ANSPRACHE 2008 Januar 2008 145

VERLEIHUNG DER EHRENBÜRGERSCHAFT VON BRIXEN AN PAPST BENEDIKT XVI.

WORTE DES HL. VATERS

Samstag, 9. August 2008



Exzellenz,
Herr Landeshauptmann,
Herr Bürgermeister,
verehrte Gemeinderäte,
146 verehrte Damen und Herren, liebe Freunde!

Die Ehre, die mir die Gemeinde Brixen durch die Verleihung der Ehrenbürgerschaft hat zuteil werden lassen, ist für mich eine große Freude, die ich mit herzlichem Dank aufnehme und die mich nun begleiten wird in die folgenden Zeiten meines Lebens hinein. Dadurch bin ich ja nun nicht nur sozusagen mit dem Herzen, sondern auch gleichsam juristisch in Brixen zu Hause und gehöre zu seiner Bürgerschaft. Selbst wenn ich nicht kommen kann, bin ich dann rechtlich irgendwie da. Daß ich auch mit dem Herzen oft da bin, brauche ich gar nicht eigens zu sagen. Ganz herzlichen Dank! Und herzlichen Dank auch dem Chor, der Ihre schönen Worte von Brixen und der Musik bestätigt und in Realität umgestaltet hat.

Wenn ich in vergangenen Zeiten vom Norden her über die Brennerstrasse nach Brixen gefahren bin, war es für mich immer ein bewegender Augenblick, wenn sich dann das Tal öffnete und die Türme von Brixen sichtbar wurden - diese Stadt, umgeben von Wein- und Obstgärten, eingebettet zwischen die Berge, voller Geschichte und Schönheit. Dann wußte ich: Hier ist gut sein! Dann wußte ich, ich habe den rechten Fleck gewählt und kann mit neuen Kräften zurückkehren in meine Aufgaben.

In Brixen habe ich, wie gesagt, weite Teile meiner Bücher geschrieben, habe ich ausgeatmet, habe ich Freundschaft gefunden; vor allem habe ich in Brixen dann auch Erinnerungen empfangen, die ich mit mir nehme. Und das ist das Schöne, daß ich in der Landschaft der Erinnerungen wandern kann und, wenn ich dann nach Rom zurückgekehrt bin, immer wieder die Wanderung in der Landschaft der Erinnerungen gerade durch Brixen machen werde und so wieder da sein und wieder aus- und aufatmen kann.

Brixen ist mir vor allen Dingen auch wichtig geworden - wie Sie, Herr Bürgermeister, es so schön und tief dargestellt haben - als ein Ort der Begegnungen, der Begegnungen der Kulturen: In den drei Sprachen - italienisch, deutsch, ladinisch - begegnen sich Kulturen, und Begegnung der Kulturen, die wir heute so sehr brauchen, hat in Brixen Geschichte. Wir wissen, daß sie nicht immer leicht ist, aber daß sie immer fruchtbar und beschenkend ist, daß sie allen hilft und uns alle reicher, offener und menschlicher werden läßt.

Bressanone è per me un luogo di incontri: incontro delle culture; incontro anche tra una sana laicità ed una gioiosa fede cattolica; incontro tra una grande storia e il presente e il futuro. E vediamo che questa storia, che qui realmente è presente e toccabile, non impedisce la formazione, il dinamismo, la vitalità del presente e del futuro, ma al contrario ispira e dinamizza. E poi è anche un incontro tra le radici cristiane e lo spirito della modernità, che solo insieme possono costruire una società realmente degna di questo nome, una società realmente umana.

Für mich ist Brixen in diesem Sinne auch ein europäisches Modell, eine wahrhaft europäische Stadt: Die christlichen Wurzeln, die Identität, die christliche Identität unserer Kultur ist da. Sie verschließt uns nicht, sondern im Gegenteil, sie macht uns offen für die anderen, schenkt uns die Gemeinsamkeit der Begegnung und gibt uns die Maßstäbe und die Werte, aus denen heraus wir leben können.

Mein herzlicher Dank gilt Ihnen allen, und vor allen Dingen wünsche ich Ihnen allen Gottes Segen. Der Herr möge weiterhin diese schöne Stadt beschützen und ihr helfen, eine große und schöne und menschliche Zukunft zu bauen. Herzlichen Dank!



AN EINE DELEGATION DES "BAYERISCHEN RUNDFUNKS"

Castelgandolfo,

Donnerstag, 14. August 2008



Verehrter lieber Herr Mandlig,
verehrte Damen und Herren!

147 Dies war nicht einfach ein Film, sondern eine Pilgerschaft. Der Bayerische Rundfunk hat uns in die Pilgerschaft vieler Menschen zur Muttergottes mit hineingenommen: Es waren junge und alte, Männer und Frauen, alle Generationen, und die verschiedenen Facetten unseres Landes sind uns deutlich geworden. Aber das Gemeinsame war, daß sie alle auf dem Weg sind zu Maria und daß das Vertrauen zur Mutter des Herrn sie auf dem Weg hält und auf dem Weg führt.

Wir haben den Glauben der Menschen gespürt, und sie haben ihn bezeugt in der Einfachheit ihres Denkens und ihres Seins und gerade so mit der Glaubwürdigkeit dessen, der nicht etwas vormacht sondern der sich selber gibt. Und durch den Glauben hindurch haben wir Maria selbst gesehen, die Mutter des Herrn, und in ihr wiederum spiegelt sich die Güte Gottes selber.

Für dieses Geschenk danke ich Ihnen, lieber Herr Mandlig, all ihren Mitarbeitern und dem Bayrischen Rundfunk, und ich wünsche und hoffe, daß viele Menschen durch das Sehen dieses Films selbst in die Pilgerschaft zur Mutter und zum Herrn hineingenommen werden. Ich möchte aber auch nicht versäumen, den Oberaudorfern, die mich in München mit dem „Gott grüsse Dich" so wunderbar begrüßt haben, ein herzliches „Vergelt’s Gott" zu sagen dafür, daß sie sich auf den Weg zu uns gemacht und uns wiederum die Schönheit unserer bayrischen Volksmusik haben spüren lassen. Vergelt’s Gott!


