ANSPRACHE 2010 19

19 Wenn wir in diesem Abschnitt aus dem Evangelium des Johannes aufmerksam weiterlesen, so finden wir außerdem einen zweiten Imperativ: »Bleibt« und »Haltet meine Gebote«. »Haltet meine Gebote« ist nur die zweite Ebene; die erste ist die des »Bleibens«, die ontologische Ebene, das heißt: daß wir mit ihm vereint sind, der uns sich selbst im Vorhinein gegeben hat, der uns als Frucht seine Liebe gegeben hat. Nicht wir müssen die große Frucht hervorbringen; das Christentum ist kein Moralismus, nicht wir müssen das tun, was Gott sich von der Welt erwartet, sondern wir müssen vor allem in dieses ontologische Geheimnis eintreten: Gott gibt sich selbst. Sein Sein, sein Lieben geht unserem Handeln voraus, und im Kontext seines Leibes, im Kontext des Bei-ihm-Seins, des Einsseins mit ihm, geadelt durch sein Blut, können auch wir mit Christus handeln.

Die Ethik ist eine Folge des Seins: zuerst gibt uns der Herr ein neues Sein, das ist das große Geschenk; das Sein geht dem Handeln voraus, und diesem Sein folgt dann das Handeln, gleichsam eine organische Wirklichkeit, da wir das, was wir sind, auch in unserem Tun sein können. Und so danken wir dem Herrn, da er uns vom reinen Moralismus befreit hat; wir sollen keinem Gesetz gehorchen, das einfach vor uns steht, sondern wir müssen allein entsprechend unserer Identität handeln. Somit handelt es sich nicht mehr um einen Gehorsam, um etwas Äußeres, sondern um eine Verwirklichung des Geschenks des neuen Seins.

Ich sage es noch einmal: Danken wir Gott, daß er uns vorangeht und uns das gibt, was wir geben müssen, und wir können dann in der Wahrheit und in der Kraft unseres neuen Seins Handelnde in seiner Wirklichkeit sein. Bleiben und die Gebote halten: das Halten der Gebote ist ein Zeichen des Bleibens, und das Bleiben ist das Geschenk, das er uns gibt, das jedoch jeden Tag unseres Lebens erneuert werden muß.

Es folgt dann dieses neue Gebot: »Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe.« Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer »sein Leben für seine Freunde hingibt«. Was heißt das? Auch hier geht es um keinen Moralismus. Man könnte sagen: »Das ist kein neues Gebot; das Gebot, den Nächsten wie sich selbst zu lieben, gibt es bereits im Alten Testament.« Einige sagen: »Eine derartige Liebe muß noch mehr radikalisiert werden, diese Liebe zum anderen muß Christus nach - ahmen, der sich für uns hingegeben hat; es muß ein heldenhaftes Lieben sein, bis hin zur Selbsthingabe. « In diesem Fall aber wäre das Christentum ein heroischer Moralismus. Es ist wahr, daß wir bis zu dieser Radikalität der Liebe vorstoßen müssen, die uns Christus gezeigt und geschenkt hat, aber auch hier besteht die wahre Neuheit nicht in dem, was wir tun, die wahre Neuheit ist das, was er getan hat: der Herr hat uns sich selbst gegeben, und der Herr hat uns die wahre Neuheit geschenkt, die darin besteht, Glieder seines Leibes, Reben des Weinstocks zu sein, der er ist. Die Neuheit also ist das Geschenk, das große Geschenk, und aus dem Geschenk, aus der Neuheit des Geschenks folgt auch, wie ich gesagt habe, das neue Handeln.

Der hl. Thomas von Aquin sagt dies sehr genau, wenn er schreibt: »Das neue Gesetz ist die Gnade des Heiligen Geistes« (Summa theologiae, I-IIae, q. 106, a. 1). Das neue Gesetz ist kein weiteres Gesetz, das schwieriger wäre, als die anderen: Das neue Gesetz ist ein Geschenk, das neue Gesetz ist die Gegenwart des Heiligen Geistes, der uns im Sakrament der Taufe, in der Firmung und jeden Tag in der Allerheiligsten Eucharistie gegeben wird. Die Kirchenväter haben zwischen »sacramentum« und »exemplum« unterschieden. »Sacramentum« ist das Geschenk des neuen Seins, und dieses Geschenk wird auch zum Beispiel für unser Handeln, das »sacramentum« jedoch kommt zuerst, wir leben aus dem Sakrament. Hier sehen wir die Zentralität des Sakraments, welche die Zentralität des Geschenks ist.

