ANSPRACHE 2008 Januar 2008 131

ÖKUMENISCHES TREFFEN

Krypta der Saint Mary's Cathedral, Sydney

Freitag, 18. Juli 2008



132 Liebe Brüder und Schwestern in Christus,

von Herzen danke ich Gott für diese Gelegenheit, Sie zu treffen und mit Ihnen allen zu beten, die Sie in Vertretung der verschiedenen christlichen Gemeinschaften in Australien hierher gekommen sind. Dankbar für die Worte des Willkommens von Bischof Forsyth und Kardinal Pell, grüße ich Sie mit Freude im Namen unseres Herrn Jesus, des „Ecksteins“ des „Hauses Gottes“ (vgl.
Ep 2,19-20). Einen besonderen Gruß sende ich von hier aus an Kardinal Edward Cassidy, den früheren Präsidenten des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, der aus gesundheitlichen Gründen heute nicht unter uns sein kann. Mit Dankbarkeit erinnere ich mich an seinen entschiedenen Einsatz, das gegenseitige Verständnis unter allen Christen zu fördern, und ich lade Sie alle ein, sich mit mir im Gebet für seine baldige Genesung zu vereinen.

Australien ist ein von großer ethnischer und religiöser Verschiedenheit gekennzeichnetes Land. Einwanderer erreichen die Küsten dieses herrlichen Landes in der Hoffnung, Glück und Arbeitsmöglichkeiten zu finden. Ihr Land ist auch eine Nation, die die Bedeutung der Religionsfreiheit anerkennt. Diese ist ein Grundrecht, das, wenn es geachtet wird, allen Bürgern erlaubt, auf der Grundlage von Werten zu handeln, die in ihren innersten Überzeugungen wurzeln, und so zum Wohl der Gesellschaft beizutragen. Auf diese Weise arbeiten Christen zusammen mit den Mitgliedern anderer Religionen an der Förderung der menschlichen Würde und an der Gemeinschaft unter allen Nationen mit.

Die Australier schätzen herzliche und offene Diskussionen. Das hat der ökumenischen Bewegung gute Dienste geleistet. Ein Beispiel könnte das 2004 von den Mitgliedern des Nationalen Rates der Kirchen in Australien unterzeichnete Abkommen sein. Dieses Dokument anerkennt den gemeinsamen Einsatz, legt Ziele dar und führt Punkte der Übereinstimmung an, ohne dabei die Unterschiede zu vertuschen. Ein solcher Ansatz zeigt nicht nur die Möglichkeit, konkrete Beschlüsse für eine fruchtbare Zusammenarbeit in der Gegenwart zu fassen, sondern auch die Notwenigkeit, die geduldige Diskussion über unterschiedliche theologische Standpunkte weiterzuführen. Ihre fortlaufenden Beratungen im Rat der Kirchen und in anderen lokalen Foren mögen auf dem schon Erreichten aufbauen.

Dieses Jahr feiern wir den zweitausendsten Jahrestag der Geburt des heiligen Paulus, eines unermüdlichen Arbeiters für die Einheit in der frühen Kirche. In der Schriftstelle, die wir soeben gehört haben, erinnert uns Paulus an die übergroße Gnade, die wir empfangen haben, indem wir durch die Taufe zu Gliedern des Leibes Christi wurden. Dieses Sakrament, die Eingangstür in die Kirche und das „Band der Einheit“ für alle, die durch es wiedergeboren sind (vgl. Unitatis redintegratio UR 22), ist folglich der Ausgangspunkt für die ganze ökumenische Bewegung. Doch ist es nicht das letzte Ziel. Der Weg der Ökumene weist letztlich in die Richtung einer gemeinsamen Feier der Eucharistie (vgl. Ut unum sint UUS 23-24 UUS 45), die Christus seinen Aposteln als das Sakrament der Einheit der Kirche par excellence anvertraut hat. Obwohl es noch Hindernisse gibt, die überwunden werden müssen, können wir sicher sein, daß eine gemeinsame Eucharistie eines Tages nur unser Bemühen stärken wird, einander zu lieben und zu dienen in Nachahmung unseres Herrn: Denn Jesu Gebot „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ (Lc 22,19) ist in sich hingeordnet auf seine Ermahnung „einander die Füße zu waschen“ (Jn 13,14). Aus diesem Grund wird ein ehrlicher Dialog hinsichtlich des Ranges der Eucharistie - angeregt von einem erneuerten und sorgfältigen Studium der Heiligen Schrift, der patristischen Schriften und der Dokumente aus den zwei Jahrtausenden der christlichen Geschichte (vgl. Ut unum sint UUS 69-70) - zweifelsohne helfen, die ökumenische Bewegung voranzubringen und unser Zeugnis vor der Welt zu vereinigen.

Liebe Freunde in Christus, ich denke, Sie werden zustimmen, daß die ökumenische Bewegung an einem kritischen Punkt angelangt ist. Um vorwärtszukommen müssen wir Gott beständig bitten, unser Denken mit Hilfe des Heiligen Geistes zu erneuern (vgl. Rm 12,2), der durch die Schrift zu uns spricht und uns in die ganze Wahrheit führt (vgl. 2P 1,20-21 Jn 16,13). Wir müssen uns vor jeder Versuchung in acht nehmen, die Lehre als trennend zu sehen und daher als Hindernis für die scheinbar dringlichere und unmittelbarere Aufgabe, die Welt, in der wir leben, zu verbessern. In der Tat zeigt die Geschichte der Kirche, daß die Praxis nicht nur untrennbar von der Didache oder Lehre ist, sondern eigentlich daraus hervorgeht. Je stärker wir uns um ein tieferes Verständnis der göttlichen Geheimnisse bemühen, um so beredter werden unsere Werke der Nächstenliebe von Gottes unendlicher Güte und Liebe zu allen sprechen. Der heilige Augustinus brachte die Verbindung zwischen der Gabe der Erkenntnis und der Tugend der Nächstenliebe zum Ausdruck, als er schrieb, daß der Geist durch die Liebe zu Gott zurückkehrt (vgl. De moribus Ecclesiae catholicae, XII, 21) und daß, wo immer man Nächstenliebe sieht, man die Dreifaltigkeit sieht (vgl. De Trinitate, VIII, 8,12).

