ANSPRACHE 2005 78

AN DIE DRITTE GRUPPE DER BISCHÖFE AUS MEXIKO (KIRCHENPROVINZEN IM ÖSTLICHEN TEIL DES ZENTRUMS)

ANLÄSSLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES


Castelgandolfo

Freitag, 23. September 2005



Liebe Mitbrüder im Bischofsamt!

Ich freue mich, euch, die Hirten der Kirche Gottes aus den Metropolitansitzen Jalapa, Mexiko- Stadt, Puebla und Tlalnepantla sowie aus den Suffragandiözesen, heute zu empfangen. Ihr seid gekommen, um euren »Ad-limina«-Besuch abzustatten und damit einer ehrwürdigen Gepflogenheit nachzukommen, die dazu beiträgt, die Bande enger Gemeinschaft aufrechtzuerhalten, die jeden Bischof mit dem Nachfolger Petri vereinen. Eure Anwesenheit verbindet mich auch mit den Priestern, den Ordensleuten und den Laiengläubigen eurer Teilkirchen. Ich danke Herrn Kardinal Norberto Rivera Carrera, dem Erzbischof von Mexiko-Stadt, für die herzlichen Worte, mit denen er eure Zuneigung und Hochachtung zum Ausdruck gebracht hat und die es mir erlauben, eure Sorgen und pastoralen Ziele zu teilen. Meinerseits bitte ich den Herrn, daß in euren Diözesen und in ganz Mexiko stets der Glaube, die Hoffnung, die Liebe und das mutige Zeugnis aller Christen wachsen mögen.

Aus der Kraft der Verheißungen des Herrn schöpfend und gestärkt vom Beistand seines Geistes, seid ihr als Nachfolger der Apostel dazu berufen, die ersten zu sein, die den Sendungsauftrag ausführen, den Er seiner Kirche anvertraut hat. Sowohl als einzelne als auch im Kollegium führt ihr eine ständige Analyse der mexikanischen Gesellschaft durch, da ihr wißt, daß das Bischofsamt euch zu einer Bewertung der zeitlichen Realitäten drängt, die ihr vom Glauben her beleuchten sollt. Diesbezüglich betrachtet der Bischof aufmerksam die Gläubigen und die Gesellschaft aus der Perspektive des Evangeliums. Wenn ihr hört, »was der Geist den Gemeinden sagt« (Ap 2,7), fühlt ihr euch verpflichtet, die verschiedenen Gegebenheiten und Initiativen oder auch die Passivität, die leider mitunter das Volk Gottes befällt, einer sorgfältigen Prüfung zu unterziehen, ohne dabei die schwerwiegenden Probleme und die tieferen Bestrebungen der Gesellschaft zu vernachlässigen.

In den zentralen Gebieten der mexikanischen Republik ließen sich die alten indigenen Völker nieder, und hier begann die Missionstätigkeit der Kirche, die sich dann auch auf die anderen Regionen ausweitete. Das Leben in der Stadt ist durch das Miteinander verschiedener Kulturen und unterschiedlicher Bräuche der Bewohner geprägt. In den großen Städten gibt es wichtige Zentren des wirtschaftlichen, akademischen und kulturellen Lebens sowie politische und legislative Einrichtungen, die von hier aus auf die übrige Nation Einfluß nehmen. Zugleich ist das Leben in diesen Städten aufgrund der sozialen Unterschiede sehr komplex, wobei sich die Diözesanpastoral um alle Schichten kümmern muß, unter Vermeidung von Diskriminierungen und unter besonderer Rücksichtnahme auf diejenigen, die unter großer Armut, Einsamkeit oder Ausgrenzung leiden. All diese Gesellschaftsgruppen prägen das Antlitz der Stadt und sind eine ständige Herausforderung für die Pastoralarbeit, bei deren Planung außerdem Sorge getragen werden muß für die wachsende Anzahl derjenigen Brüder und Schwestern, die auf der Suche nach einem menschenwürdigeren Leben aus den ländlichen Gebieten in die Städte übersiedeln. Diese Realität mit ihren dringenden Problemen muß die Sensibilität ihrer Hirten wecken. Das II. Vatikanische Konzil erinnert uns daran, daß es gilt, »die Welt, in der wir leben, ihre Erwartungen, Bestrebungen und ihren oft dramatischen Charakter zu erfassen und zu verstehen« (Gaudium et spes GS 4).

In diesem Zusammenhang muß der Bischof die Gemeinschaft fördern und festigen, so daß die Gläubigen sich stärker zum Gemeinschaftsleben hingezogen fühlen, und er muß dafür sorgen, daß die Kirche »zum Haus und zur Schule der Gemeinschaft« (Novo Millennio ineunte NM 43) werde. So wird die Kirche in der Lage sein, der Welt mit ihren Hoffnungen eine Antwort zu geben durch das Zeugnis der christlichen Erfahrung der Einheit. Ich spreche euch daher Mut zu angesichts einer so schwierigen Aufgabe, bei der man niemals die christliche Gütergemeinschaft aus den Augen verlieren darf.

79 Euer Hirtenamt muß an alle Menschen gerichtet sein, sowohl an die Gläubigen, die sich aktiv am Leben der Diözesangemeinschaft beteiligen, als auch an diejenigen, die sich von ihr entfernt haben und nach dem Sinn ihres Lebens suchen. Daher bitte ich euch, auch weiterhin ohne Kleinmut die Menschen zu lehren und ihnen das Evangelium Christi zu verkündigen (vgl. Christus Dominus CD 11). Wenn der Bischof die Gewissen der Gläubigen durch das Wort Gottes erleuchtet, so muß er dabei eine Sprach- und Ausdrucksform wählen, die den Erfordernissen unserer Zeit angepaßt ist, »das heißt, die den Schwierigkeiten und Fragen, von denen die Menschen so sehr bedrängt und geängstigt werden, entspricht« (ebd., 13). In der gegenwärtigen Gesellschaft, in der es deutlich sichtbare Zeichen der Säkularisierung gibt, dürfen wir weder den Mut sinken lassen, noch darf es uns an Begeisterung für die Pastoralpläne fehlen. Denkt immer daran, daß der Heilige Geist euch die notwendigen Kräfte verleiht. Habt Vertrauen zu Ihm, der »Herr ist und lebendig macht«.

