ANSPRACHE 2010 101

101 Deshalb möchte ich euch auch dafür danken, daß ihr zu mir über den hl. Pietro del Morrone, Papst Coelestin V., gesprochen habt und daß ihr seine Erfahrung heute zu schätzen wißt - in einer so veränderten Welt, die aber gerade deshalb so dringend einige Dinge wiederentdecken muß, die immer Gültigkeit besitzen, die ewig währen, beispielsweise die Fähigkeit, das Wort Gottes in der äußeren, vor allem aber in der inneren Stille zu vernehmen. Ihr habt mich gefragt, wie man den Ruf Gottes erkennen kann. Das Geheimnis der Berufung liegt in der Fähigkeit und in der Freude, seine Stimme wahrzunehmen, sie zu hören und ihr zu folgen. Dafür ist es aber notwendig, unser Herz daran zu gewöhnen, den Herrn zu erkennen, ihn als eine Person zu empfinden, die mir nahe ist und mich liebt. Wie ich heute morgen gesagt habe, müssen wir lernen, im Laufe unseres Tages Momente der inneren Stille zu verbringen, die uns in die Lage versetzen, die Stimme des Herrn zu hören. Ihr könnt gewiß sein, daß jemand, der gelernt hat, dieser Stimme zu lauschen und ihr selbstlos zu folgen, vor nichts Angst hat; er weiß und spürt, daß Gott bei ihm ist, daß er Freund, Vater und Bruder ist. Mit einem Wort: Das Geheimnis der Berufung liegt in der Beziehung zu Gott, im Gebet, das gerade der inneren Stille erwächst, der Fähigkeit wahrzunehmen, daß Gott nahe ist. Und das gilt sowohl vor der Entscheidung, also im Moment des Entschlusses und des Aufbruchs, als auch danach, wenn man treu auf dem Weg bleiben will. Der hl. Pietro Coelestin war vor allem das: ein Mann des Hörens, der inneren Stille, ein Mann des Gebets. Liebe Jugendliche: Schafft jeden Tag ein wenig Raum für Gott; Raum, um auf ihn zu hören und mit ihm zu sprechen!

An dieser Stelle möchte ich euch noch ein Zweites sagen: das wahre Gebet ist keineswegs realitätsfremd. Wenn euch das Beten entfremden, euch den Bezug zum realen Lebens verlieren lassen sollte, dann seid auf der Hut: es wäre kein wahres Beten! Der Dialog mit Gott ist im Gegenteil Garantie der Wahrheit, der Wahrheit sich selbst und den anderen gegenüber, und folglich der Freiheit! Mit Gott sein, sein Wort hören, im Evangelium, in der Liturgie der Kirche, schützt vor den Verblendungen des Hochmuts und der Anmaßung, vor Moden und Konformismus; es gibt uns die Kraft, wirklich frei zu sein, frei auch von gewissen Versuchungen, die als etwas Gutes getarnt sind. Ihr habt mich gefragt: Wie können wir es schaffen, »in« dieser Welt, aber nicht »von« dieser Welt zu sein? Ich antworte euch: gerade dank des Gebets, des persönlichen Kontakts mit Gott.

Es geht nicht darum, mehr Worte zu machen - wie uns schon Jesus sagte -, sondern darum, in der Gegenwart Gottes zu verweilen, sich - in Herz und Verstand - die Worte des »Vaterunser« zueigen zu machen, das alle Probleme unseres Lebens umspannt; es geht um die Anbetung der Eucharistie, darum, allein in unserem Zimmer das Evangelium zu meditieren oder andächtig an der Liturgie teilzunehmen. All das lenkt nicht vom Leben ab, sondern hilft uns vielmehr, in jedem Umfeld wir selbst zu sein, der Stimme Gottes treu, die zu unserem Gewissen spricht, frei von den Ablenkungen des Augenblicks! So war es für den hl. Coelestin V.: Er wußte, wie man seinem Gewissen folgen und Gott gehorsam sein kann; wie man also ohne Angst und mit großem Mut handeln kann. So hatte er auch in den schwierigen Momenten seines kurzen Pontifikats keine Furcht, seine Würde zu verlieren, sondern wußte, daß diese darin besteht, in der Wahrheit zu bleiben. Und der Garant der Wahrheit ist Gott. Wer ihm folgt, hat auch keine Angst davor, sich selbst, seine Vorstellungen, aufzugeben, denn »wer Gott hat, dem fehlt es an nichts«, wie die hl. Teresa von Avila zu sagen pflegte.

Liebe Freunde! Der Glaube und das Gebet lösen die Probleme zwar nicht, lassen sie uns aber in einem neuen Licht sehen und mit neuer Kraft angehen; auf eine dem Menschen würdige, gelassenere und auch wirksamere Weise. Wenn wir die Geschichte der Kirche betrachten, können wir sehen, wie reich sie ist an Heiligen und Seligen, die ausgehend von einem intensiven und kontinuierlichen Dialog mit Gott und vom Glauben erleuchtet auf die konkreten Bedürfnisse der Menschen aller Jahrhunderte - Gesundheit, Bildung, Arbeit und so fort - immer wieder neue kreative Antworten zu finden wußten. Ihre Tatkraft war vom Heiligen Geist und von einer starken Liebe für unsere Brüder und Schwestern beseelt, vor allem für die schwächsten und benachteiligsten unter ihnen.

