Kommentar zum Evangelium Mt 46

Sechsundvierzigste Homilie. Kap.XIII,V.24-33.

46 Mt 13,24-33
1.

V.24: "Noch ein anderes Gleichnis trug er ihnen vor, indem er sprach: Das Himmelreich ist gleich einem Sämann, der guten Samen auf seinem Acker ausstreut. 

   V.25: Während aber die Menschen schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut unter den Weizen, und ging fort. 

   V.26: Als aber die Saat aufging und Frucht brachte, da erschien auch das Unkraut. 

   V.27: Da gingen die Knecht hin zum Herrn des Hauses und sagten zu ihm: Herr, hast du nicht guten Samen auf Deinen Acker ausgestreut, woher hat er also das Unkreut? 

   V.28: Er aber antwortete ihnen: Der Feind des Menschen hat dies getan. Die Knechte aber sagten zu ihm: Willst du also, daß wir hingehen und es sammeln? 

   V.29; Er aber antwortete:Nein, damit ihr nicht etwa beim Sammeln des Unkrautes zugleich auch den WReizen mit ausreißet. 

   V.30: Lasset darum beiodes wachsen bis zur Ernte." 

   Welches ist der Unterschied zwischen diesem und dem vorausgehenden Gleichnis? In dem früheren sprach Jesus von denen, die überhaupt nicht auf ihn acht hatten, sondern ihn stehen ließen und den Samen wegwarfen. Hier spricht er dagegen von dem Vorgehen der Häretiker. Damit nämlich die Jünger auch darob nicht in Verwirrung kämen, so sagt er ihnen auch das voraus, nachdem er ihnen zuvor erklärt hatte, weshalb er in Gleichnissen rede. Im ersten Gleichnis sagt der Herr, sie hätten den Samen nicht aufgenommen; in diesem, sie hätten auch Unkraut mit aufgenommen. Auch das gehört ja zur Taktik des Teufels, neben der Wahrheit stets auch den Irrtum mit einzuschmuggeln und diesen der Wahrheiot möglichst ähnlich zu färben, um so die Einfältigen leicht zu betören. Deshalb nennt der Herr des Teufels Aussaat nicht einen anderen Samen, sondern ZizanienUnkraut, das dem Getreide in etwa ähnlich sieht. 

   Dann gibt er auch die näheren Umstände seiner Hinterlist an. Er sagt: "Während die Menschen schliefen." Darnach befinden sich die Vorsteher in nicht geringer Gefahr, da ja ihnen vor allem die Bewachung des Ackers anvertraut ist, aber nicht bloß die Vorgesetzten, sondern auch die Unter gebenen. Er gibt außerdem auch zu verstehen, daß der Irrtum erst nach der Wahrheit komme, was ja auch durch die geschichtlichen Tatsachen bestätigt wird. So kamen erst nach den Propheten die Pseudopropheten, und nach den Aposteln die Pseudoapostel; so kommt auch nach Christus der Antichrist. Wenn nämlich der Teufel nicht vorhersähe, was er nachäffen, wem er nachstellen sollte, so würde er auch nichts tun, und nichts wissen. Da er also auch hier sah, daß der eine hundertfältige Frucht bringe, ein anderer sechzigfältige, ein anderer dreißigfältige, so schlägt er hinfort einen anderen Weg ein. Da er das nicht auszurotten vermochte, was einmal Wurzel gefaßt hatte, es auch nicht ersticken oder verbrennen konnte, so sucht er ihm auf andere Weise durch Betrug beizukommen, indem er von dem Seinigen dazwischen streut. Worin unterscheiden sich aber die Schlafenden von denen, bei welchem der Same auf den Weg fiel? Darin, daß der Teufel ihn dort schnell wegstahl; er ließ ihn nämlich gar nicht erst Wurzel fassen. Hier bedurfte es aber schon größere List. 

   Dieses Gleichnis führt Christus an, um uns zu steter Wachsamkeit anzuhalten. Denn, so sagt er, wenn du auch jenen erstgenannten Gefahren entrinnst, es harren deiner noch andere. Denn wie dort das Verderben durch den Weg, das Felsgestein und die Dornen herbeigeführt wurde, so hier durch den Schlaf; darum bedarf es unausgesetzter Wachsamkeit.Deshalb sagte er auch: "Wer aber ausharrt bis ans Ende, der wird gerettet werden" (Mt 10,22). Etwas Ähnliches geschah auch im Anfang. Da haben viele Vorsteher schlechte Menschen in die Kirchen eingelassen, verborgene Häre siarchen, und haben dadurch diesen Kriegsplan des Teufels bedeutend geför dert. Jetzt brauchte sich ja der Teufel nicht mehr anzustrengen, nachdem er diese Menschen unter die anderen gepflanzt hatte. 

   Wie ist es aber möglich, fragst du, nicht zu schlafen? Den natürlichen Schlaf zu unterdrücken ist nicht möglich; den der Seele aber wohl. In diesem Sinne sagte auch Paulus: "Wachet, stehet fest im Glauben" (1Co 16,13). Darnach zeigt der Herr, daß dieser Schlaf auch unnötig, nicht bloß schädlich sei. Der Teufel kommt nämlich erst dann zur Aussaat, wenn der Acker schon bestellt ist und keine weitere Arbeit braucht. Auch die Häretiker machen es so, die ihr Gift aus keinem anderen Grunde ausstreuen als wegen ihres Ehrgeizes. 

   Indes gibt der Herr nicht bloß hiervon eine genaue Schilderung, sondern auch über den weiteren Fortgang der Sache. Denn, fährt er fort, "als die Saat aufging und Frucht brachte, da erschien auch das Unkraut". Genau so machen es die Häretiker. Im Anfang halten sie sich selbst verborgen; wenn sie sich aber einmal ordentlich sicher fühlen, und es läßt sich jemand mit ihnen ins Gespräch ein, so lassen sie ihr Gift herausflie ßen. Warum läßt aber der Herr das Geschehene durch die Knechte berichten? Um ihnen sagen zu können, daß man Häretiker nicht töten solle. "Feind des Menschen" aber nennt er den Teufel wegen des Schadens, den er den Menschen zugefügt hat. Denn das Unheil war zwar gegen uns gerichtet, die Ursache des Unheils aber war nicht des Teufels Haß gegen uns, sondern sein Haß gegen Gott. Daraus geht auch klar hervor, daß Gott uns noch mehr liebt, als wir uns selbst. 

