ANSPRACHE 2008 Januar 2008 71

ABSCHIEDSZEREMONIE

Internationaler Flughafen "John Fitzgerald Kennedy", New York

Sonntag, 20. April 2008

Herr Vizepräsident,

sehr geehrte Obrigkeiten,
liebe Mitbrüder im Bischofsamt,
liebe Brüder und Schwestern!

Es ist für mich die Zeit gekommen, von eurem Land Abschied zu nehmen. Diese Tage, die ich in den Vereinigten Staaten verbracht habe, waren mit vielen unvergeßlichen Erfahrungen der amerikanischen Gastfreundschaft gesegnet, und ich möchte euch allen meinen tiefempfundenen Dank für die freundliche Aufnahme aussprechen. Ich habe mich gefreut, den Glauben und die Frömmigkeit der katholischen Gemeinschaft in diesem Land zu erleben. Es war sehr schön und ermutigend, den Führern und Vertretern anderer christlicher Gemeinschaften und Religionen zu begegnen, und ich versichere euch alle erneut meiner Achtung und meiner Wertschätzung. Ich bin Präsident Bush dankbar, daß er gekommen ist, um mich zu Beginn meines Besuchs zu begrüßen, und ich danke Vizepräsident Cheney für seine Anwesenheit jetzt bei meiner Abreise. Die zivilen Obrigkeiten, die Mitarbeiter und freiwilligen Helfer in Washington und New York haben Zeit und Energie eingesetzt, um den reibungslosen Ablauf meines Besuchs in allen seinen Phasen sicherzustellen, und dafür danke ich Herrn Bürgermeister Adrian Fenty von Washington und Herrn Bürgermeister Michael Bloomberg von New York und spreche ihnen meine tiefe Anerkennung aus.

Noch einmal bringe ich verbunden mit meinem Gebet den Vertretern der Bischofssitze von Baltimore, der ersten Erzdiözese, sowie von New York, Boston, Philadelphia und Louisville meine besten Wünsche für dieses Jubiläumsjahr zum Ausdruck. Möge der Herr euch auch in den kommenden Jahren weiterhin segnen. All meinen Brüdern im bischöflichen Dienst, Bischof DiMarzio von der hiesigen Diözese Brooklyn sowie den Amtsträgern und Mitarbeitern der Bischofskonferenz, die in so vielfältiger Weise zur Vorbereitung dieses Besuchs beigetragen haben, danke ich erneut für ihre mühevolle Arbeit und Hingabe. Sehr herzlich grüße ich noch einmal die Priester und Ordensleute, die Diakone, die Seminaristen und jungen Menschen und alle Gläubigen in den Vereinigten Staaten. Ich ermutige euch, auch weiterhin mit Freude Zeugnis abzulegen von Christus, unserer Hoffnung, unserem auferstandenen Herrn und Heiland, der alles neu macht und uns das Leben in Fülle schenkt.

Einer der Höhepunkt meines Besuchs war die Gelegenheit, vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen zu sprechen, und ich danke Herrn Generalsekretär Ban Ki-moon für seine freundliche Einladung und seinen Empfang. Im Rückblick auf die 60 Jahre, die seit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vergangen sind, danke ich für all das, was die Organisation zur Verteidigung und Förderung der Grundrechte eines jeden Mannes, einer jeden Frau und eines jeden Kindes auf der ganzen Erde erreicht hat, und ich ermutige die Menschen guten Willens überall auf der Welt, sich auch weiterhin unermüdlich für die Förderung der Gerechtigkeit und der friedlichen Koexistenz der Völker und Nationen einzusetzen.

72 Mein Besuch beim »Ground Zero« an diesem Morgen wird für immer tief in mein Gedächtnis eingeprägt bleiben, und ich werde auch weiterhin für diejenigen beten, die durch die Tragödie, die dort im Jahr 2001 geschah, zu Tode gekommen sind oder Leid davontragen. Für alle Menschen in Amerika und auf der ganzen Welt bete ich, daß die Zukunft größere Brüderlichkeit und Solidarität bringen wird, ein Anwachsen der gegenseitigen Achtung und neues Vertrauen und Zuversicht in Gott, unseren himmlischen Vater.

Mit diesen Worten nehme ich Abschied. Ich bitte euch, im Gebet an mich zu denken, und versichere euch meiner Zuneigung und Freundschaft im Herrn. Gott segne Amerika!



AN DIE BISCHÖFE AUS DEM KAUKASUS ANLÄSSLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES

Donnerstag, 24. April 2008



Liebe und verehrte Brüder!

»Friede sei mit euch!« Den Gruß des auferstandenen Jesus an die Jünger im Abendmahlssaal richte ich an euch. Er hat euch dem Teil des Gottesvolkes vorangestellt, der im Kaukasusgebiet lebt. Ich freue mich, euch gemeinsam zu empfangen, nachdem ich die Gelegenheit hatte, im Rahmen des »Ad-limina«-Besuchs persönlich mit jedem einzelnen von euch zu sprechen. Es waren interessante Gespräche, durch die ich die Wirklichkeiten eurer jeweiligen Gemeinschaften, die Hoffnungen und Sorgen, die ihr im Herzen tragt, besser kennenlernen durfte. Ich danke dem Herrn für die apostolische Arbeit, die ihr mit großer Hingabe und Liebe gegenüber Christus und der Kirche durchführt. Ich begrüße euch mit Zuneigung und sende durch euch meinen herzlichen Gruß an die Priester, eure ersten Mitarbeiter, an die geweihten Personen und an alle Gläubigen eurer Gemeinden, ebenso wie an die Angehörigen der anderen christlichen Konfessionen und der anderen Religionen, die den Kaukasus bevölkern - einen Landstrich mit einer reichen Geschichte und Kultur, Schmelztiegel von Zivilisationen und Kreuzungspunkt zwischen Osten und Westen. Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone hat mir kürzlich nach seiner Rückkehr von seinem Besuch bei euren Kirchen mit Begeisterung davon berichtet.