Die Priester sind eure engen Mitarbeiter im Bischofsamt. Sie haben Anteil an eurer äußerst wichtigen Mission, und »in jedem Vollzug der Sakramente werden sie auf verschiedene Weise mit dem Bischof hierarchisch verbunden und machen ihn so in den einzelnen Gemeinschaften der Gläubigen gewissermaßen gegenwärtig« (Presbyterorum ordinis PO 5). Ihr müßt den Priestern größte Aufmerksamkeit schenken und sehr viel Kraft in sie investieren. Daher ermutige ich euch, stets jedem einzelnen von ihnen zur Seite zu stehen und mit ihnen nach Art des Guten Hirten priesterliche Freundschaft zu pflegen. Helft ihnen, Männer des unablässigen Gebetes zu sein, sowohl in der kontemplativen Stille, die uns vom Lärm und von der Zerstreuung durch viele Aktivitäten fernhält, als auch in der mit Andacht vollzogenen täglichen Eucharistiefeier und des Stundengebetes, die die Kirche ihnen als Gut des ganzen Leibes Christi anvertraut hat. Der seelsorgliche Dienst des Priesters bedarf seines Gebetes, weil das Zeugnis des betenden Priesters, der die Transzendenz verkündigt und sich in das Geheimnis Gottes versenkt, für die Gemeinschaft unverzichtbar ist. Tragt Sorge für die persönliche Situation jedes einzelnen Priesters und ermutigt jeden von ihnen, mit Freude und Hoffnung auf dem Weg der priesterlichen Heiligkeit fortzuschreiten, bietet jedem die Hilfe an, die er braucht, und fördert auch die brüderliche Gemeinschaft unter ihnen. Niemandem sollen die notwendigen Mittel für ein Leben, das der Würde seiner hohen Berufung und seinem Dienst entspricht, fehlen. Kümmert euch besonders auch um die Ausbildung der Seminaristen und fördert mit Begeisterung die Berufungspastoral.

Angesichts des wechselhaften und komplexen Panoramas der heutigen Zeit wird die Tugend der Hoffnung innerhalb der Gemeinschaft der Gläubigen auf eine harte Probe gestellt. Schon aus diesem Grund müssen wir hoffnungsvolle Apostel sein, die den Verheißungen Gottes freudiges Vertrauen schenken. Er verläßt sein Volk niemals, sondern ruft es zur Umkehr auf, damit sein Reich Wirklichkeit werde. Reich Gottes bedeutet nicht nur, daß Gott existiert und lebt, sondern auch, daß Er gegenwärtig ist und in der Welt wirkt. Es ist die innerste und entscheidende Wirklichkeit in jedem Aspekt des menschlichen Lebens, in jedem Augenblick der Geschichte. Der Entwurf und die Verwirklichung der Pastoralpläne müssen dieses Vertrauen in die liebende Gegenwart Gottes in der Welt widerspiegeln. So wird den katholischen Laien geholfen, die Fähigkeit zu erlangen, der wachsenden Säkularisierung entgegenzutreten und sich mit Hilfe der kirchlichen Soziallehre verantwortungsbewußt in die zeitlichen Dinge einzubringen.

Liebe Brüder, nochmals versichere ich euch meiner tiefen Verbundenheit im Gebet, im festen Vertrauen auf die Zukunft eurer Diözesen, in denen eine große Lebenskraft zum Vorschein kommt. Der Herr gewähre euch, ihm mit Freude zu dienen und in seinem Namen die euch anvertrauten Diözesankirchen zu leiten. Unsere Liebe Frau von Guadalupe, Königin und Mutter von Mexiko, möge euch stets begleiten und schützen! Euch und den Gläubigen eurer Diözesen erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen.


AN DIE VIERTE GRUPPE DER BISCHÖFE MEXIKOS ANLÄSSLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES

Donnerstag, 29. September 2005



Liebe Mitbrüder im Bischofsamt!

Mit Freude empfange ich euch anläßlich eures »Ad-limina«-Besuches, grüße euch alle und ermutige euch in der Hoffnung, die so notwendig ist für euren hochherzigen Dienst in den jeweiligen Erzdiözesen und Diözesen der Kirchenprovinzen Acapulco, Antequera und Yucatan. Dem Erzbischof von Guadalajara, Kardinal Juan Sandoval Iñiguez, danke ich für die an mich gerichteten Worte, die eure Treue und aufrichtige Zuneigung zum Ausdruck bringen. Auch zeigt sich darin die tiefe Religiosität des mexikanischen Volkes und die Hochachtung, die eure Gemeinschaften dem Papst entgegenbringen.

Übermittelt ihnen meinen dankbaren Gruß und versichert sie dessen, daß ich im Gebet ihrer besonders gedenke. Ausdruck der Gemeinschaft Die Pilgerfahrt zu den Gräbern der Apostel Petrus und Paulus hat euch Gelegenheit gegeben, jene Bande zu festigen, die euer Dienstamt mit der Sendung verbindet, die Christus den Zwölf anvertraut hat, und euch an ihrem Beispiel selbstlosen Einsatzes für die Evangelisierung aller Völker zu inspirieren. Diese wie auch die anderen Begegnungen mit der Römischen Kurie sind deutlicher und konkreter Ausdruck der Gemeinschaft mit dem Stuhl Petri und der Sorge aller Bischöfe für die Gesamtkirche (vgl. Lumen gentium LG 23).

»Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele« (Mt 20,28). Mit diesen Worten hat der Herr uns gelehrt, wie wir unsere Sendung erfüllen sollen. Unmittelbar aus der inneren Gemeinschaft mit ihm entspringt die Teilhabe an seiner Liebe zu den Menschen und macht auch das erträglich, was uns belastet. Sie erfüllt den Dienst mit Freude und macht ihn fruchtbar. Der wesentliche Aspekt unseres Amtes ist somit die personale Einheit mit Christus. Er lehrt uns, daß die Fülle des Lebens nicht im Erfolg besteht (vgl. Mt 16,25), sondern in der Liebe und in der Hingabe an andere. Auch weiß derjenige, der für Christus arbeitet, daß »einer sät, und ein anderer erntet« (Jn 4,37).

Das bischöfliche Lehramt besteht in der Weitergabe des Evangeliums Christi mit seinen moralischen und religiösen Werten, unter Berücksichtigung der verschiedenen Realitäten und Bestrebungen der heutigen Gesellschaft, deren Situation die Hirten gut kennen müssen. Es ist »wichtig, sich mit Kraft dafür einzusetzen, die Beweggründe des kirchlichen Standpunktes in angemessener Weise zu erklären. Dabei muß man vor allem herausheben, daß es nicht darum geht, den Nichtglaubenden eine Perspektive des Glaubens aufzudrücken, sondern die Werte zu deuten und zu schützen, die in der Natur des Menschen selbst verwurzelt sind« (vgl. Novo Millennio ineunte NM 51).

Zugleich müssen die Hirten der Kirche in Mexiko, so wie in den ersten christlichen Gemeinden, den Schutzlosesten und den Armen ganz besondere Aufmerksamkeit schenken. Immer noch bilden sie einen großen Teil der nationalen Bevölkerung und sind mitunter Opfer unzulänglicher und unannehmbarer Strukturen. Vom Evangelium ausgehend, besteht die angemessene Antwort in der Förderung von Solidarität und Frieden, damit Gerechtigkeit wirklich möglich wird. Daher bemüht sich die Kirche, wirksam zur Ausrottung jeder Form von Ausgrenzung beizutragen, indem sie die Christen auffordert, Gerechtigkeit und Nächstenliebe zu üben. In dieser Hinsicht solltet ihr jene, die über größere Mittel verfügen, ermutigen, diese zu teilen, so wie Christus selbst uns auffordert, das für die Ärmsten unserer Brüder zu tun (vgl. Mt 25,35-40). Notwendig ist nicht nur, den dringendsten Bedürfnissen abzuhelfen, sondern auch das Problem an der Wurzel anzugehen und Maßnahmen vorzuschlagen, die den sozialen, politischen und wirtschaftlichen Strukturen eine gerechtere und solidarischere Gestalt geben. Die Liebe wird so zum Dienst an der Kultur, der Politik, der Wirtschaft und der Familie und zum Fundament wahrer menschlicher und gemeinschaftlicher Entwicklung (vgl. Novo Millennio ineunte NM 51).

80 Mit seinem kulturellen und historischen Reichtum, seinen Traditionen und seiner Religiosität zeichnet sich das mexikanische Volk aus durch seine Unbeschwertheit und seinen tiefen Sinn für das Feiern, das seit der Zeit der Erstevangelisierung zu den Ausdrucksweisen christlicher Freude gehört und den Feiern und Zeremonien der Volksfrömmigkeit große Ausdruckskraft verleiht. Es ist Aufgabe der Hirten, diesen den mexikanischen Gläubigen eigenen Charakter auf einen festen und reifen Glauben auszurichten, der eine Lebensweise zu formen vermag, die mit dem übereinstimmt, was man mit Freude bekennt. All dies wird auch den wachsenden missionarischen Eifer jener Mexikaner beleben, die der Weisung des Herrn folgen: »Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern« (Mt 28,19) (vgl. Ecclesia in America ).

In Mexiko, wo häufig jener »Genius« der Frau zutage tritt, der im Bereich der Familie, der kirchlichen Gemeinschaften, der Sozialfürsorge und auf anderen Gebieten des bürgerlichen Lebens eine tiefe Sensibilität für den Menschen sicherstellt (vgl. Mulieris dignitatem MD 30), erleben wir mitunter das Paradox der theoretischen Verehrung und der praktischen diskriminierenden Herabsetzung der Frauen. Daher ist es weiterhin eine Herausforderung der heutigen Zeit, die Mentalität zu ändern, damit nach dem Beispiel Christi und gemäß seiner rücksichts- und respektvollen Haltung ihnen gegenüber, die Frauen in allen Bereichen mit voller Würde behandelt werden und auch ihre unersetzliche Mission als Mütter und erste Erzieher der Kinder geschützt werde.

Eine wichtige Aufgabe ist heute auch die Pastoral für die jungen Menschen, die uns mit ihren Fragen und Sorgen wie auch mit der Freude ihres Glaubens stets ein Ansporn sind in unserem Dienst. Viele von ihnen unterliegen dem Irrtum, ihre Freiheit zu verlieren, wenn sie sich zu etwas verpflichten oder definitive Entscheidungen treffen. Man muß sie daran erinnern, daß der Mensch vielmehr dann frei wird, wenn er sich bedingungslos der Wahrheit und dem Guten verpflichtet. Nur so können sie dem Leben Sinn verleihen und etwas Großes und Beständiges aufbauen, wenn sie Jesus in den Mittelpunkt ihrer Existenz stellen.

Nochmals lade ich euch ein, liebe Brüder, einträchtig in jenem Geist der Gemeinschaft voranzugehen und zu handeln, dessen Höhepunkt und unerschöpfliche Quelle die Eucharistie ist. Mexiko wurde die Gnade zuteil, dieses große Sakrament während des jüngsten Eucharistischen Weltkongresses von Guadalajara zu feiern. Zweifellos hat dieses kirchliche Ereignis im Volk der Gläubigen tiefe Spuren hinterlassen, die als ein kostbares Gut des gefeierten und gemeinsamen Glaubens bewahrt werden sollten.

