(De Officiis) - XXX. Kapitel

XXX. Kapitel

Von der Wohltätigkeit: Ihre Unterabteilungen Wohlwollen und Freigebigkeit (143), ihre Grundforderungen Gerechtigkeit (144—145) und Aufrichtigkeit (146), Meidung von Prahlsucht (147), Berücksichtigung der Umstände. Dürftige Gläubige (148), Bekannte (149) und Verwandte sind zunächst zu berücksichtigen (150). Christi Beispiel und des Paulus Lehre (151). Erklärungen und Anwendungen von 2 Kor. 8, 9—15 (152—159).

  Doch laßt uns jetzt von der Wohltätigkeit sprechen![85] Sie zerfällt in Wohlwollen und Freigebigkeit[86]. Aus diesen beiden besteht sonach die Wohltätigkeit, soll sie vollkommen sein. Wohlwollen allein genügt nicht, sondern auch Wohltun ist erforderlich. Umgekehrt genügt auch Wohltun nicht, wenn es nicht aus einer guten Quelle, d. i. aus Gutwilligkeit hervorgeht; „denn den freudigen Geber liebt Gott“ (2Co 9,7). Tust du es nämlich unwillig, was wäre dein Lohn? Daher des Apostels allgemein gültiges Wort: „Tue ich das willig, habe ich Lohn; wenn unwillig, ist's nur die Amtsverwallung, die mir anvertraut ist“ (1Co 9,17). Auch im Evangelium haben wir viele Anleitungen über die rechte Freigebigkeit.

  Edel ist Wohlwollen und Geben in der Absicht zu nützen, nicht zu schaden[87]. Denn glaubte man einem Schlemmer zu ausgelassener Schlemmerei, einem Ehebrecher zu gewerbsmäßigem Ehebruch geben zu sollen, so ist das nicht Wohltun, weil hier jedes Wohlwollen fehlt. Das heißt nämlich dem Nächsten schaden, nicht nützen, wolltest du einem geben, der damit Anschläge wider das Vaterland macht; der auf deine Kosten eine liederliche Gesellschaft um sich zu sammeln wünscht; der die Kirche bekämpft. Das ist keine zu billigende Freigebigkeit, wollte man einen unterstützen, der damit wider eine Witwe und deren Waisen einen schweren Entscheidungsprozeß anstrengt, oder ihnen irgendwie mit Gewalt Hab und Gut zu entreißen sucht.

  Die Freigebigkeit verdient keine Billigung, wenn man das, was man dem einen gibt, dem anderen abpreßt; wenn man es ungerecht erwirbt und gerecht austeilen zu sollen glaubt[88]: es sei denn, daß man gleich jenem Zachäus (Lc 19,8) einem, den man betrogen, erst vierfach wiedererstatten und die heidnischen Laster durch Glaubenseifer und durch gläubiges Wirken gutmachen wollte. So soll denn deine Freigebigkeit auf einem festen Fundamente ruhen.

  Die erste Forderung lautet: Aufrichtigkeit beim Geben, kein Trug beim Spenden, Man verspreche nicht, mehr geben zu wollen, und gebe nicht weniger. Wozu braucht es denn der Worte? Es wäre ein trügerisches Versprechen. Du hast es in der Gewalt zu geben, was du willst. Der Trug untergräbt das Fundament, und das Werk stürzt ein. War es etwa nur aufbrausender Unwille bei Petrus, daß er den Ananias und sein Weib tot wissen wollte? (Ac 5,1 ff.) Er wollte vielmehr durch ihr Beispiel die übrigen vor dem Untergang bewahren.

  Auch das wäre nicht die vollkommene Freigebigkeit, wenn du mehr aus Prahlerei denn aus Barmherzigkeit geben würdest[89]. Deine Gesinnung gibt deinem Werk den verdienten Namen: nach dir bestimmt sich dessen Wert. Du siehst, welchen Sittenrichter du hast. Dich selbst zieht er zu Rat, wie er dein Werk aufnehmen soll; deinen Geist befragt er allererst. „Deine Linke“, heißt es, „soll nicht wissen, was deine Rechte tut“ (Mt 6,3). Nicht deinen Leib meint er, sondern (er meint): selbst der Vertraute, der eines Sinnes mit dir ist, dein Bruder, soll nicht wissen, was du tust, damit du nicht im diesseitigen Streben nach des Ruhmes Lohn im Jenseits die Frucht der Vergeltung verlierest. Vollkommen aber ist die Freigebigkeit, wenn einer sein Werk in Schweigen hüllt und den Nöten der einzelnen insgeheim zu Hilfe kommt; wenn einen der Mund des Armen, nicht die eigenen Lippen loben.