Nach dem Fall der Sowjetunion haben eure Völker auf dem Weg des Fortschritts einen bedeutenden sozialen Wandel durchgemacht, aber die Umstände sind manchmal immer noch schwierig: Es gibt viele Arme, Arbeitslose und Flüchtlinge, die durch die Kriege aus ihren Wohnstätten vertrieben wurden und Unsicherheit und Mangel ausgesetzt sind. Die erschütternden Ereignisse des vergangenen Jahrhunderts haben jedoch die Flamme des Evangeliums nicht verlöschen lassen. Es ist im Laufe der Generationen im Kaukasus auf fruchtbaren Boden gefallen, obgleich es an gewaltsamen Konflikten - an inneren Konflikten ebenso wie an solchen, die vom Ausland ausgingen - nicht gefehlt hat. Sie haben viele Opfer gefordert, von denen die Kirche nicht wenige zu den Märtyrern des Glaubens zählt.

Ihr führt eure pastorale Tätigkeit also in einem Gebiet durch, in dem es noch immer viele soziale und kulturelle Herausforderungen gibt und wo die katholische Gemeinschaft eine »kleine Herde« ist, die ihren Glauben im Kontakt mit anderen christlichen Konfessionen und anderen Religionen lebt: Katholiken des armenischen, lateinischen und chaldäischen Ritus leben dort zusammen mit orthodoxen und armenischapostolischen Christen sowie Juden und Muslimen. In einem solchen multireligiösen Kontext ist es wichtig, daß die Katholiken ihre Zusammenarbeit mit den anderen Kirchen und auch mit den Angehörigen anderer Religionen fortsetzen und immer mehr vertiefen, wie es vielerorts bereits geschieht.

Es muß auch verhindert werden, daß dort, wo es dem Kommunismus nicht gelungen ist, die katholische Identität zu zerstören, unterschwellige Formen von Druck bei einigen das Bewußtsein der Zugehörigkeit zur Kirche abschwächen. Ich befürworte daher das Bestreben eurer katholischen Gemeinschaften um die Zuerkennung des Status einer juristischen Person, unter Achtung des Wesens der katholischen Kirche. Ich hoffe auch, daß durch den derzeitigen Dialog zwischen Katholiken und Orthodoxen die Brüderlichkeit wächst, welche die Beziehungen zwischen Kirchen kennzeichnen muß, die einander trotz der noch bestehenden Unterschiede achten. All euer Handeln sollte von den Worten bestimmt sein, mit denen der hl. Paulus die Christen von Rom ermahnte, auch in der Bedrängnis die Zuversicht zu wahren, »denn wir wissen: Bedrängnis bewirkt Geduld, Geduld aber Bewährung, Bewährung Hoffnung. Die Hoffnung aber läßt nicht zugrunde gehen; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist« (Rm 5,3-5). Ermutigt und stützt also eure Gläubigen, damit ihre Freude, den Glauben zu bekennen und zur katholischen Kirche zu gehören, angesichts der Schwierigkeiten nicht weniger werde! Es ist die Freude, die im Herzen dessen aufkeimt, der Christus, dem Herrn, folgt und bereit ist, sein Evangelium zu bezeugen.

Als mir jeder von euch von den Erfahrungen in euren Gemeinschaften berichtete, kam mir das Wort Jesu in den Sinn: »Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden« (Mt 9,37-38). Ja, verehrte Brüder, betet und laßt darum beten, daß es nicht an Arbeitern im Weinberg des Herrn fehlen möge; fördert auch weiterhin die Berufungen zum Priestertum und zum geweihten Leben. Es muß dafür gesorgt werden, daß in Armenien, Aserbaidschan und Georgien die zukünftigen Generationen auf einen Klerus zählen können, der heilig ist, seine Berufung mit Freude lebt und großherzig für alle Gläubigen Sorge trägt. Seid vor allem selbst weise und sichere Leiter des Gottesvolkes; stützt die Familien, die seine lebendigen Zellen sind. Die Familien stehen heute aufgrund der Mentalität, die der Gesellschaft aufgeprägt wurde - einem Erbe der Zeit des Kommunismus -, nicht wenigen Schwierigkeiten gegenüber. Sie sind gezeichnet von den Wunden und den Angriffen auf das menschliche Leben, die leider auch in vielen anderen Teilen der Welt festzustellen sind. Als erste Verantwortliche der Familienpastoral sollt ihr dafür Sorge tragen, die christlichen Eheleute zu lehren, »den unschätzbaren Wert der Unauflöslichkeit und der ehelichen Treue zu bezeugen«, denn dies »ist eine der wichtigsten und dringendsten Pflichten der christlichen Ehepaare in unserer Zeit« (Apostolisches Schreiben Familiaris consortio FC 20).