Seid Förderer und Vorbild der Gemeinschaft. Auch der Episkopat ist - so wie die »eine« Kirche - »einer«, denn der Papst ist, wie das II. Vatikanische Konzil bekräftigt, »das immerwährende, sichtbare Prinzip und Fundament für die Einheit der Vielheit von Bischöfen und Gläubigen« (Lumen gentium LG 23). Die Gemeinschaft ist auch von großer pastoraler Bedeutung, da die Initiativen des Apostolats in zunehmendem Maße über die Grenzen der Diözesen hinausgehen und intensivere Zusammenarbeit, gemeinsame Projekte und Koordinierung in einem so großen Land erfordern. In Mexiko beobachten wir die immer stärker zunehmende Mobilität der Bevölkerung und die Ausweitung der großen Stadtgebiete, die eine systematische und flächendeckende Evangelisierung verlangen (vgl. Ecclesia in America ).

Liebe Brüder, abschließend versichere ich euch meiner tiefen Gemeinschaft im Gebet in der festen Hoffnung auf die spirituelle Erneuerung eurer Diözesen. All diese Wünsche wie auch euer Hirtenamt vertraue ich der mütterlichen Fürsprache Unserer Lieben Frau von Guadalupe an. Übermittelt meinen herzlichen Gruß euren Priestern, den Ordensleuten und den Mitarbeitern in der Pastoral so wie allen Gläubigen in euren Diözesen. Mit tiefer Zuneigung erteile ich euch und ihnen allen meinen Apostolischen Segen.

BESUCH DES KINDERKRANKENHAUSES "BAMBINO GESÙ"

Freitag, 30. September 2005



Sehr geehrte Leiter des Krankenhauses, geschätzte Obrigkeiten,
liebe Kinder!

Zum Abschluß meines Besuches ist es mir eine Freude, mit Ihnen zusammenzutreffen, und ich danke Ihnen erneut für den herzlichen Empfang. Mein Dank gilt dem Präsidenten dieses Kinderkrankenhauses »Bambino Gesù« für die Worte, die er in Ihrer aller Namen an mich gerichtet hat - Worte des Glaubens und wahrer christlicher Nächstenliebe. Ich grüße die Präsidenten von Region und Provinz, den Bürgermeister von Rom und alle weiteren hier versammelten Autoritäten. Danken möchte ich außerdem den Verwaltungsleitern, Direktoren und Koordinatoren der verschiedenen Krankenhausabteilungen, wie auch den Ärzten, den Krankenpflegern und dem gesamten Personal. Mit besonderer Zuneigung wende ich mich vor allem an Euch, liebe Kinder, und an Eure Angehörigen, die Euch mit großer Fürsorge zur Seite stehen. Von Herzen danke ich Eurem Vertreter, der mir im Namen der ganzen Familie des »Bambino Gesù« ein schönes Geschenk überreicht hat. Ich bin jedem von Euch nahe und möchte Euch den Trost und Segen Gottes spüren lassen. Dieselben Wünsche möchte ich all jenen aussprechen, die sich in den Krankenhausfilialen von Palidoro und Santa Marinella befinden und die mir gleichermaßen nahe sind.

Für meinen ersten Besuch in einem Krankenhaus habe ich mich aus zwei Gründen für das »Bambino Gesù« entschieden: zunächst weil diese Einrichtung dem Heiligen Stuhl gehört und mit großer Umsicht vom hier anwesenden Kardinalstaatssekretär betreut wird. Als ich vorhin durch einige der Stationen ging und dabei so viele Kinder sah, die leiden, dachte ich spontan an Jesus, der die Kinder sehr liebte und wollte, daß man sie zu Ihm kommen ließe. Ja, ebenso wie Jesus zeigt auch die Kirche ihre besondere Zuneigung zu den Kindern, vor allem wenn es sich dabei um leidende Kinder handelt. Dies ist der zweite Grund, aus dem ich zu Euch gekommen bin: Auch ich möchte die Liebe Jesu zu den Kindern bezeugen, eine Liebe, die ganz von selbst aus dem Herzen strömt und vom christlichen Geist vermehrt und verstärkt wird. Der Herr hat gesagt: »Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan« (vgl. Mt 25,40 Mt 25,45). In jedem Leidenden - und um so mehr gilt dies für die Kleinen und Schutzlosen - ist es Jesus, der uns aufnimmt und unsere Liebe erwartet.

81 Deshalb, liebe Freunde, ist die Arbeit, die Ihr hier leistet, so wichtig. Ich denke an die bahnbrechenden chirurgischen Eingriffe, die das »Bambino Gesù« so namhaft machen, aber ich denke auch und vor allem an die normale, alltägliche Arbeit: an die Aufnahme, die stationäre Betreuung und die fürsorgliche Pflege der kleinen Patienten - und es sind wirklich viele! -, die sich an Eure medizinischen Einrichtungen wenden. Das erfordert eine große Hilfsbereitschaft und das ständige Bestreben, die verfügbaren Ressourcen zu vervielfachen; es erfordert auch Aufmerksamkeit, Opferbereitschaft, Geduld und selbstlose Liebe, damit die Mütter und Väter hier einen Ort finden können, an dem sie auch in den Stunden größter Sorge Hoffnung und Zuversicht verspüren.

Laßt mich noch ein Wort sagen zur Qualität der Betreuung und Pflege, die den kranken Menschen zuteil werden muß. Ihr bemüht Euch hier um eine optimale Behandlung der Kranken, und zwar nicht nur in medizinischer, sondern auch in menschlicher Hinsicht. Ihr bemüht Euch darum, für die Patienten und ihre Begleitern eine familiäre Atmosphäre zu schaffen, und dies erfordert den Beitrag aller: der Verantwortlichen, der Ärzte, der Pfleger und Techniker in allen Krankenhausbereichen, des gesamten Personals und der zahlreichen verdienstvollen Freiwilligenorganisationen, die jeden Tag ihre kostbaren Dienste leisten. Dieser Stil - der für alle Pflegeeinrichtungen ein Maßstab ist - soll in besonderer Weise die Institutionen prägen, die sich an den Grundsätzen des Evangeliums inspirieren. Wenn es um Kinder geht, darf an keiner Ressource gespart werden. Im Mittelpunkt jedes Projekts und Programms soll daher stets das Wohl des Kranken, das Wohl des kranken Kindes, stehen.