Liebe Jugendliche! Laßt euch vollkommen von Christus erobern! Begebt auch ihr euch entschlossen auf den Weg der Heiligkeit, den Weg der Berührung, der Übereinstimmung mit Gott - einen Weg, der offen ist für alle -, denn das läßt euch auch kreativer sein bei der Suche nach den Lösungen für die Probleme, die sich euch stellen werden. Einer gemeinsamen Suche. Und damit wären wir bei einer anderen Eigenschaft, die den Christen auszeichnet: er ist nie ein Einzelgänger. Nun könnt ihr mir natürlich antworten: Aber war die Entscheidung des hl. Pietro Coelestin für das Einsiedlerleben denn kein Einzelgängertum, keine Flucht vor der Verantwortung? Gewiß, diese Versuchung besteht. Aber in den von der Kirche approbierten Erfahrungen steht das einsame Leben des Gebets und der Buße stets im Dienst der Gemeinschaft, es ist offen für die anderen, es steht niemals im Gegensatz zu den Bedürfnissen der Gemeinschaft.

Die Einsiedeleien und die Klöster sind Oasen und Quellen des geistlichen Lebens, aus denen alle schöpfen können. Der Mönch lebt nicht für sich, sondern für die anderen, und er pflegt das kontemplative Leben zum Wohl der Kirche und der Gesellschaft, damit die Kirche und die Gesellschaft aus dem Wirken des Herrn immer wieder neue Kraft schöpfen können. Liebe Jugendliche! Liebt eure christlichen Gemeinschaften, habt keine Angst, gemeinsam die Erfahrung des Glaubens zu leben! Liebt die Kirche: Sie hat euch den Glauben geschenkt, sie hat euch Christus kennenlernen lassen! Und liebt euren Bischof, eure Priester, mit all unseren Schwächen: die Priester sind eine wertvolle Präsenz im Leben!

Nachdem Jesus dem reichen Jüngling aus dem Evangelium vorgeschlagen hatte, alles für ihn aufzugeben und ihm zu folgen, ging dieser traurig davon, weil er zu sehr an seinem Besitz hing (vgl.
Mt 19,22). In euch dagegen kann ich eine große Freude erkennen! Und auch das ist ein Zeichen dafür, daß ihr Christen seid: daß euch Jesus Christus viel wert ist. Auch wenn es euch viel abverlangt, ihm zu folgen, ist er euch mehr wert als alles andere. Ihr habt geglaubt, daß Gott die wertvolle Perle ist, die allem anderen Wert verleiht: der Familie, dem Studium, der Arbeit, der Liebe unter den Menschen… ja, dem Leben selbst. Ihr habt erkannt, daß Gott nichts wegnimmt, sondern euch das »Hundertfache« schenkt und euer Leben ewig macht, denn Gott ist unendliche Liebe: die einzige, die unser Herz sättigt. Ich möchte gerne an die Erfahrung des hl. Augustinus erinnern, eines jungen Mannes, der lange und unter großen Mühen außerhalb Gottes nach etwas suchte, das seinen Durst nach Wahrheit und Glückseligkeit stillen konnte. Am Ende seiner Suche begriff er dann aber, daß unser Herz nicht zur Ruhe kommt, ehe es Gott nicht findet, ehe es nicht in ihm ruht (vgl. Bekenntnisse 1,1).

Liebe Jugendliche! Bewahrt euch eure Begeisterung, eure Freude - die Freude, die aus der Begegnung mit dem Herrn erwächst - und gebt sie auch an eure Freunde, eure Altersgenossen weiter!

Ich muß mich nun von euch verabschieden und kann euch versichern, daß ich euch nur ungern verlasse! In eurer Gesellschaft spüre ich, daß die Kirche jung ist! Doch ich verabschiede mich voller Zufriedenheit, wie ein Vater, der beruhigt ist, weil er gesehen hat, daß die Kinder heranwachsen und daß sie gut heranwachsen. Schreitet voran, liebe Jungen und Mädchen! Schreitet voran auf dem Weg des Evangeliums! Liebt die Kirche, unsere Mutter; seid schlichten und reinen Herzens; seid sanftmütig und doch stark in der Wahrheit; seid demütig und großherzig. Ich empfehle euch alle euren heiligen Schutzpatronen, dem hl. Pietro Coelestin und vor allem der Jungfrau Maria, und segne euch von ganzem Herzen. Amen.




