadt, dem »Teatro alla Scala«, wo wichtige Abschnitte der Geschichte des Landes geschrieben wurden, unter dem Impuls großer geistlicher und ideeller Werte. In diesem Tempel der Musik haben die Noten der Neunten Sinfonie von Ludwig van Beethoven jenem Anspruch auf Universalität und Brüderlichkeit, den die Kirche unermüdlich erhebt, indem sie das Evangelium verkündet, eine Stimme verliehen. Und gerade auf den Gegensatz zwischen diesem Ideal und den Dramen der Geschichte sowie auf die Notwendigkeit eines nahen Gottes, der unsere Leiden teilt, habe ich am Ende des Konzerts Bezug genommen und es den vielen Brüdern und Schwestern gewidmet, die durch das Erdbeben leidgeprüft sind. Ich habe hervorgehoben, daß in Jesus von Nazaret Gott zu uns kommt uns unser Leiden mit uns trägt. Am Ende dieses eindrucksvollen künstlerischen und geistlichen Augenblicks habe ich die Familien des dritten Jahrtausends erwähnt und daran erinnert, daß man in der Familie zum ersten Mal die Erfahrung macht, daß die menschliche Person nicht dazu geschaffen ist, in sich selbst verschlossen zu leben, sondern in Beziehung zu den anderen; in der Familie beginnt man auch, im Herzen das Licht des Friedens zu entzünden, damit es unsere Welt erhellen kann.

Am folgenden Tag habe ich im Dom, der mit Priestern, Ordensmännern und Ordensfrauen sowie Seminaristen gefüllt war, in Gegenwart vieler Kardinäle und Bischöfe, die aus verschiedenen Ländern der Welt nach Mailand gekommen waren, die Terz nach der Ambrosianischen Liturgie gefeiert. Dort habe ich den Wert des Zölibats und der geweihten Jungfräulichkeit bekräftigt, die dem großen hl. Ambrosius so sehr am Herzen lag. Zölibat und Jungfräulichkeit in der Kirche sind ein leuchtendes Zeichen der Liebe zu Gott und zu den Brüdern, die stets von einer immer innigeren Beziehung zu Christus im Gebet ausgeht und in der völligen Selbsthingabe zum Ausdruck kommt.

Ein Augenblick großer Begeisterung war dann die Begegnung im »Meazza«-Stadion, wo ich die Umarmung einer freudigen Menge von Jungen und Mädchen erfahren habe, die in diesem Jahr das Sakrament der Firmung erhalten haben oder erhalten werden. Die sorgfältige Vorbereitung des Ereignisses, mit bedeutsamen Texten und Gebeten sowie Choreographien, hat die Begegnung noch eindrucksvoller gemacht. An die Ambrosianischen Jugendlichen habe ich den Appell gerichtet, ein freies und bewußtes Ja zum Evangelium Jesu zu sprechen und die Gaben des Heiligen Geistes anzunehmen, die es gestatten, sich als Christen heranzubilden, das Evangelium zu leben und aktive Mitglieder der Gemeinde zu sein. Ich habe sie ermutigt, engagiert zu sein, insbesondere beim Lernen und im großherzigen Dienst am Nächsten.

Im Rahmen der Begegnung mit den Vertretern der Behörden, der Unternehmer und der Arbeiter, der Welt der Kultur, Erziehung und Bildung der Mailänder und lombardischen Gesellschaft konnte ich hervorheben, wie wichtig es ist, daß die Gesetzgebung und die Arbeit der staatlichen Institutionen der Person und ihrem Schutz in ihren vielfachen Aspekten dient, angefangen beim Recht auf Leben, dessen vorsätzliche Auslöschung niemals gestattet werden darf, sowie bei der Anerkennung der Identität der Familie, die auf der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau gründet.

