Kommentar zum Evangelium Mt 44

Vierundvierzigste Homilie. Kap.XII,V.46-Kap.XIII,V.9.

44 Mt 12,46-13,9
1.

V.46: "Während er aber noch zu der Menge sprach, siehe, da standen seine Mutter und seine Brüder draußen und verlangten mit ihm zu reden. 

   V.47: Jemand aber sagte zu ihm: Siehe, Deine Mutter und Deine Brüder ste hen draußen und verlangen mit Dir zu reden. 

   V.48: Er aber antwortete und sagte zu dem, der sprach: Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder? 

   V.49: Und er wies mit der Hand auf seine Jünger hin und sagte: Siehe da meine Mutter und meine Brüder." 

   Was ich schon früher gesagt habe, das zeigt sich auch jetzt wieder klar und deutlich: daß nämlich ohne Tugend alles andere nichts nützt. Ich habe gesagt, das Alter, die Natur, das Leben in der Einsamkeit und alle anderen Dinge dieser Art helfen nichts, wenn die rechte Absicht nicht da ist. Heute erfahren wir noch etwas mehr, daß nämlich nicht einmal Christi Mutter zu sein und ihn auf jene wunderbare Weise geboren zu haben Nutzen bringt, wenn die Tugend fehlt. Das ergibt sich besonders aus den Worten: "Während er noch zu der Menge sprach, sagte ihm jemand: Deine Mutter und Deine Brüder fragen nach Dir." Der Herr aber erwiderte: "Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder?" Das sagte er aber nicht, als ob er sich seiner Mutter schämte, oder diejenige verleugnen wollte, die ihn geboren. Hätte er sich ihrer schämen müssen, so hätte er sie nicht zu sei ner Mutter erwählt; vielmehr wollte er damit zeigen, daß ihr auch das nichts nützt, wenn sie nicht alle Gebote getreulich erfüllt. Denn das, was sie tat, entsprang allzu großer Eitelkeit. Sie wollte vor dem Volke zeigen, daß sie Macht und Autorität über ihren Sohn besitze, obgleich sie noch nicht die geringste Ahnung von seiner Größe besaß. Deshalb kam sie, auch zu einer Unzeit daher. Beachte jedoch, wie aufdringlich sie und die anderen sich benehmen. Sie hätten entweder nach ihrem Eintreffen mit dem Volke zuhören sollen, oder, wenn sie das nicht wollten, warten müssen, bis der Herr seine Rede beendet hatte, und dann erst hinzu gehen. Statt dessen riefen sie ihn hinaus, und zwar vor allen Leuten, und bekunden damit ihre allzu große Eitelkeit, daß sie zeigen wollten, daß sie genug Autorität besäßen, um ihm Befehle zu erteilen. Das zeigt auch der Evangelist durch seinen Tadel. Denn gerade darauf deutet er hin mit den Worten: "Noch während er zum Volke redete"; gerade als wollte er sagen: Hätten sie nicht auch eine andere Zeit wählen können? Hätten sie nicht auch privatim mit ihm reden können? Was wollten sie ihm auch sagen? Woll ten sie über die Lehren der Wahrheit unterrichtet werden, so mußten sie dies öffentlich und vor allem Volke tun, damit auch die anderen davon Nutzen hätten; wollten sie aber von anderen Dingen reden, die nur sie allein angingen, so durften sie sich nicht in dieser Weise vordrängen. Wenn der Herr schon nicht erlaubte, den eigenen Vater zu begraben, damit der Eintritt in seine Jüngerschaft keinen Aufschub erleide<f>Mt 8,2122</f> , so dürfte man um so weniger seine öffentlichen Predigten unterbrechen mit Dingen, die gar nicht dahin gehörten. 

   Daraus ergibt sich klar, daß sie dies nur aus Ehrgeiz taten. Das gibt auch Johannes zu verstehen mit den Worten: "Nicht einmal seine eigenen Brüder glaubten an ihn"<f>Joh 7,5</f> . Er zitiert auch ihre Worte, die ihre ganze Torheit bekunden, und sagt, sie hätten den Herrn nach Jerusalem bringen wollen, aus keinem anderen Grunde, als damit auch sie selber durch seine Wundertaten noch etwas Glanz und Ehre fänden. "Denn", sagten sie, "wenn du solche Dinge vollbringen kannst, so zeige Dich doch der Welt: niemand tut ja etwas im Verborgenen, wenn er berühmt sein will"<f>Joh 7,4</f> . Das hat ihnen denn auch der Herr selbst verwiesen und ihnen ihre irdische Gesinnung vorgeworfen. Weil nämlich die Juden höhnten und sagten: "Ist nicht dieser der Sohn des Zimmermannes; wissen wir etwa nicht, wer sein Vater und seine Mutter ist; und sind nicht seine Brüder unter uns?"<f>Mt 13,5556</f> ; Mk 6,3</f> , so wollten sie damit ihre niedrige Abkunft verdecken, und forderten ihn deshalb auf, seine Wunderkraft zu zeigen. Darum weist er sie auch ab, um sie von dieser Krankheit zu heilen. Hätte er jedoch seine Mutter verleugnen wollen, so hätte er sie damals verleugnet, als die Ju den über ihn höhnten. Nun aber sehen wir Christus so sehr für sie besorgt, daß er sogar noch am Kreuze sie dem Jünger anvertraute, den er von allen am meisten liebte, und daß er gar große Sorge um sie an den Tag legte. Hier macht er es dagegen nicht so; aber nur aus Fürsorge für sie und sei ne Brüder. Da sie ihn nämlich wie einen bloßen Menschen ansahen und dazu nur aus Eitelkeit gekommen waren, so heilt er ihre Krankheit, nicht in der Absicht, sie zu beschämen, sondern sie zu bessern. 

   Du aber sollst nicht bloß auf die Worte sehen, die einen angemessenen Tadel enthalten, sondern auch auf den Unverstand und die Zudringlichkeit, die seine Brüder an den Tag legten, und darauf, wer derjenige war, der den Tadel aussprach: nicht ein bloßer Mensch, sondern der eingeborene Sohn Gottes. Und was beabsichtigte er mit seinem Tadel? Er wollte ja seine Mutter nicht in Verlegenheit bringen, sondern nur von der gewalttätigsten aller Leidenschaften befreien und sie langsam dahin bringen, daß sie die rechte Ansicht über ihn bekäme, und die Überzeugung gewänne, er sei nicht bloß ihr Sohn, sondern auch ihr Herr. Da wirst du auch sehen, daß sein Tadel nicht bloß am Platze war, sondern ihr auch wirklich Nutzen brachte, und daß er außerdem noch sehr milde gehalten war. Er erwiderte ja nicht: Geh und sage der Mutter: du bist nicht meine Mutter, sondern fährt, zu dem Sprecher gewendet, fort: "Wer ist meine Mutter?" Er will mit diesen Worten auch noch auf etwas anderes vorbereiten. Und worauf? Daß weder sie noch die anderen, die auf ihre Abstammung vertrauen, die Tugend vergessen dürften.Denn wenn es nicht einmal ihr genügt hätte, seine Mutter zu sein, ohne daß sie auch Tugend besaß, so dürfte wohl kaum überhaupt jemand infolge bloßer Abstammung gerettet werden. Es gibt eben nur einen wahren Adel, nämlich den Willen Gottes zu tun: diese Art Adel ist besser und vornehmer als jene.