Aus diesem Grund schreitet der ökumenische Dialog nicht nur durch einen Austausch von Ideen voran, sondern im Teilen von Gaben, die uns gegenseitig bereichern (vgl. Ut unum sint UUS 28 UUS 57). Eine „Idee“ zielt auf Wahrheit, eine „Gabe“ drückt Liebe aus. Beide sind wesentlich für den Dialog. Uns selbst zu öffnen, um von anderen Christen geistliche Gaben zu empfangen, regt unsere Fähigkeit an, das Licht der Wahrheit, die vom Heiligen Geist kommt, zu erkennen. Der heilige Paulus lehrt, daß wir in der koinonia der Kirche Zugang zur Wahrheit des Evangeliums haben und die Mittel, sie zu schützen, denn die Kirche ist „auf das Fundament der Apostel und der Propheten gebaut“ mit Jesus selbst als Eckstein (Ep 2,20).

In diesem Licht könnten wir vielleicht die sich ergänzenden biblischen Bilder vom „Tempel“ und vom „Leib“ betrachten, die zur Beschreibung der Kirche gebraucht werden. Mit der Verwendung des Bildes vom Leib (vgl. 1Co 12,12-31) lenkt Paulus die Aufmerksamkeit auf die organische Einheit und Verschiedenheit, die es der Kirche erlaubt zu atmen und zu wachsen. Doch ebenso bedeutend ist das Bild von einem festen, gut strukturierten Tempel, der aus lebendigen Steinen auf sicherem Grund aufgebaut ist. Jesus selbst bringt diese Bilder vom „Tempel“ und vom „Leib“ in vollkommener Einheit zusammen (vgl. Jn 2,21-22 Lc 23,45 Ap 21,22).

Jedes Element der Struktur der Kirche ist wichtig, doch alle würden ins Wanken geraten und einstürzen ohne den Eckstein, der Christus ist. Als „Mitbürger“ und „Hausgenossen Gottes“ müssen die Christen zusammenarbeiten, um sicherzustellen, daß der Bau fest steht, so daß andere angezogen werden, einzutreten und die reichen Schätze der Gnade in seinem Inneren zu entdecken. Wenn wir christliche Werte fördern, dürfen wir es nicht unterlassen, ihre Quelle zu verkünden, indem wir ein gemeinsames Zeugnis von Jesus Christus, dem Herrn, geben. Er ist es, der die Apostel beauftragte, er ist es, den die Propheten verkündigten, und er ist es, den wir der Welt anbieten.

Liebe Freunde, Ihre Anwesenheit erfüllt mich mit der brennenden Hoffnung, daß wir, während wir miteinander den Weg zur vollen Einheit gehen, den Mut haben, ein gemeinsames Zeugnis von Christus zu geben. Paulus spricht von der Bedeutung der Propheten in der frühen Kirche; auch wir haben durch unsere Taufe eine prophetische Berufung empfangen. Ich vertraue darauf, daß der Geist unsere Augen öffnen wird, um die Gaben der anderen zu sehen, unsere Herzen, um seine Kraft zu empfangen, und unseren Verstand, um das Licht der Wahrheit Christi wahrzunehmen. Ihnen allen sage ich innigen Dank für die Zeit, das Wissen und die Fähigkeiten, die Sie um des „einen Leibes und einen Geistes“ willen (vgl. Ep 4,4 1Co 12,13) eingesetzt haben, den der Herr für sein Volk wollte und für den er sein eigenes Leben hingab. Ihm sei alle Ehre und Macht in alle Ewigkeit. Amen.


BEGEGNUNG MIT DEN VERTRETERN ANDERER RELIGIONEN

"Chapter Hall" der Saint Mary's Cathedral, Sydney

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Freitag, 18. Juli 2008



Liebe Freunde!

An Sie alle, die Sie hier als Vertreter verschiedener religiöser Traditionen in Australien zusammengekommen sind, richte ich einen herzlichen Gruß des Friedens und des Wohlwollens. In Freude über diese Begegnung danke ich Rabbi Jeremy Lawrence und Scheich Mohamadu Saleem für ihren Willkommensgruß, den sie in ihrem eigenen Namen sowie im Namen ihrer jeweiligen Religionsgemeinschaft ausgesprochen haben.

Australien ist bekannt für die Liebenswürdigkeit seines Volkes gegenüber Nachbarn und Gästen. Es ist eine Nation, in der die Religionsfreiheit einen hohen Stellenwert hat. Euer Land anerkennt, daß die Achtung dieses Grundrechts den Menschen den Freiraum gibt, Gott gemäß ihrem Gewissen zu verehren, ihren Geist zu nähren und nach den ethischen Überzeugungen zu handeln, die aus ihrem Glauben hervorgehen.

Eine harmonische Beziehung zwischen Religion und öffentlichem Leben ist um so wichtiger in einer Zeit, in der manche zur Ansicht gelangt sind, die Religion sei eher eine Ursache der Spaltung als eine einheitsstiftende Kraft. In einer Welt, die von heimtückischen und wahllosen Formen der Gewalt bedroht ist, fordern gläubige Menschen die Nationen und Gemeinschaften mit vereinter Stimme dringend dazu auf, Konflikte mit friedlichen Mitteln und unter voller Achtung der Menschenwürde zu lösen. Eine der vielen Weisen, wie die Religion im Dienst der Menschheit steht, besteht im Anbieten einer Sicht des Menschen, die das uns angeborene Streben hervorhebt, großherzig zu leben und Bande der Freundschaft mit unseren Mitmenschen zu knüpfen. In ihrem Kern können menschliche Beziehungen nicht mit Begriffen der Macht, der Herrschaft und des Eigeninteresses erklärt werden. Sie bezeugen und vervollkommnen vielmehr die natürliche Neigung des Menschen, in Gemeinschaft und in Einklang mit anderen zu leben.

Der im Herzen des Menschen verwurzelte religiöse Sinn öffnet Männer und Frauen auf Gott hin und führt sie zur Erkenntnis, daß die persönliche Erfüllung nicht in der egoistischen Befriedigung kurzlebiger Wünsche besteht. Er führt uns vielmehr dazu, die Bedürfnisse der anderen zu stillen und nach konkreten Wegen zu suchen, wie wir zum Gemeinwohl beitragen können. Die Religionen spielen diesbezüglich eine besondere Rolle, denn sie lehren die Menschen, daß echter Dienst Opfer und Selbstbeherrschung verlangt, die ihrerseits durch Selbstverleugnung, Mäßigung und einen bescheidenen Umgang mit den Gütern dieser Welt gepflegt werden müssen. Das führt Männer und Frauen dazu, die Umwelt als ein Wunderwerk zu betrachten, das geschätzt und bewahrt werden soll, und nicht als einen Gebrauchsgegenstand, der einfach konsumiert werden kann. Den gläubigen Menschen kommt es zu aufzuzeigen, daß es möglich ist, in einem einfachen und bescheidenen Leben Freude zu finden und dabei den eigenen Überfluß mit jenen zu teilen, die Mangel leiden.