  Ferner muß Glaube, Beweggrund, Ort und Zeit die vollkommene Freigebigkeit empfehlen[90]. Zunächst soll man sich um seine Glaubensgenossen bemühen. Eine große Schuld wäre es, wenn ein Gläubiger darben würde und du wüßtest davon; du wüßtest: er ist ohne Lebensunterhalt, hungert, leidet Not, zumal wenn er ein verschämter Armer wäre; wenn er, sei es wegen der Gefangensetzung von Angehörigen, sei es wegen Verleumdung in einen Prozeß geriete, und du griffest nicht helfend ein; wenn ein Gerechter im Kerker schmachtete und wegen einer Schuldforderung Strafen und Qualen erlitte — obschon man nämlich jedermann Mitleid schuldet, so doch am meisten dem Gerechten[91] —; wenn er in der Stunde der Not nichts von dir erlangte; wenn in der Stunde der Gefahr, da man ihn zur Hinrichtung schleppen will, dein Geld bei dir mehr gälte als das Leben eines Sterbenden. Darauf bezieht sich Jobs schöner Wunsch: „Der Segen des im Tode Untergehenden komme über mich!“ (Jb 29,13)

  Wohl gibt es bei Gott kein Ansehen der Person, weil er allwissend ist. Wir aber schulden zwar allen Barmherzigkeit; doch weil so manche dieselbe trügerisch zu erschleichen suchen und Not vorspiegeln, darum soll gerade dort, wo der Fall klar, die Person bekannt ist und die Zeit drängt, die Barmherzigkeit am reichlichsten fließen. Denn der Herr ist nicht habsüchtig, daß er übermäßig viel verlangte. Selig zwar, wer alles weggibt und ihm nachfolgt! Aber auch der ist selig, der gern hingibt, was er hat. So schlug denn der Herr die zwei Heller der Witwe höher an als die Spenden der Reichen; denn jene spendete alles, was sie hatte, diese spendeten nur einen Teil von ihrem Überflüsse (). Die Gesinnung bestimmt sonach das Reichliche oder Dürftige der Gabe und gibt den Dingen den Wert. Übrigens will der Herr nicht, daß man sein Vermögen mit einem Mal verschwende, sondern nur, daß man davon mitteile: es müßte denn einer ein Elisäus sein, der seine Opfer schlachtete und von seiner Habe die Armen speiste, um durch keinerlei häusliche Sorge mehr gebunden zu sein, sondern alles zu verlassen und der Schule des Propheten (Elias) sich hinzugeben (Vgl. ).

  Zu billigen ist auch die Freigebigkeit, daß man nicht von seinen Blutsverwandten, wenn man von deren Not erfährt, verächtlich den Blick wegwendet[92]. Besser ist es, daß du selbst den Deinigen zu Hilfe kommst, wenn sie sich schämen, von anderen ihren Unterhalt zu erbitten oder im Notfall um Unterstützung zu betteln. Freilich sollen sie sich mit dem nicht bereichern wollen, was du für die Armen erübrigst; denn die Sache, nicht Gunst entscheidet. Nicht deshalb hast du dich dem Herrn geweiht, um die Deinigen zu bereichern, sondern um dir als Frucht des guten Wirkens das ewige Leben zu erwerben und um den Preis der Barmherzigkeit deine Sünden loszukaufen. Glauben sie etwa so wenig zu fordern? Dein Lösegeld verlangen sie, deines Lebens Frucht trachten sie zu nehmen und meinen, sie täten recht daran. Und wenn du einen nicht bereicherst, so beklagt er sich darüber, da er dich doch um den Lohn des ewigen Lebens betrügen möchte.

  Den Rat haben wir vorgetragen: sehen wir uns um die Begründung um! Fürs erste darf niemand sich schämen, wenn er wegen seiner Spenden an den Armen selbst aus einem Reichen ein Armer wird; denn auch Christus ist, da er reich war, arm geworden, um alle durch seine Armut reich zu machen (2Co 8,9). Er gab die Norm, die wir befolgen sollen, damit unsere Entäußerung von Vermögen ihren guten Grund habe: Wer den Hunger der Armen stillt, hat ihrer Not gesteuert. Darum „gebe ich euch auch hierin einen Rat“, versichert der Apostel, „denn das nützt euch“ zur Nachahmung Christi (2Co 8,10). Rat gibt man den Guten, die Irrenden bessert Tadel. Als Gute versichert er sie denn: „Ihr habt nicht bloß mit dem Tun, sondern auch mit dem Wollen seit dem verflossenen Jahre den Anfang gemacht“ (Ebd.). Beides, nicht nur eines davon ist den Vollkommenen eigen. Deshalb seine Unterweisung, daß sowohl Freigebigkeit ohne Wohlwollen, als auch Wohlwollen ohne Freigebigkeit nichts Vollkommenes sei. Daher seine Mahnung zur Vollkommenheit mit den Worten: ,,Jetzt führt aber auch das Tun zu Ende, damit der Bereitschaft zum Tun in euch auch das Vollbringen entspreche nach Maßgabe dessen, was ihr habt! Denn wenn die Bereitwilligkeit vorhanden ist, ist sie genehm nach dem, was sie hat, nicht nach dem, was sie nicht hat. Denn ihr sollt nicht Not leiden, damit andere sich erquicken, sondern maßgebend sei die Gleichheit. Bei dieser Gelegenheit soll euer Überfluß für die Not jener dienlich sein, damit (ein andermal) der Überfluß jener für eure Not dienlich sei, auf daß Gleichheit herrsche, wie geschrieben steht: ‚Wer viel hatte, hatte nicht Überfluß, und wer wenig, hatte nicht Mangel‘[93].“

  Wir sehen, wie er sowohl das Wohlwollen als auch die Freigebigkeit, deren Maß und Frucht, sowie die Personen ins Auge faßt. Das Maß deshalb, weil er Unvollkommenen den Rat erteilte; denn nur Unvollkommene leiden Not. Doch wenn ein Angestellter im Priester- oder Dieneramte der Kirche nicht zur Last fallen möchte und darum nicht alles, was er hat, weggibt, sondern in Ehren soviel leistet, als für seine Stellung genügt, ist er meines Erachtens kein Unvollkommener. Und ich glaube, daß der Apostel an unserer Stelle auch nicht von der Engherzigkeit, sondern vom knappen häuslichen Vermögen redete.

