Kommentar zum Evangelium Mt





Text aus: Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus Erzbischofs von Konstantinopel Kommentar zum Evangelium des hl. Matthäus / aus dem Griechischen übers. von Joh. Chrysostomus Baur (Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus ausgewählte Schriften Bd. 1; Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 23). Kempten; München 1915.



Kommentar zum Evangelium des hl. Matthäus (In Matthaeum homiliae I-XC)



Chrysostomus († 407)

Kommentar zum Evangelium des hl. Matthäus (In Matthaeum homiliae I-XC)

1

Erste Homilie: Einleitung

1.

Eigentlich sollten wir nicht auf die Hilfe der Hl. Schrift angewiesen sein, vielmehr ein so reines Leben führen daß die Gnade des Hl. Geistes in unseren Seelen die Stelle der Hl. Schrift verträte, und daß, wie diese mit Tinte, so unsere Herzen durch den Hl. Geist beschrieben wären. Nachdem wir aber einmal diese (erste ) Gnade verscherzt haben, so wollen wir wenigstens mit Freuden die zweite Rettungsmöglichkeit ergreifen. Daß allerdings der erste Weg der bessere wäre, das hat uns Gott selbst in Wort und Tat geoffenbart. So hat er mit Noe, mit Abraham und seinen Nachkommen mit Job und Moses nicht durch Schriften, sondern selbst in eigener Person verkehrt, da er ihre Herzen rein befunden. Nachdem aber das gesamte Judenvolk in den tiefsten Abgrund der Sünde gestürzt war, da gab er ihnen Schriften und Gesetzestafeln zur mahnenden Erinnerung. Dasselbe können wir aber nicht bloß bei den Heiligen des Alten Bundes beobachten, sondern auch bei denen des Neuen. Den Aposteln hat Gott nichts Geschriebenes übergeben, sondern an Stelle von Schriften hat er ihnen die Gnade des Hl. Geistes verheißen: "Denn er", so sagte er, "wird euch an alles erinnern" (Jn 14,26). Damit du aber einsiehst, daß diese Art wirklich viel besser war, so höre, was der Herr durch den Propheten spricht: "Ich werde einen neuen Bund mit euch schließen, euch Satzungen geben zur Erinnerung, und sie in eure Herzen schreiben, und sie werden alle Gottes Schüler sein" (Jr 31,31 Jr 31,33). Auch Paulus hat auf den gleichen Vorzug hingewiesen, da er sagte, er habe ein Gesetz erhalten, "nicht auf Tafeln und Stein, sondern auf den Fleischestafeln seines eigenen Herzens" (2Co 3,3). Nachdem aber (die Christen ) im Laufe der Zeit auf Abwege geraten waren, die einen in Glaubenssachen, andere in ihrem Lebenswandel, da bedurfte es wiederum der Ermahnung durchs geschriebene Wort. Während wir also ein so reines Leben hätten führen sollen, daß wir nichts Geschriebenes benötigten, sondern an Stelle von Büchern unsere Herzen dem Hl. Geiste hätten eröffnen sollen, haben sie diese Ehre verscherzt und sind darum auf den Gebrauch der Schriften angewiesen. Bedenke daher, welch ein Unrecht es ist, wenn wir auch dieses zweite Rettungsmittel nicht gebührend gebrauchen wollen. Denn wenn es schon an sich nicht in der Ordnung ist, daß wir überhaupt der Schriften bedürften, anstatt die Gnade des Hl. Geistes auf uns herabzuziehen, so erwäge, wie groß erst unsere Schuld sein wird, wenn wir auch von diesem Hilfsmittel keinen Gebrauch machen wollen, sondern die Hl. Schrift vernachlässigen, als wäre sie etwas ganz Überflüssiges, und wir dadurch nur noch größere Strafe uns zuziehen! Um und also davor zu bewahren, wollen wir uns eifrig mit den Hl. Schriften beschäftigen und lernen, auf welche Art das Alte Gesetz gegeben wurde, auf welche das Neue. Wie wurde also damals jenes Gesetz gegeben, und wann und wo? Es wurde gegeben nach dem Untergang der Ägypter, und zwar in der Wüste, auf dem Berge Sinai, während Rauch und Feuer von dem Berge ausging, während die Posaunen tönten, Donner rollten, und Blitze zuckten, und Moses selbst mitten in die Finsternis hineintrat. 