VERLEIHUNG DER EHRENBÜRGERSCHAFT VON CASTELGANDOLFO AN MSGR. GEORG RATZINGER

WORTE VON BENEDIKT XVI.

"Sala degli Svizzeri", Apostolischer Palast von Castelgandolfo

Donnerstag, 21. August 2008



Eminenzen, Exzellenzen,
verehrte Autoritäten, liebe Freunde!

Es ist für mich Grund zu großer Freude, daß mein Bruder nun dem illustren Kreis der Ehrenbürger dieser schönen Stadt angehört. Dadurch wächst mir Castel Gandolfo noch mehr ans Herz. Auch ich möchte mich daher für diese Geste bedanken.

Seit den frühesten Zeiten meines Lebens ist mein Bruder für mich nicht nur stets ein Gefährte, sondern auch ein vertrauenswürdiger Wegweiser gewesen. Aufgrund der Klarheit und Entschlossenheit seiner Entscheidungen ist er für mich ein wichtiger Orientierungs- und Bezugspunkt. Er hat mir immer, auch in schwierigen Situationen gezeigt, welcher Weg einzuschlagen ist.

Herr Bürgermeister, Ihre freundlichen Worte haben mich an die Jahre zurückdenken lassen, die wir in Regensburg verbracht haben. Dort schenkte mir die schöne Musik, die wir Sonntag für Sonntag im Dom gehört haben, Trost und Stärkung, innere Freude und war für mich wie ein Widerschein der Schönheit Gottes.

Mein Bruder hat darauf hingewiesen, daß wir mittlerweile an der letzten Etappe unseres Lebens, im vorgerückten Alter, angelangt sind. Die Tage, die uns bleiben, werden nach und nach weniger. Doch auch auf dieser Etappe hilft mir mein Bruder, mit Gelassenheit, Demut und Mut die Last eines jeden Tages anzunehmen. Dafür danke ich ihm.

148 Danken möchte ich auch der Gemeinde Castel Gandolfo für diess Geste, die auch mich mit Freude erfüllt. Wir wollen nun diese schöne Feierstunde mit dem Segen beschließen.



KONZERT ZU EHREN DES HL. VATERS UND SEINES BRUDERS

WORTE VON BENEDIKT XVI.

"Sala degli Svizzeri", Apostolischer Palast von Castelgandolfo

Sonntag, 24. August 2008



Meine Herren Kardinäle,
verehrte Brüder im bischöflichen und im priesterlichen Dienst,
liebe Freunde!

Wir haben einen schönen Abend verbracht, an dem uns das Geschenk zuteil wurde, einige bekannte Musikstücke zu hören, die tiefe geistliche Emotionen und Eindrücke in uns geweckt haben. Mit Gefühlen aufrichtiger Herzlichkeit grüße ich Sie alle, die Sie hier versammelt sind, und bringe meine Dankbarkeit all jenen gegenüber zum Ausdruck, die dieses musikalische Ereignis gefördert und organisiert haben. Ich bin mir sicher, daß ich die gemeinsamen Gefühle aller zum Ausdruck bringe, wenn ich Fräulein Yvonne Timoianu und Herrn Christoph Cornaro meine dankbare und bewundernde Hochachtung für ihr großartiges Spiel am Violoncello und am Piano bekunde. Dank ihrer meisterlichen Ausführung konnten wir den vielfältigen Reichtum der musikalischen Sprache genießen, der die vorgetragenen Stücke auszeichnet. Gern erinnere ich daran, daß meine Bekanntschaft mit Herrn Cornaro auf die Zeit zurückgeht, als er Österreichs Botschafter beim Heiligen Stuhl war. Es freut mich sehr, ihm heute erneut als Pianist zu begegnen.

Dieses Konzert hat uns die Gelegenheit geboten, das glückliche Zusammenwirken der Dichtkunst Wilhelm Müllers mit der Musik Franz Schuberts in einem für ihn so wichtigen melodischen Genre zu betrachten. Denn über 600 Lieder hat uns Schubert hinterlassen: der große, von seinen Zeitgenossen nicht immer verstandene Komponist war bekanntlich der »Liederfürst«. Er ließ, wie seine Grabinschrift besagt, »die Dichtkunst erklingen und die Musik zur Sprache kommen«. Gerade konnten wir das Meisterwerk der Schubertschen Liedkunst hören: Die Winterreise. 24 Lieder, die nach den Gedichten von Wilhelm Müller komponiert sind, in denen Schubert eine dichte Atmosphäre trauriger Einsamkeit zum Ausdruck bringt, derer er angesichts seines durch eine lange Krankheit und die Aufeinanderfolge nicht weniger sentimentaler und beruflicher Enttäuschungen verursachten erschöpften Gemütszustandes besonders gewahr wurde. Es ist dies eine ganz nach Innen gehende Reise, die der berühmte österreichische Komponist im Jahr 1827 schrieb, nur ein Jahr vor seinem verfrühten Tod, der ihn im Alter von 31 Jahren ereilte.

Wenn Schubert einen dichterischen Text in sein Klanguniversum eintauchen läßt, interpretiert er ihn in einem melodischen Geflecht, das sanft in die Seele dringt und auch dessen Hörer dazu bringt, dasselbe innige Bedauern zu empfinden, das der Musiker wahrgenommen hatte, denselben Ruf jener Wahrheiten des Herzens, die jegliche Vernunft übersteigen. Es entsteht so ein Fresko, das von aufrichtiger Alltäglichkeit, Sehnsucht, Selbstbesinnung und Zukunft spricht. Alles tritt entlang des Weges an die Oberfläche: der Schnee, die Landschaft, die Gegenstände, die Menschen, die Ereignisse, in einem hinreißenden Fließen von Erinnerungen. Im besonderen war es für mich eine neue und schöne Erfahrung, dieses Werk in der soeben ausgeführten Version zu hören, das heißt mit dem Violoncello an Stelle der menschlichen Stimme. Wir hörten nicht die Worte des Gedichts, sondern deren Widerschein und die in ihnen enthaltenen Gefühle, welchen die fast menschliche Stimme des Violoncellos Ausdruck verlieh.

Als Schubert Die Winterreise seinen Freunden vorstellte, sagte er: »Ich werde euch einen Zyklus von Liedern singen, die mich mehr eingenommen haben, als mir dies je zuvor widerfahren ist. Sie gefallen mir mehr als alle anderen, und sie werden auch euch gefallen.« Dies sind Worte, denen auch wir zustimmen können, nachdem wir sie im Licht der Hoffnung unseres Glaubens gehört haben. Der junge Schubert war ein spontaner und überschwenglicher Mensch; ihm ist gelungen, auch uns an diesem Abend das zu vermitteln, was er erlebt und erfahren hat. Verdient ist somit die Anerkennung, die diesem berühmten Genie der Musik, das die europäische Zivilisation und die große Kultur und Spiritualität des christlichen und katholischen Österreichs ehrt, allseitig gezollt wird.

Innerlich gestärkt durch die wunderbare musikalische Erfahrung des heutigen Abends wollen wir erneut all jenen danken, die sie gefördert und so meisterhaft ausgeführt haben. Ich entbiete meinen herzlichen Gruß allen Anwesenden und erteile allen von Herzen meinen Segen.

WORTE VON BENEDIKT XVI. ANLÄSSLICH DER HL. MESSE MIT DEN MITGLIEDERN DES EHEMALIGEN "RATZINGER SCHÜLERKREISES" IN DER KAPELLE DES "CENTRO MARIAPOLI" IN CASTELGANDOLFO

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Sonntag, 31. August 2008



Liebe Brüder und Schwestern!

Der hl. Paulus sagt uns heute in der Lesung, daß wir der Erneuerung des Geistes bedürfen, damit wir den Willen Gottes erkennen können. Diese Erneuerung können wir nicht machen, wir können sie uns nicht selber geben, wir müssen erneuert werden. Diese Erneuerung ist Tod und Auferstehung. Sie kam nur geschehen in der Neuheit, die Gott selbst gewirkt hat, im Uns-Verlieren in Christus hinein, der uns in der heiligen Eucharistie an sich zieht und uns mit der Taufe in seinen Tod und seine Auferstehung hineingenommen hat. So wird von diesem Paulustext heute auch verständlich, was der Herr im Evangelium sagt, daß wir nur das Kreuz annehmen und ihm nachfolgen können. Dies ist keine kleinliche Aszese, sondern es ist von einer Neuheit die Rede, die wir nur empfangen können in der Gemeinschaft mit seinem Tod und seiner Auferstehung. Wir wollen zu Beginn dieser heiligen Messe den Herrn bitten, daß er all das Alte, das in uns ist, von uns nehme, daß er unsere alte Selbstverschlossenheit und Selbstzufriedenheit aufbreche, daß er uns neu mache.


September 2008


AN DIE BISCHÖFE AUS NICARAGUA ANLÄSSLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES

Samstag, 6. September 2008



Liebe Mitbrüder im bischöflichen Dienst!

Es ist mir eine große Freude, euch, die Hirten der Kirche in Nicaragua, alle gemeinsam im Rahmen eures Besuches »Ad limina Apostolorum« zu empfangen. Gleichzeitig gibt es mir Gelegenheit, meine Nähe zu euren apostolischen Sorgen sowie zu den Bestrebungen und Besorgnissen des nicaraguanischen Volkes, die ihr mir in diesen Tagen eingehend vor Augen geführt habt, zum Ausdruck zu bringen. Ich danke für die freundlichen Worte, die der Erzbischof von Managua und Vorsitzende der Bischofskonferenz, Leopoldo José Brenes Solórzano, in euer aller Namen an mich gerichtet hat. Er hat euren Wunsch aufgezeigt, die Bande der Einheit, der Liebe und des Friedens mit dem Nachfolger des Petrus immer mehr zu festigen (vgl. Lumen gentium LG 22), ebenso wie die Gemeinschaft unter euch, in der »apostolischen Aufgabe … als Zeugen Christi vor allen Menschen« (Christus Dominus CD 11).

Ich kenne eure Bemühungen, die Botschaft des Evangeliums in alle Lebensbereiche Nicaraguas einzubringen, verbunden mit der selbstlosen Mitarbeit eurer Priester und der in Nicaragua anwesenden Ordensinstitute. Oft erhaltet ihr auch wertvolle Hilfe von den Katecheten und den für die Verkündigung des Wortes Beauftragten. Durch sie kann an abgelegenen Orten, wo die ständige Anwesenheit eines Priesters zur Leitung der Gemeinde praktisch unmöglich ist, das Geschenk des Glaubens in den Kindern wachsen und die verschiedenen Lebensabschnitte erleuchten. Die Kirche verdankt diesen Menschen viel. Sie verkünden die Frohbotschaft und die christliche Lehre mit brüderlichem Geist, von Angesicht zu Angesicht, Tag für Tag und aus eigenem Munde - wie es einer Botschaft entspricht, die man tief in seinem Innern trägt und die in denen, die sie empfangen, zu neuem Leben werden soll. Diese großherzigen Diener und Mitarbeiter am Evangelisierungsauftrag der Kirche müssen daher unbedingt von ihren Hirten ermutigt werden; sie müssen auf religiösem Gebiet eine tiefgehende Ausbildung erhalten und sich stets weiterbilden und tadellose Treue zur Lehre der Kirche wahren. Sie müssen auf ganz besondere Weise vorzügliche »Jünger« sein und von »authentischen Lehrern« lernen, die mit der Autorität Christi lehren (vgl. Lumen gentium LG 25). Sie müssen in ihren Zuhörern das Verlangen nach dem Meister und seinen Dienern wecken - nach jenen Dienern, die den Meister durch die Sakramente und ganz besonders in der Eucharistie wahrhaft gegenwärtig machen, um auf diese Weise eine wahre und vollständige christliche Gemeinschaft zu bilden, die um den Herrn herum versammelt ist, unter dem Vorsitz eines seiner Priester (vgl. Sacramentum caritatis, 75). Die Notwendigkeit eines geistlich, intellektuell und menschlich gut ausgebildeten Klerus hat euch vor kurzem veranlaßt, die Situation der Seminare in eurem Land zu untersuchen, in der Hoffnung, dadurch den Seminaristen eurer Diözesen eine bessere Ausbildung bieten zu können. Diese ist stets notwendig und verlangt die Nähe und die sorgfältige Aufmerksamkeit eines jeden Bischofs. Die gewissenhafte Entscheidungsfindung der Kandidaten darf dabei jedoch nicht vernachlässigt werden, ebensowenig die strengen Anforderungen, die an sie gestellt werden müssen, damit aus ihnen vorbildliche Priester werden, voller Liebe zu Christus und zur Kirche. Auf diese Weise kann man neue Hoffnung schöpfen für eine angemessene Seelsorge in so wichtigen Bereichen wie der systematischen, einprägsamen und organisierten katechetischen Unterweisung von Kindern und Jugendlichen, für die ihr einen besonderen Firmkatechismus erstellt und das »Kindermissionswerk« gefördert habt. Es ist zu hoffen, daß auch die religiöse Betreuung in den Krankenhäusern, Strafanstalten und anderen Einrichtungen verbessert werden möge.