  Auf die Personen aber bezieht sich nach meinem Dafürhalten sein Ausspruch: „Euer Überfluß diene für die Not jener, und der Überfluß jener für eure Not“, d. i. des Volkes Überfluß habe die gute Wirkung, daß dem Mangel an Lebensmitteln unter jenen (Kirchendienern) gesteuert werde; und der geistige Überfluß der letzteren komme dem geistigen Verdienstmangel unter dem Volke zugute und verschaffe ihm Gnade.

  Als bestes Beispiel führt er darum an: „Wer viel hatte, hatte nicht Überfluß, und wer wenig, hatte nicht Mangel.“ Trefflich mahnt dieses Beispiel jedermann an die Pflicht der Barmherzigkeit. Denn auch wer eine Menge Gold hat, besitzt keinen Überfluß; denn ein Nichts ist alles in dieser Welt. Und wer wenig hat, dem mangelt nichts; denn ein Nichts ist, wessen er entratet. Eine Sache, die lauter Verlust ist, kann keinen Verlust erleiden.

  Auch so ergibt sich ein guter Sinn: Wenn einer, der sehr wohlhabend ist, auch nichts gibt, lebt er nicht in Überfluß; denn er mag noch soviel erwerben, er darbt stets, weil er noch mehr begehrt. Und wer wenig besitzt, dem mangelt nichts; denn nicht viel bedarf es, um den Armen zu nähren. Ebenso hat darum auch jener Arme, der geistliche Güter statt Geld mitteilt, keinen Überfluß, mag er über noch so viele Gnade verfügen; denn die Gnade beschwert den Geist nicht, sondern erhebt ihn.

  Doch auch so kann man es verstehen: Du hast keinen Überfluß, o Mensch. Wieviel ist es denn, was du empfangen, selbst wenn es für dich viel wäre? Niemand war unter den von Weibern Geborenen größer als Johannes, und doch war er kleiner als der Kleinste im Himmelreiche (Mt 11,11 Lc 7,28).

  Auch folgende Erklärung ist möglich: Gottes Gnade ist nicht materiell in Überfluß vorhanden, weil sie geistig ist. Wer könnte ihre Größe oder Breite gewahren (Vgl. Ep 3,18), nachdem sie unsichtbar ist? Der Glaube, selbst wenn er nur einem Senfkorn gliche, kann Berge versetzen (Mt 17,19). Und mehr wie ein Senfkorn wird dir nicht gegeben. Würdest du überreich mit Gnade bedacht werden, stünde nicht zu befürchten, es möchte dein Geist ob des so großen Geschenkes sich zu überheben anfangen? Es gibt ja viele, die aus der Höhe (Hochmut) ihres Herzens einen schwereren Sturz erlitten, als wenn sie Gottes Gnade überhaupt nicht besessen hätten. Und hat man weniger, liegt darin keine Einbuße, weil es sich nicht um etwas physisch Teilbares handelt. Und dünkt es auch den Besitzenden wenig, es ist sehr viel, weil ihm nichts abgeht.

  Beim Spenden soll man ferner das Alter und die Gebrechlichkeit ins Auge fassen, mitunter auch die Würde, welche die vornehme Geburt verrät[94]. Alte Personen, die sich durch Arbeit den Lebensunterhalt nicht mehr verdienen können, wird man also reichlicher beschenken. Ebenso ist die leibliche Gebrechlichkeit (ins Auge zu fassen): auch sie soll bereitwilliger unterstützt werden; desgleichen einer, der von Reichtum in Armut gefallen ist, namentlich wenn er nicht durch eigenes Verschulden, sondern durch Erpressungen oder durch Ächtung oder durch falsche Anklagen seine Habe verloren hat.

  Doch vielleicht möchte einer sagen: Ein Blinder sitzt an der gleichen Stelle, und man geht an ihm vorüber; ein kräftiger junger Mensch dagegen bekommt häufig etwas. Ja es ist wahr, weil er es durch seine Aufdringlichkeit ergattert. Nicht aus Überlegung, sondern aus Überdruß erklärt sich das. Sagt ja auch der Herr im Evangelium von jenem, der seine Türe bereits verschlossen hatte, daß er, wenn jemand allzu ungestüm an seine Türe klopft, aufsteht und demselben wegen seiner Aufdringlichkeit gibt (Lc 11,5-8).


XXXI. Kapitel

Von der Wiedererstattung des Guten: Sie ist Pflicht und mißt nicht mit gleichem, sondern mit reichlicherem Maße (160) nach dem Vorgang der Natur (161), der Gastregel Salomos, der Verheißung Christi (162—164).