Nach dieser letzten Begegnung, die der Wirklichkeit der Erzdiözese und der Stadt gewidmet war, habe ich mich in das große Areal des »Parco Nord« im Gebiet von Bresso begeben, wo ich am beeindruckenden »Fest mit Glaubenszeugnissen« unter dem Titel »One world, family, love« teilgenommen habe. Hier hatte ich die Freude, Tausenden von Menschen zu begegnen – einem Regenbogen von Familien aus Italien und aus der ganzen Welt, die schon seit dem frühen Nachmittag versammelt waren in festlicher Atmosphäre echter familiärer Herzlichkeit. Indem ich auf die Fragen einiger Familien geantwortet habe – Fragen, die aus ihrem Leben und ihrer Erfahrung heraus entstanden sind –, wollte ich ein Zeichen setzen für den offenen Dialog, der zwischen den Familien und der Kirche, zwischen der Welt und der Kirche besteht. Ich war sehr ergriffen von den bewegenden Zeugnissen von Ehepaaren und Kindern aus verschiedenen Kontinenten über die aktuellen Themen unserer Zeit: die Wirtschaftskrise, die Schwierigkeit, die Arbeitszeiten und die Zeiten, die für die Familie bestimmt sind, miteinander in Einklang zu bringen, die immer weitere Verbreitung von Trennungen und Scheidungen, ebenso wie existentielle Fragen, die Erwachsene, Jugendliche und Kinder betreffen. Ich möchte hier an das erinnern, was ich gesagt habe zur Verteidigung der Zeit, die für die Familie bestimmt ist und die bedroht ist durch eine Art von »Übermacht« der Arbeitsverpflichtungen: Der Sonntag ist der Tag des Herrn und des Menschen, ein Tag, an dem es allen möglich sein muß, frei zu sein, frei für die Familie und frei für Gott. Wenn wir den Sonntag verteidigen, verteidigen wir die Freiheit des Menschen!

An der heiligen Messe am Sonntag, dem 3. Juni, die das VII. Weltfamilientreffen abgeschlossen hat, hat eine enorme betende Gemeinde teilgenommen, die das Flughafengelände von Bresso vollständig gefüllt hat: Es wurde gleichsam zu einer großen Kathedrale unter freiem Himmel, auch dank der Kopie der wunderschönen bunten Glasfenster des Doms, die auf der Tribüne emporragten. An diese unermeßliche Schar von Gläubigen aus verschiedenen Nationen, die an der sehr sorgfältig gestalteten Liturgie teilgenommen haben, habe ich einen Appell gerichtet, kirchliche Gemeinden aufzubauen, die immer mehr gleichsam Familien sind – fähig, die Schönheit der Allerheiligsten Dreifaltigkeit widerzuspiegeln und nicht nur mit dem Wort zu evangelisieren, sondern durch Ausstrahlung, mit der Kraft der gelebten Liebe, denn die Liebe ist die einzige Kraft, die die Welt verändern kann. Außerdem habe ich die Bedeutung der »Triade« Familie, Arbeit und Fest hervorgehoben. Es sind drei Gaben Gottes, drei Dimensionen unseres Lebens, die ein harmonisches Gleichgewicht finden müssen, um Gesellschaften mit menschlichem Antlitz aufzubauen.

Ich empfinde tiefe Dankbarkeit für diese wunderschönen Mailänder Tage. Mein Dank gilt Kardinal Ennio Antonelli sowie dem Päpstlichen Rat für die Familie und allen Autoritäten für ihre Anwesenheit und Mitarbeit an dem Ereignis; ebenso danke ich dem Ministerpräsidenten der Italienischen Republik für seine Teilnahme an der heiligen Messe am Sonntag. Und erneut richte ich ein herzliches »Dankeschön« an die verschiedenen Institutionen, die großherzig mit dem Heiligen Stuhl und der Erzdiözese Mailand zusammengearbeitet haben, um das Treffen zu organisieren, das großen pastoralen und kirchlichen Erfolg hatte und auf der ganzen Welt ein großes Echo hervorgerufen hat. Denn es hat über eine Million Menschen nach Mailand gezogen, die mehrere Tage lang friedlich die Straßen bevölkert und die Schönheit der Familie, Hoffnung für die Menschheit, bezeugt haben.