Liebe Freunde, gewiß sind Sie wie ich der Überzeugung, daß diese Werte für eine angemessene Formung der jungen Menschen, die so oft der Versuchung ausgesetzt sind, das Leben selber als ein Konsumgut zu betrachten, besonders wichtig sind. Auch sie sind fähig zur Selbstbeherrschung: Im Sport, im künstlerischen Schaffen und im Studium nehmen sie diese bereitwillig als Herausforderung an. Stimmt es nicht, daß sich viele junge Menschen angesichts hoher Ideale zu einem asketisch fordernden Lebensstil und zur Übung moralischer Tugenden in Achtung vor sich selbst und in der Sorge für andere hingezogen fühlen? Sie haben Freude daran, die Gabe der Schöpfung zu betrachten, und das Geheimnis des Transzendenten läßt sie nicht los. In diesem Sinne könnten sowohl Bekenntnisschulen als auch öffentliche Schulen noch mehr dazu beitragen, die geistliche Dimension eines jeden jungen Menschen zu fördern. In Australien war die Religion wie auch anderswo ein Beweggrund für die Entstehung vieler Bildungseinrichtungen, und sie hat zu Recht auch heute einen Platz in den schulischen Lehrplänen inne. Die Bildung ist häufig Thema der Beratungen der Interfaith Cooperation for Peace and Harmonie, und ich ermutige die Teilnehmer an dieser Initiative herzlich, die Gespräche über die Werte, die zu den intellektuellen, menschlichen und religiösen Dimensionen einer soliden Bildung gehören, fortzusetzen.

Die Religionen der Welt lenken die Aufmerksamkeit beständig auf das Wundersame der menschlichen Existenz. Wer staunt nicht angesichts der Kraft des Verstandes, die Geheimnisse der Natur durch wissenschaftliche Entdeckungen zu erfassen? Wer bleibt ungerührt angesichts der Möglichkeit, eine Zukunftsvision zu entwickeln? Wer ist nicht von der Kraft des menschlichen Geistes beeindruckt, sich Ziele zu setzen und Wege zu finden, diese zu erreichen? Männern und Frauen ist nicht nur die Fähigkeit gegeben, sich vorzustellen, wie die Dinge besser sein könnten, sondern ihre Energien dafür einzusetzen, sie zu verbessern. Wir sind uns unserer einzigartigen Beziehung zum Reich der Natur bewußt. Wenn wir also glauben, daß wir den Gesetzen des materiellen Universums nicht in derselben Weise unterworfen sind wie die restliche Schöpfung, sollten wir dann nicht Güte, Mitleid, Freiheit, Solidarität und die Achtung vor jedem einzelnen zu einem wesentlichen Teil unserer Vision von einer menschlicheren Zukunft machen?

Indem uns die Religion jedoch an die menschliche Begrenztheit und Schwäche erinnert, legt sie uns auch nahe, unsere letzte Hoffnung nicht auf diese vergängliche Welt zu setzen. „Der Mensch gleicht einem Hauch, seine Tage sind wie ein flüchtiger Schatten“ (Ps 144,4[143],4). Wir alle haben die Enttäuschung erlebt, hinter dem Gut, das wir vollbringen wollten, zurückzubleiben, und die Schwierigkeit erfahren, in komplexen Situationen die richtige Entscheidung zu treffen.

Die Kirche teilt diese Beobachtungen mit anderen Religionen. Aus Liebe nimmt sie den Dialog auf und glaubt dabei, daß die wahre Quelle der Freiheit in der Person von Jesus von Nazareth zu finden ist. Die Christen glauben, daß er das menschliche Potential der Tugend und der Güte voll erschließt und daß er von Sünde und Finsternis befreit. Die Universalität der menschlichen Erfahrung, die alle geographischen und kulturellen Grenzen überschreitet, ermöglicht es den Anhängern verschiedener Religionen, miteinander in Dialog zu treten, um sich mit dem Geheimnis der Freuden und Leiden des Lebens auseinanderzusetzen. In diesem Sinne sucht die Kirche eifrig nach Möglichkeiten, auf die geistliche Erfahrung anderer Religionen zu hören. Wir könnten sagen, daß alle Religionen darauf abzielen, den tiefen Sinn der menschlichen Existenz zu durchdringen, indem sie diese mit einem Ursprung oder Prinzip verknüpfen, das außerhalb von ihr liegt. Religionen bieten einen Versuch, den Kosmos als etwas zu verstehen, das aus diesem Ursprung oder Prinzip hervorgeht und zu ihm zurückkehrt. Christen glauben, daß Gott diesen Ursprung und dieses Prinzip in Jesus offenbart hat, von dem die Bibel als das „Alpha und Omega“ (vgl. Ap 1,8 Ap 22,1) spricht.

Meine lieben Freunde, ich bin als Botschafter des Friedens nach Australien gekommen. Daher schätze ich mich glücklich, Sie zu treffen, die Sie sowohl diese Sehnsucht als auch den Wunsch teilen, der Welt zu helfen den Frieden zu erlangen. Unsere Suche nach Frieden geht Hand in Hand mit unserer Suche nach Sinn, denn in der Entdeckung der Wahrheit finden wir den sicheren Weg zum Frieden (vgl. Botschaft zum Weltfriedenstag 2006). Unser Streben, die Versöhnung zwischen den Völkern herbeizuführen, entspringt jener Wahrheit, die dem Leben Sinn gibt, und führt zu ihr hin. Die Religion schenkt Frieden, aber noch wichtiger, sie weckt im menschlichen Geist einen Durst nach Wahrheit und einen Hunger nach Tugend. Ermutigen wir alle - besonders die Jugendlichen -, die Schönheit des Lebens zu bestaunen, seinen letzten Sinn zu suchen und danach zu streben, sein überaus großes Potential zu verwirklichen!

134 Mit diesen Worten der Wertschätzung und der Ermutigung vertraue ich Sie der Vorsehung des Allmächtigen Gottes an und versichere Sie meiner Gebete für Sie und Ihre Lieben, für die Mitglieder Ihrer Gemeinschaften und alle Bürger Australiens.


BEGEGNUNG MIT DEN JUGENDLICHEN IN DARLINGHURST

Freitag, 18. Juli 2008



Liebe junge Freunde,

ich freue mich, heute bei Euch in Darlinghurst zu sein, und begrüße herzlich alle, die am Programm „Alive“ teilnehmen, wie auch das Personal, das es durchführt. Ich bete, daß Ihr alle aus der Unterstützung, welche die Social Services Agency der Erzdiözese Sydney bietet, Nutzen zieht, und daß die gute Arbeit, die hier getan wird, sich weit in die Zukunft hinein fortsetzt.