   Beachte sodann, wie auch ein anderer Umstand die Bosheit des Teufels bezeugt. Er hat seinen Samen deshalb nicht früher ausgestreut, weil noch nichts da war, was er hätte verderben können. Erst als die ganze Arbeit getan war, kam er, um die Mühe des Sämannes zu vereiteln. So hat er also alles aus Haß gegen ihn getan. Auch den Eifer der Knechte sollst du be achten. Es drängt sie bereits, das Unkraut auszurotten, wenn sie dabei auch nicht von der Klugheit geleitet sind. Aber es zeigt doch, wie sehr sie um den ausgestreuten Samen besorgt sind, und wie ihnen nur eines am Herzen löieght, nmicht daß der Feind bestraft werde, sondern da0 die Aussaat nicht vberdorben werde; denn nicht das erste ist es, worauf es hauptsächlich ankommt. Deshalb achten sie vorläufig nur darauf, wie sie den Schaden wieder gut machen könnten. Aber selbst das wollen sie nicht so ohne weiteres; denn sie nehmen sich nichts selöbst heraus, sondern erwar ten die Entscheidung vom Herrn, indem sie fragen: "Willst Du?" Was erwidert also der Herr? Er verhindert es und dagt: "Nein, damit ihr nicht zugleich mit dem Unkraut auch den Weizen ausrottet." Das sagte er, um Kriege, Blutvergießen und Morde zu verhindern. Darum ist es auch nicht er laubt, den Häretiker zu töten, weil man sonst einen unversöhnlichen Krieg über die Welt brächte.



2.

Aus diesen zwei Gründen also hält der Herr sie zurück: erstens, damit nicht auch der Weizen Schaden leide; zweitens, weil eine Bestra fung des Bösen durch seine Knechte diesen selbst unheilbaren Schaden brächte. Willst du also, daß die Bösen gestraft werden, ohne daß der Weizen Schaden leide, so warte die richtige Zeit ab. Was meint aber der Herr mit den Worten: "Damit ihr nicht zugleich auch den Weizen ausreißt." Entweder will er damit sagen: Wenn ihr die Waffen ergreifen und die Häretiker umbringen würdet, so müßten auch viele Rechtgläubige[426] das Leben lassen; oder aber er meint, daß viele von denen, die jetzt noch Unkraut sind, sich bekehren und zu Weizen werden können. Würdet ihr sie also vorher ausrotten, so würdet ihr auch denen schaden, die im Zukunft Getreide werden sollten, würdet diejenigen ausrotten, die noch der Bekehrung und Besserung fähig wären. Also nicht das verbietet der Herr, den Häretikern zu widerstehen, sie zu widerlegen, ihre Zusammenkünfte und Verbindungen aufzulösen, sondern nur, sie auszurotten und zu töten. 

   Du aber sieh, wie sanftmütig der Herr ist; wie er nicht bloß seine Meinung ausspricht und sein Verbot erläßt, sondern auch die Gründe dafür angibt. Was aber dann, wenn das Unkraut bis zum Ende so bleibt? 

   V.30: "Dann werde ich den Schnittern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es zusammen in Büschel zum Verbrennen." 

   Nochmals erinnert sie der Herr an die Worte des Johannes, durch die er selbst zum Richter erklärt ward,und sagt: Solange die Häretiker nahe beim Weizen stehen, soll man sie schonen; sie können ja vielleicht noch zu Wei zen werden; wenn sie aber die Zeit nutzlos verstreichen ließen und von hinnen geschieden sind, dann werden sie notwendigerweise der unerbittli chen Strafe verfallen. "Denn ich werde den Schnittern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut."Warum dieses zuerst? Damit sie nicht zu fürchten brauchen, man werde zugleich mit dem Unkraut auch den Weizen wegtragen. "Und bindet es zusammen in Büschel zum Verbrennen; den Weizen aber führet zusammen in die Scheune." 

   V.31: "Noch ein anderes Gleichnis trug er ihnen vor und sprach: Das Himmelreich ist gleich einem Senfkorn." 

   Oben hatte der Herr gesagt, es gingen drei Viertel von dem Samen verloren und eines werde gerettet werden, und selbst unter dem einen geretteten Teil werde ein großer Schaden angerichtet werden. Damit es nun nicht heiße: Aber wer und wieviele gehören dann noch zu den Gläubigen? so benimmt er ihnen auch diese Furcht, weckt in ihnen durch das Gleichnis mit dem Senfkorn gläubiges Veretrauen, imd zeigt ihnen, daß die Predigt vom Evangelium ganz sicher und überall werde verbreitet werden. Aus diesem Grunde hat ert auch das Bild mit der Pflanze gebracht, das so gut für sein Thema paßte. 

   V.32: "Dieses ist das kleinste unter allen Samenmkörnern; wenn es aber ge wachsen ist, dann ist es größer als alle Pflanzen, und wird zu einem Baum, so daß die Vögel des Himmels kommen und in seinen Zweigen wohnen." 

   Der Herr wollte ein Beispiel von Größe anführen. So meint er also, wird es auch mit der Verkündigung des Evangeliums gehen. Auch die Jünger waren ja ganz schwache und unbedeutende Menschen; weil aber eine große Kraft in ihnen wohnte, so breitete sie sich über den ganzen Erdkreis aus. Diesem Bilde fügt Jesus dann noch das mit dem Sauerteig an, und fährt fort: 

   V.33: "Das Himmelreich gleicht einem Sauerteig, den eine Frau nimmt, und in drei Maß Mehl verbirgt, bis das Ganze durchsäuert ist." 