Setzen wir unsere Betrachtung fort. Der Herr sagt: »Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe.« Keine Knechte mehr, die einem Befehl gehorchen, sondern Freunde, die im selben Willen, in derselben Liebe vereint sind. Die Neuheit besteht also darin, daß Gott sich zu erkennen gegeben hat, daß Gott sich gezeigt hat, daß Gott nicht mehr der unbekannte Gott ist, der zwar gesucht, aber nicht gefunden oder nur aus der Ferne erahnt wird. Gott hat sich sehen lassen: im Antlitz Christi sehen wir Gott, Gott hat sich zu »erkennen« gegeben, und so hat er uns zu seinen Freunden gemacht. Denken wir daran, wie man in der Geschichte der Menschheit, in allen archaischen Religionen weiß, daß es einen Gott gibt. Das ist eine Erkenntnis, die in das Herz des Menschen eingesenkt ist, daß Gott der eine Gott ist, daß die Götter nicht »der« Gott sind. Dieser Gott aber bleibt sehr weit weg in der Ferne, es scheint, als ließe er sich nicht erkennen, als ließe er sich nicht lieben, er ist kein Freund, sondern in der Ferne. Daher beschäftigen sich die Religionen wenig mit diesem Gott, das konkrete Leben beschäftigt sich mit den Geistern, mit den konkreten Wirklichkeiten, denen wir tagtäglich begegnen und mit denen wir jeden Tag rechnen müssen. Gott bleibt in der Ferne.

Dann sehen wir die große Bewegung der Philosophie: Denken wir an Platon, an Aristoteles, die zu begreifen beginnen, daß dieser Gott das »agathón«, das Gute selbst ist, daß er der »eros« ist, der die Welt bewegt, und dennoch bleibt dies ein menschlicher Gedanke, es ist dies eine Vorstellung von Gott, die der Wahrheit nahekommt, aber es handelt sich um unsere Vorstellung, und Gott bleibt der verborgene Gott.

Vor kurzem hat mir ein Professor aus Regensburg geschrieben, ein Professor für Physik, der mit großer Verspätung meine Ansprache an der Universität Regensburg gelesen hatte, um mir zu sagen, daß er nicht mit meiner Logik einverstanden bzw. dies nur teilweise sein könne. Er hat gesagt: »Gewiß, mich überzeugt die Vorstellung, daß die rationale Struktur der Welt eine schöpferische Vernunft erfordert, die diese Vernünftigkeit geschaffen hat, die sich nicht aus sich selbst erklärt.« Und er fuhr fort: »Wenn es aber auch einen Demiurgen geben kann« - so drückt er sich aus -, »ein Demiurg scheint mir aus dem heraus, was Sie sagen, sicher zu sein, so sehe ich nicht, daß es einen Gott gibt, der Liebe ist, der gut, gerecht und barmherzig ist. Ich kann sehen, daß da eine Vernunft ist, die der Vernünftigkeit des Kosmos vorangeht, das Weitere jedoch nicht.« Und so bleibt Gott verborgen. Er ist eine Vernunft, die unserer Vernunft, unserer Vernünftigkeit vorangeht, die Vernünftigkeit des Seins, aber es gibt keine ewige Liebe, keine große Barmherzigkeit, die uns leben läßt.

Und siehe da: In Christus hat sich Gott in seiner absoluten Wahrheit gezeigt, er hat gezeigt, daß er Vernunft und Liebe ist, daß die ewige Vernunft Liebe ist und auf diese Weise erschafft. Leider leben auch heute viele fern von Christus, sie kennen sein Antlitz nicht, und so erneuert sich fortwährend die ewige Versuchung des Dualismus, die auch im Brief dieses Professors verborgen liegt, das heißt: daß es vielleicht nicht nur ein Prinzip des Guten, sondern auch ein Prinzip des Schlechten, ein Prinzip des Bösen gibt; daß die Welt geteilt ist und es zwei gleichstarke Wirklichkeiten gibt: und daß der gute Gott nur ein Teil der Wirklichkeit ist. Auch in der Theologie, einschließlich der katholischen, verbreitet sich im Moment diese These: Gott sei nicht allmächtig. Auf diese Weise wird eine Apologie Gottes gesucht, der demgemäß keine Verantwortung für das Böse trüge, das wir so weit verbreitet in der Welt finden. Aber wie arm ist doch eine derartige Apologie! Ein nicht allmächtiger Gott! Das Böse ist nicht in seinen Händen! Und wie könnten wir uns einem derartigen Gott anvertrauen? Wie könnten wir in seiner Liebe sicher sein, wenn diese Liebe dort endet, wo die Macht des Bösen beginnt?

Gott aber ist nicht mehr der Unbekannte. Im Antlitz des gekreuzigten Christus sehen wir Gott, wir sehen die wahre Allmacht, nicht einen Allmachtsmythos. Für uns Menschen sind Kraft und Macht immer gleichbedeutend mit dem Vermögen zu zerstören, das Böse zu tun. Der wahre Begriff von Allmacht jedoch, der in Christus zutage tritt, ist genau das Gegenteil: in ihm ist die wahre Allmacht das Lieben bis zu dem Punkt, an dem Gott leiden kann: hier zeigt sich seine wahre Allmacht, die bis zu einer Liebe gehen kann, die für uns leidet. Und so sehen wir, daß er der wahre Gott ist, und der wahre Gott, der Liebe ist, ist Macht: die Macht der Liebe. Und wir können uns seiner Liebe anvertrauen und in dieser, mit dieser allmächtigen Liebe leben.