Das Weltreffen von Mailand hat sich so als beredte »Epiphanie« der Familie erwiesen, die sich gezeigt hat in der Vielfalt ihrer Ausdrucksformen, aber auch in der Einzigartigkeit ihrer grundlegenden Identität: ihrer Identität als Liebesgemeinschaft, die auf der Ehe gründet und berufen ist, Heiligtum des Lebens, Hauskirche, Keimzelle der Gesellschaft zu sein. Von Mailand aus wurde in die ganze Welt eine Botschaft der Hoffnung gesandt, genährt von gelebten Erfahrungen: Es ist möglich und bringt Freude, auch wenn es anspruchsvoll ist, die treue Liebe zu leben, »für immer «, offen für das Leben; es ist möglich, als Familien an der Sendung der Kirche und am Aufbau der Gesellschaft teilzuhaben. Durch Gottes Beistand und den besonderen Schutz der allerseligsten Jungfrau Maria, Königin der Familie, möge die in Mailand gelebte Erfahrung überreiche Frucht zum Weg der Kirche beitragen und Anzeichen einer wachsenden Aufmerksamkeit gegenüber dem Anliegen der Familie sein, das auch das Anliegen des Menschen und der Zivilisation ist. Danke.


* * *


Mit Freude grüße ich die deutschsprachigen Pilger und Besucher. Alle Familien möchte ich dem besonderen Schutz der seligen Jungfrau Maria, der Königin der Familien, anvertrauen. Euch allen wünsche ich einen gesegneten Aufenthalt in der Heiligen Stadt.



Audienzhalle

Mittwoch, 13. Juni 2012

13062


Liebe Brüder und Schwestern!

Die tägliche Begegnung mit dem Herrn und der Empfang der Sakramente gestatten es, unseren Verstand und unser Herz für seine Gegenwart, seine Worte, sein Wirken zu öffnen. Das Gebet ist nicht nur der Atem der Seele, sondern es ist, um ein Bild zu gebrauchen, auch die Oase des Friedens, in der wir das Wasser schöpfen können, das unser geistliches Leben nährt und unser Leben verwandelt. Und Gott zieht uns zu sich hinauf, er läßt uns den Berg der Heiligkeit besteigen, damit wir ihm immer näher sind, und schenkt uns auf dem Weg Licht und Trost. Dies ist die persönliche Erfahrung, auf die der hl. Paulus im 12. Kapitel des Zweiten Briefes an die Korinther Bezug nimmt, bei dem ich heute verweilen möchte. Denen, die die Rechtmäßigkeit seines Apostolats bestritten, hält er nicht die Gemeinden vor Augen, die er gegründet, die Kilometer, die er zurückgelegt hat; er beschränkt sich nicht darauf, die Schwierigkeiten und Widerstände in Erinnerung zu rufen, denen er begegnet ist, um das Evangelium zu verkündigen, sondern er verweist auf seine Beziehung zum Herrn, eine Beziehung, die so tief ist, daß sie auch von Augenblicken der Verzückung, der tiefen Betrachtung geprägt ist (vgl.
2Co 12,1); er rühmt sich also nicht dessen, was er getan hat, seiner Kraft, seiner Arbeit und Erfolge, sondern er rühmt sich dessen, was Gott in ihm und durch ihn getan hat.

Mit großer Scheu berichtet er nämlich von dem Augenblick, in dem er die besondere Erfahrung gemacht hat, bis in den Himmel Gottes entrückt worden zu sein. Er erinnert sich, daß er 14 Jahre vor der Sendung des Briefes »bis in den dritten Himmel entrückt wurde«, wie er sagt (V. 2). Mit der Sprache und nach Art von jemandem, der erzählt, was man nicht erzählen kann, spricht der hl. Paulus darüber sogar in der dritten Person; er sagt, daß ein Mensch in den »Garten« Gottes entrückt wurde, in das Paradies. Die Betrachtung ist so tief und intensiv, daß der Apostel sich nicht einmal an die Inhalte der empfangenen Offenbarung erinnert, aber den Tag und die Umstände gut vor Augen hat, unter denen der Herr ihn so vollkommen ergriffen hat, ihn zu sich gezogen hat, wie auf dem Weg nach Damaskus im Augenblick seiner Bekehrung (vgl. Phil Ph 3,12). Weiter sagt der hl. Paulus, daß er, damit er sich wegen der einzigartigen Offenbarungen, die er empfangen hat, nicht überhebt, einen »Stachel« (2Co 12,7), ein Leiden in sich trägt, und fleht den Auferstandenen mit Nachdruck an, vom Boten Satans, von diesem schmerzhaften Stachel im Fleisch befreit zu werden. Dreimal – so berichtet er – hat er den Herrn angefleht, diese Prüfung hinwegzunehmen. Und in dieser Situation hört er in der tiefen Betrachtung Gottes »unsagbare Worte, die ein Mensch nicht aussprechen kann« (V. 4) und erhält eine Antwort auf sein Flehen. Der Auferstandene richtet ein klares und beruhigendes Wort an ihn: »Meine Gnade genügt dir; denn sie erweist ihre Kraft in der Schwachheit« (V. 9).