   Wie nämlich der Sauerteig dem vielen Mehl seine eigene Kraft mitteilt, so werdet auch ihr die ganze Welt umändern. Beachte, wie weise der Herr vorgeht. Er führt ein Beispiel aus der Natur an, um zu zeigen, daß,wie jenes naturnotwendig erfolgen müsse, so auch dieses. Da wendet mir nicht ein[427] : Was sollen wir zwölf Leute vermögen, wenn wir unter eine solche Menschenmasse kommen? Gerade das läßt ja eure Macht nur um so heller erglänzen, daß ihr unter eine solche Menschenmasse kommt und doch nicht unterliegt. Wie also hier der Sauerteig den anderen Teig durchsäuert, wenn er in Verbindung gebracht wird mit dem Mehle, und nicht bloß in Verbindung gebracht, sondern mit ihm vermengt wird denn es heißt ja nicht bloß: sie legte ihn hin, sondern: sie verbarg ihn , so werdet auch ihr eure Feinde überwindem, wenn ihr mit ihnen in Berührung und Verbindung tretet. Und wie der Sauerteig von der Masse[428] überschüttet wird, aber nicht verloren geht, sondern nach kurzer Zeit allem seine Eigenschaft mitteilt, gerade so wird es auch mit eurer Lehr verkündigung gehen. Seid also nicht in Furcht, weil ich euch viele Mühsale vorhergesagt habe;gerade dadurch werdet ihr in besonderem Glanze erstrahlen und alle überwinden. Mit den drei Maßen wollte hier der Herr die große Masse bezeichnen; er pflegte eben diese Zahl als Ausdruck für eine große Menge zu nehmen. Wundere dich aber nicht darüber, daß er vom Himmel redet und dabei auf Senfkorn und Sauerteig zu sprechen kommt; er hatte es eben mit unerfahrenen und ungebildeten Leuten zu tun, die durch solche Vergleiche angeregt werden mußten. Sie waren eben so einfältig, daß sie auch dann noch vieler Unterweisung bedurften. 

   Wo sind da jetzt die Kinder der Heiden?. Sie sollen die M;acht Christi erkennen, wenn sie die Wahrheiot der Dinge schauien. A,mbeten sopllen sie ihn aus dem zweifachen Grunde,weil er etwas so Großes vorhergesagt und weil er es dann auch vollbracht hat. Er ist ja derjenige, der dem Sauierteig seine Krafgt verliehen. Darum hat er seine Gläubigen unter die große Menge[429] gemischt, auf daß wir den anderen von unserer Erkenntnis mitteilen. Niemand soll sich also über die geringe Anzahl be schweren. Groß ist ja die Kraft des Evangeliums; und was einmal durchsäu ert ist, wird auch seinerseits zum Sauerteig. Wenn ein Funke in Holz fällt, so entzündet er es und vergrößert dadurch die Flamme, die dann auch auf alles andere überspringt. Gerade so ist es mit der Verkündigung des Evangeliums. Aber, meinst du, der Herr sprach nicht von Feuer, sondern von Sauerteig. Nun, was dann? Der Unterschied ist ja nur der, daß man dort nicht bloß Feuer braucht, sondern auch passendes Holz, während der Sauer teig alles allein macht. Wenn aber zwölf Männer den ganzen Erdkreis zu durchsäuern vermochten, so erwäge, wie schlecht wior sein müssen, wenn wir trotz unserer großen Anzahl diejenigen nicht zu bekehren vermögen, die noch ü+brig geblieben sind, wä hrend wir doch für tausend Welten genügen und als Sauerteig dienen sollten.



3.

Ja, sagst du, jene waren eben Apostel. Und was verschlägt das? Haben sie dir nicht vom gleichen Sauerteig mitgeteilt? Haben nicht auch sie in Städten gelebt? Waren sie nicht in derselben Lage wie du? Haben nicht auch sie Handwerke ausgeübt? Oder waren sie vielleicht Engel? Sind sie etwa vom Himmel herabgekommen? Dafür hatten sie die Gabe, Wunder zu wirken. Nein, nicht die Wunderzeichen machten sie bewundernswert. Wie lange noch werden wir diese Wunder als Vorwand für unsere Trägheit gebrauchen? Sieh nur auf den Chor der Heiligen, die auch nicht durch jene Wunder glänzten! Viele haben ja schon Teufel ausgetrieben, fielen dann in Sünde, und fanden nicht Bewunderung, sondern Strafe. Aber was ist es dann, das sie[430] groß erscheinen ließ? daß sie den Reichtum verachteten, Menschenruhm gering schätzten, sich von weltlichen Dingen fernhielten. Hätten sie diese Vorzüge nicht besessen, wären sie Sklaven der Leidenschaften gewe sen, so hätten sie tausend Tote auferwecken können, es hätte ihnen nicht nur nichts genützt, man hätte sie sogar für Betrüger gehalten. Also das[431] Leben ist es, das überallhin seinen Glanzu verbreiotet, das auch die Gnade des Hl.Geistes auf sich zieht. Oder welches Wunder hat Johannes[432] gewirkt, der so viele Städte[433] gewann? Daß er nie ein Wunder wirkte, kannst du vom Evangelisten selöber hören, der da sagt: "Johannes wirklte kein einziges Wunder" (Jn 10,41). Und was hat den Elias so berühmt gemacht? War es nicht der Freimut, mit dem er zum Könige sprach? Der Eifer, mit dem er die Sache Gottes verfocht? seine Armut, sein Mantel, die Höhle und die Berge? Seine Wunder hat er ja alle erst nachher gewirkt. Und welche Wundertaten konnten den Teufel bei Job so in Staunen versetzen? Wundertaten keine,wohl aber sein hervorragen des Leben, und seine Geduld, die fester war als Diamant. Welches Wunder hat denn David in seiner Jugend gewirkt? so daß Gott sprach: "Ich erfand David den Sohn Jesses, als einen Mann nach meinem Herzen"? (1S 13,14 Ac 13,22). Und Abraham, Isaak, Jakob, welche Toten haben sie auferweckt, wen vom Aussatz gereinigt? Weißt du denn nicht, daß die Gabe der Wunder sogar großen Schaden bringt, wenn man dabei nicht rechtschaffen lebt? Aus diesem Grunde sind viele Korinther miteinander in Zwiespalt geraten (vgl. 1Co 1,10 ff.),darum haben viele unter den römischen Christen sich hochmütig gegen die anderen erhoben (vgl. Rm 2,1 ff. u. Rm 11,11 ff.); das hat den Simon[434] zum Abfall gebracht, das hat den abgeschrecxkt, yder seiner Zeit Christus nachfolgen wollte und zu dem der HJerr sagte: "Die Füchse haben Höhlen, und die Vögel des Himmels Nester." (Mt 8,20). Beide von diesen sind abgefallen und zugrunde gegangen, der eine, weil er von den Wunderzeichen Geld, der andere, weil er von ihnen Ruhm erhoffte. Die Sorge um ein rechtschaffenes Leben und die Liebe zur Tugend lassen aber ein solches Verlangen nicht bloß nicht aufkommen, sondern mehmen es sogar weg, wo es schon ist. Und was sagte der Herr selbst, als er den Jüngern seine Satzungen gab? Tuet Wunderzeichen, damit die Menschen es sehen? Nein,durchaus nicht! Sondern was? "Euer Licht soll vor den Menschen leuch ten, damit sie eure guten Werke sehen, und euren Vater verherrlichen, der im Himmel ist" (Mt 5,16). Auch dem Petrus hat er nicht etwa gesagt: Wenn du mich liebst, so wirke Wunder, sondern: "Weide meine Schafe" (Jn 21,15-17). Auch sonst hat er ihn überall mit Jakobus und Johannes bevorzugt; und womit, sage mir, hat er ihn bevorzugt? Durch die Gabe der Wunder? Aber es haben ja alle Apostel gleichmäßig Aussätzige geheilt und Tote auferweckt; und allen hat er die gleiche Macht[435] gegeben. Was hat also diesen dreien ihre Bevorzugung verschafft? Die Tu gend der SDeele. Siehst du also, daß es überall auf eion gutes Leben ankommt, und auf den Ausweios guter Werke? "Denn", sagt der Herr, "an ihren Früchten werdet iohr sie erkennen" (Mt 7,20).