   Ganz anders war es beim Neuen Testamente. Nicht in der Wüste oder auf einem Berge, nicht in Rauch und Finsternis, bei Dunkelheit und Sturmwind, nein, in der Frühe des Tages, in einem Hause, als alle sich versammelt hatten, da ging alles in großer Stille vor sich. Für jene, die noch nicht genügend verständig und lenksam waren, brauchte man Dinge, die äußeren Eindruck machten, die Wüste, den Berg, den Rauch, den Posaunenschall und Ähnliches mehr. Für die Einsichtigen und Fügsameren hingegen, welche über derlei Äußerlichkeiten bereits erhaben waren, bedurfte es all dessen nicht. Denn wenn auch bei ihnen ein Sturmesbrausen entstand, so geschah dies nicht der Apostel wegen, sondern mit Rücksicht auf die anwesenden Juden, für die auch die Feuerzungen erschienen. Denn wenn sie trotz all dem noch sagten: "Sie sind trunken vom neuen Wein" (Ac 2,13), so hätten sie noch viel eher geredet, wenn sie nichts von all dem gesehen hätten. Und bei Gründung des Alten Bundes stieg Gott in gleicher Weise herab, wie Moses hinaufstieg; hier aber wurde durch die Herabkunft des Hl. Geistes unsere eigene Natur in den Himmel, ja sogar auf den königlichen Thron selbst erhoben. Wäre aber der Hl. Geist geringer, so wären seine Wirkungen nicht größer und wunderbarer. Denn diese (geistigen ) Tafeln sind viel besser, und die Taten, die hier geschehen, viel glänzender. Die Apostel kamen nicht wie Moses von einem Berg herunter, und trugen keine steinernen Tafeln in ihren Händen; dafür trugen sie den Hl. Geist in ihren Herzen und strömten gleich einem Quell die Schätze der Lehre und der Charismen und jeder Art geistiger Gaben aus. So wurden sie durch die Gnade zu lebendigen Schrift und Gesetzbüchern, und wanderten überall umher. Auf diese Weise zogen sie jene 3000, so jene 5000, ja alle Nationen der Welt an sich, indem Gott durch ihren Mund mit allen verkehrte, die sich ihnen zuwandten (Ac 2,41 u. Ac 4,4). Durch ihn wurde auch Matthäus vom Geiste erfüllt und schrieb dann sein Evangelium: Matthäus der Zöllner! Ja, ich scheute mich nicht, ihn nach seinem Gewerbe zu benennen, ihn so gut wie die anderen; denn gerade das beweist am deutlichsten die Gnade des Geistes und die Tugend der Apostel.



2.

Evangelium[1] hat er aber das Werk[2] genannt. Denn die Beschreibung von der Strafe, den Nachlaß der Sünde, die Gerechtigkeit, die Heiligkeit, die Erlösung, die Gotteskindschaft, das Erbe des Himmels und die[3] Stammesverwandtschaft mit dem Sohne Gottes hat er vor allem verkündet, den Feinden, den Toren und denen, die in der Finsternis sitzen. Was könnte also solcher Frohbotschaft noch irgendwie gleich kommen? Gott auf der Erde, der Mensch im Himmel! Jede Ordnung ist umgekehrt! Die Engel verbanden sich mit den Menschen, und die Menschen verkehrten mit den Engeln und den anderen himmlischen Mächten. Da konnte man endlich den ewig dauernden Zwiespalt beendigt sehen, Gott mit unserem Geschlechte versöhnt, den Teufel beschämt, die Dämonen verscheucht, den Tod besiegt, das Paradies geöffnet; den Fluch getilgt, die Sünde verschwunden, den Irrtum beseitigt, die Wahrheit triumphierend, das Wort Gottes überall ausgestreut und in Blüte stehend; das Leben der himmlischen Geister auf die Erde verpflanzt, jene Mächte in trautem Umgang mit uns begriffen, und Engel gar häufig auf Erden verweilen; und überall herrschte Zuversicht und Hoffnung auf das zukünftige Leben. 

   Darum hat er seine Erzählung Evangelium genannt, da ja alle anderen Dinge nur Worte sind ohne Inhalt, wie z.B. großer Reichtum, bedeutende Macht, Herrschaft, Ruhm, Ehre und was sonst noch bei den Menschen etwas gilt. Die Botschaft der Fischer dagegen darf man im wahren und eigentlichen Sinne eine Frohbotschaft nennen, nicht bloß weil sie ein sicherer und unvergänglicher Schatz ist, den wir gar nicht verdient haben, sondern auch deshalb, weil sie uns so ganz ohne unser Zutun frei geschenkt ward. Denn nicht durch Arbeit und Schweiß, nicht durch Mühe und Entbehrung sind wir in ihren Besitz gekommen, sondern allein durch die Liebe Gottes zu uns. Nachdem es nun aber doch so viele Jünger gab, warum schrieben da von den Aposteln nur zwei, und auch nur zwei von eben deren Schülern? Denn von den Jüngern, die mit Johannes und Matthäus die Evangelien schrieben, war einer ein Schüler des Paulus, der andere ein solcher des Petrus. Der Grund liegt darin, daß sie nichts taten, um ihren Ehrgeiz zu befriedigen, sondern nur um uns nützlich zu sein. Indes, hätte es da nicht genügt, wenn ein Evangelist allein alles aufgezeichnet hätte? Gewiß! Allein, wenn es auch vier waren, die Evangelien schrieben, so schrieben sie doch nicht zu gleicher Zeit, nicht am selben Ort und nicht nach Übereinkunft und gegenseitiger Verabredung. Wenn sie also trotzdem alles wie aus einem Munde berichten, so ist gerade das der deutlichste Beweis der Wahrheit. Doch, wirft mir da jemand ein, gerade das Gegenteil ist ja der Fall, denn man bemerkt bei ihnen vielfache Verschiedenheiten. Nun, auch das beweist klar, daß sie die Wahrheit schrieben. Wenn sie nämlich in allem bis aufs kleinste übereinstimmten, in Zeit und Ort und den einzelnen Worten, so würde keiner von unseren Gegnern glauben, daß sie nicht nach Übereinkunft und menschlicher Verabredung ihre Schriften verfaßt haben; denn eine so weitgehende Übereinstimmung könne doch kein Zufall sein. So aber stimmt ihnen die scheinbare Verschiedenheit in untergeordneten Dingen jedes Mißtrauen, und ist auch zugleich die beste Bürgschaft für die Aufrichtigkeit der Verfasser. Wenn sie aber zuweilen über Zeit und Ort verschieden berichten, so tut dies der Wahrheit des Gesagten keinerlei Eintrag. Das werden wir auch mit Gottes Hilfe im weiteren Verlauf zu beweisen suchen. Euch aber bitten wir, außer dem schon Gesagten besonders das festzuhalten, daß in den wesentlichen Dingen, von denen unser Leben abhängt und die das eigentliche Evangelium ausmachen, niemals einer auch nur im geringsten mit den anderen in Widerspruch erfunden wird. 