EINWEIHUNG DES NEUEN BRUNNENS IN DEN VATIKANISCHEN GÄRTEN,

DER NACH DEM HL. JOSEF BENANNT IST

Platz vor dem Governatoratspalast

Montag, 5. Juli 2010



102 Meine Herren Kardinäle,
verehrte Mitbrüder im Bischofs- und im Priesteramt,
sehr geehrte Damen und Herren!

Es ist mir eine Freude, diesen Brunnen in den Vatikanischen Gärten einzuweihen, in einer natürlichen Umgebung von einzigartiger Schönheit. Dieses Werk bereichert das künstlerische Erbe dieser wunderschönen Grünanlage der Vatikanstadt, die zahlreiche kunsthistorische Zeugnisse verschiedener Epochen enthält. Nicht nur die Rasenflächen, die Blumen, die Pflanzen, die Bäume, sondern auch die Türme, die Pavillons, die Kapellen, die Brunnen, die Statuen und die anderen Bauwerke machen nämlich diese Gärten zu einem faszinierenden »Unikum«. Sie waren für meine Vorgänger und sind auch für mich ein lebenswichtiger Raum, ein Ort, den ich gern aufsuche, um etwas Zeit im Gebet und in ruhiger Entspannung zu verbringen.

Ich begrüße einen jeden von euch sehr herzlich und möchte meinen aufrichtigen Dank zum Ausdruck bringen für dieses Geschenk, das ihr mir gemacht habt und das dem hl. Josef gewidmet ist. Vielen Dank für diese feine und freundliche Aufmerksamkeit! Dieses Unternehmen hat viel Mühe gekostet, und viele haben daran mitgewirkt. Ich danke zunächst Herrn Kardinal Giovanni Lajolo für die Worte, die er an mich gerichtet hat, und für die interessante Erläuterung der durchgeführten Arbeiten. Mit ihm danke ich dem Generalsekretär und dem stellvertretenden Generalsekretär des Governatorats, Erzbischof Carlo Maria Viganò und Bischof Giorgio Corbellini. Mein aufrichtiger Dank gilt der Leitung des Technischen Amtes, dem Planer und dem Bildhauer, den Beratern und den Bauarbeitern. Insbesondere danke ich dem Ehepaar Hintze und Herrn Castrignano aus London, die das Werk großherzig finanziert haben, sowie den Schwestern des Klosters vom hl. Josef in Kyoto. Ein Wort des Dankes geht an die Provinz Trient, an die trientinischen Stadtgemeinden und Unternehmen für ihren Beitrag.

Dieser Brunnen ist nach dem hl. Josef benannt, einer Gestalt, die dem Herzen des Gottesvolkes und meinem Herzen nahe ist. Jede der sechs Bronzeplatten, die ihn schmücken, ruft eine Episode aus seinem Leben ins Gedächtnis. Ich möchte kurz bei ihnen verweilen. Die erste Tafel zeigt die Vermählung von Josef und Maria, eine sehr wichtige Episode. Josef stammte aus dem königlichen Geschlecht Davids, und kraft seiner Vermählung mit Maria überträgt er dem Sohn der Jungfrau - dem Sohn Gottes - den rechtmäßigen Titel »Sohn Davids« und erfüllt so die Prophezeiungen. Die Vermählung von Josef und Maria ist daher ein menschliches Ereignis, das jedoch für die Heilsgeschichte der Menschheit, für die Umsetzung von Gottes Verheißungen entscheidend ist. Daher hat es auch übernatürlichen Charakter, den die beiden Hauptfiguren mit Demut und Vertrauen annehmen.

Schon bald kommt für Josef der Augenblick der Prüfung, einer harten Prüfung für seinen Glauben. Als er mit Maria verlobt war, entdeckt er, bevor sie zusammengekommen waren, ihre geheimnisvolle Mutterschaft und ist beunruhigt. Der Evangelist Matthäus hebt hervor, daß er gerecht war und sie nicht bloßstellen wollte und daher beschloß, sich in aller Stille von ihr zu trennen (vgl.
Mt 1,19). Aber im Traum - das ist auf der zweiten Tafel dargestellt - gibt der Engel ihm zu verstehen, daß das, was in Maria geschehen ist, das Werk des Heiligen Geistes war. Josef stimmt im Vertrauen auf Gott zu und wirkt am Heilsplan mit. Der göttliche Eingriff in sein Leben mußte natürlich sein Herz beunruhigen. Gott zu vertrauen bedeutet nicht, alles klar und deutlich nach unseren Begriffen zu sehen; es bedeutet nicht, das umzusetzen, was wir geplant haben; Gott zu vertrauen bedeutet, sich seiner selbst zu entäußern, auf sich selbst zu verzichten, denn nur, wer sich für Gott verliert, kann »gerecht« sein wie der hl. Josef, kann den eigenen Willen dem Willen Gottes gleichgestalten und sich so verwirklichen.