Der Name des Programms, dem Ihr folgt, veranlaßt uns zu der Frage: Was bedeutet es eigentlich, zu „leben“, das Leben in Fülle zu leben? Das ist es, was wir alle wollen, besonders in der Jugend, und es ist das, was Christus für uns will. Er sagte nämlich: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Jn 10,10). Der fundamentalste Instinkt von allem, was lebt, ist der, am Leben zu bleiben, zu wachsen, zu blühen und das Geschenk des Lebens anderen weiterzugeben. So ist es ganz natürlich, daß wir uns fragen sollten, wie wir das am besten verwirklichen können.

Für die Menschen des Alten Testaments war diese Frage genauso dringend wie für uns heute. Zweifellos hörten sie aufmerksam zu, als Mose zu ihnen sagte: „Leben und Tod lege ich dir vor, Segen und Fluch. Wähle also das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen. Liebe den Herrn, deinen Gott, hör auf seine Stimme und halte dich an ihm fest; denn er ist dein Leben“ (Dt 30,19-20). Es war klar, was sie zu tun hatten: Sie mußten sich von anderen Göttern abwenden und den wahren Gott anbeten, der sich dem Mose offenbart hatte - und sie mußten seinen Geboten gehorchen. Ihr mögt vielleicht denken, daß die Menschen in der heutigen Welt wohl kaum anfangen, andere Götter anzubeten. Doch manchmal beten die Menschen „andere Götter“ an, ohne es zu merken. Falsche „Götter“, welchen Namen, welche Gestalt oder Form auch immer wir ihnen geben, sind fast immer mit der Anbetung von drei Dingen verbunden: materieller Besitz, possessive Liebe oder Macht. Laßt mich erklären, was ich meine.

Materieller Besitz ist in sich selbst gut. Ohne Geld, Kleidung und eine Unterkunft würden wir nicht lange überleben. Wir müssen essen, um am Leben zu bleiben. Doch wenn wir gierig sind, wenn wir uns weigern, das, was wir haben, mit den Hungernden und den Armen zu teilen, dann machen wir unseren Besitz zu einem falschen Gott. Wie viele Stimmen in unserer materialistischen Gesellschaft sagen uns, daß das Glück darin zu finden ist, so viel Besitz und Luxusartikel zu erwerben, wie wir können! Das aber bedeutet, den Besitz zu einem falschen Gott zu machen. Anstatt Leben zu bringen, bringt er Tod.

Echte Liebe ist offensichtlich etwas Gutes. Ohne sie wäre das Leben kaum lebenswert. Sie erfüllt unsere tiefsten Bedürfnisse, und wenn wir lieben, dann werden wir im vollsten Sinne wir selbst, in vollstem Sinne menschlich. Doch wie leicht kann die Liebe zu einem falschen Gott gemacht werden! Oft meinen die Menschen zu lieben, wenn sie in Wirklichkeit den anderen besitzen und manipulieren wollen. Manchmal behandeln sie andere als Objekte zur Befriedigung der eigenen Bedürfnisse und nicht als Personen, die geliebt und in Ehren gehalten werden müssen. Wie leicht kann man sich täuschen lassen von den vielen Stimmen in unserer Gesellschaft, die eine permissive Einstellung zur Sexualität befürworten, ohne Rücksicht auf Anstand, Selbstachtung oder moralische Werte, die den menschlichen Beziehungen ihre Qualität verleihen! Das ist Anbetung eines falschen Gottes. Anstatt Leben zu bringen, bringt es Tod.

Die Macht, die Gott uns gegeben hat, um die Welt um uns herum zu gestalten, ist offensichtlich etwas Gutes. Wenn sie in angemessener Weise und verantwortlich gebraucht wird, macht sie uns fähig, das Leben der Menschen zu verändern. Jede Gemeinschaft braucht gute Leiter. Doch wie groß kann die Versuchung sein, nach der Macht um ihrer selbst willen zu greifen, zu versuchen, andere zu beherrschen oder die natürliche Umwelt für egoistische Zwecke auszubeuten! Das bedeutet, Macht zu einem falschen Gott zu machen. Anstatt Leben zu bringen, bringt es Tod.

Der Kult des materiellen Besitzes, der Kult possessiver Liebe und der Kult der Macht verleiten die Menschen oft dazu, „Gott spielen“ zu wollen: zu versuchen, eine totale Kontrolle auszuüben, ohne Rücksicht auf die Weisheit oder die Gebote, die Gott uns bekannt gemacht hat. Das ist der Weg, der zum Tod führt. Im Gegensatz dazu bedeutet Anbetung des einen wahren Gottes, in ihm die Quelle alles Guten zu erkennen, uns ihm anzuvertrauen, uns der heilenden Kraft seiner Gnade zu öffnen und seinen Geboten zu gehorchen: Das ist der Weg, das Leben zu wählen.

Eine lebendige Schilderung dessen, was es bedeutet, vom Weg des Todes auf den des Lebens zurückzukehren, findet sich in einer Evangelienerzählung, die Ihr - wie ich sicher annehme - alle kennt: Es ist das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Als jener junge Mann zu Beginn der Geschichte das Haus seines Vaters verließ, suchte er die illusorischen Vergnügen, die die falschen „Götter“ versprechen. Er verschleuderte sein Erbe in einem ausschweifenden Leben und endete in bitterster Armut und in Elend. Als er, hungrig und verkommen, den absoluten Tiefpunkt erreicht hatte, erkannte er, wie töricht er gewesen war, seinen liebevollen Vater zu verlassen. Demütig kehrte er zurück und bat um Vergebung. Voll Freude umarmte ihn sein Vater und rief: „Mein Sohn war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden“ (Lc 15,24).

135 Viele von Euch haben wahrscheinlich persönlich erfahren, was jener junge Mann durchgemacht hat. Vielleicht habt Ihr Entscheidungen getroffen, die Ihr jetzt bereut, Entscheidungen, die Euch einen Weg geführt haben, der, so anziehend er damals erschien, Euch nur tiefer in Elend und Verlassenheit führte. Die Entscheidung, Drogen und Alkohol zu mißbrauchen, sich auf kriminelle oder selbstzerstörerische Aktivitäten einzulassen, mag damals als ein Weg erschienen sein, der einen Ausweg aus einer schwierigen oder verworrenen Situation bot. Jetzt wißt Ihr, daß das nicht Leben, sondern Tod bringt. Ich möchte Euren Mut anerkennen, daß Ihr Euch entschlossen habt, genauso wie der junge Mann im Gleichnis auf den Weg des Lebens zurückzukehren. Ihr habt Hilfe angenommen - von Freunden oder von der Familie, von dem Personal, das das „Alive“-Programm durchführt: von Menschen, die zutiefst um Euer Wohlergehen und Euer Glück bemüht sind.