4.

Was ist aber das Wesentliche in unserem Leben? Etwa Wundertaten oder ein recht gewissenhaftes Tugendstreben? Doch offenbar das letztere. Die Wunder haben sogar erst hierin ihr eigentliches Ziel und Ende. Wer ein ganz vollkommenes Leben führt, der erwirbt sich auch diese Gnade; wer aber diese Gnade empfängt, erhält sie deshalb, damit er den Lebenswandel anderer dadurch bessere.Auch Christus hat ja nur zu dem Zweck Wunder ge wirkt, damit er selbst dadurch glaubwürdig erscheine, die Menschen so an sich zöge und sie zu einem tugendhaften Leben anhielte. Deshalb liegt ihm auch dies ganz besonders am Herzen. Darum begnügt er sich auch nicht mit Wunderzeichen, sondern droht sogar mit der Hölle, verheißt das Himmel reich, verkündet jene wunderbaren Gebote und tut alles, was er kann, nur um sie[436] den Engeln gleich zu machen. Und was sage ich, daß nur Christus alles deswegen getan? Wenn dir selbst jemand die Wahl ließe, in seinem Namen Tote aufzuerwecken, oder um seines Namens willen zu sterben, was würdest du lieber wählen? Doch offenbar das zweite? Und doch ist das eine ein Wunder, das andere ein gutes Werk. Oder wenn dir jemand die Macht anböte, Heu in Gold zu verwandeln, oder die Kraft, allen Reichtum wie Heu zu verachten, würdest du nicht lieber das letztere wählen? Und auch ganz mir Recht. Denn gerade das würde auch die Menschen am meisten anziehen. Würden sie sehen, wie Heu in Gold verwandelt wird, so möchten wohl auch sie selber solche Macht besitzen, wie Simon[437] ,und ihre Sucht nach Reichtum würde dadurch noch gesteigert. Wenn sie dagegen sähen, wie alle das Gold gleich Heu geringschätzen und verachten, som wären sie längst von dieser Krankheit geheilt. 

   Siehst du also, daß ein gutes Leben viel nützlicher sein kann? Unter einem guten Leben verstehe ich aber jetzt nicht, daß du fastest, daß du in Sack und Asche Buße tust, sondern daß du den Reichtum in der richtigen Weise gering achtest, daß du Nächstenliebe zeigest, dein Brot mit den Hungernden teilst, den Zorn beherrschest, den Ehrgeiz verbannst, Neid und Eifersucht[438] entfernst. So hat es uns ja auch der Herr gelehrt."Lernet von mir", sagt er, "denn ich bin sanftmütig und demütig von Herzen" (Mt 11,29). Er sagte nicht: denn ich habe gefastet, obwohl er sein vierzigtägiges Fasten hätte erwähnen können; aber er tut es nicht, sondern sagt: "Denn ich bin sanfmütig und demütig von Herzen". Und als er die Jünger aussandte, befahl er ihnen auch nicht zu fasten, sondern sagte: "Alles, was man euch vorsetzt, esset" (Lc 10,8). Hinsichtlich irdischer Güter verlangte er dagegen große Strenge und sagte: "Verschafft euch weder Gold noch Silber, noch Erz für eure Gürtel" (Mt 10,9). 