Ich denke, wir müssen immer von neuem über diese Wirklichkeit nachdenken, Gott danken, daß er sich gezeigt hat, daß wir ihn vom Antlitz her kennen, von Angesicht zu Angesicht; nicht mehr wie Mose, der allein den Rücken des Herrn sehen durfte. Auch dies ist eine schöne Vorstellung, zu der der hl. Gregor von Nyssa sagt: »Nur den Rücken des Herrn sehen will heißen, daß wir immer hinter Christus gehen müssen.« Gleichzeitig aber hat Gott mit Christus sein Gesicht, sein Antlitz gezeigt. Der Vorhang des Tempels ist zerrissen, er ist offen, das Geheimnis Gottes ist sichtbar. Das Erste Gebot, das Bilder Gottes ausschließt, da sie nur dessen Wirklichkeit herabsetzen könnten, ist geändert, es ist erneuert worden und hat eine andere Form. Jetzt können wir im Menschen Christus, das Antlitz Gottes, sehen, wir können Ikonen Christi haben und so sehen, wer Gott ist.

20 Ich denke: Wer dies begriffen hat, wer sich von diesem Geheimnis berühren läßt, daß Gott sich offenbart hat, daß der Vorhang des Tempels zerrissen ist, daß Gott sein Antlitz gezeigt hat - der findet eine Quelle unaufhörlicher Freude. Wir können nur sagen: »Danke. Ja, jetzt wissen wir, wer du bist, wer Gott ist und wie wir ihm antworten können.« Und ich denke, daß diese Freude, Gott zu kennen, der sich gezeigt hat, der sich bis ins Innerste seines Seins gezeigt hat, auch die Freude einschließt, dies mitzuteilen: Wer dies verstanden hat, wer sich in seinem Leben von dieser Wirklichkeit berühren läßt, muß so handeln, wie dies die ersten Jünger getan haben, die zu ihren Freunden und Brüdern eilen und sagen: »Wir haben den gefunden, von dem die Propheten sprechen. Jetzt ist er da.« Der Charakter der Mission ist nichts, was dem Glauben äußerlich hinzugefügt wäre, sondern die Dynamik des Glaubens selbst. Wer Jesus gesehen hat, wer ihm begegnet ist, muß zu den Freuden eilen und ihnen sagen: »Wir haben ihn gefunden, es ist Jesus, der für uns gekreuzigt worden ist.«

Der Text sagt dann weiter: »Ich habe euch dazu bestimmt, daß ihr euch aufmacht und Frucht bringt und daß eure Frucht bleibt.« Damit kehren wir zum Anfang zurück, zum Bild, zum Gleichnis des Weinstocks: er ist geschaffen, um Frucht zu bringen. Und was ist die Frucht? Wie wir gesagt haben, ist die Frucht die Liebe. Im Alten Testament mit der Torah als der ersten Etappe der Selbst - offenbarung Gottes verstand man die Frucht als Gerechtigkeit, das heißt als ein Leben nach dem Wort Gottes, als ein Leben im Willen Gottes, das deshalb gut ist.

Dies bleibt, gleichzeitig aber wird darüber hinausgegangen: Die wahre Gerechtigkeit besteht nicht in einem Gehorsam gegenüber einigen Vorschriften, sondern sie ist Liebe, schöpferische Liebe, die aus sich heraus den Reichtum, die Fülle des Guten findet. »Fülle« ist eines der Schlüsselwörter des Neuen Testaments, Gott selbst gibt immer in Fülle. Um den Menschen zu schaffen, schafft er diese Fülle eines immensen Kosmos; um den Menschen von sich selbst zu erlösen, gibt er in der Eucharistie sich selbst. Und wer mit Christus vereint ist, wer Rebe des Weinstocks ist, lebt dieses Gesetz und fragt nicht: »Darf ich das noch tun oder nicht?«, »Soll ich das tun oder nicht?«, sondern er lebt in der Begeisterung der Liebe, die nicht fragt: »Ist das noch notwendig oder verboten?«, sondern er lebt einfach in der Kreativität der Liebe, er will mit Christus und für Christus leben und sich ganz für ihn hingeben und so in die Freude des Fruchtbringens eintreten. Halten wir auch fest, daß der Herr sagt: »Ich habe euch dazu bestimmt, daß ihr euch aufmacht «: das ist die Dynamik, die in der Liebe Christi lebt; sich aufmachen, das heißt nicht nur für mich bleiben, meine Vollkommenheit sehen, mir das ewige Glück garantieren, sondern mich selbst vergessen, mich aufmachen, wie Christus sich aufgemacht hat, mich aufmachen, wie Gott aus seiner unendlichen Hoheit bis hinein in unsere Armut herausgetreten ist, um Frucht zur bringen, um uns zu helfen, um uns die Möglichkeit zu schenken, die wahre Frucht der Liebe zu bringen. Je mehr uns diese Freude erfüllt, das Antlitz Gottes entdeckt zu haben, desto wirklicher wird in uns die Begeisterung der Liebe sein und desto mehr wird sie Frucht bringen.