Liebe und verehrte Brüder, der Papst unterstützt euch und steht euch zur Seite bei eurer mühevollen Sendung als Hirten der Herde Christi, die im Kaukasus lebt. Ich weiß, wieviel Eifer in euren Herzen brennt und wie viele Anstrengungen ihr unternehmt, um das Evangelium der Hoffnung zu verbreiten. Besonders beeindruckt mich die Aufmerksamkeit, die ihr durch vielfältige karitative Initiativen den Armen und Notleidenden entgegenbringt, dank des wertvollen Beitrags von Ordensmännern, Ordensfrauen und Laien. Und ich möchte hervorheben, daß diese Initiativen im Geist des Evangeliums durchgeführt werden, denn »der Liebesdienst ist für die Kirche nicht eine Art Wohlfahrtsaktivität, die man auch anderen überlassen könnte, sondern er gehört zu ihrem Wesen, ist unverzichtbarer Wesensausdruck ihrer selbst« (Deus caritas est ). Sorgt dafür, daß jede Gemeinschaft stets in diesem Geist wirkt. Lehrt alle Gläubigen, die Liebe Christi mit dem Leben zu verkünden, ohne gleichzeitig andere Ziele zu verfolgen, denn für den Christen »darf praktizierte Nächstenliebe nicht Mittel für das sein, was man heute als Proselytismus bezeichnet. Die Liebe ist umsonst« (ebd., 31). Eure Aufgabe als Glaubenserzieher und als Hirten der Herde Christi verlangt auch, daß eure Beziehungen untereinander von ständiger Zusammenarbeit, Vertrauen und gegenseitiger Unterstützung geprägt sind. Es muß daher Begegnungen und Augenblicke zur regelmäßigen Überprüfung der von euch erstellten Pastoralpläne geben, besonders für die Vorbereitung auf die Sakramente. Diese Pläne müssen vor allem auf die Gewissensbildung der Gläubigen nach der Ethik des Evangeliums ausgerichtet sein und den jungen Menschen besondere Aufmerksamkeit widmen.

Liebe Brüder, wenn ihr in eure Gemeinschaften zurückkehrt, dann überbringt allen, denen ihr begegnet, meinen herzlichen Gruß, begleitet von der Zusicherung eines ständigen Gebetsgedenkens, auf daß Gott euren Dienst fruchtbar machen möge. Die Jungfrau Maria wache über euch und eure Gemeinschaften. Sie erlange für euch das Geschenk der Einheit und des Friedens, damit ihr, die ihr im Namen Christi unterwegs seid, jenseits aller Unterschiede gemeinsam eine Gesellschaft aufbauen könnt, in der Gerechtigkeit und Frieden herrschen. Euch, die ihr hier anwesend seid, den Gläubigen, die der Herr eurer Hirtensorge anvertraut hat, und allen Bewohnern des Kaukasus erteile ich meinen Segen.


KONZERT FÜR PAPST BENEDIKT XVI. ALS GESCHENK DES ITALIENISCHEN STAATSPRÄSIDENTEN GIORGIO NAPOLITANO

ANLÄSSLICH SEINES 3. PONTIFIKATSJAHRES

Audienzenhalle

73

Donnerstag, 24. April 2008

Herr Präsident,

meine Herren Kardinäle,
verehrte Brüder im Bischofs- und im Priesteramt,
sehr geehrte Damen und Herren!

Am Ende dieses wunderschönen Konzerts habe ich die Freude, Ihnen allen, die daran teilgenommen haben, meinen herzlichen Gruß zu entbieten: Den zivilen und militärischen Obrigkeiten, den Persönlichkeiten und Freunden, die gekommen sind, um an diesem Moment von hohem kulturellen Wert teilzuhaben. Ich möchte vor allem dem Präsidenten der Italienischen Republik, Herrn Abgeordneten Giorgio Napolitano, meinen aufrichtigen Dank aussprechen. Er hat mir aus Anlaß des dritten Jahrestages meines Pontifikats dieses Geschenk gemacht und freundliche Worte an mich gerichtet, die ich sehr zu schätzen weiß. Danke, Herr Staatspräsident, für diese ehrerbietige und aufmerksame Geste, die ich mit großer Freude entgegengenommen habe! Ich sehe es auch als ein weiteres Zeichen für die große Zuneigung, die das italienische Volk dem Papst entgegenbringt. Mein Gruß gilt auch Ihrer werten Frau Gemahlin sowie Ihren Mitarbeitern.

In der Gewißheit, die Empfindungen aller Anwesenden zum Ausdruck zu bringen, spende ich dem Sinfonischen Chor und Orchester »Giuseppe Verdi« aus Mailand aufrichtigen Beifall. Unter der hervorragenden Leitung ihres Dirigenten Herrn Oleg Caetani haben sie mit außerordentlichem Können und ebensolcher Ausdruckskraft gespielt und gesungen. Meine Anerkennung gilt zudem der Chorleiterin, Frau Erina Gambarini. Mein herzlicher Dank geht an die Leiter der verdienstvollen Stiftung »Giuseppe Verdi«, die ich ermutige, ihren renommierten künstlerischen und kulturellen Weg fortzusetzen. Ich weiß, daß er noch bekräftigt wird durch das Bemühen, durch die Musik Trost in schwierige menschliche Situationen zu bringen, wie man sie zum Beispiel in Krankenhäusern und Gefängnissen vorfindet. Mein Dank gilt natürlich auch allen, die zur Planung und Verwirklichung dieses eindrucksvollen Ereignisses beigetragen und es auf verschiedene Weise unterstützt haben.