   Das alles sage ich nicht, um das Fasten herabzusetzen; vielmehr empfehle ich es aufs wärmste. Nur schmerzt es mich, wenn ihr die anderen Tugenden vernachlässigt und glaubt, diese allein genüge zu eurem Seelenheil, obgleich sie die geringst im Reigen der Tugenden ist. Die höchsten unter ihnen sind die Liebe, die Sanftmut, die Mildtätigkeit, die sogar die Jungfräulichkeit überwiegen. Willst du also den Aposteln gleich sein, so hindert dich gar nichts daran. Wer diese Tugend anstrebt, dem genügt es, daß er nicht hinter ihnen zurücksteht. Warte also nicht erst auf Wunder. Den Teufel schmerzt es, wenn er aus einem Leibe ausgetrieben wird; aber noch viel mehr schmerzt es ihn, wenn er eine Seele sieht, die sich von der Sünde befreit hat. Die Sünde ist ja des Teufels große Macht. Ihretwegen ist ja Christus gestorben, um sie zu vernichten. Denn sie hat den Tod[439] gebracht, ihretwegen ist alles in Unordnung geraten. Wenn du also die Sünde beseitigt hast, so hast du dem Teufel die Sehnen durchschnittn, hast sein Haupt zerschmettert, seine ganze Macht gebrochen, sein Heer in die Flucht geschlagen, und ein Wunder gewirkt, das größer ist als alle anderen Wunder. 

   So rede nicht etwa bloß ich, so redet der hl.Paulus. Als er gesagt hatte: "Strebet nach den höchsten Charismen, und ich will euch noch einen höheren Weg zeigen" (1Co 12,31), da nannte er nicht die Wunderkraft, sondern die Liebe, die Wurzel alles Guten. Wenn wir also die Liebe betä tigen, und das ganze Tugendleben, das aus ihr entspringt, so haben wir keinerlei Wunder nötig, wie aber auch anderseits die Wunder uns nichts nützen, wenn wir die Liebe nicht üben. 

   Das alles wollen wir uns also zu Herzen nehmen und nach dem streben, was die Apostel eigentlich groß gemacht hat. Was hat sie aber groß gemacht? Vernimm die Worte des hl. Petrus: "Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt; welches wird also unser Lohn sein?" Höre auch,welche Antwort Christus ihm gibt: "Ihr werdet auf zwölf Thronen sitzen", und: "Jeder, der sein Haus, seine Brüder, seinen Vater oder seine Muttert verläßt, wird hundertfältigen Lohn in dieser Welt erhalten und wird das ewige Leben zum Erbteil erlangen" (Mt 19,27-29). 

   Sagen wir uns also los von allen irdischen Dingen; geben wir uns Christo hin, damit wir nach seinem Ausspruch den Aposteln gleich werden,und noch dazu das ewige Leben erlangen, dessen wir alle teilhaft werden mögen durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem Ehre und Macht sei in alle Ewigkeit. Amen!





Siebenundvierzigste Homilie. Kap.XIII,V.34-52.

47 Mt 13,34-52
1.

V.34: "Alles das sprach Jesus zu der Menge in Gleichnissen, und ohne Gleichnis sagte er nichts zu ihnen, 

   V.35: auf daß erfüllt würde das Wort des Propheten, der da sprach: Ich werde meinen Mund offnen in Gleichnissen, Dinge werde ich kundtun, die verborgen waren seid dem Anbeginn der Welt" (Ps 77,2).  

   Markus schreibt: "Entsprechend ihrem Auffassungsvermögen redete er zu ihnen in Gleichnissen" (Mc 4,33). Und um dann zu zeigen, daß der Herr damit nichts Neues eingeführt habe,zitiert er den Propheten, der ebenfalls vorhergesagt hat, daß der Herr auf diese Weise lehren werde. Er will uns also über die wahre Absicht Christi belehren und zeigen, daß er nicht deshalb so geredet habe, damit die Leute es nicht verstehen, sondern um zu Fragen zu veranlassen. Darum fügt er hinzu: "Und ohne Gleichnis redete er nichts zu ihnen" (Mc 4,34), und doch hat der Herr sonst vieles ohne Gleichnis geredet;damals aber nicht. Aber gleichwohl fragte ihn niemand etwas, obwohl die Juden oft an die Propheten Fragen stellten, wie z.B. an Ezechiel und an viele anderen. Diese hier taten nichts dergleichen. Und doch wären seine Worte gar wohl imstande gewesen, sie in Angst zu versetzen und zum Fragen anzuregen. In den Gleichnissen drohte ja der Herr mit den härtesten Strafen. Dennoch ließen sie sich auch dadurch nicht rühren. Darum entließ sie zuletzt der Herr und ging hinweg. 

   V.36: "Dann", heißt es nämlich, "entließ Jesus die Volksscharen und ging hinweg in sein Haus"; 

   und kein einziger Schriftgelehrter folgte ihm. Das beweist klar, daß sie ihm bisher nur deshalb gefolgt waren, um ihn[440] zu fangen. Da sie aber seine Gleichnisse nicht verstanden, so ließ er sie gehen. "Und seine Jünger kamen zu ihm hin, und fragten wegen des Gleichnisses mit dem Unkraut." Bei anderen Gelegenheiten hatten sie zwar auch gerne fragen wollen, sich aber dann doch gefürchtet, es zu tun. Warum sind sie also hier auf einmal so mutig? Weil der Herr zu ihnen gesagt hatte: "Euch ist es gegeben, die Geheimnisse des Himmelreiches zu erkennen" (Mt 13,11), das hatte sie zuversichtlich gemacht. Darum fragen sie auch ganz allein, nicht etwa um die Menschen zu tadeln, sondern entsprechend den Worten des Herrn: "Denn diesen ist es nicht gegeben." Warum haben sie aber das Gleichnis mit dem Sauerteig und dem Senfkorn übergangen und gerade über dieses hier Fragen gestellt? Weil ihnen jene klarer zu sein schienen. Dieses dagegen wollten sie besser verstehen lernen, weil es mit dem vorausgehenden eine gewisse Verwandtschaft hat und doch etwas mehr besagt als jenes. Sie wollen ja doch nicht bloß wissen, ob er nicht zweimal dasselbe sage; sie hatten ja gesehen, welche schwere Androhung es enthielt. Darum tadelt sie auch der Herr nicht, sondern führt das früher Gesagte noch weiter aus. Was ich sodann immer betonte, daß man die Gleichnisse nicht nach dem Buchstaben erklären dürfe, wenn man nicht zu vielen sinnlosen Folgerungen kommen wol le, das gibt uns hier der Herr selbst zu8 erkennen durch die Art und Wei se, wie er das Gleichnis erklärt. Er sagt ja nicht, wer die Knechte seien, die[441] hingingen; vielmehjr wioll er zeigen, daß er sie nur des Zusammenhangs wegen eingeführt habe; darum übergeht er sie auch und erklärt bloß das Wichtige und Wesentliche, um dessentwillen er das Gleichnis überhaupt anführte; er will nämlich zu verstehen geben, daß er der Richter und Herr über alles sei. 