In diesem Zusammenhang darf man nie vergessen, daß das Samenkorn des Evangeliums in jeder Epoche, in jeder Generation immer wieder aufs neue gepflanzt werden muß, damit es kraftvoll gedeihen kann und seine Blüte nicht verwelkt. Auch die Volksfrömmigkeit, die in eurem Volk so tief verwurzelt ist und einen großen Reichtum darstellt, muß mehr sein als nur eine Tradition, die passiv übernommen wird. Sie muß ständig neu belebt werden durch eine Pastoralarbeit, die die Tiefe der Gesten und Zeichen in ihrem Glanz erstrahlen läßt, indem sie das unergründliche Geheimnis des Heils und der Hoffnung aufzeigt, auf das die Gesten und Zeichen hindeuten und an dem Gott uns teilhaben läßt. Sie muß den Verstand erleuchten, das Herz erfüllen und das ganze Leben einbeziehen. Eine der großen Herausforderungen, denen ihr gegenübersteht, ist die solide religiöse Ausbildung eurer Gläubigen. Ihr Verstand, ihr Leben und ihre Arbeit müssen tief vom Evangelium geprägt sein, damit sie durch ihr Zeugnis in den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft zum Sauerteig des Reiches Gottes werden und dazu beitragen, daß die zeitlichen Dinge die rechte Ordnung erhalten und sie der ganzen und einen Berufung des Menschen auf der Erde angepaßt werden (vgl. Apostolicam actuositatem AA 7).

Das ist besonders wichtig in einer Situation, in der zu Armut und Auswanderung eine ausgeprägte soziale Ungleichheit und eine politische Radikalisierung hinzukommen, besonders in den letzten Jahren. Ich sehe mit Freude, daß ihr als Hirten die Geschicke eures Volkes teilt und euch unter voller Achtung der Autonomie der öffentlichen Verwaltung bemüht, ein Klima des Dialogs und der Entspannung zu schaffen, ohne darauf zu verzichten, die Grundrechte des Menschen zu verteidigen, Ungerechtigkeiten anzuprangern und ein Verständnis von Politik zu fördern, bei dem es nicht um das Streben nach Macht und Kontrolle geht, sondern um den großherzigen und demütigen Dienst am Gemeinwohl. Ich ermutige euch auf diesem Weg und fordere euch gleichzeitig auf, die vielen Initiativen der Nächstenliebe und der Solidarität mit den Ärmsten, die es in euren Kirchen gibt, zu fördern und zu unterstützen, damit die Hilfe für die notleidenden Familien und der großherzige Geist vieler Laien, die sich - manchmal in anonymer Form - bemühen, den Ärmsten unter ihren Brüdern das tägliche Brot zu verschaffen, nie fehlen mögen.

In diesem ebenso wie in vielen anderen Bereichen darf die Dynamik, die Hingabe und die Kreativität der Ordensmänner und Ordensfrauen nicht vergessen werden. Sie stellen einen wahren Schatz für das kirchliche Leben in Nicaragua dar und sind Zeugen dafür, »daß einer, je mehr er aus Christus lebt, ihm um so besser in den anderen dienen kann, indem er bis in die vorderste Missionsfront vorstößt und größte Risiken auf sich nimmt« (Vita consecrata VC 76). Die Anerkennung durch die Hirten und die Ermutigung, ihrem Charisma und ihrer besonderen Sendung in der Kirche treu zu bleiben, darf ihnen niemals fehlen.

Besondere Erwähnung verdienen die Erziehungs- und Bildungseinrichtungen, insbesondere die katholischen Schulen, die von der Mehrheit der nicaraguanischen Schülerschaft besucht werden. Unter großen Schwierigkeiten und trotz mangelnder Unterstützung erfüllen sie eine wesentliche Sendung der Kirche und leisten der Gesellschaft einen unschätzbaren Dienst. Sehr lobenswert ist der Dienst der Erzieher und Lehrer, die sich, manchmal unter großen Opfern, einer ganzheitlichen Erziehung und Bildung widmen, die den jungen Menschen das Tor zu einer vielversprechenden Zukunft öffnet. Ein Land, das auf Entwicklung bedacht ist, und eine Kirche, die dynamischer sein möchte, müssen sich gezielt um die jungen Menschen kümmern und dürfen ihnen die Größe, die die transzendente und die religiöse Dimension für den Menschen besitzt, nicht verbergen. Ich fordere euch also auf, die Erzieher und Lehrer anzuspornen und euch dafür einzusetzen, daß die Rechte der Eltern, ihre Kinder ihren eigenen Überzeugungen und ihrem Glauben gemäß zu erziehen, gewahrt werden.