Und schließlich sind wir beim letzten Wort dieses Abschnittes angekommen: »Das sage ich euch: der Vater wird euch alles geben, um was ihr ihn in meinem Namen bittet.« Eine kurze Katechese über das Gebet, die uns immer wieder überrascht. In diesem 15. Kapitel sagt der Herr zweimal: »Ich gebe euch, worum ihr bitten werdet «, und ein weiteres Mal tut er dies im 16. Kapitel. Und wir möchten sagen: »Aber nein doch, Herr, das ist nicht wahr.« So viele gute und tiefe Gebete von Müttern, die für ein im Sterben liegendes Kind beten und nicht erhört werden, so viele Gebete, daß etwas Gutes geschehe, und der Herr erhört sie nicht. Was will diese Verheißung besagen? Im 16. Kapitel bietet uns der Herr den Schlüssel zum Verständnis: er sagt uns, wie viel er uns gibt, worin dieses »alles«, die chará, die Freude besteht: Wenn einer die Freude gefunden hat, hat er alles gefunden und sieht alles im Licht der göttlichen Liebe. Wie der hl. Franziskus, der das große Gedicht über die Schöpfung in einer verzweifelten Lage geschaffen hat, und dennoch hat er dort, nahe beim leidenden Herrn, die Schönheit des Seins, die Güte Gottes neu entdeckt und dieses große Gedicht verfaßt.

Es ist nützlich, sich gleichzeitig auch einige Verse aus dem Evangelium des Lukas in Erinnerung zu rufen, wo der Herr in einem Gleichnis vom Gebet spricht und sagt: »Wenn nun schon ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gebt, was gut ist, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist euch, seinen Kindern, geben.« Im Evangelium des Lukas ist der Heilige Geist Freude, im Evangelium des Johannes ist er die Wirklichkeit selbst: die Freude ist der Heilige Geist, und der Heilige Geist ist die Freude, oder mit anderen Worten: von Gott erbitten wir nicht irgend etwas Großes oder Kleines, Gott bitten wir um das göttliche Geschenk, um Gott selbst; das ist das große Geschenk, das Gott uns gibt: Gott selbst. In diesem Sinn müssen wir lernen zu beten, zu beten um die große Wirklichkeit, um die göttliche Wirklichkeit, daß er sich uns selbst gebe, daß er seinen Geist gebe und wir so den Anforderungen des Lebens entsprechen und den anderen in ihren Leiden helfen können. Natürlich lehrt uns dies das Vaterunser. Wir dürfen um viele Dinge bitten, in all unseren Nöten dürfen wir bitten: »Hilf mir!« Das ist sehr menschlich, und Gott ist menschlich, wie wir gesehen haben; somit ist es richtig, Gott auch um die kleinen Dinge unseres alltäglichen Lebens zu bitten.

Gleichzeitig aber ist das Beten ein Weg, ich würde sagen eine Treppe: Wir müssen immer mehr lernen, wofür wir beten können und wofür nicht, da es Ausdruck meines Egoismus ist. Ich darf nicht um Dinge beten, die den anderen schaden, ich darf nicht um Dinge beten, die meinem Egoismus, meinem Stolz helfen. So wird das Beten in den Augen Gottes ein Prozeß der Reinigung unserer Gedanken, unserer Wünsche. Wie der Herr im Gleichnis vom Weinstock sagt: Wir müssen beschnitten, gereinigt werden, jeden Tag; mit Christus leben, in Christus bleiben ist ein Prozeß der Reinigung, und nur in diesem Prozeß langsamer Läuterung, der Befreiung von uns selbst und vom Willen, allein uns selbst zu haben, besteht der wahre Weg des Lebens, öffnet sich der Weg der Freude.

Wie ich angedeutet habe, besitzen all diese Worte des Herrn einen sakramentalen Hintergrund. Der fundamentale Hintergrund für das Gleichnis vom Weinstock ist die Taufe: wir sind in Christus eingepflanzt; und die Eucharistie: wir sind ein Brot, ein Leib, ein Blut, ein Leben mit Christus. Und so hat auch dieser Prozeß der Reinigung einen sakramentalen Hintergrund: das Sakrament der Buße, der Versöhnung, in dem wir diese göttliche Pädagogik annehmen, die uns Tag um Tag das ganze Leben lang reinigt und uns zu immer wahreren Gliedern seines Leibes macht. Auf diese Weise können wir lernen, daß Gott auf unsere Gebete antwortet, daß er oft mit seiner Güte auch auf die kleinen Gebete antwortet, sie aber auch oft berichtigt, verwandelt und führt, damit wir endlich und wirklich Reben seines Sohnes, des wahren Weinstocks, sein können, Glieder seines Leibes.