Paulus’ Kommentar zu diesen Worten mag erstaunlich sein, aber er zeigt, daß er verstanden hat, was es bedeutet, wirklich Apostel des Evangeliums zu sein. Denn er sagt: »Viel lieber will also ich mich meiner Schwachheit rühmen, damit die Kraft Christi auf mich herabkommt. Deswegen bejahe ich meine Ohnmacht, alle Mißhandlungen und Nöte, Verfolgungen und Ängste, die ich für Christus ertrage; denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark« (V. 9b–10). Er rühmt sich also nicht seiner Taten, sondern des Handelns Christi, das gerade in seiner Schwachheit wirkt. Wir wollen noch einen Augenblick bei dem verweilen, was in den Jahren geschehen ist, in denen der hl. Paulus in Stille und Betrachtung gelebt hat, bevor er begann, den Okzident zu bereisen, um Christus zu verkündigen, denn diese Haltung tiefer Demut und tiefen Vertrauens gegenüber der Offenbarung Gottes ist auch für unser Gebet und für unser Leben, für unsere Beziehung zu Gott und zu unserer Schwachheit grundlegend. Zunächst einmal, von welcher Schwachheit spricht der Apostel? Was ist dieser »Stachel« im Fleisch? Wir wissen es nicht, und er sagt es nicht, aber seine Haltung zeigt, daß jede Schwierigkeit in der Nachfolge Christi und im Zeugnis seines Evangeliums überwunden werden kann, indem man sich mit Vertrauen dem Wirken des Herrn öffnet.

Der hl. Paulus ist sich bewußt, ein »unnützer Sklave« (Lc 17,10) – nicht er hat die großen Dinge getan, sondern der Herr –, ein »zerbrechliches Gefäß« (2Co 4,7) zu sein, in das Gott den Reichtum und die Kraft seiner Gnade legt. In diesem Augenblick des tiefen betrachtenden Gebets versteht der hl. Paulus ganz deutlich, wie er jedes Ereignis leben muß, vor allem das Leiden, die Schwierigkeit, die Verfolgung: In dem Augenblick, in dem man die eigene Schwachheit erfährt, offenbart sich die Kraft Gottes, der uns nicht verläßt, uns nicht allein läßt, sondern zum Halt und zur Kraft wird. Natürlich wäre Paulus lieber von diesem »Stachel«, von diesem Leiden befreit worden, aber Gott sagt: »Nein, das ist notwendig für dich. Du wirst genügend Gnade bekommen, um durchzuhalten und das zu tun, was getan werden muß.« Das gilt auch für uns. Der Herr befreit uns nicht von den Übeln, sondern hilft uns, in den Leiden, in den Schwierigkeiten, in den Verfolgungen zu reifen.