2.

. In diesem Bewußtsein wollen wir also weder auf Kinder stolz sein, die Hervorragendes leisten, wenn wir selbst nicht ebenso tüchtig sind, wie sie, noch auch auf berühmte Väter, wenn wir ihnen an Tugend nicht gleichkommen. Es ist ja ganz gut möglich, daß derjenige, der Kinder hat, kein wahrer Vater ist, wohl aber einer, der keine hat. Als darum ein anderes Mal eine Frau sagte: "Selig der Leib, der Dich getragen, und die Brust, die Du gesogen hast" (Lc 11,27), da erwiderte er auch nicht: mich hat kein Leib getragen und ich habe keine Brust gesogen, sondern: "Selig vielmehr jene, die den Willen meines Vaters tun!" (Lc 11,28). Siehst du, wie er weder nach oben noch nach unten seine natürliche Abstammung verleugnet; nur fügt er noch den Adel der Tugend hinzu. Und als der Vor läufer ausrief: "Ihr Vipernbrut, prahlet nicht immer und sagt: Wir haben Abraham zum Vater" (Mt 3,7 u. Mt 3,9). da wollte er auch nicht sagen, sie seien nicht Kinder Abrahams der Natur nach, sondern nur, daß es sie gar nichts nütze, von Abraham abzustammen, wenn sie nicht auch zugleich den sittlichen Adel besäßen. Dasselbe hat uns Christus gelehrt mit den Worten: "Wenn ihr Kinder Abrahams wäret, so würdet ihr die Werke Abrahams tun" (Jn 8,39). Er wollte ihnen damit auch nicht ihren Geburtsadel absprechen, sondern nur sie dazu anleiten, auch den höheren und vornehmeren Adel[411] anzustreben. Dasselbe bezweckt Jesus Auch hier; aber er tut es in snafter und schonender Weise; es war ja seine Mutter, zu der er sprach. Darum <sagte er nicht: das ist nikcht meine Mutter, ds sind nicht meine Brüder, weil sie nicht meinen Willen tun. Er hat weder eine Meinung geäußert, noch hat er sie verurteilt; dagegen ließ er ihnen noch die Möglichkeit offen, das Rwechte zu wollen, indem er mit der gewohnten Sanftmut sprach: 

   V.50: "Wer den Willen meines Vaters tut, der ist mir Bruder, Schwester und Mutter." 

   Wenn die dies also sein wollten, so müßten sie auf diesem Wege kommen. Als jene FGrau ausrief: "Selig der Leib, der Dich getragen hat", da erwiderte er nicht: Ich habe keine Mutter, sondern: "Wenn sie selig sein will, dann tut sie den Willen meines Vaters. Denn wer so handelt, der ist mir Bruder, Schwester und Mutter." O welche Ehre, o welche Tugend! Zu welcher Höhe führt sie den, der sie anstrebt! Wie viele Frauen haben diese hl. Jungfrau und ihren Schoß selig gepriesen, und gebetet, daß auch sie solche Mütter werden möchten und alles andere dafür hingäben! Nun, was hindert sie daran? Siehe, der Herr hat uns einen breiten Weg geöffnet, und zwar können auf ihm nicht bloß Frauen, sondern auch Männer diese hohe Würde erlangen; ja eigentlich eine noch viel höhere. Denn Gottes Willen tun macht noch viel mehr zur Mutter[412] , als jene Geburtswehen. Wenn also schon jene Mutterschaft selig zu preisen ist, dann noch viel mehr diese, die ja auch die Vor züglichere ist. Trage also nicht bloß einfach Verlangen, gib auch gar sorgfältig acht auf den Weg, der dich zum Ziel deines Verlangens führt. 

   Nachdem also der Herr diese Antwort gegeben, trat er aus dem Hause. Siehst du da, wie er sie zwar zurecht wies, aber doch tat, was sie woll ten? Geradeso handelte er auf jener Hochzeit[413] . Auch dort tadelte er seine Mutter, die ihre Bitte zur Unzeit stellte; aber dennoch war er ihrem Wunsche nicht entgegen. Durch das erstere hat er ihre Schwachheit gebessert, durch das zweite seine Liebe zu seiner Mutter bekundet. Geradeso heilte er auch hier zuerst den Fehler der Ruhmsucht, und erwies dann der Mutter die gebührende Ehre, obgleich sie eine unzeitige Bitte vorgebracht hatte. 

   Kap. XIII. V.1: "Denn an jenem, Tage", heißt es weiter, trat der Herr aus dem Haus und setzte sich an das Ufer des Sees." 

   Wenn ihr, so sagt er gleichsam, sehen und hören wollt, wohlan, ich komme heraus und rede mit euch. Da er nämlich vorher viele Zeichen gewirkt, bietet er ihnen jetzt wieder Gelegenheit, aus seiner Lehre Nutzen zu ziehen. Und er setzte sich an den See, um diejenigen zu fischen und nach denen die Netze auszuwerfen, die auf dem Lande saßen. Doch setzt er sich nicht ohne bestimmte Absicht an den See. Gerade darauf spielt auch der Evangelist an. Er wollte nämlich zeigen, daß der Herr dies in der Absicht getan hat, den Schauplatz genau auszuwählen, und zwar so, daß er niemand in seinem Rücken ließe, sondern alle vor sich habe. Darum sagt er: 

   V.2: "Und es versammelten sich große Scharen um ihn, so daß er ein Schiff besteigen mußte, in dem er sich niedersetzte; und das ganze Volk stand am Ufer." Nachdem er aber darin Platz genommen, sprach er zu ihnen in Gleichnissen. 

   V.3: "Und", heißt es, "er sprach zu ihnen vieles in Parabeln." Auf dem Berge hat er es allerdings nicht so gemacht, und hat nicht so viele Gleichnisse in seine Rede eingewoben. Damals hatte er eben nur gewöhnliche Leute vor sich und ungebildetes Volk; hier waren aber auch Schriftgelehrte und Pharisäer zugegen. Da beachte auch, welches Gleichnis der Herr zuerst vorbringt, und wie Matthäus sie ganz in ihrer richtigen Reihenfolge aufzählt. Welches Gleichnis bringt er also zuerst? Dasjenige, das er zuerst bringen mußte, um die Aufmerksamkeit des Zuhörers zu wecken. Da er nämlich nicht klar und deutlich zu ihnen reden wollte, so regte er die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer zuerst durch ein Gleichnis an. Darum berichtet auch ein anderer Evangelist, er habe ihnen vorgeworfen, daß sie ihn nicht verständen und habe gesagt: "Wie? Ihr habt das Gleichnis nicht verstanden?" (Mc 4,13). Allein nicht bloß deshalb redete er in Gleichnissen, sondern auch, um seiner Rede noch mehr Nachdruck zu berlei hen, sie besser dem Gedächtnisse einzuprägen und die Dinge recht anschau lich zu machen. So haben auch die Propheten getan.



