ANSPRACHE 2007 Januar 2007 135

GEBET VOR DER MARIENSÄULE - GRUSSWORTE VON BENEDIKT XVI.

Platz "Am Hof", Wien - Freitag, 7. September 2007

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Verehrter, lieber Herr Kardinal,
sehr geehrter Herr Bürgermeister,
liebe Brüder und Schwestern!

Als erste Etappe auf meinem Pilgerweg nach Mariazell habe ich die Mariensäule gewählt, um mit Ihnen einen Augenblick nachzudenken über die Bedeutung der Muttergottes für Österreich einst und jetzt sowie über ihre Bedeutung für einen jeden von uns. Von Herzen begrüße ich Sie alle, die Sie sich hier zum Gebet an der Mariensäule eingefunden haben. Ihnen, lieber Herr Kardinal, danke ich für Ihren herzlichen Willkommensgruß zu Beginn dieser unserer Feier. Ich begrüße den Herrn Bürgermeister der Hauptstadt und alle anwesenden Vertreter des öffentlichen Lebens. Mein besonderer Gruß gilt den Jugendlichen und den Vertretern der anderssprachigen katholischen Gemeinden in der Erzdiözese Wien, die sich im Anschluß an diesen Wortgottesdienst in der Kirche versammeln und bis morgen in Anbetung vor dem Allerheiligsten verharren werden. Ich habe gehört, dass sie schon drei Stunden dastehen. Ich kann sie nur bewundern und „Vergelt’s Gott“ sagen. Mit dieser Anbetung verwirklicht Ihr ganz konkret, was wir alle in diesen Tagen tun wollen: mit Maria auf Christus schauen.

Mit dem Glauben an Jesus Christus, den menschgewordenen Sohn Gottes, geht seit frühesten Zeiten eine besondere Verehrung für seine Mutter einher, für die Frau, in deren Schoß er Menschennatur annahm und sogar ihren Herzschlag teilte, die einfühlsam und respektvoll sein Leben begleitete bis zu seinem Tod am Kreuz und deren Mutterliebe er am Ende den Lieblingsjünger und mit ihm die ganze Menschheit anvertraute. In ihrer Mütterlichkeit nimmt Maria auch heute Menschen aus allen Sprachen und Kulturen unter ihren Schutz, um sie in vereinter Vielfalt miteinander zu Christus zu führen. An sie können wir uns wenden in unseren Sorgen und Nöten. Von ihr sollen wir aber auch lernen, einander so liebevoll anzunehmen wie sie uns alle annimmt: einen jeden in seiner Eigenart, von Gott gewollt und geliebt. In der weltweiten Familie Gottes, in der für jeden Menschen ein Platz vorgesehen ist, soll jeder seine persönlichen Gaben zum Wohle aller entfalten.

Die Mariensäule, die Kaiser Ferdinand III. zum Dank für die Befreiung Wiens aus großer Gefahr auf diesem Platz errichten ließ und vor genau 360 Jahren einweihte, soll für uns auch heute ein Zeichen der Hoffnung sein. Wie viele Menschen haben seither vor dieser Säule innegehalten und betend zu Maria aufgeschaut! Wie viele haben in persönlichen Nöten die Kraft ihrer Fürsprache erfahren! Doch unsere christliche Hoffnung umfaßt noch weit mehr als die Erfüllung unserer kleinen und großen Wünsche. Wir schauen auf zu Maria, weil sie uns zeigt, zu welcher Hoffnung wir berufen sind (vgl.
Ep 1,18), weil sie das verkörpert, was der Mensch eigentlich ist!

Wir haben es vorhin in der Lesung gehört: Schon vor der Erschaffung der Welt hat Gott uns in Christus erwählt. Jeden von uns kennt und liebt er von Ewigkeit her! Und wozu hat er uns erwählt? Um in Liebe heilig und untadelig vor ihm zu leben! Und das ist keine unerfüllbare Aufgabe: In Christus hat er uns die Verwirklichung schon geschenkt. Wir sind erlöst! Durch unsere Gemeinschaft mit dem auferstandenen Christus hat Gott uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet. Öffnen wir unser Herz, nehmen wir das kostbare Erbe an! Dann werden wir mit Maria das Lob seiner herrlichen Gnade anstimmen. Und wenn wir weiter unsere alltäglichen Sorgen vor die makellose Mutter Christi hintragen, wird sie uns helfen, unsere kleinen Hoffnungen immer zu öffnen auf die große, die eigentliche Hoffnung hin, die unserem Leben Sinn gibt und uns mit tiefer, unzerstörbarer Freude erfüllen kann.