Der Glaube sagt uns also: Wenn wir in Gott bleiben, »wenn auch unser äußerer Mensch aufgerieben wird, es viele Schwierigkeiten gibt, der innere wird gerade in den Prüfungen Tag für Tag erneuert« (vgl. V. 16). Der Apostel teilt den Christen in Korinth und auch uns mit: »Die kleine Last unserer gegenwärtigen Not schafft uns in maßlosem Übermaß ein ewiges Gewicht an Herrlichkeit« (V. 17). Nach menschlichen Maßstäben war das Gewicht der Schwierigkeiten in Wirklichkeit nicht leicht, sondern sehr schwer; aber im Vergleich zur Liebe Gottes, zur Größe des Geliebtseins von Gott, scheint es leicht zu sein, im Wissen, daß das Gewicht an Herrlichkeit maßlos sein wird. In dem Maße also, in dem unsere Vereinigung mit dem Herrn wächst und unser Gebet tiefer wird, nähern auch wir uns dem Wesentlichen und verstehen, daß nicht die Kraft unserer Mittel, unserer Tugenden, unserer Fähigkeiten das Reich Gottes verwirklicht, sondern daß Gott gerade durch unsere Schwachheit, unsere Unzulänglichkeit bei dem, was uns aufgetragen ist, Wunder wirkt. Wir müssen also die Demut haben, nicht einfach auf uns selbst zu vertrauen, sondern mit Hilfe des Herrn im Weinberg des Herrn zu arbeiten und uns ihm anzuvertrauen wie »zerbrechliche Gefäße«.

Der hl. Paulus berichtet von zwei besonderen Offenbarungen, die sein Leben radikal verändert haben. Die erste – das wissen wir – ist die erschütternde Frage auf dem Weg nach Damaskus: »Saul, Saul, warum verfolgst du mich?« (Ac 9,4), eine Frage, die ihn dahin geführt hat, den lebendigen und gegenwärtigen Christus zu entdecken und ihm zu begegnen und seinen Ruf zu hören, Apostel des Evangeliums zu sein. Die zweite sind die Worte, die der Herr in der Erfahrung des betrachtenden Gebets, über das wir gerade nachdenken, an ihn gerichtet hat: »Meine Gnade genügt dir; denn sie erweist ihre Kraft in der Schwachheit.« Nur der Glaube, das Vertrauen auf das Wirken Gottes, auf die Güte Gottes, der uns nicht verläßt, ist die Gewährleistung, nicht umsonst tätig zu sein. So war die Gnade des Herrn die Kraft, die den hl. Paulus begleitet hat bei den enormen Mühen, das Evangelium zu verbreiten, und sein Herz wurde in das Herz Christi hineingenommen und in die Lage versetzt, die anderen zu dem zu führen, der für uns gestorben und auferstanden ist.

Im Gebet öffnen wir also unser Herz dem Herrn, damit er in unserer Schwachheit wohnt und sie in Kraft für das Evangelium verwandelt. Und bedeutungsreich ist auch das griechische Verb, mit dem Paulus dieses Wohnen des Herrn in seiner schwachen Menschennatur beschreibt; er gebraucht »episkenoo«, das wir übersetzen könnten mit »sein Zelt aufschlagen«. Der Herr schlägt auch weiterhin sein Zelt bei uns auf, er ist mitten unter uns: Es ist das Geheimnis der Menschwerdung. Das göttliche Wort selbst, das gekommen ist, um in unserer Menschennatur zu wohnen, will bei uns sein, sein Zelt unter uns aufschlagen, um unser Leben und die Welt zu erleuchten und zu verwandeln.

Die tiefe Betrachtung Gottes, die der hl. Paulus erfährt, ruft die Betrachtung der Jünger auf dem Berg Tabor in Erinnerung, als Petrus beim Anblick Jesu, der sich verwandelt und von Licht erstrahlt, zu ihm sagt: »Rabbi, es ist gut, daß wir hier sind. Wir wollen drei Hütten bauen, eine für dich, eine für Mose und eine für Elija« (Mc 9,5), »Er wußte nämlich nicht, was er sagen sollte; denn sie waren vor Furcht ganz benommen«, fügt der hl. Markus hinzu (V. 6). Den Herrn zu betrachten ist gleichzeitig faszinierend und furchtbar: faszinierend, weil er uns zu sich hinaufzieht und unser Herz nach oben entrückt und es in seine Höhe führt, wo wir den Frieden, die Schönheit seiner Liebe erfahren; furchtbar, weil es unsere menschliche Schwäche entblößt, unsere Unzulänglichkeit, die Mühe, das Böse zu überwinden, das sich in unser Leben einschleicht, jenen Stachel, der auch in unser Fleisch gestoßen ist. Im Gebet, in der täglichen Betrachtung des Herrn empfangen wir die Kraft der Liebe Gottes und spüren, daß die Worte des hl. Paulus an die Christen in Rom wahr sind, an die er geschrieben hat: »Denn ich bin gewiß: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges nach Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder Tiefe oder irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn« ().

