ANSPRACHE 2007 Januar 2007 65

BEGRÜSSUNGSZEREMONIE

Internationaler Flughafen São Paulo/Guarulhos - Mittwoch, 9. Mai 2007

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Sehr geehrter Herr Staatspräsident,

meine Herren Kardinäle und verehrte Brüder im Bischofsamt,
liebe Brüder und Schwestern in Christus!

1. Es ist für mich ein Grund besonderer Genugtuung, meinen Pastoralbesuch in Brasilien zu beginnen und Eurer Exzellenz in Ihrer Funktion als Staatsoberhaupt und höchster Repräsentant der großen brasilianischen Nation meinen Dank für den liebenswürdigen Empfang auszusprechen, der mir bereitet worden ist. Ein Dank, den ich mit großer Freude auf die Mitglieder der Regierung, die Eure Exzellenz begleiten, auf die zivilen und militärischen Persönlichkeiten, die sich hier eingefunden haben, und auf die Autoritäten des Staates São Paulo ausweite. In den an mich gerichteten Begrüßungsworten, Herr Präsident, verspüre ich das Erwidern der Gefühle der Zuneigung und Liebe des ganzen brasilianischen Volkes für den Nachfolger des Apostels Petrus.

Brüderlich im Herrn begrüße ich meine geliebten Brüder im Bischofsamt, die hierhergekommen sind, um mich im Namen der brasilianischen Kirche zu empfangen. Ich begrüße auch die Priester, die Ordensmänner und Ordensfrauen, die Seminaristen und die Laien, die in der Evangelisierungsarbeit der Kirche und im Zeugnis eines wahrhaft christlichen Lebens engagiert sind. Schließlich richte ich meinen herzlichen Gruß an alle Brasilianer ohne Unterschied, Männer und Frauen, Familien, Alte, Kranke, Jugendliche und Kinder. Allen sage ich von Herzen: Vielen Dank für eure hochherzige Gastfreundschaft!

2. Brasilien nimmt einen besonderen Platz im Herzen des Papstes ein, nicht nur weil es von Anfang an christlich war und heute die höchste Zahl von Katholiken aufweist, sondern vor allem, weil es eine an Potentialitäten reiche Nation ist - dies verbunden mit einer kirchlichen Präsenz, die Grund zu Freude und Hoffnung für die gesamte Kirche ist. Mein Besuch, Herr Präsident, hat ein Ziel, das über die nationalen Grenzen hinausgeht: Ich komme, um in Aparecida der Eröffnungssitzung der V. Generalversammlung des Episkopats von Lateinamerika und der Karibik vorzustehen. Durch die von der Vorsehung bestimmte Offenbarung der Güte des Schöpfers soll dieses Land als Wiege für die kirchlichen Vorschläge dienen, die, so Gott will, diesem Kontinent neue Kraft und missionarischen Schwung geben können.

3. In diesem geographischen Raum bilden die Katholiken die Mehrheit: Das bedeutet, daß sie in besonderer Weise zum Dienst am Gemeinwohl der Nation beitragen müssen. Solidarität wird zweifellos ein inhaltsvolles Wort sein, wenn sich die lebendigen Kräfte der Gesellschaft, jede in dem ihr eigenen Bereich, ernsthaft um den Aufbau einer Zukunft in Frieden und Hoffnung für alle bemühen werden.

67 Wie ich in der Enzyklika Deus caritas est unterstrichen habe, ist die von der Kraft des Heiligen Geistes verwandelte katholische Kirche dazu berufen, in der Welt eine Zeugin für die Liebe des Vaters zu sein, der die Menschheit in seinem Sohn zu einer einzigen Familie machen will (vgl. ). Daher rührt ihr intensiver Einsatz in der Evangelisierung im Dienst am Frieden und an der Gerechtigkeit. Die Entscheidung, eine im wesentlichen der Mission gewidmete Konferenz abzuhalten, spiegelt also gut sowohl die Sorge der Bischöfe wie meine eigene Sorge wider, nach geeigneten Wegen zu suchen, die dafür sorgen sollen, daß in Jesus Christus »unsere Völker das Leben haben«, wie das Thema der Konferenz in Erinnerung bringt. Mit diesen Empfindungen möchte ich über die Grenzen dieses Landes hinausblicken und alle Völker Lateinamerikas und der Karibik grüßen und ihnen mit den Worten des Apostels wünschen: »Friede sei mit euch allen, die ihr in Christus seid« (1P 5,14).

4. Herr Präsident, ich bin der Göttlichen Vorsehung dankbar, daß sie mir die Gnade gewährt, Brasilien, eine Nation mit großer katholischer Tradition, zu besuchen. Ich hatte schon Gelegenheit, das Hauptmotiv meiner Reise zu erwähnen, die eine lateinamerikanische Tragweite und einen grundlegend religiösen Charakter hat.

Ich fühle mich sehr glücklich, einige Tage mit den Brasilianern verbringen zu können. Ich weiß, daß die Seele dieses Volkes sowie ganz Lateinamerikas zutiefst christliche Werte bewahrt, die niemals ausgelöscht sein werden. Und ich bin sicher, daß bei der Generalversammlung des Episkopats in Aparécida diese Identität neu gestärkt und die Achtung vor dem Leben vom Augenblick der Empfängnis bis zum natürlichen Ende als das der menschlichen Natur innewohnende Erfordernis gefördert wird; zudem wird die Förderung der menschlichen Person zum Mittelpunkt der Solidarität, vor allem mit den Armen und Verlassenen.

Die Kirche will nur die moralischen Werte jeder Situation aufzeigen und die Bürger formen, damit sie bewußt und frei entscheiden können; in diesem Sinn wird sie es nicht versäumen, eindringlich auf die Verpflichtung hinzuweisen, die wahrgenommen werden muß, um die Festigung der Familie als Keimzelle der Gesellschaft sicherzustellen; durch die Förderung der Jugend, deren Ausbildung einen entscheidenden Faktor für die Zukunft einer Nation darstellt - und schließlich, aber nicht zuletzt, durch die Verteidigung und Förderung der vorhandenen Werte in allen Gesellschaftsschichten, vor allem in der ureinheimischen Bevölkerung.

5. Mit diesen Wünschen sage ich von neuem Dank für den warmherzigen Empfang, der mir als Nachfolger Petri zuteil wird, und erflehe den mütterlichen Schutz von »Nossa Senhora da Conceição Aparecida - Unserer Lieben Frau von Aparecida«, die auch als »Nuestra Señora de Guadalupe - Unsere Liebe Frau von Guadalupe«, Patronin ganz Lateinamerikas, verehrt wird, auf daß sie die Regierenden schütze und inspiriere bei ihrer schwierigen Aufgabe, das Gemeinwohl dadurch zu fördern, daß sie die Bande christlicher Brüderlichkeit zum Wohl aller Einwohner stärken. Gott segne Lateinamerika! Gott segne Brasilien! Vielen Dank.



GRUSSWORTE UND SEGNUNG DER GLÄUBIGEN

Balkon des Klosters "São Bento", São Paulo - Mittwoch, 9. Mai 2007

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Liebe Freunde!


Der Papst ist ergriffen von diesem herzlichen Empfang! Danke, daß ihr auf mich warten wolltet.

Diese Tage werden für euch und für die Kirche voll innerer Bewegung und Freude sein.

Es ist eine Kirche, die ein Fest feiert! Auf der ganzen Welt wird für die Früchte dieser Reise gebetet, der ersten Apostolischen Reise nach Brasilien und Lateinamerika, die mir die Vorsehung als Nachfolger des hl. Petrus zu unternehmen gewährt hat!