137 In diesem Sinne möchte ich nun mit Ihnen aufschauen zur Immaculata, ihrer Fürsprache die Bitten anvertrauen, die Sie vorhin vorgetragen haben, und sie um ihren mütterlichen Schutz für dieses Land und seine Bewohner bitten:

Heilige Maria, makellose Mutter unseres Herrn Jesus Christus, in dir hat Gott uns das Urbild der Kirche und des rechten Menschseins geschenkt. Dir vertraue ich das Land Österreich und seine Bewohner an: Hilf uns allen, deinem Beispiel zu folgen und unser Leben ganz auf Gott auszurichten! Laß uns, indem wir auf Christus schauen, ihm immer ähnlicher, wirklich Kinder Gottes werden! Dann können auch wir, erfüllt mit allem Segen seines Geistes, immer besser seinem Willen entsprechen und so zu Werkzeugen des Friedens werden für Österreich, für Europa und für die Welt. Amen.



BEGEGNUNG MIT FÜHRENDEN VERTRETERN DES POLITISCHEN UND ÖFFENTLICHEN LEBENS SOWIE DEM DIPLOMATISCHEN KORPS

Empfangssaal der Hofburg, Wien - Freitag, 7. September 2007

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Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
sehr geehrte Mitglieder der Bundesregierung,
werte Abgeordnete zum Nationalrat und Mitglieder des Bundesrates,
sehr geehrte Landeshauptleute,
verehrte Vertreter des Diplomatischen Corps,
sehr geehrte Damen und Herren!

Einleitung

Es ist für mich eine große Freude und Ehre, heute mit Ihnen, Herr Bundespräsident, den Mitgliedern der Bundesregierung, sowie mit Vertretern des politischen und öffentlichen Lebens der Republik Österreich zusammenzutreffen. In dieser Begegnung hier in der Hofburg spiegelt sich das gute und von gegenseitigem Vertrauen charakterisierte Verhältnis zwischen Ihrem Land und dem Heiligen Stuhl, wovon Sie, Herr Bundespräsident, gesprochen haben. Darüber freue ich mich sehr.

Die Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und Österreich sind in das weite Netz der diplomatischen Beziehungen eingebunden, die in der Stadt Wien einen wichtigen Kreuzungspunkt finden, weil hier auch verschiedene internationale Organisationen ihren Sitz haben. Ich freue mich über die Anwesenheit vieler diplomatischer Vertreter, denen mein achtungsvoller Gruß gilt. Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren Botschafter, für Ihren Einsatz nicht nur im Dienst und für die Interessen der Länder, die Sie vertreten, sondern auch für die gemeinsame Sache des Friedens und der Verständigung unter den Völkern.

Dieser Besuch ist mein erster als Bischof von Rom und Oberhirte der katholischen Weltkirche in diesem Land, das ich freilich seit langem und von vielen früheren Besuchen her kenne. Es ist - lassen Sie mich das sagen - für mich wirklich eine Freude, hierher zu kommen. Ich habe hier viele Freunde und als bayerischem Nachbarn sind mir österreichische Lebensart und Traditionen vertraut. Mein großer Vorgänger Papst Johannes Paul II. seligen Angedenkens hat Österreich dreimal besucht. Er ist von den Menschen in diesem Land jedesmal mit großer Herzlichkeit aufgenommen worden, seine Worte sind aufmerksam gehört worden und seine Pastoralreisen haben ihre Spuren hinterlassen.

Österreich

Österreich hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten eine Erfolgsgeschichte verzeichnet, von der noch vor zwei Generationen niemand zu träumen gewagt hätte. Ihr Land hat nicht nur einen beachtlichen wirtschaftlichen Fortschritt erlebt, sondern es hat auch ein beispielhaftes soziales Zusammenleben entwickelt, für das der Begriff der Sozialpartnerschaft zum Synonym geworden ist. Die Österreicher haben allen Grund, dafür dankbar zu sein und sie zeigen es dadurch, daß sie ein offenes Herz für die Armen und Notleidenden im eigenen Land haben, aber auch freigebig sind, wenn es gilt, bei Katastrophen und Unglücksfällen weltweite Solidarität zu bekunden. Die großen Aktionen „Licht ins Dunkel“ vor Weihnachten und „Nachbar in Not“ sind ein schönes Zeichen dieser Gesinnung.

Österreich und die EU-Erweiterung

Wir befinden uns hier an einer historischen Stätte, von der aus über Jahrhunderte ein Reich regiert worden ist, das große Teile des mittleren und östlichen Europa vereint hat. Dieser Ort und diese Stunde sind daher ein guter Anlaß, das ganze Europa von heute in den Blick zu nehmen. Nach den Schrecknissen des Krieges und den traumatischen Erfahrungen von Totalitarismus und Diktatur hat Europa den Weg zu einer Einheit des Kontinents eingeschlagen, die eine dauerhafte Friedensordnung und eine gerechte Entwicklung gewährleisten soll. Die Trennung, die den Kontinent jahrzehntelang schmerzlich gespalten hat, ist zwar politisch überwunden, aber in den Köpfen und Herzen der Menschen steht die Verwirklichung der Einheit großenteils noch aus. Auch wenn seit dem Fall des Eisernen Vorhangs im Jahre 1989 manche übertriebene Hoffnung enttäuscht worden sein mag und auch wenn es unter einigen Aspekten berechtigte Kritik an europäischen Institutionen geben kann, ist der Prozeß der Europäischen Einigung doch ein Werk von großer Tragweite, das diesem früher von fortgesetzten Konflikten und unseligen Bruderkriegen zerfressenen Kontinent eine lange nicht gekannte Friedenszeit gebracht hat. Besonders für die Völker Mittel- und Osteuropas ist die Beteiligung an diesem Prozeß ein weiterer Anreiz, in ihrem Innern die Freiheit, den Rechtsstaat und die Demokratie zu festigen. In diesem Zusammenhang möchte ich an den Beitrag zu erinnern, den mein Vorgänger Papst Johannes Paul II. zu diesem historischen Prozeß geleistet hat. Auch Österreich, das an der Grenzlinie des früheren Westens und früheren Ostens liegt, hat als Brückenland viel zu dieser Einigung beigetragen und - das sollte nicht vergessen werden - dadurch auch viel gewonnen.