Liebe Freunde, vielen Dank für Eure Mitarbeit bei diesem Werk mit hohem menschlichem Wert, das zudem eine äußerst wirksame Form des Apostolats darstellt. Ich bete für Euch, denn ich weiß, daß Eure Aufgabe alles andere als leicht ist. Ich bin jedoch sicher, daß alles einfacher wird, wenn es Euch gelingt, bei Eurer Sorge um jeden kleinen Patienten in seinem Gesicht das Antlitz Jesu zu erkennen. Bei meinem kurzen Aufenthalt in der Kapelle habe ich die Priester und Ordensschwestern getroffen, zusammen mit all jenen, die Eure Arbeit mit ihrer Hingabe begleiten, insbesondere durch die Gewährleistung einer angemessenen spirituellen Betreuung. Die Kirche sei somit auch das Herz des Krankenhauses: Die spirituelle Kraft zum Trost und zur Pflege der Patienten sollt Ihr aus Jesus schöpfen, dem milden Arzt des Leibes und der Seele, der in der Eucharistie wirklich gegenwärtig ist.

Erlaubt mir zum Abschluß eine vornehmlich pastorale Bemerkung als Bischof von Rom. Das Krankenhaus »Bambino Gesù« ist nicht nur eine unmittelbare, konkrete Hilfseinrichtung des Heiligen Stuhls zugunsten kranker Kinder, sondern auch ein Vorposten des Evangelisierungswerks der christlichen Gemeinschaft in unserer Stadt. Hier könnt Ihr im Kontakt mit den leidenden Menschen ein konkretes, wirksames Zeugnis für das Evangelium geben; hier verkündet Ihr durch konkretes Handeln die Macht Christi, der durch seinen Geist das menschliche Dasein heilt und verwandelt. Beten wir dafür, daß den kleinen Patienten zusammen mit der Pflege auch die Liebe Jesu zuteil werde. Die allerseligste Jungfrau Maria, »Salus infirmorum« - Heil der Kranken, die wir als Mutter des Jesuskinds und aller Kinder hier noch näher an unserer Seite spüren, beschütze Euch, liebe Kranke, Eure Familien sowie die Leiter, die Ärzte und die gesamte Krankenhausgemeinschaft. Allen erteile ich von Herzen den Apostolischen Segen.

Oktober 2005


AN DIE MITGLIEDER DER GESELLSCHAFT VOM HL. PAULUS UND DIE MITARBEITER DER PAULINISCHEN VEREINIGUNG

Samstag, 1. Oktober 2005



Liebe Brüder und Schwestern!

Ihr vertretet heute die ganze Paulinische Familie, die gekommen ist, um den Nachfolger Petri zu besuchen. Ich freue mich sehr, euch zu empfangen und danke euch für euren liebenswürdigen Besuch. Ich begrüße den Generaloberen der Gesellschaft vom hl. Paulus und spreche ihm meinen aufrichtigen Dank aus für die freundlichen Worte, mit denen er den Geist der Evangelisierungsarbeit dargelegt hat, die ihr euch gemeinsam durchzuführen bemüht. Ich begrüße den Generalrat und alle weiteren Oberen sowie die zahlreichen Mitbrüder und Mitarbeiter und wende mich von Herzen an alle Männer und Frauen in den verschiedenen Zweigen eurer gesamten Institution. Allen zusammen und jedem einzelnen gilt meine Wertschätzung für den Dienst, den ihr an der Verbreitung des Evangeliums mittels der modernen Kommunikationsmittel leistet, indem ihr dem Beispiel und der Lehre eures Gründers, des sel. Giacomo Alberione, folgt. Ausbildung und Kompetenz Im besonderen sind heute all jene anwesend, die in Italien tätig sind. Ich denke dabei in erster Linie an »Famiglia Cristiana« und die anderen Zeitschriften. Ich denke an die »Edizioni San Paolo« und eure in ganz Italien verbreiteten und gut bekannten Buchhandlungen sowie an den audiovisuellen Sektor und die modernsten Bereiche der Kommunikation. Euer Apostolat ist bahnbrechend innerhalb eines weiten und komplexen Bereiches, der viele Möglichkeiten bietet und gleichzeitig nicht wenige Probleme mit sich bringt. Es handelt sich um eine vielseitige Arbeit, die Ausbildung, spezifische Kompetenzen und laufende Fortbildung erfordert, wenn man wirklich eine Antwort geben will auf die Herausforderungen der heutigen Welt, die immer mehr als ein »globales Dorf« empfunden wird.

Liebe Freunde, die Verkündigung des Evangeliums mit Hilfe der modernen Kommunikationsmittel - eben das hat sich die Zeitschrift »Famiglia Cristiana«, die in den Häusern vieler Italiener in der Heimat und im Ausland zu finden ist, zum Ziel gesetzt - erfordert neben der nötigen und gebührenden Berufsausbildung vor allem eine feste persönliche Bindung an den Göttlichen Meister. Euer Gründer war sich immer der Wichtigkeit dieser asketischen und spirituellen Dimension bewußt und hat eben aus diesem Grund in jedem Werk und in jedem Haus eures Instituts die Eucharistie, das Hören auf das Wort und einen tiefen Gebetsgeist in den Mittelpunkt gestellt. Ausgewogenheit und Urteilskraft So wie er in Gott verliebt war, forderte Don Alberione auch von seinen Schülern, sowohl Priestern als auch Laien, die Pflege eines kraftvollen inneren Lebens mit einem großen Maß an Ausgewogenheit und Urteilskraft. Als Modell verwies er alle auf den Apostel Paulus, der auf dem Areopag von Athen unter der Führung des Heiligen Geistes seine Verkündigung an den kulturellen Kontext, in dem er sich befand, anzupassen wußte, es aber gleichzeitig nicht versäumte, mutig und offen über die absolute Neuheit, die Christus ist, zu sprechen (vgl. Ac 17,22-32). Das kürzlich abgehaltene Generalkapitel der Gesellschaft vom hl. Paulus hat allen »Paolini« als programmatischen Hinweis noch einmal die Mahnung Don Alberiones, »heute der heilige Paulus zu sein«, vorgelegt. Jeder von euch mache sich den Geist und den Stil zu eigen, die den Völkerapostel kennzeichneten, um auch in unserer heutigen postmodernen Epoche sein Missionswerk zu aktualisieren. Tut dies, indem ihr mit dem Nachfolger Petri und den Oberhirten der Teilkirchen den beständigen Wunsch teilt, die Heilsbotschaft des Erlösers in die Herzen vieler unserer Zeitgenossen gelangen zu lassen.