Die Heiligsprechung von Frei Galvão und die Eröffnung der V. Generalversammlung des Episkopats von Lateinamerika und der Karibik werden Meilensteine in der Geschichte der Kirche sein. Ich zähle auf euch und euer Gebet!

Vielen Dank!



TREFFEN MIT DEN JUGENDLICHEN

Stadion von Pacaembu, São Paulo - Donnerstag, 10. Mai 2007

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Liebe Jugendliche! Liebe Freundinnen und Freunde!


»Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen … dann komm und folge mir nach« (
Mt 19,21).

1. Nach der Begegnung mit euch auf dieser, meiner ersten Reise nach Lateinamerika habe ich mich sehr gesehnt. Ich bin gekommen, um die V. Generalversammlung des Episkopats von Lateinamerika und der Karibik zu eröffnen, die auf meinen Wunsch in Aparecida, hier in Brasilien, im Heiligtum Unserer Lieben Frau, stattfinden wird. Sie führt uns zu Füßen Jesu, damit wir von ihm über das Reich Gottes lernen, und sie ermutigt uns, seine Missionare zu sein, damit die Völker dieses »Kontinents der Hoffnung« in ihm das Leben in Fülle haben.

Eure Bischöfe hier in Brasilien haben sich in ihrer Vollversammlung im letzten Jahr dem Thema der Evangelisierung der Jugend gewidmet und euch ein Dokument in die Hand gegeben. Sie haben euch darum gebeten, es anzunehmen und es das ganze Jahr über zu vervollständigen. In der letzten Versammlung haben sie das Thema, das durch eure Mitarbeit bereichert wurde, wieder aufgegriffen, und sie möchten, daß die Überlegungen und Orientierungsvorschläge als Anregung und Leuchtfeuer für euren Weg dienen mögen. Die Worte des Erzbischofs von São Paulo und des Beauftragten für die Jugendpastoral, denen ich danke, bestätigen den Geist, der euer aller Herz bewegt.

Als ich gestern abend über Brasilien flog, dachte ich bereits an unsere Begegnung im Stadion von Pacaembu und hatte den Wunsch, euch alle mit einer großen, sehr brasilianischen Umarmung fest in die Arme zu schließen und die Gefühle zum Ausdruck zu bringen, die ich im Innersten meines Herzens trage und die uns die heutige Lesung aus dem Evangelium sehr passend darlegt.

Ich habe bei solchen Begegnungen stets eine ganz besondere Freude empfunden. Insbesondere erinnere ich mich an den »XX. Weltjugendtag«, dem ich vor zwei Jahren in Deutschland vorstehen durfte. Auch einige von euch, die ihr hier anwesend seid, waren dort! Es ist eine bewegende Erinnerung aufgrund der überreichen Früchte der Gnade, die der Herr gewährt hat. Und die erste Frucht unter vielen, die ich entdecken konnte, war zweifellos die vorbildliche Brüderlichkeit unter allen, als eindeutiger Beweis der immerwährenden Lebenskraft der Kirche für die ganze Welt.

2. Darum, liebe Freunde, bin ich sicher, daß heute dieselben Eindrücke, die ich bei jener Begegnung in Deutschland hatte, erneuert werden. 1991 sagte der Diener Gottes Papst Johannes Paul II. seligen Angedenkens bei seinem Besuch im Mato Grosso, daß die jungen Menschen die ersten Protagonisten des dritten Jahrtausends sind. Sie sind es, die das Geschick dieser neuen Etappe der Menschheit bestimmen werden (vgl. Ansprache an die Jugendlichen im Sportpalast der Universität des Bundesstaates Mato Grosso [Cuiaba], 16.10.1991). Heute drängt es mich, dasselbe zu euch zu sagen.

Der Herr schaut zweifellos mit Wertschätzung auf euer christliches Leben in den zahlreichen Pfarrgemeinden und in den kleinen kirchlichen Gemeinschaften, in den Universitäten, Kollegien und Schulen und vor allem auf den Straßen und an den Arbeitsplätzen der Städte und auf dem Land. Aber man muß vorangehen. Wir können niemals sagen: »Es ist genug«, denn die Liebe Gottes ist unendlich, und der Herr bittet uns oder, besser gesagt, er fordert von uns, daß wir unsere Herzen öffnen, damit in ihnen immer mehr Liebe, Güte und Verständnis für unsere Mitmenschen sei und für die Probleme, die nicht nur das menschliche Zusammenleben betreffen, sondern auch den effektiven Schutz und die Bewahrung der natürlichen Umwelt, zu der wir alle gehören. »Unsere Wälder besitzen mehr Leben«: Laßt diese Flamme der Hoffnung, die eure Nationalhymne auf eure Lippen legt, nicht verlöschen. Die Umweltzerstörung in Amazonien und die Bedrohung der Menschenwürde der dortigen Bevölkerung erfordern größeren Einsatz in den verschiedenen Bereichen, in denen die Gesellschaft zum Handeln aufruft.

3. Heute möchte ich mit euch über den Text des hl. Matthäus (vgl. 19,16-22) nachdenken, den wir gerade vernommen haben. Er spricht von einem jungen Mann, der auf Jesus zulief. Seine Ungeduld verdient hervorgehoben zu werden. In diesem jungen Mann erkenne ich euch alle, liebe Jugendliche Brasiliens und Lateinamerikas. Ihr seid zu unserer Begegnung aus den verschiedenen Teilen dieses Kontinents gekommen. Ihr wollt durch die Stimme des Papstes die Worte Jesu selbst hören.

Ihr habt ihm eine sehr wichtige Frage zu stellen, die das Evangelium wiedergibt. Es ist dieselbe Frage des jungen Mannes, der auf Jesus zulief: »Was muß ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?« Ich möchte mit euch diese Frage vertiefen. Es geht um das Leben, das Leben, das in euch überreich und schön ist. Was soll man aus ihm machen? Wie soll man es in Fülle leben?

In der Formulierung der Frage sehen wir sofort, daß das »Hier« und »Jetzt« nicht ausreicht. Anders ausgedrückt: Es gelingt uns nicht, unser Leben nur auf Raum und Zeit zu begrenzen, so sehr wir es auch versuchen, seine Horizonte zu erweitern. Das Leben geht über sie hinaus. Mit anderen Worten: Wir wollen leben und nicht sterben. Wir spüren, daß etwas uns offenbart, daß das Leben ewig ist und man sich anstrengen muß, damit dies geschieht. Es liegt also in unseren Händen und hängt in gewisser Weise von unserer Entscheidung ab.

Die Frage des Evangeliums betrifft nicht nur die Zukunft. Sie betrifft nicht nur das Problem, was nach dem Tod geschehen wird. Im Gegenteil, es besteht hier und jetzt eine Verpflichtung gegenüber der Gegenwart, die Authentizität und folglich die Zukunft gewährleisten soll. Kurz gesagt, der Sinn des Lebens wird hinterfragt. Daher kann die Frage so formuliert werden: Was muß ich tun, damit mein Leben einen Sinn hat? Oder: Wie muß ich leben, um die Früchte des Lebens in Fülle zu ernten? Oder auch: Was muß ich tun, damit mein Leben nicht nutzlos vorübergeht?

Jesus ist der einzige, der uns eine Antwort geben kann, weil er der einzige ist, der uns das ewige Leben gewährleisten kann. Daher ist er auch der einzige, der den Sinn des gegenwärtigen Lebens aufzeigen und ihm Inhalt in Fülle verleihen kann.