Liebe Freunde, ich sehe Euch als Botschafter der Hoffnung für andere in ähnlichen Situationen an. Ihr könnt sie von der Notwendigkeit überzeugen, den Weg des Lebens zu wählen und den Weg des Todes zu meiden, denn Ihr sprecht aus Erfahrung. In allen Evangelien waren es diejenigen, die auf Abwege geraten waren, denen Jesus besondere Liebe entgegenbrachte, denn wenn sie erst einmal ihren Fehler eingestanden hatten, waren sie um so offener für seine heilende Botschaft. Tatsächlich wurde Jesus oft von selbstgerechten Gliedern der Gesellschaft kritisiert, daß er so viel Zeit mit solchen Leuten verbrachte. „Wie kann euer Meister zusammen mit Zöllnern und Sündern essen?“, fragten sie. Und er antwortete: „Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken … Ich bin nicht gekommen, um die Gerechten zu rufen, sondern die Sünder“ (vgl.
Mt 9,11-13). Diejenigen, die willig waren, ihr Leben umzugestalten, waren am meisten bereit, auf Jesus zu hören und seine Jünger zu werden. Ihr könnt in ihre Fußstapfen treten, auch Ihr könnt Jesus besonders nahe kommen, gerade weil Ihr Euch entschlossen habt, zu ihm umzukehren. Ihr könnt sicher sein, daß Jesus, genau so wie der Vater in der Erzählung vom verlorenen Sohn, Euch mit offenen Armen empfängt. Er bietet Euch bedingungslose Liebe an - und in der liebenden Freundschaft mit ihm findet man die Fülle des Lebens.

Ich sagte schon, daß wir, wenn wir lieben, unser tiefstes Bedürfnis erfüllen und im vollsten Sinne wir selbst, im vollsten Sinne menschlich werden. Lieben ist das, worauf wir programmiert sind, wozu wir von unserem Schöpfer bestimmt sind. Natürlich spreche ich nicht von flüchtigen, oberflächlichen Beziehungen, ich spreche von wirklicher Liebe, dem eigentlichen Herzen von Jesu Morallehre: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft“ und „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (vgl. Mc 12,30-31). Das ist, wenn Ihr wollt, das Programm, das in jedem Menschen „fest installiert“ ist, wenn wir nur die Weisheit und den Großmut besäßen, danach zu leben, wenn wir nur bereit wären, unsere eigenen Vorlieben preiszugeben, um den anderen zu Diensten zu sein, unser Leben für das Wohl der anderen und vor allem für Jesus hinzugeben, der uns geliebt hat und sein Leben für uns hingegeben hat. Das ist es, wozu die Menschen berufen sind, das bedeutet, wirklich zu leben.

Liebe junge Freunde, meine Botschaft an Euch ist heute dieselbe, die Mose vor so vielen Jahren verkündete. „Wählt das Leben, damit Ihr und Eure Nachkommen in der Liebe des Herrn, Eures Gottes leben könnt.“ Laßt Euch von seinem Geist auf den Weg des Lebens leiten, so daß Ihr seinen Geboten gehorcht, seinen Lehren folgt, die Abwege, die nur zum Tod führen, hinter Euch laßt und Euch für eine lebenslange Freundschaft mit Jesus Christus engagiert. In der Kraft des Heiligen Geistes wählt das Leben und wählt die Liebe und bezeugt vor der Welt die Freude, die das mit sich bringt. Das erbitte ich im Gebet für einen jeden von Euch an diesem Weltjugendtag. Gott segne Euch alle.


VIGIL MIT DEN JUGENDLICHEN

Pferderennbahn Randwick

Samstag, 19. Juli 2008



Liebe junge Freunde,

an diesem Abend haben wir wieder einmal die große Verheißung Christi gehört - „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird“ -, und wir haben seinen Befehl vernommen - „ihr sollt meine Zeugen sein … bis an die Grenzen der Erde“ (Ac 1,8). Das waren die allerletzten Worte, die Jesus vor seiner Auffahrt in den Himmel sprach. Was die Apostel empfanden, als sie sie hörten, können wir nur erahnen. Doch wir wissen, daß ihre tiefe Liebe zu Jesus und ihr Vertrauen in sein Wort sie veranlaßten, sich zu versammeln und zu warten; nicht ziellos zu warten, sondern gemeinsam, im Obergemach im Gebet vereint mit den Frauen und Maria (vgl. Ac 1,14). Heute abend tun wir dasselbe. Versammelt vor unserem Kreuz, das so viel gereist ist, vor der Marienikone und unter dem wunderbaren Sternbild des Kreuzes des Südens beten wir. Ich bete heute abend für Euch und für die jungen Menschen in der ganzen Welt. Laßt Euch vom Beispiel Eurer Patrone inspirieren! Nehmt die siebenfältigen Gaben des Heiligen Geistes in Euer Herz und Euren Geist auf! Erkennt die Kraft des Heiligen Geistes in Eurem Leben und glaubt an sie!

Vorgestern haben wir über die Einheit und die Harmonie von Gottes Schöpfung gesprochen und über unseren Ort in ihr. Wir haben uns daran erinnert, wie wir, die wir nach Gottes Abbild ihm ähnlich geschaffen sind, durch das große Geschenk der Taufe wiedergeboren wurden und Gottes Adoptivkinder, eine neue Schöpfung wurden. Als Kinder des Lichtes Christi - symbolisiert durch die angezündeten Kerzen, die Ihr jetzt in Händen haltet - legen wir also vor unserer Welt Zeugnis ab für jenes strahlende Licht, das durch keine Finsternis überwältigt werden kann (vgl. Jn 1,5).

Heute abend richten wir unsere Aufmerksamkeit darauf, wie man zum Zeugen wird. Wir müssen die Person des Heiligen Geistes und seine lebensspendende Gegenwart in unserem Leben verstehen. Das ist nicht leicht zu begreifen. Tatsächlich offenbart die Vielfalt der auf den Geist bezogenen Bilder, die sich in der Schrift finden - Wind, Feuer, Hauch -, unsere Mühe, unser Verständnis von ihm in Worte zu fassen. Wir wissen aber, daß es der Heilige Geist ist, der - obschon still und unsichtbar - unserem Zeugnis für Jesus Christus Richtung und Klarheit verleiht.

