ANSPRACHE 2010 10

AN DIE TEILNEHMER DER ÖFFENTLICHEN SITZUNG DER PÄPSTLICHEN AKADEMIEN

Donnerstag, 28. Januar 2010

Meine Herren Kardinäle,

11 verehrte Mitbrüder im Bischofs- und im Priesteramt,
sehr geehrte Präsidenten und Mitglieder der Akademien,
meine Damen und Herren!

Es ist mir eine Freude, euch zu dieser Begegnung zu empfangen, die aus Anlaß der Öffentlichen Sitzung der Päpstlichen Akademien stattfindet, dem Höhepunkt der vielfältigen Aktivitäten des Jahres. Ich begrüße Erzbischof Gianfranco Ravasi, Präsident des Koordinationsrates der Päpstlichen Akademien, und danke ihm für die freundlichen Worte, die er an mich gerichtet hat. In meinen Gruß schließe ich auch die Präsidenten der Päpstlichen Akademien ein sowie deren anwesende Mitglieder und Sodalen. Die heutige öffentliche Sitzung, bei der in meinem Namen der »Preis der Päpstlichen Akademien« überreicht worden ist, behandelt ein Thema, dem im Rahmen des Priester-Jahres besondere Bedeutung zukommt: »Die theologische Bildung des Priesters

Heute am Gedenktag des hl. Thomas von Aquin, des großen Kirchenlehrers, möchte ich euch einige Überlegungen über die Ziele und die besondere Sendung der verdienstvollen kulturellen Institutionen des Heiligen Stuhls vorlegen, denen ihr angehört und die sich einer vielfältigen und reichen Tradition der Forschung und des Engagements in verschiedenen Bereichen rühmen dürfen. Die Jahre 2009/2010 haben in der Tat für einige von ihnen die Bedeutung eines besonderen Jubiläums, ein weiterer Grund, um dem Herrn Dank zu sagen. Insbesondere gedenkt die Päpstliche Römische Akademie für Archäologie ihrer Gründung vor 200 Jahren, 1810, und ihrer Umwandlung in eine Päpstliche Akademie im Jahr 1829. Die Päpstliche Akademie des heiligen Thomas von Aquin und die Päpstliche Akademie »Cultorum Martyrum« haben ihres 130jährigen Bestehens gedacht, denn beide wurden 1879 gegründet. Die Päpstliche Internationale Marianische Akademie konnte den 50. Jahrestag ihrer Umwandlung in eine Päpstliche Akademie feiern. Die Päpstliche Akademie des heiligen Thomas von Aquin und jene der Theologie schließlich haben des 10. Jahrestages ihrer institutionellen Erneuerung durch das Motu proprio Inter munera Academiarum aus dem Jahr 1999 gedacht, welches das Datum des heutigen Tages trägt, des 28. Januars.

Sehr viele Anlässe also, um die Vergangenheit durch eine aufmerksame Deutung der Worte und Taten der Gründer und aller, die sich für den Fortschritt dieser Institutionen eingesetzt haben, Revue passieren zu lassen. Aber Rückblick und Gedächtnis der glorreichen Vergangenheit dürfen nicht der einzige Zugang zu diesen Ereignissen sein, die vor allem an den Auftrag und die Verantwortung der Päpstlichen Akademien erinnern, treu der Kirche und dem Heiligen Stuhl zu dienen, indem sie in der Gegenwart das reichhaltige und verschiedenartige Engagement erneuern, das auch in jüngster Vergangenheit reiche Frucht getragen hat. Denn die zeitgenössische Kultur und noch mehr die Gläubigen selbst drängen beständig auf die Reflexion und das Handeln der Kirche in den verschiedenen Gebieten, in denen neue Problematiken auftauchen und die auch zu euren Tätigkeitsbereichen gehören: die philosophische und theologische Forschung; die Reflexion über die Gestalt der Jungfrau Maria; das Studium der Geschichte, der Monumente, der Zeugnisse, welche die ersten Generationen von Christen als Erbe hinterlassen haben, angefangen bei den Märtyrern; der delikate und wichtige Dialog zwischen dem christlichen Glauben und der künstlerischen Kreativität, dem ich die Begegnung mit Persönlichkeiten aus der Welt der Kunst und der Kultur gewidmet habe, die am vergangenen 21. November in der Sixtinischen Kapelle stattgefunden hat. In diesen schwierigen Forschungs- und Einsatzbereichen seid ihr gerufen, einen qualifizierten, kompetenten und begeisterten Beitrag zu leisten, damit der ganzen Kirche und insbesondere dem Heiligen Stuhl, die entsprechenden Gelegenheiten, Ausdrucksweisen und Mittel zur Verfügung stehen, um mit den zeitgenössischen Kulturen einen Dialog zu führen und wirksam auf die Fragen und Herausforderungen antworten zu können, die heute in den verschiedenen Bereichen des Wissens und der menschlichen Erfahrung an sie herangetragen werden.