Meine verehrten Vorgänger haben es nicht versäumt, bei verschiedenen Gelegenheiten der verdienstreichen Paulinischen Familie ihre Hochachtung und Zuneigung auszudrücken und sie zu ermutigen, weiterzugehen in Treue gegenüber dem Charisma, das sie auszeichnet und das ein Reichtum für die ganze Kirche ist. An ihr Wort schließe ich gern das meine an in dem Wunsch, daß eure religiöse Familie ihre Mission immer besser zu verwirklichen wisse, die Mission, den Herrn und Meister Christus, der Weg, Wahrheit und Leben ist, in den aktuellen Kommunikationsformen und -sprachen der heutigen Welt zu schenken und dies in ihrem Leben zum Ausdruck zu bringen. Erziehung und Kommunikation Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist in der Kirche das Bewußtsein gewachsen für den Wert und für die großen Vorteile, die die Kommunikationsmittel für die Verbreitung des Evangeliums und für die Gewissensbildung bieten. Ich ermutige euch daher, euer Bemühen zu erneuern, im Dienst der christlichen Gemeinschaft erzieherisch tätig zu sein, damit diese in ihren verschiedenen Ausprägungen in die Lage versetzt werde, eine immer bessere Kommunikationsfähigkeit zu entwickeln, nach dem Vorbild des Herrn Jesus, in dem die Kommunikation zwischen Gott und der Menschheit ihren Höhepunkt erreicht hat (vgl. Apostolisches Schreiben Die schnelle Entwicklung, 5).

Vielen Dank noch einmal für euren Besuch. Ich versichere jeden von euch meiner Zuneigung und bitte den Herrn, daß ihr in Treue das vom sel. Alberione begonnene Werk weiterführen könnt unter seinem Schutz und dem der anderen Seligen der Paulinischen Familie. Es möge euch vor allem die allerseligste Jungfrau Maria führen und begleiten, die das Vorbild dafür ist, wie man das göttliche Wort aufnehmen soll, um es in seiner ganzen Fülle der Welt zu schenken. Mit diesen Empfindungen segne ich von Herzen euch, die ihr hier anwesend seid, eure Familien, die Leser von »Famiglia Cristiana« und alle diejenigen, die durch eure vielgestaltigen sozialen und pastoralen Aktivitäten erreicht werden.

ERÖFFNUNG DER XI. ORDENTLICHEN GENERALVERSAMMLUNG

DER BISCHOFSSYNODE

MEDITATION VON BENEDIKT XVI.

82

Montag, 3. Oktober 2005



Liebe Brüder,

dieser Text der heutigen Terz beinhaltet fünf Weisungen und eine Verheißung. Wir wollen nun versuchen, ein bißchen besser zu verstehen, was der Apostel uns mit diesen Worten sagen will.

Die erste Weisung, »gaudete«, kommt in den Briefen des hl. Paulus sehr häufig vor, ja, man könnte sagen, daß sie gleichsam der »cantus firmus« seines Denkens ist.

Im so mühseligen Leben des Paulus, einem Leben mit Verfolgungen, Hunger, Leiden aller Art, ist dennoch das Schlüsselwort »gaudete« immer gegenwärtig.

Hier erhebt sich die Frage: Ist es möglich, die Freude gleichsam anzuordnen? Die Freude, möchten wir sagen, kommt oder kommt nicht, sie kann nicht auferlegt werden wie eine Pflicht. Und hier hilft es uns, wenn wir an den bekannten Text über die Freude in den Paulusbriefen denken, das heißt an den des Sonntags »Gaudete« mitten in der Liturgie des Advents: »Gaudete, iterum dico gaudete quia Dominus prope est.«

Darin läßt sich der Grund dafür erkennen, daß Paulus in allen Leiden, in allen Sorgen nicht nur den anderen zurufen konnte: »gaudete«, sondern daß er dies sagen konnte, weil er selbst von Freude erfüllt war: »Gaudete, Dominus enim prope est«.

Wenn mir der Geliebte, die Liebe, das größte Geschenk meines Lebens, nahe ist, wenn ich sicher sein kann, daß er, der mich liebt, mir auch in schwierigen Situationen nahe ist, dann empfinde ich im Grunde meines Herzens eine Freude, die größer als alles Leiden ist.

Der Apostel kann sagen: »gaudete«, denn der Herr ist jedem von uns nahe. Deshalb ist diese Weisung in Wirklichkeit eine Einladung, daß wir uns der Gegenwart des Herrn, der uns nahe ist, bewußt werden. Sie ist eine Sensibilisierung für die Gegenwart des Herrn. Der Apostel will uns aufmerksam machen auf diese verborgene, aber ganz reale Präsenz Christi, der jedem von uns nahe ist. Für jeden von uns gelten die Worte aus der Offenbarung: Ich klopfe an deine Tür. Höre mich, öffne mir.