Europa

Das „Haus Europa“, wie wir die Gemeinschaft dieses Kontinents gerne nennen, wird nur dann ein für alle gut bewohnbarer Ort, wenn es auf einem soliden kulturellen und moralischen Fundament von gemeinsamen Werten aufbaut, die wir aus unserer Geschichte und unseren Traditionen gewinnen. Europa kann und darf seine christlichen Wurzeln nicht verleugnen. Sie sind ein Ferment unserer Zivilisation auf dem Weg in das dritte Jahrtausend. Das Christentum hat diesen Kontinent zutiefst geprägt, wovon in allen Ländern, gerade auch in Österreich, nicht nur die zahlreichen Kirchen und bedeutenden Klöster Zeugnis geben. Der Glaube hat sein Zeugnis vor allem in den unzähligen Menschen, die er durch die Geschichte herauf bis zum heutigen Tag zu einem Leben der Hoffnung, der Liebe und der Barmherzigkeit bewegt hat. Mariazell, das große österreichische Nationalheiligtum, ist zugleich ein Ort der Begegnung für verschiedene europäische Völker. Es ist einer der Orte, an denen sich Menschen die „Kraft von oben“ für ein rechtes Leben geholt haben und holen.

In diesen Tagen wird das christliche Glaubenszeugnis inmitten von Europa auch durch die Dritte Europäische Ökumenische Versammlung in Sibiu/Hermannstadt (in Rumänien) zum Ausdruck gebracht, die unter dem Motto steht: „Das Licht Christi scheint auf alle. Hoffnung für Erneuerung und Einheit in Europa“. Wer denkt da nicht an den Mitteleuropäischen Katholikentag, der im Jahr 2004 so viele gläubige Menschen unter dem Leitwort „Christus - die Hoffnung Europas“ in Mariazell zu­sam­mengeführt hat!

Heute ist häufig die Rede vom europäischen Lebensmodell. Damit ist eine Gesellschaftsordnung gemeint, die wirtschaftliche Effizienz mit sozialer Gerechtigkeit, politische Pluralität mit Toleranz, Liberalität und Offenheit verbindet, aber auch das Festhalten an Werten bedeutet, die diesem Kontinent seine besondere Stellung geben. Dieses Modell steht angesichts der Zwänge der modernen Ökonomie vor einer starken Herausforderung. Die viel zitierte Globalisierung kann nicht aufgehalten werden, es ist aber eine dringende Aufgabe und eine große Verantwortung der Politik, der Globalisierung solche Regeln und Grenzen zu geben, daß sie nicht auf Kosten der ärmeren Länder und der Ärmeren in den reichen Ländern realisiert wird und nicht den kommenden Generationen zum Nachteil gereicht.

139 Freilich - wir wissen es - hat Europa auch schreckliche Irrwege erlebt und erlitten. Dazu gehören: ideologische Engführungen von Philosophie, Wissenschaft und auch Glaube, der Mißbrauch von Religion und Vernunft zu imperialistischen Zielen, die Entwürdigung des Menschen durch einen theoretischen oder praktischen Materialismus und schließlich die Degeneration von Toleranz zu einer Gleichgültigkeit ohne Bezug zu bleibenden Werten. Zu den Eigenschaften Europas gehört aber die Fähigkeit zur Selbstkritik, die es im weiten Fächer der Weltkulturen besonders auszeichnet.

Leben

In Europa ist zuerst der Begriff der Menschenrechte formuliert worden. Das grundlegende Menschenrecht, die Voraussetzung für alle anderen Rechte, ist das Recht auf das Leben selbst. Das gilt für das Leben von der Empfängnis bis zu seinem natürlichen Ende. Abtreibung kann demgemäß kein Menschenrecht sein - sie ist das Gegenteil davon. Sie ist eine „tiefe soziale Wunde“, wie unser verstorbener Mitbruder Kardinal Franz König zu betonen nicht müde wurde.

Mit alledem spreche ich nicht von einem speziell kirchlichen Interesse. Vielmehr möchte ich mich zum Anwalt eines zutiefst menschlichen Anliegens und zum Sprecher der Ungeborenen machen, die keine Stimme haben. Ich verschließe damit nicht die Augen vor den Problemen und Konflikten vieler Frauen und bin mir bewußt, daß die Glaubwürdigkeit unserer Rede auch davon abhängt, was die Kirche selbst zur Hilfe für betroffene Frauen tut.