Wie ich bereits mehrmals betont habe, steht die heutige Kultur sehr stark unter dem Einfluß sowohl einer von Relativismus und Subjektivismus beherrschten Sichtweise, als auch von Methoden oder Haltungen, die manchmal oberflächlich oder sogar banal sind. Sie beeinträchtigen die Ernsthaftigkeit der Forschung und der Reflexion und folglich auch des Dialogs, der geistigen Auseinandersetzung und der interpersonalen Kommunikation. Deshalb erscheint es als dringend notwendig, in Studium und Forschung wieder die wesentlichen Bedingungen für eine wirkliche Fähigkeit zur Vertiefung zu schaffen, damit über die verschiedenen Problematiken ein vernünftiger Dialog geführt und ein wirksamer Austausch gepflegt werden kann, im Hinblick auf ein gemeinsames Wachsen und eine Bildung, die den Menschen in seiner Ganzheit und Vollständigkeit fördert. Dem Fehlen von ideellen und moralischen Orientierungspunkten, welches das zivile Zusammenleben und vor allem die Erziehung der jungen Generationen belastet, muß ein entsprechendes ideelles und praktisches Angebot an Werten und Wahrheiten, an tiefen Gründen für das Leben und die Hoffnung entgegengestellt werden, das alle interessieren kann und muß, vor allem die Jugendlichen. Dieses Engagement ist im Bereich der Ausbildung der Priesteramtskandidaten besonders zwingend, so wie es das Priester-Jahr fordert und es auch durch die glückliche Entscheidung bestätigt wird, eure jährliche öffentliche Sitzung diesem Thema zu widmen.

Eine der Päpstlichen Akademien trägt den Titel des hl. Thomas von Aquin, »Doctor angelicus et communis«, einem stets aktuellen Vorbild, an dem sich das Handeln und der Dialog der Päpstlichen Akademien mit den verschiedenen Kulturen inspirieren soll. Denn ihm gelang es in der Tat, einen fruchtbaren Dialog sowohl mit dem arabischen, als auch mit dem jüdischen Denken seiner Zeit einzuleiten. Er griff die Tradition der griechischen Philosophie auf und schuf so eine außerordentliche theologische Synthese, in der er Vernunft und Glauben in vollkommenen Einklang brachte. Schon bei seinen Zeitgenossen hinterließ er einen tiefen und unzerstörbaren Eindruck, gerade aufgrund der außerordentlichen Klugheit und Schärfe seiner Intelligenz, der Größe und Originalität seines Geistes und der leuchtenden Heiligkeit seines Lebens. Sein erster Biograph, Wilhelm von Tocco, unterstreicht mit Worten, die auch euer Tun inspirieren können, die außerordentliche und überzeugende pädagogische Originalität des hl. Thomas: »Fra Tommaso «, so schreibt er, »führte in seine Vorlesungen neue Artikel ein, löste die Fragen auf neue und deutlichere Art mit neuen Argumenten. Folglich konnten die, die ihm zuhörten und die er seine neuen Thesen lehrte, welche er mit neuen Methoden abhandelte, nicht daran zweifeln, daß Gott ihn erleuchtet hatte, und zwar mit einem neuen Licht: Kann man tatsächlich jemals neue Meinungen lehren oder schreiben, wenn man nicht von Gott eine neue Inspiration erhalten hat?« (Vita Sancti Thomae Aquinatis, in Fontes Vitae S. Thomae Aquinatis notis historicis et criticis illustrati, hg. D. Prümmer, M.-H. Laurent, Toulouse, o.J., fasc.
2S 81).

Das Denken und das Zeugnis des hl. Thomas von Aquin sind für uns eine Anregung, die auftauchenden Fragen mit großer Aufmerksamkeit zu studieren, um angemessene und kreative Antworten geben zu können. Im Vertrauen auf die Fähigkeiten der »menschlichen Vernunft« und in vollkommener Treue zum unwandelbaren »depositum fidei«, muß man - wie es der »doctor communis« tat - immer aus dem Reichtum der Tradition schöpfen in der ständigen Suche nach der »Wahrheit der Dinge«. Deshalb ist es notwendig, daß die Päpstlichen Akademien heute mehr denn je lebendige und aktive Institutionen sind, fähig, mit Scharfblick sowohl die Fragen der Gesellschaft und der Kulturen, als auch die Bedürfnisse und Erwartungen der Kirche zu erkennen, um einen angemessenen und wirksamen Beitrag zu leisten und so mit allen zur Verfügung stehenden Kräften und Mitteln einen echten christlichen Humanismus zu fördern.

Zum Schluß möchte ich den Päpstlichen Akademien meinen Dank aussprechen für die großherzige Hingabe und das geleistete Engagement. Jeder Akademie wünsche ich, daß sie ihre Geschichte und Traditionen durch neue, bedeutsame Projekte bereichern möge, um durch sie die eigene Sendung mit erneuertem Elan fortzuführen. Ich versichere euch meines Gebetsgedenkens und während ich für euch und die Institutionen, denen ihr angehört, die Fürsprache der Muttergottes, Sedes Sapientiae, und des hl. Thomas von Aquin erbitte, erteile ich euch von Herzen den Apostolischen Segen.









