ANSPRACHE 2009 115

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Exzellenz,
liebe Brüder im Priesteramt!

Es ist mir eine Freude, euch alle zu empfangen und zu begrüßen. Auch in diesem Jahr seid ihr gekommen, um dem Nachfolger Petri eure Zuneigung und eure Treue zu bezeugen. Ich begrüße den Präsidenten der Päpstlichen Diplomatenakademie, Erzbischof Beniamino Stella, und danke ihm für die freundlichen Worte, die er an mich gerichtet hat, sowie für den Dienst, den er mit großer Hingabe ausübt. Ich begrüße seine Mitarbeiter, die Franziskaner-Missionsschwestern vom Kind Jesu und euch alle, die ihr euch in diesen Jahren als junge Priester darauf vorbereitet, der Kirche und ihrem universalen Hirten zu dienen durch den einzigartigen Dienst, der in den Päpstlichen Vertretungen ausgeübt wird.

Die Tätigkeit in den Apostolischen Nuntiaturen kann in der Tat gewissermaßen als eine besondere priesterliche Berufung betrachtet werden, als ein Hirtendienst, der eine spezifische Eingliederung in die Welt und ihre oft sehr komplexen Problematiken sozialer und politischer Art mit sich bringt. Es ist daher wichtig, daß ihr lernt, sie zu entschlüsseln, im Wissen, daß sozusagen der »Code«, der zur Analyse und zum Verständnis dieser Dynamiken dient, nur das Evangelium und das beständige Lehramt der Kirche sein kann. Ihr sollt lernen, die menschlichen und gesellschaftlichen Wirklichkeiten aufmerksam zu deuten, ausgehend von einer gewissen persönlichen Sensibilität, die jeder Diener des Heiligen Stuhls besitzen muß. Dabei wird euch eine besondere Erfahrung nützlich sein, die ihr in diesen Jahren gewinnen müßt. Darüber hinaus erfordert jene Fähigkeit zum Dialog mit der Moderne, die von euch verlangt wird, ebenso wie der Kontakt mit den Personen und den Einrichtungen, die sie vertreten, eine starke innere Struktur und eine geistliche Festigkeit, durch die eure christliche und priesterliche Identität gewahrt werden, ja sogar immer besser hervortreten kann. Nur so werdet ihr vermeiden können, die negativen Auswirkungen der weltlichen Mentalität zu spüren und euch nicht von einer allzu irdischen Logik anziehen oder anstecken lassen.

Der Herr selbst bittet euch darum, diese Sendung in der Kirche durchzuführen, durch den Ruf eures Bischofs, der euch auswählt und dem Heiligen Stuhl zur Verfügung stellt; daher müßt ihr immer und vor allem auf den Herrn selbst Bezug nehmen. Richtet in Augenblicken der Dunkelheit und der inneren Schwierigkeiten euren Blick auf Christus, der euch eines Tages liebevoll angeschaut und euch berufen hat, bei ihm zu sein und in seiner Schule Sorge zu tragen für sein Reich. Denkt immer daran, daß es für das Priesteramt, auf welche Weise auch immer man es ausübt, wesentlich und grundlegend ist, stets eine persönliche Beziehung zu Christus zu pflegen. Er will, daß wir seine »Freunde« sind: Freunde, die seine Vertrautheit suchen, seiner Lehre folgen und sich dafür einsetzen, daß alle Menschen ihn kennenlernen und lieben. Der Herr will, daß wir »Heilige«, also ganz die »Seinen« sind: nicht darum besorgt, uns eine Karriere aufzubauen, die menschlich gesehen interessant oder angenehm ist, nicht auf der Suche nach Beifall und Erfolg bei den Menschen, sondern ganz dem Seelenheil hingegeben und bereit, bis zum Äußersten unsere Pflicht zu tun im Bewußtsein, »unnütze Sklaven « zu sein, und froh, unseren armseligen Beitrag zur Verbreitung des Evangeliums leisten zu können.

Liebe Priester, seid in erster Linie Männer des tiefen Gebets, die eine Gemeinschaft der Liebe und des Lebens mit dem Herrn pflegen. Wie solltet ihr ohne diese feste geistliche Grundlage in eurem Dienst verharren können? Wer so im Weinberg des Herrn arbeitet, weiß, daß das, was man mit Hingabe, unter Opfern und aus Liebe verwirklicht, niemals verloren geht. Und wenn wir zuweilen den Kelch der Einsamkeit, des Unverstandenseins und des Leidens kosten müssen, wenn der Dienst zuweilen schwer ist und es manchmal hart zu sein scheint, das Kreuz zu tragen, dann möge uns die Gewißheit stützen und trösten, daß Gott all dies fruchtbar machen kann. Wir wissen, daß die Dimension des Kreuzes, die gut versinnbildlicht wird im Gleichnis vom Weizenkorn, das in die Erde fällt und stirbt, um Frucht zu bringen - ein Bild, das Jesus kurz vor seinem Leiden gebraucht hat - ein wesentlicher Teil des Lebens jedes Menschen und jeder apostolischen Sendung ist. In jeder Situation müssen wir freudig unsere Treue zum Evangelium bezeugen, indem wir die Einladung des Apostels Paulus annehmen, uns allein des Kreuzes Christi zu rühmen, im einzigen Bestreben, in uns selbst das zu ergänzen, was an den Leiden des Herrn noch fehlt, für seinen Leib, die Kirche (vgl.
Col 1,24).