Bekanntlich ist im Evangelium kein einziges Wort des Josef überliefert; er verrichtet seine Aufgabe im Stillen. Dieser Stil prägt sein ganzes Leben, sowohl bevor er dem Geheimnis von Gottes Wirken in seiner Braut gegenübersteht, als auch dann, als er - im Wissen um dieses Geheimnis - zur Zeit der Geburt Christi bei Maria ist, wie auf dem dritten Relief dargestellt wird. In der Heiligen Nacht in Betlehem ist Josef bei Maria und dem Kind. Der himmlische Vater hat Josef die tägliche Sorge für seinen Sohn auf Erden anvertraut, eine Sorge, die in Demut und Stille geschieht.

Die vierte Tafel gibt die dramatische Szene der Flucht nach Ägypten wieder, um der mörderischen Gewalt des Herodes zu entgehen. Josef ist gezwungen, mit seiner Familie eilig sein Land zu verlassen: ein weiterer geheimnisvoller Augenblick in seinem Leben, eine weitere Prüfung, in der ihm die volle Treue zu Gottes Plan abverlangt wird. Danach erscheint Josef in den Evangelien nur noch in einer einzigen weiteren Episode, als er nach Jerusalem geht und in der Angst lebt, den Sohn Jesus zu verlieren. Der hl. Lukas beschreibt die mühsame Suche und die Verwunderung, ihn im Tempel wiederzufinden - wie im fünften Relief dargestellt ist -, aber noch mehr das Staunen über die geheimnisvollen Worte: »Warum habt ihr mich gesucht? Wußtet ihr nicht, daß ich in dem sein muß, was meinem Vater gehört?« (Lc 2,49).

Diese zweifache Frage des Sohnes Gottes hilft uns, das Geheimnis der Vaterschaft Josefs zu verstehen. Indem er seine Eltern an den Primat dessen erinnert, den er »meinen Vater« nennt, hebt Jesus den Primat des Willens Gottes über jeden anderen Willen hervor und offenbart Josef die tiefe Wahrheit seiner Rolle: Auch er ist berufen, Jünger Christi zu sein und sein Leben dem Dienst am Sohn Gottes und an der Jungfrau und Gottesmutter zu weihen, im Gehorsam gegenüber dem himmlischen Vater.

Auf der sechsten Tafel ist die Arbeit des Josef in der Werkstatt von Nazaret dargestellt. Jesus hat bei ihm gearbeitet. Der Sohn Gottes ist den Menschen verborgen, und nur Maria und Josef hüten sein Geheimnis und leben es tagtäglich: Das fleischgewordene Wort wächst als Mensch im Schatten seiner Eltern heran, aber gleichzeitig bleiben diese ihrerseits in Christus, in seinem Geheimnis verborgen und leben ihre Berufung.

103 Liebe Brüder und Schwestern, dieser schöne, dem hl. Josef geweihte Brunnen erinnert symbolisch an die Werte der Einfachheit und der Demut bei der täglichen Erfüllung des Willens Gottes. Diese Werte haben das stille, aber kostbare Leben des Beschützers des Erlösers gekennzeichnet. Seiner Fürsprache vertraue ich die Erwartungen der Kirche und der Welt an. Zusammen mit der Jungfrau Maria, seiner Braut, möge er stets meinen und euren Weg leiten, auf daß wir freudige Werkzeuge des Friedens und des Heils sein können.

August 2010


GRUSSWORTE VON PAPST BENEDIKT XVI.

ZU BEGINN DER ABSCHLUSSMESSE DER BEGEGNUNG MIT DEM "RATZINGER-SCHÜLERKREIS"

Castel Gandolfo

Sonntag, 29. August 2010



Liebe Freunde, am Ende des heutigen Evangeliums weist uns der Herr darauf hin, wie sehr wir immer noch nach der Weise der Heiden leben; nur in der Gegenseitigkeit die einladen, die uns wieder einladen, denen geben von denen wir wieder empfangen. Die Weise Gottes ist anders: Wir erleben es in der heiligen Eucharistie, er lädt uns zu Tisch, die wir vor ihm lahm, blind und taub sind; er lädt uns, die wir ihm nichts zu geben haben. Wir wollen uns bei diesem Geschehen vor allem von der Dankbarkeit berühren lassen, daß es Gott gibt, daß Gott so ist, wie er ist, daß er so ist, wie Jesus Christus ist, daß er uns, obwohl wir nichts zu geben haben und voller Schuld sind, an seinen Tisch lädt und mit uns zu Tische sein will. Aber wir wollen doch auch uns davon berühren lassen, Schuld zu empfinden, daß wir so wenig aus dem Heidnischen heraustreten, so wenig wirklich das Neue, die Weise Gottes leben. Und deswegen beginnen wir die heilige Messe mit der Bitte um Vergebung, um eine Vergebung die uns ändert, die uns wirklich Gott ähnlich, Gott ebenbildlich werden läßt.





September 2010

AN DIE MITGLIEDER DER PARLAMENTARISCHEN VERSAMMLUNG DES EUROPARATES


Nebenzimmer der vatikanischen Audienzhalle "Paolo VI"

Mittwoch, 8. September 2010



Herr Präsident,
sehr geehrte Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung des Europarates!