AN DIE MITGLIEDER DES GERICHTSHOFES DER RÖMISCHEN ROTA ANLÄSSLICH DER ERÖFFNUNG DES GERICHTSJAHRES

Donnerstag, 29. Januar 2010



12 Liebe Mitglieder des Gerichtshofes der Römischen Rota!

Es freut mich, euch anläßlich der Eröffnung des Gerichtsjahres wieder empfangen zu können. Mein herzlicher Gruß gilt dem Kollegium der Prälaten-Auditoren, angefangen beim Dekan, Bischof Antoni Stankiewicz, dem ich für die Worte danke, die er im Namen der Anwesenden an mich gerichtet hat. Ich begrüße auch die Kirchenanwälte, die Bandverteidiger, alle weiteren Beamten, Anwälte und alle Mitarbeiter dieses Apostolischen Gerichtshofes, wie auch die Mitglieder des »Studio Rotale«. Gerne ergreife ich die Gelegenheit, euch meiner tiefen Hochachtung und aufrichtigen Dankbarkeit für euren kirchlichen Dienst zu versichern. Ich möchte auch betonen, wie notwendig eure juristische Tätigkeit ist. Die wertvolle Arbeit, die die Prälaten-Auditoren im Namen und im Auftrag des Apostolischen Stuhles mit Sorgfalt auszuführen gerufen sind, wird von den maßgeblichen und bewährten Traditionen dieses Gerichtshofes gestützt, zu dessen Achtung sich jeder von euch persönlich verpflichtet fühlen muß.

Ich will heute auf den Wesenskern eures Dienstes eingehen und versuchen, seine Beziehung zu Gerechtigkeit, Liebe und Wahrheit zu vertiefen. Dabei werde ich mich vor allem auf Überlegungen stützen, die ich in der Enzyklika Caritas in veritate angestellt habe und die, wenngleich im Kontext der Soziallehre der Kirche betrachtet, auch andere kirchliche Bereiche erhellen können. Zur Kenntnis genommen werden muß die weitverbreitete und tief verwurzelte, wenn auch nicht immer offenkundige Tendenz, die Gerechtigkeit in Gegensatz zur Liebe zu stellen, als würde die eine die andere ausschließen. Auf dieser Linie meinen manche - wobei sie sich in besonderer Weise auf das Leben der Kirche beziehen -, die pastorale Liebe könne jeden auf eine Nichtigkeitserklärung des Ehebandes abzielenden Schritt rechtfertigen, um Personen entgegenzukommen, die sich in irregulären ehelichen Situationen befinden. Somit würde die Wahrheit, auf die man sich zwar den Worten nach beruft, in einer instrumentellen Optik gesehen werden, die die Wahrheit von Fall zu Fall den jeweiligen Bedürfnissen anpaßt.

Ausgehend von dem Begriff der »Rechtspflege« möchte ich vor allem daran erinnern, daß euer Dienst im wesentlichen ein Werk der Gerechtigkeit ist. Jener Gerechtigkeit, die als sittliche Tugend »der beständige, feste Wille ist, Gott und dem Nächsten das zu geben, was ihnen gebührt« (
CEC 1807). Der menschliche und christliche Wert dieser Tugend muß mehr denn je wiederentdeckt werden, auch innerhalb der Kirche. Das Kirchenrecht wird manchmal unterbewertet, als wäre es ein rein technisches Mittel im Dienst beliebiger subjektiver Interessen - auch solcher, die nicht auf die Wahrheit gegründet sind. Dabei muß dieses Recht doch stets in seiner wesentlichen Beziehung zur Gerechtigkeit betrachtet werden, in dem Bewußtsein, daß das Ziel der juristischen Aktivität in der Kirche das Seelenheil ist und »eine besondere Teilnahme an der Sendung Christi als Hirten darstellt und in der Verwirklichung der Ordnung der Gerechtigkeit besteht…, die von Christus selbst gewollt ist« (Johannes Paul II., Ansprache an die Römische Rota, 18. Januar 1990, in O.R. dt., Nr. 5, 2.2.1990, S. 10, Nr. 4). In dieser Perspektive muß man sich vor Augen halten, daß der Prozeß und das Urteil - ganz gleich, wie die jeweilige Situation auch sein mag - in grundlegender Weise an die Gerechtigkeit gebunden sind und in deren Dienst stehen. Der Prozeß und das Urteil sind nicht nur für die Parteien, sondern für das gesamte Gefüge der Kirche von großer Bedeutung. Das kommt in besonderer Weise dann zum Tragen, wenn es darum geht, über die Nichtigkeit einer Ehe zu befinden, wobei sowohl das menschliche und übernatürliche Wohl der Ehegatten als auch das öffentliche Wohl der Kirche betroffen ist. Außer dieser sogenannten »objektiven« Dimension der Gerechtigkeit gibt es noch eine weitere, untrennbar mit ihr verbundene. Diese betrifft die im Bereich der Rechtsprechung Tätigen, also jene, die sie erst möglich machen. Ich möchte betonen, daß sich diese Personen in der Übung der menschlichen und christlichen Tugenden besonders auszeichnen sollen, vor allem der Klugheit und der Gerechtigkeit, aber auch der Tapferkeit. Letztere wird dann besonders relevant, wenn der leichteste Weg die Ungerechtigkeit zu sein scheint, weil sie eine nachgiebige Haltung gegenüber den Wünschen und Erwartungen der Parteien oder den Einflüssen des sozialen Umfeldes impliziert. In diesem Kontext trägt der Richter, der den Wunsch hat, gerecht zu sein und dem klassischen Paradigma von der »lebendigen Gerechtigkeit « (vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, V, 1132a) zu entsprechen, die ganze Last der Verantwortung seiner Aufgabe vor Gott und den Menschen. Einer Aufgabe, die auch die gebotene rasche Bearbeitung jeder Prozeßphase miteinschließt: »quam primum, salva iustitia« (Päpstlicher Rat für die Interpretation von Gesetzestexten, Instr. Dignitas connubii, Art. 72). Alle im Bereich der Rechtsprechung Tätigen müssen - ihrer jeweiligen Funktion entsprechend - von der Gerechtigkeit geleitet sein. Ich denke dabei besonders an die Anwälte, die ihr Augenmerk nicht nur auf die Wahrhaftigkeit der Beweise legen müssen, sondern es auch sorgfältig vermeiden sollen, als Vertrauensanwälte bei Verfahren die Verteidigung zu übernehmen, die ihrem Gewissen nach nicht objektiv vertretbar sind.