Eine äußerst kostbare Gelegenheit, eure großherzige Antwort auf den Ruf des Herrn zu erneuern und zu bekräftigen, um eure Beziehung zu ihm zu vertiefen, ist das Priesterjahr, das am kommenden 19. Juni beginnen wird, dem Hochfest des Heiligsten Herzens Jesu und Weltgebetstag zur Heiligung der Priester. Meßt dieser Gelegenheit den größten Wert bei, um Priester nach dem Herzen Jesu zu sein, wie der hl. Johannes Maria Vianney, der heilige Pfarrer von Ars, dessen 150. Todestag wir in Kürze begehen. Seiner Fürbitte sowie der des heiligen Abtes Antonius, Patron der Akademie, vertraue ich diese Anliegen und Wünsche an. Maria, die Mutter der Kirche, wache mütterlich über euch und behüte euch. Ich danke euch meinerseits für euren heutigen Besuch und versichere euch meines besonderen Gebetsgedenkens. Einem jedem von euch, den Ordensschwestern, dem Hauspersonal und allen, die euch nahestehen, erteile ich von Herzen den Apostolischen Segen.



ERÖFFNUNG DER PASTORALTAGUNG DER DIÖZESE ROM ZUM THEMA: "KIRCHLICHE ZUGEHÖRIGKEIT UND PASTORALE MITVERANTWORUNG"

Basilika St. Johann im Lateran - Dienstag, 26. Mai 2009

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Herr Kardinal,
verehrte Mitbrüder im bischöflichen und priesterlichen Dienst,
liebe Ordensmänner und Ordensfrauen,
liebe Brüder und Schwestern!

Nunmehr einem guten Brauch folgend freut es mich, auch in diesem Jahr die Pastoraltagung der Diözese zu eröffnen. Jedem von euch, die ihr hier die gesamte Diözesangemeinschaft vertretet, gilt mein herzlicher Gruß und mein aufrichtiger Dank für die Pastoralarbeit, die ihr leistet. Durch euch richte ich auch an alle Pfarreien meinen herzlichen Gruß mit den Worten des Apostels Paulus: »An alle in Rom, die von Gott geliebt sind, die berufenen Heiligen: Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus« (
Rm 1,7). Ich danke dem Herrn Kardinalvikar von Herzen für die ermutigenden Worte, die er in eurem Namen an mich gerichtet hat, sowie für die Unterstützung, die er mir zusammen mit den Weihbischöfen im täglichen apostolischen Dienst gibt, in den der Herr mich als Bischof von Rom berufen hat.

Gerade wurde in Erinnerung gerufen, daß die Diözese im vergangenen Jahrzehnt ihre Aufmerksamkeit zunächst drei Jahre lang der Familie gewidmet hat und dann für die folgenden drei Jahre der Erziehung der neuen Generationen zum Glauben. Dabei wurde versucht, auf den »Erziehungsnotstand« zu antworten, der für alle eine nicht einfache Herausforderung ist. Zuletzt habt ihr euch, ebenfalls in bezug auf die Erziehung und ermutigt durch die Enzyklika Spe salvi, dem Thema der Erziehung zur Hoffnung zugewandt. Gemeinsam mit euch danke ich dem Herrn für all das Gute, das zu vollbringen er uns gewährt hat; ich denke dabei besonders an die Pfarrer und an die Priester, die bei der Leitung der ihnen anvertrauten Gemeinden keine Mühen scheuen. Auch möchte ich meine Anerkennung aussprechen bezüglich der pastoralen Entscheidung, Zeit zu investieren, um den bisher beschrittenen Weg zu überprüfen, und im Licht der gelebten Erfahrung einige grundlegende Bereiche der ordentlichen Pastoral hervorzuheben, mit dem Ziel, sie genauer zu umschreiben und besser bekannt zu machen. Grundlage für diese Aufgabe, die ihr bereits seit einigen Monaten in allen Pfarreien und in den anderen kirchlichen Wirklichkeiten durchführt, muß eine erneuerte Bewußtwerdung unseres Kirche-Seins und unserer pastoralen Mitverantwortung sein, die wahrzunehmen wir im Namen Christi alle berufen sind. Und eben auf diesen Aspekt möchte ich jetzt genauer eingehen. Das Wesen der Kirche - ein Mysterium der Gemeinschaft