Es ist also auch eine Einladung, für diese Gegenwart des Herrn, der an meine Tür klopft, empfänglich zu sein. Ihm gegenüber nicht taub zu sein, weil die Ohren unserer Herzen so erfüllt sind von den vielen Geräuschen der Welt, daß sie diese stille Gegenwart, die an unsere Türen klopft, nicht hören können. Prüfen wir gleichzeitig, ob wir tatsächlich bereit sind, die Tür unseres Herzens zu öffnen, oder ob dieses Herz vielleicht so angefüllt ist mit vielen anderen Dingen, daß für den Herrn kein Raum bleibt und wir jetzt für den Herrn keine Zeit haben. Und weil wir unempfänglich, taub für seine Gegenwart und mit anderen Dingen angefüllt sind, spüren wir das Wesentliche nicht: Er klopft an die Tür, er ist uns nahe, und damit ist uns die wahre Freude nahe, die stärker ist als alle Traurigkeit der Welt und unseres Lebens.

Im Hinblick auf diese erste Weisung laßt uns also beten: Herr, mache uns empfänglich für deine Gegenwart. Hilf uns hören, damit wir dir gegenüber nicht taub sind. Hilf uns, daß unser Herz frei und für dich offen ist.

83 Die zweite Weisung »perfecti estote«, wie es im lateinischen Text heißt, scheint sich mit den zusammenfassenden Worten der Bergpredigt zu decken: »perfecti estote sicut Pater vester caelestis perfectus est.«

Dieses Wort lädt uns ein, das zu sein, was wir sind: Abbilder Gottes, Geschöpfe, die in Beziehung zum Herrn geschaffen sind, »Spiegel«, in denen das Licht des Herrn widerscheint. Es ist oft schwer und geschichtlich umstritten, das Christentum nicht dem Buchstaben gemäß zu leben, die Heilige Schrift nicht dem Buchstaben gemäß zu hören, sondern über das Wort, über den jetzigen Augenblick hinaus auf den Herrn, der zu uns spricht, und auf die Vereinigung mit Gott zuzugehen. Wenn wir den griechischen Text betrachten, finden wir ein anderes Verb, »catartizesthe«, und dieses Wort bedeutet »erneuern«, ein Instrument ausbessern, seine volle Funktionsfähigkeit wiederherstellen. Das häufigste Beispiel für die Apostel ist die Ausbesserung eines Fischernetzes, das nicht mehr in einem guten Zustand ist, das viele Löcher hat und nichts mehr taugt; das Netz so zu reparieren, daß es wieder als Netz für den Fischfang dienen und in seinen ursprünglichen Zustand als Werkzeug für diese Arbeit zurückkehren kann. Ein anderes Beispiel: ein Musikinstrument, das eine gerissene Saite hat, so daß man nicht mehr so musizieren kann, wie man sollte. Bei diesem Gebot erscheint unsere Seele wie ein Netz der Apostel, das oft nicht so funktioniert, wie es sollte, weil es von unseren eigenen Absichten zerrissen wird; oder wie ein Musikinstrument, auf dem leider manche Saite gerissen ist, so daß die göttliche Musik, die es in unserem Innersten spielen sollte, nicht gut klingen kann. Es gilt also, dieses Instrument auszubessern, die Risse, die Zerstörungen, die Nachlässigkeiten, die Fehler zu erkennen und das Instrument wieder vollkommen herzustellen, damit es dazu verwendet werden kann, wozu es vom Herrn geschaffen wurde.

Und so kann diese Weisung auch eine Einladung zur regelmäßigen Gewissenserforschung sein, um zu sehen, in welchem Zustand mein Instrument ist, inwieweit es vernachlässigt wird und nicht mehr funktioniert, und es dann in den unversehrten Zustand zurückzuführen. Es ist auch eine Einladung zum Sakrament der Versöhnung, in dem Gott selbst dieses Instrument ausbessert und uns die Vollständigkeit, die Vollkommenheit, die Funktionsfähigkeit wiedergibt, damit das Gotteslob in der Seele wieder erklingen kann.

Dann »exortamini invicem«. Die brüderliche Zurechtweisung ist ein Werk der Barmherzigkeit. Keiner von uns kennt sich selbst gut genug, keiner kennt gut genug seine Fehler. Und so ist es ein Akt der Liebe, daß einer dem anderen zur Vervollkommnung dient, damit wir uns gegenseitig helfen, uns besser zu erkennen, uns zu verbessern. Ich meine, daß es eine der Aufgaben unserer Kollegialität ist, im Sinn des vorgenannten Gebotes einander zu helfen, die Mängel zu erkennen, die wir selbst nicht sehen wollen - »ab occultis meis munda me«, heißt es in dem Psalm -, einander zu helfen, daß wir uns öffnen und diese Dinge sehen.

Dieses große Werk der Barmherzigkeit, einander zu helfen, damit jeder wirklich seine Unversehrtheit, seine Funktionsfähigkeit als Werkzeug Gottes wiederfindet, erfordert gewiß viel Demut und Liebe. Nur wenn es aus einem demütigen Herzen kommt, das sich nicht über den anderen erhebt, sich nicht als besser als der andere ansieht, sondern als einfaches Werkzeug, um einander zu helfen. Nur wenn man diese tiefe und wahre Demut empfindet, wenn man fühlt, daß diese Worte aus der gemeinsamen Liebe kommen, aus der kollegialen Zuneigung, in der wir gemeinsam Gott dienen wollen, können wir in diesem Sinn durch einen großen Akt der Liebe einander helfen. Der griechische Text fügt auch hier einige Nuancen hinzu. Das griechische Wort lautet »paracaleisthe«, es hat dieselbe Wurzel wie das Wort »paracletos, paraclesis«, das heißt trösten. Also nicht nur zurechtweisen, sondern auch trösten, die Leiden des anderen teilen, ihm helfen, wenn er in Schwierigkeiten ist. Mir erscheint auch das als ein großer Akt wahrer kollegialer Zuneigung. In den vielen schwierigen Situationen, die heute in unserem Hirtendienst entstehen, sind manche ein wenig verzweifelt, weil sie nicht sehen, wie es weitergehen soll. In so einem Augenblick bedarf er des Trostes, er braucht jemanden, der bei ihm ist in seiner inneren Einsamkeit und das Werk des Heiligen Geistes, des Trösters, vollbringt, das darin besteht: Mut zu schenken, einander zu tragen, einander zu stützen mit der Hilfe des Heiligen Geistes, des Beistands, des Trösters, unseres Fürsprechers, der uns hilft. Es ist also eine Einladung, daß wir füreinander »ad invicem« das Werk des Heiligen Geistes, des Beistands, vollbringen.