Wir hatten die Freude, mit aufmerksamer Anteilnahme anspruchsvolle Konzertstücke von Luciano Berio, Johannes Brahms und Ludwig van Beethoven zu hören. Ich möchte hervorheben, wie sehr die Musik von Brahms Hölderlins »Schicksalslied« mit religiösem Vertrauen bereichert hat. Diese Tatsache führt uns zur Betrachtung des geistlichen Wertes der Musik, die auf einzigartige Weise dazu bestimmt ist, im menschlichen Geist, der vom irdischen Leben so sehr gezeichnet und manchmal verletzt ist, Hoffnung zu wecken. Es besteht eine geheimnisvolle und tiefe Verwandtschaft zwischen Musik und Hoffnung, zwischen Gesang und ewigem Leben: Nicht umsonst stellt die christliche Überlieferung die Seligen beim Chorgesang dar, von der Schönheit Gottes hingerissen und verzückt. Aber die wahre Kunst, ebenso wie das Gebet, entfremdet uns nicht von der täglichen Wirklichkeit, sondern führt uns vielmehr zu ihr hin, um sie zu »bewässern« und gedeihen zu lassen, damit sie Früchte des Guten und des Friedens trägt.

Die meisterhaften Interpretationen, die wir gehört haben, rufen darüber hinaus den Wert und die universale Bedeutung des künstlerischen Erbes in Erinnerung: Ich denke besonders an die jungen Generationen, die aus der Annäherung an jenes Erbe stets neue Anregungen ziehen können, um die Welt nach den Plänen der Gerechtigkeit und der Solidarität aufzubauen, indem sie die vielfältigen Ausdrucksformen der Kultur auf der ganzen Welt im Dienst am Menschen zur Geltung bringen. Ich denke auch an die Bedeutung, die die Erziehung zur wahren Schönheit für die Ausbildung junger Menschen besitzt. Die Kunst trägt insgesamt dazu bei, ihren Geist zu verfeinern, und richtet auf den Aufbau einer Gesellschaft aus, die offen ist gegenüber den geistigen Idealen. Italien kann in diesem Zusammenhang mit seinen einmaligen Kunstschätzen eine wichtige Rolle in der Welt spielen: Die Quantität und die Qualität der Monumente und Kunstwerke, die es besitzt, macht Italien in der Tat zu einer universalen Botin all jener Werte, die durch die Kunst zum Ausdruck gebracht und gleichzeitig gefördert werden. Die Feierlichkeit von Gesang und Musik sind auch eine ständige Einladung an die Gläubigen und die Menschen guten Willens, sich dafür einzusetzen, der Menschheit eine Zukunft zu geben, die reich ist an Hoffnung.

Herr Staatspräsident, ich danke Ihnen noch einmal für das wundervolle Geschenk, das Sie mir gemacht haben, und für die Empfindungen, die es begleitet haben. Ich erwidere sie und versichere Sie eines Gebetsgedenkens, auf daß der Herr Sie, Ihre werte Frau Gemahlin, die Obrigkeiten und das ganze italienische Volk schützen möge. Mit diesen Wünschen, die ich der Fürsprache Unserer Lieben Frau vom Guten Rat anvertraue, rufe ich Gottes Segen auf alle Anwesenden und ihre Familien herab. Danke und allen einen schönen Abend!


                                                              Mai 2008


AN DIE BISCHÖFE VON KUBA ANLÄSSLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES

Freitag, 2. Mai 2008

74

Liebe Mitbrüder im Bischofsamt!

1. Mit großer Freude empfange ich euch zum Abschluß dieses »Ad-limina«-Besuches, der euch bis zu den Gräbern der Apostel Petrus und Paulus geführt hat, um die Bande der Gemeinschaft, welche die Beziehungen der kubanischen Bischöfe zum Apostolischen Stuhl stets charakterisiert haben, noch weiter zu stärken. Es ist für mich ein besonderer Anlaß der Freude, mit euch, liebe Mitbrüder, zusammenzukommen, die ihr für eine Kirche verantwortlich seid, der ich mich geistig sehr verbunden fühle, wie ich bereits in der Botschaft zum Ausdruck bringen konnte, die ich euch durch den Kardinalstaatssekretär bei seiner kürzlich erfolgten Reise nach Kuba habe übermitteln lassen.

Ich danke von Herzen für die herzlichen Worte des Einvernehmens und der aufrichtigen Zuneigung, die Seine Exzellenz Juan García Rodríguez, Erzbischof von Camagüey und Vorsitzender der Katholischen Bischofskonferenz Kubas, im Namen von euch allen sowie eurer Diözesangemeinschaften an mich gerichtet hat.

2. Die Vitalität der Kirche in eurem geliebten Land sowie auch ihre Einheit und ihre Hingabe an Jesus Christus sind mir wohl bekannt. Das kirchliche Leben in Kuba hat vor allem durch die Feier des Nationalen Kubanischen Kirchentreffens vor etwas mehr als zwanzig Jahren und besonders durch den historischen Besuch meines verehrten Vorgängers Papst Johannes Paul II. auf Kuba eine tiefgreifende Veränderung erfahren. Es ist eine intensive Pastoralarbeit vorangebracht worden, die - trotz zahlreicher Schwierigkeiten und Einschränkungen - dazu beigetragen hat, den missionarischen Geist in allen kirchlichen Gemeinschaften Kubas zu stärken. Ich fordere euch daher auf, euch weiterhin mutig und selbstlos um die Evangelisierung zu bemühen, die das Licht Christi in jeden Bereich und an alle Orte bringen möge.