4. Aber bevor er seine Antwort gibt, geht Jesus der Frage des jungen Mannes unter einem sehr wichtigen Gesichtspunkt nach: Was fragst du mich nach dem Guten? In dieser Frage liegt der Schlüssel zur Antwort. Der junge Mann spürt, daß Jesus gut ist und daß er Meister ist. Ein Meister, der nicht täuscht. Wir sind hier, weil wir derselben Überzeugung sind: Jesus ist gut. Es kann sein, daß wir den Grund für diese Wahrnehmung nicht ganz erklären können, aber sicher ist, daß sie uns ihm nahebringt und uns seiner Lehre gegenüber öffnet: ein guter Meister. Wenn jemand das Gute erkennt, dann bedeutet das, daß er liebt. Und jeder, der liebt, erkennt Gott - wie der hl. Johannes es so schön zum Ausdruck bringt (vgl. 1Jn 4,7). Der junge Mann des Evangeliums hat Gott in Jesus Christus wahrgenommen.

Jesus versichert uns, daß nur Gott »der Gute« ist. Offen zu sein gegenüber dem Guten bedeutet, Gott anzunehmen. So lädt er uns ein, Gott in allen Dingen und in allen Ereignissen zu sehen, auch dort, wo die Mehrheit nur die Abwesenheit Gottes sieht. Wenn man die Schönheit der Geschöpfe sieht und das Gute, das in ihnen allen vorhanden ist, dann ist es unmöglich, nicht an Gott zu glauben und seine heilbringende und tröstende Gegenwart nicht zu erfahren. Wenn wir all das Gute sehen könnten, das es in der Welt gibt, und darüber hinaus das Gute erfahren könnten, das von Gott selbst kommt, dann würden wir niemals aufhören, uns ihm zu nähern, ihn zu loben und ihm zu danken. Er erfüllt uns ohne Unterlaß mit Freude und mit Gutem. Seine Freude ist unsere Kraft.

Aber unsere Erkenntnis ist nur bruchstückhaft. Um das Gute zu verstehen, brauchen wir Hilfen, die uns die Kirche bei vielen Gelegenheiten bietet, vor allem in der Katechese. Jesus selbst zeigt, was für uns gut ist, und gibt uns dadurch seine erste Katechese. »Wenn du aber das Leben erlangen willst, halte die Gebote!« (Mt 19,17). Er beginnt bei dem Wissen, das der junge Mann sicherlich bereits in seiner Familie und in der Synagoge erhalten hat: In der Tat kennt er die Gebote. Sie führen zum Leben, was bedeutet, daß sie uns Authentizität gewährleisten. Sie sind die großen Wegweiser, die uns den rechten Weg zeigen. Wer die Gebote beachtet, befindet sich auf Gottes Weg.

Es genügt jedoch nicht, sie zu kennen. Das Zeugnis ist wirksamer als das Wissen, oder, mit anderen Worten, es ist angewandtes Wissen. Die Gebote werden nicht von außen auferlegt, sie schmälern nicht unsere Freiheit. Im Gegenteil: Sie sind ein kraftvoller innerer Ansporn, der uns dazu bringt, unserem Handeln eine gewisse Richtung zu geben. Ihre Grundlagen sind die Gnade und die Natur, die uns nicht stillstehen lassen. Wir müssen gehen. Wir werden angetrieben, etwas zu tun, um uns zu verwirklichen. Sich durch das Handeln zu verwirklichen heißt in Wirklichkeit, sich selbst wirklich zu machen. Wir sind zum großen Teil von Jugend auf das, was wir sein wollen. Wir sind sozusagen das Werk unserer Hände.

5. An diesem Punkt wende ich mich wieder an euch, liebe Jugendliche, denn ich möchte auch von euch die Antwort des jungen Mannes aus dem Evangelium hören: Alle diese Gebote habe ich von Jugend an befolgt. Der junge Mann des Evangeliums war gut. Er befolgte die Gebote. Er ging auf Gottes Weg. Daher sah Jesus ihn an, und er liebte ihn. Da er erkannte, daß Jesus gut war, zeigte er, daß auch er selbst gut war. Er hatte das Gute und daher Gott erfahren. Und ihr, liebe Jugendliche Brasiliens und Lateinamerikas, habt ihr schon entdeckt, was gut ist? Befolgt ihr die Gebote des Herrn? Habt ihr entdeckt, daß dies der wahre und einzige Weg zum Glück ist?

70 Die Jahre, die ihr durchlebt, sind die Jahre, die eure Zukunft vorbereiten. Das »Morgen« hängt sehr davon ab, wie ihr das »Heute« der Jugend lebt. Vor euren Augen, meine lieben Jugendlichen, liegt ein Leben, von dem wir wünschen, daß es lang sein möge; es ist jedoch nur eines, ein einziges: Laßt nicht zu, daß es nutzlos vorübergeht, vergeudet es nicht. Lebt mit Begeisterung, mit Freude, aber vor allem mit Verantwortungsbewußtsein.

Oftmals verspüren wir als Hirten die Sorge in unseren Herzen, wenn wir die gegenwärtige Situation betrachten. Wir hören von den Ängsten der Jugend von heute. Sie offenbaren uns einen enormen Mangel an Hoffnung: die Angst zu sterben, in dem Augenblick, in dem das Leben zur Entfaltung kommt und versucht, den eigenen Weg zur Verwirklichung zu finden; die Angst zu versagen, weil man den Sinn des Lebens nicht erkannt hat; die Angst, den Anschluß zu verlieren angesichts der erschütternden Schnelligkeit der Ereignisse und der Kommunikation. Wir wissen um die hohe Anzahl von Toten unter den Jugendlichen, die Bedrohung durch Gewalt und die beklagenswerte Ausbreitung der Drogen, die die Jugend von heute bis in die tiefsten Wurzeln erschüttert. Folglich ist daher die Rede von einer entgleisten Jugend.

Aber während ich euch, die hier anwesenden Jugendlichen, ansehe, die ihr Freude und Begeisterung ausstrahlt, nehme ich den Blick Jesu an: einen Blick der Liebe und des Vertrauens, in der Gewißheit, daß ihr den wahren Weg gefunden habt. Ihr seid die jungen Menschen der Kirche. Ich übertrage euch daher die große Sendung, die jungen Männer und Frauen zu evangelisieren, die in dieser Welt umherirren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Seid die Apostel der jungen Menschen.Ladet sie ein, mit euch zu gehen und wie ihr den Glauben, die Hoffnung und die Liebe zu erfahren und Jesus zu begegnen, um sich wirklich geliebt und angenommen zu fühlen, mit der vollen Möglichkeit, sich zu verwirklichen. Mögen auch sie die sicheren Wege der Gebote entdecken, diese Wege gehen und so zu Gott gelangen.

Ihr könnt Protagonisten einer neuen Gesellschaft sein, wenn ihr versucht, euren Lebenswandel konkret an den universalen sittlichen Werten auszurichten und euch persönlich um eine lebenswichtige menschliche und geistliche Bildung zu bemühen. Ein Mann oder eine Frau, die nicht vorbereitet sind auf die echten Herausforderungen, die eine richtige Sichtweise des christlichen Lebens in ihrem jeweiligen Umfeld an sie stellt, werden leicht allen Angriffen des Materialismus und des Laizismus zum Opfer fallen, die auf allen Ebenen immer aktiver werden.