Ihr seid Euch bereits durchaus bewußt, daß unser christliches Zeugnis vor eine Welt getragen wird, die in vieler Hinsicht fragil ist. Die Einheit von Gottes Schöpfung ist durch Wunden geschwächt, die besonders tief gehen, wenn gesellschaftliche Beziehungen auseinanderbrechen oder wenn der menschliche Geist gleichsam aufgerieben wird durch Ausbeutung und Mißbrauch von Menschen. Tatsächlich erlebt die Gesellschaft heute eine Zersplitterung durch eine Denkweise, die in sich kurzsichtig ist, weil sie den Gesamt-Horizont der Wahrheit außer acht läßt - die Wahrheit über Gott und über uns. Der Relativismus ist von Natur aus nicht imstande, das Bild in seiner Ganzheit zu sehen. Er ignoriert genau jene Prinzipien, die uns befähigen, in Einheit, Ordnung und Harmonie zu leben und uns zu entwickeln.

136 Was ist unsere Antwort, die wir als christliche Zeugen einer geteilten, zersplitterten Welt geben können? Wie können wir jenen „Stationen“ des Konflikts, des Leidens und der Spannungen, die Ihr für Euren Weg mit diesem Weltjugendtagskreuz gewählt habt, die Hoffnung auf Frieden, Heilung und Harmonie geben? Einheit und Versöhnung können nicht durch unsere Anstrengungen allein erreicht werden. Gott hat uns füreinander geschaffen (vgl. Gn 2,24), und nur in Gott und seiner Kirche können wir die Einheit finden, die wir suchen. Doch angesichts der - sowohl individuellen als auch institutionellen - Unvollkommenheiten und Enttäuschungen sind wir manchmal versucht, künstlich eine „perfekte“ Gemeinschaft zu konstruieren. Diese Versuchung ist nicht neu. Die Geschichte der Kirche enthält viele Beispiele von Versuchen, die menschlichen Schwächen oder Versagen zu umgehen oder sich über sie hinwegzusetzen, um eine vollkommene Einheit, eine geistige Utopie zu schaffen.

In Wirklichkeit untergraben solche Versuche die Einheit, die sie konstruieren wollen! Den Heiligen Geist von dem in den institutionellen Strukturen der Kirche gegenwärtigen Christus zu trennen, würde die Einheit der christlichen Gemeinschaft, die ja gerade ein Geschenk des Heiligen Geistes ist, gefährden! Es würde das Wesen der Kirche als lebendiger Tempel des Heiligen Geistes (vgl. 1Co 3,16) verraten. Tatsächlich ist es der Geist, der die Kirche in alle Wahrheit einführt und sie in Gemeinschaft und Dienstleistung eint (vgl. Lumen gentium LG 4). Leider besteht die Versuchung zum „Alleingang“ fort. Einige charakterisieren heute ihre lokale Gemeinschaft als etwas, das von der sogenannten institutionellen Kirche getrennt ist, und bezeichnen erstere als flexibel und offen für den Geist, letztere hingegen als steif und ohne den Geist.

Einheit gehört zum Wesen der Kirche (vgl. Katechismus der Katholischen Kirche CEC 811); sie ist eine Gabe, die wir anerkennen und in Ehren halten müssen. Laßt uns heute abend um die Entschlossenheit beten, die Einheit zu fördern: Tragt Ihr dazu bei! Widersteht der Versuchung, wegzugehen! Denn die Allseitigkeit, der Weitblick unseres Glaubens - fest und doch offen, gleichbleibend und doch dynamisch, wahr und doch ständig wachsend in der Einsicht - gerade das ist es, was wir unserer Welt zu bieten haben. Liebe junge Freunde, war es nicht wegen Eures Glaubens, daß Freunde in Schwierigkeiten oder auf der Suche nach Sinn in ihrem Leben sich an Euch gewendet haben? Seid wachsam! Horcht auf! Könnt Ihr durch die Disharmonie und die Uneinigkeit unserer Welt hindurch den einmütigen Ruf der Menschheit vernehmen? Von dem verlassenen Kind in einem Lager in Darfur oder einem innerlich aufgewühlten Teenager, von angstvollen Eltern in irgendeinem Vorstadtviertel oder vielleicht sogar jetzt aus der Tiefe Eures eigenen Herzens - von überall her steigt derselbe Ruf des Menschen nach Anerkennung, nach Zugehörigkeit, nach Einheit auf. Wer befriedigt diese wesentliche menschliche Sehnsucht, eins zu sein, eingeschlossen in eine Gemeinschaft, aufgebaut und zur Wahrheit geleitet zu werden? Der Heilige Geist! Das ist die Rolle des Geistes: Christi Werk zur Vollendung zu führen. Bereichert durch die Gaben des Geistes, werdet Ihr die Kraft haben, über das Stückwerk, die leere Utopie, das Vergängliche hinauszugehen und die Beständigkeit und Sicherheit des christlichen Zeugnisses anzubieten!

Freunde, wenn wir das Credo beten, bekennen wir: „Ich glaube an den Heiligen Geist, der Herr ist und lebendig macht.“ Der „Schöpfer Geist“ ist die Kraft Gottes, die aller Schöpfung Leben gibt, und die Quelle neuen und überreichen Lebens in Christus. Der Geist erhält die Kirche in der Einheit mit dem Herrn und in der Treue zur apostolischen Überlieferung. Er inspirierte die Heilige Schrift, und er führt das Volk Gottes in die ganze Wahrheit (vgl. Jn 16,13). Auf all diese Weisen ist der Geist der „Lebensspender“, der uns in das Herz Gottes selbst führt. Je mehr wir also dem Geist erlauben, uns zu leiten, desto vollkommener werden wir Christus gleichgestaltet werden, um so tiefer werden wir in das Leben des Dreieinen Gottes eindringen.

Diese Teilhabe an der Natur Gottes (vgl. 2P 1,4) vollzieht sich im Ablauf der alltäglichen Dinge unseres Lebens, in denen er immer gegenwärtig ist (vgl. Bar Ba 3,38). Es gibt jedoch Zeiten, in denen wir versucht sein könnten, eine gewisse Erfüllung abseits von Gott zu suchen. Jesus selber fragte die Zwölf: „Wollt auch ihr weggehen?“ Ein solches Abdriften mag vielleicht die Illusion von Freiheit bieten. Doch wohin führt es? Zu wem sollten wir gehen? Denn in unserem Herzen wissen wir, daß es der Herr ist, der „Worte des ewigen Lebens“ hat (Jn 6,67-68). Sich von ihm abzuwenden, ist nur ein vergeblicher Versuch, uns selbst davonzulaufen (vgl. Augustinus, Confessiones VIII,7). Gott ist mit uns in der Realität des Lebens, nicht in der Phantasie! Wir suchen, die Wirklichkeit zu ergreifen, nicht zu fliehen! Darum lenkt der Heilige Geist uns sanft, aber sicher zurück zu dem, was real, fortdauernd und wahr ist. Der Geist ist es, der uns zurückführt in die Gemeinschaft der Heiligen Dreifaltigkeit!