  Schön ist's sodann, vorzugsweise den zu berücksichtigen, der dir, sei es eine Wohltat erwiesen, sei es ein Geschenk gemacht hat, falls er selbst in Not geraten ist[95]. Was wäre auch so pflichtwidrig, als Empfangenes nicht zu vergelten? Und nicht mit gleichem, sondern mit reichlicherem Maß, glaube ich, sollte man vergelten[96] und hierbei den praktischen Wert einer Wohltat ins Auge fassen, um auch seinerseits soweit zu helfen, daß man der traurigen Lage des Dürftigen abhilft. In der Gegenleistung die Leistung einer Wohltat nicht überbieten, heißt weniger leisten; denn wer zuerst gibt, hat zeitlich den Vorsprung voraus, in der Menschenfreundlichkeit den ersten Schritt getan.

  Wir sollen daher auch in diesem Punkt die natürliche Gepflogenheit der Erde nachahmen, die den aufgenommenen Samen in der Regel vielfältiger zurückerstattet, als sie ihn empfängt[97]. Dir gilt sonach das Schriftwort: „Wie ein Saatfeld ist der törichte Mensch und wie eine Weinpflanzung der Geistesarme: läßt man ihn brach liegen, wird er veröden“ (Pr 24,80). Wie ein Saatfeld ist auch der Weise: er legt sich gleichsam den aufgenommenen Samen auf Zinsen an und stattet ihn in größerem Maß zurück. Die Erde nun bringt entweder von selbst ihre Früchte hervor oder erstattet und gibt sie, wenn sie ihr anvertraut wurden, in reichlicherer Fülle wieder. Beides schuldest du gleichsam nach dem von der Mutter (Erde) ererbten Brauch, um nicht brach zu bleiben gleich einem unfruchtbaren Acker. Doch gesetzt den Fall, ein Nichtgeben lasse sich entschuldigen: wie ließe sich ein Nichtwiedererstatten entschuldigen? Ein Nichtgeben geht schwerlich, ein Nichtwiedererstatten aber gar nicht an.

  Daher Salomos schöner Ausspruch: „Sitzst du bei einem Mächtigen zu Tische, achte weise darauf, was dir vorgesetzt wird, und strecke deine Hand aus im Bewußtsein, daß auch du solches zubereiten mußt. Bist du aber ein Nimmersatt, laß dich's nicht nach seinen Bissen gelüsten; denn sie enthalten fälschlich Leben“ (Pr 23, 1—3.). Diese Gedanken schrieben wir nieder im Verlangen, sie nachzuahmen. Gnade erweisen ist gut; ganz verhärtet aber müßte jener sein, der sie nicht zu erwidern wüßte. Selbst die Erde legt das Beispiel der Menschenfreundlichkeit nahe. Sie spendet von selbst Früchte, die man nicht säte; sie gibt ferner das Empfangene in vielfältiger Frucht wieder. Geld, das man dir vorzählte, darfst du nicht ableugnen: wie dürftest du eine empfangene Gefälligkeit unerwidert lassen? Auch unter den Sprüchen findest du, daß diese Wiedererstattung einer Gefälligkeit bei Gott gar viel zu gelten pflegt, so daß sie selbst am Tage des (Welt-) Unterganges, da die Sünden das Übergewicht bekommen könnten[98], Gnade findet (Vgl. Si 3,33 f.). Und was soll ich noch andere Beispiele anziehen, da der Herr selbst den Verdiensten der Heiligen im Evangelium überreichliche Vergeltung verheißt und zum guten Wirken mit den Worten auffordert: „Vergebt, und es wird euch vergeben werden! Gebt, und es wird euch gegeben werden! Ein gutes, gerütteltes, überfließendes Maß wird man euch in den Schoß geben“ (Lc 6,37 f.).

  So besteht auch jenes Gastmahl Salomos nicht aus Speisen, sondern aus guten Werken. Woran laben sich denn die Seelen besser als an den guten Werken? Oder was anders könnte den Geist der Gerechten so leicht sättigen als das Bewußtsein des guten Handelns? Welch köstlichere Speise aber gäbe es, als den Willen Gottes zu tun? Diese Speise allein hatte der Herr in Überfluß, wie er beteuerte. So steht im Evangelium geschrieben: „Meine Speise ist es, den Willen meines Vaters zu tun, der im Himmel ist“ (Jn 4,34).

  Erfreuen wir uns an jener Speise, welche der Prophet im Auge hatte mit der Aufforderung: „Freue dich im Herrn!“ (Ps 36,4) An jener Speise erquicken sich jene, welche mit bewunderungswürdigem Geiste höhere Freuden erfassen lernten; welche zu verstehen vermögen, welcher Art jene reine und unsichtbare geistige Freude ist. Laßt uns denn die Brote der Weisheit essen und uns sättigen am Worte Gottes! Denn nicht im Brote allein, sondern in jeglichem Worte Gottes ruht das Leben des Menschen (Mt 4,4), der nach dem Bilde Gottes geschaffen ist (Gn 1,26). Über den Trank aber äußert sich mit hinlänglicher Deutlichkeit Job: „Wie die Erde, wenn sie auf den Regen wartet, so (warten) auch diese auf meine Worte“ (Jb 29,23).


XXXII. Kapitel

Vom Wohlwollen: Salomos Gastmahl die Hl. Schrift (165). Wohlwollen die reichlichste, oft einzige Gegengabe (166), die Sonne im menschlichen Verkehr (167). Schuldnachlaß ein Akt besonderen Wohlwollens (168). Die Familie, bezw. das Paradies der Ausgangspunkt des Wohlwollens in der menschlichen Gesellschaft (169).