Danken wir Gott für die Größe seiner Liebe, bitten wir, daß er uns helfe, in seiner Liebe zu wachsen, wirklich in seiner Liebe zu bleiben.





AN DIE TEILNEHMER DER VOLLVERSAMMLUNG DER PÄPSTLICHEN AKADEMIE FÜR DAS LEBEN

Samstag, 13. Februar 2010



Liebe Mitbrüder im bischöflichen und im priesterlichen Dienst,
verehrte Mitglieder der Päpstlichen Akademie für das Leben,
21 sehr geehrte Damen und Herren!

Ich freue mich, euch anläßlich der Vollversammlung der Päpstlichen Akademie für das Leben zu empfangen und herzlich zu begrüßen. Diese Tagung wurde einberufen, um über Themen nachzudenken, die die Beziehung zwischen Bioethik und natürlichem Sittengesetz betreffen, denen gegenwärtig, wie es scheint, durch die ständige Weiterentwicklung in diesem Wissenschaftsbereich eine immer größere Bedeutung zukommt. Besonders begrüße ich Erzbischof Rino Fisichella, Präsident dieser Akademie, und danke ihm für die freundlichen Worte, die er im Namen der Anwesenden an mich gerichtet hat. Darüber hinaus möchte ich jedem von euch meinen persönlichen Dank aussprechen für den wertvollen und unersetzlichen Einsatz, den ihr in den verschiedenen Arbeitsbereichen zugunsten des Lebens vollbringt.

Die Problemstellungen rund um das Thema Bioethik erlauben uns zu untersuchen, inwieweit die hier zugrunde gelegten Fragen in erster Linie die anthropologische Frage in den Vordergrund rücken. In meiner letzten Enzyklika Caritas in veritate habe ich angemerkt: »Der wichtigste und entscheidende Bereich der kulturellen Auseinandersetzung zwischen dem Absolutheitsanspruch der Technik und der moralischen Verantwortung des Menschen ist heute die Bioethik, wo auf radikale Weise die Möglichkeit einer ganzheitlichen menschlichen Entwicklung selbst auf dem Spiel steht. Es handelt sich um einen äußerst heiklen und entscheidenden Bereich, in dem mit dramatischer Kraft die fundamentale Frage auftaucht, ob sich der Mensch selbst hervorgebracht hat oder ob er von Gott abhängt. Die wissenschaftlichen Entdeckungen auf diesem Gebiet und die Möglichkeiten technischer Eingriffe scheinen so weit vorangekommen zu sein, daß sie uns vor die Wahl zwischen den zwei Arten der Rationalität stellen: die auf Transzendenz hin offene Vernunft oder die in der Immanenz eingeschlossene Vernunft« (). Angesichts solcher Fragen, die das menschliche Leben in seiner ewigen Spannung zwischen Immanenz und Transzendenz so entscheidend betreffen und die für die Kultur der künftigen Generationen von großer Bedeutung sind, ist es notwendig, einen pädagogischen Gesamtentwurf zu verwirklichen, der es ermöglicht, sich in einer positiven, ausgewogenen und konstruktiven Sicht vor allem in der Beziehung zwischen Glaube und Vernunft mit dieser Thematik auseinanderzusetzen.

Die Fragen der Bioethik stellen häufig den Hinweis auf die Würde der menschlichen Person in den Vordergrund, ein grundlegendes Prinzip, das der Glaube an Jesus Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen, immer verteidigt hat, vor allem wenn es gegenüber den geringsten und schutzlosesten Personen mißachtet wird: Gott liebt jeden Menschen einzigartig und zutiefst. Wie jede Disziplin benötigt auch die Bioethik Bezugspunkte, die eine konsequente Deutung der ethischen Fragen zu gewährleisten vermögen, die angesichts möglicher Interpretationskonflikte unvermeidlich auftauchen. In diesem Zusammenhang eröffnet sich der maßgebende Hinweis auf das natürliche Sittengesetz. Die Anerkennung der menschlichen Würde als unveräußerliches Recht hat nämlich ihre erste Grundlage in jenem Gesetz, das nicht von Menschenhand niedergeschrieben, sondern vom Schöpfergott dem Menschen ins Herz eingeschrieben wurde, ein Gesetz, das von jeder Rechtsordnung als unverletzlich anzuerkennen ist und die jeder einzelne zu respektieren und zu fördern verpflichtet ist (vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, 1954-1960). Ohne das begründende Prinzip der Menschenwürde wäre es schwierig, eine Quelle für die Rechte der menschlichen Person zu finden, und unmöglich, zu einem ethischen Urteil über die Errungenschaften der Wissenschaft zu gelangen, die direkt in das menschliche Leben eingreifen. Es ist daher notwendig, standhaft zu wiederholen, daß es kein Verständnis der Menschenwürde gibt, das nur an äußere Elemente gebunden ist, wie den Fortschritt der Wissenschaft, die stufenweise Entwicklung des menschlichen Lebens oder das oberflächliche Mitleid in Grenzsituationen. Wenn man Respekt für die Würde der menschlichen Person fordert, geht es grundlegend um den vollen, vollständigen und uneingeschränkten Respekt, nämlich zu erkennen, daß man es immer mit einem Menschenleben zu tun hat. Gewiß hat das menschliche Leben seine eigene Entwicklung, und der Forschungshorizont der Wissenschaft und der Bioethik ist offen; es muß aber betont werden, daß die Wissenschaftler, wenn es um Bereiche geht, die den Menschen betreffen, niemals annehmen dürfen, daß sie nur unbelebte und manipulierbare Materie in den Händen halten. Denn vom ersten Augenblick an ist das Leben des Menschen dadurch gekennzeichnet, daß es menschliches Leben und deshalb immer, überall und trotz allem Träger eigener Würde ist (vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Dignitas personae über einige Fragen der Bioethik, 5). Andernfalls stünden wir immer vor der Gefahr einer Instrumentalisierung der Wissenschaft mit der unvermeidlichen Konsequenz, leicht in Willkür, in die Diskriminierung und in das wirtschaftliche Interesse des Stärkeren zu verfallen.