   V.37: "Und er antwortete ihnen und sprach: Derjenige, der den guten Samen ausstreut, ist der Menschensohn. 

   V.38: Der Acker aber ist die Welt. Der gute Samen, das sind die Kinder des Himmelreiches. Das Unkraut sind die Kinder des Bösen. 

   V.39: Der Feind, der das Unkraut sät, ist der Teufel. Die Ernte ist die Vollendung der Zeit. Die Schnitter sind die Engel. 

   V.40: Wie man also das Unkraut sammelt und im Feuer verbrennt, so wird es geschehen bei der Vollendung dieser Welt. 

   V.41: Der Menschensohn wird seine Engel senden, und sie werden in seinem Reiche alle Ärgernisse und alle Übeltäter sammeln. 

   V.42: Und sie werden dieselben in den Feuerofen werfen. Da herrscht Heu len und Zähneknirschen. 

   V.43: Dann werden die Gerechten glänzen wie die Sonne im Reiche ihres Vaters." 

   Da also der Herr selbst es ist, der den Samen ausstreut, und zwar auf seinem eigenen Acker, und da er aus seinem eigenen Reiche[442] sammelt, so ist es klar, daß diese sichtbare Welt sein Eigentum ist. 

   Da sieh nur,wie unaussprechlich seine Liebe zu den Menschen ist, wie groß sein Verlangen, ihnen Gutes zu tun, und wie sehr er vor Strafen zurückschreckt. Wenn er den Samen ausstreut, streut er ihn selber aus; wenn er aber straft, tut er es durch andere, das heißt durch Engel. "Dann werden die Gerechten erglänzen wie die Sonne im Reiche ihres Vaterts." Nicht als ob sie nur so leuchteten[443] , sondern weil wir nichts kennen, was heller leuchtete als dieses Gestirn, deshalb ge braucht der Herr Vergleiche mit Dingen, die uns bekannt sind. Anderswo sagt aber der Herr, die Ernte sei schon da; so z.B. wo es von den Samari tern heißt: "Erhebet eure Augen, und betrachtet die Fluren, da sie schon reif sind für die Ernte" (Jn 4,35), und an einer anderen Stelle: "Die Ernte ist groß; der Arbeiter aber sind wenige" (Lc 10,2). Wie kommt es nun, daß er dort sagt, die Erntezeit sei schon da, und hier, sie werde erst kommen. Weil hier das Wort einen verschiednen Sinn hat. Und wie konnte er an einer anderen Stelle sagen; "Ein anderer ist es, der aussät, ein anderer,der erntet" (Jn 4,37), während er hier sagt, er selbst sei auch derjenige,der aussät? Weil er auch den früheren Ausspruch in dem Sinne tat, daß er die Apostel nicht mit sich selbst, sondern mit den Propheten verglich, und zwar sowohl den Juden wie auch den Samaritern gegenüber. Denn er war es ja, der den Samen auch durch die Propheten ausstreute. Es kommt sogar vor, daß er ein und dieselbe Sache Ernte und Aussaat nennt, je nachdem er das Wort in verschiedenem Sinne gebraucht.



2.

Wenn der Herr die Bereitwilligkeit und den Gehorsam der Zuhörer im Auge hat, so gebraucht er dafür die Bezeichnung "Ernte", weil ja diese das Ganze vollendet; wenn aber die Frucht bei dem Zuhörer noch ausbleibt, so redet er von "Aussaat", und bezeichnet mit Ernte erst das Weltende. Weshalb sagt er ferner an einer anderen Stelle, die Gerechten würden zuerst entrückt werden? (1Th 4,17). Entrückt werden sie zar zuerst; sobals aber Christus erscheint, werden diese[444] der Strafe überantwortet, und dann erst werden die anderen ins Himmelreich einziehen. Zu ihrer eigentlichen Wohnung ist ja der Himmel bestimmt. Doch wird der Herr auf diese Welt kommen und hier das Gericht über alle Menschen halten. Deshalb gibt er zuerst diesen seinen Urteilsspruch bekannt, und dann erst erhebt er sich wie ein König mit seinen Freunden und führt sie ihrer glücklichen Bestimmung entgegen. Siehst du da, daß die Strafe[445] eine zuweifache ist: einerseits weil sie dem Feuer übergeben werden, anderseits weil sie jener Herrlichkeit verlustig gehen? 

   Warum fuhr aber der Herr nach dem Weggang der Juden fort, auch mit den Jüngern in Gleichnissen zu reden? Weil sie dadurch an Weisheit zunahmen und so auch[446] verstanden. Darum sagt er nach Beendigung der Gleichnisse zu ihnen: "Habt ihr all das verstanden?" (Mt 13,51). Sie ant worteten ihm: "Ja, Herr." Dies Gleichnis hatte also nebst den anderen Vorteilen auch noch den, daß es die Jünger einsichtiger machte. 

   Wie fährt nun der Herr fort? 

   V.44: "Das Himmelreioch ist gleich einem Schatzu, der in der Erde verbra ben ist; ein Mensch findet ihn und verbirgt ihn, und aus Freude darüber verkauft er alles, was er hjat, und klauft jenen Acker. 

   V.45: Ebenso gleicht das Himmelreich einem Kaufmann, der Perlen sucht. 

   V.46: Wenn er eine kostbare Perle findet, so geht er hin, verkauft alles, was er hat, und kauft sie." 