Das Zweite Vatikanische Konzil, das die Lehre über die Kirche, die im Laufe von 2000 Jahren herangereift ist, rein und unverkürzt weitergeben wollte, hat dieser »eine besser durchdachte Definition« gegeben, indem es vor allem ihr Wesen als Mysterium erläutert, also als eine »Wirklichkeit, die durchdrungen ist von der göttlichen Gegenwart und die daher immer neu und tiefer ergründet werden kann« (Paul VI., Eröffnungsansprache der zweiten Sitzungsperiode, 29. September 1963). Nun ist die Kirche, die im dreifaltigen Gott ihren Ursprung hat, ein Mysterium der Gemeinschaft. Als Gemeinschaft ist die Kirche nicht nur eine geistliche Wirklichkeit, sondern sie lebt sozusagen in Fleisch und Blut in der Geschichte. Das Zweite Vatikanische Konzil beschreibt sie als »gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit« (Lumen gentium LG 1). Und das Wesen des Sakraments besteht gerade darin, daß man im Sichtbaren das Unsichtbare berührt, daß das Sichtbare und Berührbare die Tür öffnet für Gott selbst. Die Kirche, so haben wir gesagt, ist eine Gemeinschaft, eine Gemeinschaft von Personen, die durch das Wirken des Heiligen Geistes das Volk Gottes bilden, das gleichzeitig der Leib Christi ist. Denken wir ein wenig über diese beiden Schlüsselwörter nach. Der Begriff »Volk Gottes« kommt aus dem Alten Testament und hat sich dort entwickelt: Um in die Wirklichkeit der menschlichen Geschichte einzutreten, hat Gott ein bestimmtes Volk, das Volk Israel, als sein Volk auserwählt. Hinter dieser besonderen Erwählung steht der Wille, durch wenige zu den vielen zu gelangen und von den vielen zu allen. Hinter der besonderen Erwählung steht mit anderen Worten der Wille zur Universalität. Durch dieses Volk tritt Gott wirklich konkret in die Geschichte ein. Und diese Öffnung zur Universalität wurde im Kreuz und in der Auferstehung Christi verwirklicht. Am Kreuz, so sagt der hl. Paulus, riß Christus die trennende Wand nieder. Er gibt uns seinen Leib und vereint uns so in diesem seinem Leib, um uns eins werden zu lassen. In der Gemeinschaft des »Leibes Christi« werden wir alle zu einem einzigen Volk, dem Volk Gottes, wo - um noch einmal den hl. Paulus zu zitieren - alle eins sind und es keine Trennung, keinen Unterschied mehr gibt zwischen Griechen und Juden, Beschnittenen und Unbeschnittenen, Fremden, Skythen, Sklaven, Juden, sondern Christus alles und in allen ist. Er hat die trennende Wand zwischen Völkern, Rassen und Kulturen niedergerissen: Wir alle sind in Christus vereint. So sehen wir, daß die beiden Begriffe - »Volk Gottes« und »Leib Christi« - einander ergänzen und zusammen den neutestamentlichen Begriff der Kirche bilden. Und während »Volk Gottes« die Kontinuität der Kirchengeschichte zum Ausdruck bringt, bringt »Leib Christi« die Universalität zum Ausdruck, die im Kreuz und in der Auferstehung des Herrn ihren Anfang nahm. Für uns Christen ist also »Leib Christi« nicht nur ein Bild, sondern ein wahrer Begriff, weil Christus uns wirklich seinen Leib schenkt und nicht nur ein Bild. Als Auferstandener vereint Christus uns alle im Sakrament, um uns zu einem einzigen Leib zu machen. Daher ergänzen die Begriffe »Volk Gottes« und »Leib Christi« einander: In Christus werden wir wirklich das Volk Gottes. »Volk Gottes« bedeutet daher »alle«: vom Papst bis hin zum zuletzt getauften Kind. Das Erste Eucharistische Hochgebet, der sogenannte Römische Kanon, der im 4. Jahrhundert geschrieben wurde, unterscheidet zwischen Dienern - »wir, deine Diener«- und »plebs tua sancta«; wenn man also unterscheiden will, spricht man von Dienern und »plebs sancta«, während die Bezeichnung »Volk Gottes« alle zusammen in ihrem gemeinsamen Kirche-Sein zum Ausdruck bringt.

Nach dem Konzil hat diese ekklesiologische Lehre große Annahme gefunden, und durch Gottes Gnade sind viele gute Früchte in der christlichen Gemeinschaft herangereift. Wir müssen jedoch auch bedenken, daß die Rezeption dieser Lehre in der Praxis und demzufolge ihre Übernahme in das kirchliche Bewußtsein nicht immer und überall ohne Schwierigkeiten und einer richtigen Auslegung entsprechend erfolgt sind. Wie ich in der Ansprache an die Römische Kurie vom 22. Dezember 2005 gesagt habe, wollte eine Interpretationsrichtung unter Berufung auf einen angeblichen »Konzilsgeist« eine Diskontinuität, ja sogar einen Gegensatz zwischen der Kirche vor und der Kirche nach dem Konzil einführen. Dabei wurden manchmal die Grenzen überschritten, die objektiv zwischen dem hierarchischen Dienstamt und der Verantwortung der Laien in der Kirche bestehen. Besonders der Begriff »Volk Gottes« wurde von einigen rein soziologisch ausgelegt, in fast ausschließlich horizontaler Form und unter Ausschluß des vertikalen Bezugs zu Gott. Diese Auffassung steht in offenem Gegensatz zum Buchstaben und zum Geist des Konzils, das keinen Bruch, keine andere Kirche wollte, sondern eine wahre und tiefe Erneuerung, in der Kontinuität des einen Subjekts Kirche, das mit der Zeit wächst und sich entfaltet, dabei aber stets dasselbe eine Subjekt des pilgernden Volkes Gottes bleibt.