  Schön ist's, wenn die Sprache der göttlichen Schrift uns träufelt und Gottes Wort wie Tau auf uns niedersteigt. Sitzt du nun bei jenem Mächtigen zu Tische (Pr 23,1), so bedenke, wer jener Mächtige ist, und erwäge im Paradies der Lust und beim Mahl der Weisheit, was dir vorgesetzt ist! Die göttliche Schrift ist das Mahl der Weisheit, die verschiedenen Bücher derselben die verschiedenen Gerichte. Beachte erst, was die Gerichte an Speisen bieten, und dann strecke die Hand danach aus! Und was du liest, oder vielmehr vom Herrn deinem Gott empfängst, sollst du ins Werk setzen und die dir gewordene Gnade in deinen Amtsverrichtungen zeigen, gleich Petrus und Paulus, die durch die Verkündigung des Evangeliums dem, der ihnen das Amt verliehen hatte, eine Art Gegenleistung erstatteten, so daß jeder sprechen konnte: „Durch die Gnade Gottes aber bin ich, was ich bin, und seine Gnade war nicht kümmerlich in mir, sondern ich habe reichlicher denn alle gearbeitet“ (1Co 15,10).

  Der eine nun zahlt die empfangene Wohltat, die er genossen, zurück: so Gold mit Gold, Silber mit Silber; ein anderer erstattet hierfür Arbeit, ein anderer vielleicht noch reichlicher nur allein Wohlwollen. Denn wie, wenn zur Gegenleistung keine Möglichkeit besteht? Bei der Wiedererstattung einer Wohltat leistet die Gesinnung mehr als das Vermögen, und wiegt das Wohlwollen schwerer als die Möglichkeit einer Gegengabe. Man erstattet eben den Dank mit dem, was man hat. Etwas Großes ist es sonach um das Wohlwollen, das, selbst wenn es nichts gibt, gar reichlich spendet und, obschon es ohne allen Vermögensbesitz ist, an gar viele austeilt. Und das tut es ohne die geringste eigene Einbuße, zum Vorteile aller. Es gebührt sonach dem Wohlwollen der Vorzug selbst vor der Freigebigkeit. Es ist an sittlichem Gehalt reicher, als letztere an Gaben; denn derer, die des Wohltuns bedürfen, sind mehr als derer, die Überfluß haben.

  Das Wohlwollen aber ist mit der Freigebigkeit verbunden: von ihm nimmt die Freigebigkeit selbst ihren Ausgang, indem das freigebige Handeln der freigebigen Gesinnung folgt. Es ist aber auch davon getrennt und geschieden: wenn die Freigebigkeit aufhört, dauert das Wohlwollen fort, gleichsam der väterliche Gönner aller, der Freundschaft knüpft und bindet, verlässig im Rat, heiter im Glück, traurig in trüben Stunden, so daß jeder dem Rate eines Wohlwollenden sich noch lieber fügt als dem eines Weisen, wie David, obschon der Klügere, gleichwohl den Ratschlägen des jüngeren Jonathas folgte (1R 20). Nimm das Wohlwollen aus dem menschlichen Verkehr, und es wird sein, als hättest du die Sonne aus der Welt genommen. Ohne dasselbe ist ja ein menschlicher Verkehr undenkbar, daß man beispielsweise einem Fremden den Weg zeigt, einen Irrenden zurückruft, einem Gastfreundschaft erweist — keine geringe Tugend, der sich Job mit den Worten rühmte: „Draußen aber wohnte kein Fremder, meine Türe stand jedem Ankömmling offen“ (Jb 31,32)—, einem Wasser vom quellenden Wasser reicht, Licht von seinem Licht anzündet. So erweist sich denn das Wohlwollen hierin allen als ein Wasserquell, der den Durstenden laben, als ein Licht, das auch in anderen leuchten soll, ohne dem zu mangeln, der von seinem Lichte dem anderen das Licht anzündete[99].

  Auch das ist wohlwollende Freigebigkeit, daß man einen Schuldschein, den man etwa besitzt, zerreißt und zurückstellt, ohne vom Schuldner einen Pfennig von der Schuldsumme bekommen zu haben. Daß wir das tun sollen, dazu mahnt uns der heilige Job durch sein eigenes Beispiel (Jb 31,35). Wer nämlich hat, borgt nicht; wer nicht hat, löscht den Schuldschein nicht. Wie nun? Wenn du auch selbst nicht habgierig auf dessen Einlösung bestehst, hebst du ihn den übelwollenden Erben auf, während du ihn doch deiner wohlwollenden Gesinnung zum Lob ohne Geldeinbuße zurückstellen könntest.

  Und um die Besprechung noch zu vervollständigen, so nahm das Wohlwollen seinen ersten Ausgang von den Familienangehörigen, d. i. den Kindern, Eltern und Geschwistern, nahm dann allmählich auf Grund enger Beziehungen den Weg in den Bereich der Gemeinwesen[100] und erfüllte, vom Paradiese stammend, die Welt. So sprach denn auch Gott, als er in Mann und Weib die Gesinnung des Wohlwollens gelegt hatte: „Sie werden beide in einem Fleische“ (Gn 2,24) und in einem Geiste sein. Darum gerade glaubte Eva der Schlange, weil sie, die das Wohlwollen empfangen hatte, kein Übelwollen argwöhnte.