3.

. Wie lautet also das Gleichnis? "Siehe, es ging der Sämann hinaus, um zu säen." Von wo ging er hinaus? Er ist ja doch allgegenwärtig und füllt allen Raum aus. Oder wie ging er hinaus? Nicht dem Orte nach, sondern durch die Art und Weise, wie er sich gegen uns verhielt und für uns sorgte,indem er uns näher trat durch das Gewand des Fleisches. Da es uns nicht möglich war, hineinzukommenm, weil unsere Sünden uns den Eingang versperrten, so kam er zu uns heraus. Um die dornenbesäte Erde zu vernichten? Um ihre Bebauer zu züchtigen? Keineswegs. Er kam, um sie zu bebauen, sich ihrer anzunehmen und Gottesfurcht und Frömmigkeit in ihr auszusäen. Unter dem Samen versteht er nämlich hier seine Lehren; unter dem Feld aber die Seelen der Menschen; der Sämann ist er selbst. 

   Was geschieht nun aber mit diesem Samen? Zu drei Bierteln geht er zugrunde, ein Viertel wird gerettet. 

   V.4: "Und als er den Samen ausstreute, fiel ein Teil neben den Weg; und es kamen die Vögel und fraßen ihn." 

   Es heißt nicht, er habe ihn hingeworfen, sondern, er sei hingefallen. 

   V.5: "Ein anderer Teil fiel auf steinigen Grund, wo er nicht viel Erde fand; und alsbald ging er auf, weil er nicht rief in der Erde lag. V.6: Als aber die Sonne aufstieg und es heiß wurde, da verdorrte er, weil er keine Wurzel hatte. V.7: Ein anderer Teil fiel unter die Dornen, und die Dornen wuchsen auf und erstickten ihn. V.8: Ein anderer Teil fiel auf gutes Erdreich und brachte Freucht, teils hundert, teils sechzig,teils dreißigfach. V.9: Wer Ohren hat, zu hören, der höre.". 

   Der vierte Teil ward gerettet, und selbst dieser nicht gleichmäßig; auch da war noch ein großer Unterschied. So sprach aber der Herr, um zu zeigen, daß er sein Wort in reichlichem Maße an alle gerichtet habe. Wie nämlich der Sämann keinen Unterschied macht unter dem Saatgrund, son dern einfach unterschiedslos den Samen ausstreut, so macht auch Jesus keinen Unterschied zwischen Reich und Arm, Gebildeten und Ungebildeten, Lauen und Eifrigen, Mannhaften und Feigen, sondern sprach zu allen und tat soviel als an ihm lag, obgleich er voraussah, wie es kommen werde. Er wollte eben sagen können: "Was hätte ich noch tun sollen, das ich nicht getan habe?" (Is 5,4). Die Propheten vergleichen das Volk mit einem Weinstock:"Ein Weinstock", heißt es,"sproßte für den Geliebten" und "einen Weinstock hat er aus Ägypten verpflanzt" (Ps 79,9). Er selbst vergleicht es mit dem Samen. Was will er damit sagen? Daß der Gehorsam jetzt schneller und auch leichter sein werde, und in kurzer Zeit Frucht trage.Wenn du aber die Worte hörst: "Der Sämann ging hinaus, um zu säen", so halte den Zusatz nicht für überflüssig. Der Sämann geht ja auch oft zu anderen Geschäften hinaus, so z.B. zum Umgraben, oder um die schädlichen Triebe abzuschneiden. 

   Wie kommt es nun aber, sage mir, daß der größere Teil des Samens zugrunde ging? Die Schuld liegt nicht am Sämann, sondern an dem Erdreich, das den Samen aufnimmt, das heißt, an der Seele, die nicht acht gibt. Wa rum sagt er aber nicht: Einen Teil haben die Lauen erhalten und verderben lassen, einen anderen die Reichen und ließen ihn ersticken, wieder einen anderen die Weichlichen und sie kümmerten sich nicht um ihn? Weil der Herr ihnen nicht allzu nahe treten will, um sie nicht in Verzweiflung zu bringen; er überließ es vielmehr dem Gewissen eines jeden einzelnen unter den Zuhörern, sich selbst anzuklagen. Doch war dieses Schicksal nicht bloß dem Samen beschieden, sondern auch dem Netze. Auch dieses enthielt ja viel Unbrauchbares. Der Herr erwähnt aber dieses Gleichnis, um seine Jünger zu stärken und dahin zu bringen, wenigstens selbst nicht schwach zu werden, wenn auch sein Wort bei der Mehrzahl derer, die es hörten, fruchtlos blieb. So erging es ja auch dem Herrn selbst; aber dennoch hat er nicht abgelassen, obwohl er genau vorher wußte, daß es so kommen werde. 

   Aber, fragst du, welchen Sinn soll das haben, in Dornen zu säen, auf Felsen und auf einen Weg? Bei wirklichem Samen und einem wirklichen Weg hätte es allerdings keinen Sinn, wo es sich aber um Seelen und deren Unterweisusng handelt, da verdient dies gar großes Lob. Würde ein Landmann mit seinem Samen so umgehen, so möchte man ihn wohl mit Recht tadeln; denn ein Felsen wird ja doch nicht zum Erdreich werden und die Straße muß Straße bleiben, so gut wie die Dornen: Dornen. Auf geistigem Ge biete dagegen ist es nicht so. Da kann ein Felsen umgewandelt und zu fruchtbarem Erdreich gemacht werden, und ein Weg kann dem Gebrauch entzogen und nicht mehr jedem Vorübergehenden zugänglich sein und dafür zum fetten Ackerland werden; und die Dornen können beseitigt werden, damit der Same ruhig darauf gedeihe. Wäre das nicht möglich, so würde auch der Herr nicht aussäen. Wenn aber dieser Wandel nicht bei allen eintritt, so liegt die Schuld daran nicht bei dem, der aussät, sondern bei denen, die sich nicht umwandeln lassen wollen. Der Herr hat ja getan, was an ihm lag. Wenn aber die anderen nichts von ihm und seiner Sache wissen woll ten, so ist nicht er dafür verantwortlich, der ihnen ja so große Liebe erzeigt hat. 

   Du aber beachte auch noch den Umstand, daß es nicht bloß einen Weg zum Verderben gibt, sondern verschioedene und solche, die weit auseinander liegen. Die einen gleichen nämlich der öffentlichen Straße; das sind die Gemeinen, die Leichtfertigen, die Nachlässigen. Die anderen gleichen dem Felsen; das sind die, welche nur zu schwach sind. 