   Was ist nun aber dieses Wesentliche? Das ist z.B. die Tatsache, daß Gott Mensch geworden ist, daß er Wunder gewirkt hat, daß er gekreuzigt und begraben wurde, daß er auferstand und zum Himmel aufgefahren ist, daß er zum Gerichte kommen wird, daß er heilbringende Gebote gab, daß er nicht ein neues Gesetz einführte, das im Widerspruch stünde mit dem Alten Testamente, daß er der Sohn ist, der Eingeborene, der Wahre, gleichen Wesens mit dem Vater und Ähnliches mehr. In diesen Dingen werden wir bei ihnen volle Übereinstimmung finden. Wenn aber von den Wundern nicht jeder alle erwähnte, sondern der eine diese, der andere jene, so darf dich das nicht verwirren; denn entweder hätte einer alles erzählt, und dann wären sie anderen überflüssig gewesen, oder jeder hätte etwas ganz Neues geschrieben, was sie anderen nicht hatten, und dann wäre das Wahrheitsargument verloren gegangen, das sich aus ihrer Übereinstimmung ergibt. Aus diesem Grunde haben sie vieles gemeinsam berichtet, und doch auch jeder von ihnen wieder etwas Eigenes, damit keiner etwa überflüssig erscheine, gleichsam als zwecklose Zugabe, sondern damit er so einen unwiderstehlichen Beweis für die Wahrheit des Inhaltes abgebe.



3.

Lukas gibt nun auch den Grund an, der ihn zum Schreiben veranlaßte. "Damit du nämlich", so sagt er, "sicher seiest über die Glaubenswahrheiten, in denen du unterrichtet worden bist"; das heißt, damit du fortwährend daran erinnert werdest, so die feste Überzeugung[4] erlangest und in dieser Überzeugung auch verharrest. Johannes hat zwar selbst keinen Grund namhaft gemacht; allein nach dem; was uns von unseren Vätern überliefert wurde, war es auch kein bloßer Zufall, was ihn zum Schreiben veranlaßte, sondern der Umstand, daß die ersten drei[5] absichtlich mehr die menschliche Seite[6] betonten, und so Gefahr vorhanden war, daß seine Gottheit zu sehr in den Hintergrund träte; deshalb fühlte er sich, auf die Eingebung Christi hin, veranlaßt, sein Evangelium zu schreiben. Das kann man sowohl aus seinem Berichte selbst, wie auch insbesondere aus dem Anfange seines Evangeliums erkennen. Er fängt nämlich nicht wie die anderen mit dem Irdischen an, sondern mit dem Himmlischen, zu dem er sich hingezogen fühlte, und aus diesem Grunde hat er sein ganzes Buch geschrieben. Aber nicht bloß in der Einleitung, sondern durch das ganze Evangelium hindurch behält er einen höheren Gesichtspunkt im Auge als die übrigen. Indes erzählt man auch von Matthäus, es seien einige Judenchristen zu ihm gekommen und hätten ihn gebeten, ihnen das Evangelium, das er verkündete, auch schriftlich, und zwar in hebräischer Sprache, zu hinterlassen. Ebenso habe Markus in Ägypten auf Bitten seiner Schüler das gleiche getan. Da also Matthäus für Judenchristen schrieb, suchte er auch nur das eine zu beweisen, daß Christus von Abraham und David abstamme. Lukas dagegen, der ganz allgemein und für alle schrieb, ging noch höher hinauf und fing mit Adam an. Darum beginnt auch der eine mit[7] seiner Abstammung; denn nichts konnte die Juden so sehr beruhigen, als zu wissen, daß Christus ein Nachkomme von Abraham und David war. Der andere machte es nicht so; er erwähnt zuerst eine Menge sonstiger Dinge und geht dann erst zum Bericht über seine Abstammung über. Für ihre allgemeine Übereinstimmung können wir aber den ganzen Erdkreis zum Zeugen anrufen, so weit er nur das Evangelium empfangen, ja sogar die Feinde der Wahrheit selbst; denn nach dem Hingang der Apostel entstanden viele häretische Sekten, die das Gegenteil von dem lehrten, was jene gesagt hatten. Einige von ihnen nahmen das ganze Evangelium an, andere trennten Teile desselben von dem übrigen los und haben es in dieser Gestalt bei sich im Gebrauch. Wenn nun die Hl. Schrift einen Widerspruch in sich enthielte, so hätten jene Sekten, die ihr widersprechen, nicht das Ganze angenommen, sondern nur den Teil, der ihnen paßte; die anderen dagegen, die nur einen Teil davon annahmen, hätten nicht mit diesem Teil widerlegt werden können, gerade als ob die fehlenden Stücke darin keine Spur eine Lüge gelassen, und nicht im Gegenteil laut und deutlich ihre Zusammengehörigkeit zum Ganzen bekundeten. 