Das Handeln jener, die mit der Rechtsprechung befaßt sind, kann nicht von der Liebe absehen. Jede Tätigkeit, auch wenn sie scheinbar technischer und bürokratischer Art ist, muß auf die Liebe zu Gott und zum Nächsten ausgerichtet sein. Der Blick und das Maß der Liebe werden helfen, nicht zu vergessen, daß man es dabei stets mit Menschen zu tun hat, die von Sorgen und Leid gezeichnet sind. Auch im besonderen Bereich des Dienstes derer, die mit der Rechtsprechung befaßt sind, gilt das Prinzip, nach dem »die Liebe über die Gerechtigkeit hinausgeht« (Caritas in veritate ). So muß man auch beim Umgang mit den Menschen - der natürlich einer spezifischen, mit dem Prozeß verbundenen Modalität entspricht - auf deren jeweilige konkrete Situation eingehen und dabei Takt und Einfühlungsvermögen walten lassen, um den Parteien den Kontakt mit dem zuständigen Gerichtshof zu erleichtern. Gleichzeitig ist es wichtig, sofern Hoffnung auf Erfolg gegeben ist, daß versucht wird, die Gatten dazu zu bewegen, ihre Ehe, falls möglich, gültig zu machen und die eheliche Lebensgemeinschaft wiederherzustellen (vgl. CIC CIC 1676). Wichtig ist es auch, sich darum zu bemühen, eine Atmosphäre der menschlichen und christlichen Disponibilität zu schaffen, die in der Suche nach der Wahrheit gründet (vgl. Instr. Dignitas connubii, Art. 65 §§ 2-3).

Es muß aber auch betont werden, daß jedes Werk wahrer Nächstenliebe unweigerlich den Bezug auf die Gerechtigkeit miteinschließt, ganz besonders in unserem Fall. »Die Liebe - ›caritas‹ - ist eine außerordentliche Kraft, welche die Menschen drängt, sich mutig und großherzig auf dem Gebiet der Gerechtigkeit und des Friedens einzusetzen« (Enzyklika Caritas in veritate ). »Wer den anderen mit Nächstenliebe begegnet, ist vor allem gerecht zu ihnen. Die Gerechtigkeit ist der Liebe nicht nur in keiner Weise fremd, sie ist nicht nur kein alternativer oder paralleler Weg zur ihr: Die Gerechtigkeit ist untrennbar mit der Liebe verbunden, sie ist ein ihr innewohnendes Element« (ebd., ). Liebe ohne Gerechtigkeit ist keine Liebe, sondern nur eine Verfälschung, weil die Liebe selbst jene Objektivität verlangt, die typisch ist für die Gerechtigkeit und die nicht mit unmenschlicher Kälte verwechselt werden darf. Diesbezüglich gilt, was mein ehrwürdiger Vorgänger Johannes Paul II. in seiner feierlichen Ansprache über die Beziehungen zwischen Pastoral und Recht festgestellt hat: »Der Richter muß sich daher immer vor der Gefahr hüten, falsch verstandenes Mitleid zu üben, das zur Sentimentalität absinken würde und nur scheinbar pastoral wäre« (18. Januar 1990, in O.R. dt., Nr. 5, 2.2.1990, S. 10, Nr. 5).

Wir müssen pseudopastorale Ausflüchte vermeiden, die diese Fragen auf einer rein horizontalen Ebene ansiedeln, auf der es darum geht, subjektive Forderungen zufriedenzustellen, um um jeden Preis eine Erklärung der Nichtigkeit zu erreichen - unter anderem zu dem Zweck, Hindernisse auszuräumen, die dem Empfang des Sakraments der Buße und der Eucharistie im Wege stehen. Das hohe Gut der Wiederzulassung zur eucharistischen Kommunion nach der sakramentalen Versöhnung erfordert dagegen, das wahre Wohl der Personen im Auge zu haben, das untrennbar mit der Wahrheit ihrer kirchenrechtlichen Situation verbunden ist. Es wäre ein fiktives Wohl und ein schwerwiegender Mangel an Gerechtigkeit und Liebe, wenn man ihnen dennoch den Weg zum Empfang der Sakramente ebnen würde. Und es würde auch die Gefahr bergen, diese Menschen in objektivem Gegensatz zur Wahrheit ihrer persönlichen Situation leben zu lassen.