   V.20: "Denn", sagt er, "der Samen, der auf felsigen Grund gestreut ward, ist derjenige, der das Wort hört und es alsbald mit Freude erfaßt; 

   V.21: doch hat er keine Wurzel in sich, sondern lebt nur kurze Zeit;kommt dagegen Trübsal oder Verfolgung wegen des Wortes, so nimmt er alsbald Ärgernis. 

   V.19: So oft einer das Wort der Wahrheit hört und nicht versteht, kommt der Böse und stiehlt den Samen aus seinem Herzen. Das ist der Same, der neben den Weg gestreut wurde." 

   Es ist aber nicht dasselbe, ob die gute Lehre fruchtlos bleibt, ohne daß man von etwas gekränkt oder belästigt wird, oder ob es geschieht infolge von Versuchungen. Jene aber, die den Dornen gleichen, verdienen noch viel weniger Nachsicht als diese.



4.

. Damit also uns nichts Derargtiges widwerfahre, wollen wir den Samen des Wortes mit dem Erdreich der Bereitwilligkeit und des fortwährenden Andenkens bedecken. Denn wenn auch der Teufel es rauben will,es steht doch in unserer Macht, es uns nicht rauben zu lassen. Und wenn der Same verdorrt, so geschieht dies nicht wegen der Hitze[414] ; und wenn die Worte ersticken, so sind nicht die Dornen daran schuld, sondern diejenigen, welche die Dornen wachsen lassen. Wenn du nur willst, so kannst du ja dieses verderbliche Gewächs hindern und den Reichtum in der richtigen Weise gebrauchen. Deshalb sagte er nicht: die Welt, sondern "die Sorge für die Welt"; auch nicht: der Reichtum, sondern: "der Trug des Reichtums". Schieben wir also die Schuld nicht auf die weltlichen Geschäfte, sondern auf unsere eigene verkehrte Gesinnung.Denn man kann auch reich sein, ohne sich täuschen zu lassen, und kann in dieser Welt leben, ohne von Sorgen erdrückt zu werden. Der Reichtum bringt eben zwei große, entgegengesetzte Nachteile mit sich. Der eine peinigt und macht finster, das ist die Sorge. Der andere macht weichlich, das ist die Üppigkeit. Treffend sagt auch der Herr; "die Täuschung des Reichtums". Denn im Reichtum ist alles Täuschung; er ist nur ein Name, dem nichts Wirkliches zugrunde liegt. Auch die Lust, der Ruhm, der Schmuck und all diese Dinge sind je nur Einbildung, nicht Wahrheit und Wirklichkeit. 

   Nachdem also der Herr gesagt hat, auf wie vielfache Art und Weise der Same zugrunde gehen kann, so erwähnt er zuletzt auch das gute Erdreich, damit niemand den Mut verliere; vielmehr will der die Hoffnung auf Sinnesänderung bestehen lassen und zeigen, daß manm von jedem der erwähn ten Fehler sich zur Buße bekehren könne. Indessen, wenn das Erdreich und der Sämann gut, sowie der Same bei allen der gleiche ist, warum trägt denn der eine hundertfache, der andere sechzigfache, der dritte nur dreißig fache Frucht? Dieser Unterschied liegt an der Natur des Erdreiches; denn auch wo dieses gut ist, weist es doch noch große Untertschiede auf. Siehst du also, daß nicht der Sämann die Schuld trägt, auch nicht der Same, sondern die Erde, die ihn aufnimmt; daß es nicht an der Natur liegt, sondern an der Gesinnung? 

   Hierin zeigt sich nun aber ein hohes Maß von Liebe, daß er nicht einen unmöglichen Grad von Tugend von allen verlangt, sondern daß er die ersten annimmt und die, die an zweiter Stelle kommen, nicht zuurückweist, und denen, so an dritter Stelle stehen, ebenfalls noch einen Platz einräumt. Das sagt er aber, damit jene, die ihm nachfolgen, nicht etwa glauben, es sei das bloße Anhören[415] zum Heile genügend. Warum aber, fragst du, hat er nicht auch die anderen Laster aufgezählt, wie zum Bei spiel die Fleiscchesliebe, die eitle Ruhmsucht? Durch die Ausdrücke: "Sorge für diese Welt" und "Trug des Reichtums" hat er eben alles andere mit inbegriffen. Denn auch eitle Ruhmsucht, sowie alles andere ist von dieser Welt und ist Trug des Reichtums, wie z.B.die böse Lust, Schlemmerei, Neid, Ehrgeiz und alles Derartige. Auch erwähnt er den Weg und den felsigen Grund, um zu zeigen, daß es nicht genug ist, bloß der Liebe zum Gelde zu entsagen, sondern daß man auch die anderen Tugenden üben müsse. Oder was nützt es dir, wenn du zwar keinen Reichtum be sitzest, dafür aber unmännlich und weichlich bist? Oder was nützt es, wenn du zwar nicht unmännlich bist, dafür aber leichtsinnig und nicht ernst im Anhören des Wortes? Ein einziger Teil genügt euch nicht zum Heile;vielmehr müßt ihr zuerst genau achtgeben und euch fortwährend an das Gehörte erinnern. Sodann braucht ihr Mannhaftigkeit und dann Ver achtung des Reichtums und Losschälung von aller Anhänglichkeit an das Irdische. Aus diesem Grunde nennt er auch dieses[416] vor jenem, weil dieses in erster Linie vonnöten ist. Denn wie werden sie glauben, wenn sie nicht hören?" (Rm 10,14 , wie ja auch wir nicht erfahren können, was wir zu tun haben, wenn wir nicht achtgeben auf das, was gesagt wird), dann erst nennt er die Mannhaftigkeit und die Verachtung der irdischen Dinge. 

   Nachdem wir also dieses gehört, wollen wir uns nach allen Seiten hin rüsten, wollen auf das, was gesagt wird, achthaben, die Wurzeln in die Tiefen gehen lassen und uns von aller Anhänglichkeit an irdische Dinge losmachen. Wenn wir dagegen nur das eine tun und das andere vernachlässi gen, so nützt uns alles übrige nichts; denn wenn wir nicht aus dem einen Grunde verloren gehen, dann eben aus dem anderen. Oder was verschlägt es, wenn wir zwar nicht wegen des Reichtums, dafür aber wegen Gleichgültigkeit zugrunde gehen; oder nicht wegen Gleichgültigkeit, dafür wegen Weichlich keit? Auch der Sämann ist ja betrübt, ob nun sein Same auf diese oder auf jene Weise zugrunde geht. Suchen wir also keinen Trost darin, daß wir nicht auf jede dieser Arten zugrunde gehen; trauern wir lieber, wenn wir auch nur aus einer dieser Ursachen verloren gehen. Verbrennen wir darum die Dornen; sie ersticken das Wort Gottes. Das wissen jene Reichen gar wohl, die weder dafür, noch für sonst etwas zu haben sind. Sie sind eben Sklaven und Gefangene ihrer Vergnügungen geworden und haben kein Verständ nis mehr für die Bedürfnisse anderer; wenn aber schon für diese nicht mehr, dann noch viel weniger für das, was den Himmel betrifft. Denn auf zweifache Weise wird der Geist dadurch geschädigt: durch die Schwelgerei und durch die Sorgen, die sie haben. Von diesen beiden wäre jesdes schon für sich allein genügend, das Schifflein der Seele zum Kentern zu bringen; wenn dann gar erst beide zusammenkommem, so kannst du dir denken, wie groß die Gewalt des Stromes werden wird.