In diesem Augenblick der Geschichte ist die Kirche eures Landes dazu aufgerufen, der ganzen kubanischen Gesellschaft eine einzige wahre Hoffnung anzubieten: Christus, unseren Herrn, den Sieger über Sünde und Tod (vgl. Spe salvi ). Das ist die Kraft, die die kubanischen Gläubigen fest auf dem Weg des Glaubens und der Liebe bewahrt hat.

All das erfordert, daß die Förderung des geistlichen Lebens in euren Bemühungen und in euren Pastoralplänen einen zentralen Platz einnehmen muß. Nur von einer personalen Erfahrung der Begegnung mit Jesus Christus ausgehend sowie mit einer soliden und in der kirchlichen Gemeinschaft verwurzelten Vorbereitung in der Lehre können die Christen Salz der Erde und Licht der Welt sein (vgl.
Mt 5,13) und so das Verlangen nach Gott stillen, das unter euren Mitbürgern immer deutlicher wahrnehmbar ist.

3. Bei diesem Evangelisierungsauftrag kommt den Priestern eine zentrale Rolle zu. Ich weiß um die Hingabe und den pastoralen Eifer, mit dem sie sich trotz ihrer geringen Zahl und auch angesichts großer Hindernisse ihren Brüdern und Schwestern widmen. Durch euch möchte ich daher allen Priestern meine Dankbarkeit und meine Wertschätzung für ihre Treue und ihren unermüdlichen Dienst für die Kirche und für die Gläubigen zum Ausdruck bringen. Ich vertraue auch darauf, daß die Zunahme der Berufungen und gleichzeitig das Ergreifen angemessener Maßnahmen in diesem Bereich es der kubanischen Kirche bald ermöglichen werden, über eine ausreichende Zahl von Priestern sowie auch von Kirchen und Kultstätten zu verfügen, die notwendig sind, um ihre rein pastorale und geistliche Mission zu erfüllen. Laßt nicht darin nach, sie zu begleiten und zu ermutigen, die sie den ganzen Tag über die Last der Arbeit und die Hitze ertragen (vgl. Mt 20,12) und helft ihnen, daß sie durch persönliche Meditation, das Verrichten des Stundengebets, die tägliche Feier der Eucharistie und auch durch angemessene Weiterbildung das Geschenk, das sie durch die Auflegung der Hände empfangen haben (vgl. 2Tm 1,6), immer lebendig halten.

Die Zunahme der Berufungen zum Priesteramt ist eine Quelle der Hoffnung. Dennoch ist es notwendig, weiterhin eine besondere Berufungspastoral zu fördern, die keine Angst hat, die Jugendlichen zu ermutigen, den Spuren Christi zu folgen, dem Einzigen, der ihr Verlangen nach Liebe und Glück erfüllen kann. Gleichzeitig müssen die Sorge und die Aufmerksamkeit, die dem Seminar gewidmet werden, immer eine vorrangige Stellung im Herzen des Bischofs einnehmen (vgl. Presbyterorum ordinis PO 5), der ihm die besten menschlichen und materiellen Ressourcen seiner Diözesangemeinschaft zur Verfügung stellen und gewährleisten muß, daß den Seminaristen dank der Kompetenz und des Engagements ausgewählter Ausbilder die bestmögliche spirituelle, theoretische und menschliche Ausbildung zukommt, so daß sie - indem sie sich in die Gesinnung des Herzens Christ einfühlen - die Verpflichtung des sakramentalen Dienstes einhalten können, den sie ausüben müssen.

Ich kann nicht umhin, die vorbildliche Arbeit zahlreicher Ordensmänner und Ordensfrauen zu erwähnen und anzuerkennen; ich ermutige sie, weiterhin die Gesamtheit des kirchlichen Lebens mit dem Schatz ihrer Charismen und ihrer selbstlosen Hingabe zu bereichern.

Auf besondere Weise möchte ich den zahlreichen Missionaren danken, die das Geschenk ihrer Weihe der ganzen Kirche auf Kuba anbieten.

75 4. Eines der Hauptziele des Pastoralplans, den ihr erarbeitet habt, ist die Förderung engagierter Laien, die sich ihrer Berufung und ihrer Sendung in der Kirche und in der Welt bewußt sind. Ich fordere euch also dazu auf, mit Hilfe gebührend vorbereiteter Katecheten in euren Teilkirchen auf verschiedenen Ebenen einen wirklichen Prozeß der Erziehung im Glauben zu fördern. Versucht zu bewirken, daß alle Gläubigen sowohl Zugang zur Lektüre des Wortes Gottes und zum betenden Meditieren darüber haben als auch zum häufigen Empfang der Sakramente der Versöhnung und der Eucharistie. Von einem intensiven geistlichen Leben auf diese Weise gestärkt und auf ein solides religiöses Wissen vertrauend, vor allem was die Soziallehre der Kirche betrifft, können die Laien in allen Bereichen der Gesellschaft ein überzeugendes Zeugnis von ihrem Glauben ablegen, um sie mit dem Licht des Evangeliums zu erleuchten (vgl. Lumen gentium LG 38). Diesbezüglich bringe ich den Wunsch zum Ausdruck, daß die Kirche in Kuba entsprechend ihren berechtigten Erwartungen einen normalen Zugang zu den sozialen Kommunikationsmitteln erhalten möge.