Bezüglich der Wahrheit habe ich in den Ansprachen an diesen Apostolischen Gerichtshof im Jahr 2006 und 2007 wiederholt auf die Möglichkeit hingewiesen, die Wahrheit über das Wesen der Ehe und die Realität jeder persönlichen Situation, die dem Urteilsspruch der Gerichts unterbreitet wird, zu finden (28. Januar 2006, in O.R. dt., Nr. 8, 24.2.2006, S. 8 und 27. Januar 2007, in O.R. dt., Nr. 6, 9.2.2007, S. 7f.). Ich habe auch das Thema der Wahrheit in den Eheverfahren behandelt (vgl. Instr. Dignitas connubii, Artt. 65 §§ 1-2, 95 § 1, 167, 177, 178). Ich möchte heute betonen, daß sowohl die Gerechtigkeit als auch die Liebe das Postulat der Wahrheitsliebe erfordert und im wesentlichen die Suche nach dem Wahren mit sich bringt. Vor allem aber macht die Liebe den Bezug auf die Wahrheit um so erforderlicher. »Die Wahrheit zu verteidigen, sie demütig und überzeugt vorzubringen und sie im Leben zu bezeugen, sind daher anspruchsvolle und unersetzliche Formen der Liebe. Denn diese ›freut sich an der Wahrheit‹ (1Co 13,6)« (Caritas in veritate ). »Nur in der Wahrheit erstrahlt die Liebe und kann glaubwürdig gelebt werden […]. Ohne Wahrheit gleitet die Liebe in Sentimentalität ab. Sie wird ein leeres Gehäuse, das man nach Belieben füllen kann. Das ist die verhängnisvolle Gefahr für die Liebe in einer Kultur ohne Wahrheit. Sie wird Opfer der zufälligen Gefühle und Meinungen der einzelnen, ein Wort, das mißbraucht und verzerrt wird, bis es schließlich das Gegenteil bedeutet« (ebd., ).

Man muß sich vor Augen halten, daß es zu einer solchen Entleerung nicht nur in der Praxis der Rechtsprechung kommen kann, sondern auch in den theoretischen Ansätzen, die sich stark auf die konkreten Urteile auswirken. Das Problem stellt sich, wenn das Wesen der Ehe selbst, das in der Natur von Mann und Frau verwurzelt ist und das ein objektives Urteil über die einzelnen Ehen ermöglicht, mehr oder weniger verdunkelt wird. Die existentielle, personalistische und relationale Betrachtung der ehelichen Verbindung darf nie zu Lasten ihrer Unauflöslichkeit gehen, die die Wesenseigenschaft ist, die - zusammen mit der Einheit - im Hinblick auf das Sakrament in der christlichen Ehe eine besondere Festigkeit erlangt (vgl. CIC CIC 1056). Man darf auch nicht vergessen, daß sich die Ehe der Rechtsgunst erfreut. Deshalb ist im Zweifelsfall an der Gültigkeit der Ehe so lange festzuhalten, bis das Gegenteil bewiesen wird (vgl. CIC CIC 1060). Andernfalls läuft man Gefahr, den objektiven Bezugspunkt beim Befinden über die Nichtigkeit der Ehe zu verlieren und so jedes Eheproblem zu einem Symptom der fehlenden Umsetzung der ehelichen Verbindung zu machen, deren wesentlicher Gerechtigkeitskern - die Unauflöslichkeit des Ehebandes - de facto geleugnet wird.

Verehrte Prälaten-Auditoren, Offizialen und Anwälte: ich vertraue euch diese Überlegungen an in der Gewißheit, daß ihr vom Geist der Treue beseelt seid und euch bei der Suche nach dem wahren Wohl des Gottesvolkes für die volle Umsetzung der kirchlichen Normen der Kirche einsetzen werdet. Zur Unterstützung eurer wertvollen Tätigkeit erbitte ich für jeden von euch und eure tägliche Arbeit den mütterlichen Schutz der seligen Jungfrau Maria Speculum iustitiae und erteile euch gerne den Apostolischen Segen.







Februar 2010



AN DIE BISCHÖFE VON ENGLAND UND WALES ANLÄSSLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES


13

Montag, 1. Februar 2010

Liebe Mitbrüder im Bischofsamt!


Seid herzlich willkommen zu eurem »Ad-limina«-Besuch an den Gräbern der Apostel Petrus und Paulus, zu deren Verehrung ihr nach Rom gekommen seid. Ich danke für die freundlichen Worte, die Erzbischof Vincent Nichols in eurem Namen an mich gerichtet hat. Gerne versichere ich euch meiner besten Wünsche und Gebete für euch und die eurer Seelsorge anvertrauten Gläubigen in England und Wales. Euer Besuch in Rom stärkt das Band der Gemeinschaft zwischen der katholischen Gemeinde in eurem Land und dem Apostolischen Stuhl; eine Gemeinschaft, die den Glauben eures Volkes jahrhundertelang gestützt hat und heute der Erneuerung und Evangelisierung neuen Aufschwung verleiht. Obwohl wir in einer säkularisierten Welt starkem Druck ausgesetzt sind, gibt es bei den Katholiken in England und Wales viele Zeichen der Frömmigkeit und lebendigen Glaubens. Ich denke beispielsweise an den Enthusiasmus, der von der Reise der Reliquien der hl. Therese ausgelöst wurde, das Interesse an der Seligsprechung von Kardinal Newman und an die rege Teilnahme junger Menschen an Pilgerfahrten und Weltjugendtagen. Bei meiner bevorstehenden Apostolischen Reise nach Großbritannien werde ich mich persönlich von diesem Glauben überzeugen und ihn als Nachfolger Petri stärken und bestätigen können. Ich bitte euch, die Katholiken in England und Wales in den kommenden Monaten der Vorbereitung in ihrer Frömmigkeit zu bestärken und sie zu versichern, daß der Papst ihrer allzeit im Gebet gedenkt und sie im Herzen trägt.