5.

. Wundere dich auch nicht, daß Christus die böse Lust mit dem Ausdruck "Dornen" bezeichnet. Du verstehst dies allerdings nicht, weil du von die ser Leidenschaft trunken bist; die Gesunden wissen aber, daß sie noch mehr sticht als ein Dorn; daß die böse Lust die Seele noch mehr erschöpft als Sorgen, und dem Leibe und der Seele heftige Schmerzen verursacht. Sorgen bringen einen ja nicht so herunter, wie ein schwelgerisches Leben. Denn wenn Schlaflosigkeit, Hämmern der Schläfen, Kopfweh und Leibschmerzen einen solchen Menschen plagen, so bedenke, um wieviel schmerzlicher dies ist, als viele Dornen. Und wie die Dornen, von welcher Seite man immer sie anrühren mag, die Hände verwunden, die sie anfassen, so schadet auch ein schwelgerisches Leben den Füßen, den Händen, dem Haupte, den Augen, mit einem Worte allen Gliedern des Leibes; es ist saftlos und unfruchtbar gleich einem Dorn und verursacht weit mehr Schmerzen als dieser und zwar gerade an den wichtigsten Stellen. Das üppige Leben macht frühzeitig alt, stumpft das Gefühl ab, verfinstert den Geist, lähmt selbst einen scharfblickenden Verstand, macht den Körper schlaff, verursacht zu häufigen Stuhlgang, bringt eine Menge Übel zugleich mit sich, erhöht über Gebühr das Gewicht und macht die Last, die man zu tragen hat, zu groß. Darum sind auch die Zusammenbrüche häufig und zuahlreich und leiden vielen Schiffbruch. 

   Ja, sag mir doch, warum mästest du so deinen Leib? Glaubst du, wir müßten dich als Schlachtopfer darbringen, oder gar für die Mahlzeit zubereiten? Bei den Hühnern ist es ganz gut, wenn du sie mästest. Ja eigentlich ist es nicht einmal da recht am Platz; denn wenn sie fett geworden, so ist ihr Genuß nicht mehr ganz gesund. Solche Nachteile bringt eben ein schwelgerisches Leben mit sich; selbst in den Tieren schadet sie noch. Denn werden sie zu sehr gemästet, so macht man sie für sich und für uns unbrauchbar. Das Überflüssige wird eben nicht mehr verarbeitet und das Übermaß von Flüssigkeit verursacht Fäulnis, und das alles kommt von jenem Fett. Die Tiere hingegen, die nicht in dieser Weise gemästet werden, sondern sozusagen nüchtern leben und mit Maß, die arbeiten und sich abmühen, die sind für sich und für andere am geeignetsten, sowohl zur Nahrung, als auch für jeden anderen Zweck. Wer mit diesen Tieren sich nährt, erfreut sich großer Gesundheit; wer aber mit den anderen[417] sich gütlich tut, der wird selber wie sie, wird schwerfällig und kränklich und macht sich seine Gefangenschaft nur noch schwerer. Es gibt eben nichts, was dem Leibe so gefährlich und schädlich wäre, als ein üppiges Leben; nichts zerreißt, verstopft und verdirbt ihn so sehr, wie Schwelgerei. 

   Darum muß man sich wohl am allermeisten über die Torheit solcher Leute wundern, die sich selbst nicht einmal soviel Schonung angedeihen lassen wollen, als wie andere ihren Weinschläuchen. Denn die Weinhändler lassen ihre Schläuche auch nicht über das Maß anfüllen, damit sie nicht zerreißen; diese dagegen haben für ihren unglücklichen Bauch nicht ebensoviel Vorsicht; wenn sie ihn angefüllt haben bis zum Platzen, dann gießen sie auch noch alles ganz und gar voll, bis an die Ohren, bis an die Nase und die Kehle, und beengen dadurch nicht bloß den Geist, sondern hemmen auch die Kraft, die den Organismus lenkt. Oder hast du dazu deine Kehle erhalten, damit du sie bis oben an den Mund mit übelriechendem Wein und anderem Unrat anfüllst? Nein, nicht deshalb, o Mensch, sondern damit du vor allem Gott Lob singest, heilige Gebete zum Himmel emporsendest, die göttlichen Gesetze lesest und deinem Nebenmenschen nützliche Ratschläge erteilst. Du aber tust, als hättest du sie nur für jenen Zweck erhalten, gönnst ihr nicht einmal kurze Zeit zum Gottesdienst und beugst sie das ganze Leben lang unter dieses elende Joch. 

   Diese Menschen handeln geradeso wie einer, der eine mit goldenen Saiten bespannte und gutgestimmte Zither in die Hand nimmt und,anstatt ei ne harmonische Melodie ihr zu entlocken, sie über und über mit Kot und Schmutz bedeckt. Kot nenne ich aber nicht die Nahrung, sondern die Überernährung und die maßlose Schwelgerei. Was über die Bedürfnisse hinausgeht, ist eben nicht mehr Nahrung, sondern nur noch Verderben. Nur der Magen ist eben zur Aufnahme der Speisen bestimmt und auch er nur dafür; der Mund hingegen, die Kehle, die Zunge haben noch andere viel notwendigere Bestimmungen als diese. Ja selbst der Magen ist nicht einfach nur zur Aufnahme der Speisen da, sondern nur zur maßvollen Aufnahme derselben. Das gibt er uns selber schon dadurch zu erkennen, daß er ein gewaltiges Wehklagen wider uns anstimmt, wenn wir ihm durch solches Übermaß Schaden zufügen; ja er klagt nicht bloß, sondern legt und auch zur Sühne für dieses Unrecht die allerschwerste Buße auf. Zuerst straft er die Füße, die uns zu jenen verderblichen Gastmählern trugen und führ ten, dann bindet er die Hände, die dabei Dienste leisteten und uns so viele und so ausgesuchte Speisen zuführten; ja vielen hat es sogar den Mund, die Augen und den Kopf verdreht. Und gleichwie ein Sklave, dem man etwas aufgetragen, was über seine Kraft geht, gar oft die Fassung verliert und gegen den schmäht, der ihm den Befehl gegeben, so macht es auch der Magen, dem man Gewalt angetan; er verdirbt und greift nicht bloß diese Glieder an, sondern oft sogar noch das Gehirn selbst. Es ist auch ganz gut, daß Gott es so eingerichtet hat, daß aus dem Übermaß solche Nach teile entstehen; denn wer nicht gutwillig Einsicht üben will, der soll wenigstens unfreiwillig durch die Furcht vor solchem Schaden Maß halten lernen. 