Zweitens muß eingeräumt werden, daß die Wiedererweckung geistlicher und pastoraler Kräfte im Laufe dieser Jahre nicht immer den erwünschten Zuwachs und die erwünschte Entwicklung hervorgebracht hat. In einigen kirchlichen Gemeinschaften läßt sich nämlich feststellen, daß auf eine Periode des Eifers und des Aufbruchs eine Zeit gefolgt ist, in der die Bemühungen nachließen, sich eine gewisse Müdigkeit einstellte, man manchmal fast an einen toten Punkt gelangte, in der auch Widerstand herrschte und ein Widerspruch zwischen der Konzilslehre und verschiedenen Ideen, die im Namen des Konzils formuliert wurden, in Wirklichkeit aber zu seinem Geist und seinem Buchstaben im Gegensatz stehen. Auch aus diesem Grund widmete sich die Ordentliche Versammlung der Bischofssynode im Jahre 1987 dem Thema der Berufung und Sendung der Laien in der Kirche und in der Welt. Das zeigt uns, daß die großartigen Texte, die das Konzil den Laien gewidmet hat, im Bewußtsein der Katholiken und in der pastoralen Praxis noch nicht ausreichend umgesetzt und verwirklicht worden waren. Einerseits besteht immer noch die Tendenz, die Kirche einseitig mit der Hierarchie gleichzusetzen und die gemeinsame Verantwortung, die gemeinsame Sendung des Volkes Gottes, das wir alle in Christus sind, zu vergessen. Andererseits gibt es auch weiterhin noch die Tendenz, das Volk Gottes so zu verstehen wie ich gerade gesagt habe: einer rein soziologischen oder politischen Auffassung entsprechend, unter Vernachlässigung der Neuheit und des Besonderen jenes Volkes, das erst in Gemeinschaft mit Christus zum Volk wird.

Liebe Brüder und Schwestern, jetzt stellt sich die Frage: An welchem Punkt befindet sich unsere Diözese Rom? In welchem Maße wird die pastorale Mitverantwortung aller, besonders der Laien, anerkannt und gefördert? In den vergangenen Jahrhunderten hat die christliche Gemeinde durch das großherzige Zeugnis vieler Getaufter, die ihr Leben der Erziehung der neuen Generationen zum Glauben, der Pflege der Kranken und der Unterstützung der Armen gewidmet haben, den Einwohnern von Rom das Evangelium verkündet. Diese Sendung ist heute uns anvertraut, in verschiedenen Situationen, in einer Stadt, in der nicht wenige Getaufte dem Weg der Kirche nicht mehr folgen und diejenigen, die keine Christen sind, die Schönheit unseres Glaubens nicht kennen. Die Diözesansynode, die auf Wunsch meines geliebten Vorgängers Johannes Paul II. einberufen wurde, war eine wirkliche »receptio« der Konzilslehre, und das »Synodenbuch« hat die Diözese dazu verpflichtet, immer mehr zur lebendigen und tätigen Kirche mitten in der Stadt zu werden, durch das koordinierte und verantwortungsbewußte Handeln aller ihrer Glieder. Dann folgte in Vorbereitung auf das Große Jubiläum des Jahres 2000 die Stadtmission, durch die unsere kirchlichen Gemeinschaften sich der Tatsache bewußt werden konnten, daß der Evangelisierungsauftrag nicht nur einige, sondern alle Getauften betrifft. Sie war eine heilsame Erfahrung, die dazu beigetragen hat, in den Pfarreien, in den Ordensgemeinschaften, in den Vereinigungen und in den Bewegungen das Bewußtsein der Zugehörigkeit zum einen Volk Gottes heranreifen zu lassen, das - nach den Worten des Apostels Petrus - Gottes besonderes Eigentum wurde, damit es seine großen Taten verkündet (vgl. 1P 2,9). Und dafür wollen wir an diesem Abend danken.

Es liegt jedoch noch ein langer Weg vor uns. Zu viele Getaufte fühlen sich nicht der kirchlichen Gemeinschaft zugehörig, leben am Rande von ihr und wenden sich nur bei bestimmten Anlässen an die Pfarreien, um religiöse Dienste zu erhalten. Unter den Einwohnern der einzelnen Pfarreien, auch unter denen, die sich zum katholischen Glauben bekennen, gibt es immer noch verhältnismäßig wenige Laien, die sich bereitwillig zur Arbeit in den verschiedenen apostolischen Bereichen zur Verfügung stellen. Gewiß gibt es viele Schwierigkeiten kultureller und sozialer Natur, aber treu dem Gebot des Herrn können wir uns nicht darauf beschränken, das Bestehende zu bewahren. Im Vertrauen auf die Gnade des Geistes, die der auferstandene Christus uns zugesagt hat, müssen wir den Weg mit erneuerter Kraft wieder aufnehmen. Welche Wege können wir beschreiten? Zunächst müssen wir uns wieder um eine sorgfältigere und gewissenhaftere Ausbildung bemühen, die die Sicht der Kirche vermittelt, von der ich gesprochen habe, und zwar sowohl von seiten der Priester als auch der Ordensleute und der Laien, um immer besser zu verstehen, was die Kirche ist, das Volk Gottes im Leib Christi. Gleichzeitig ist es notwendig, den pastoralen Ansatz zu verbessern, um unter Achtung der Berufungen und der Rollen der geweihten Personen und der Laien die Mitverantwortung aller Glieder des Volkes Gottes schrittweise zu fördern. Dazu bedarf es einer Änderung der Mentalität besonders in bezug auf die Laien, die nicht mehr nur als »Mitarbeiter« des Klerus betrachtet werden dürfen, sondern als wirklich »mitverantwortlich « für das Sein und Handeln der Kirche erkannt werden müssen, um die Festigung eines reifen und engagierten Laienstandes zu fördern. Das gemeinsame Bewußtsein aller Getauften, Kirche zu sein, vermindert nicht die Verantwortung der Pfarrer. Es ist eure Aufgabe, liebe Pfarrer, das geistliche und apostolische Wachstum aller zu unterstützen, die sich bereits unermüdlich in den Pfarreien einsetzen: Sie sind das Herzstück der Gemeinde, das für die anderen zum Sauerteig wird. Damit diese Gemeinden, auch wenn sie manchmal zahlenmäßig klein sind, nicht ihre Identität und ihre Kraft verlieren, es ist nötig, sie zum betenden Hören auf das Wort Gottes zu erziehen, durch die Praxis der lectio divina, die von der kürzlich abgehaltenen Bischofssynode inständig gewünscht wurde. Nähren wir uns wirklich vom Hören, von der Betrachtung des Wortes Gottes. Unsere Gemeinden dürfen nie das Bewußtsein verlieren, daß sie »Kirche« sind, denn Christus, das ewige Wort des Vaters, ruft sie zusammen und macht sie zu seinem Volk. Der Glaube ist nämlich einerseits eine zutiefst persönliche Beziehung zu Gott, aber er besitzt auch ein wesentliches gemeinschaftliches Element, und diese beiden Dimensionen lassen sich nicht voneinander trennen. So können auch die Jugendlichen die Schönheit und die Freude erfahren, Kirche zu sein und sich als Kirche zu fühlen. Sie sind am stärksten dem zunehmenden Individualismus der gegenwärtigen Kultur ausgesetzt, deren unvermeidliche Folge die Schwächung der zwischenmenschlichen Beziehungen und des Zusammengehörigkeitsgefühls ist. Im Glauben an Gott sind wir im Leib Christi vereint und werden alle im selben Leib eins. So können wir, gerade durch den tiefen Glauben, auch die Gemeinschaft untereinander erfahren und die Einsamkeit des Individualismus überwinden.