Es ist bekannt, wie entschlossen sich euer Land für die Chancengleichheit aller Mitglieder der Gesellschaft einsetzt. Wie ihr aber zu Recht herausgestellt habt, haben einige für die Erreichung dieses Zieles geschaffene Gesetze bewirkt, daß der Freiheit religiöser Gemeinschaften, nach ihren Glaubensüberzeugungen zu handeln, ungerechtfertigte Beschränkungen auferlegt wurden. In gewisser Hinsicht verstoßen diese Gesetze sogar gegen das Naturrecht, auf das sich die Gleichheit aller Menschen gründet und von dem sie garantiert wird. Ich fordere euch auf, in eurer Eigenschaft als Seelenhirten dafür Sorge zu tragen, daß die Morallehre der Kirche stets in ihrer Ganzheit vertreten und überzeugend verteidigt wird. Die Treue zum Evangelium schränkt die Freiheit anderer in keiner Weise ein - im Gegenteil, sie dient ihr, indem sie den anderen die Wahrheit anbietet. Besteht auch weiterhin auf eurem Recht, durch einen respektvollen Dialog mit anderen Gliedern der Gesellschaft an der nationalen Debatte teilzunehmen. Wenn ihr das tut, haltet ihr nicht nur die bewährte britische Tradition der Meinungsfreiheit und des ehrlichen Meinungsaustausches hoch, sondern macht euch auch zum Sprachrohr vieler Menschen, die nicht die Möglichkeit haben, ihre Meinung zu äußern: Wenn sich ein so großer Teil der Bevölkerung als christlich bezeichnet, wie sollte man dem Evangelium dann sein Recht, gehört zu werden, streitig machen können?

Wenn die unverkürzte Heilsbotschaft Christi auf wirksame und überzeugende Weise dargelegt werden soll, muß die katholische Gemeinschaft mit einer Stimme sprechen. Das erfordert, daß nicht nur ihre Bischöfe, sondern auch die Priester, Lehrer, Katecheten, Schriftsteller - also alle, die mit der Verbreitung des Evangeliums betraut sind - auf die Eingebungen des Heiligen Geistes hören, der die ganze Kirche zur Wahrheit führt, sie in der Einheit sammelt und mit missionarischem Eifer beseelt.

Macht es euch also zur Aufgabe, das Potential der Laiengläubigen in England und Wales zu nutzen und sie in die Lage zu versetzen, den Glauben nicht nur in verständlicher und sorgsamer Weise an die neuen Generationen weiterzugeben, sondern auch in dem klaren Bewußtsein, daß sie so die ihnen in der Sendung der Kirche zukommende Aufgabe erfüllen. In einem sozialen Umfeld, das zu jeder sich stellenden Frage eine Vielfalt von Meinungen hervorbringt, ist es wichtig, den Dissens als das zu erkennen, was er ist, und ihn nicht mit einem mündigen Beitrag zu einer ausgewogenen und umfassenden Debatte zu verwechseln. Was uns freimacht, ist die Wahrheit, die uns durch die Schrift und die Tradition offenbart und durch das kirchliche Lehramt zum Ausdruck gebracht wird. Kardinal Newman hat das erkannt und uns ein leuchtendes Beispiel für die Treue zur geoffenbarten Wahrheit hinterlassen, indem er dem »freundlichen Licht« folgte, wohin es ihn auch immer führte und welch große persönliche Opfer es ihm auch abverlangte. Was wir in der Kirche heute brauchen, sind Autoren und Kommunikatoren seines Formats und seiner Integrität, und ich hoffe sehr, daß die Verehrung seiner Person viele dazu anregen wird, in seine Fußstapfen zu treten.

Das akademische und literarische Schaffen Newmans hat zwar zu Recht große Beachtung gefunden, man darf aber nicht vergessen, daß er sich selbst vor allem als Priester betrachtete. In diesem Priester-Jahr bitte ich euch, euren Priestern nicht nur seinen vorbildlichen Gebetseifer vor Augen zu führen, sondern auch sein pastorales Gespür für die Bedürfnisse seiner Herde und seine leidenschaftliche Verkündigung des Evangeliums. Ihr selbst solltet ein solches Vorbild sein! Steht euren Priestern zur Seite und erinnert sie daran, welch großes Privileg, welch immense Freude es ist, als »alter Christus« inmitten des Gottesvolkes zu wirken. Wie schon Newman sagte, »haben die Priester Christi kein anderes Priestertum als das Seinige… was sie tun, tut er; wenn sie taufen, tauft er; wenn sie segnen, segnet er« (Pfarr- und Volkspredigten [Parochial and Plain Sermons], VI 242). Da der Priester also im Leben der Kirche eine unersetzbare Rolle spielt, bitte ich euch, keine Mühe zu scheuen, die Priesterberufungen zu fördern und den Gläubigen die wahre Bedeutung und Notwendigkeit des Priestertums zu verdeutlichen. Bestärkt die Laiengläubigen darin, ihre Wertschätzung für die ihnen dienenden Priester zum Ausdruck zu bringen, und Verständnis für die Schwierigkeiten zu zeigen, denen sich letztere aufgrund der abnehmenden Priesterzahlen und des zunehmenden Drucks manchmal stellen müssen. Die Unterstützung und das Verständnis der Gläubigen sind besonders dann notwendig, wenn Pfarreien zusammengelegt und die Gottesdienstzeiten dementsprechend angepaßt werden müssen. Helft ihnen, nicht der Versuchung zu erliegen, die Priester als bloße Beamte zu betrachten, und haltet sie statt dessen dazu an, sich an der Gabe des priesterlichen Dienstes zu erfreuen, einer Gabe, die niemals als selbstverständlich angesehen werden darf.