Ich appelliere dabei an die politisch Verantwortlichen, nicht zuzulassen, daß Kinder zu einem Krankheitsfall gemacht werden und daß die in Ihrer Rechtsordnung festgelegte Qualifizierung der Abtreibung als ein Unrecht faktisch aufgehoben wird. Ich sage das aus Sorge um die Humanität. Aber das ist nur die eine Seite dessen, was uns Sorgen macht. Die andere ist, alles dafür zu tun, daß die europäischen Länder wieder kinderfreundlicher werden. Ermutigen Sie bitte die jungen Menschen, die mit der Heirat eine neue Familie gründen, Mütter und Väter zu werden. Damit tun Sie ihnen selbst, aber auch der ganzen Gesellschaft etwas Gutes. Ich bestärke Sie auch nachdrücklich in Ihren politischen Bemühungen, Umstände zu fördern, die es jungen Paaren ermöglichen, Kinder aufzuziehen. Das alles wird aber nichts nützen, wenn es uns nicht gelingt, in unseren Ländern wieder ein Klima der Freude und der Lebenszuversicht zu schaffen, in dem Kinder nicht als Last, sondern als Geschenk für alle erlebt werden.

Mit großer Sorge erfüllt mich auch die Debatte über eine aktive Sterbehilfe. Es ist zu befürchten, daß eines Tages ein unterschwelliger oder auch erklärter Druck auf schwerkranke und alte Menschen ausgeübt werden könnte, um den Tod zu bitten oder ihn sich selber zu geben. Die richtige Antwort auf das Leid am Ende des Lebens ist Zuwendung, Sterbebegleitung - besonders auch mit Hilfe der Palliativmedizin - und nicht „aktive Sterbehilfe“. Um eine humane Sterbebegleitung durchzusetzen, bedürfte es freilich struktureller Reformen in allen Bereichen des Medizin- und Sozialsystems und des Aufbaus palliativer Versorgungssysteme. Es bedarf aber auch konkreter Schritte: in der psychischen und seelsorglichen Begleitung schwer Kranker und Sterbender, der Familienangehörigen, der Ärzte und des Pflegepersonals. Die Hospizbewegung leistet hier Großartiges. Jedoch kann nicht das ganze Bündel solcher Aufgaben an sie delegiert werden. Viele andere Menschen müssen bereit sein bzw. in ihrer Bereitschaft ermutigt werden, sich die Zuwendung zu schwer Kranken und Sterbenden Zeit und auch Geld kosten zu lassen.

Dialog der Vernunft

Zum europäischen Erbe gehört schließlich eine Denktradition, für die eine substantielle Korrespondenz von Glaube, Wahrheit und Vernunft wesentlich ist. Dabei geht es letztlich um die Frage, ob die Vernunft am Anfang aller Dinge und auf ihrem Grund steht oder nicht. Es geht um die Frage, ob das Wirkliche auf Grund von Zufall und Notwendigkeit entstanden ist, ob mithin die Vernunft ein zufälliges Nebenprodukt des Unvernünftigen und im Ozean des Unvernünftigen letztlich auch bedeutungslos ist oder ob wahr bleibt, was die Grundüberzeugung christlichen Glaubens bildet: In principio erat verbum - Am Anfang war das Wort - Am Beginn aller Dinge steht die schöpferische Vernunft Gottes, der beschlossen hat, sich uns Menschen mitzuteilen.

Lassen Sie mich dazu Jürgen Habermas zitieren, also einen Philosophen, der sich selbst nicht zum christlichen Glauben bekennt. Er sagt: „Das Christentum ist für das normative Selbstverständnis der Moderne nicht nur Katalysator gewesen. Der egalitäre Universalismus, aus dem die Ideen von Freiheit und solidarischem Zusammenleben entsprungen sind, ist unmittelbar ein Erbe der jüdischen Gerechtigkeit und der christlichen Liebesethik. In der Substanz unverändert, ist dieses Erbe immer wieder kritisch angeeignet und neu interpretiert worden. Dazu gibt es bis heute keine Alternative.“