XXXIII. Kapitel

Vom Wohlwollen: Dessen Zuwachs in der Kirche (170), sowie durch gleiche Tugendbestrebungen und Charakteranlagen (171). Gerechtigkeit und Starkmut mit dem Wohlwollen verbunden (172).

  Einen Zuwachs erfährt das Wohlwollen durch die Kirchengemeinschaft, durch den gemeinsamen Glauben, das einigende Band der Taufe, die innige Beziehung auf Grund des Gnadenempfanges, die Teilnahme an den Geheimnissen. Diese Dinge begründen ja sogar den Anspruch auf Namen, die eine Verwandtschaft bezeichnen, auf ‚kindliche‘ Ehrfurcht, ‚väterliche‘ Autorität und Liebe, ‚brüderliche‘ Gesinnung. Gar viel trägt sonach die aus der Gnade entspringende Verwandtschaft zur Mehrung des Wohlwollens bei.

  Eine Förderung bedingen auch die gleichen Tugendbestrebungen. Schafft doch das Wohlwollen auch eine Ähnlichkeit im sittlichen Verhalten. So ahmte der Königssohn Jonathas Davids Sanftmut nach, weil er ihn liebte (1R 19,1 ff.). Daher ist auch der Ausspruch: „Mit dem Heiligen wirst du heilig sein“ (Ps 17,26), wie es scheint, nicht bloß auf den Umgang, sondern auch auf das Wohlwollen zu beziehen. Denn auch die Söhne Noës wohnten zusammen, und doch bestand keine Gleichförmigkeit des sittlichen Verhaltens unter ihnen (Gn 9,22 ff.). Ebenso wohnten Esau und Jakob im Hause des Vaters, waren aber ungleiches Sinnes (Ebd. 25, 27.). Denn es herrschte unter ihnen nicht das Wohlwollen, das dem anderen den Vorzug vor sich eingeräumt hätte, sondern vielmehr Eifersucht, die den (Vater-) Segen vorwegnahm (Ebd. c. 27.). Da nämlich der eine sehr widerhaarig, der andere sanft war, so konnte bei den ungleichen Charakteranlagen und dem entgegengesetzten Interesse von Wohlwollen nicht die Rede sein. Nimm hinzu, daß der heilige Jakob den entarteten Sprossen des Vaterhauses der Tugend nicht vorziehen konnte.

  Nichts aber steht in so innigem Bunde als die Gerechtigkeit mit der Billigkeit. Gleichsam Gefährtin und Genossin des Wohlwollens, bewirkt dieselbe, daß wir gerade jene lieben, welche wir für unseresgleichen halten. Aber auch Starkmut trägt das Wohlwollen in sich. Da nämlich die Freundschaft aus der Quelle des Wohlwollens entspringt, trägt sie kein Bedenken, für den Freund schwere Lebensgefahren auf sich zu nehmen. „Und sollte mir Schlimmes durch ihn widerfahren“, spricht sie, „ich nehme es auf mich“ (Si 22,31).


XXXIV. Kapitel

Vom Wohlwollen: Weitere Früchte des Wohlwollens (173). Abschließende Urteile hierüber (174).

  Wohlwollen pflegt selbst dem Zorn das Schwert zu entwinden. Wohlwollen macht, daß des Freundes Wunden nützlicher sind als freiwillig gebotene Feindesküsse (Pr 27,6). Wohlwollen macht, daß aus mehreren einer wird; denn sind mehrere Freunde, werden sie eins[101], indem ein Geist, eine Auffassung sie beseelt. Zugleich gewahren wir, daß selbst Zurechtweisungen bei der Freundschaft willkommen sind[102]. Sie haben ihren Stachel, schmerzen aber nicht. Wohl treffen nämlich die Strafreden unser Herz, doch das besorgte Wohlwollen erfreut uns.

  Alles in allem: Man schuldet nicht immer allen die gleichen Dienste. Und nicht die Personen sind stets in erster Linie zu berücksichtigen, sondern gar manchmal die Umstände und die Zeit, so daß man mitunter lieber dem Nachbar als dem Bruder helfen soll[103]. Auch Salomo beteuert nämlich: „Besser ein Nachbar in nächster Nähe als ein Bruder, der in der Ferne wohnt“ (Pr 27,10). Eben darum vertraut einer oft lieber einem wohlwollenden Freunde als einem blutsverwandten Bruder. Soviel vermag Wohlwollen, daß es vielfach über Lieblinge, die uns von Natur verbunden sind, den Sieg davonträgt.


XXXV. Kapitel

Vom Starkmut: Einteilung und Vorzüglichkeit desselben (175). Die kriegerische Tapferkeit bedarf notwendig der Gerechtigkeit (176) und Klugheit zu Begleiterinnen (177). Nicht weniger als im Kriege bewährt sich der Starkmut im Glaubenskampf und Martyrium (178).

  Einläßlich genug haben wir dort, wo wir von der Gerechtigkeit handelten, Wesen und Bedeutung des Sittlichguten besprochen. Jetzt wollen wir von der Tapferkeit handeln[104]. Als hätte sie etwas vor den übrigen Tugenden voraus, zerfällt sie in die kriegerische und heimische Tapferkeit[105]. Freilich scheint das Interesse an den Kriegsangelegenheiten unserem Dienst bereits fernzuliegen; denn mehr auf einen geistigen als physischen Dienst ist unser Sinnen und Trachten gerichtet, und nicht dem Waffenhandwerk, sondern der Friedenssache gilt unser Handel und Wandel. Dagegen ernteten unsere Altvordern, wie Jesus Nave (Josue), Jeroboal (Gedeon), Samson, David auch im Krieg den höchsten Ruhm.