   Wie oben die beiden Gleichnisse mit dem Senfkorn und Sauerteig nur wenig voneinander verschieden sind, so auch hier die zwei Gleichnisse von dem Schatz und der Perle. Beide legen uns eben das nahe, daß wir die Heilsbot schaft[447] höher als alles andere schätzen sollen. Durch den Vergleich mit dem Sauerteig und dem Senfkorn sollte die Kraft des Evangeliums ausgedrückt werden, sowie sein vollständiger Sieg über die Welt; die beiden letzten Gleichnisse deuten einen kostbaren Wert an.Das Evangelium wächst eben wie ein Senfkorn, und durchdringt alles wie Sauerteig; es ist kostbar gleich einer Perle und bietet tausend Vorteile, so wie der Besitz eines Schat zes. 

   Aber nicht bloß das können wir daraus lernen, daß wir allem anmderen entsagen und dem Evangelium folgen sollen, sondern auch, daß wir dies mit Freuden tun müssen. Ja, wer sich seines Besitzes entäußert, der soll wissen, daß dies ein Gewinn für ihn ist, kein Verlust. Siehst du also, wie das Evangelium in der Welt verborgen ist, und das Gute im Evangelium? Und wenn du nicht alles verkaufst, so kannst du auch nicht einkaufen; wenn deine Seele nicht so gesinnt ist, daß sie darnach verlangt und sucht, so findest du auch nicht. Zwei Bedingungen müssen also vorhanden sein, daß man dem Irdischen entsage und daß man zugleich eifrig im Guten sei.Denn, heißt es,[448] "einem Manne, der schöne Perlen sucht. Wenn dieser eine wertvolle Perle gefunden hat, so verkauft er alles und kauft sie." Die Wahrheit ist eben nur eine, und nicht vielfach. Wer die eine kostbare Perle besitzt, der weiß, daß er reich ist; die anderen dagegen wissen es nicht, obwohl einer die Perle oft in der Hand hält; denn sie hat ja nur geringen Umfang. Gerade so ist es mit dem Evangelium. Diejenigen, die es besitzen, die wissen, daß sie reich sind; die Ungläubigen hingegen, die diesen Schatz nicht sehen, er kennen auch unseren Reichtum nicht. 

   Damit wir aber sodann nicht bloß auf das Evangelium unser Vertrauen setzen und nicht etwa denken, der Glaube allein genüge zu unserem Heile, so bringt der Herr ein weiteres schreckliches Gleichnis vor. Und welches ist dies? Das Gleichnis mit dem Fischernetz. 

   V.47: Denn "das Himmelreich ist gleich einem Netze, das ins M;eer geworfen wird und mit dem man Fische jeder Art fängt. 

   V.48: Wenn dieses voll ist, so ziehen es die Fischer ans Ufer, setzen sich nieder, sammeln die guten in Gefäße, und die schlechten werfen sie weg." 

   Worin unterscheidet sich dieses Gleichnis von dem über das Unkraut? Auch dort werden ja die einen gerettet, die anderen gehen verloren. Gewiß, aber dort gehen sie wegen schlechter, häretischer Lehren zugrunde; und andere noch vor ihnen, weil sie überhaupt nicht auf die Predigt hören. Hier gehen sie wegen schlechten Lebens verloren; und die sind von allen am schlimmsten daran, denn obgleich sie zur Erkenntnis der Wahrheit gelangten und im Netze gefangen wurden, vermochten sie trotzdem das Heil nicht zu erlangen. Anderswo sagt der Herr, der Hirte selbst werde die Scheidung vornehmen; hier heißt es, die Engel würden dies tun, wie auch bei dem Gleichnis vom Unkraut. Wie erklärt sich dies? Der Herr redet mit den Aposteln bisweilem in einfacherer, bisweilen in gewählterer Sprache. Auch gibt er von diesem Gleichnis eine Erklärung,ohne darum gebeten worden zu sein; aus eigenem Antrieb macht er ihren Sinn teilweise klar, und erhöhte so noch den Eindruck der Furcht. Wenn du nämlich hörst, daß daß die schlechten Fische hinausgeworfen werden, so sollst du deshalb nicht glauben, der Verlust des Heiles sei eine ungefährliche Sache. Des halb zeigt uns der Herr durch seine Rrklärung auch die Strafe mit den Worten: 

   V.50: "sie werden sie ins Feuer werfen". 

   und weist hin auf das Zähneknirschen und den unaussprechlichen Schmerz. 

   Siehst du also, wie vielfach die Möglichkeiten des Verderbens sind? Der Felsgrund, die Dornen, der Weg, das Unkraut, das Fischernetz. Der Herr hat also nicht mit Unrecht gesagt: "Breit ist der Wegh, der ins Verderben führt, und vioelöe sind es, die auf ihm wandeln" (Mt 7,13). Nachdem er also dies alles gesagt, und seine Rede mit einer so schrecklichen Drohung beschlossen und noch weit mehr Aufklärungen gegeben[449] , da erst frägt er: 

   V.51: "Habt ihr dies alles verstanden? Sie antworteten ihm: Ja,Herr." 

   Da lobt er sie wieder ob ihrer Einsicht und sagt: 

   V.52: "Darum ist jeder Schriftgelehrte im Himmelreich gleich einem Haus vater, der aus seinem Schatze Neues und Altes austeilt." 

   Deshalb sagt er auch an einer anderen Stelle: "Ich werde zu euch Weise und Schriftgelehrte senden" (Mt 23,34).



3.

Siehst du jetzt, wie Christus das Alte Testament nicht etwa aus schließt, sondern im Gegenteil lobt und preist, indem er es einen Schatz nennt? Wer also die Hl.Schrift nicht kennt, der kann schwerlich ein sol cher Hausvater sein, da er ja weder selbst etwas hat, noch von anderen etwas empfängt, sondern sich selbst vernachlässigt, obwohl er vor Hunger zugrunde geht. Aber nicht bloß diese, auch die Häretiker haben keinen Teil an dieser Seligpreisung. Sie bringen ja nicht Neues und Altes vor. Da sie nämlich das Alte nicht haben, so besitzen sie auch das Neue nicht; und wer umgekehrt das Neue nicht besitzt, hat auch das Alte nicht, sondern entbehrt beides; so sind eben beide Testamente miteinander ver bunden und verknüpft. 