Ich danke Herrn Abgeordneten Çavusoglu für die freundlichen Worte, die er im Namen der Versammlung an mich gerichtet hat, und heiße Sie alle herzlich willkommen. Ich freue mich, Sie am 60. Jahrestag der Europäischen Menschenrechtskonvention zu empfangen, die die Mitgliedstaaten des Europarates bekanntlich verpflichtet, die unantastbare Würde des Menschen zu fördern und zu verteidigen.

104 Ich weiß, daß die Parlamentarische Versammlung sich mit wichtigen Themen befaßt, die vor allem Personen betreffen, die in besonders schwierigen Situationen leben oder schweren Verletzungen ihrer Würde ausgeliefert sind. Ich denke dabei an behinderte Menschen, an Kinder, die Gewalt erleiden, an Einwanderer und Flüchtlinge, an jene, die unter der gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzkrise am meisten zu leiden haben, an die Opfer von Extremismus oder von neuen Formen der Sklaverei, wie Menschenhandel, illegalem Drogenhandel und Prostitution. Ihre Arbeit ist auch auf die Opfer von Kriegen ausgerichtet sowie auf Menschen, die in instabilen Demokratien leben. Ich wurde auch über Ihre Bemühungen unterrichtet, die Religionsfreiheit zu verteidigen und der Gewalt und Intoleranz gegenüber Gläubigen in Europa und weltweit entgegenzuwirken.

Wenn man sich den heutigen gesellschaftlichen Kontext vor Augen hält, in dem verschiedene Völker und Kulturen zusammenkommen, so ist es unbedingt erforderlich, die universale Gültigkeit dieser Rechte weiter zu entfalten, ebenso wie ihre Unantastbarkeit, Unveräußerlichkeit und Unteilbarkeit.

Bei verschiedenen Gelegenheiten habe ich auf die Gefahren hingewiesen, die mit dem Relativismus im Bereich der Werte, Rechte und Pflichten verbunden sind. Wenn diese einer objektiven rationalen Grundlage entbehrten, die allen Menschen gemeinsam ist, und ausschließlich auf einzelnen Kulturen, legislativen Entscheidungen oder Gerichtsurteilen gründeten, wie könnten sie dann eine feste und dauerhafte Grundlage für übernationale Einrichtungen wie den Europarat sowie für Ihre eigene Aufgabe in dieser angesehenen Einrichtung bieten? Wie könnte ein fruchtbarer Dialog zwischen den Kulturen stattfinden ohne gemeinsame Werte, Rechte und tragfähige universale Prinzipien, die von allen Mitgliedstaaten des Europarates in gleicher Weise verstanden werden? Diese Werte, Rechte und Pflichten sind in der natürlichen Würde eines jeden Menschen verankert, was mit der menschlichen Vernunft erfaßbar ist. Der christliche Glaube behindert diese Suche nicht, sondern fördert sie und ist eine Einladung, nach einer übernatürlichen Grundlage dieser Würde zu suchen.

Ich bin überzeugt, daß diese Prinzipien, die treu aufrechterhalten werden müssen - vor allem dann, wenn es um das menschliche Leben geht, von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod, um die Ehe, die in der ausschließlichen und unauflöslichen Selbsthingabe zwischen einem Mann und einer Frau wurzelt, sowie um Religionsfreiheit und Erziehung -, notwendige Voraussetzungen sind, wenn wir angemessen antworten wollen auf die entscheidenden und dringenden Herausforderungen, die die Geschichte einem jeden von Ihnen stellt. Liebe Freunde, ich weiß, daß Sie auch den Leidenden beistehen möchten. Darüber freue ich mich, und ich ermutige Sie, Ihren schwierigen und wichtigen Auftrag im Dienst des Gemeinwohls von Europa mit Umsicht, Weisheit und Mut zu erfüllen. Ich danke Ihnen für Ihr Kommen und versichere Sie meines Gebets. Gott segne Sie!




ANSPRACHE VON PAPST BENEDIKT XVI.

AN DIE BISCHÖFE DER BRASILIANISCHEN BISCHOFSKONFERENZ

(REGION NORDESTE 3) ANLÄSSLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES


Saal der Schweizergarde, Päpstliche Sommerresidenz, Castel Gandolfo

Freitag, 10. September 2010


Herr Kardinal,
liebe Erzbischöfe und Bischöfe aus Brasilien!

Ich begrüße euch alle ganz herzlich anläßlich eures »Ad-limina«-Besuchs in Rom. Ihr seid hierhergekommen, um eure Bande brüderlicher Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri zu stärken und von ihm bei der Führung der Herde Christi gestärkt zu werden. Ich danke Bischof Czeslaw Stanula für die freundlichen Worte, die er in eurem Namen an mich gerichtet hat, und versichere euch meiner Gebete für eure Anliegen und für das geliebte Volk in eurer Region Nordeste 3.