Aufgrund der verschiedenartigen demographischen Zusammensetzung der Bevölkerung kommt dem ökumenischen und interreligiösen Dialog in England und Wales große Bedeutung zu. Ich möchte euch nicht nur in eurer wichtigen Arbeit in diesem Bereich bestärken, sondern bitte euch, bei der Umsetzung der in der Apostolischen Konstitution Anglicanorum coetibus gegebenen Richtlinien großzügig zu sein, um all jene anglikanischen Gruppen zu unterstützen, die sich die volle Gemeinschaft mit der katholischen Kirche wünschen. Ich bin überzeugt davon, daß diese Gruppen, wenn sie von uns herzlich aufgenommen werden, für die gesamte Kirche ein Segen sind.

Mit diesen Überlegungen vertraue ich eure apostolische Sendung der Fürsprache des heiligen David, des heiligen Georg und aller englischen und walisischen Heiligen und Märtyrer an. Möge Unsere Liebe Frau von Walsingham euch allzeit leiten und schützen. Euch allen, sowie den Priestern, Ordensleuten und Laiengläubigen eures Landes erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen als Unterpfand der Freude und des Friedens in Jesus Christus, unserem Herrn.





AN DIE SCHOTTISCHEN BISCHÖFE ANLÄSSLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES

Freitag, 5. Februar 2010

Liebe Mitbrüder im Bischofsamt!


14 Zu eurem »Ad-limina«-Besuch in Rom heiße ich euch alle herzlich willkommen. Vielen Dank für die freundlichen Worte, die Kardinal Keith Patrick O’Brien in eurem Namen an mich gerichtet hat. Gerne versichere ich euch meiner Gebete und schließe die eurer Seelsorge anvertrauten Gläubigen ein. Eure Anwesenheit ist Ausdruck einer Realität, die den Kernpunkt jeder katholischen Diözese bildet: ihre Communio mit dem Stuhl Petri, und folglich mit der Weltkirche. Die pastoralen Initiativen, die dieser wesentlichen Dimension Rechnung tragen, führen zu einer wahren Erneuerung: Wenn die Bande der Gemeinschaft mit der Weltkirche, und insbesondere mit Rom, freudig angenommen und in Fülle gelebt werden, kann der Glaube der Menschen frei wachsen und eine reiche Ernte guter Werke hervorbringen.

Es ist eine glückliche Fügung, daß das Priester-Jahr, das derzeit in der ganzen Kirche begangen wird, mit dem 400. Jahrestag der Priesterweihe des großen schottischen Märtyrers und Heiligen John Ogilvie zusammenfällt. Er wird zu Recht als treuer Diener des Evangeliums verehrt und hat seinen schwierigen und gefährlichen pastoralen Dienst auf wirklich hervorragende Weise verrichtet und sogar sein Leben dafür hingegeben. Eure heutigen Priester mögen ihn sich zum Vorbild nehmen! Es freut mich zu sehen, welch große Bedeutung ihr der ständigen Ausbildung eures Klerus beimeßt, besonders durch die Initiative »Priester für Schottland«. Das Zeugnis von Priestern, die sich durch ehrlichen Gebetseifer auszeichnen und ihren Dienst mit Freude erfüllen, wirkt sich nicht nur positiv auf das spirituelle Leben der Gläubigen aus, sondern bringt auch neue Berufungen hervor. Vergeßt dabei nicht, daß eure lobenswerten Initiativen im Bereich der Berufungspastoral von einer ständigen Katechese begleitet sein müssen, die den Gläubigen die wahre Bedeutung des Priestertums vermittelt. Stellt heraus, welche unersetzliche Rolle dem Priester im Leben der Kirche zukommt, vor allem beim Spenden der Eucharistie, aus der die Kirche das Leben empfängt. Ermutigt die für die Ausbildung der Seminaristen Verantwortlichen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um eine neue Generation engagierter und eifriger Priester heranzubilden. Priester, die menschlich, akademisch und spirituell gut ausgebildet sind für die Anforderungen, die die Verrichtung ihres Dienstes im 21. Jahrhundert an sie stellt.

Die angemessene Anerkennung der Rolle des Priesters geht mit einem rechten Verständnis der besonderen Berufung der Laien einher. Die Tendenz, das Laienapostolat mit dem Laiendienst zu verwechseln, hat manchmal zu einem verengenden Verständnis der kirchlichen Rolle der Laien geführt. Dabei ist die Sicht des Zweiten Vatikanischen Konzils, daß wo immer Laien ihre in der Taufe empfangene Berufung leben - in der Familie, zu Hause, in der Arbeit -, sie aktiv an der Sendung der Kirche Anteil haben, die Welt zu heiligen. Eine Neubesinnung auf das Laienapostolat kann die Frage klären helfen, welche Rollen dem Klerus und dem Laientum zukommen, und kann so ein starker Ansporn sein für die Aufgabe, die Gesellschaft zu evangelisieren.