   Aus diesem Grunde wollen wir also das üppige Leben fliehen und auf die Einhaltung des rechten Maßes bedacht sein, damit wir uns nicht bloß der leiblichen Gesundheit erfreuen, sondern auch die Seele von jeglicher Krankheit befreien und so der zukünftigen Güter teilhaftig werden können durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem die Ehre und die Macht gebührt in alle Ewigkeit. Amen!





Fünfundvierzigste Homilie. Kap.XIII,V.10-23.

45 Mt 13,10-23
1.

V.10: "Da gingen die Jünger zu ihm hin und sagten: Warum redest Du in Gleichnissen zu ihnen? 

   V.11: Er aber antwortete ihnen und sprach: "Weil es euch gegeben ist, die Geheimnisse des Himmelreiches zu erkennen, jenen aber nicht." 

   Hier dürfen wir die Jünger wohl bewundern, weil sie nicht bloß sehnsüchtig nach Belehrung verlangten, sondern auch wußten, wann es Zeit sei, Fragen zu stellen; denn sie tun es nicht[418] vor allem Volke. Das gibt uns ja Matthäus zu verstehen durch die Worte: "Da gingen sie hinzu." Daß es aber keine bloße Vermutung ist, was ich sage, ergibt sich daraus, daß Markus dasselbee noch deutlicher be hauptet und sagt, sie seien einzeln zu ihm hingegangen (Mc 4,10). So hät ten es auch seine Brüder und seine Mutter machen sollen, und nicht ihn hinausrufen, um sich zu zeigen (Mt 12,46). Da beachte auch die Nächstenliebe des Apostels, wie sehr ihnen das Wohl der anderen am Herzen liegt und wie sie zuerst an sie denken und dann erst an sich. " Weshalb", fragen sie, "sprichst Du zu ihnen in Gleichnissen?" Sie sagten nicht: Wa rum redest Du mit uns in Gleichnissen? Auch sonst zeigen sie sich häufig voll Liebe gegen alle; so zum Beispiel, wo sie sagen: "Entlaß die Menge" (Mt 14,15), und: Weißt Du, daß sie Ärgernis genommen haben?" (Lc 9,12 Mt 15,12). 

   Wie lautet nun die Antwort Christi? "Weil es euch gegeben ist, die Geheimnisse des Himmelreiches zu erkennen; jenen aber nicht." Mit diesen Worten wollte er zu verstehen geben, daß die Ursache solcher Unkenntnis nicht auf einer Notwendigkeit oder irgendeiner blinden Fügung des Schick sals beruhe, sondern daß sie selbst die Schuld an allem Unheil trügen; auch wollte er betonen, daß diese Erkenntnis ein freies Geschenk sei, und eine Gnade, die von oben kam. Wenn sie aber auch ein freies Geschenk ist, so ist die persönliche Mitwirkung deshalb nicht ausgeschlossen. Das geht aus dem Folgenden hervor. Wenn sie nämlich hörten, daß es ihnen[419] "gegeben" sei, so sollten die einen nicht mutlos, die anderen nicht über mütig werden; darum siehe, wie er ihnen zeigt, daß wir den Anfang machen müssen. 

   V.12: "Denn jedem, der etwas hat, wird noch dazu gegeben werden, und jedem, der nichts hat, wird auch das genommen, was er zu haben glaubt." 

   Diese Worte sind ungemein dunkel, und doch legen sie Zeugnis ab von unaussprechlicher Gerechtigkleit. Ihr Sinn ist der: Wenn jemand bereit willig und eifrig ist, so wird ihm Gott auch seinerseits alles geben, was an ihm liegt; wenn er es aber nicht ist, so wird weder er selbst tun, was er sollte, noch wird Gott ihm geben, was von ihm abhängt. "Denn", heißt es, "was er zu haben glaubt, wird ihm genommen werden", nicht etwa so, daß Gott es ihm nimmt, sondern indem er ihn überhaupt seiner Gaben nicht würdigt. 

   Auch wir pflegen es ja so zu machen: Wenn wir sehen, daß jemand nur lässig zuhört und trotz unserer wiederholten Bitten nicht achtgeben will, so schweigen wir eben. Wollten wir darauf bestehen, weiter zu reden, so würde seine Unachtsamkeit nur noch zunehmen. Ist dagegen jemand begierig nach Unterweisung, so ziehen wir ihn an uns und geben ihm viele Beleh rung. Ganz richtig gebraucht auch der Herr den Ausdruck: "Auch das, was er zu haben glaubt"; denn tatsächlich hat er ja gerade das nicht. 

   Diese Worte erklärt er dann noch des weiteren und zeigt uns ihren wirklichen Sinn: "Dem, der hat, wird gegeben werden; von dem aber, der nichts hat, wird auch das genommen werden, was er zu haben glaubt." 

   V.13: "Deshalb", sagt er weitert, "rede ich in Gleichnissen zu ihnen, weil sie sehen und doch nicht sehen." 

   Dann hätte er ihnen eben, wendet man ein, die Augen öffnen sollen, wenn sie nichts sehen. Ja, wenn es sich um leibliche Blindheit gehandelt hätte, dann hätte er ihnen die Augen öffnen müssen; weil aber ihre Blindheit freiwillig und selbstgewollt war, deshalb sagte der göttliche Heilamd nicht einfachhin: sie sehen nicht, sondern: "Sie sehen und sehen doch nicht." An ihrer Blindheit war also nur ihre eigene Schlechtigkeit schuld. Sie hatten ja gesehen, wie Dämonen ausgetrieben wurden, und sagten noch: "Im Beelzebub, dem obersten der Dämonen, treibt er die Teufel aus" (Mt 9,34 u. Mt 12,24).Sie hörten, wie er sie zu Gott führen wollte, und wie er seine vollkommene Übereinstimmung mit Gott bekundete, und sagten: "der ist nicht von Gott" (Jn 9,16). Da sie also das Gegenteil von dem behaupteten, was sie sahen und hörten, deshalb, meint der Herr, nehme ich ihnen auch die Fähigkeit zu hören. Damit ziehen sie sich nur ein noch schärferes Gericht zu. Denn sie haben nicht nur nicht geglaubt, sie haben den Herrn sogar beschimpft, getadelt und ihm Nachstellungen bereitet. Gleichwohl hält ihnen der Herr dies alles nicht vor; er will eben kein harter Ankläger sein. 