Die Verbindung von Bioethik und natürlichem Sittengesetz erlaubt es, den notwendigen und unausweichlichen Rückbezug auf die Würde, die das menschliche Leben von seinem ersten Augenblick bis zu seinem natürlichen Ende besitzt, bestmöglich zu vollziehen. In der heutigen Situation, wo zwar mit immer größerem Nachdruck der berechtigte Hinweis auf die Rechte, die die Würde der menschlichen Person garantieren, auftaucht, stellt man allerdings fest, daß diese Rechte dem menschlichen Leben in seiner natürlichen Entwicklung und in seinen schwächsten Stadien nicht immer zuerkannt werden. Ein solcher Widerspruch macht den Einsatz evident, der in den verschiedenen gesellschaftlichen und kulturellen Bereichen ergriffen werden muß, damit daß menschliche Leben immer als unveräußerliches Rechtssubjekt anerkannt wird und niemals als Objekt gilt, das dem Willen des Stärksten unterworfen ist. Die Geschichte hat gezeigt, wie gefährlich und schädlich ein Staat sein kann, der fortlaufend Gesetze über Fragen erläßt, die die Person und die Gesellschaft berühren, wobei er vorgibt, selbst Quelle und Prinzip der Ethik zu sein. Ohne universale Prinzipien, die einen gemeinsamen Nenner für die ganze Menschheit feststellen lassen, darf die Gefahr eines relativistischen Abdriftens auf der Gesetzgebungsebene keinesfalls unterschätzt werden (vgl. KKK
CEC 1959). Das natürliche Sittengesetz ermöglicht es kraft seines universalen Charakters, eine solche Gefahr abzuwehren, und bietet vor allem dem Gesetzgeber die Garantie für eine echte Achtung sowohl der menschlichen Person als auch der gesamten Schöpfungsordnung. Es ist gleichsam eine katalysierende Quelle des Einvernehmens zwischen Personen verschiedener Kulturen und Religionen und erlaubt, über die Unterschiede hinauszugehen, weil es das Vorhandensein einer vom Schöpfer der Natur eingeschriebenen und als Instanz eines wahren ethischen Vernunfturteils anerkannten Ordnung bestätigt, um das Gute zu tun und das Böse zu vermeiden. Das natürliche Sittengesetz »gehört zum großen Erbe der menschlichen Weisheit, welche die göttliche Offenbarung mit ihrem Licht noch zusätzlich gereinigt und entfaltet hat« (vgl. Johannes Paul II., Ansprache an die Vollversammlung der Kongregation für die Glaubenslehre CDF 6 Februar 2004, in O.R. dt., Nr. 9 vom 27.2.2004, S. 7, 5).

Geschätzte Mitglieder der Päpstlichen Akademie für das Leben, in der gegenwärtigen Situation erscheint euer Bemühen immer heikler und schwieriger, aber die wachsende Sensibilität gegenüber dem menschlichen Leben ermutigt dazu, mit immer größerem Engagement und mutig diesen wichtigen Dienst am Leben und an der Erziehung der künftigen Generationen zu den Werten des Evangeliums weiter voranzutreiben. Ich wünsche euch allen die Weiterführung des Studiums und der Forschung, damit der tätige Einsatz zur Förderung und Verteidigung des Lebens immer wirksamer und fruchtbarer werde. Ich begleite euch mit dem Apostolischen Segen, in den ich gern alle einschließe, die mit euch dieses tägliche Engagement teilen.





BESUCH DES CARITAS-ZENTRUMS

Römischer Bahnhof Termini

Sonntag, 14. Februar 2010



Liebe Freunde!