Vor mehr als 500 Jahren wurde gerade in eurer Region die erste heilige Messe in Brasilien gefeiert, wodurch der Leib und das Blut Christi wirklich gegenwärtig wurde zur Heiligung der Männer und Frauen dieser gesegneten Nation, die unter dem Zeichen des Heiligen Kreuzes geboren wurde. Zum ersten Mal ist damals das Evangelium Christi diesem Volk verkündet worden und hat sein Alltagsleben erleuchtet. Diese Evangelisierungstätigkeit der katholischen Kirche war und ist weiterhin von grundlegender Bedeutung beim Aufbau der Identität des brasilianischen Volkes, die vom harmonischen Zusammenleben zwischen Menschen aus verschiedenen Regionen und Kulturen gekennzeichnet ist. Obwohl die Werte des katholischen Glaubens Herz und Geist der Brasilianer geformt haben, ist heute ein wachsender Einfluß neuer Elemente auf die Gesellschaft zu beobachten, die ihr bis vor wenigen Jahrzehnten praktisch unbekannt gewesen waren. Das ruft bei vielen Katholiken eine starke Entfremdung vom kirchlichen Leben oder von der Kirche selbst hervor, während man im religiösen Umfeld Brasiliens eine rapide Ausbreitung evangelikaler und neo-pentekostaler Gemeinschaften erlebt.

In einem gewissen Sinn ist der Erfolg dieser Gruppen ein Zeichen für den weit verbreiteten Durst nach Gott in eurem Volk. Er ist auch bezeichnend für eine Evangelisierung, die auf einer persönlichen Ebene stattfindet und manchmal oberflächlich ist; tatsächlich sind die Getauften, die keine ausreichende Glaubensunterweisung erhalten haben, leicht beeinflußbar, da sie einen bruchstückhaften Glauben haben, der oft auf einer naiven Frömmigkeitshaltung beruht, auch wenn sie, wie gesagt, eine angeborene Religiosität bewahren. In diesem Zusammenhang ist es notwendig, für die katholische Kirche in Brasilien eine Neuevangelisierung zu beginnen, die keine Mühe scheut bei der Suche nach all jenen Katholiken, die sich von der Kirche entfernt haben, und die ebenso jene Menschen, die wenig oder nichts von der Botschaft des Evangeliums wissen, dadurch zu erreichen versucht, daß sie sie zur persönlichen Begegnung mit Jesus Christus hinführt, der in seiner Kirche lebt und wirkt. Auf der anderen Seite wird mit der Zunahme neuer Gruppen, die sich Anhänger Christi nennen, obwohl sie in verschiedene Gemeinschaften und Konfessionen aufgespalten sind, seitens der katholischen Bischöfe die Verpflichtung dringender, durch einen gesunden und wahrhaftigen ökumenischen Dialog Brücken des Kontakts zu bauen.

105 Dieses Bemühen ist vor allem deshalb notwendig, weil die Trennung zwischen den Christen im Gegensatz zum Willen des Herrn steht, daß »alle eins sein sollen« (Jn 17,21). Außerdem ist das Fehlen der Einheit Ursache des Ärgernisses, das schließlich die Glaubwürdigkeit der in der Gesellschaft verkündeten christlichen Botschaft untergräbt. Und heutzutage ist ihre Verkündigung vielleicht notwendiger als noch vor einigen Jahren, denn wie eure Berichte deutlich darlegen, beobachtet man selbst in den Kleinstädten im Landesinneren Brasiliens einen wachsenden negativen Einfluß des intellektuellen und moralischen Relativismus auf das Leben der Menschen.

Die Suche nach der Einheit der Christen hat noch viele Hindernisse vor sich. Zuerst muß sie eine falsche Sicht des Ökumenismus zurückweisen, die zu einer gewissen Gleichgültigkeit bezüglich der Lehre verleitet, die im Geiste eines unkritischen Irenismus alle »Meinungen« in einer Art ekklesiologischem Relativismus zu nivellieren sucht. Parallel dazu besteht die Herausforderung des ständigen Zuwachses neuer christlicher Gruppen, von denen einige einen aggressiven Proselytismus betreiben, was zeigt, wie differenziert und verwirrend die Landschaft des Ökumenismus noch ist. »Unverzichtbar ist« - wie ich im Jahr 2007 in der Kathedrale von São Paulo bei der unvergeßlichen Begegnung mit euch brasilianischen Bischöfen sagte - »in einem derartigen Kontext eine gute Ausbildung in Geschichte und christlicher Lehre, die zur notwendigen Unterscheidung befähigt und hilft, die spezifische Identität jeder einzelnen Gemeinschaft, die trennenden Elemente und jene, die auf dem Weg zur Herstellung der Einheit hilfreich sind, zu verstehen. Der große gemeinsame Bereich der Zusammenarbeit sollte die Verteidigung der von der biblischen Tradition überlieferten sittlichen Grundwerte gegen ihre Zerstörung in einer relativistischen und konsumistischen Kultur sein; und zudem der Glaube an den Schöpfergott und an Jesus Christus, seinen Mensch gewordenen Sohn« (O.R. dt., Nr. 21, 25.5.2007, S. 10,6). Aus diesem Grund ermutige ich euch, die positiven Schritte in diese Richtung fortzusetzen, wie den Dialog mit den Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, die dem Nationalen Rat der Christlichen Kirchen angehören, und Initiativen wie die Kampagne zur Ökumenischen Brüderlichkeit, die dazu beiträgt, die Werte des Evangeliums in der brasilianischen Gesellschaft zu fördern.