5. Ich möchte euch auf besondere Weise die pastorale Sorge für die Ehe und die Familie anvertrauen. Ich weiß, wie sehr ihr über die Situation der Familie besorgt seid, die durch Scheidungen und deren Konsequenzen, durch die Praxis der Abtreibung und durch wirtschaftliche Schwierigkeiten sowie auch durch familiäre Trennungen aufgrund der Emigration oder anderer Gründe in ihrer Stabilität bedroht ist. Ich ermutige euch dazu, eure Bemühungen zu verstärken, damit alle, und vor allem die jungen Menschen, die Schönheit der wahren Werte der Ehe und der Familie besser verstehen und sich stärker von ihr angezogen fühlen. Ebenso notwendig ist es, die entsprechenden Hilfsmittel zu fördern und anzubieten, damit die Familien ihre Verantwortung ausüben und ihr fundamentales Recht auf die religiöse und sittliche Erziehung ihrer Kinder wahrnehmen können.

6. Ich habe mit Freude die Großzügigkeit feststellen können, mit der sich die Kirche in eurem geliebten Land dem Dienst für die Ärmsten und Bedürftigsten widmet und dafür die Achtung und die Dankbarkeit der gesamten kubanischen Bevölkerung erfährt. Ich ermuntere euch von Herzen, weiterhin allen bedürftigen Menschen, den Kranken, den alten Menschen und den Gefängnisinsassen ein sichtbares Zeichen der Liebe Gottes zu ihnen zu bringen, in dem Bewußtsein, daß »die beste Verteidigung Gottes und des Menschen eben in der Liebe« besteht (Deus caritas est ). Auf diese Weise bietet ihr dem ganzen Land das Zeugnis einer Kirche an, die zutiefst an seinen Freuden, seinen Hoffnungen und an seiner Not teilhat.

7. Liebe Brüder, ich möchte euch für die gesamte Arbeit danken, die ihr leistet, damit die kleine Herde Kubas gefestigt wird und immer reichere Frucht christlichen Lebens hervorbringt, wie das Weizenkorn, das in die Erde fällt (vgl. Jn 12,24). Möge euch die bevorstehende Seligsprechung des Dieners Gottes José Olallo Valdès neue Impulse für euren Dienst an der Kirche und der kubanischen Bevölkerung geben, um in jedem Moment Sauerteig der Versöhnung, der Gerechtigkeit und des Friedens zu sein!

Ich bitte euch, allen meinen herzlichen Gruß und meine geistige Nähe zu übermitteln, vor allem den Bischöfen im Ruhestand, den Priestern, den Ständigen Diakonen, den religiösen Gemeinschaften, den Seminaristen und den Laien, und ihnen zu sagen, daß der Papst immer für sie betet und sie gleichzeitig dazu ermutigt, in der Heiligkeit zu wachsen, um Gott und den Mitmenschen ihr Bestes zu geben.

Unserer Lieben Frau von der Liebe von El Cobre (»Nuestra Señora de la Caridad del Cobre«) vertraue ich - während ihr euch darauf vorbereitet, die Vierhundertjahrfeier der Wiederentdeckung ihres verehrten Bildes zu feiern - euch und eure Anliegen an und bitte sie, euch zu beschützen und euch Kraft zu geben. Gleichzeitig erteile ich euch meinen besonderen Apostolischen Segen.

AN DIE TEILNEHMER DER VOLLVERSAMMLUNG DER PÄPSTLICHEN AKADEMIE DER SOZIALWISSENSCHAFTEN

Samstag, 3. Mai 2008


Liebe Brüder im Bischofs- und im Priesteramt,
sehr verehrte Damen und Herren!

Ich freue mich über diese Gelegenheit, Ihnen im Rahmen der 14. Vollversammlung der Päpstlichen Akademie der Sozialwissenschaften zu begegnen. In den letzten beiden Jahrzehnten hat die Akademie einen wertvollen Beitrag geleistet zur Vertiefung und Entwicklung der kirchlichen Soziallehre und zu ihrer Anwendung im Bereich des Rechts, der Wirtschaft, der Politik und der verschiedenen anderen Sozialwissenschaften. Ich danke Frau Professor Margaret Archer für ihre freundlichen Begrüßungsworte und spreche Ihnen allen meine aufrichtige Anerkennung aus für Ihren Einsatz in Forschung, Dialog und Lehre, damit das Evangelium Jesu Christi auch weiterhin Licht bringen möge in die komplexen Situationen einer Welt, die einem raschen Wandel unterworfen ist.

Durch die Wahl des Themas »Das Gemeinwohl anstreben: wie Solidarität und Subsidiarität zusammenwirken können« haben Sie sich entschlossen, die Zusammenhänge zwischen vier grundlegenden Prinzipien der katholischen Soziallehre zu untersuchen: zwischen der Würde der menschlichen Person, dem Gemeinwohl, der Subsidiarität und der Solidarität (vgl. Kompendium der Soziallehre der Kirche, 160-163). Diese entscheidenden Wirklichkeiten, die in der lebendigen Berührung zwischen dem Evangelium und den konkreten sozialen Gegebenheiten zum Vorschein kommen, bieten einen Rahmen, um die Notwendigkeiten, denen die Menschheit am Beginn des 21. Jahrhunderts gegenübersteht - wie die Verringerung der Ungleichheiten in der Güterverteilung, die Erweiterung der Bildungschancen, die Förderung nachhaltigen Wachstums und nachhaltiger Entwicklung und den Umweltschutz - zu untersuchen und ihnen zu begegnen.