   Wir alle also, die in der Lesung der Hl.Schrift nachlässig sind, mögen hören, welcher Schaden uns droht, welche[450] Armut. Oder wie sol len wir imstande sein, ein gutes, werktätiges Leben zu führen, wenn wir nicht einmal die Gesetze kennen, nach denen wir leben sollen? Die Rei chen, deren ganzes Sinnen und Trachten auf Geld gerichtet ist, schütteln oft ihre Gewänder aus, damit sie nicht von Motten zerfressen werden; und du, dessen Seele durch die Gleichgültigkeit noch schwerer als durch Motten geschädigt wird, du greift nicht zu den Hl.Büchern, machst dich nicht los von diesem Verderben, schmückst deine Seele nicht, betrachtest nicht ohne Unterlaß das Bild der Tugend, und lernst nicht, welches deren Glieder und welches ihr Haupt ist? Auch die Tugend hat nämlich ein Haupt und Glieder, die viel schöner sind als der wohlgestaltetste und schönste Leib. Welches ist also, fragst du, das Haupt der Tugend? Die Demut. Darum macht auch Christus mit ihr den Anfang und sagt: "Selig sind die Armen[451] " (Mt 5,3). Dieses Haupt hat zwar keine Haare und Locken, dafür aber eine Schönheit, die Gottes Wohlgefallen auf sich zieht. "Denn auf wen werde ich schauen", sagt er, "wenn nicht auf den Sanftmütigen, den Demütigen und den, der vor meinen Worten zittert?" (Is 66,2). Und: "Meine Augen sind gerichtet auf die Sanftmütigen der Erde" (Ps 75,10 u. Ps 100,6). Und: "Der Herr ist nahe denen, die ein zerknirschtes Herz haben" (Ps 33,19). Dieses Tugendhaupt bringt statt der Locken und Haare Gott angenehme Opfer dar. Es ist ein goldener Altar und eine geistige Opferstätte; denn "ein Opfer für Gott ist ein zerknirschter Geist" (Ps 50,19). Diese Tugend ist die Mutter der Weisheit[452] . Wer diese hat, besitzt auch die anderen. Siehst du also, wie dieses Haupt nicht seinesgleichen hat? Und willst du auch das Antlitz sehen, oder vielmehr kennen lernen? Beachte nur zunächst seine rote blühende Farbe, sein überaus anmutiges Aussehen, und höre, was dieses bewirkt? Was bewirkt es also? die errötende Schamhaftigkeit. Darum sagte auch jemand:"Vor der Schamhaftigkeit geht die Anmut einher" (Si 32,14). Das verleiht auch den übrigen Gliedern große Schönheit. Da könntest du tausend Farben mischen, eine solche Schönheit wirst du nicht erreichen. Willst du dann auch die Augen betrachten, so sieh nur, wie überaus schön sie mit Bescheidenheit und Sittsamkeit geschmückt sind. Darum werden sie auch so gut und scharf, daß sie sogar imstande sind,den Herrn selbst zu schauen. "Selig, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott anschauen" (Mt 5,8). Ihr Mund aber ist die Weisheit und Einsicht und das Verständnis geistiger Lieder. Das Herz ist die praktische Kenntnis der hl.Schrift, die genaue Einhaltung der Lehre, Nächstenliebe und Güte. Und wie es nicht möglich ist, ohne dieses[453] zu leben, so kann man ohne jenes[454] unmöglich sein Heil erlangen. Aus ihm entspringt ja alles Gute.Auch hat es Füße und Hände, das sind die guten Werke; und seine Seele ist die Gottesfurcht; seine Brust ist von Gold und dazu härter als Diamant, das ist die Starkmut, und eher kann man alles andere bewältigen, als diese Brust brechen. Der Geist aber, der im Gehirn und im Herzen wohnt, ist die Liebe.



4.

Willst du, daß ich dieses Bild auch an Tatsachen selbst erläutere? Schau nur auf eben unseren Evangelisten! Wenn wir auch nicht seine ganze Lebensbeschreibung besitzen, so können wir doch aus dem Wenigen schon sein Bild durchleuchten sehen. Daß er demütig und zerknirscht war, beweist der Umstand, daß er sich selbst in seinem Evangelium einen Zöllner nennt; daß er barmherzig war, ersiehst du daraus, daß er alles verließ und Jesus nachfolgte; für seine Frömmigkeit sprechen seine Lehren. Seine Einsicht und seine Liebe kann man leicht aus dem Evangelium erkennen, das er schrieb; seine Fürsorge erstreckte sich ja über den ganzen Erdkreis; auf seine guten Werke kann man schließen aus dem Thron, den er einmal einnehmen sollte; seine Starkmut beweist die Freude, mit der er vom Hohen Rate wegging. 

   Ahmen wir also solche Tugend nach, vor allem seine Demut und Barmherzigkeit, ohne die man nicht in den Himmel kommen kann. Das beweisen die fünf[455] Jungfrauen[456] und auch die Phari säer. Ohne die Jungfräulichkeit kann man[457] schauen, ohne Barmherzigkeit nicht; diese gehört eben zu den notwendigen Dingen, die alles andere in sich begreifen. Nicht mit Unrecht haben wir also sie das Herz der Tugend genannt. Doch erlöscht dieses Herz gar schnell, wenn es nicht allen Gliedern das Leben mitteilt. Wie das Quellwasser faul wird, wenn es nicht abfließt, so auch die Reichen, wenn sie ihren Reichtum immer bei sich behalten. Darum pflegen wir auch im gewöhnlichen Sprachgebrauch zu sagen: Bei dem und dem ist viel fauler Reichtum, und nicht etwa: viel Überfluß, oder: ein großer Schatz. Diese Fäulnis haftet aber nicht bloß denen an, die besitzen, sondern auch dem Reichtum, den sie besitzen. Gewänder, die lange liegen, verderben, das Gold rostet, das Getreide wird zernagt. Die Seele dessen aber, der all diese Dinge sein eigen nennt, wird noch mehr als dies durch die Sorgen wie von Rost und Fäulnis zerfressen. