ANSPRACHE 2006 161

AN HERRN KAGEFUMI UENO, JAPANISCHER BOTSCHAFTER BEIM HL. STUHL

Montag, 13. November 2006


Herr Botschafter!

162 Mit Freude empfange ich Eure Exzellenz aus diesem feierlichen Anlaß der Überreichung des Beglaubigungsschreibens, mit dem Sie als außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter Japans beim Heiligen Stuhl akkreditiert werden.

Ich nehme gern die freundlichen Worte entgegen, die Sie an mich gerichtet haben, sowie die Grüße, die Sie mir von seiten Seiner Majestät Kaiser Akihito übermittelt haben, und wäre Ihnen dankbar, wenn Sie ihm im Gegenzug meine besten Wünsche für ihn persönlich sowie für die kaiserliche Familie zum Ausdruck bringen würden.

Mit aufrichtiger Freude über die von Achtung und Sympathie getragenen Beziehungen, die Japan zum Heiligen Stuhl unterhält, grüße ich sehr herzlich das japanische Volk und wünsche ihm, daß es seine menschliche und geistige Entwicklung unter Achtung der Würde des Menschen fortsetzen und sich unermüdlich darum bemühen möge, den Frieden und die Solidarität zwischen den Völkern zu fördern.

Wie von Ihnen, Herr Botschafter, hervorgehoben wurde, haben die reichen kulturellen und geistigen Traditionen Ihres Landes zur Verbreitung der menschlichen Grundwerte beigetragen. Die Anerkennung der geistigen Dimension der Gesellschaft, die einen echten Dialog zwischen den Religionen und Kulturen schafft, kann für ein brüderliches und solidarisches Miteinander, das allein die ganzheitliche Entwicklung des Menschen erlaubt, nur förderlich sein.

Die interreligiöse und interkulturelle Zusammenarbeit ist nämlich in vielen Bereichen möglich, besonders im Einsatz für eine gerechte Gesellschaft, für den Weltfrieden und für den Kampf gegen die Armut bei wachsender Solidarität.

Das Bemühen um Frieden zwischen den Nationen muß in den internationalen Beziehungen mehr denn je den Vorrang besitzen.

Für die Krisen, die es in der Welt gibt, können durch Gewalt keine endgültigen Lösungen gefunden werden; sie werden sich dagegen mit friedlichen Mitteln und unter Einhaltung der übernommenen Verpflichtungen überwinden lassen.

Wie man weiß, und wie die Erfahrung immer wieder zeigt, kann Gewalt niemals eine richtige Antwort auf die Probleme der Gesellschaften sein, denn sie zerstört die Würde, das Leben und die Freiheit des Menschen, den zu verteidigen sie vorgibt.

Um den Frieden aufzubauen, sind Wege kultureller, politischer und wirtschaftlicher Art wichtig. »In erster Linie jedoch muß der Frieden in den Herzen aufgebaut werden. Hier entwickeln sich Empfindungen, die ihn nähren, oder im Gegenteil bedrohen, schwächen, ersticken können« (Botschaft zum 20. Jahrestag des Interreligiösen Treffens zum Gebet für den Frieden in Assisi, 2. September 2006; in O.R. dt., Nr. 39, 29.9.2006, S. 8).

In Anerkennung der bereits unternommenen Schritte lade ich daher Ihr Land ein, mit Entschiedenheit seine Bemühungen fortzusetzen, zum Aufbau eines gerechten und dauerhaften Friedens in der Welt, besonders in Ostasien, beizutragen.

In der Krise, die diese Region derzeit durchmacht, ermutigt der Heilige Stuhl zu bilateralen oder multilateralen Verhandlungen, denn er ist überzeugt, daß eine Lösung durch friedliche Mittel und unter Einhaltung der übernommenen Verpflichtungen von seiten aller Beteiligter gesucht werden muß, um zu erreichen, daß die ganze koreanische Halbinsel zur atomwaffenfreien Zone wird.

163 Unter diesem Gesichtspunkt wünsche ich aufrichtig, daß die internationale Gemeinschaft ihre humanitäre Hilfe für die am meisten betroffenen Bevölkerungsteile, besonders in Nordkorea, weiterführen und verstärken möge, damit nicht eine etwaige Unterbrechung der Hilfsmaßnahmen schwerwiegende Folgen für die Zivilbevölkerung nach sich zieht.

Überdies, Herr Botschafter, freue ich mich über den großherzigen Beitrag, den Ihr Land zur Unterstützung der ärmsten Länder leistet.

Es ist nämlich notwendig, daß die immer zahlreicheren Bande gegenseitiger Abhängigkeit zwischen den Völkern einhergehen mit einem großen Einsatz dafür, daß sich die negativen Folgen des starken Ungleichgewichts zwischen den entwickelten Ländern und den Entwicklungsländern nicht verschlimmern, sondern in echte Solidarität umgewandelt werden, die das wirtschaftliche und soziale Wachstum der ärmsten Länder fördert.

Ich freue mich über die Achtung, die die katholische Kirche in Japan genießt. Durch Ihre Vermittlung, Herr Botschafter, möchte ich die japanischen Bischöfe und alle Gläubigen ihrer Diözesen herzlich grüßen und sie ermutigen, immer standhafter in der Gemeinschaft des Glaubens zu leben und sich auch weiterhin stets für den Frieden und die Versöhnung zwischen den Völkern der Region einzusetzen, in hochherziger Zusammenarbeit mit ihren Landsleuten.

Zu Beginn Ihrer Mission beim Apostolischen Stuhl spreche ich Ihnen meine besten Wünsche aus für eine erfolgreiche Erfüllung dieser Aufgabe und möchte Sie der herzlichen und aufmerksamen Unterstützung versichern, die Sie hier bei meinen Mitarbeitern stets finden werden.

Auf Seine Majestät Kaiser Akihito und die kaiserliche Familie, auf das japanische Volk und seine Verantwortungsträger sowie auf Eure Exzellenz, auf Ihre Mitarbeiter und Ihre Familie rufe ich von ganzem Herzen die Fülle des göttlichen Segens herab.

AN DIE TEILNEHMER DER VOLLVERSAMMLUNG DES PÄPSTLICHEN RATES ZUR FÖRDERUNG DER EINHEIT DER CHRISTEN

Freitag, 17. November 2006



Herr Kardinal,
verehrte Mitbrüder im Bischofs- und Priesteramt,
liebe Brüder und Schwestern!

»Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus« (Rm 1,7). Mit diesem Wunsch des hl. Paulus an die Römer wende ich mich an euch, die ihr eure Intelligenz, eure Liebe und euren Eifer der Förderung der vollen Einheit aller Christen widmet, wie es dem Willen des Herrn entspricht, der für diese Einheit am Vorabend seines Leidens, seines Sterbens und seiner Auferstehung gebetet hat. Ich danke zunächst eurem Präsidenten, Herrn Kardinal Walter Kasper, für seine Grußworte und für den reichen Bericht über die Arbeiten eurer Vollversammlung, und ich danke euch allen, die ihr in diese Begegnung eure Erfahrungen und Hoffnungen eingebracht und euch bemüht habt, Antworten zu finden, die einer sich ändernden Situation angemessen sind. Eben damit befaßt sich das von euch gewählte und untersuchte Thema »Die ökumenische Situation im Wandel«. Wir leben in einer Zeit großer Veränderungen in fast allen Bereichen des Lebens; es darf daher nicht verwundern, wenn sich dies auch im Leben der Kirche und in den Beziehungen zwischen den Christen bemerkbar macht.

164 Es muß jedoch von vornherein gesagt werden, daß trotz veränderter Situationen, Sensibilitäten und Problematiken das Ziel der ökumenischen Bewegung unverändert bleibt: die sichtbare Einheit der Kirche.Bekanntlich betrachtete das Zweite Vatikanische Konzil die Wiederherstellung der vollen Einheit aller Christen als eine seiner Hauptaufgaben (vgl. Unitatis redintegratio UR 1). Dies ist auch meine Absicht. Ich nütze gern diese Gelegenheit, um mit neuer Überzeugung das zu wiederholen und zu bestätigen, was ich zu Beginn meines Dienstamtes auf dem Stuhl Petri sagte: »Sein [des Petrus] jetziger Nachfolger«, sagte ich damals, übernimmt »ganz bewußt als vorrangige Verpflichtung die Aufgabe, mit allen Kräften an der Wiederherstellung der vollen und sichtbaren Einheit aller Jünger Christi zu arbeiten. Das ist sein Bestreben, das ist seine dringende Pflicht.« Und ich fügte hinzu: »Der jetzige Nachfolger Petri läßt sich in erster Person diese Frage stellen und ist bereit, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um das grundlegende Anliegen der Ökumene zu fördern« (Erste Botschaft von Papst Benedikt XVI. an die Kirche und an die Welt am Schluß der Eucharistiefeier mit den Kardinälen in der Sixtinischen Kapelle, 20. April 2005; in O.R. dt., Nr. 17, 29.5.2005, S. 9).

In Wahrheit wurden seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil bis heute viele Schritte hin zur vollen Gemeinschaft gemacht. Ich habe das Bild der Konzilsaula vor Augen, wo die von den anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften entsandten Beobachter aufmerksam teilnahmen, aber schwiegen. Dieses Bild wurde in den nachfolgenden Jahrzehnten von der Wirklichkeit einer Kirche ersetzt, die im Dialog mit allen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften des Ostens und des Westens steht. Das Schweigen hat sich in ein Wort der Gemeinschaft verwandelt. Sowohl auf universaler als auch auf lokaler Ebene wurde enorme Arbeit geleistet. Die Brüderlichkeit unter allen Christen wurde wiederentdeckt und wiederhergestellt in Form des Dialogs, der Zusammenarbeit, des gemeinsamen Gebets und der Solidarität. Das ist es, was mein Vorgänger seligen Angedenkens Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika über den Einsatz für die Ökumene hervorgehoben hat, wo er unter anderem ausdrücklich sagte: »Kostbare Frucht der Beziehungen der Christen untereinander und des von ihnen geführten theologischen Dialogs ist das Wachsen der Gemeinschaft. Beides hat den Christen die Glaubenselemente bewußt gemacht, die sie gemeinsam haben« (Ut unum sint UUS 49). Jene Enzyklika hob die positiven Früchte der ökumenischen Beziehungen zwischen den Christen sowohl des Ostens als auch des Westens hervor. Wie sollte man in diesem Zusammenhang nicht die Erfahrung der Gemeinschaft mit den Vertretern der anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften in Erinnerung rufen, die von allen Kontinenten kamen, um am Begräbnis des unvergeßlichen Papstes Johannes Paul II. und auch an meiner Amtsübernahme teilzunehmen? Die gemeinsame Anteilnahme am Schmerz und an der Freude ist ein sichtbares Zeichen der neuen Situation, die unter den Christen entstanden ist. Dafür sei Gott Lob und Preis! Auch mein bevorstehender Besuch bei Seiner Heiligkeit Bartholomaios I. und beim Ökumenischen Patriarchat wird ein weiteres Zeichen der Wertschätzung für die orthodoxen Kirchen sein und wird - darauf vertrauen wir - als Ansporn dienen, um den Schritt auf die Wiederherstellung der vollen Gemeinschaft hin zu beschleunigen.

Realistischerweise müssen wir jedoch anerkennen, daß noch ein weiter Weg vor uns liegt. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat sich die Situation in vielerlei Hinsicht geändert, und Kardinal Kasper hat diese Veränderungen in groben Zügen dargelegt. Die raschen Umwälzungen in der Welt haben sich auch auf den Ökumenismus ausgewirkt. Viele der geliebten Kirchen des Ostens lebten zur Zeit des Konzils in einem Zustand der Unterdrückung durch diktatorische Regime. Heute haben sie die Freiheit wiedererlangt und befinden sich in einem weitgreifenden Prozeß der Neuordnung und der Wiederbelebung. Wir sind ihnen mit unseren Empfindungen und unserem Gebet nahe. Der östliche und der westliche Teil Europas nähern sich einander wieder; das ist für die Kirchen ein Ansporn, ihre Bemühungen um die Bewahrung der christlichen Tradition und um die Verkündigung des Evangeliums an die jungen Generationen zu koordinieren. Eine solche Zusammenarbeit ist aufgrund der fortgeschrittenen Säkularisierung vor allem der westlichen Welt besonders dringlich geworden. Glücklicherweise hat der theologische Dialog zwischen der katholischen Kirche und den orthodoxen Kirchen nach einer Periode vielfältiger Schwierigkeiten neuen Aufschwung genommen. Die Gemischte Internationale Kommission für den Dialog konnte eine positiv verlaufene Begegnung in Belgrad durchführen, wo sie von der orthodoxen Kirche Serbiens großherzig und gastfreundlich aufgenommen wurde. Wir hegen große Hoffnungen für den zukünftigen Weg, der unter Achtung der rechtmäßigen theologischen, liturgischen und disziplinären Unterschiede unternommen werden wird, um eine immer vollere Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe zu erlangen, in der ein immer tieferer Austausch der geistlichen Reichtümer einer jeden Kirche möglich ist.

Auch mit den kirchlichen Gemeinschaften des Westens führen wir verschiedene bilaterale, offene und freundschaftliche Dialoge, bei denen Fortschritte in der gegenseitigen Kenntnis, in der Überwindung von Vorurteilen, in der Bestätigung einiger Übereinstimmungen und im genaueren Erkennen der wahren Differenzen zu verzeichnen sind. Ich möchte vor allem die »Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre« erwähnen, die im Dialog mit dem Lutherischen Weltbund erreicht wurde, sowie die Tatsache, daß der Weltrat der Methodisten seinerseits dieser Erklärung zugestimmt hat. In der Zwischenzeit sind verschiedene wichtige Problematiken zum Vorschein gekommen, die eine Vertiefung und eine Einigung erfordern. Es bleibt vor allem die Schwierigkeit bestehen, zu einer gemeinsamen Auffassung vom Verhältnis zwischen Evangelium und Kirche zu gelangen und, damit verbunden, zu einer gemeinsamen Auffassung vom Geheimnis der Kirche und ihrer Einheit sowie zur Frage des Amtes in der Kirche. Neue Schwierigkeiten sind dann im Bereich der Ethik aufgetreten, was zur Folge hatte, daß durch die unterschiedlichen Standpunkte, die die christlichen Konfessionen zu den Problemen der Gegenwart einnehmen, der richtungweisende Einfluß auf die öffentliche Meinung geringer geworden ist. Gerade unter diesem Gesichtspunkt bedarf es nicht nur eines Dialogs über die Auslegung des Evangeliums und seine konkrete Anwendung, sondern darüber hinaus auch eines Dialogs über die christliche Anthropologie.

Was aber vor allem gefördert werden muß, ist der Ökumenismus der Liebe, der direkt aus dem neuen Gebot entsteht, das Jesus seinen Jüngern hinterlassen hat. Die von den entsprechenden Taten begleitete Liebe schafft Vertrauen, öffnet die Herzen und die Augen. Der Dialog der Liebe fördert und erhellt von seinem Wesen her den Dialog der Wahrheit: Die endgültige Begegnung, zu der der Geist Christi führt, wird nämlich in der vollen Wahrheit stattfinden. Gewiß werden nicht der Relativismus oder der einfache und falsche Irenismus die ökumenische Frage lösen. Im Gegenteil, diese verdrehen sie und nehmen ihr die Orientierung. Des weiteren muß die ökumenische Bildung verstärkt werden, wobei man von den Grundlagen des christlichen Glaubens ausgehen muß, also von der Verkündigung der Liebe Gottes, die sich im Antlitz Jesu Christi offenbart hat und gleichzeitig in Christus dem Menschen den Menschen voll kundgemacht und ihm seine höchste Berufung erschlossen hat (vgl. Gaudium et spes GS 22). Diese beiden wesentlichen Dimensionen werden gestützt durch die konkrete Zusammenarbeit unter den Christen, denn durch sie »kommt die Verbundenheit, in der sie schon untereinander vereinigt sind, lebendig zum Ausdruck, und das Antlitz Christi, des Gottesknechtes, tritt in hellerem Licht zutage« (Unitatis redintegratio UR 12).

Zum Schluß möchte ich die ganz besondere Bedeutung des geistlichen Ökumenismus noch einmal hervorheben. Der Päpstliche Rat zur Förderung der Einheit der Christen setzt sich zu Recht für ihn ein und stützt sich für eine persönliche und gemeinschaftliche Erneuerung auf das Gebet, auf die Liebe und auf die Bekehrung des Herzens. Ich rufe euch auf, diesen Weg fortzusetzen, der schon so viele Früchte getragen hat und weiterhin Früchte tragen wird. Meinerseits versichere ich euch der Unterstützung meines Gebets und erteile als Bestätigung meines Vertrauens und meiner Zuneigung allen einen besonderen Apostolischen Segen.

AN DIE ZWEITE GRUPPE DEUTSCHER BISCHÖFE ANLÄSSLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES

Samstag, 18. November 2006



Meine Herren Kardinäle!
Liebe Brüder im Bischofsamt!

Mit besonderer Freude heiße ich Euch, liebe Mitbrüder aus der gemeinsamen deutschen und bayerischen Heimat, hier im Hause des Papstes willkommen. Euer Besuch „ad limina Apostolorum“ führt Euch zu den Gräbern der Apostel, die aber nicht nur von Vergangenheit sprechen, sondern uns vor allem auf den auferstandenen Herrn verweisen, der immer in seiner Kirche gegenwärtig ist, ihr immer „vorangeht“ (Mc 16,7). Die Gräber sprechen uns davon, daß die Kirche immer an das Zeugnis des Anfangs gebunden, aber zugleich im Sakrament der Apostelnachfolge immer lebendig bleibt; daß der Herr durch den apostolischen Dienst immer im Präsens zu uns spricht. Damit ist unsere Aufgabe als Nachfolger der Apostel berührt: Wir leben in der Bindung an ihn, der das Alpha und das Omega ist (Ap 1,8 Ap 21,6 Ap 22,13) - an den, der ist, der war und der kommt (Ap 1,4). Wir verkünden den Herrn in der lebendigen Gemeinschaft seines Leibes, die von seinem Geist belebt wird - in der lebendigen Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri und dem Kollegium der Bischöfe. Der Ad-limina-Besuch soll uns in dieser Gemeinschaft stärken; er soll uns dazu helfen, daß wir immer mehr als treue und kluge Verwalter der vom Herrn uns anvertrauten Güter befunden werden können (vgl. Lc 12,42).

Damit die Kirche dem Herrn und so sich selber treu bleibt, muß sie immerfort erneuert werden. Aber wie geht das? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zunächst den Willen des Herrn, des Hauptes der Kirche, erfragen und klar erkennen, daß alle kirchliche Reform aus dem ernsten Bemühen um tiefere Erkenntnis der Wahrheiten des katholischen Glaubens und aus dem beharrlichen Streben nach sittlicher Läuterung und Tugend erwächst. Das ist ein Appell, der sich zuallererst an jeden einzelnen und dann an das ganze Volk Gottes richtet.

165 Die Suche nach Reform kann leicht in einen äußerlichen Aktivismus abgleiten, wenn die Handelnden nicht ein echtes geistliches Leben führen und die Beweggründe für ihr Tun nicht beständig im Licht des Glaubens prüfen. Dies gilt für alle Glieder der Kirche: für Bischöfe, Priester, Diakone, Ordensleute und alle Gläubigen. Der heilige Papst Gregor der Große hält dem Bischof in seiner Regula pastoralis gewissermaßen einen Spiegel vor: „Über der äußeren Beschäftigung vernachlässige der Bischof nicht das innere Leben. […] Oft meint er wegen seiner hohen Stellung, er sei über alle erhaben. […] Von außen widerfährt ihm unangemessenes Lob, in seinem Innern aber geht ihm die Wahrheit verloren“ (2, 1). Es geht darum - und dies ist sicher auch eine tägliche Aufgabe für jeden Christen -, vom eigenen Ich abzusehen und sich selbst dem liebenden und fragenden Blick Jesu auszusetzen. In der Mitte unseres Dienstes steht immer die Begegnung mit dem lebendigen Christus, die unserem Leben die entscheidende Richtung gibt. In Ihm blickt uns die Liebe Gottes an, die sich durch unseren priesterlichen und bischöflichen Dienst dem Menschen in den verschiedensten Situationen mitteilt, dem gesunden wie dem kranken, dem leidenden wie dem schuldig gewordenen Menschen. Gott schenkt uns seine verzeihende, heilende und heiligende Liebe. Immer wieder kommt Er neu auf uns zu „durch Menschen, in denen er durchscheint; durch sein Wort, in den Sakramenten, besonders in der Eucharistie. In der Liturgie der Kirche, in ihrem Beten, in der lebendigen Gemeinschaft der Gläubigen erfahren wir die Liebe Gottes, nehmen wir ihn wahr und lernen so auch, seine Gemeinschaft in unserem Alltag zu erkennen“ (Enzyklika Deus caritas est ).

Natürlich muß in der Kirche auch institutionell und strukturell geplant werden. Kirchliche Institutionen, Pastoralpläne und andere rechtliche Strukturierungen sind bis zu einem gewissen Grad schlichtweg notwendig. Aber gelegentlich werden sie als das Wesentliche ausgegeben und verstellen so den Blick auf das wirklich Wesentliche. Sie werden jedoch nur dann ihrer eigentlichen Bedeutung gerecht, wenn sie am Maßstab der Glaubenswahrheit gemessen und danach ausgerichtet werden. Letztlich muß und wird es der Glaube selbst sein, der in seiner ganzen Größe, Klarheit und Schönheit den Rhythmus der Reform vorgibt, die wesentlich ist und die wir brauchen. Dabei darf freilich niemals vergessen werden, daß es immer Menschen sind, von deren Fähigkeiten und gutem Willen die Verwirklichung von Reformmaßnahmen abhängt. So schwer es auch im Einzelfall sein mag, so müssen in dieser Hinsicht doch immer wieder klare Personalentscheidungen getroffen werden.

Liebe Brüder im bischöflichen Amt! Ich weiß, daß viele von Euch die ganz berechtigte Sorge um die situationsgerechte Weiterentwicklung der pastoralen Strukturen beschäftigt. Angesichts der augenblicklich abnehmenden Zahl der Priester, wie leider auch der (sonntäglichen) Gottesdienstbesucher, kommen in verschiedenen deutschsprachigen Diözesen Modelle der Um- und Neustrukturierung der Seelsorge zur Anwendung, bei denen das Bild des Pfarrers, das heißt des Priesters, der als Mann Gottes und der Kirche eine Pfarrgemeinde leitet, zu verschwimmen droht. Ich bin ganz sicher, daß Ihr, verehrte Mitbrüder, die Erstellung dieser Konzepte nicht kühlen Planern überlaßt, sondern nur solchen Priestern und Mitarbeitern anvertraut, die nicht nur über die notwendige vom Glauben erleuchtete Einsicht und über eine entsprechende theologische, kanonistische, kirchenhistorische und praktische Bildung sowie über pastorale Erfahrung verfügen, sondern denen die Rettung des Menschen wahrhaft am Herzen liegt, die sich also, wie wir früher gesagt hätten, durch „Seeleneifer“ auszeichnen und für deren Denken und Handeln das ganzheitliche und damit das ewige Heil des Menschen die suprema lex ist. Vor allem werdet Ihr nur solchen strukturellen Reformen Eure Zustimmung geben, die voll und ganz mit der Lehre der Kirche über das Priestertum und den rechtlichen Normen im Einklang stehen und bei deren Umsetzung die Anziehungskraft des Priesterberufs nicht gemindert wird.

Wenn manchmal gesagt wird, die Laien könnten sich in der Kirche nicht genug einbringen, so liegt eine verengende Fixierung auf die Mitarbeit in kirchlichen Leitungsgremien, auf hauptamtliche Stellen in kirchlich finanzierten Strukturen oder auf die Ausübung bestimmter liturgischer Funktionen zugrunde. Auch diese Bereiche haben selbstverständlich ihre Bedeutung. Aber darüber darf man nicht das weite und offene Feld des dringend notwendigen Laienapostolats und seine vielfältigen Aufgaben vergessen: die Verkündigung der Frohbotschaft an Millionen von Mitbürgern, die Christus und seine Kirche noch nicht kennen; die Katechese für Kinder und Erwachsene in unseren Pfarrgemeinden; die karitativen Dienste; die Medienarbeit sowie das gesellschaftliche Engagement für einen umfassenden Schutz des menschlichen Lebens, für die soziale Gerechtigkeit und in christlichen Kulturinitiativen. An Aufgaben für engagierte katholische Laien fehlt es fürwahr nicht, aber vielleicht mangelt uns heute manchmal der missionarische Geist, die Kreativität und der Mut, um auch neue Pfade zu beschreiten.

In der Ansprache an die erste Gruppe der deutschen Bischöfe habe ich bereits kurz die vielfältigen liturgischen Dienste der Laien angesprochen, die heute in der Kirche möglich sind: die des außerordentlichen Kommunionspenders, zu der die des Lektors kommt wie die des Leiters von Wortgottesdiensten. Dazu möchte ich jetzt nicht noch einmal Stellung nehmen. Wichtig ist, daß diese Aufgaben nicht aus einem Anspruchsdenken, sondern aus dem Geist des Dienens heraus wahrgenommen werden. Der Gottesdienst ruft uns alle in den Dienst vor Gott, für Gott und für die Menschen hinein, in dem wir nicht uns selber darstellen, sondern in Demut vor Gott stehen und uns für sein Licht durchlässig machen wollen. In dieser Ansprache möchte ich noch vier weitere Punkte kurz berühren, die mir am Herzen liegen.

Der erste ist die Glaubensverkündigung an die jungen Menschen unserer Zeit. Die Jugend von heute lebt in einer säkularisierten, ganz aufs Materielle ausgerichteten Kultur. Sie erlebt im Alltag - in den Medien, im Beruf, in der Freizeit - meist eine Kultur, in der Gott nicht vorkommt. Und doch wartet sie auf Gott. Die Weltjugendtage zeigen es uns, wie viel wartende Bereitschaft für Gott und für das Evangelium in den jungen Menschen unserer Zeit da ist. Unsere Antwort auf diese Erwartung muß vielschichtig sein. Die Weltjugendtage setzen voraus, daß junge Menschen in ihren Lebensräumen, besonders in der Pfarrei, die Begegnung mit dem Glauben empfangen können. Da ist z. B. der Dienst der Ministranten wichtig, der Kinder und junge Menschen in Berührung mit dem Altar, mit dem Wort Gottes, mit dem Innenleben der Kirche bringt. Es war schön, bei der Ministrantenwallfahrt so viele junge Menschen aus Deutschland freudig im Glauben versammelt zu finden. Setzt dieses Mühen fort und sorgt dafür, daß die Ministranten in der Kirche wirklich Gott, seinem Wort, dem Sakrament seiner Gegenwart begegnen können und lernen, von daher ihr Leben zu gestalten. Ein wichtiger Weg ist auch die Arbeit mit den Chören, in denen junge Menschen Erziehung zum Schönen, Erziehung zur Gemeinsamkeit, Freude am Mitsein im Gottesdienst und so Bildung zum Glauben hin erfahren können. Nach dem Konzil hat uns der Heilige Geist die „Bewegungen“ geschenkt. Sie können dem Pfarrer oder dem Bischof manchmal etwas eigenwillig erscheinen, aber sie sind Orte des Glaubens, in denen junge und erwachsene Menschen das Lebensmodell des Glaubens als Chance für heute erfahren. Deshalb bitte ich Euch, mit viel Liebe auf die Bewegungen zuzugehen. Da und dort müssen sie korrigiert, ins Ganze der Pfarrei oder des Bistums eingefügt werden. Aber die je eigene Art ihres Charismas müssen wir achten und froh sein, daß gemeinschaftliche Gestalten des Glaubens entstehen, in denen das Wort Gottes Leben wird.

Das zweite Thema, das ich wenigstens kurz ansprechen möchte, sind die kirchlichen Hilfswerke. In meiner Enzyklika „Deus caritas est“ habe ich von dem Dienst der Liebe als wesentlichem und unverzichtbarem Ausdruck des Glaubens in der Kirche geschrieben und dabei auch das innere Prinzip der Hilfswerke berührt. „Die Liebe Christi drängt uns“, hat der heilige Paulus gesagt (
2Co 5,14). Der gleiche „Zwang“ der Liebe (1Co 9,16), der den heiligen Paulus nötigte, in alle Welt zu gehen, um das Evangelium zu verkünden - dieser gleiche „Zwang“ der Liebe Christi hat die deutschen Katholiken veranlaßt, die Hilfswerke zu gründen, um den in Armut lebenden Menschen zu ihrem Recht auf die Güter der Erde zu verhelfen. Nun ist es wichtig, darauf zu achten, daß die Hilfswerke in ihren Programmen und Aktionen wirklich diesem inneren Impuls der vom Glauben gedrängten Liebe entsprechen. Es ist wichtig, darauf zu achten, daß sie nicht in politische Abhängigkeiten kommen, sondern einzig ihrer Aufgabe der Gerechtigkeit und der Liebe dienen. Dazu wiederum ist eine enge Zusammenarbeit mit den jeweiligen Bischöfen und Bischofskonferenzen notwendig, die wirklich die Lage vor Ort kennen und dafür zu sorgen vermögen, daß die Gabe der Gläubigen aus dem Gewirr politischer und anderer Interessen herausgehalten und zum Besten der Menschen verwendet wird. Der Päpstliche Rat „Cor Unum“ verfügt in diesem Sektor über umfassende Erfahrungen und wird auch gern in all diesen Fragen beratend zur Seite stehen.

Schließlich liegt mir das Thema Ehe und Familie besonders am Herzen. Die Schöpfungsordnung der Ehe, von der uns die Bibel am Ende des Schöpfungsberichts eindrücklich spricht (Gn 2,24), wird heute immer mehr verwischt. So wie der Mensch sich die Welt im ganzen neu zu montieren versucht und dabei immer spürbarer seine Grundlagen gefährdet, so geht ihm auch der Blick für die Schöpfungsordnung seiner eigenen Existenz zusehends verloren. Er glaubt, sich selber in einer leeren Freiheit beliebig definieren zu können. Die Fundamente, auf denen seine eigene Existenz und die der Gesellschaft stehen, geraten so ins Wanken. Für die jungen Menschen wird es schwer, zu endgültigen Bindungen zu finden. Sie haben Furcht vor der Endgültigkeit, die nicht realisierbar und der Freiheit entgegengesetzt scheint. So wird es auch immer schwerer, Kinder anzunehmen und ihnen jenen dauerhaften Raum des Wachsens und des Reifens zu schenken, der nur die auf der Ehe gründende Familie sein kann. In dieser hier nur ganz kurz angedeuteten Situation ist es sehr wichtig, jungen Menschen zu helfen, das endgültige Ja zueinander zu sagen, das der Freiheit nicht entgegensteht, sondern ihre größte Möglichkeit ist. In der Geduld des lebenslangen Miteinander kommt die Liebe zu ihrer wahren Reife. In diesem Raum lebenslanger Liebe lernen auch die Kinder leben und lieben. So darf ich Euch bitten, alles zu tun, damit Ehe und Familie geformt, gefördert und ermutigt werden.

Zuletzt noch ein ganz kurzes Wort zur Ökumene. All die lobenswerten Initiativen auf dem Weg zur vollen Einheit aller Christen finden im gemeinsamen Gebet und in der Betrachtung der Heiligen Schrift den fruchtbaren Grund, auf dem Gemeinschaft wachsen und reifen kann. In Deutschland müssen unsere Bemühungen vor allem den Christen lutherischen und reformierten Bekenntnisses gelten. Zugleich behalten wir dabei die Brüder und Schwestern in den orthodoxen Kirchen im Blick, auch wenn diese vergleichsweise weniger zahlreich sind. Die Welt darf von allen Christen ein geeintes Bekenntnis zu Jesus Christus, dem Erlöser der Menschheit, erwarten. Ökumenisches Engagement darf sich daher nicht in gemeinsamen Papieren erschöpfen. Es wird sichtbar und wirksam, wo Christen verschiedener Kirchen und kirchlicher Gemeinschaften inmitten eines zunehmend religiös entfremdeten sozialen Umfeldes sich gemeinsam und überzeugend zu den vom christlichen Glauben vermittelten Werten bekennen und diese im politischen und gesellschaftlichen Handeln kraftvoll zur Geltung bringen.

Liebe Brüder im Bischofsamt! Da ich selber aus Eurem mir so lieben Land komme, fühle ich mich von den Leistungen wie auch von den Herausforderungen der Kirche in Deutschland besonders berührt. All das Gute der Kirche in unserer Heimat kenne ich nicht nur aus eigener Anschauung und Erfahrung, sondern auch, weil mir immer wieder Bischöfe, Priester und andere Besucher aus Europa und aus vielen Teilen der Welt vom tätigen Wohl berichten, das ihnen seitens kirchlicher Stellen und Personen zuteil wird. Die Kirche in Deutschland verfügt wirklich über reiche geistliche und geistige Ressourcen. Vor allem auch der oft zu wenig wahrgenommene treue Dienst so vieler Priester, Diakone, Ordensleute und hauptamtlicher kirchlicher Mitarbeiter in nicht immer einfachen pastoralen Verhältnissen verdient Respekt und Anerkennung. Ebenso bin ich aufrichtig dankbar, daß nach wie vor zahlreiche Christen bereit sind, sich in Pfarrgemeinden und Diözesen, Vereinigungen und Bewegungen zu engagieren und als gläubige Katholiken auch in der Gesellschaft Verantwortung zu übernehmen. Vor diesem Hintergrund teile ich mit Euch die feste Hoffnung, daß die Kirche in Deutschland noch missionarischer wird und Wege findet, um den kommenden Generationen den Glauben zu vermitteln.

Ich weiß sehr gut, liebe Brüder im Bischofsamt, um Euer hingebungsvolles Wirken und um das so vieler Priester, Diakone, Ordensleute und Laien in euren Diözesen. So möchte ich Euch heute erneut meine Zuneigung bekunden und Euch ermutigen, geeint und voller Zuversicht Euren Hirtendienst zu leisten. Ich bin sicher, daß der Herr Eure Treue und Euren Eifer mit Seinem Segen begleitet und lohnen wird. Die Allerseligste Jungfrau und Gottesmutter Maria, die Mutter der Kirche und Hilfe der Christen, kann Euch, dem Klerus und den Gläubigen in unserer Heimat die Kraft, Freude und Ausdauer erwirken, um die notwendige Aufgabe einer echten Erneuerung des Glaubenslebens mutig und im festen Vertrauen auf den Beistand des Heiligen Geistes anzugehen. Auf ihre mütterliche Fürsprache und auf die Fürbitte aller in unserm Lande verehrten heiligen Männer und Frauen erteile ich Euch sowie allen Gläubigen in Deutschland von Herzen den Apostolischen Segen.

KONZERT ZU EHREN DES HEILIGEN VATERS

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Samstag, 18. November 2006



Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
meine Herrn Kardinäle,
verehrte Mitbrüder im Bischofsamt,
sehr geehrte Damen und Herren!

Zuerst einmal möchte ich den vier Musikern des „Philharmonia Quartett Berlin", Daniel Stabrawa, Christian Stadelmann, Neithard Resa und Jan Diesselhorst, meinen besonderen persönlichen Dank ausdrücken für dieses meisterhaft dargebotene Konzert. Meine Herren, Sie haben sich in den nun mehr als 20 Jahren Ihrer gemeinsamen Konzerttätigkeit als Streichquartett international einen Namen gemacht und ihn auch heute wieder bewiesen durch die stilistische Feinheit Ihrer Interpretation, durch ein perfektes Zusammenspiel und durch den großen Ausdrucksreichtum der sensiblen farblichen Nuancierungen im homogenen Gesamtklang Ihres Ensembles. Das solistische gemeinsame Musizieren verlangt vom Einzelnen nicht nur den Einsatz all seiner technischen und musikalischen Fähigkeiten in der Ausführung seines Parts, sondern zugleich immer auch ein Sich-Zurücknehmen im aufmerksamen Hinhören auf die anderen: Nur wenn das gelingt, wenn jeder nicht sich selbst darstellt, sondern sich dienend der Gesamtheit einordnet und sich sozusagen als „Werkzeug" zur Verfügung stellt, damit der Gedanke des Komponisten Klang werden und so das Herz der Hörer erreichen kann, geschieht wirklich große Interpretation - wie wir sie eben gehört haben. Das ist ein schönes Bild auch für uns, die wir uns im Rahmen der Kirche bemühen, „Werkzeuge" zu sein, um unseren Mitmenschen den Gedanken des großen „Komponisten" zu vermitteln, dessen Werk die Harmonie des Universums ist.

Ich danke Ihnen, verehrter Herr Bundespräsident, daß Sie uns dieses intensive Hörerlebnis wertvoller Musik ermöglicht haben, und ebenso dankbar bin ich Ihnen für Ihre freundlichen Worte, mit denen Sie uns begrüßt und uns auf die großartige musikalische Darbietung eingestimmt haben. Auch allen, die zur Verwirklichung dieses Konzertes beigetragen haben, gilt mein ganz herzlicher Dank. Lieber Herr Bundespräsident, Sie hätten mir kein schöneres Geschenk machen können als dieses.

Dann fuhr der Heilige Vater auf italienisch fort: Die Kompositionen, die wir soeben gehört haben, haben uns geholfen, über die Vielschichtigkeit des Lebens und über die kleinen alltäglichen Ereignisse nachzudenken. Jeder Tag ist ein Zusammenspiel von Freude und Schmerz, von Hoffnungen und Enttäuschungen, von Erwartungen und Überraschungen, die sich in bewegter Weise abwechseln und die in unserem Innern die grundlegenden Fragen nach dem »Woher«, nach dem »Wohin« und nach dem wahren Sinn unseres Daseins wecken. Die Musik, die all diese Wahrnehmungen der Seele zum Ausdruck bringt, bietet in einer Stunde wie dieser dem Hörer die Möglichkeit, die Ereignisse seiner persönlichen Geschichte und die der Weltgeschichte wie in einem Spiegel zu betrachten. Aber sie bietet uns noch mehr: Durch ihre Klänge trägt sie uns gleichsam in eine andere Welt und harmonisiert unser Innerstes. Wenn wir auf diese Weise einen Augenblick des Friedens gefunden haben, sind wir in der Lage, wie von einer höheren Warte aus die geheimnisvollen Wirklichkeiten zu sehen, die der Mensch zu entschlüsseln sucht und die das Licht des Glaubens uns besser zu verstehen hilft. Wir können uns in der Tat die Geschichte der Welt wie eine wunderbare Symphonie vorstellen, die Gott komponiert hat und deren Aufführung er selbst als weiser Dirigent leitet. Auch wenn uns die Partitur manchmal sehr komplex und schwierig erscheint, kennt er sie von der ersten bis zur letzten Note. Wir sind nicht dazu gerufen, den Dirigentenstab in die Hand zu nehmen und noch weniger dazu, die Melodien nach unserem Geschmack zu verändern. Aber jeder von uns ist aufgerufen, an seinem Platz und mit den eigenen Fähigkeiten mit dem großen Meister zusammenzuarbeiten, um sein wunderbares Meisterwerk aufzuführen. Im Verlauf der Aufführung wird es uns dann auch gegeben sein, nach und nach den großartigen Entwurf der göttlichen Partitur zu verstehen.

So, liebe Freunde, sehen wir, wie die Musik uns zum Gebet führen kann: Sie lädt uns ein, den Geist zu Gott zu erheben, um in ihm die Gründe unserer Hoffnung und Halt in den Schwierigkeiten des Lebens zu finden. In Treue zu seinen Geboten und in der Achtung seines Heilsplans können wir gemeinsam eine Welt aufbauen, in der die trostreiche Melodie einer transzendenten Symphonie der Liebe erklingt. Ja, der göttliche Geist selbst wird uns alle zu gut aufeinander abgestimmten Instrumenten und verantwortlichen Mitarbeitern einer wundervollen Aufführung machen, in der durch die Jahrhunderte hindurch der universale Heilsplan zum Ausdruck kommt. Mit erneutem Dank an die Mitglieder des »Philharmonia Quartett Berlin« und an diejenigen, die zur Verwirklichung dieses musikalischen Abends beigetragen haben, versichere ich jeden meines Gebetsgedenkens und erteile allen von Herzen meinen Segen.

OFFIZIELLER BESUCH DES ITALIENISCHEN STAATSPRÄSIDENTEN

GIORGIO NAPOLITANO IM VATIKAN

Montag, 20. November 2006



Herr Präsident der Republik!


ANSPRACHE 2006 161