Seid freie und verantwortungsbewußte Männer und Frauen, macht die Familie zu einem Mittelpunkt, der Frieden und Freude ausstrahlt, seid Förderer des Lebens vom Anfang bis zu seinem natürlichen Ende, schützt die alten Menschen, denn sie verdienen Achtung und Bewunderung für das Gute, das sie euch getan haben. Der Papst erwartet sich auch, daß die jungen Menschen versuchen, ihre Arbeit zu heiligen, indem sie sie mit fachlicher Kompetenz und Sorgfalt durchführen, um beizutragen zum Fortschritt aller ihrer Brüder und um im Licht des Wortes alle menschlichen Tätigkeiten zu erleuchten (vgl. Lumen gentium
LG 36). Aber vor allem wünscht der Papst, daß sie Protagonisten einer gerechteren und brüderlicheren Gesellschaft sein mögen und ihre Pflichten gegenüber dem Staat erfüllen: indem sie seine Gesetze achten, sich nicht von Haß und Gewalt leiten lassen, indem sie versuchen, Vorbilder zu sein für einen christlichen Lebenswandel im beruflichen und im sozialen Umfeld und indem sie sich auszeichnen durch Rechtschaffenheit in den gesellschaftlichen und beruflichen Beziehungen. Sie sollten daran denken, daß das maßlose Streben nach Reichtum und Macht zur persönlichen Korruption und der anderer führt; es gibt keine legitimen Gründe, die den Versuch rechtfertigen, die eigenen menschlichen Bestrebungen wirtschaftlicher oder politischer Natur mittels Betrug und Täuschung durchzusetzen.

Letztendlich gibt es ein außerordentlich großes Handlungsspektrum, in dem die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Fragen besondere Bedeutung annehmen, wenn sie sich am Evangelium und an der Gesellschaftslehre der Kirche orientieren: der Aufbau einer gerechteren und solidarischeren, versöhnten und friedlichen Gesellschaft; das Bemühen, der Gewalt Einhalt zu gebieten; die Initiativen zur Förderung des vollen Lebens, der demokratischen Ordnung und des Gemeinwohls und besonders die Initiativen, die darauf abzielen, gewisse Formen der Diskriminierung innerhalb der lateinamerikanischen Gesellschaften zu beseitigen, und die kein Grund zum Ausschluß, sondern zur gegenseitigen Bereicherung sind.

Habt vor allem große Achtung für die Institution des Sakraments der Ehe. Es kann zu Hause kein wahres Glück geben, wenn nicht gleichzeitig Treue zwischen den Ehepartnern herrscht. Die Ehe ist eine Institution des Naturrechts, die von Christus zur Würde eines Sakraments erhoben wurde; sie ist ein großes Geschenk, das Gott der Menschheit gemacht hat. Achtet sie, ehrt sie. Gleichzeitig ruft Gott euch auf, euch gegenseitig zu achten, auch in der Zeit des Verliebtseins und der Verlobung, denn das Eheleben, das durch göttliche Weisung den verheirateten Paaren vorbehalten ist, wird nur in dem Maße Quelle des Glücks und des Friedens sein, in dem ihr die Keuschheit innerhalb und außerhalb der Ehe zu einem Bollwerk für eure Zukunftshoffnungen zu machen wißt. Ich sage hier noch einmal zu euch allen: »Eros will uns zum Göttlichen hinreißen, uns über uns selbst hinausführen, aber gerade dann verlangt er einen Weg des Aufstiegs, der Verzichte, der Reinigungen und Heilungen« (Enzyklika Deus caritas est ). Kurz gesagt, er verlangt einen Geist der Opferbereitschaft und des Verzichts um eines größeren Gutes willen, das die alles übersteigende Liebe Gottes ist. Versucht, mit Tapferkeit den Verlockungen des Bösen zu widerstehen, das in vielen Bereichen vorhanden ist, euch zu einem ausschweifenden und paradoxerweise leeren Leben verleitet und euch das kostbare Geschenk eurer Freiheit und eures wahren Glücks verlieren läßt. Die wahre Liebe wird »im Zugehen auf den anderen immer weniger nach sich selber fragen, immer mehr das Glück des anderen wollen, immer mehr sich um ihn sorgen, sich schenken, für ihn da sein wollen« (ebd., 7) und wird daher immer treuer, unauflöslicher und fruchtbarer sein.

Zählt dafür auf die Hilfe Jesu Christi, der dies mit seiner Gnade möglich machen wird (vgl. Mt 19,26). Das Leben im Glauben und im Gebet wird euch leiten auf den Wegen der Vertrautheit mit Gott und der Erkenntnis der Größe der Pläne, die er für jeden Menschen hat. »Um des Himmelreiches willen« (ebd., 12) sind einige zu einer totalen und endgültigen Hingabe berufen, um sich Gott im Ordensleben zu weihen, als »überaus hohe Gnadengabe«, wie das Zweite Vatikanische Konzil erklärt hat (vgl. Perfectae caritatis PC 12). Die Geweihten, die sich unter dem Antrieb des Heiligen Geistes ganz Gott hingeben, nehmen an der Sendung der Kirche teil, indem sie unter allen Menschen die Hoffnung auf das Himmelreich bezeugen. Daher segne ich alle Ordensleute, die sich im Weinberg des Herrn Christus und den Brüdern widmen, und rufe den göttlichen Schutz auf sie herab. »Die Personen des geweihten Lebens verdienen wirklich die Dankbarkeit der kirchlichen Gemeinschaft: die Mönche und Nonnen, die Kontemplativen, die Ordensleute, die sich den Werken des Apostolats widmen, die Mitglieder der Säkularinstitute und der Gesellschaften des apostolischen Lebens, die Einsiedler und die geweihten Jungfrauen. Ihre Existenz gibt Zeugnis von der Liebe zu Christus, wenn sie gemäß der Einladung des Evangeliums zu seiner Nachfolge aufbrechen und in tiefer Freude jenen Lebensstil annehmen, den Er für sich gewählt hat« (vgl. Kongregation für die Institute geweihten Lebens und die Gesellschaften apostolischen Lebens, Instruktion Neubeginn in Christus, 5; O.R. dt., Nr. 27, 5.7.2002, S. 8). Ich wünsche, daß in diesem Augenblick der Gnade und der tiefen Gemeinschaft in Christus der Heilige Geist in den Herzen vieler junger Menschen eine leidenschaftliche Liebe für die Nachfolge und Nachahmung des keuschen, armen und gehorsamen Christus erwecken möge, der ganz der Herrlichkeit des Vaters und der Liebe zu den Brüdern und Schwestern zugewandt ist.

6. Das Evangelium versichert uns, daß der junge Mann, der auf Jesus zulief, sehr reich war. Diesen Reichtum sollten wir nicht nur auf materieller Ebene verstehen. Das jugendliche Alter selbst ist ein einzigartiger Reichtum. Man muß ihn entdecken und wertschätzen. Jesus schätzte ihn so sehr, daß er am Ende den jungen Mann einlud, an seiner Heilssendung teilzunehmen. Er besaß alle Voraussetzungen, sich auf großartige Weise zu verwirklichen und ein großes Werk zu tun.

Aber das Evangelium berichtet uns, daß dieser junge Mann, als er die Einladung hörte, betrübt wurde. Er ging traurig und betrübt weg. Diese Episode läßt uns noch einmal über den Reichtum der Jugend nachdenken. Es handelt sich in erster Linie nicht um materielle Güter, sondern um das eigene Leben, mit den Werten, die zur Jugend gehören. Es kommt aus einem zweifachen Erbe: aus dem Leben, das von Generation zu Generation weitergegeben wird und an dessen Ursprung Gott steht, der voller Weisheit und Liebe ist, und aus der Erziehung, die uns in die Kultur einfügt, so sehr, daß man fast sagen kann, daß wir mehr Kinder der Kultur und daher des Glaubens sind als Kinder der Natur. Aus dem Leben keimt die Freiheit, die sich, vor allem in dieser Phase, als Verantwortung zeigt. Es ist der große Augenblick der Entscheidung in zweifacher Hinsicht: erstens im Hinblick auf den Lebensstand und zweitens im Hinblick auf den Beruf. Es ergibt sich die Antwort auf die Frage: Was soll man aus dem eigenen Leben machen?