Das Wort ruft die Gemeinschaft zusammen, und die Eucharistie macht sie zu einem Leib. Der hl. Paulus schreibt: »Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben teil an dem einen Brot« (1Co 10,17). Die Kirche ist also nicht das Resultat einer Summe von Individuen, sondern die Einheit jener, die von dem einen Wort Gottes und von dem einen Brot des Lebens genährt werden. Die Gemeinschaft und die Einheit der Kirche, die aus der Eucharistie entstehen, sind eine Wirklichkeit, die wir uns immer mehr zu Bewußtsein bringen müssen, auch beim Empfang der heiligen Kommunion. Wir müssen uns immer stärker bewußt werden, daß wir in die Einheit mit Christus eintreten und so unter uns eins werden. Wir müssen immer wieder lernen, diese Einheit zu wahren und sie gegen Rivalitäten, Streit und Eifersüchteleien, die innerhalb der kirchlichen Gemeinschaften und zwischen ihnen entstehen können, zu verteidigen. Ich richte eine Bitte vor allem an die Bewegungen und Gemeinschaften, die nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil entstanden sind und die auch in unserer Diözese ein wertvolles Geschenk sind, für das wir dem Herrn stets danken müssen: Ich möchte sie bitten - und ich wiederhole: sie sind ein Geschenk -, stets dafür zu sorgen, daß ihre Mitglieder durch Unterweisung dahin geführt werden, ein wirkliches Zugehörigkeitsgefühl zur Pfarrgemeinde zu entwickeln. Der Mittelpunkt des Lebens der Pfarrei ist wie gesagt die Eucharistie und insbesondere die sonntägliche Feier. Wenn die Einheit der Kirche aus der Begegnung mit dem Herrn erwächst, dann ist es nicht nebensächlich, die Anbetung und die Eucharistiefeier mit großer Sorgfalt zu gestalten, damit alle, die daran teilnehmen, die Schönheit des Geheimnisses Christi erfahren können. Die Schönheit der Liturgie »ist nicht nur bloßer Ästhetizismus, sondern eine Art und Weise, wie die Wahrheit der Liebe Gottes in Christus uns erreicht, uns fasziniert, uns begeistert« (Sacramentum caritatis, 35); daher ist es wichtig, daß die Eucharistiefeier durch die sakramentalen Zeichen das göttliche Leben offenbart und vermittelt und den Männern und Frauen dieser Stadt das wahre Antlitz der Kirche zeigt.

Das geistliche und apostolische Wachstum der Gemeinschaft führt diese auch dazu, durch überzeugtes missionarisches Handeln ihr Wachsen zu fördern. Bemüht euch daher, wie zu Zeiten der Stadtmission in jeder Pfarrei kleine Gruppen oder Hauskreise zu bilden, in denen die Gläubigen Christus und sein Wort verkündigen - Orte, an denen es möglich ist, den Glauben zu erfahren, die Nächstenliebe zu üben, der Hoffnung eine Struktur zu geben. Wenn die großen Stadtpfarreien so in eine wachsende Zahl kleiner Gemeinschaften unterteilt werden, wird ein größerer Missionsradius ermöglicht, der die Dichte der Bevölkerung sowie ihr oft sehr unterschiedliches soziales und kulturelles Erscheinungsbild in Betracht zieht. Es wäre wichtig, diese pastorale Methode auch an den Arbeitsplätzen wirksam zur Anwendung zu bringen. Hier muß die Evangelisierung heute in Form einer Pastoral stattfinden, die das Umfeld berücksichtigt, denn aufgrund der hohen sozialen Mobilität verbringt die Bevölkerung einen großen Teil des Tages am Arbeitsplatz.