Europas Aufgaben in der Welt

Aus der Einmaligkeit seiner Berufung erwächst Europa aber auch eine einmalige Verantwortung in der Welt. Dazu darf es sich vor allem nicht selbst aufgeben. Der demographisch rapide alternde Kontinent soll nicht ein geistig alter Kontinent werden. Europa wird seiner selbst auch dann besser gewiß werden, wenn es eine seiner einzigartigen geistigen Tradition, seinen außerordentlichen Fähigkeiten und seinem großen wirtschaftlichen Vermögen angemessene Verantwortung in der Welt übernimmt. Die Europäische Union sollte darum eine Führungsrolle bei der Bekämpfung der Armut in der Welt und im Einsatz für den Frieden übernehmen. Dankbar dürfen wir konstatieren, daß europäische Länder und die Europäische Union zu den größten Gebern für internationale Entwicklung gehören, sie sollten aber auch ihr politisches Gewicht auf die Waagschale legen, wenn es z. B. um die äußerst dringende Herausforderung geht, die Afrika darstellt angesichts der ungeheuren Tragödien dieses Kontinentes wie die Geißel der AIDS-Erkrankungen, die Situation in Darfur, die ungerechte Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und der besorgniserregende Waffenhandel. Ebenso darf der politische und diplomatische Einsatz Europas und seiner Länder die ständig ernste Situation des Mittleren Ostens nicht vergessen, wo der Beitrag aller notwendig ist, um den Verzicht auf Gewalt, den gegenseitigen Dialog und ein wahrhaft friedliches Zusammenleben zu fördern. Auch die Beziehung zu den Nationen Lateinamerikas und des asiatischen Kontinents muß durch geeignete Verbindungen im Handelsaustausch ausgebaut werden.

Schluß

Sehr verehrter Herr Bundespräsident, sehr geehrte Damen und Herren! Österreich ist ein reich gesegnetes Land: Mit großen landschaftlichen Schönheiten, die Jahr für Jahr Millionen Menschen zur Erholung anziehen; mit einem unerhörten kulturellen Reichtum, den viele Generationen geschaffen und angesammelt haben; mit vielen künstlerisch begabten Menschen und großen schöpferischen Kräften. Die Zeugnisse der Leistungen, die Fleiß und Begabung der arbeitenden Bevölkerung hervorgebracht haben, sind überall zu sehen. Dies ist ein Grund, um dankbar und stolz zu sein. Aber Österreich ist natürlich keine Insel der Seligen und es hält sich ja auch nicht dafür. Selbstkritik tut immer gut, und sie ist in Österreich durchaus verbreitet. Ein Land, das so viel bekommen hat, muß auch viel geben. Es darf sich viel zutrauen und sich auch einiges zumuten an Verantwortung in seiner Nachbarschaft, in Europa und in der Welt.

Vieles von dem, was Österreich ist und besitzt, verdankt es dem christlichen Glauben und seiner reichen Wirkung in den Menschen. Der Glaube hat den Charakter dieses Landes und seine Menschen tief geprägt. Es muß daher ein Anliegen aller sein, nicht zuzulassen, daß eines Tages womöglich nur noch die Steine hierzulande vom Christentum reden würden. Ein Österreich ohne lebendigen christlichen Glauben wäre nicht mehr Österreich.

Ich wünsche Ihnen und allen Österreichern, vor allem den Alten und Kranken und den Jungen, die ihr Leben vor sich haben, Hoffnung, Zuversicht, Freude und Gottes Segen! Ich danke Ihnen.


VESPER MIT PRIESTERN, ORDENSLEUTEN, DIAKONEN UND SEMINARISTEN

Basilika in Mariazell - Samstag, 8. September 2007

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Verehrte und liebe Mitbrüder im priesterlichen Dienst!

Liebe Männer und Frauen des gottgeweihten Lebens!
Liebe Freunde!

Wir haben uns in der ehrwürdigen Basilika unserer „Magna Mater Austriae“, in Mariazell, versammelt. Seit vielen Generationen bitten hier die Menschen um den Beistand der Gottesmutter. Wir tun das heute auch. Wir wollen mit ihr den Lobpreis auf die erhabene Güte Gottes anstimmen und unseren Dank an den Herrn für alle empfangenen Wohltaten, besonders für das große Geschenk des Glaubens, aussprechen. Wir wollen ihr auch unsere Herzensanliegen sagen: ihren Schutz für die Kirche erbitten, ihre Fürsprache um das Geschenk guter Berufungen für unsere Diözesen und Ordensgemeinschaften anrufen, um ihren Beistand für die Familien und um ihr erbarmendes Gebet für alle Menschen bitten, die einen Ausweg aus Sünden und nach Umkehr suchen, und schließlich ihrer mütterlichen Sorge alle kranken und alten Menschen anvertrauen. Möge die große Mutter Österreichs und Europas uns allen zu einer tiefgreifenden Erneuerung des Glaubens und Lebens verhelfen.

Liebe Freunde, ihr seid als Priester und Ordensleute Diener und Dienerinnen der Sendung Jesu Christi. Wie vor zweitausend Jahren Jesus Menschen in seine Nachfolge gerufen hat, so brechen auch heute junge Männer und Frauen auf seinen Ruf hin auf, fasziniert von Jesus und bewegt von der Sehnsucht, ihr Leben in den Dienst der Kirche zu stellen und es für die Hilfe an Menschen hinzugeben. Sie wagen die Nachfolge Jesu Christi und wollen seine Zeugen sein. Das Leben in der Nachfolge ist tatsächlich ein Wagnis, weil wir immer bedroht sind von Sünde, von Unfreiheit und Abfall. Daher bedürfen wir alle seiner Gnade, so wie Maria sie in Fülle bekam. Wir lernen, wie Maria immer auf Christus zu schauen und an ihm Maß zu nehmen. Wir dürfen an der universalen Heilssendung der Kirche, deren Haupt er ist, teilnehmen. Der Herr beruft die Priester, Ordensleute und die Laien, hineinzugehen in die Welt und ihre vielschichtige Wirklichkeit, und dort am Aufbau des Reiches Gottes mitzuwirken. Sie tun das in einer großen und bunten Vielfalt: in der Verkündigung, im Aufbau von Gemeinden, in den verschiedenen pastoralen Diensten, in der tätigen Liebe und gelebten Caritas, in der aus apostolischem Geist geleisteten Forschung und Wissenschaft, im Dialog mit der uns umgebenden Kultur, in der Förderung der von Gott gewollten Gerechtigkeit und nicht weniger in der zurückgezogenen Kontemplation des dreifaltigen Gottes und im gemeinsamen Gotteslob ihrer Gemeinschaft.