Mit anderen Worten, die Jugend erweist sich als Reichtum, weil sie zur Neuentdeckung des Lebens als Geschenk und als Aufgabe führt. Der junge Mann des Evangeliums kannte den Reichtum der eigenen Jugend. Er ging zu Jesus, dem guten Meister, um nach einer Orientierung zu suchen. In der Stunde der großen Entscheidung hatte er trotzdem nicht den Mut, alles auf Jesus Christus zu setzen. Folglich ging er betrübt und traurig weg. Das geschieht immer dann, wenn unsere Entscheidungen ins Wanken kommen und kleinherzig und eigennützig werden. Er verstand, daß ihm die Großherzigkeit fehlte, und dadurch konnte er sich nicht ganz verwirklichen. Er zog sich zurück auf seinen Reichtum und ließ diesen egoistisch werden.

71 Jesus bedauerte die Traurigkeit und die Kleinherzigkeit des jungen Mannes, der zu ihm gekommen war. Die Apostel, so wie ihr alle heute, füllten die Leere auf, die jener junge Mann hinterlassen hatte, der betrübt und traurig weggegangen war. Sie und wir sind glücklich, weil wir wissen, wem wir Glauben geschenkt haben (vgl. 2Tm 1,12). Wir wissen und bezeugen mit unserem Leben, daß nur er Worte des ewigen Lebens hat (vgl. Jn 6,68). Daher können wir mit dem hl. Paulus ausrufen: Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! (vgl. Ph 4,4).

7. Mein heutiger Appell an euch, liebe Jugendliche, die ihr zu dieser Begegnung gekommen seid, ist: Vergeudet eure Jugend nicht. Versucht nicht, vor ihr zu fliehen. Lebt sie intensiv. Weiht sie den hohen Idealen des Glaubens und der menschlichen Solidarität.

Ihr, liebe Jugendliche, seid nicht nur die Zukunft der Kirche und der Menschheit, als sei dies gleichsam eine Art Flucht aus der Gegenwart. Im Gegenteil: Ihr seid die junge Gegenwart der Kirche und der Menschheit. Ihr seid ihr junges Gesicht. Die Kirche braucht euch als junge Menschen, um der Welt das Antlitz Jesu Christi zu zeigen, das in der christlichen Gemeinschaft sichtbar wird. Ohne dieses junge Gesicht wäre die Kirche entstellt.

Liebe Jugendliche, binnen kurzem werde ich die V. Konferenz der Bischöfe von Lateinamerika eröffnen. Ich bitte euch, ihre Arbeiten aufmerksam zu verfolgen, an ihren Diskussionen teilzunehmen und ihre Früchte anzunehmen. Ebenso wie es bei den vorausgegangenen Konferenzen der Fall gewesen ist, wird auch diese die nächsten zehn Jahre der Evangelisierung in Lateinamerika und in der Karibik bedeutend prägen. Niemand darf bei diesen Bemühungen der Kirche am Rande stehen oder ihnen gegenüber gleichgültig bleiben, und noch weniger die jungen Menschen. Ihr seid ein vollberechtigter Teil der Kirche, die das Antlitz Jesu Christi für Lateinamerika und die Karibik darstellt.

Ich grüße die französischsprachigen Einwohner des lateinamerikanischen Kontinents, und ich lade sie ein, Zeugen des Evangeliums und Protagonisten des kirchlichen Lebens zu sein. Mein Gebet gilt auf ganz besondere Weise euch Jugendlichen: Ihr seid berufen, euer Leben auf Christus und auf den menschlichen Grundwerten aufzubauen. Alle sollen sich eingeladen fühlen, am Aufbau einer Welt der Gerechtigkeit und des Friedens mitzuarbeiten.

Liebe junge Freunde, wie der junge Mann des Evangeliums, der Jesus fragte: »Was muß ich Gutes tun, um das ewige Leben zu gewinnen?«, so sucht ihr alle nach den Wegen, um großherzig auf den Ruf Gottes zu antworten. Ich bete darum, daß ihr seine heilbringenden Worte hören mögt und seine Zeugen werdet für die Völker von heute. Gott gieße über euch alle seinen Segen des Friedens und der Freude aus.

Liebe Jugendliche, Christus beruft euch zur Heiligkeit. Er selbst lädt euch ein und will mit euch gehen, um mit seinem Geist die Schritte Brasiliens an diesem Anfang des dritten Jahrtausends des christlichen Zeitalters zu beseelen. Ich bitte die »Senhora Aparecida«, euch mit ihrer mütterlichen Hilfe zu führen und durch das Leben zu begleiten.

Gelobt sei unser Herr Jesus Christus!


VESPERGOTTESDIENST MIT DEN BISCHÖFEN BRASILIENS

Kathedrale da Sé, São Paulo - Freitag, 11. Mai 2007

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Geliebte Brüder im Bischofsamt!


»Obwohl er der Sohn war, hat er durch Leiden den Gehorsam gelernt; zur Vollendung gelangt, ist er für alle, die ihm gehorchen, der Urheber des ewigen Heils geworden« (
He 5,8-9).

1. Der Text, den wir soeben in der kurzen Lesung der heutigen Vesper gehört haben, enthält eine tiefe Lehre. Auch in diesem Fall stellen wir fest, daß das Wort Gottes lebendig ist und schärfer als ein zweischneidiges Schwert; es dringt durch bis zur Nahtstelle der Seele, verschafft ihr Erleichterung und spornt ihre treuen Diener an (vgl. He 4,12).

Ich danke Gott, daß er mir die Begegnung mit einem bedeutenden Episkopat gewährt hat, der einer der zahlenmäßig größten katholischen Bevölkerungen der Welt vorsteht. Ich grüße euch mit Empfindungen tiefer Gemeinschaft und aufrichtiger Liebe, denn ich weiß gut um die Hingabe, mit der ihr die euch anvertrauten Gemeinden begleitet. Der warmherzige Empfang durch den Herrn Pfarrer der Catedral da Sé und alle Anwesenden hat mir das Gefühl gegeben, mich hier, in diesem großen gemeinsamen Haus, das unsere Heilige Mutter, die katholische Kirche, ist, zu Hause zu fühlen.

Einen besonderen Gruß richte ich an das neue Präsidium der Nationalen Bischofskonferenz Brasiliens. Ich danke für die Worte des Vorsitzenden, Erzbischof Geraldo Lyrio Rocha, und spreche den Wunsch für eine fruchtbringende Arbeit bei der Aufgabe aus, die Gemeinschaft der Bischöfe immer mehr zu festigen und das gemeinsame pastorale Wirken auf einem Territorium von kontinentalen Ausmaßen zu fördern.

2. Brasilien empfängt mit seiner traditionellen Gastfreundschaft die Teilnehmer an der V. Konferenz des lateinamerikanischen Episkopats. Ich bringe meine Dankbarkeit für die freundliche Aufnahme von seiten seiner Mitglieder und meine tiefe Wertschätzung zum Ausdruck für die Gebete des brasilianischen Volkes um ein gutes Gelingen der Generalversammlung der Bischöfe in Aparecida.

Es handelt sich um ein großes kirchliches Ereignis, das im Bereich der missionarischen Anstrengung liegt, die Lateinamerika genau von hier, von brasilianischem Boden aus auf sich nehmen müssen wird. Deshalb wollte ich mich zuerst an euch, Bischöfe von Brasilien, wenden, als ich an jene inhaltsvollen Worte aus dem Brief an die Hebräer erinnerte: »Obwohl er der Sohn war, hat er durch Leiden den Gehorsam gelernt; zur Vollendung gelangt, ist er für alle, die ihm gehorchen, der Urheber des ewigen Heils geworden« (He 5,8-9). Diese bedeutungsträchtigen Verse sprechen vom Mitleid Gottes für uns, das im Leiden seines Sohnes zum Ausdruck kommt; und sie sprechen von seinem Gehorsam, von seiner freien und bewußten Zustimmung zu den Plänen des Vaters, die im Gebet auf dem Ölberg besonders deutlich wird: »Aber nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen« (Lc 22,42). So lehrt uns Jesus selbst, daß der wahre Weg zum Heil darin besteht, unseren Willen dem Willen Gottes anzugleichen. Genau darum bitten wir in der dritten Anrufung des Gebets des Vaterunser: der Wille Gottes geschehe »wie im Himmel so auf Erden «, denn wo der Wille Gottes herrscht, dort ist das Reich Gottes gegenwärtig. Jesus zieht uns mit seinem Willen, dem Willen des Sohnes an und führt uns auf diese Weise zum Heil. Wenn wir mit Jesus Christus dem Willen Gottes entgegengehen, öffnen wir die Welt dem Reich Gottes.

Wir Bischöfe sind berufen, diese zentrale Wahrheit kundzumachen, da wir direkt an Christus, den guten Hirten, gebunden sind. Die Sendung, die uns als Lehrer des Glaubens übertragen ist, besteht, wie der Völkerapostel schrieb, darin, in Erinnerung zu bringen, daß unser Erlöser »will, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen« (1Tm 2,4). Das und nichts anderes ist das Ziel der Kirche: die Rettung der Seelen, jeder einzelnen Seele. Darum hat der Vater seinen Sohn gesandt, und »wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch« (Jn 20,21). Hieraus entsteht der Auftrag zur Evangelisierung: »Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt« (Mt 28,19). Das sind einfache und erhabene Worte, in denen auf die Verpflichtung hingewiesen wird, die Wahrheit des Glaubens, die Dringlichkeit des sakramentalen Lebens und die Verheißung Christi zu verkünden, seiner Kirche immer beizustehen. Es sind dies grundlegende Wirklichkeiten, und sie beziehen sich auf die Unterweisung im Glauben und in der christlichen Moral sowie auf die Feier der Sakramente. Wo Gott und sein Wille unbekannt sind, wo es den Glauben an Jesus Christus und seine Gegenwart in den Feiern der Sakramente nicht gibt, fehlt auch das Wesentliche für die Lösung der dringenden sozialen und politischen Probleme. Die Treue zum Primat Gottes und seines Willens, der in der Gemeinschaft mit Jesus Christus erkannt und gelebt wird, ist die wesentliche Gabe, die wir Bischöfe und Priester unserem Volk zu bieten haben (vgl. Paul VI., Enzyklika Populorum progressio PP 21).

3. So drängt uns das Bischofsamt zur Unterscheidung des Heilswillens bei der Suche nach einer Pastoral, die das Volk Gottes dazu erziehen soll, die transzendenten Werte in Treue zu Christus und zum Evangelium zu erkennen und anzunehmen.

Es stimmt, daß die Zeiten für die Kirche heute schwierig geworden sind und viele ihrer Söhne und Töchter sich in Bedrängnis befinden. Das soziale Leben macht Zeiten einer erschütternden Verwirrung durch. Die Heiligkeit der Ehe und der Familie wird ungestraft angegriffen, angefangen mit Zugeständnissen angesichts der Pressionen, die sich negativ auf die Gesetzgebungsprozesse auswirken können; manche Verbrechen gegen das Leben werden im Namen des Rechts auf individuelle Freiheit gerechtfertigt; das ist ein Anschlag gegen die Würde des Menschen; die Wunde der Ehescheidung und der Partnerschaften ohne Trauschein breitet sich aus. Mehr noch: Wenn im Schoß der Kirche der Wert des priesterlichen Auftrags als vollkommene Hingabe an Gott in Form des apostolischen Zölibats und als die totale Bereitschaft zum Dienst an den Seelen in Frage gestellt wird und man den ideologischen, politischen - auch parteipolitischen - Fragen den Vorzug gibt, dann beginnt die Struktur der totalen Weihe an Gott ihre tiefste Bedeutung zu verlieren. Wie sollten wir da nicht Traurigkeit in unserer Seele empfinden? Doch habt Vertrauen: Die Kirche ist heilig und makellos (vgl. Ep 5,27). Der hl. Augustinus sagte: »Die Kirche wird wanken, wenn ihr Fundament wankt; aber wird Christus etwa wanken können? Da Christus nicht wankt, wird die Kirche unversehrt bleiben bis ans Ende der Zeiten« (Enarrationes in Psalmos, 103, 2,5: PL 37,1353).

Zu den Problemen, die eurer pastoralen Sorge Kummer bereiten, gehört zweifellos das Problem der Katholiken, die das kirchliche Leben aufgeben. Es scheint klar, daß die Hauptursache für dieses Problem unter anderem auf das Fehlen einer Evangelisierung zurückzuführen ist, in der Christus und seine Kirche im Zentrum jeder Erklärung stehen. Die Menschen, die für den aggressiven Proselytismus der Sekten, der zu Recht Anlaß zur Sorge gibt, am verwundbarsten sind und die nicht in der Lage sind, dem Ansturm des Agnostizismus, des Relativismus und Laizismus standzuhalten, sind in der Regel Getaufte, die nicht genügend im Evangelium unterwiesen wurden und leicht zu beeinflussen sind, weil sie einen zerbrechlichen Glauben haben, der manchmal verworren, schwankend und naiv ist, auch wenn sie eine angeborene Religiosität bewahren. In der Enzyklika Deus caritas est habe ich daran erinnert, daß »am Anfang des Christseins nicht ein ethischer Entschluß steht oder eine große Idee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt« (). Es ist daher notwendig, die apostolische Arbeit als eine echte Mission innerhalb der Herde, die die katholische Kirche in Brasilien bildet, dadurch in Gang zu bringen, daß man eine methodische und intensive Evangelisierung mit Blick auf ein persönliches und gemeinschaftliches Festhalten an Christus fördert. Es geht in der Tat darum, keine Mühen zu scheuen, um auf die Suche nach den Katholiken zu gehen, die sich entfernt haben, und nach jenen, die wenig oder nichts von Jesus Christus wissen; das muß durch eine Pastoral der Aufnahme geschehen, die ihnen hilft, die Kirche als einen bevorzugten Ort der Begegnung mit Gott kennenzulernen, sowie durch einen von ständiger Katechese begleiteten Weg.

Erforderlich ist, kurz gesagt, eine Mission der Evangelisierung, die alle lebendigen Energien dieser immensen Herde hinzuziehen soll. Ich denke daher an die Priester, an die Ordensmänner, an die Ordensfrauen und an die Laien, die sich oftmals unter ungeheuren Schwierigkeiten für die Verbreitung der Wahrheit des Evangeliums aufopfern. Viele von ihnen arbeiten aktiv in den Vereinigungen, in den Bewegungen und in anderen neuen kirchlichen Gruppierungen mit, die in Gemeinschaft mit ihren Bischöfen und in Übereinstimmung mit den diözesanen Richtlinien ihren spirituellen, erzieherischen und missionarischen Reichtum als wertvolle Erfahrung und als Angebot eines christlichen Lebens in das Herz der Kirche einbringen.