  Die Tapferkeit ist sonach eine Tugend, gewissermaßen über die anderen erhaben, doch nimmer ohne deren Begleitung. Denn sie darf sich selbst nicht trauen. Andernfalls ist die Tapferkeit ohne die Gerechtigkeit nur ein Hebel zum Bösen. Denn je stärker sie ist, um so mehr neigt sie zur Unterdrückung des Schwächeren[106]. Und doch hält man dafür, daß auch in Sachen des Krieges darauf zu achten ist, ob Kriege gerecht oder ungerecht sind.

  Nie führte David einen Krieg, ohne dazu gereizt zu sein. Daher hatte er die Klugheit zur Begleiterin der Tapferkeit in der Schlacht. Selbst da er wider Goliath, einen Unmenschen an Leibesgröße, zum Einzelkampf sich anschickte, wies er die Waffen zurück, die ihn beschwerten (1R 17,38 ff.); denn die Manneskraft stützt sich lieber auf den eigenen Arm als auf fremde Deckung. Sodann streckte er den Feind mit einem Steinwurf aus größerer Entfernung, um ihn wuchtiger zu treffen, nieder. Auch später fing er nie einen Krieg an, ohne den Herrn zu Rate gezogen zu haben (2R 5,19 2R 5,23 2R 5,25). Deshalb ging er aus allen Schlachten als Sieger hervor. Die Hand bis ins höchste Greisenalter am Schwerte, mischte er sich in Kriege wider die Titanen als Kämpfer unter die wilden Heerscharen, voll Verlangen nach Ruhm, unbekümmert um sein Leben (Ebd. 21, 15 ff.).

  Doch nicht das allein nur ist ruhmvolle Tapferkeit: uns gilt vielmehr auch die Tapferkeit jener Gläubigen für herrlich, die kraft des Glaubens durch ihre Seelengröße „der Löwen Rachen verschlossen, die Gewalt des Feuers auslöschten, der Schärfe des Schwertes entrannen, aus Schwachen zu Helden erstarkten“ (He 11,33 f.); die nicht, von Gefolgschaft und Legionen umgeben, im Verein mit vielen anderen den gemeinsamen Sieg, sondern allein durch ihre bloße Seelenkraft den Triumph über die Ruchlosen davontrugen. Wie unbesieglich war Daniel, der vor den Löwen, die zu seinen Seiten brüllten, nicht zitterte! Die Bestien knirschten — und er aß (Da 14,38).


XXXVI. Kapitel

Vom Starkmut: Der seelische Starkmut (179). Seine Norm entlehnten die Profanschriftsteller aus der Hl. Schrift (180). Wahre Tapferkeit bezwingt sich selbst (181). Die zwei Wirkungen des seelischen Starkmutes (182). Des hl. Paulus Mahnung und Beispiel für die Gläubigen im allgemeinen (183), für die Kirchendiener im besonderen (184). Folgerungen für den Streiter Gottes (185).

  Ruhmvolle Tapferkeit beruht nicht bloß in der Körperkraft und den Armmuskeln, sondern mehr noch in der Kraft der Seele[107]. Und das Gesetz für diese Kraft lautet: nicht Unrecht tun, sondern ihm wehren[108]. Denn wer nicht von seinem Mitmenschen Unrecht abwehrt, wenn er kann, ist ebenso schuldbar wie jener, der es begeht[109]. Daher machte der heilige Moses gerade damit den ersten Anfang, um sich für kriegerische Tapferkeit zu schulen. Als er nämlich einen Hebräer von Seiten eines Ägypters Unrecht leiden sah, verteidigte er ihn in der Weise, daß er den Ägypter niederstreckte und im Sande verscharrte (Ex 2,11 f.). Ebenso mahnt Salomo: „Errette den, der zum Tode geführt wird!“ (Pr 24,11)

  Es liegt also hinlänglich zutage, woraus Tullius, oder auch Panätius, oder selbst Aristoteles diese Anschauung entlehnt haben. Übrigens hat auch Job, der älter als diese beiden ist, den Ausspruch getan: ,,Ich rettete den Armen aus der Hand des Mächtigen und half der Waisen, die keinen Beistand hatte. Der Segen des dem Untergang Geweihten komme über mich!“ (Jb 29,12 f.) Ist das nicht ein tapferer Held, der so mutig die Angriffe des Feindes ertrug und mit der Kraft seines Geistes überwand? Kein Zweifel aber kann über die Tapferkeit dessen bestehen, den der Herr auffordert: „Gürte wie ein Mann deine Lenden, lege Hoheit und Kraft an! Jeden aber, der Unrecht tut, demütige!“ (Ebd. 40, 2.) Ebenso versichert der Apostel: „Ihr habt den tapferen Trost“ (He 6,18). Tapfer ist sonach, wer im Leiden welcher Art immer getrostes Mutes bleibt.