76 Wie können Solidarität und Subsidiarität beim Streben nach dem Gemeinwohl so zusammenwirken, daß die Würde des Menschen nicht nur geachtet wird, sondern auch gedeihen kann? Das steht im Mittelpunkt Ihres Anliegens. Wie Ihre vorausgehenden Diskussionen bereits gezeigt haben, kann eine zufriedenstellende Antwort nur nach einer sorgfältigen Untersuchung der Bedeutung der Begriffe erfolgen (vgl. Kompendium der Soziallehre der Kirche, 4. Kapitel). Die »Würde des Menschen« ist der Wert, der einer Person innewohnt, die nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen und von Christus erlöst ist. Die Gesamtheit der sozialen Voraussetzungen, unter denen die Menschen zu ihrer gemeinschaftlichen und persönlichen Erfüllung gelangen können, ist als »Gemeinwohl« bekannt. Die »Solidarität« bezieht sich auf die Tugend, die die Menschheitsfamilie befähigt, den Schatz der materiellen und geistlichen Güter in Fülle miteinander zu teilen, und »Subsidiarität« ist eine Koordinierung des gesellschaftlichen Handelns, die das innere Leben der Ortsgemeinschaften unterstützt.

Dennoch sind Definitionen erst der Anfang, und diese Definitionen werden auch nur dann angemessen erfaßt, wenn sie organisch miteinander verbunden sind und man sieht, daß sie einander gegenseitig unterstützen. Wir können die gegenseitige Verbundenheit dieser vier Prinzipien miteinander zunächst umreißen, indem wir die Würde der Person an den Kreuzungspunkt zweier Achsen stellen: einer horizontalen, die für »Solidarität« und »Subsidiarität« steht, und einer vertikalen, die für das »Gemeinwohl« steht. So entsteht ein Feld, auf dem wir die verschiedenen Punkte der katholischen Soziallehre einzeichnen können, die dem Gemeinwohl Gestalt verleihen.

Obgleich dieser graphische Vergleich uns ansatzweise ein Bild davon verschafft, wie diese grundlegenden Prinzipien einander bedingen und notwendigerweise miteinander verflochten sind, so wissen wir doch, daß die Wirklichkeit sehr viel komplexer ist. Die unergründlichen Tiefen der menschlichen Person und die wunderbare Fähigkeit der Menschheit zur geistlichen Gemeinschaft - Wirklichkeiten, die nur durch göttliche Offenbarung vollkommen enthüllt werden - übersteigen nämlich bei weitem die Möglichkeiten einer schematischen Darstellung. Die Solidarität, die die Menschheitsfamilie zusammenhält, und die subsidiären Ebenen, die sie von innen heraus festigen, müssen stets in den Horizont des geheimnisvollen Lebens des dreieinigen Gottes hineingestellt werden (vgl.
Jn 5,26 Jn 6,57), in dem wir die gemeinsame grenzenlose Liebe gleicher, aber dennoch voneinander unterschiedener Personen wahrnehmen (vgl. Summa Theologiae I, q. 42).

Meine Freunde, ich lade Sie ein zuzulassen, daß Ihre Überlegungen von dieser grundlegenden Wahrheit durchdrungen werden: nicht nur in dem Sinne, daß die Prinzipien der Solidarität und der Subsidiarität durch unseren Glauben an die Dreifaltigkeit zweifellos bereichert werden, sondern insbesondere in dem Sinne, daß diese Prinzipien das Potential besitzen, Männer und Frauen auf den Weg zur Entdeckung ihrer endgültigen, übernatürlichen Bestimmung zu bringen. Die natürliche menschliche Neigung zu einem gemeinschaftlichen Leben wird bestätigt und verwandelt durch die »Einheit des Geistes«, die Gott seinen Söhnen und Töchtern geschenkt hat (Ep 4,3 1P 3,8). Infolgedessen ist die Verantwortung der Christen, sich für Frieden und Gerechtigkeit einzusetzen, und ihre unwiderrufliche Verpflichtung, das Gemeinwohl aufzubauen, untrennbar verbunden mit ihrer Sendung, das Geschenk des ewigen Leben zu verkündigen, zu dem Gott jeden Mann und jede Frau berufen hat. In diesem Zusammenhang bezieht sich die »tranquillitas ordinis«, von der der hl. Augustinus spricht, auf »alle Dinge«: das heißt sowohl auf den »Frieden im Staat«, der eine »geordnete Eintracht der Bürger« ist, als auch auf den »Frieden des himmlischen Staates«, der »vollkommen geordneten und einträchtigen Gemeinschaft des Gottgenießens und des wechselseitigen Genießens in Gott« (De Civitate Dei, XIX, 13).