»Idem sapite«: Aus dem lateinischen Wort klingt das Wort »sapor« durch, also »Geschmack«. Ihr sollt an den Dingen den gleichen Geschmack finden, die gleiche grundlegende Vision der Wirklichkeit haben mit allen Unterschieden, die nicht nur berechtigt, sondern auch notwendig sind, aber habt »eundem saporem«, die gleiche Empfindungsfähigkeit. Der griechische Text sagt dasselbe, »froneite«, das heißt: Habt im wesentlichen dieselbe Gesinnung. Wie könnte sonst unser Denken übereinstimmen und uns helfen, gemeinsam die Heilige Kirche zu leiten, wenn wir nicht den Glauben miteinander teilten, der von keinem von uns erfunden wurde, sondern der Glaube der Kirche ist, das gemeinsame Fundament, das uns trägt, auf dem wir stehen und arbeiten? Es ist also eine Einladung, uns immer wieder in dieses gemeinsame Denken, in diesen Glauben, der uns vorausgeht, einzufügen. »Ne respicias peccata nostra sed fidem Ecclesiae tuae«. Es ist der Glaube der Kirche, den der Herr in uns sucht und der auch in der Vergebung der Sünden besteht. Wir sollen also diesen gemeinsamen Glauben haben. Aber wir können, wir müssen diesen Glauben auch leben, jeder in seiner Besonderheit, jedoch immer in dem Bewußtsein, daß dieser Glaube uns vorausgeht. Und wir müssen diesen gemeinsamen Glauben allen anderen mitteilen. Dieser Punkt führt uns schon zur letzten Weisung, die uns den inneren Frieden untereinander gibt.

An dieser Stelle denken wir auch an das »touto froneite«, an einen anderen Text aus dem Brief an die Philipper, am Anfang des großen Hymnus über den Herrn, wo der Apostel zu uns sagt: Seid so wie Christus gesinnt, tretet ein in die »fronesis«, in das »fronein«, in das Denken Christi. Dann können wir den Glauben der Kirche miteinander teilen, denn durch diesen Glauben treten wir in das Denken, in das Fühlen des Herrn ein. Also gemeinsam mit Christus denken.

Noch eine letzte Vertiefung der Weisung des Apostels: Denken, so wie Christus denkt. Wir können es tun, wenn wir die Heilige Schrift lesen, in der das Denken Christi Wort ist, das zu uns spricht. In diesem Sinn sollten wir die »Lectio Divina« üben: in den Schriften das Denken Christi spüren, mit ihm denken lernen, so wie Christus denken und so wie Christus gesinnt sein, fähig, den anderen auch das Denken Christi, die Gesinnung Christi mitzuteilen.

Die letzte Weisung: »pacem habete«, »eireneuete«, ist gleichsam die Zusammenfassung der vorhergegangenen vier Weisungen, so daß wir mit Gott vereint sind, denn er ist unser Frieden, und mit Christus, der zu uns gesagt hat: »pacem dabo vobis«. Wir sind im inneren Frieden, denn im Denken Christi sein bedeutet, unser Leben eins werden lassen. Die Schwierigkeiten, die Kontraste unserer Seele einen sich, wir werden mit dem Ursprung eins, mit dem, dessen Abbild wir durch das Denken Christi sind. So entsteht der innere Frieden, und nur wenn wir in einem tiefen inneren Frieden gründen, können wir auch für die anderen in der Welt Personen des Friedens sein.

Hier die Frage: Ist diese Verheißung an die Weisungen gebunden? Das heißt, ist dieser Gott des Friedens nur insofern mit uns, als wir diese Weisung verwirklichen können? Welche Beziehung besteht zwischen Weisung und Verheißung?

Ich würde sagen, daß es zweiseitig ist, das heißt, daß die Verheißung den Weisungen vorausgeht und diese realisierbar macht und zugleich der Verwirklichung der Weisungen nachfolgt. Das heißt, bevor wir etwas tun, ist der Gott der Liebe und des Friedens für uns offen, er ist mit uns. In der Offenbarung, die im Alten Testament begonnen hat, ist Gott uns durch seine Liebe, seinen Frieden entgegengekommen.

84 Und in der Menschwerdung ist er der »Gott mit uns«, der Emmanuel, geworden, er ist mit uns, dieser Gott des Friedens, der unser Fleisch und Blut angenommen hat. Er ist mit uns Mensch und umfängt das ganze Menschsein. Und in der Kreuzigung und im Abstieg in das Reich des Todes ist er ganz einer von uns geworden, er geht uns mit seiner Liebe voraus, er umfängt vor allem unser Handeln. Das ist für uns ein großer Trost. Gott geht uns voraus. Er hat schon alles getan. Er hat uns Frieden, Vergebung und Liebe geschenkt. Er ist mit uns. Nur weil er mit uns ist, weil wir in der Taufe seine Gnade, in der Firmung den Heiligen Geist, im Weihesakrament seinen Sendungsauftrag empfangen haben, können wir jetzt mit seiner Gegenwart, die uns vorausgeht, handeln und mitwirken. Unser ganzes Tun, von dem die fünf Weisungen sprechen, ist ein Mitwirken, ein Mitarbeiten mit dem Gott des Friedens, der mit uns ist.

Aber das gilt so weit, als wir tatsächlich in diese Gegenwart eintreten, die er uns geschenkt hat, in dieses Geschenk, das in unserem Sein schon gegenwärtig ist. Seine Gegenwart, sein Mit-uns-Sein verstärkt sich natürlich.

Und wir bitten den Herrn, er möge uns lehren, mit seiner vorausgehenden Gnade mitzuwirken, so daß er wirklich immer mit uns ist. Amen!





ANSPRACHE 2005 78