  Und mit Recht fürwahr nennt man das Tapferkeit, wenn einer sich selbst besiegt, den Zorn bezwingt, durch keine Lockungen sich umstimmen und beugen läßt, im Unglück die Fassung nicht verliert, im Glück nicht übermütig wird und im Wandel der mannigfach wechselnden Dinge nicht wie eine Windfahne hin- und herschwankt[110]. Was gibt es aber Erhabeneres und Großartigeres, als den Geist zu schulen, das Fleisch zu beherrschen und dienstbar zu machen, daß es seinem Befehle gehorcht, seinen Ratschlägen folgt, um unverdrossen, wenn es Kampf und Mühe zu bestehen gilt, das Vorhaben und den Willen der Seele auszuführen.

  Das nun ist die erste Wirkung des Starkmutes. In zweifacher Art tritt nämlich der seelische Starkmut in die Erscheinung. Fürs erste soll er das Äußerliche am Leibe recht gering einschätzen und als etwas Überflüssiges lieber für verächtlich denn für begehrenswert erachten; fürs zweite die höchsten Güter und all das, worin man das Sittlichgute und jenes p??p?? (Schickliche) erblickt, klar ins Auge fassen und solange anstreben, bis er es erreicht hat[111]. Was wäre denn so klar als die Notwendigkeit, deine Seele derart zu schulen, daß du die höchsten Güter weder in Reichtum, noch in Vergnügen, noch in Ehren setzest und nicht dein ganzes Streben darauf verschwendest? Bei solcher inneren Gesinnung wirst du notwendig jenes Sittlichgute und Schickliche vorziehen zu müssen glauben und dein Sinnen so darauf richten, daß du über alles, was da kommt und den Mut zu brechen pflegt, wie Vermögenseinbuße oder Ehrenverlust oder Anfeindung von Seiten der Ungläubigen, erhaben bist, ohne es zu fühlen, und daß dich ferner selbst Lebensgefahren, die du für die Gerechtigkeit auf dich nimmst, nicht aus der Fassung bringen.

  Das ist der wahre Starkmut, den Christi Streiter besitzt, der nicht gekrönt wird, wenn er nicht rechtmäßig gekämpft hat (2Tm 2,5). Oder dünkt dich das Gebot des Starkmutes für gering: ,,Die Drangsal wirkt Geduld, die Geduld Bewährung, die Bewährung aber Hoffnung“? (Rm 6,8 f.)Sieh, wie viele Kämpfe — und e i n e Krone! Dieses Gebot gibt nur einer, der in Christus Jesus befestigt war, dessen Fleisch keine Ruhe hatte. Bedrängnis von allen Seiten: außen Kämpfe, innen Ängste. Und obschon in Gefahren, in tausend Mühen, in Kerkerhaft, in Todesnöten schmachtend, ließ er den inneren Mut nicht sinken, sondern kämpfte, bis er über seine Schwächen Herr war (2Co 11,23 ff.).

  Betrachte nun, wie er jenen, die sich dem Kirchendienste weihen, die Pflicht der Geringschätzung der menschlichen Dinge einschärft! „Wenn ihr also mit Christus den Weltdingen abgestorben seid, was stellt ihr noch, als lebtet ihr von dieser Welt, die Satzungen auf: ‚berührt nicht, betastet nicht, kostet nicht!‘, Dinge, die doch alle schon durch den bloßen Gebrauch zur Vernichtung bestimmt sind?“ (Col 2, 20—22.) Und im folgenden: „Wenn ihr nun mit Christus mitauferstanden seid, so suchet, was oben ist!“ (Ebd. 3, 1.) Und wiederum: „So ertötet denn eure Glieder, die der Erde angehören!“ (Ebd. 3, 5.) Und zwar gilt dies noch für alle Gläubigen. Dir aber, mein Sohn, rät er Verachtung des Reichtums, ebenso Meidung unwürdigen Altweiberklatsches an und läßt nur das zu, was dich zur Frömmigkeit schult; „denn leibliche Schulung ist zu nichts nütze, Frömmigkeit aber ist zu allem nützlich“ (1Tm 4,7 f.).

  Frömmigkeit führe dich sonach in die Schule der Gerechtigkeit, der Enthaltsamkeit und Sanftmut ein, auf daß du das Treiben der Jugend fliehest, in der Gnade gefestigt und gewurzelt (Vgl. Ep 3,17), den guten Kampf des Glaubens auf dich nehmest (1Tm 6,11 f.) und als Gottes Streiter nicht in weltliche Geschäfte dich verwickelst (2Tm 2,4). Denn wenn schon einem Krieger im Dienste des Kaisers kraft menschlicher Gesetze die Übernahme von Rechtshändeln, die Ausübung von Marktgeschäften, der Verkauf von Handelswaren verboten ist, wieviel mehr soll der Streiter im Glaubenskampf von jeder Ausübung eines Handelsgeschäftes Abstand nehmen, zufrieden mit dem Ertrag eines Äckerchens, wenn er eines hat; mit dem Ertrag der Löhnung, wenn er keines hat! Ist doch ein guter Zeuge dafür jener, der versichert: „Ich war ein Jüngling und ward ein Greis und sah keinen Gerechten verlassen, noch seine Nachkommen um Brot betteln“ (Ps 36,25). Darin nämlich besteht die Ruhe und Mäßigung der Seele, daß sie sich weder von Gewinnsucht einnehmen, noch durch Furcht vor Armut ängstigen läßt.



(De Officiis) - XXX. Kapitel