Mit den Augen des Glaubens können wir sehen, daß der himmlische und der irdische Staat einander durchdringen und ihrer Natur nach aufeinander hingeordnet sind, da beide Gott, dem Vater, gehören, der »über allem und durch alles und in allem ist« (Ep 4,6). Gleichzeitig macht der Glaube die rechtmäßige Autonomie weltlicher Angelegenheiten deutlicher sichtbar, da sie »ihren festen Eigenstand, ihre eigene Wahrheit, ihre eigene Gutheit sowie ihre Eigengesetzlichkeit und ihre eigenen Ordnungen« haben (Gaudium et spes, 36). Seien Sie daher versichert, daß Ihre Diskussionen allen Menschen guten Willens dienen werden. Gleichzeitig werden sie die Christen anspornen, ihre Verpflichtung, die Solidarität gegenüber ihren Mitbürgern und zwischen diesen zu fördern, bereitwilliger zu übernehmen und nach dem Subsidiaritätsprinzip zu handeln, indem sie das Familienleben, Verbände und Privatinitiativen unterstützen, ebenso wie eine öffentliche Ordnung, die das gesunde Funktionieren der fundamentalsten Gemeinwesen der Gesellschaft erleichtert (vgl. Kompendium der Soziallehre der Kirche, 187).

Wenn wir die Prinzipien der Solidarität und Subsidiarität im Licht des Evangeliums untersuchen, dann bemerken wir, daß sie nicht nur »horizontal« sind: Beide besitzen eine wesentliche vertikale Dimension. Jesus trägt uns auf, anderen das zu tun, was wir von ihnen erwarten (vgl. Lc 6,31), unseren Nächsten zu lieben wie uns selbst (vgl. Mt 22,39). Diese Gesetze wurden vom Schöpfer in das Wesen des Menschen selbst eingeschrieben (vgl. Deus caritas est ). Jesus lehrt, daß diese Liebe uns auffordert, unser Leben für das Wohl anderer hinzugeben (vgl. Jn 15,12-13). In diesem Sinne kommt echte Solidarität - obgleich sie damit beginnt, daß man dem Nächsten den »gleichen« Wert zuerkennt - nur dann zur Erfüllung, wenn ich bereitwillig mein Leben in den Dienst des Nächsten stelle (vgl. Ep 6,21). Hierin liegt die »vertikale« Dimension der Solidarität: Ich werde dazu bewegt, mich selbst gegenüber dem Nächsten »geringer« zu machen, um seinen Bedürfnissen zu dienen (vgl. Jn 13,14-15), so wie Jesus »sich erniedrigte«, um die Männer und Frauen teilhaben zu lassen an seinem göttlichen Leben mit dem Vater und dem Heiligen Geist (vgl. Ph 2,8 Mt 23,12).

Ebenso offenbart die Subsidiarität - da sie Männer und Frauen ermutigt, aus freiem Willen in eine lebensspendende Beziehung zu denjenigen zu treten, mit denen sie am engsten verbunden sind und von denen sie unmittelbar abhängen, und da sie von den höheren Obrigkeiten die Achtung dieser Beziehungen verlangt - eine »vertikale« Dimension, indem sie auf den Schöpfer der sozialen Ordnung verweist (vgl. Rm 12,16 Rm 12,18). Eine Gesellschaft, die das Prinzip der Subsidiarität in Ehren hält, befreit die Menschen vom Gefühl der Mutlosigkeit und der Hoffnungslosigkeit und gewährt ihnen die Freiheit zum Umgang miteinander im wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Bereich (vgl. Quadragesimo anno, 80). Wenn diejenigen, die für das öffentliche Wohl verantwortlich sind, mit dem natürlichen menschlichen Verlangen nach Selbstbestimmung auf der Grundlage der Subsidiarität in Einklang stehen, dann lassen sie Raum für persönliche Verantwortung und Eigeninitiative, vor allem aber lassen sie Raum für die Liebe (vgl. Rm 13,8 Deus caritas est ), die stets der Weg bleibt, »der alles übersteigt« (vgl. 1Co 12,31).

Indem er die Liebe des Vaters offenbart hat, hat Jesus uns nicht nur gelehrt, wie wir hier auf Erden als Brüder und Schwestern leben können; er hat uns gezeigt, daß er selbst der Weg zur vollkommenen Gemeinschaft miteinander und mit Gott in der kommenden Welt ist, denn durch ihn »haben wir in dem einen Geist Zugang zum Vater« (vgl. Ep 2,18). In Ihrem Bestreben, Wege zu finden, auf denen Männer und Frauen das Gemeinwohl am besten fördern können, ermutige ich Sie, sowohl die »vertikale« als auch die »horizontale« Dimension der Solidarität und Subsidiarität zu untersuchen. Auf diese Weise werden Sie wirksamere Wege vorschlagen können, um die mannigfachen Probleme zu lösen, die die Menschheit an der Schwelle des dritten Jahrtausends belasten, und geben gleichzeitig Zeugnis vom Primat der Liebe, die die Gerechtigkeit übersteigt und zur Erfüllung bringt und die Menschheit in das Leben Gottes hineinzieht (vgl. Botschaft zur Feier des Weltfriedenstages 2004; in O.R. dt., Nr. 52/53, 24.12.2004, S. 10).

Mit diesen Empfindungen versichere ich Sie meines Gebets, und ich erteile Ihnen und Ihren Angehörigen von Herzen meinen Apostolischen Segen als Unterpfand des Friedens und der Freude im auferstandenen Herrn.



ANSPRACHE 2008 Januar 2008 71