   Im Anfange redete er also nicht so rätselhaft mit ihnen, sondern ganz klar und deutlich. Da sie sich aber selbst von ihm abwandten, so spricht er hinfort in Gleichnissen zu ihnen. Damit sodann niemand glaube, seine Worte enthalten eine unbegründete Anklage, und damit sie nicht sagten: er klagt uns an und verleumdet uns, weil er unser Feind ist, deshalb zitiert er den Propheten, der dasselbe sagte, wie er. 

   V.14: "Denn" sagt er, "an ihnen wird die Prophetie des Jesaias in Erfül lung gehen, die da lautet: Mit euren Ohren werdet ihr hören und nicht verstehen, sehend werdet ihr schauen und doch nicht sehen" (Is 6,9). 

   Siehst du da, mit welcher Bestimmtheit auch der Prophet dieselbe Klage erhebt? Er sagte ja nicht: Ihr schauet nicht, sondern: "Ihr werdet schauen und doch nicht sehen"; ebenso heißt es nicht: Ihr werdet nicht hören, sondern:"Ihr werdet hören und nicht verstehen." Sie waren es also, die sich selber zuerst lostrennten, indem sie sich die Ohren verstopften, die Augen verhüllten, das Herz verhärteten. Denn sie hörten ja nicht nur nicht, sondern 

   V.15: "Sie hörten es mit Ingrimm"; 

   und so taten sie, sagt der Herr weiter, "damit sie sich nicht etwa bekehrten und ich sie heile", womit er auf ihre verhärtete Bosheiot hinweist und ihre geflissentliche Ab kehr von ihm.



2.

So redet der göttliche Heiland, um sie an sich zu ziehen, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen und ihnen zu zeigen, daß er bereit sei, sie zu heilen, wenn sie sich ihm zuwenden wollten. Es war, wie wenn etwa jemand sagt: Er wollte mich nicht sehen, und ich bin froh darüber; denn wenn er gebeten hätte, so würde ich die Bitte alsbald gewährt haben; das sagt er aber nur, um zu zeigen, wie man ihn zum Nachgeben bringen könne. Im gleichen Sinne sagt auch hier der göttliche Heiland: "damit sie sich nicht etwa zu mir wenden, und ich sie heile", bloß um darzutun, daß sie bekehrt und gerettet werden könnten, wenn sie Buße tun wollten, und daß er dies nicht zu seinem Ruhme, sondern zu ihrer Rettung tue. Wenn er sie nicht hören und retten wollte, so hätte er ja schweigen müssen und nicht in Gleichnissen zu ihnen reden; so aber bemüht er sich gerade dadurch, sie zu erschüttern, daß er in dunklen Gleichnissen redet. Denn "Gott will nicht den Tod des Sünders, sondern daß er sich bekehre und lebe" (Ez 18,23). Daß die Sünde nicht in der Natur begründet, nicht eine Folge von Zwang und Gewalt ist, das vernimm aus den Worten, die der Herr zu den Aposteln sprach: 

   V.16: "Selig sind eure Augen, seil sie sehen. und eure Ohren, weil sie hören"; 

   er meint damit nicht die leiblichen, sondern die geistlichen Augen und Ohren. Auch die Apostel waren ja Juden und in denselben Lehren erzogen; gleichwohl ward ihnen die Prophetie nicht zum Schaden, weil eben die Wurzel des Guten in ihnen gesund war, ich meine der Wille und die Gesin nung. Siehst du also, daß das: "Euch ist es gegeben" nicht etwa einer Notwendigkeit entsprang. Auch wären sie ja nicht selig gepriesen worden, wenn die Sache nicht ihr persönliches Verdienst gewesen wäre. 

   Da wende mir nicht ein, der Herr habe nicht klar und deutlich zu den Juden gesprochen; es wäre ja auch ihnen frei gestanden, zum Herrn hinzugehen und zu fragen, wie die Jünger getan. Aber sie wollten eben nicht, weil sie gleichgültig und lau waren. Und was sage ich nur: sie wollten nicht? Sie taten ja sogar das gerade Gegenteil. Sie blieben nicht allein ungläubig, und hörten nicht bloß nicht, sie bekämpften ihn sogar und setzten seinen Worten die größte Unverschämtheit entgegen. Darum heißt es, als der Herr das tadelnde Prophetenwort angeführt hatte: "Sie vernahmen es mit Ingrimm." Die Jünger dagegen machten es nicht so; darum pries auch der Herr sie selig. 

   Auch durch einen anderen Hinweis ermutigt er sie noch, indem er sagt: 

   V.17: "Denn wahrlich sage ich euch, viele Propheten und Gerechte trugen Verlangen darnach, zu sehen, was ihr sehet, und haben es nicht gesehen, und zu hören, was ihr höret, und haben es nicht gehört", 

   nämlich meine Ankunft, meine Wunder, meine Stimme, meine Lehre. Hier stellt er die Apostel nicht mehr bloß über diese Verwofenen[420] , sondern auch über die Gerechten; er nennt sie sogar noch seliger als diese. Und warum denn? Weil die Jünger das sehen, was jene Juden nicht einfach nicht sahen, sondern sogar sehnsüchtig verlangten, sehen zu können. Jene schauten eben nur durch den Glauben; diese sehen ihn sogar von Angesicht und erkennen ihn viel deutlicher. Siehst du da, wie auch hier wieder der Herr das Alte Testament mit dem Neuen verknüpft, und zeigt, daß jene Propheten die Zukunft nicht bloß schauten, sondern auch sehnsüchtig nach ihr verlangten? Das hätten sie gewiß nicht getan, wenn sie von einem fremden, feindlich gesinnten Gott inspiriert gewesen wären. 

   V.18: "Ihr also", fährt der Herr weiter, "höret das Gleichnis vom Sämann", 

   und kommt dann auf das zu sprechen, was ich schon früher erwähnte, nämlich auf die Lauheit und den Eifer, die Furchtsamkeit und Mannhaf haftigkeit, Reichtum und Armut; dabei weist er auf den Nutzen hin, den das eine,und auf den Schaden, den das andere bringt[421] . Daraufhin stellt er ihnen auch verschiedene Arten vor, die Tugend zu üben. In seiner Menschenliebe eröffnete er eben nicht bloß einen Weg und sagte nicht: Wenn einer nicht hundertfältige Frucht bringt, ist er verloren, sondern: Auch der wird gerettet werden, der nur sechzigfache Frucht bringt, und nicht bloß er, sondern sogar,wer nur dreißigfache bringt. So tat er, um die Erlangung des Seelenheiles zu erleichtern. Also du kannst die Jung fräulichkeit nicht beobachten? So gehe eine ehrbare Ehe ein. Du vermags nicht arm, zu leben? Gib Almosen von dem, was du hast. Du bist nicht imstande, jene Last zu tragen? Teile dein Vermögen mit Christus. Du willst ihm nicht alles schenken? Gib ihm wenigstens die Hälfte, wenigstens ein Drittel. Er ist ja dein Bruder und Miterbe; mach ihn schon hienieden zu deinem Miterben. Alles, was du ihm gibst, wirst du dir selbst geben. Oder hörst du nicht, was der Prophet spricht:"Die Verwandten deines Blutes sollst du nicht verachten" (Is 58,7). Wenn man aber die Verwandten nicht verachten darf, dann noch viel weniger den Herrn, der ja außer der Herrschaft auch noch das Recht der Verwandtschaft auf dich hat, und noch vieles andere mehr. Er hat dich ja zum Teilhaber seines Eigentums gemacht, hat nichts von dir genommen und hat sogar mit diesser unaussprechlichen Wohltat selbst den Anfang gemacht. 