Zum Abschluß dieser Begegnung möchte ich noch einmal meinen Dank und meine Wertschätzung für eure eifrige Hirtentätigkeit zum Ausdruck bringen, die den missionarischen Geist in euren Teilkirchen stärker entfacht. Ich bitte euch, Herrn Kardinal Miguel Obando Bravo, den emeritierten Bischöfen, den Priestern und Seminaristen, den zahlreichen Ordensgemeinschaften und insbesondere den kontemplativen Ordensfrauen eures Landes, den Katecheten und allen, die euch helfen, das Evangelium in Nicaragua ohne Unterlaß zu verkünden, meinen Gruß zu überbringen. Ich vertraue eure Aufgabe der Jungfrau Maria, Unserer Lieben Frau von der Unbefleckten Empfängnis, an und erteile euch von Herzen den Apostolischen Segen.


PASTORALBESUCH IN CAGLIARI


BEGEGNUNG MIT DEN PRIESTERN, DEN SEMINARISTEN UND DEN MITGLIEDERN DER PÄPSTLICHEN THEOLOGISCHEN FAKULTÄT VON SARDINIEN IN DER KATHEDRALE VON CAGLIARI

Sonntag, 7. September 2008

150

Liebe Mitbrüder im priesterlichen Dienst,
liebe Seminaristen und Theologiestudenten,
liebe Brüder und Schwestern!

Ich habe noch das eindrucksvolle Bild der Eucharistiefeier von heute morgen vor der Basilika Unserer Lieben Frau von Bonaria vor Augen. Vor Maria, der höchsten Schutzherrin von ganz Sardinien, haben sich die Pfarrgemeinden der ganzen Region versammelt. Und jetzt habe ich die Freude, gleichsam als Fortsetzung dieser geistlichen Begegnung zu euch, liebe Priester, Seminaristen, Alumnen und Dozenten der Päpstlichen Theologischen Fakultät von Sardinien, in dieser Kathedrale zu sprechen, die der Jungfrau Maria geweiht ist. In diesem alten Gotteshaus, das im Laufe der Jahre durch die Sorge eifriger Hirten restauriert und verschönert worden ist, spricht alles vom Glauben: einem lebendigen Glauben, der durch die fromme Aufbewahrung der Reliquien der Märtyrer von Cagliari bezeugt wird, von denen ich gerne die heiligen Bischöfe Siridonius, Martinus, Ninfus, Ilarius, Fabricius und Juvenalis erwähne.

Herzlich danke ich von neuem Erzbischof Giuseppe Mani für das Grußwort, das er im Namen aller Bischöfe und der Priester aus Cagliari und aus der gesamten Region an mich gerichtet hat. Liebe Priester, wenn ich euch hier begegne, denke ich voll Liebe und Dankbarkeit an eure Mitbrüder, die auf der Insel arbeiten, auf einem Boden, der von denen, die euch vorausgegangen sind, mit apostolischem Eifer urbar gemacht und bebaut wurde. Ja, Sardinien hat Priester erlebt, die als wahre Glaubenslehrer wunderbare Zeichen der Treue zu Christus und zur Kirche hinterlassen haben. Dieser große Schatz an Glauben, Spiritualität und Kultur ist heute euch anvertraut und euren Händen übergeben, damit ihr wachsame und kluge Verwalter seid. Sorgt für ihn und bewahrt ihn mit Freude und Leidenschaft gemäß dem Evangelium!

Ich wende mich jetzt mit väterlicher Liebe der Gemeinschaft des Seminars und der Theologischen Fakultät zu, wo viele von euch ihre Bildung in der Glaubenslehre und Seelsorge erhalten konnten und wo sich jetzt mehrere junge Männer auf den zukünftigen priesterlichen Dienst vorbereiten. Es liegt mir am Herzen, den Lehrern und Professoren zu danken, die sich täglich einer so wichtigen apostolischen Tätigkeit widmen. Die Anwärter auf die priesterliche Sendung in ihrem Bildungsgang begleiten heißt, ihnen vor allem zu helfen, Christus ähnlich zu werden. Bei dieser Aufgabe seid ihr, liebe Lehrer und Erzieher, berufen, eine unersetzliche Rolle zu spielen, denn gerade in diesen Jahren werden die Grundlagen des zukünftigen Dienstes des Priesters gelegt. Und darum, so habe ich oftmals betont, ist es notwendig, die Seminaristen zu einer persönlichen Erfahrung Gottes durch das tägliche persönliche und gemeinschaftliche Gebet zu führen, aber vor allem durch die Eucharistie, die als Mitte des eigenen Daseins gefeiert und empfunden wird. In dem nachsynodalen Schreiben Pastores dabo vobis hat Johannes Paul II. geschrieben: »Wissenschaftliche Ausbildung und geistliches Leben, im besonderen das Gebetsleben, begegnen und stärken sich gegenseitig, ohne im geringsten der theologischen Forschung etwas von ihrem Ernst noch dem Gebet etwas von seiner spirituellen Würze zu nehmen« (
PDV 53).

Liebe Seminaristen und Alumnen der Theologischen Fakultät, ihr wißt, daß die theologische Ausbildung - das betonte mein verehrter Vorgänger auch in dem vorgenannten Apostolischen Schreiben - ein sehr schwieriges und kompliziertes Werk ist. Denn sie muß euch dazu anleiten, eine »vollständige und einheitliche« Vision der geoffenbarten Wahrheiten und ihrer Aufnahme im Glaubensleben der Kirche zu erlangen. Daraus erwächst der doppelte Anspruch, die Ganzheit der christlichen Wahrheiten zu kennen und diese Wahrheiten nicht als voneinander getrennte Wahrheiten zu erkennen, sondern in organischer Form zu erfassen als Einheit, als einzige Wahrheit des Glaubens an Gott. »Das erfordert, daß dem Alumnen dabei geholfen wird, eine Synthese vorzunehmen, die Frucht der Beiträge der verschiedenen theologischen Disziplinen sein soll, deren spezifische Eigenart erst in ihrer tieferen Zuordnung echten Wert gewinnt« (ebd., 54), die uns die Einheit der Wahrheit, die Einheit unseres Glaubens sehen läßt. In diesen Jahren soll euch auch jede Aktivität und Initiative darauf vorbereiten, an der Liebe Christi, des Guten Hirten, teilzuhaben. Ihr seid berufen, morgen seine Diener und Zeugen zu sein: Diener seiner Gnade und Zeugen seiner Liebe. Ihr dürft neben dem Studium und den pastoralen und apostolischen Erfahrungen, die ihr nutzen sollt, deshalb nicht vergessen, die ständige Suche nach einer inneren Gemeinschaft mit Christus an die erste Stelle zu setzen. Hier, nur hier liegt der Schlüssel eures wahren apostolischen Erfolges.

Liebe Priester, liebe Anwärter auf das Priesteramt und auf das geweihte Leben. Gott will, daß ihr ganz ihm gehört, und er beruft euch zu Arbeitern in seinem Weinberg, wie er es im Laufe der christlichen Geschichte eurer schönen Insel mit so vielen Männern und Frauen getan hat. Sie haben mit einem hochherzigen Ja seinen Ruf beantwortet. Ich denke zum Beispiel an die Evangelisierung, die von den Ordensleuten geleistet wurde, von den Franziskanern, den Mercedariern, den Dominikanern, den Jesuiten, den Benediktinern, den Vinzentinern, den Salesianern, den Piaristen, den Brüdern der christlichen Schulen, den Josephinern, den Mitgliedern der geistlichen Familie von Don Orione und so vielen anderen. Nicht vergessen werden soll auch die Blüte der weiblichen Ordensberufe, von denen Sardinien eine wahre und echte Pflanzstätte ist. In vielen Orden und Kongregationen leben Frauen aus Sardinien, besonders in den Klausurklöstern. Ohne diese große »Wolke von Zeugen« (vgl. He 12,1) wäre es gewiß schwer gewesen, die Liebe Christi in den Städten, in den Familien, in den Schulen, in den Krankenhäusern, in den Gefängnissen und an den Arbeitsplätzen zu verbreiten. Was für ein Erbe an Gutem hat sich dank ihrer Hingabe angesammelt! Ohne den Samen des Christentums wäre Sardinien schwächer und ärmer. Zusammen mit euch danke ich Gott, der es seinem Volk nie an heiligen Führern und Zeugen fehlen läßt.

Liebe Brüder und Schwestern, ihr sollt jetzt dieses Werk fortsetzen, das eure Vorfahren vollbracht haben. Ich versichere insbesondere euch, liebe Priester, - und ich wende mich voll Liebe an alle Priester in Sardinien - meine geistliche Nähe, damit ihr den Ruf des Herrn in voller Treue beantworten könnt, wie es auch vor kurzem einige eurer Mitbrüder getan haben. Ich denke an Don Graziano Muntoni, Priester der Diözese Nuoro, der vor Weihnachten 1998 ermordet wurde, als er in die Kirche ging, um die Messe zu feiern; und Pater Battore Carzedda PIME, der sein Leben hingegeben hat, damit sich die Glaubenden aller Religionen einem von Liebe geleiteten, aufrichtigen Dialog öffnen. Die Schwierigkeiten sollen euch nicht erschrecken und nicht entmutigen: Wie wir wissen, wachsen das Samenkorn und das Unkraut gemeinsam bis zum Ende der Welt (vgl. Mt 3,30). Es ist wichtig, gutes Samenkorn zu sein, das in die Erde fällt und Frucht bringt. Vertieft immer mehr das Bewußtsein eurer Identität: Ihr seid Priester, für die Kirche und in der Kirche, und ihr seid einfaches, aber wirkliches Zeichen des einzigen und ewigen Priesters Jesus. Ihr sollt klar sein Wort verkünden, seine Gesten der Vergebung und Hingabe wiederholen, seine liebevolle Sorge im Dienst seiner Herde ausüben in Gemeinschaft mit den Hirten und getreu dem Lehramt. Belebt deshalb jeden Tag das Charisma, das ihr durch die Handauflegung empfangen habt (vgl. 2Tm 1,6), indem ihr euch mit Jesus Christus identifiziert in seiner dreifachen Funktion zu heiligen, zu lehren und die Herde zu weiden. Maria, die Mutter der Kirche, beschütze und begleite euch. Und ich segne euch mit einem besonderen Gedenken für die alten und kranken Priester und für die Personen, die eurer Hirtensorge anvertraut sind. Danke für diese Begegnung und beste Wünsche für euren Dienst.



BEGEGNUNG MIT DEN JUGENDLICHEN AUF DER "PIAZZA YENNE"

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Sonntag, 7. September 2008



Liebe Jugendliche!

Bevor ich mich an euch wende, liebe Jugendliche aus Cagliari und aus ganz Sardinien, habe ich die Pflicht und die Freude, einen besonderen Gruß an den Präsidenten der Region Sardinien, Herrn Renato Soru, sowie an alle Obrigkeiten der Region zu richten, die durch ihren großherzigen Beitrag und ihre Unterstützung das Gelingen meines Pastoralbesuchs ermöglicht haben. Danke, Herr Präsident: die hier anwesenden Jugendlichen werden diesen Tag in Erinnerung behalten. Sie sind die Zukunft dieser Region, die Sie mit Kompetenz verwalten.

Und nun zu euch, liebe Jugendliche. Ich freue mich sehr, euch am Ende dieses kurzen, aber intensiven Aufenthalts auf eurer schönen Insel zu begegnen. Ich grüße euch alle mit Zuneigung und danke euch für diesen herzlichen Empfang. Insbesondere danke ich jenen, die mir gegenüber in eurem Namen eure tiefempfundenen Gefühle zum Ausdruck gebracht haben. Ich weiß, daß einige von euch am Weltjugendtag in Sydney teilgenommen haben, und ich bin mir sicher, daß sie aus einer so außergewöhnlichen kirchlichen Erfahrung Nutzen gezogen haben. Wie ich selbst sehen konnte, sind die Weltjugendtage einzigartige pastorale Ereignisse, die es den Jugendlichen aus aller Welt gestatten, einander besser kennenzulernen, den Glauben und die Liebe zu Christus und zu seiner Kirche miteinander zu teilen und ihre gemeinsamen Bemühungen um den Aufbau einer Zukunft der Gerechtigkeit und des Friedens zu bekräftigen. Heute haben wir zwar keinen Weltjugendtag, aber einen sardischen Jugendtag. Und wir erfahren, wie schön es ist zusammenzusein.