Schließlich darf auch das Zeugnis der Nächstenliebe nicht vergessen werden, das die Herzen vereint und zur kirchlichen Zugehörigkeit hin öffnet. Auf die Frage, wie der Erfolg des Christentums in den ersten Jahrhunderten zu erklären ist, der Aufstieg einer vermeintlichen jüdischen Sekte zur Reichsreligion, antworten die Historiker, daß besonders die Erfahrung der christlichen Nächstenliebe die Welt überzeugt hat. Die Nächstenliebe zu leben ist die vorrangige Form der Mission. Das verkündigte und gelebte Wort wird dann glaubwürdig, wenn es zur Solidarität und zum Teilen wird, zu Gesten, die das Antlitz Christi als wahren Freund des Menschen zeigen. Das stille, tägliche Zeugnis der Nächstenliebe, das die Pfarreien dank des Engagements vieler gläubiger Laien geben, möge auch weiterhin immer mehr Verbreitung finden, damit die Notleidenden die Nähe der Kirche spüren und die Liebe des barmherzigen Vaters erfahren. Seid also »barmherzige Samariter«, bereit, die materiellen und geistlichen Wunden eurer Brüder zu heilen. Die Diakone, die durch die Weihe Christus, dem Knecht, gleichförmig geworden sind, können einen nützlichen Dienst leisten, indem sie eine erneuerte Aufmerksamkeit gegenüber alten und neuen Formen der Armut fördern. Darüber hinaus denke ich an die Jugendlichen: Meine Lieben, ich lade euch ein, eure Begeisterung und Kreativität in den Dienst Christi und des Evangeliums zu stellen und zu Aposteln eurer Altersgenossen zu werden, bereit, dem Herrn großherzig zu antworten, wenn er euch beruft, ihm aus nächster Nähe nachzufolgen, im Priestertum oder im geweihten Leben.

Liebe Brüder und Schwestern, die Zukunft des Christentums und der Kirche in Rom hängt auch vom Engagement und vom Zeugnis eines jeden von uns ab. Dafür erbitte ich die mütterliche Fürsprache der allerseligsten Jungfrau Maria, die in der Basilika »Santa Maria Maggiore« seit Jahrhunderten als »Salus populi romani« verehrt wird. Wie sie mit den Aposteln im Abendmahlssaal das Pfingstereignis erwartete, so möge sie auch bei uns sein und uns ermutigen, der Zukunft mit Vertrauen entgegenzusehen. Mit diesen Empfindungen danke ich euch für eure unermüdliche Arbeit und erteile allen von Herzen einen besonderen Apostolischen Segen.



AN DIE VOLLVERSAMMLUNG DER ITALIENISCHEN BISCHOFSKONFERENZ

Donnerstag, 28. Mai 2009

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Liebe italienische Mitbrüder im Bischofsamt!

Ich freue mich, erneut mit euch allen zusammenzutreffen zu diesem wichtigen Anlaß, der euch jedes Jahr zu eurer Vollversammlung zusammenführt, damit ihr die Sorgen und Freuden eures Dienstes in den Diözesen der geliebten italienischen Nation miteinander austauscht und teilt. Eure Versammlung bringt die Gemeinschaft, von der die Kirche lebt und die sich auch in der Übereinstimmung der Initiativen und der pastoralen Arbeit verwirklicht, sichtbar zum Ausdruck und fördert sie. Durch meine Anwesenheit will ich jene kirchliche Gemeinschaft stärken, die ich ständig wachsen und sich festigen gesehen habe. Ich danke besonders dem Kardinalvorsitzenden, der im Namen aller die brüderliche Verbundenheit und herzliche Gemeinschaft mit dem Lehramt und dem Hirtendienst des Nachfolgers Petri bekräftigt und auf diese Weise neuerlich die einzigartige Einheit bestätigt hat, die die Kirche in Italien mit dem Apostolischen Stuhl verbindet. Ich habe in den vergangenen Monaten viele wirklich bewegende Zeugnisse dieser Treue erfahren können. Ich kann euch nur von ganzem Herzen sagen: Danke! In diesem Klima der Verbundenheit kann man das christliche Volk, das tief eingefügt in sein Land, den lebendigen Sinn des Glaubens und die aufrichtige Zugehörigkeit zur kirchlichen Gemeinschaft erlebt, mit dem Wort Gottes und der Gnade der Sakramente fruchtbringend nähren: Dies alles dank eurer pastoralen Führung, dank dem hochherzigen Dienst so vieler Priester und Diakone, Ordensleute und gläubiger Laien, die voll eifriger Hingabe das kirchliche Gefüge und das tägliche Leben der zahlreichen, in jedem Winkel des Landes verstreuten Pfarrgemeinden unterstützen. Wir verbergen voreinander nicht die Schwierigkeiten, auf die sie stoßen, wenn sie ihre Mitglieder zur vollen Zustimmung zum christlichen Glauben in unserer Zeit heranführen. Nicht zufällig wird von verschiedenen Seiten ihre Erneuerung im Zeichen einer wachsenden Mitarbeit der Laien und deren missionarischer Mitverantwortung gefordert.