In einer Welt, in der wir Gefahr laufen, nur auf die Effizienz und die Kraft der menschlichen Mittel zu vertrauen, in dieser Welt sind wir aufgerufen, die Macht Gottes wiederzuentdecken, die im Gebet vermittelt wird, mit dem wir jeden Tag wachsen, indem wir unser Leben dem Leben Christi gleichgestalten, von dem Paulus sagt: »Zwar wurde er in seiner Schwachheit gekreuzigt, aber er lebt aus Gottes Kraft. Auch wir sind schwach in ihm, aber wir werden zusammen mit ihm vor euren Augen aus Gottes Kraft leben« (2Co 13,4).

Liebe Freunde, im vergangenen Jahrhundert sagte Albert Schweitzer, ein protestantischer Theologe und Nobelpreisträger, daß Paulus »ein Mystiker und nichts weiter als ein Mystiker« ist, also ein Mensch, der wirklich in Christus verliebt und so mit ihm vereint ist, daß er sagen kann: Christus lebt in mir. Die Mystik des hl. Paulus gründet nicht nur auf außerordentlichen Ereignissen, die er erlebt hat, sondern auch auf der täglichen und tiefen Beziehung zum Herrn, der ihn stets mit seiner Gnade getragen hat. Die Mystik hat ihn nicht von der Wirklichkeit entfernt, im Gegenteil: Sie hat ihm die Kraft geschenkt, jeden Tag für Christus zu leben und die Kirche zu bauen bis ans Ende der Welt jener Zeit. Die Vereinigung mit Gott entfernt nicht von der Welt, sondern schenkt uns die Kraft, wirklich in der Welt zu bleiben, in der Welt das zu tun, was getan werden muß.

Auch in unserem Gebetsleben können wir also Augenblicke besonderer Tiefe haben, in denen wir vielleicht die Gegenwart des Herrn deutlicher spüren, aber wichtig ist die Beharrlichkeit, die Treue der Beziehung zu Gott, vor allem in den Situationen der Trockenheit, der Schwierigkeit, des Leidens, der scheinbaren Abwesenheit Gottes. Nur wenn wir von der Liebe Christi ergriffen sind, werden wir in der Lage sein, uns wie Paulus jeder Widrigkeit zu stellen, in der Überzeugung, daß wir alles vermögen durch ihn, der uns Kraft gibt (vgl. Phil Ph 4,13). Je mehr Raum wir also dem Gebet geben, desto mehr werden wir sehen, daß unser Leben sich verwandeln und von der konkreten Kraft der Liebe Gottes beseelt sein wird. So war es zum Beispiel für die sel. Mutter Teresa von Kalkutta, die in der Betrachtung Jesu und gerade auch in Zeiten langer Trockenheit den letzten Grund und die unglaubliche Kraft fand, ihn in den Armen und Verlassenen zu erkennen, trotz ihrer schwachen Gestalt. Die Betrachtung Christi in unserem Leben entfremdet uns wie gesagt nicht von der Wirklichkeit, sondern läßt uns noch mehr teilhaben am menschlichen Leben, denn der Herr, der uns im Gebet zu sich zieht, gestattet uns, bei jedem Bruder zu sein und ihm zum Nächsten zu werden in seiner Liebe. Danke.
* * *


Sehr herzlich heiße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache willkommen. Besonders grüße ich die Wallfahrer aus der Diözese von Bozen-Brixen mit Bischof Muser. Herzlich willkommen! Ich freue mich über eure Gegenwart. Die Worte und das Vorbild des heiligen Paulus laden uns ein, dem Gebet in unserem Alltag Raum zu geben. So wird sich unser Leben stets durch die Kraft der Liebe Gottes erneuern. Gott begleite euch alle Tage mit dem Licht seiner Gnade.



Audienzhalle

Mittwoch, 20. Juni 2012


Generalaudienzen 2005-2013 30052