Diese Aufgabe erfordert die Bereitschaft, sich den Anforderungen, die die zunehmende Säkularisierungswelle in eurem Land mit sich bringt, entschlossen zu stellen. Die Befürwortung der Euthanasie betrifft die Herzmitte der christlichen Auffassung von der Würde des menschlichen Lebens. Die jüngsten Entwicklungen in der Medizinethik und einige auf dem Gebiet der Embryologie befürwortete Praktiken geben Anlaß zu großer Sorge. Wenn auf einem solchen Gebiet auch nur geringe Abstriche an der kirchlichen Lehre gemacht werden, dann wird es schwer, die Fülle der katholischen Lehre in ganzheitlicher Weise zu verteidigen. Die Hirten der Kirche müssen die Gläubigen daher allseits zur bedingungslosen Treue zum kirchlichen Lehramt anhalten und gleichzeitig das Recht der Kirche einfordern und verteidigen, ihre Glaubensüberzeugungen in der Gesellschaft frei leben zu dürfen.

Die Kirche bietet der Welt eine positive und inspirierende Sicht des menschlichen Lebens, der Schönheit der Ehe und der Freude der Elternschaft. Eine Sicht, die verwurzelt ist in Gottes unendlicher, verwandelnder und edler Liebe zu uns allen, die uns die Augen öffnet, damit wir sein Bild in unserem Nächsten erkennen und lieben (vgl. Deus caritas est, 10-11 et passim). Achtet darauf, diese Lehre so zu vermitteln, daß sie als die Botschaft der Hoffnung erkannt wird, die sie ist. Allzu oft wird die Lehre der Kirche als eine Reihe von Verboten und überholten Standpunkten empfunden, obwohl wir doch wissen, daß sie in Wahrheit kreativ und lebensspendend ist und auf die bestmögliche Umsetzung des großen Potentials an Gutem und an Glück abzielt, das Gott jedem von uns ins Herz gelegt hat.

Wie in vielen Ländern Nordeuropas hat auch die Kirche in eurem Land die Tragödie der Spaltung erlitten. Es ist bedauerlich, an den großen Bruch mit der katholischen Vergangenheit Schottlands zu erinnern, zu dem es vor 450 Jahren gekommen ist. Ich danke Gott für den Fortschritt, der gemacht wurde, die Wunden zu heilen, die das Erbe dieser Zeit waren. Damit meine ich besonders das Sektierertum, das auch in der letzten Zeit wieder aufflammen konnte. Setzt euch durch eure Teilnahme an der Ökumenischen Organisation »Action of Churches Together in Scotland« dafür ein, daß das Werk des Wiederaufbaus der Einheit unter den Jüngern Christi beharrlich und engagiert vorangetrieben wird. Gebt nicht dem Druck nach, die christliche Botschaft zu verwässern, sondern konzentriert euch auf das Ziel der vollen, sichtbaren Einheit, denn nicht weniger als das kann dem Willen Christi entsprechen.

Ihr könnt stolz sein auf den Beitrag, den die katholischen Schulen Schottlands bei der Überwindung des Sektierertums und beim Aufbau guter Beziehungen zwischen den Gemeinden geleistet haben. Die Konfessionsschulen sind dem Zusammenhalt der Gesellschaft förderlich, und ihr tut gut daran, das hervorzuheben, wann immer sich die Gelegenheit dazu bietet. Ermutigt die katholischen Lehrer in ihrer Arbeit und stellt dabei besonders heraus, wie wichtig die Qualität und die Tiefe des Religionsunterrichts für die Ausbildung eines gut strukturierten und informierten katholischen Laienstandes sind, der den Wunsch und die Fähigkeit hat, seine Sendung »in der Verwaltung und gottgemäßen Regelung der zeitlichen Dinge« (Christifideles laici
CL 15) zu erfüllen. Eine starke katholische Präsenz in den Medien, in der Politik auf lokaler und nationaler Ebene, in der Gerichtsbarkeit, in den Berufsständen und Universitäten kann das nationale Leben Schottlands nur bereichern, da Menschen des Glaubens Zeugnis ablegen für die Wahrheit, besonders wenn diese Wahrheit in Frage gestellt wird.

Ich werde im Laufe dieses Jahres die Freude haben, euch und die Katholiken Schottlands auf heimischem Boden begrüßen zu dürfen. Bittet euer Volk in dieser Zeit der Vorbereitung auf den Apostolischen Besuch, darum zu beten, daß es eine Zeit der Gnade sei für die ganze katholische Gemeinschaft. Ergreift die Gelegenheit, ihren Glauben zu vertiefen und ihren Wunsch, Zeugnis abzulegen für das Evangelium, neu zu entflammen. Laßt eure Gläubigen wie einst die Mönche von Iona, die die christliche Botschaft in ganz Schottland verbreitet haben, für das schottische Volk von heute leuchtende Vorbilder des Glaubens und der Heiligkeit sein.

Mit diesen Überlegungen vertraue ich eure apostolischen Werke der Fürsprache Unserer Lieben Frau, des hl. Andreas, der hl. Margaret und aller Heiligen Schottlands an. Euch allen, eurem Klerus, den Ordensleuten und Laiengläubigen erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen als Unterpfand der Freude und des Friedens in Jesus Christus, unserem Herrn.






ANSPRACHE 2010 10