Aus diesen Gründen habt ihr in der pastoralen Arbeit das missionarische Engagement, das den Weg der Kirche in Italien nach dem Konzil geprägt hat, dadurch angemessen vertiefen wollen, daß ihr die fundamentale Aufgabe der Erziehung in den Mittelpunkt der Reflexionen eurer Vollversammlung gestellt habt. Wie ich schon mehrmals betonen konnte, handelt es sich um ein ständiges und konstitutives Erfordernis des Lebens der Kirche, das heute Züge einer dringlichen Aufgabe, ja eines Notstands annimmt. Ihr hattet in diesen Tagen Gelegenheit, zuzuhören, nachzudenken und über die Notwendigkeit zu beraten, euch mit einem Erziehungsentwurf zu befassen, der aus einer konsequenten und vollständigen Sicht des Menschen entstehen soll, wie sie einzig und allein aus dem vollkommenen Bild und der Verwirklichung hervorgehen kann, die wir davon in Christus Jesus haben. Er ist der Lehrmeister, in dessen Schule wir die Erziehungsaufgabe als eine höchste Berufung wiederentdecken, zu der jeder Gläubige in je verschiedener Weise aufgerufen ist. In einer Zeit, in der relativistische und nihilistische Lebensauffassungen starke Anziehungskraft genießen und selbst die Berechtigung der Erziehung in Frage gestellt wird, ist der wichtigste Beitrag, den wir anbieten können, Zeugnis zu geben von unserem Vertrauen in das Leben und in den Menschen, in seine Vernunft und in seine Liebesfähigkeit. Dieses Vertrauen ist nicht Frucht eines naiven Optimismus, sondern entsteht aus jener »verläßlichen Hoffnung« (Spe salvi ), die uns durch den Glauben an die von Jesus Christus vollbrachte Erlösung geschenkt wird. Mit Bezugnahme auf diese wohlbegründete Liebestat für den Menschen kann eine Erziehungsallianz zwischen all jenen entstehen, die in diesem komplexen Bereich des gesellschaftlichen und kirchlichen Lebens Verantwortung tragen.

Der Abschluß der dreijährigen »Agorà der italienischen Jugendlichen« am kommenden Sonntag, in der sich eure Konferenz mit einem klar artikulierten Ansatz für die Belebung der Jugendpastoral engagiert hat, ist eine Aufforderung dazu, den Erziehungsweg umzusetzen und neue Projekte in Angriff zu nehmen - für eine äußerst umfassende und für die erzieherische Verantwortung unserer Kirchengemeinden und der ganzen Gesellschaft bedeutsame Adressatengruppe, nämlich die jungen Generationen. Die Bildungsarbeit muß aber schließlich auch auf das Erwachsenenalter ausgedehnt werden, das von einer echten Verantwortung für die ständige Weiterbildung nicht ausgeschlossen werden darf. Niemand ist von der Aufgabe ausgenommen, sich um sein eigenes Wachstum und das Wachstum der anderen hin zum »Maß der Fülle in Christus« (
Ep 4,13) zu kümmern.

Die Schwierigkeit, echte Christen heranzubilden, ist verflochten, ja vermischt sich oft mit der Schwierigkeit, verantwortungsvolle und reife Männer und Frauen heranzubilden, bei denen das Bewußtsein für die Wahrheit und das Gute und die freie Zustimmung zu diesen Werten im Zentrum des Erziehungsplanes stehen, der imstande sein soll, einem Weg des Wachstums Gestalt zu verleihen, der gebührend vorbereitet und begleitet wird. Dazu braucht es - zusammen mit einem entsprechenden Entwurf, der auf das Erziehungsziel hinweist, das im Lichte des beschlossenen Modells erreicht werden soll -, angesehene Erzieher, auf welche die jungen Generationen voll Vertrauen blicken können. In diesem Paulusjahr, das wir in der Vertiefung des Wortes und Beispiels des großen Völkerapostels erlebt haben und das ihr auf verschiedene Weise in euren Diözesen und erst gestern alle gemeinsam in der Basilika Sankt Paul vor den Mauern begangen habt, erklingt mit einzigartiger Wirksamkeit seine Aufforderung: »Nehmt mich zum Vorbild!« (1Co 11,1). Ein mutiges Wort, aber ein wahrer Erzieher setzt an erster Stelle seine Person ein und versteht es, bei der Aufgabe, die ihm anvertrauten jungen Menschen zu erziehen, Autorität und Vorbildlichkeit miteinander zu verbinden. Wir selbst sind uns dessen bewußt, sind wir doch mitten unter das Gottesvolk als Leitbilder gestellt, an die der Apostel Petrus seinerseits die Aufforderung richtet, die Herde Gottes zu weiden, indem wir »Vorbilder für die Herde« werden (1P 5,3). Auch dies sind Worte, über die wir nachdenken sollten.

Es erweist sich daher als äußerst glücklicher Umstand, daß wir gleich nach dem Jahr, das dem Völkerapostel geweiht war, ein Jahr des Priesters begehen. Wir sind zusammen mit unseren Priestern aufgerufen, die Gnade und Aufgabe des Priesteramtes wiederzuentdecken. Dieses Amt ist ein Dienst an der Kirche und am christlichen Volk, der eine tiefe Spiritualität erfordert. In Antwort auf die göttliche Berufung muß sich diese Spiritualität aus dem Gebet und einer tiefen persönlichen Verbundenheit mit dem Herrn nähren, um ihm durch die Verkündigung, die Sakramente, ein geordnetes Gemeindeleben und die Hilfe für die Armen in den Brüdern dienen zu können. Im ganzen priesterlichen Dienst ragt somit die Bedeutung des erzieherischen Einsatzes hervor, damit freie, wirklich freie, das heißt verantwortungsvolle Personen, reife und bewußte Christen heranwachsen.