Ich grüße euch also wirklich von Herzen, liebe Jugendliche: ihr seid die hoffnungsvolle Zukunft dieser Region, trotz der Schwierigkeiten, die wir alle kennen. Ich kenne eure Begeisterung, eure Wünsche und eure Bemühungen, sie zu verwirklichen. Und ich weiß auch um die Schwierigkeiten und Probleme, denen ihr begegnet. Ich denke da zum Beispiel - wir haben gerade davon gehört - an das Übel der Arbeitslosigkeit und an die unsichere Arbeitslage, die eure Pläne in Frage stellen; ich denke an die Emigration, an die Abwanderung der noch unverbrauchten und unternehmungsfreudigsten Kräfte und an die damit verbundene Entwurzelung aus dem eigenen Umfeld, die manchmal vor allem psychologische und moralische, aber auch soziale Schäden mit sich bringt. Was soll man dazu sagen, daß der Verdienst und der Erfolg in der gegenwärtigen Konsumgesellschaft zu neuen Götzen geworden sind, vor denen viele sich niederwerfen? Die Folge ist die Tendenz, nur jenen einen Wert beizumessen, die - wie man sagt - »ihr Glück gemacht « und »Ansehen« erlangt haben, aber gewiß nicht denen, die jeden Tag mühsam mit dem Leben zu kämpfen haben. Der Besitz materieller Güter und der Beifall der Menschen sind an die Stelle der Arbeit an sich selbst getreten, die dazu dient, den Geist zu stärken und eine echte Persönlichkeit herauszubilden. Man läuft Gefahr, oberflächlich zu sein, auf der Suche nach Erfolg gefährliche Schleichwege zu gehen und das Leben auf diese Weise Erfahrungen auszusetzen, die im ersten Moment Befriedigung hervorrufen, in sich selbst jedoch von kurzer Dauer und trügerisch sind. Es besteht eine steigende Tendenz zum Individualismus, und wenn man sich nur auf sich selbst konzentriert, wird man zwangsläufig schwach und verwundbar, und die Geduld zuzuhören - ein unverzichtbarer Schritt, um den anderen zu verstehen und mit ihm zusammenzuarbeiten -, läßt nach.

Als der geschätzte Papst Johannes Paul II. am 20. Oktober 1985 hier in Cagliari mit den Jugendlichen aus ganz Sardinien zusammentraf, hielt er ihnen drei Werte vor Augen, die wichtig sind, um eine brüderliche und solidarische Gesellschaft aufzubauen. Sie sind auch heute noch äußerst aktuell, und ich greife sie gerne noch einmal auf. An erster Stelle möchte ich den Wert der Familie hervorheben, die, wie der Papst sagte, als »uraltes und heiliges Erbe« bewahrt werden muß. Als Kinder und Geschwister erfahrt ihr alle, wie wichtig die Familie ist; aber die Fähigkeit, eine neue Familie zu gründen, kann nicht als selbstverständlich betrachtet werden. Man muß sich darauf vorbereiten. In der Vergangenheit half die traditionelle Gesellschaft mehr dabei, eine Familie zu gründen und zu erhalten. Heute ist es nicht mehr so, oder es ist »auf dem Papier« so, aber in Wahrheit herrscht eine andere Mentalität. Andere Formen des Zusammenlebens sind gestattet; manchmal wird der Begriff »Familie« für Lebensgemeinschaften gebraucht, die in Wirklichkeit keine Familien sind. In unserem Lebensbereich ist vor allem die Fähigkeit der Ehepartner, den Zusammenhalt der Familie auch unter großen Opfern zu verteidigen, sehr viel geringer geworden. Liebe Jugendliche, macht euch den Wert der Familie wieder zu eigen; liebt sie nicht nur aus Tradition, sondern aus einer reifen und bewußten Entscheidung heraus. Liebt eure Herkunftsfamilie, und bereitet euch darauf vor, auch die Familie zu lieben, die ihr selbst mit Gottes Hilfe gründen werdet. Ich sage: »Bereitet euch darauf vor«, denn die wahre Liebe läßt sich nicht improvisieren. Die Liebe besteht nicht nur aus Gefühlen, sondern ebenso aus Verantwortung, Beständigkeit und auch aus Pflichtbewußtsein. All dies lernt man durch eine längere Einübung der christlichen Tugenden des Vertrauens, der Reinheit, der Hingabe an die Vorsehung, des Gebets. In diesem Bemühen, zu reifer Liebe heranzuwachsen, wird die christliche Gemeinschaft euch stets unterstützen, denn in ihr findet die Familie ihre höchste Würde. Das Zweite Vatikanische Konzil nennt sie »kleine Kirche«, denn die Ehe ist ein Sakrament, also ein heiliges und wirksames Zeichen der Liebe, die Gott uns in Christus durch die Kirche schenkt.