Mit Freude habe ich die Einladung zu einem Besuch in diesem nach »Don Luigi Di Liegro« benannten Zentrum angenommen. Er war der erste Direktor der Caritas der Diözese Rom, die vor mehr als 30 Jahren gegründet wurde. Von Herzen danke ich Kardinalvikar Agostino Vallini und dem Geschäftsführer der Italienischen Staatsbahnen, Ingenieur Mauro Moretti, für die freundlichen Worte, die sie an mich gerichtet haben. Besonders herzlich danke ich euch allen, die ihr dieses Zentrum aufsucht und die ihr mich durch die Worte von Frau Giovanna Cataldo mit großer Zuneigung begrüßt habt, begleitet von dem wertvollen Geschenk des Kreuzes von Onna, einem leuchtenden Zeichen der Hoffnung. Ich begrüße den Präsidenten der Italienischen Caritas, Bischof Giuseppe Merisi und Weihbischof Guerino Di Tora sowie den Direktor der Caritas von Rom, Msgr. Enrico Ferroci. Ich freue mich, die anwesenden Obrigkeiten zu begrüßen, insbesondere den Minister für Infrastruktur und Transportwesen, Altero Matteoli, und den Bürgermeister von Rom, Gianni Alemanno, dem ich für die wirksame und konstante Hilfe danke, mit der die Stadt Rom die Aktivitäten des Zentrums unterstützt. Ich begrüße die ehrenamtlichen Helfer und alle Anwesenden. Danke für euren herzlichen Empfang!

Bereits 23 Jahre sind vergangen seit dem Tag, an dem in dieser Einrichtung die ersten Hilfsbedürftigen aufgenommen worden sind - in Zusammenarbeit mit der Italienischen Staatsbahn, die großzügig die Räume zur Verfügung gestellt hat, und mit der finanziellen Unterstützung der Stadt Rom. Im Laufe der Jahre kamen zum Angebot einer Unterkunft für den, der keinen Schlafplatz hat, noch andere Hilfsangebote hinzu, wie die Ambulanz und die Armenküche. Und den ersten Spendern schlossen sich als Zeugnis der vereinigenden Kraft der Nächstenliebe weitere an, unter ihnen »ENEL«, »Fondazione Roma«, Ing. Agostini Maggini, »Fondazione Telecom« und das Ministerium für Kulturgüter-Arcis AG. So ist das Caritas-Zentrum zu einem Ort geworden, wo dank des großherzigen Dienstes vieler Mitarbeiter und freiwilliger Helfer jeden Tag die Worte Jesu Wirklichkeit werden: »Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt, und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank, und ihr habt mich besucht« (Mt 25,35-36).

22 Liebe Brüder und Freunde, die ihr hier Aufnahme findet, ihr sollt wissen, daß die Kirche euch sehr liebt und nicht im Stich läßt, denn sie erkennt im Antlitz eines jeden von euch das Antlitz Jesu. Er wollte sich in ganz besonderer Weise mit jenen identifizieren, die arm und bedürftig sind. Das Zeugnis der Nächstenliebe, das an diesem Ort in besonderer Weise konkret wird, ist zusammen mit der Verkündigung der Wahrheit des Evangeliums Teil der Sendung der Kirche. Der Mensch braucht nicht nur materielle Nahrung oder Hilfe, um momentane Schwierigkeiten zu überwinden, sondern für ihn besteht auch die Notwendigkeit, zu wissen, wer er ist, sowie die Wahrheit über sich selbst, seine Würde zu kennen. So habe ich in der Enzyklika Caritas in veritate geschrieben: »Ohne Wahrheit gleitet die Liebe in Sentimentalität ab. Sie wird ein leeres Gehäuse, das man nach Belieben füllen kann« ().

Mit ihrem Dienst an den Armen setzt sich die Kirche dafür ein, allen die Wahrheit über den Menschen zu verkünden, der von Gott geliebt wird, nach seinem Bild geschaffen, von Christus erlöst und zur ewigen Gemeinschaft mit Ihm berufen ist. Viele Menschen haben so die eigene, manchmal aufgrund tragischer Ereignisse verlorene Würde wiederentdecken können und können dies auch heute noch, sie finden Selbstvertrauen und Hoffnung für die Zukunft. Durch die Gesten, Blicke und Worte alle jener, die hier Hilfe leisten, wird für zahlreiche Männer und Frauen greifbar, daß ihr Leben geborgen ist in der Liebe, die Gott ist, und von ihr her Sinn und Bedeutung hat (vgl. Enzyklika Spe salvi ). Diese tiefe Gewißheit läßt im Herzen des Menschen eine feste, beständige und strahlende Hoffnung entstehen, eine Hoffnung, die Mut macht zum Weitergehen auf dem Weg des Lebens trotz der Niederlagen, Schwierigkeiten und Prüfungen, die das Leben mit sich bringt. Liebe Brüder und Schwestern, die ihr hier an diesem Ort tätig seid, vor euren Augen und in eurem Herzen möge immer das Beispiel Jesu gegenwärtig sein, der aus Liebe unser Diener geworden ist und uns »bis ans Ende«, »bis zur Vollendung« (vgl.
Jn 13,1), bis hin zum Kreuz geliebt hat. Seid also freudige Zeugen der unendlichen Liebe Gottes, und betrachtet nach dem Vorbild des heiligen Diakons Laurentius diese eure Freunde als einen der wertvollsten Schätze eures Lebens.