Es besteht kein Zweifel, daß jenes Solidaritätsgefühl, das im Herzen der Italiener tief verwurzelt ist und das in manchen dramatischen Lebenssituationen des Landes mit besonderer Intensität zum Ausdruck gebracht wird - wie es zuletzt bei dem verheerenden Erdbeben der Fall war, das einige Gebiete in den Abruzzen heimgesucht hat -, aus dem christlichen Geist immer neue Lebenskraft schöpft. Wie euer Präsident bereits gesagt hat, konnte ich persönlich bei meinem Besuch in jenen so tragisch betroffenen Gebieten die Trauer, den Schmerz und die von dem schrecklichen Erdbeben angerichteten Schäden wahrnehmen, mich aber auch von der Seelenstärke jener Bevölkerung, verbunden mit der sofort einsetzenden Solidaritätsbewegung aus wirklich allen Teilen Italiens überzeugen, und dies war für mich besonders beeindruckend. Unsere Gemeinschaften haben mit großer Hochherzigkeit auf das Hilfsersuchen aus jener Region geantwortet und unterstützen die von der Bischofskonferenz durch die Caritas eingeleiteten Initiativen. Ich möchte den Bischöfen aus den Abruzzen und durch sie den Ortsgemeinden die Zusicherung meines steten Gebetes und meiner andauernden liebevollen Nähe erneuern.

Seit Monaten registrieren wir die Folgen einer Finanz- und Wirtschaftskrise, die die heutige Welt hart getroffen und in unterschiedlichem Ausmaß alle Länder erreicht hat. Trotz der auf verschiedenen Ebenen ergriffenen Maßnahmen sind die sozialen Auswirkungen der Krise besonders auf die schwächsten Schichten der Gesellschaft und auf die Familien noch immer auch hart zu spüren. Ich möchte deshalb meine Anerkennung und Ermutigung für die Initiative des Solidaritätsfonds »Anleihe der Hoffnung« zum Ausdruck bringen, der sich am nächsten Sonntag an der gemeinsamen nationalen Spendensammlung beteiligen wird, die die Grundlage des Fonds selbst bildet. Dieses erneute Ersuchen um Freigiebigkeit, das sich den vielen, von zahlreichen Diözesen angesagten Initiativen anschließt und an die Geste der vom Apostel Paulus durchgeführten Kollekte für die Kirche von Jerusalem erinnert, ist ein sprechendes Zeugnis dafür, daß die Lasten miteinander geteilt werden. In einer schwierigen Zeit, die besonders jene betrifft, die ihre Arbeit verloren haben, wird das zu einem wahren Akt des Dienstes an Gott, der aus der vom Geist des Auferstandenen im Herzen der Gläubigen geweckten Liebe entsteht. Es ist eine beredte Botschaft von der durch das Evangelium bewirkten inneren Bekehrung und ein bewegendes Zeichen kirchlicher Gemeinschaft.

Eine wesentliche Form der Liebe, der sich die Gemeinden in Italien sehr verpflichtet fühlen, ist auch die geistig-intellektuelle Liebe. Ein gewichtiges Beispiel dafür ist die engagierte Förderung einer verbreiteten Mentalität zugunsten des Lebens in jedem seiner Aspekte und Phasen, mit besonderer Aufmerksamkeit für das von großer Gebrechlichkeit und Unsicherheit gezeichnete Leben. Gut bezeugt wird dieses Engagement von dem Manifest »Frei sein zum Leben. Das Leben bis zum Schluß lieben«, das die katholischen Laien Italiens einträchtig dafür eintreten sieht, daß im Land das Bewußtsein für die volle Wahrheit über den Menschen und die Förderung des echten Wohls der Personen und der Gesellschaft nicht fehlt. Das »Für« und »Wider«, das hier zum Ausdruck kommt, zeichnet in Umrissen eine echte Erziehungstätigkeit nach und ist Ausdruck einer starken und konkreten Liebe zu jedem Menschen. Damit kehrt unsere Aufmerksamkeit also zum Zentralthema eurer Vollversammlung zurück - der dringenden Aufgabe der Erziehung, die die Verwurzelung im Wort Gottes und die geistliche Unterscheidung, die organisatorische Fähigkeit im kulturellen und sozialen Bereich sowie das Zeugnis der Einheit und der Selbstlosigkeit erfordert.

Liebe Mitbrüder, nur wenige Tage trennen uns vom Pfingstfest, an dem wir die Gabe des Geistes feiern werden, der die Grenzen niederreißt und uns für die Erkenntnis der ganzen Wahrheit offen macht. Flehen wir den Tröster an, daß er keinen verlasse, der sich an ihn wendet, und vertrauen wir ihm den Weg der Kirche in Italien und jeden Menschen an, der in diesem geliebten Land lebt. Der Geist des Lebens komme auf uns alle herab und entzünde unsere Herzen mit dem Feuer seiner unendlichen Liebe.

Von Herzen segne ich euch und eure Gemeinden!


ANSPRACHE 2009 115