Eng verbunden mit diesem ersten Wert, über den ich sprechen wollte, ist ein weiterer Wert, den ich hervorheben möchte: die solide intellektuelle und sittliche Bildung.Sie ist unverzichtbar, um eure Zukunft und die der Gesellschaft zu planen und aufzubauen. Wer euch hier »Ermäßigungen« gewährt, ist nicht auf euer Wohl bedacht. Wie soll man denn ernsthaft die Zukunft planen, wenn man das natürliche Verlangen nach Wissen und Auseinandersetzung, das euch innewohnt, vernachlässigt? Die Krise einer Gesellschaft beginnt dann, wenn sie ihr kulturelles Erbe und ihre Grundwerte nicht mehr an die neuen Generationen weitergeben kann. Ich meine damit nicht einfach nur das Schulsystem. Die Frage geht weit über diesen Horizont hinaus. Es gibt, das wissen wir, einen Bildungs- und Erziehungsnotstand. Um diesem zu begegnen, brauchen wir Eltern und Lehrer, die in der Lage sind, das Gute und das Wahre, das sie selbst erfahren und vertieft haben, zu vermitteln. Wir brauchen Jugendliche, die innerlich offen sind, begierig zu lernen und alles zu den ursprünglichen Bedürfnissen des Herzens zurückzuführen, zu dem, was das Herz uns deutlich sagt. Seid wirklich frei, liebt die Wahrheit leidenschaftlich. Jesus, der Herr, hat gesagt: »Die Wahrheit wird euch befreien« (Jn 8,32). Der moderne Nihilismus verkündet das Gegenteil: daß die Freiheit euch wahr macht. Einige behaupten auch, daß es keine Wahrheit gibt. So ebnen sie einer Entleerung der Begriffe des Guten und des Bösen den Weg und machen sie sogar austauschbar. Man hat mir gesagt, daß es in der sardischen Kultur folgendes Sprichwort gibt: »Es ist besser, ohne Brot zu sein als ohne Gerechtigkeit«. Tatsächlich kann ein Mensch den Hunger ertragen und überwinden, aber er kann nicht dort leben, wo Gerechtigkeit und Wahrheit mißachtet werden. Das materielle Brot allein reicht nicht aus, es genügt nicht, um menschlich erfüllt zu leben; es bedarf einer anderen Nahrung, nach der man stets hungern muß, von der man sich ernähren muß für das eigene persönliche Wachstum und für das der Familie und der Gesellschaft.

Diese Nahrung - und das ist der dritte große Wert - ist ein aufrichtiger und tiefer Glaube, der zur Grundsubstanz eures Lebens werden muß. Wenn das Bewußtsein für die Gegenwart und die Wirklichkeit Gottes verloren geht, dann »verflacht« alles und wird auf eine einzige Dimension reduziert. Alles wird auf die materielle Ebene »niedergedrückt«. Wenn alles nur unter dem Aspekt seiner Nützlichkeit betrachtet wird, dann begreift man nicht mehr das Wesen dessen, was uns umgibt, und vor allem der Personen, denen wir begegnen. Wenn das Geheimnis Gottes verloren ist, dann schwindet auch das Geheimnis all dessen, was existiert: die Dinge und die Personen interessieren mich nur in dem Maße, in dem sie meine Bedürfnisse stillen, aber nicht in sich selbst. All das ist eine kulturelle Gegebenheit, die man von Geburt an in sich aufnimmt und die bleibende innere Auswirkungen hat. In diesem Sinne ist der Glaube nicht nur eine religiöse Überzeugung, sondern vor allem eine Weise, die Realität zu betrachten, eine Denkweise, eine innere Sensibilität, die den Menschen als solchen bereichert. Nun, liebe Freunde, Christus ist auch darin der Meister, weil er in allem unsere Menschennatur geteilt hat und Zeitgenosse eines jeden Menschen jeder Epoche ist. Diese typisch christliche Wirklichkeit ist eine wunderbare Gnade! Wenn ihr bei Jesus bleibt und ihn als Freund im Evangelium und in den Sakramenten immer wieder aufsucht, dann könnt ihr auf neue Weise das lernen, was die Gesellschaft euch oft nicht mehr geben kann: das religiöse Bewußtsein. Und eben weil es etwas Neues ist, ist es wunderbar, es zu entdecken.

Liebe Jugendliche, wie der junge Augustinus mit all seinen Problemen auf seinem schwierigen Weg, so verspürt jeder von euch in sich den symbolischen Ruf, der die ganze Schöpfung zu Gott streben läßt; jedes schöne Geschöpf verweist auf die Schönheit des Schöpfers, die im Antlitz Jesu Christi gleichsam verdichtet ist. Wenn die Seele sie wahrnimmt, dann ruft sie aus: »Spät habe ich dich geliebt, o Schönheit, so alt und doch immer neu, spät habe ich dich geliebt!« (Bekenntnisse 10,27.38). Möge jeder von euch Gott wiederentdecken als den Sinn und Urgrund eines jeden Geschöpfs, als Licht der Wahrheit, Flamme der Liebe, Band der Einheit, wie es im Hymnus der »Agorà« der italienischen Jugendlichen heißt. Seid fügsam gegenüber der Kraft des Geistes! Er, der Heilige Geist, war der Protagonist des Weltjugendtages in Sydney; er wird euch zu Zeugen Christi machen - nicht mit Worten, sondern mit Taten, mit einer neuen Art von Leben. Ihr werdet keine Angst mehr haben, eure Freiheit zu verlieren, weil ihr sie in Fülle leben werdet, wenn ihr sie aus Liebe hingebt. Ihr werdet nicht mehr an materiellen Gütern hängen, denn ihr werdet in euch die Freude spüren, sie mit anderen zu teilen. Ihr werdet nicht mehr die Traurigkeit der Welt verspüren, sondern Schmerz empfinden über das Böse und Freude über das Gute, besonders über die Barmherzigkeit und die Vergebung. Und wenn es so ist, wenn ihr im Antlitz Christi wirklich Gott entdeckt habt, dann werdet ihr die Kirche nicht mehr als eine Institution verstehen, die nichts mit euch selbst zu tun hat, sondern als eure geistliche Familie - so wie wir sie jetzt, in diesem Augenblick, erleben. Das ist der Glaube, den euch eure Väter weitergegeben haben. Heute, in ganz anderen Zeiten, seid ihr aufgerufen, diesen Glauben zu leben.

Familie, Bildung und Glaube: liebe Jugendliche aus Cagliari und aus ganz Sardinien, wie Papst Johannes Paul II. überlasse auch ich euch diese drei Worte, diese drei Werte. Macht sie euch zu eigen durch das Licht und die Kraft des Geistes Christi. Unsere Liebe Frau von Bonaria, oberste Patronin und milde Königin der Sarden, möge euch stets führen, schützen und begleiten! Ich segne euch von Herzen und versichere euch eines täglichen Gebetsgedenkens.



AN DIE BISCHÖFE AUS PARAGUAY ANLÄSSLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES

Donnerstag, 11. September 2008




ANSPRACHE 2008 Januar 2008 145