Liebe Brüder, der Dialog zwischen den Christen ist ein Gebot der heutigen Zeit und eine unumkehrbare Option der Kirche. Inzwischen muß, wie das Zweite Vatikanische Konzil in Erinnerung ruft, das Herzstück aller Bemühungen um die Einheit das Gebet, die Bekehrung des Herzens und die Heiligkeit des Lebens sein (vgl. Unitatis redintegratio UR 8). Es ist der Herr, der die Einheit schenkt, sie ist keine Schöpfung der Menschen; ihren Hirten gebührt der Gehorsam gegenüber dem Willen des Herrn durch Förderung konkreter Initiativen, die frei von jeder konformistischen Einschränkung sind, aber mit Aufrichtigkeit und Realismus, mit Geduld und Ausdauer verwirklicht werden, die aus dem Glauben an das von der Vorsehung bestimmte Handeln des Heiligen Geistes erwachsen. Liebe und verehrte Brüder, ich wollte in dieser unserer Begegnung einige Aspekte der großen Herausforderung des Ökumenismus darlegen, die eurer apostolischen Sorge anvertraut ist. Während ich von euch Abschied nehme, bekräftige ich noch einmal meine Wertschätzung und die Zusicherung meiner Gebete für euch alle und für eure Diözesen. In besonderer Weise möchte ich hier den Gläubigen der Diözese Barreiras den Ausdruck meiner väterlichen Solidarität erneuern, die vor kurzem die Führung ihres ersten und eifrigen Bischofs, Dom Ricardo José Weberberger, verloren hat, der in das Haus des Vaters, dem Ziel unser aller Schritte, zurückgekehrt ist. Möge er in Frieden ruhen! Während ich die Fürsprache Unserer Lieben Frau von Aparecida erflehe, erteile ich jedem von euch, den Priestern, den Ordensmännern, den Ordensfrauen, den Seminaristen, den Katecheten und dem ganzen euch anvertrauten Volk von Herzen den Apostolischen Segen.



AN HERRN WALTER JÜRGEN SCHMID, NEUER BOTSCHAFTER DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND BEIM HL. STUHL

Montag, 13. September 2010



Sehr geehrter Herr Botschafter,

sehr gerne nehme ich die feierliche Überreichung des Beglaubigungsschreibens, mit dem Sie heute als außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter der Bundesrepublik Deutschland beim Heiligen Stuhl akkreditiert werden, zum Anlaß, um Sie willkommen zu heißen und Ihnen meine besten Wünsche für Ihre hohe Mission auszusprechen. Einen herzlichen Dank sage ich Ihnen für die freundlichen Worte, die Sie auch im Namen des Herrn Bundespräsidenten Christian Wulff und der deutschen Bundesregierung an mich gerichtet haben. Gerne entbiete ich meinerseits dem Staatsoberhaupt, den Mitgliedern der Bundesregierung und allen Bürgerinnen und Bürgern Deutschlands meine Segensgrüße und verbinde damit die Hoffnung, daß die guten Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Bundesrepublik Deutschland in Zukunft fortdauern und sich weiter entwickeln werden.

Viele Christen in Deutschland blicken mit aufmerksamer Erwartung auf die bevorstehenden Seligsprechungen verschiedener Märtyrerpriester aus der Zeit des Naziregimes. An diesem Sonntag, dem 19. September, wird in Münster Gerhard Hirschfelder seliggesprochen. Im Laufe des nächsten Jahres werden die Feiern für Georg Häfner in Würzburg sowie für Johannes Prassek, Hermann Lange und Eduard Müller in Lübeck folgen. Mit den Lübecker Kaplänen wird auch des evangelischen Pastors Karl Friedrich Stellbrink gedacht werden. Die bezeugte Freundschaft der vier Geistlichen im Gefängnis ist ein eindrucksvolles Zeugnis der Ökumene des Gebets und des Leidens, wie sie vielerorts in jenen dunklen Tagen nationalsozialistischen Terrors unter Christen verschiedener Konfessionen aufgeblüht ist. Für unser gemeinsames Voranschreiten in der Ökumene dürfen wir diese Zeugen dankbar als leuchtende Wegmarken wahrnehmen.