Der Herr lädt euch ein zur Pilgerschaft der Kirche „auf ihrem Weg durch die Zeit“. Er lädt euch ein, seinen Pilgerweg mitzugehen und teilzuhaben an seinem Leben, das auch heute noch ein Kreuzweg und der Weg des Auferstandenen durch das Galiläa unseres Lebens ist. Immer aber ist es der eine Herr, der uns zum einen Glauben durch die eine Taufe beruft. Die Teilhabe an seinem Weg bedeutet also beides: die Dimension des Kreuzes - mit Mißerfolgen, Leiden Unverstandensein, ja sogar Verachtung und Verfolgung - aber auch die Erfahrung einer tiefen Freude in seinem Dienst und die Erfahrung des großen Trostes aus der Begegnung mit Ihm. Wie die Kirche haben die einzelnen Gemeinden, die Gemeinschaften und jeder getaufte Christ den Ursprung ihrer Sendung in der Erfahrung des gekreuzigten und auferstandenen Christus.

141 Die Mitte der Sendung Jesu Christi und aller Christen ist die Verkündigung von Gottes Reich. Diese Verkündigung in Christi Namen bedeutet für die Kirche, die Priester, die Ordenschristen und für alle Getauften, als seine Zeugen in der Welt anwesend zu sein. Denn Reich Gottes ist Gott selbst, der gegenwärtig wird und in unserer Mitte und durch uns herrscht. Deswegen ist Aufbau des Reiches Gottes, wenn Gott in uns lebt und wenn wir Gott in die Welt tragen. Ihr tut es, indem Ihr Zeugnis gebt für einen Sinn, der in der schöpferischen Liebe Gottes wurzelt und sich gegen allen Unsinn und alle Verzweiflung stellt. Ihr steht an der Seite jener, die um diesen Sinn ringen, an der Seite all derer, die dem Leben eine positive Gestalt geben möchten. Betend und bittend seid ihr die Anwälte derer, die nach Gott suchen, die zu Gott hin unterwegs sind. Ihr gebt Zeugnis von einer Hoffnung, die gegen alle stille und laute Verzweiflung hinweist auf die Treue und Zuwendung Gottes. Damit steht ihr auf der Seite aller, deren Rücken gekrümmt ist durch drückende Schicksale und die von ihren Lastkörben nicht loskommen. Ihr gebt Zeugnis von der Liebe, die sich für die Menschen dahingibt und so den Tod besiegt hat. Ihr steht auf der Seite jener, die nie Liebe erfahren haben, die an das Leben nicht mehr zu glauben vermögen. Ihr steht so gegen die vielfältigen Weisen von versteckter und offener Ungerechtigkeit wie gegen die sich ausbreitende Menschenverachtung. So soll eure ganze Existenz, liebe Brüder und Schwestern, wie die Existenz Johannes’ des Täufers ein großer, lebendiger Hinweis auf Jesus Christus sein, den Mensch gewordenen Sohn Gottes. Jesus hat Johannes eine brennende und leuchtende Lampe genannt (vgl. Jn 5,35). Seid auch ihr solche Lampen! Laßt euer Licht hineinleuchten in unsere Gesellschaft, in die Politik, in die Welt der Wirtschaft, in die Welt der Kultur und der Forschung. Wenn es auch nur ein kleines Licht sein mag inmitten vieler Irrlichter, so bekommt es seine Kraft und seinen Glanz doch von dem großen Morgenstern, dem auferstandenen Christus, dessen Licht leuchtet - durch uns leuchten will - und das nicht untergehen wird.

Nachfolgen - wir wollen nachfolgen - nachfolgen heißt in die Gesinnung Christi, in den Lebensstil Jesu hineinwachsen, so sagt es uns der Philipperbrief: „Habt die Gesinnung Jesu Christi!“ (vgl. 2, 5). „Auf Christus schauen“ heißt das Motto dieser Tage. Im Hinschauen auf Ihn, den großen Lehrer des Lebens, hat die Kirche drei herausragende Merkmale der Gesinnung Jesu Christi entdeckt. Diese drei Merkmale - wir nennen sie mit der Tradition die evangelischen Räte - sind zu den prägenden Elementen für ein Leben in der radikalen Nachfolge Christi geworden: Armut, Keuschheit und Gehorsam. Denken wir in dieser Stunde ein wenig über diese Merkmale nach.