In gewisser Weise ist der Heilige Geist die vernachlässigte Person in der Trinität gewesen. Ein klares Verständnis des Geistes scheint fast außerhalb unserer Reichweite zu liegen. Als ich ein kleiner Junge war, lehrten mich meine Eltern - wie Eure auch - das Kreuzzeichen. Und so kam ich bald zu der Einsicht, daß es einen Gott in drei Personen gibt und daß die Dreifaltigkeit das Zentrum unseres christlichen Glaubens und Lebens ist. Während ich zu einem gewissen Verständnis von Gott Vater und Gott Sohn heranwuchs - die Namen sagten mit bereits viel -, blieb mein Verständnis der dritten Person in der Trinität unvollständig. Als junger Priester, der Theologie lehrte, entschied ich mich darum, die herausragenden Zeugen über den Geist in der Kirchengeschichte zu studieren. Auf diesem Weg geschah es, daß ich mich unter anderem in die Lektüre des großen heiligen Augustinus vertiefte.

Augustins Verstehen des Heiligen Geistes vollzog sich schrittweise; es war ein inneres Ringen. Als junger Mann war er dem Manichäismus gefolgt - einem dieser vorhin erwähnten Versuche, eine geistige Utopie zu schaffen durch die radikale Trennung der Realitäten des Geistes von den Dingen des Fleisches. Daher war er zuerst skeptisch gegenüber der christlichen Lehre, daß Gott Mensch geworden ist. Doch die Erfahrung der in der Kirche gegenwärtigen Liebe Gottes brachte ihn dazu, deren Quelle im Leben des Dreieinen Gottes zu suchen. Das führte ihn zu drei besonderen Einsichten über den Heiligen Geist als das Band der Einheit innerhalb der Heiligen Dreifaltigkeit: Einheit als Gemeinschaft, Einheit als bleibende Liebe und Einheit als Geben und Gabe. Diese drei Einsichten sind nicht einfach nur theoretischer Art. Sie helfen zu erklären, wie der Geist wirkt. In einer Welt, in der sowohl einzelne Menschen als auch Gemeinschaften oft an einem Mangel an Einheit oder Zusammenhalt leiden, sind uns diese Einsichten hilfreich, um in Einklang mit dem Geist zu bleiben und den Aufgabenbereich unseres Zeugnisses auszudehnen und abzuklären.

So wollen wir also mit der Hilfe von Augustinus etwas vom Werk des Heiligen Geistes beschreiben. Er bemerkte, daß sich die beiden Begriffe „Heilig“ und „Geist“ auf das Göttliche in Gott beziehen; mit anderen Worten: auf das, was der Vater und der Sohn gemeinsam haben - auf ihre Communio. Wenn also das charakteristische Merkmal des Heiligen Geistes darin besteht, daß er das ist, was der Vater und der Sohn gemeinsam haben, dann - so folgerte Augustinus - ist die besondere Eigenschaft des Geistes die Einheit. Es ist eine Einheit aus gelebter Gemeinschaft: eine Einheit von Personen in einer Beziehung ständigen Gebens, in der der Vater und der Sohn sich einander schenken. Ich denke, wir beginnen zu ahnen, wie aufschlußreich diese Erkenntnis über den Heiligen Geist als Einheit, als Gemeinschaft ist. Eine wahre Einheit könnte nie auf Beziehungen gegründet sein, die anderen Menschen die gleiche Würde absprechen. Ebenso wenig ist Einheit bloß die Gesamtsumme der Gruppen, durch die wir bisweilen uns selbst zu „definieren“ suchen. In der Tat, nur im Leben eines echten Mit- und Füreinanders wird Einheit bewahrt und menschliche Identität ganz verwirklicht: Wir erkennen das gemeinsame Bedürfnis nach Gott, wir antworten auf die einende Gegenwart des Heiligen Geistes, und wir schenken uns selbst einander im Dienst.

Die zweite Einsicht des heiligen Augustinus - der Heilige Geist als bleibende Liebe - ist das Ergebnis seines Studiums des Ersten Johannesbriefes. Johannes sagt uns, daß „Gott die Liebe ist“ (vgl. 1Jn 4,16). Augustinus geht davon aus, daß diese Worte, obwohl sie sich auf die Trinität als ganze beziehen, eine besondere Eigenschaft des Heiligen Geistes zum Ausdruck bringen. In seinem Nachsinnen über das Wesen der Liebe als etwas Bleibendes - „wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm“ (ebd.) - fragt er sich: Ist es die Liebe oder der Heilige Geist, der die Dauerhaftigkeit garantiert? Und er kommt zu folgendem Schluß: „Der Heilige Geist läßt uns in Gott bleiben und Gott in uns; doch die Liebe ist es, die dies bewirkt. So ist der Geist also Gott als Liebe!“ (De Trinitate, 15,17,31). Das ist eine wundervolle Erklärung: Gott teilt sich selbst mit als Liebe im Heiligen Geist. Welche weitere Erkenntnis können wir aus dieser Einsicht gewinnen? Liebe ist das Zeichen für die Gegenwart des Heiligen Geistes! Ideen oder Aussagen, denen es an Liebe mangelt, können - selbst wenn sie differenziert oder sachkundig erscheinen - nicht „vom Geist“ stammen. Außerdem hat die Liebe eine besondere Eigenschaft: weit entfernt davon, nachgiebig oder unbeständig zu sein, hat sei eine Aufgabe oder einen Zweck zu erfüllen: fortzudauern. Liebe ist ihrem Wesen nach etwas Bleibendes. Und wieder, liebe Freunde, bekommen wir einen weiteren Einblick, wie viel der Heilige Geist unserer Welt bietet: Liebe, die Ungewißheit vertreibt; Liebe, die Furcht vor Verrat überwindet; Liebe, die Ewigkeit in sich trägt; die wahre Liebe, die uns in die Einheit hineinzieht, die bleibt!