An diesen Märtyrern wird exemplarisch deutlich, wie Menschen aus ihrer christlichen Überzeugung heraus für den Glauben, für das Recht der ungehinderten Religionsausübung und der freien Meinungsäußerung, für Frieden in Freiheit und für die Menschenwürde ihr Leben hinzugeben bereit sind. Heute leben wir glücklicherweise in einer freien und demokratischen Gesellschaft. Zugleich bemerken wir bei vielen Zeitgenossen eine weitaus geringere religiöse Bindung, als es bei diesen Glaubenszeugen der Fall war. Man mag sich fragen, ob es auch heute noch Christen gibt, die mit einer solchen Kompromißlosigkeit für ihren Glauben eintreten. Viele Menschen sind wohl eher geneigt, nachgiebigeren religiösen Auffassungen auch für sich selbst Raum zu geben. An die Stelle des personalen Gottes des Christentums, der sich in der Bibel offenbart, tritt ein geheimnisvolles und unbestimmtes Höchstes Wesen, das nur eine vage Beziehung zum persönlichen Leben des Menschen hat.

Diese Auffassungen prägen zunehmend den gesellschaftlichen Diskurs, die Rechtsprechung und die Gesetzgebung. Wenn man aber den Glauben an Gott als Person aufgibt, dann ist die Alternative ein »Gott«, der nicht erkennt, nicht hört und nicht spricht. Und er hat erst recht keinen Willen. Wenn Gott keinen Willen hat, dann ist gut und böse letztlich nicht mehr zu unterscheiden. Gut und Böse stehen nicht mehr im Widerspruch zueinander, sondern sind nur ein Gegensatz, in dem beide Elemente komplementär sind. Den Menschen geht damit die moralische und geistige Kraft verloren, die für eine ganzheitliche personale Entwicklung notwendig ist. Das soziale Handeln wird mehr und mehr von privaten Interessen oder vom Machtkalkül bestimmt zum Schaden für die Gesellschaft. Wenn aber Gott Person ist - und die Schöpfungsordnung wie auch die Präsenz von vielen gläubigen Christen in der Gesellschaft ist ein Indiz dafür -, dann ist damit eine in Gott gegründete Werteordnung legitimiert. In jüngster Zeit gibt es Anzeichen, daß sich neue Beziehungen zwischen Staat und Religion jenseits der bisher bestimmenden großen christlichen Kirchen entwickeln. Den gläubigen Christen ist es in dieser Situation aufgetragen, diese Entwicklungen positiv und kritisch zu verfolgen und daher den Sinn zu schärfen für die fundamentale und bleibende Bedeutung des Christentums in der Grundlegung und Gestaltung unserer Kultur.

Mit Sorge sieht die Kirche allerdings die wachsende Verdrängung des christlichen Verständnisses von Ehe und Familie aus dem gesellschaftlichen Bewußtsein. Die Ehe entfaltet sich als dauerhafte Liebesverbindung eines Mannes und einer Frau, die immer auch auf die Weitergabe menschlichen Lebens ausgerichtet ist. Eine Voraussetzung ist dabei die Bereitschaft der Partner, sich für immer aufeinander einzulassen. Dafür bedarf es einer gewissen Reife der Persönlichkeit und einer existentiellen und sozialen Grundhaltung, der »Kultur der Person«, wie es mein Vorgänger Papst Johannes Paul II. einmal genannt hat. Das Bestehen dieser Kultur der Person hängt auch von gesellschaftlichen Entwicklungen ab. Es kann geschehen, daß die Kultur der Person in einer Gesellschaft absinkt; nicht selten folgt dies paradoxerweise aus einem Wachstum des Lebensstandards. In der Vorbereitung und Begleitung der Ehepartner ist es notwendig, Rahmenbedingungen zu schaffen, um die Kultur der Person anzuheben und zur Entfaltung zu bringen. Zugleich sollten wir uns bewußt sein, daß das Schicksal der Ehen von uns allen abhängt, von der Kultur der Person jedes einzelnen Mitbürgers. In diesem Sinne kann die Kirche den Gesetzesinitiativen, die eine Aufwertung von alternativen Partnerschafts- und Familienmodellen bedeuten, nicht zustimmen. Sie tragen zu einer Aufweichung naturrechtlicher Prinzipien und damit zur Relativierung der gesamten Gesetzgebung, aber auch zu einer Verschwommenheit der Wertvorstellungen in der Gesellschaft bei.

Es ist ein im Naturrecht verankerter Grundsatz des christlichen Glaubens, daß die menschliche Person gerade in der Situation der Schwäche zu schützen ist. Der Mensch hat immer Vorrang gegenüber anderen Zwecken. Die neuen Möglichkeiten von Biotechnologie und Medizin führen uns hier oft in komplexe Situationen, die einer Wanderung auf schmalem Grat gleichen. Wir haben die Pflicht, genau zu prüfen, wo solche Verfahren eine Hilfe für den Menschen sein können und wo es um Manipulation des Menschen, um eine Verletzung seiner Integrität und Würde geht. Wir können uns diesen Entwicklungen nicht verweigern, müssen aber sehr wachsam sein. Wenn man einmal damit beginnt, und oft geschieht dies schon im Mutterleib, zwischen lebenswertem und lebensunwertem Leben zu unterscheiden, wird keine andere Lebensphase ausgespart bleiben, gerade auch Alter und Krankheit nicht.


ANSPRACHE 2010 101