   Wäre es also da nicht äußerst unverständlich, nicht einmal auf ein solches Geschenk hin die Liebe zum Nächsten zu üben, keinen Dank zu wissen für diese Gnade,und nicht wenigstens eine geringe Gabe zu spenden für eine große? Er ist es ja, der dich zum Miterben des Himmels gemacht hat, und du willst nicht einmal etwas von deinen irdischen Gütern mit ihm teilen? Er hat dich erlöst ohne irgendein Verdienst von deiner Seite, ja obgleich du sogar sein Feind warst, und du willst nicht einmal deinem Freunde und Wohltäter Dank wissen? und doch solltest du,ganz abgesehen vom Himmelreich und von allem anderen, schon allein dafür dankbar sein, daß du überhaupt etwas geben kannst. Auch die Diener, die ihre Herren zum Mahle rufen, glauben damit nicht eine Gnade zu erweisen, sondern zu empfangen. Hier ist es gerade umgekehrt. Hier hat nicht der Diener den Herrn, sondern der Herr den Diener zuerst zu seinem Mahle gerufen; du ladest ihn aber nicht einmal jetzt ein. Er hat dich zuerst in sein Haus eingeführt; du tust es nicht einmal nach ihm. Er hat dich in deiner Nacktheit bekleidet; du aber willst ihn dafür nicht einmal als Gast beherbergen. Er hat dir zuerst seinen eigenen Kelch zum Trinken gereicht; du willst ihm nicht einmal einen Trunk kalten Wassers dafür bieten. Er gab dir den Hl.Geist zur Labung; du linderst nicht einmal seinen leiblichen Durst. Er stillte dich mit dem[422] .Geiste, während du Strafe verdient hättest; du kümmerst dich nicht um den Dürstenden, obgleich du all dies Gute nur mit seinem Eigentum vollbringen solltest.



3.

Hältst du es denn nicht für etwas Großes, den Becher zu halten, aus dem Christus trinken, den er zu seinem Munde führen will? Weißt du nicht, daß es sonst nur dem Priester erlaubt ist, den Kelch des Blutes zu reichen? Ich aber, sagt der Herr, schaue da nicht so genau darauf; wenn du mir den Kelch reichst, nehme ich ihn an; und wenn du ein Laie bist, weise ich ihn nicht zurück. Auch verlange ich nicht dasselbe zurück, was ich gegeben habe, denn ich will ja nicht Blut, sondern nur firsches Wasser. 

   Da bedenke wohl, wer es ist, dem du zu trinken gibst, und sei voll heiliger Furcht. Bedenke, daß du[423] ein Priester Christi wirst, indem du mit eigener Hand nicht Fleisch, sondern Brot, nicht Blut, sondern einen Becher frischen Wasser darbietest. Christus hat dich mit dem Gewand des Heiles bekleidet (Is 61,10), hat dich selbst in eigener Person bekleidet; bekleide du ihn wenigstens durch deinen Diener[424] . Er hat dir die Herrlichkeit des Himmels verliehen; befreie du ihn wenigstens von Kälte, Blöße und Scham. Er hat dich zum Mitbürger der Engel gemacht; teile du wenigstens dein Dach mit ihm, nimm ihn wenigstens so wie deinen Diener in dein Haus auf. Ich weise diese Behausung nicht zurück, obgleich ich selbst dir den ganzen Himmel geöffnet habe.Ich habe dich aus dem schrecklichsten Gefängnis erlöst; ich verlange nicht das glleiche von dir;ich sage nicht: Befreie mich; mir gereicht es schon zum Troste, wenn du nur in meinen Ketten nach mir siehst. Ich habe dich vom Tode auferweckt; von dir selbst verlange ich aber nicht dasselbe, sondern sage nur: Wenn ich krank bin, komme wenigstens mich zu besuchen. 

   Wenn also auf der einen Seite die Gaben so groß sind, und die geforderten Gegengaben so gering, und wir nicht einmal das geben wollen, welche Höllenstrafen verdienen wir dann nicht dafür! Da werden wir ganz mit Recht dem Feuer überantwortet, das dem Teufel und seinen Engeln bereeitetv ist, wenn wir uns noch härter zeigen als Steine. Oder welche Unempfindsamkeit verrät es nicht, wenn wir trotz solcher Gaben, trotz solcher Verheißungen zu Sklaven unseres Geldes werden, das wir doch bald auch wider Willen verlassen müssen? Andere haben ihr eigenes Leben hinge geben und ihr Blut vergossen; du willst nicht einmal deinen Überfluß für das Himmelreich, für so herrliche Siegeskränze opfern! Welche Nachsicht solltest du da noch verdienen,welche Entschuldigung, wenn du freudig alles hingibst, um deinen Acker zu besäen, und kein Opfer scheust, um anderen Menschen auf Zinsen zu leihenm, dagegen hart und unmenschlich bist, sobald es gilt, deinen Herrn durch die Armen zu ernähren? 

   Das alles wollen wir also erwägen, und wollen bedenken, wieviel wir empfangen haben, wieviel uns in Aussicht gestellt ist, wie wenig von uns selbst verlangt wird, und wollen uns mit ganzem Eifer der Übung der Tugend hingeben. Werden wir doch endlich sanftmütig und liebevoll[425] , damit wir nicht die unerträgliche Verdammnis uns zuziehen! Oder was wäre nicht alles imstande, unsere Verurteilung zu bewirken? Daß wir so große und so herrliche Gnaden erlangten, daß gar keine großen Anforde rungen an uns gestellt werden, daß nur solche Dinge von uns verlangt wer den, die wir auch wider Willen hienieden zurücklassen müssen, daß wir so großen Eifer in weltlichen Dingen an den Tag legen? Jeder einzelne von diesen Umständen wäre für sich allein schon genügend zu unserer Verurtei lung; wenn aber gar alles zusammentrifft, welche Hoffnung auf Rettung bleibt uns dann noch? 

   Damit wir also diesem ganzen Gerichte entfliehen, wollen wir uns wenigstens einigermaßen gegen die Armen freigebig zeigen. Dann werden uns die zeitlichen und auch alle himmlischen Güter zuteil werden, die wir alle erlangen mögen durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem Ehre und Macht sei in alle Ewigkeit. Amen!






Kommentar zum Evangelium Mt 44