Die dritte Einsicht - der Heilige Geist als Gabe - leitete Augustinus aus der Meditation eines Evangelienabschnittes, den wir alle kennen und lieben, ab: Christi Gespräch mit der Samariterin am Brunnen. Hier offenbart Jesus sich selbst als den Geber des lebendigen Wassers (vgl. Jn 4,10), das später als der Heilige Geist erklärt wird (vgl. Jn 7,39 1Co 12,13). Der Geist ist die „Gabe Gottes“ (Jn 4,10) - die innere Quelle (vgl. Jn 4,14), die wahrhaftig unseren tiefsten Durst stillt und uns zum Vater führt. Aus dieser Beobachtung zieht Augustinus den Schluß, daß der Gott, der uns sich selbst als Gabe mitteilt, der Heilige Geist ist (vgl. De Trinitate, 15,18,32). Liebe Freunde, wieder tun wir einen Blick in das Wirken der Trinität.: Der Heilige Geist ist Gott, der ewiglich sich selbst schenkt; wie eine nie versiegende Quelle gießt er nichts Geringeres aus als sich selbst. Angesichts dieser unaufhörlichen Gabe gehen uns die Augen auf für die Begrenztheiten alles Vergänglichen, für die Torheit der Konsum-Mentalität. Wir beginnen zu verstehen, warum die Suche nach dem Neuen uns unbefriedigt und sehnsuchtsvoll bleiben läßt. Schauen wir nicht nach einer ewigen Gabe aus? Nach der Quelle, die nie versiegen wird? Laßt uns mit der Samariterin ausrufen: Gib mir dieses Wasser, damit ich keinen Durst mehr haben muß! (vgl. Jn 4,15).

Liebe junge Freunde, wir haben gesehen, daß es der Heilige Geist ist, der die wunderbare Gemeinschaft der Gläubigen in Chrisus zustande bringt. Getreu seinem Wesen als Geber und Gabe zugleich, ist er auch jetzt durch Euch am Werk. Inspiriert durch die Einsichten des heiligen Augustinus, laßt die einende Liebe Euer Maßstab sein; die bleibende Liebe Eure Herausforderung; die sich selbst verschenkende Liebe Euer Auftrag!

137 Morgen wird ebendiese Gabe des Geistes unseren Firmkandidaten feierlich gespendet werden. Ich werde beten: „Gib Ihnen den Geist der Weisheit und der Einsicht, den Geist des Rates und der Stärke, den Geist der Erkenntnis und der Frömmigkeit … und erfülle sie mit dem Geist der Gottesfurcht.“ Diese Gaben des Geistes - von denen jede, wie der heilige Franz von Sales uns erinnert, ein Weg zur Teilhabe an der einen Liebe Gottes ist - sind weder Belohnungen noch Auszeichnungen. Sie werden frei geschenkt (vgl. 1Co 12,11). Und sie verlangen vom Empfänger nur eine einzige Antwort: „Ich nehme sie an!“ Hier spüren wir etwas vom tiefen Geheimnis des Christseins. Was unseren Glauben ausmacht, ist nicht in erster Linie das, was wir tun, sondern das, was wir empfangen. Schließlich mögen viele großherzige Menschen, die nicht Christen sind, durchaus viel mehr leisten als wir. Freunde, akzeptiert Ihr, in Gottes trinitarisches Leben hineingezogen zu werden? Akzeptiert Ihr, in seine Gemeinschaft der Liebe hineingezogen zu werden?

Die Geistesgaben, die in uns wirken, geben unserem Zeugnis Richtung und Klarheit. Auf Einheit ausgerichtet, binden uns die Gaben des Geistes enger an den ganzen Leib Christi (vgl. Lumen gentium LG 11) und rüsten uns besser aus für den Aufbau der Kirche, damit wir der Welt dienen können (vgl. Ep 4,13). Sie rufen uns zu einer aktiven und frohen Teilnahme am Leben der Kirche: in Pfarreien und kirchlichen Bewegungen, im Religionsunterricht in den Schulen, in der Universitätsseelsorge und in anderen katholischen Organisationen. Ja, die Kirche muß wachsen in der Einheit, muß gestärkt werden in Heiligkeit, muß verjüngt werden, muß ständig erneuert werden (vgl. Lumen gentium LG 4). Aber nach welchen Kriterien? Nach denen des Heiligen Geistes! Wendet Euch an ihn, liebe junge Freunde, und Ihr werdet die wahre Bedeutung von Erneuerung finden.

Heute abend, unter der Schönheit des nächtlichen Himmelszeltes, sind unsere Herzen und Gedanken erfüllt von Dankbarkeit gegenüber Gott für das große Geschenk unseres trinitarischen Glaubens. Wir erinnern uns an unsere Eltern und Großeltern, die uns in unserer Kindheit bei unseren ersten Schritten auf unserer Pilgerreise des Glaubens begleitet haben. Nun habt Ihr Euch viele Jahre danach als junge Erwachsene mit dem Nachfolger Petri versammelt. Es erfüllt mich mit tiefer Freude, daß ich jetzt bei Euch bin. Laßt uns den Heiligen Geist anrufen: Er ist der Vollbringer der Werke Gottes (vgl. Katechismus der Katholischen Kirche CEC 731). Laßt Euch von seinen Gaben formen! Ebenso wie die Kirche, die mit der ganzen Menschheit auf der gleichen Reise unterwegs ist, seid auch Ihr gerufen, die Gaben des Geistes inmitten der Aufs und Abs Eures Alltagslebens zur Geltung zu bringen. Laßt Euren Glauben reifen in Studium, Arbeit, Sport, Musik und Kunst. Laßt ihn Unterstützung finden durch das Gebet und Nahrung durch die Sakramente und so Quelle der Inspiration und Hilfe für die Menschen in Eurer Umgebung sein. Und schließlich, das Leben dreht sich nicht um das Anhäufen von Gütern. Es ist weit mehr als Erfolg. Wirklich leben bedeutet, von innen her verwandelt zu werden, offen zu sein für die Energie der Liebe Gottes. Wenn Ihr die Kraft des Heiligen Geistes annehmt, könnt auch Ihr Eure Familien Gemeinschaften und Nationen verwandeln. Setzt die Gaben frei! Laßt Weisheit, Stärke, Gottesfurcht und Frömmigkeit die Zeichen Eurer Größe sein!

(Es folgen Grüße in verschiedenen Sprachen)

Und nun, während wir uns auf die Anbetung des Allerheiligsten Sakraments vorbereiten, möchte ich Euch in das Schweigen und in die Erwartung hinein die Worte wiederholen, welche die selige Mary MacKillop formulierte, als sie gerade 26 Jahre alt war: „Glaubt an das Flüstern, mit dem Gott zu Eurem Herzen spricht!“ Glaubt an ihn! Glaubt an die Kraft des Geistes der Liebe!



ANSPRACHE 2008 Januar 2008 131