In diesem angestrengten Bemühen um die Evangelisierung zeichnet sich die kirchliche Gemeinschaft durch pastorale Initiativen aus, vor allem durch die Entsendung ihrer Missionare, Laien und Ordensleute, in die Häuser an der Peripherie der Städte und im Landesinneren, die im Geist des Verständnisses und einfühlsamer Liebe mit allen in Dialog zu treten versuchen. Wenn jedoch die Menschen, denen ihr begegnet, in Armut leben, muß man ihnen helfen, so wie es die ersten christlichen Gemeinden getan haben, indem man Solidarität übt, damit sie sich wirklich geliebt fühlen. Die arme Bevölkerung an den Rändern der Großstädte oder auf dem Land muß die Nähe der Kirche spüren, sei es als Hilfe für die dringendsten Bedürfnisse, sei es in der Verteidigung ihrer Rechte und in der gemeinsamen Förderung einer Gesellschaft, die auf Gerechtigkeit und Frieden gegründet ist. Die Armen sind die ersten Adressaten des Evangeliums, und der Bischof muß - nach dem Bild des guten Hirten - besonders darauf achten, den göttlichen Balsam des Glaubens anzubieten, ohne das »materielle Brot« zu vernachlässigen. Wie ich in der Enzyklika Deus caritas est hervorheben konnte, »kann die Kirche den Liebesdienst so wenig ausfallen lassen wie Sakrament und Wort« ().

Dem sakramentalen Leben, besonders in Form der Beichte und der Eucharistie, kommt hier größte Bedeutung zu. Euch Bischöfen obliegt die wichtige Aufgabe, die Teilnahme der Gläubigen am eucharistischen Leben und am Sakrament der Versöhnung zu gewährleisten. Ihr müßt darüber wachen, daß das Bekenntnis und die Lossprechung der Sünden gewöhnlich individuell geschieht, da die Sünde ein zutiefst personales Geschehen ist (vgl. Johannes Paul II., Nachsynodales Apostol. Schreiben Reconciliatio et paenitentia RP 31, III). Allein physische oder moralische Unmöglichkeit enthebt den Gläubigen von dieser Form der Beichte; in diesem Fall kann die Versöhnung auch auf andere Weisen erlangt werden (vgl. CIC 960 vgl. Kompendium des Katechismus der Katholischen Kirche 311). Es ist daher angebracht, den Priestern die Praxis der großzügigen Bereitschaft einzuprägen, die Gläubigen, die das Sakrament der Barmherzigkeit Gottes empfangen wollen, immer anzunehmen (vgl. Johannes Paul II., Apost. Schreiben Misericordia Dei, 2).

73 4. Von Christus her in alle Missionsbereiche aufbrechen, in Jesus die Liebe und das Heil wiederentdecken, das uns der Vater durch den Heiligen Geist schenkt: Das ist der Kern, die Wurzel der bischöflichen Sendung, die den Bischof zum Hauptverantwortlichen für die Katechese in der Diözese macht. Ihm obliegt die oberste Leitung der Katechese; er muß sich dazu mit kompetenten und vertrauenswürdigen Mitarbeitern umgeben. Es ist daher selbstverständlich, daß seine Katecheten nicht lediglich Übermittler von Glaubenserfahrungen sind, sondern - unter der Leitung des Bischofs - authentische Boten der offenbarten Wahrheiten sein müssen. Der Glaube ist ein vom Heiligen Geist gesteuerter Weg, der sich in zwei Worten ausdrücken läßt: Umkehr und Nachfolge. Diese zwei Schlüsselworte der christlichen Tradition weisen mit aller Klarheit darauf hin, daß der Glaube an Christus eine Lebensgestaltung beinhaltet, die auf das doppelte Gebot der Gottes- und der Nächstenliebe gegründet ist; und die zwei Worte bringen auch die soziale Dimension des Lebens zum Ausdruck.

Die Wahrheit setzt eine klare Kenntnis der Botschaft Jesu voraus, die dank einer verständlichen inkulturierten Sprache vermittelt wird, die aber unbedingt der Vorlage des Evangeliums treu bleiben muß. Dringlich ist in der heutigen Zeit eine angemessene Kenntnis des Glaubens, wie er im Katechismus der Katholischen Kirche mit seinem Kompendium gut zusammengefaßt ist. Zur Katechese gehört wesentlich auch die Erziehung zu den persönlichen und sozialen Tugenden des Christen sowie die Erziehung zu sozialer Verantwortung. Eben weil Glaube, Leben und Feier der Heiligen Liturgie als Quelle des Glaubens und des Lebens voneinander untrennbar sind, ist eine korrektere Anwendung der Prinzipien des II. Vatikanischen Konzils zur Liturgie der Kirche einschließlich der im Direktorium für die Bischöfe enthaltenen Verfügungen (vgl. ) notwendig, dies mit der Absicht, der Liturgie ihren heiligen Charakter zurückzuerstatten. Mit dieser Zielsetzung wollte mein ehrwürdiger Vorgänger auf dem Stuhl Petri, Johannes Paul II., »einen deutlichen Appell aussprechen, daß in der Eucharistiefeier die liturgischen Normen mit großer Treue beachtet werden… Die Liturgie ist niemals Privatbesitz von irgend jemandem, weder des Zelebranten, noch der Gemeinschaft, in der die heiligen Geheimnisse gefeiert werden« (Enzyklika Ecclesia de Eucharistia
EE 52). Den Gehorsam gegenüber den liturgischen Normen von seiten der Bischöfe als »Leiter des liturgischen Lebens der Kirche« wiederentdecken und wertschätzen bedeutet, von der Kirche selbst, der einen und universalen, die den Vorsitz in der Liebe hat, Zeugnis abzulegen.

5. Es gilt, einen qualitativen Sprung im christlichen Leben des Volkes zu machen, damit es seinen Glauben rein und klar bezeugen kann. Dieser Glaube, der in der Liturgie und in der Liebe gefeiert und miteinander geteilt wird, nährt und stärkt die Gemeinde der Jünger des Herrn, während er sie als missionarische und prophetische Kirche aufbaut. Der brasilianische Episkopat besitzt eine Struktur von großer Tragweite, deren Statuten kürzlich revidiert worden sind, damit ihre bessere Umsetzung und eine ausschließlichere Hingabe an das Wohl der Kirche erreicht werden. Der Papst ist nach Brasilien gekommen mit dem Wunsch, daß auf Grund des Wortes Gottes alle ehrwürdigen Brüder im Bischofsamt Urheber des ewigen Heils für alle sein sollen, die Christus gehorchen (vgl. He 5,9). Wir Bischöfe müssen angesichts der Verpflichtung, die wir als Nachfolger der Apostel übernommen haben, treue Diener des Wortes sein, ohne verkürzende Auffassungen oder Verwirrungen in der Sendung, die uns aufgetragen ist. Es reicht nicht, die Realität vom persönlichen Glauben ausgehend zu betrachten; es ist nötig, mit dem Evangelium in der Hand und im echten Erbe der Apostolischen Tradition verankert zu arbeiten, ohne von rationalistischen Ideologien motivierte Interpretationen.

So »liegt es in den Teilkirchen in der Verantwortung des Bischofs, das Wort Gottes zu bewahren und auszulegen und mit Autorität zu beurteilen, was sich als dem Wort Gottes entsprechend bzw. nicht entsprechend erweist« (Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über die kirchliche Berufung des Theologen, 19). Er wird als Lehrer des Glaubens und der Lehre auf die Mitarbeit des Theologen zählen können, der »in seiner Hingabe an den Dienst der Wahrheit, um seiner Funktion treu zu bleiben, dem eigentlichen Auftrag des Lehramtes Rechnung tragen und mit ihm zusammenarbeiten muß« (ebd., Nr. 20). Die Verpflichtung, das Glaubensgut zu bewahren und seine Einheit zu erhalten, erfordert strenge Wachsamkeit, so daß es »bewahrt und getreu weitergegeben wird und die Sonderpositionen in der Unversehrtheit des Evangeliums Christi vereinheitlicht werden« (Direktorium für den Hirtendienst der Bischöfe, ).