Mein Besuch findet im »Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung« statt, das vom Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission ausgerufen worden ist. Da ich als Bischof von Rom - der Kirche, die seit der Frühzeit des Christentums den Vorsitz in der Liebe hat (vgl. hl. Ignatius von Antiochien, Brief an die Römer I,1) - an diesen Ort komme, möchte ich aber nicht nur die Katholiken, sondern jeden Menschen guten Willens, insbesondere die Verantwortungsträger im öffentlichen Dienst und in den verschiedenen Institutionen, ermutigen, sich für den Aufbau einer menschenwürdigen Zukunft einzusetzen und in der Liebe die Antriebskraft für einen echten Fortschritt und die Verwirklichung einer gerechteren und brüderlicheren Gesellschaft zu entdecken (vgl. Enzyklika Caritas in veritate ). Denn die Liebe »ist das Prinzip nicht nur der Mikro-Beziehungen - in Freundschaft, Familie und kleinen Gruppen -, sondern auch der Makro-Beziehungen - in gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenhängen« (ebd., 2). Um ein friedliches Zusammenleben zu fördern, das den Menschen hilft, zu erkennen, daß sie Mitglied der einen menschlichen Familie sind, ist es wichtig, die Dimensionen des Geschenks und der Unentgeltlichkeit als tragende Elemente des täglichen Lebens und der zwischenmenschlichen Beziehungen wiederzuentdecken. All dies wird von Tag zu Tag immer dringender in einer Welt, in der die Logik des Profits und des eigenen Vorteils vorzuherrschen scheinen.

Das Caritas-Zentrum ist für die Kirche von Rom eine wertvolle Möglichkeit, zu den Werten des Evangeliums zu erziehen. Die Erfahrung des ehrenamtlichen Dienstes, die hier viele machen, ist vor allem für die Jugendlichen eine echte Schule, in der sie lernen, die Zivilisation der Liebe aufzubauen und fähig zu sein, den anderen in seiner Einmaligkeit und Verschiedenheit anzunehmen. Auf diese Weise zeigt das Zentrum konkret, daß die christliche Gemeinschaft durch ihre Einrichtungen und ohne der von ihr verkündeten Wahrheit untreu zu werden, zur Förderung des Gemeinwohls nutzbringend mit den zivilen Institutionen zusammenarbeitet. Ich vertraue darauf, daß die hier verwirklichte fruchtbare Zusammenarbeit sich auch auf andere Wirklichkeiten unserer Stadt ausdehnen wird, besonders in den Regionen, wo die Folgen der Wirtschaftskrise am meisten zu spüren und die Risiken des sozialen Ausschlusses am größten sind. Die Kirche wird in ihrem Dienst an den Menschen in Schwierigkeiten einzig geleitet von dem Wunsch, ihrem Glauben an jenen Gott Ausdruck zu verleihen, der der Beschützer der Armen ist und jeden Menschen für das liebt, was er ist, und nicht für das, was er besitzt oder leistet. Die Kirche lebt in der Geschichte mit dem Bewußtsein, daß die Ängste und Nöte der Menschen, besonders der Armen und aller Leidenden, die Ängste und Nöte der Jünger Christi sind (vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Gaudium et spes GS 1). Und deshalb setzt sie sich unter Achtung der Kompetenzen des Staates dafür ein, daß jedem Menschen das zugesichert wird, was ihm zusteht.

Liebe Brüder und Schwestern, für Rom ist das diözesane Caritas-Zentrum ein Ort, wo Liebe nicht nur ein Wort oder ein Gefühl ist, sondern konkrete Realität, die ermöglicht, das Licht Gottes in das Leben der Menschen und der gesamten Zivilgesellschaft hineinzutragen. Dieses Licht hilft uns, vertrauensvoll auf das Morgen zu blicken, überzeugt, daß unsere Stadt auch in Zukunft dem Wert der Gastfreundschaft und der Aufnahme treu bleiben wird, der so tief in ihrer Geschichte und in den Herzen ihrer Bewohner verwurzelt ist. Die Jungfrau Maria, Salus populi romani, begleite euch immer mit ihrer mütterlichen Fürsprache und helfe jedem von euch aus diesem Ort ein Haus zu machen, an dem dieselben Tugenden blühen wie im Heiligen Haus von Nazaret. Mit diesen Gedanken erteile ich euch von Herzen den Apostolischen Segen, in den ich auch alle eure Lieben einschließe und alle, die an diesem Ort leben, sowie die, die hier einen großherzigen und hingebungsvollen Dienst leisten.





ANSPRACHE 2010 19