   Es verhält sich damit geradeso, wie wenn du jemand ein Stück aus seiner Seite herausschneidest; du wirst in dem Teilstück alles finden, woraus das Ganze zusammengesetzt ist: Nerven, Adern, Knochen, Arterien, Blut, kurz gleichsam eine Musterprobe von dem, woraus das Ganze besteht. So kann man auch in jedem Teil der Hl. Schrift deutlich die Zugehörigkeit zum übrigen Ganzen erkennen. Wären dagegen Widersprüche in ihr vorhanden, so würde man von dieser Einheitlichkeit nichts gemerkt haben, vielmehr wäre die christliche Religion selbst dabei längst zugrunde gegangen. "Denn", heißt es, "ein jedes Königreich, das wider sich selbst geteilt ist, wird nicht bestehen" (Lc 11,17). So ist aber auch das ein glänzendes Zeichen der Kraft des Hl. Geistes, daß sie die Menschen dazu bewegt, sich mit dem Notwendigen und Wichtigen abzugeben, und ob solcher unbedeutenden Nebensächlichkeiten keinen Schaden zu nehmen.



4.

Auf den Ort nun, an dem ein jeder schrieb, brauchen wir kein besonderes Gewicht zu legen; daß dagegen keiner von ihnen im Widerspruch gegen die anderen schrieb, das werden wir im ganzen weiteren Verlauf zu zeigen versuchen. Wenn du sie aber des Widerspruchs anklagst, so verlangst du damit nicht mehr und nicht weniger, als daß jeder nicht nur sachlich, sondern sogar bis auf die Redewendungen mit den anderen übereinstimme. Da will nun nicht darauf hinweisen, daß auch von denen, die sich so viel auf ihre Rhetorik und Philosophie einbilden, manche ganze Bände über denselben Gegenstand geschrieben haben, und dabei nicht nur bloß verschiedene Ansichten vertraten, sondern sich auch geradezu widersprachen. Etwas anderes ist es nämlich, Unterschiede in der Darstellung aufweisen, etwas anderes, sich direkt widersprechen. Ich will mich aber nicht weiter darüber verbreiten; denn ferne sei es von mir, mit der Torheit jener das Evangelium decken zu wollen; ich will nicht aus der Lüge die Wahrheit beweisen. Aber diese Frage möchte ich doch gerne stellen: Wie hätte[8] Glauben finden können, wenn es Widersprüche enthielte? Wie hätte es zum Siege gelangen können? Wie hätten Leute, die sich selbst widersprachen, in der ganzen Welt Bewunderung, Glaube und Lob finden können? Waren ja doch viele Zeugen dessen vorhanden, was sie sagten, viele auch, die ihre Gegner und Feinde waren. Denn sie schrieben ihr Evangelium nicht in irgendeinem unbekannten Erdenwinkel, um es dann zu verbergen; im Gegenteil, sie verkündeten es überall, zu Wasser und zu Land, so daß alle es hören konnten. Sogar im Beisein ihrer Feinde wurde es gelesen, wie es auch heutzutage noch geschieht, und niemand hat noch an irgend etwas darin Anstoß genommen. Und das ist leicht zu begreifen. Es war eben die Kraft Gottes, die überall Eingang fand und in allen wirkte. Oder wie hätten sonst ein Zöllner, ein Fischer und ungebildete Leute solche Weisheit an den Tag legen können? Denn was die Heiden sich nicht einmal hatten träumen lassen, das haben diese mit großer Überzeugungskraft verkündet und fanden Glauben, und dies nicht bloß im Leben, sondern selbst nach dem Tode. Auch bekehrten sie nicht bloß zwei Menschen oder zwanzig, nicht etwa nur hundert oder tausend oder zehntausend, nein, sie bekehrten ganze Städte, Völker und Nationen, die Erde und das Meer, Griechenland und die Barbarenreiche, die bewohnte und unbewohnte Welt. Dazu haben sie Dinge verkündet, die weit über unsere Natur hinausgehen. Denn sie haben nicht von irdischen, sondern nur von himmlischen Dingen geredet, haben uns eine andere ganz neue Lebensweise gelehrt, haben Reichtum und Armut, Freiheit und Sklaverei, Leben und Tod, Welt und Gesittung, kurz, alles in neuem Licht erscheinen lassen. 

   Das war nicht wie bei Plato, der jenen lächerlichen Idealstaat[9] erfunden, nicht wie bei Zeno[10] oder wer sonst noch über die Pflichten des Lebens schrieb oder solche Gesetze aufstellte. Diese alle haben durch den Inhalt ihrer Schriften allein schon bewiesen, daß ein böser Geist aus ihrer Seele sprach, ein schlimmer Dämon, der unserer Natur nachstellt, ein Feind der Sittenreinheit, der aus Haß gegen alle Ordnung das Oberste zu unterst gekehrt. Denn was kann man überhaupt noch von Leuten sagen, die Weibergemeinschaft einführen wollen, die Jungfrauen unbekleidet in der Palästra einherführen zum Schauspiel der Leute, welche die heimlichen Ehen erlauben, kurz, alles umkehren und verwirren, und die der Natur gezogenen Schranken umstürzen? Denn, daß all diese genannten Dinge Erfindungen des Teufels sind und etwas Unnatürliches, das kann uns wohl die Natur selbst bezeugen, die sich gegen solche Verirrungen sträubt. Und all das haben[11] nicht etwa unter Verfolgungen, Gefahren und Kämpfen geschrieben, sondern ganz unbehindert und in aller Freiheit, und haben es auch noch auf alle Weise recht verlockend dargestellt. Die Fischer dagegen hatten Mißhandlungen, Geißelungen und Gefahren zu ertragen, und doch ward ihre Botschaft von Ungebildeten und Gelehrten, Sklaven und Freien, Königen und Soldaten, Barbaren und Griechen mit größter Bereitwilligkeit aufgenommen.



5.

Man kann auch nicht sagen, das Evangelium sei deshalb von allen so bereitwillig angenommen worden, weil sein Inhalt gewöhnlich und einfach sei; es ist im Gegenteil weit erhabener, als was jene schrieben, Jungfrauschaft zum Beispiel ließen sie sich nicht einmal dem Namen nach auch nur träumen; ebensowenig[12] Armut, Fasten oder sonst etwas Ähnliches und Erhabenes. Unsere Lehrmeister hingegen haben nicht nur die böse Begierde verbannt und strafen nicht bloß die böse Tat, sondern sogar schon den unreinen Blick, ausgelassene Reden, Ungehörigkeit im Lachen, in der Haltung, im Gang, in der Stimme, ja bis auf die kleinsten Dinge erstreckt sich ihre genaue Aufmerksamkeit, und so haben sie die Blüte der Jungfräulichkeit über den ganzen Erdkreis verbreitet. Und über Gott und himmlische Dinge haben sie uns in einer Weise denken gelehrt, wie kein einzelner von jenen auch nur zu ahnen vermochte. Und wie hätten sie dies auch können, da sie ja Darstellungen von Tieren, Schlangen und noch niedrigeren Geschöpfen als Gottheiten verehrten? Diese erhabenen Lehren dagegen wurden gläubig aufgenommen, machen Fortschritte und breiten sich mit jedem Tag mehr aus. Jene Religion aber verschwindet und geht zugrunde, leichter noch, als wenn man ein Spinngewebe zerstört. Und das ganz mit Recht; denn sie wurde von den Dämonen gelehrt. Deshalb gibt es in ihr Zügellosigkeit, viel Unklarheit und noch weit mehr Mühsal. Oder was gäbe es Lächerlicheres als eine solche Lebensweisheit, wenn deren Lehrmeister, ganz abgesehen von dem, was ich schon erwähnte, noch ungezählte Seiten vollschreiben muß, um uns klar machen zu können, was z.B. Gerechtigkeit sei, und dazu noch seine Erörterung mit gar unverständlichem Wortschwall anfüllt? Wenn aber auch solches Gerede irgendeinen Nutzen hätte, für das praktische Leben der Menschen dürfte es wohl vollkommen zwecklos sein. Wollte ein Bauer, ein Schmied, ein Maurer oder ein Matrose, oder wer immer von seiner Hände Arbeit leben muß, sein Handwerk und seine ehrsame Arbeit verlassen, und so und so viele Jahre verlieren, um nur endlich zu wissen, was eigentlich Recht und Pflicht ist, so würden wohl die meisten vorher Hungers sterben, ehe sie überhaupt etwas gelernt haben, und würden vor lauter Lebensphilosophie einem vorzeitigen Tode verfallen, ohne sonst etwas Praktisches erlernt zu haben. 

   Bei uns dagegen ist es nicht so. Uns hat Christus in kurzen, aber treffenden Worten gelehrt, was recht, geziemend und nützlich ist, kurz, was nur irgendwie zum Begriff der Tugend gehört. Das eine Mal hat er gesagt: "In zwei Geboten sind Gesetz und Propheten enthalten, in der Liebe zu Gott und in der Liebe zum Nächsten" (Mt 22,40); und ein anderes Mal sagte er: "Was immer ihr wünschet, daß euch die Menschen tun, das tut auch ihr ihnen. Denn darin liegen das Gesetz und die Propheten beschlossen" (Mt 7,12). Ja, das kann auch ein Bauer, ein Knecht oder eine Witwe, selbst ein Kind und sogar ein offenbar ganz einfältiger Mensch mit Leichtigkeit erfassen und verstehen. So ist es ja immer mit der Wahrheit, und auch die Tatsachen bestätigen dies. Denn alle erfuhren da, was sie zu tun hätten; und sie erfuhren es nicht bloß, sondern bemühten sich auch, darnach zu leben; und das nicht bloß in den Städten und in der großen Öffentlichkeit, nein, selbst auf den einsamen Höhen der Berge. Denn auch dort kannst du gar viele Lebensweisheit finden, Engelchöre in Menschengestalt leuchten und das Leben im Himmel auf Erden verwirklicht sehen.[13] Ja diese Fischer haben uns eine Lebensnorm hinterlassen und nicht wie die Philosophen eigens befohlen, daß man sie schon von Jugend an beobachten müsse, auch nicht für den, der nach Tugend streben wollte, ein bestimmtes Alter vorgeschrieben, sondern sich unterschiedslos an jedes Alter gewandt. Was jene[14] sagen, sind eben Albernheiten und Spielereien, die Lehren[15] aber sind Wirklichkeit und Wahrheit. Diesem Lebensideal haben sie den Himmel als Schauplatz angewiesen, und Gott als seinen Erfinder und als Urheber jener himmlischen Gesetze hingestellt; und so war es auch notwendig. Den Kampfpreis eines solchen Lebens aber bilden nicht Lorbeerkränze oder Ölbaumzweige, kein öffentliches Ehrengastmahl und nicht eherne Standbilder, die da so kalt und nutzlos sind, sondern das ewige Leben, die Kindschaft Gottes, der Verkehr mit den Engeln und die Erlaubnis, vor dem königlichen Throne zu stehen und immerdar mit Christus zu sein.



6.

Die Lehrmeister dieses Lebens sind sodann Zöllner, Fischer und Zeltmacher, die nicht bloß für kurze Zeit lebten, sondern für die ganze Ewigkeit fortleben. Deshalb sind sie auch nach ihrem Tode imstande, denen, die diese Lebensweise führen, gegebenenfalls von größtem Nutzen zu sein. Diese Lebensart bedeutet aber Kampf, nicht gegen Menschen, sondern gegen die Dämonen und die unsichtbaren Mächte. Darum ist auch ihr oberster Führer nicht ein Mensch oder ein Engel, sondern Gott selbst. Auch die Waffen dieser Krieger entsprechen der Natur dieses Kampfes; denn sie sind nicht von Leder[16] und Eisen, sondern bestehen aus Wahrheit, Gerechtigkeit, Glaube und jeglicher Tugend. Da also diese Lebensweise auch den Inhalt dieses Buches ausmacht, und wir jetzt darüber reden wollen, so haben wir genau acht auf das, was Matthäus hierüber so klar und deutlich lehrt. Denn es sind ja nicht seine Worte, um die es sich handelt, sondern diejenigen Christi, der dieses neue Leben begründet hat. Wir wollen uns aber Mühe geben, damit auch wir imstande seien, diese Lebensweise auf uns zu nehmen und uns darin auszuzeichnen mit denen, die schon vor uns so gelebt und die nimmer welkenden Siegeskränze dafür empfangen haben. Manchen kommt es nun vor, als sei das Evangelium gar leicht zu verstehen, die Propheten dagegen sehr schwer. Das meinen aber nur jene, welche die Tiefe der Gedanken nicht erfassen, die in ihm verborgen liegen. Deshalb bitte ich euch, mir mit Eifer und Aufmerksamkeit zu folgen, damit wir unter Christi Leitung bis in die verborgensten Tiefen der Hl. Schrift einzudringen vermögen. Damit ihr aber die Predigten leichter versteht, so bitte ich euch inständig[17] , den Abschnitt des Evangeliums aufzuschlagen, der jeweils zur Erklärung kommt, damit die Lesung dem Verständnis den Weg bereite, wie damals bei dem Eunuchen (Ac 8,26 ff), und auch auf diese Weise die Sache erleichtert werde. Der Rätsel sind nämlich gar viele. 

   Beachte darum gleich zu Anfang des Evangeliums, wie viele Fragen sich da einem aufdrängen können. Zum ersten, weshalb gerade der Stammbaum Josephs aufgeführt wird, obwohl Joseph ja gar nicht der Vater Christi war? Zweitens, wie wir beweisen können, daß Christus aus dem Geschlechte Davids war, da wir doch die Voreltern Marias, seiner Mutter, nicht kennen? denn der Stammbaum der Jungfrau ist nirgends angegeben. Drittens, weshalb die Vorfahren Josephs aufgezählt werden, der gar nichts mit der Geburt des Herrn zu tun hatte, während von der Jungfrau, die seine Mutter geworden, nicht angegeben ist, von welchen Eltern, Großeltern und Vorfahren sie stammt. Außerdem müssen wir noch fragen, weshalb der Evangelist auch Frauen erwähnt, da er doch nur die männliche Verwandtschaftslinie aufführt? Und nachdem er dies doch schon einmal tun wollte, erwähnt er gleichwohl nicht alle Frauen, sondern hat mit Übergehung der guten, wie z.B. Sarahs, Rebekkas und anderer, nur die übel beleumundeten aufgeführt, wie z.B. die Unzüchtigen, die Ehebrecherischen, die Unehelichen und solche, die von ausländischen oder barbarischen Völkern abstammten. So erwähnte er die Frau des Urias (2S 11,6ff), die Thamar (1Ch 22,45), die Rahab (Gn 38,46), die Ruth (Rt 2). Von diesen war die zweite nicht jüdischen Geschlechts, die dritte trieb Unkeuschheit, die vierte wurde von ihrem Schwiegersohn entehrt, nicht etwa auf Grund der Leviratsehe, sondern sie hat die Verbindung erschlichen, indem sie Hurenkleider anlegte. Die Frau des Urias aber ist ob der außergewöhnlichen Größe des Verbrechens einem jeden bekannt. Gleichwohl hat der Evangelist alle anderen Frauen übergangen und nur diese in seine Genealogie aufgenommen. Wenn er aber doch schon einmal Frauen erwähnen wollte, so hätte er auch gleich alle nennen sollen; und wenn schon nicht alle, so doch einige, und zwar solche, die sich durch ihre Tugend und nicht durch ihre Sünden einen Namen gemacht haben. Ihr seht also, wie große Aufmerksamkeit schon im ersten Kapitel vonnöten ist, während manchen die Einleitung klarer zu sein scheint als das übrige, manchen vielleicht sogar überflüssig, als eine bloße Aufzählung von Namen. 

   Ferner ist auch die Frage am Platze, weshalb der Evangelist drei Könige überging[18] . Denn wenn er ihre Erwähnung ob ihrer besonders großen Gottlosigkeit unterließ, so hätte er auch die anderen nicht erwähnen dürfen, die gerade so schlecht waren. Auch das bietet nämlich eine weitere Schwierigkeit, daß er zwar sagte, es seien vierzehn Generationen, in der dritten Reihe aber die Zahl nicht einhielt. Weshalb hat ferner Lukas andere Namen aufgeführt, und zwar nicht nur nicht ganz die gleichen, sondern auch eine weit größere Anzahl, während dagegen Matthäus weniger Namen hat und dazu noch verschiedene, obwohl auch er mit Joseph schließt, so wie Lukas getan? Ihr seht also, wie sehr man achtgeben muß, nicht bloß, um Fragen zu lösen, sondern um überhaupt nur zu merken, wo Schwierigkeiten vorhanden sind! Es ist nämlich auch das gar nicht so leicht, die Punkte herauszufinden, die Schwierigkeiten enthalten. So ist z.B. auch die Frage schwer zu lösen, wieso Elisabeth, die doch zum Stamme Levi gehörte, mit Maria verwandt sein konnte?



7.

Um aber nicht durch überreichen Stoff euer Gedächtnis zu beschweren, wollen wir hier stehen bleiben. Um eure Aufmerksamkeit zu erregen, genügt es ja, die Fragepunkte bloß zu kennen. Wenn ihr aber auch nach deren Lösung verlangt, so könnt ihr auch hierüber entscheiden, noch bevor ich zu reden angefangen. Wenn ich nämlich sehe, daß ihr achtgebt und Verlangen nach Belehrung zeigt, so will ich versuchen, auch die Lösung der Fragen zu geben. Wenn ich hingegen bemerke, daß ihr gähnt und unachtsam seid, dann werde ich euch weder auf die Fragen aufmerksam machen, noch deren Lösung geben, eingedenk der göttlichen Mahnung, die da sagt: "Gebt das Heilige nicht den Hunden und werfet eure Perlen nicht den Schweinen vor, damit sie von ihnen nicht zertreten werden" (Mt 7,6). Wer sind aber diejenigen, die Perlen mit Füßen treten? Das sind jene, welche das Wort Gottes nicht heilig und in Ehren halten. Wer aber, sagst du, wäre so verwegen, das Wort Gottes nicht zu ehren und über alles hochzuachten? Das ist jeder, der für das Wort Gottes nicht einmal soviel Zeit opfern will wie für die schamlosen Weiber in den teuflischen Theatern. Dort sitzen sie tagelang in hellen Haufen, vernachlässigen mit solch ungehörigem Zeitvertreib[19] ihre häuslichen Geschäfte, merken sich dabei genau, was sie etwa gehört haben und behalten es zum Verderben ihrer eigenen Seelen im Gedächtnis. Hier aber läßt sich Gott selbst vernehmen, und da bringen sie es nicht über sich, auch nur kurze Zeit zu verweilen. Deshalb haben wir auch nichts mit dem Himmel gemein, weil unser Leben sich in bloßen Reden bewegt. Und doch hat uns Gott deswegen sogar die Hölle angedroht, nicht um uns hineinzustürzen, sondern um uns anzutreiben, diesem Schreckensorte[20] zu entfliehen. Wir aber tun gerade das Gegenteil; wir laufen jeden Tag auf dem Wege, der dorthin führt; und während uns Gott befiehlt, sein Wort nicht nur zu hören, sondern es auch zu befolgen, sind wir nicht einmal bereit, es auch nur zu hören. Wann also, sage mir, wann werden wir seine Gebote halten und sie ins Werk setzen, da wir ja nicht einmal davon reden hören wollen, vielmehr unwillig werden und uns während der Predigt langweilen, wenn sie auch noch so kurz ist? Wenn sodann wir selber über ganz gleichgültige Dinge reden und merken, daß einer aus der Gesellschaft nicht achtgibt, so betrachten wir dies als eine Beleidigung. Daran aber denken wir nicht, daß wir Gott erzürnen, wenn er über so wichtige Dinge zu uns spricht, wir aber seiner Worte nicht achten, sondern anderswohin sehen. Ein gereifter und vielgereister Mann kann uns die Entfernungen, die Lage und das Aussehen von Städten, Hafenplätzen und Märkten mit größter Genauigkeit beschreiben; wir aber wissen nicht einmal, wie weit wir von der Stadt Gottes entfernt sind; sonst würden wir uns vielleicht auch bemühen, die Länge zu vermindern, wenn wir die Entfernung kennten. Denn die Entfernung zwischen jener Stadt und uns ist nicht bloß so groß wie die zwischen Himmel und Erde, sondern noch viel größer, sobald wir uns nicht um sie kümmern; wenn uns dagegen Eifer beseelt, so werden wir schon in kürzester Frist an ihre Tore gelangen. Denn diese Entfernungen werden nicht mit geographischem Maßstabe, sondern nach Gesinnung und Lebensweise bemessen.



8.

Was sich in dieser Welt ereignet, das weißt du ganz genau, sei es neu oder alt und vergangen; und du kannst die Fürsten aufzählen, unter denen du früher gedient hast, die Kampfrichter, die Preisträger, die Heerführer, lauter Dinge, die dir gar nichts nützen können. Wer aber der Gebieter über jene Stadt ist, wer dort den ersten, den zweiten, den dritten Platz einnimmt, oder wie lange ein jeder dort ist, oder was einer dafür hatte tun oder leisten müssen, das zu überlegen fällt dir nicht einmal im Traume ein. Und von den Gesetzen, die in dieser Stadt Geltung haben, willst du selbst andere nicht reden hören, noch darauf achten. Wie kannst du also da erwarten, jene verheißenen Güter zu erlangen, wenn du nicht einmal auf das Gesagte achthaben willst? Indes, wenn wir dies doch schon früher nicht getan haben, tun wir es wenigstens jetzt. Wir werden ja, wenn Gott es fügt, in eine Stadt einziehen, die von Gold strahlt, ja die noch kostbarer ist als alles Gold. Prüfen wir daher ihre Fundamente, betrachten wir ihre Tore, die aus Saphirsteinen und Perlen bestehen. Den besten Führer haben wir ja in Matthäus. Er ist das Tor, durch das wir jetzt hindurchgehen, und zwar heißt es dabei großen Eifer zeigen. Denn wenn er einen sieht, der nicht acht hat, so jagt er ihn aus der Stadt hinaus. Denn es ist dies eine gar königliche und herrliche Stadt, nicht wie die unserigen, in denen der Marktplatz vom Königspalast getrennt ist; denn dort ist alles Königspalast. 

   Öffnen wir also die Tore unseres Geistes, und haben wir acht; machen wir uns bereit, mit größter Ehrfurcht die Schwelle zu überschreiten, um den König anzubeten, der darin ist. Denn gar leicht kann die erste Begegnung den Zuschauer außer Fassung bringen. Jetzt sind uns zwar die Tore noch verschlossen; wenn wir sie aber einmal geöffnet sehen[21] , dann werden wir eine Fülle blendenden Lichtglanzes darin schauen. Denn dieser Zöllner, durch das Licht des Geistes geleitet, verspricht dir alles zu zeigen: wo der Thron des Königs ist und welche Heerscharen ihm zur Seite stehen, wo die Engel sind, wo die Erzengel; wo in dieser Stadt der Platz der Neuangekommenen sich befindet, und welches der Weg ist, der dahin führt; welche Stellung die einnehmen, die zuerst das Bürgerrecht daselbst erworben haben, und welche diejenigen, die nach ihnen kamen, und dann die nach diesen; ferner wie viele Abteilungen es gibt unter jenen Bürgern, wie viele im Rate sitzen, und wie viele Rangstufen von Würdenträgern es gibt. Treten wir also ein, nicht mit Geräusch und Lärm, sondern in geheimnisvollem Schweigen. Denn wenn man schon im Theater einen kaiserlichen Erlaß erst dann verliest, nachdem vollständige Ruhe eingetreten ist, um wieviel mehr gehört es sich, daß in dieser Stadt alle in Ruhe und Ordnung sich befinden und in der rechten Seelenstimmung aufmerksam dastehen! Nicht eines irdischen Königs Schreiben soll da verlesen werden, sondern dasjenige des Herrn der Engel. Wenn wir unseren Geist in diese Verfassung bringen, dann werden wir unter der wirksamen Fügung des Hl. Geistes bis an die Stufen des königlichen Thrones gelangen, und alles Guten teilhaftig werden, durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem Ehre und Macht gebührt mit dem Vater und dem Hl. Geist, jetzt und immer und in alle Ewigkeit. Amen.






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