Jesus Christus, der reich war mit dem ganzen Reichtum Gottes, ist unsertwegen arm geworden, so sagt uns der heilige Paulus im Zweiten Korintherbrief (8, 9); es ist ein unergründliches Wort, über das wir immer wieder nachdenken sollten. Und im Philipperbrief heißt es: Er hat sich entäußert, sich erniedrigt und war gehorsam bis zum Tod am Kreuz (2, 6ff). Er, der arm geworden ist, hat die Armen selig gepriesen. Der heilige Lukas zeigt uns in seiner Version der Seligpreisungen, daß dieser Zuruf - die Seligpreisung der Armen - sich durchaus auf die armen, wirklich armen Menschen im Israel seiner Zeit bezieht, wo es einen bedrückenden Gegensatz zwischen Reichen und Armen gab. Der heilige Matthäus aber erklärt uns in seiner Version der Seligpreisungen, daß freilich die bloße materielle Armut als solche für sich allein noch nicht die Nähe zu Gott verbürgt, denn das Herz kann hart und von der Begierde nach Reichtum erfüllt sein. Freilich läßt er uns - wie die ganze Heilige Schrift - erkennen, daß Gott in jedem Fall in besonderer Weise den Armen nahe ist. So wird klar: Der Christ sieht in ihnen Christus, der auf ihn wartet, auf seinen Einsatz. Wer Christus radikal nachfolgen will, muß auf materielle Habe verzichten. Aber er muß diese Armut von Christus her leben, als inwendiges Freiwerden für den Nächsten. Die Frage der Armut und der Armen muß für alle Christen, aber besonders für uns Priester und Ordensleute, die einzelnen wie die Ordensgemeinschaften, immer wieder Inhalt einer ernsten Gewissenserforschung sein. Gerade in unserer Situation, denke ich, wo es uns nicht schlecht geht, wo wir nicht arm sind, müssen wir darüber besonders nachdenken, wie wir diesen Ruf ehrlich leben können. Und ich möchte ihn Eurer - unserer - Gewissenserforschung anempfehlen.

Um recht zu verstehen, was Keuschheit bedeutet, müssen wir von ihrem positiven Inhalt ausgehen. Und den wieder finden wir nur im Hinschauen auf Jesus Christus. Jesus hat in einer doppelten Zuwendung gelebt: zum Vater und zu den Menschen. In der Heiligen Schrift lernen wir Jesus als Betenden kennen, der Nächte in der Zwiesprache mit dem Vater verbringt. Im Beten nimmt er sein Menschsein und unser aller Menschsein hinein in die Sohnesbeziehung zum Vater. Dieser Dialog mit dem Vater wird dann immer neu Sendung zur Welt, zu uns hin. Seine Sendung führte ihn in eine reine und ungeteilte Hinwendung zu den Menschen. In den Zeugnissen der Heiligen Schrift ist in keinem Augenblick seines Daseins in seinem Umgang mit den Menschen eine Beimischung von Eigeninteresse oder Eigennutz zu erkennen. Jesus hat die Menschen im Vater, vom Vater her - und so wahrhaft sie selber in ihrem Eigentlichen, in ihrer Realität - geliebt. Das Eintreten in diese Gesinnung Jesu Christi - in dieses ganz Mitsein mit dem lebendigen Gott und in dieses reine Mitsein mit den Menschen, ganz ihnen zur Verfügung - dieses Eintreten in die Gesinnung Jesu Christi hat Paulus zu seiner Theologie und Lebenspraxis inspiriert, die auf Jesu Wort von der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen antwortet (vgl. Mt 19,12). Priester und Ordensleute leben nicht beziehungslos. Keuschheit heißt im Gegenteil - davon wollte ich ausgehen - intensive Beziehung, ist positiv Beziehung zum lebendigen Christus und von da her zum Vater. Deswegen geloben wir durch das Gelübde der ehelosen Keuschheit nicht Individualismus oder Beziehungslosigkeit, sondern wir geloben, die intensiven Beziehungen, deren wir fähig sind und mit denen wir beschenkt werden, ganz und vorbehaltlos in den Dienst des Reiches Gottes und so der Menschen zu stellen. So werden Priester und Ordensleute selbst zu Menschen der Hoffnung: Indem sie ganz auf Gott setzen und damit zeigen, daß Gott für sie Realität ist, schaffen sie seiner Gegenwart - dem Reich Gottes - Raum in der Welt. Ihr, liebe Priester und Ordensleute, leistet einen großen Beitrag: Inmitten von aller Gier, allem Egoismus des Nicht-Warten-Könnens, des Konsumhungers, inmitten des Kultes der Individualität versuchen wir, eine uneigennützige Liebe zu den Menschen zu leben. Wir leben eine Hoffnung, die Gott die Erfüllung überläßt, weil wir glauben, daß er erfüllt. Was wäre geworden, hätte es diese Verweisgestalten in der Geschichte der Christenheit nicht gegeben? Was würde aus unserer Welt werden, wenn es die Priester, die Frauen und Männer in den Orden und Gemeinschaften des gottgeweihten Lebens nicht gäbe, die die Hoffnung auf eine größere Erfüllung der menschlichen Wünsche und die Erfahrung der Liebe Gottes, die alle menschliche Liebe übersteigt, nicht vorleben? Die Welt braucht unser Zeugnis gerade heute.