Das also ist die enorme Verantwortung, die ihr für die Aus- und Weiterbildung des Volkes, besonders eurer Priester und Ordensleute, übernehmt. Sie sind eure treuen Mitarbeiter. Ich weiß, mit wieviel Einsatz ihr versucht, die neuen Priester- und Ordensberufungen auszubilden. Die theologische Ausbildung und die Ausbildung in den kirchlichen Disziplinen verlangt eine ständige Aktualisierung, aber immer im Einklang mit dem authentischen Lehramt der Kirche.

Ich appelliere an euren priesterlichen Eifer und an das Bewußtsein der Unterscheidung der Berufungen, auch um die spirituelle, psychischaffektive, intellektuelle und pastorale Dimension bei den reifen und für den Dienst in der Kirche bereiten jungen Menschen vervollkommnen zu können. Eine gute und ständige geistliche Begleitung ist unerläßlich, um die menschliche Reifung zu fördern, sie vermeidet das Risiko von Verirrungen auf dem Gebiet der Sexualität. Haltet euch immer vor Augen, daß der priesterliche Zölibat eine Gabe ist, »welche die Kirche erhalten hat und bewahren will, da sie davon überzeugt ist, daß er für sie selbst und für die Welt ein hohes Gut ist« (Direktorium für Dienst und Leben der Priester, 57).

Ich möchte eurer Sorge auch die Ordensgemeinschaften empfehlen, die sich in das Leben eurer Diözese eingliedern. Sie bieten einen wertvollen Beitrag, denn »es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist« (1Co 12,4). Die Kirche muß ihre Freude und Wertschätzung für all das bekunden, was die Ordensleute an den Universitäten, in den Schulen, in den Krankenhäusern und anderen Werken und Einrichtungen leisten.

6. Ich kenne die Dynamik eurer Versammlungen und das Bemühen, die verschiedenen Pastoralpläne so festzulegen, daß sie der Ausbildung des Klerus und der Mitarbeiter in der Seelsorge Vorrangstellung geben. Einige von euch haben Bewegungen der Evangelisierung gefördert, um die Gruppierung der Gläubigen in einer bestimmten Aktionslinie zu erleichtern. Der Nachfolger Petri zählt auf euch, daß eure Ausbildung immer auf der Spiritualität der Gemeinschaft mit dem Stuhl Petri und der Treue zu ihm beruht, um zu gewährleisten, daß das Wirken des Geistes nicht vergeblich ist. Die Unversehrtheit des Glaubens zusammen mit der kirchlichen Disziplin nämlich ist und wird immer ein Thema sein, das euch allen Aufmerksamkeit und Engagement abverlangt, vor allem wenn es darum geht, die Konsequenzen daraus zu ziehen, daß es »nur einen Glauben und nur eine Taufe« gibt.

Wie ihr wißt, gibt es unter den verschiedenen Dokumenten, die sich mit der Einheit der Christen befassen, das Direktorium für den Ökumenismus, das vom Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen veröffentlicht wurde. Der Ökumenismus, das heißt die Suche nach der Einheit der Christen, wird in unserer Zeit, in der sich die Begegnung der Kulturen und die Herausforderung des Säkularismus ereignen, zu einer immer dringlicheren Aufgabe der katholischen Kirche. Infolge des vermehrten Auftretens immer neuer christlicher Denominationen und vor allem angesichts gewisser Formen eines häufig aggressiven Proselytismus wird das ökumenische Engagement zu einer komplexen Arbeit. Unverzichtbar ist in einem derartigen Kontext eine gute Ausbildung in Geschichte und christlicher Lehre, die zur notwendigen Unterscheidung befähigt und hilft, die spezifische Identität jeder einzelnen Gemeinschaft, die trennenden Elemente und jene, die auf dem Weg zur Herstellung der Einheit hilfreich sind, zu verstehen. Der große gemeinsame Bereich der Zusammenarbeit sollte die Verteidigung der von der biblischen Tradition überlieferten sittlichen Grundwerte gegen ihre Zerstörung in einer relativistischen und konsumistischen Kultur sein; und zudem der Glaube an den Schöpfergott und an Jesus Christus, seinen Mensch gewordenen Sohn. Darüber hinaus gilt immer das Prinzip der brüderlichen Liebe und der Suche nach Verständnis und gegenseitiger Annäherung; aber es geht auch um die Verteidigung des Glaubens unseres Volkes, indem wir es in der freudigen Gewißheit bestärken, daß »unica Christi Ecclesia… subsistit in Ecclesia catholica, a Successore Petri et Episcopis in eius communione gubernata« (daß »die einzige Kirche Christi … verwirklicht [ist] in der katholischen Kirche, die vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird«; Lumen gentium LG 8).

74 In diesem Sinn wird man auf dem Weg zu einem offenen ökumenischen Dialog durch die Vermittlung des Nationalen Rates der Christlichen Kirchen vorangehen, wobei man sich zum vollen Respekt der anderen religiösen Bekenntnisse verpflichtet, die den Wunsch haben, mit der katholischen Kirche in Brasilien in Kontakt zu bleiben.

7. Keine Neuigkeit ist in der Tat die Feststellung, daß euer Land ein historisches Defizit an sozialer Entwicklung aufweist, dessen extreme Spuren die breite Masse von Brasilianern sind, die im Elend leben, sowie eine Ungleichheit in der Verteilung des Einkommens, die ein sehr hohes Niveau erreicht. Euch, ehrwürdige Brüder, obliegt es als Hierarchie des Volkes Gottes, die Suche nach neuen und von christlichem Geist erfüllten Lösungen zu fördern. Eine Sicht der Wirtschaft und der sozialen Probleme aus dem Blickwinkel der Soziallehre der Kirche läßt uns die Dinge immer unter dem Gesichtspunkt der Menschenwürde betrachten, die über das bloße Spiel der wirtschaftlichen Faktoren hinausgeht. Man muß daher unermüdlich für die Bildung der Politiker arbeiten, wie auch für die aller Brasilianer, die eine bestimmte, sei es große oder geringe Entscheidungsgewalt haben, und allgemein für die Bildung aller Mitglieder der Gesellschaft, so daß sie ihre eigene Verantwortung voll wahrnehmen und der Wirtschaft ein menschliches und solidarisches Gesicht geben können.

Es ist dringend nötig, in den politischen und unternehmerischen Schichten einen echten Geist der Authentizität und Rechtschaffenheit heranzubilden. Diejenigen, die eine Führungsrolle in der Gesellschaft übernehmen, müssen versuchen, die direkten und indirekten, die kurzund langfristigen sozialen Folgen ihrer Entscheidungen vorauszusehen, wobei sie nach Kriterien zur Maximierung des Gemeinwohls handeln, statt den persönlichen Profit zu suchen.

8. Wenn es Gott gefällt, liebe Brüder, werden wir andere Gelegenheiten finden, um die Fragen zu vertiefen, die unsere gemeinsame Hirtensorge auf den Plan rufen. Diesmal wollte ich natürlich nicht in erschöpfender Weise die wichtigsten Themen darlegen, die Gegenstand meiner Überlegungen als Bischof der Universalkirche sind. Ich teile euch meine liebevolle Ermutigung mit, die zugleich eine brüderliche und aufrichtige Bitte ist: Daß ihr, wie ihr es schon tut, weiterhin immer in Eintracht arbeitet, indem ihr als euer Fundament eine Gemeinschaft habt, die in der Eucharistie ihren Höhepunkt und ihre unerschöpfliche Quelle hat. Ich vertraue euch der Heiligen Maria, Mutter Christi und Mutter der Kirche, an, während ich einem jeden von euch und euren Gemeinden von Herzen den Apostolischen Segen erteile.

Danke!




ANSPRACHE 2007 Januar 2007 65