Kommen wir zum Gehorsam. Jesus hat sein ganzes Leben, von den stillen Jahren in Nazareth bis in den Augenblick des Todes am Kreuz, im Hören auf den Vater, im Gehorsam zum Vater gelebt. Sehen wir exemplarisch auf die Nacht am Ölberg hin. „Nicht mein Wille geschehe, sondern der Deinige.“ Jesus nimmt in diesem Beten unser aller widerstrebenden Eigenwillen in seinen Sohneswillen hinein, wandelt unsere Rebellion in seinen Gehorsam um. Jesus war ein Betender. Darin war er aber zugleich ein Hörender und Gehorchender: „Gehorsam geworden bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“ (Ph 2,8). Die Christen haben immer erfahren, daß sie sich nicht verlieren durch die Hingabe an den Willen des Herrn, sondern daß sie so durchfinden zu einer tiefen Identität und inneren Freiheit. An Jesus haben sie entdeckt, daß sich findet, wer sich verschenkt, daß frei wird, wer sich in einem in Gott gründenden und ihn suchenden Gehorsam bindet. Auf Gott zu hören und ihm zu gehorchen hat nichts mit Fremdbestimmung und Selbstverlust zu tun. Im Eintreten in den Willen Gottes kommen wir erst zu unserer wahren Identität. Das Zeugnis dieser Erfahrung braucht die Welt heute gerade mitten in ihrem Verlangen nach „Selbstverwirklichung“ und „Selbstbestimmung“.

Romano Guardini berichtet in seiner Autobiographie, wie ihm in einem kritischen Augenblick seines Weges, in dem ihm der Glaube seiner Kindheit fraglich geworden war, der tragende Entscheid seines ganzen Lebens - die Bekehrung - geschenkt wurde in der Begegnung mit dem Wort Jesu, daß sich nur findet, wer sich verliert (vgl. Mc 8,34f; Jn 12,25); daß es keine Selbstfindung, keine Selbstverwirklichung geben kann ohne das Sich-Loslassen, das Sich-Verlieren. Aber dann kommt ihm die Frage: Wohin darf ich mich verlieren? Wem mich verschenken? Ihm wurde klar, daß wir uns nur dann ganz weggeben können, wenn wir dabei in Gottes Hände fallen: Nur an ihn dürfen wir uns letztlich verlieren, und nur in ihm können wir uns finden. Aber dann kam die Frage: Wer ist Gott? Wo ist Gott? Und nun begriff er, daß der Gott, an den wir uns verlieren dürfen, nur der in Jesus Christus konkret und nahe gewordene Gott ist. Aber da bricht noch einmal eine Frage auf: Wo finde ich Jesus Christus? Wie kann ich mich ihm wirklich geben? Die von Guardini in seinem Ringen gefundene Antwort lautet: Konkret gegenwärtig ist uns Jesus Christus nur in seinem Leib, der Kirche. Darum muß Gehorsam gegen Gottes Willen, Gehorsam zu Jesus Christus ganz konkret und praktisch demütig-kirchlicher Gehorsam sein. Ich denke, auch darüber sollten wir immer wieder gründlich unser Gewissen erforschen. All dies findet sich zusammengefaßt in dem Gebet des heiligen Ignatius von Loyola, das mir immer wieder so zu groß ist, daß ich es fast nicht zu beten wage, und das wir uns doch immer neu abringen sollten: »Nimm hin, Herr, und empfange meine ganze Freiheit, mein Gedächtnis, meinen Verstand und meinen ganzen Willen, all mein Haben und mein Besitzen. Du hast es mir gegeben; Dir, Herr, gebe ich es zurück. Alles ist Dein, verfüge nach Deinem ganzen Willen. Gib mir nur Deine Liebe und Deine Gnade, dann bin ich reich genug und verlange weiter nichts« (Eb 234).

Liebe Brüder und Schwestern! Ihr geht nun wieder zurück in Eure Lebenswelt, an Eure kirchlichen, pastoralen, geistlichen und menschlichen Lebensorte. Unsere große Fürsprecherin und Mutter Maria breite schützend ihre Hand über Euch und Euer Wirken aus. Sie trete fürbittend bei ihrem Sohn, unserem Herrn Jesus Christus, ein. Mit meinem Dank für Euer Gebet und Euer Wirken im Weinberg des Herrn verbinde ich meine innige Bitte an Gott um Schutz und Wohlfahrt für Euch alle, für die Menschen, besonders die jungen Menschen, hier in Österreich und in den verschiedenen Ländern, aus denen manche von Euch stammen. Von Herzen begleite ich Euch alle mit meinem Segen.




ANSPRACHE 2007 Januar 2007 135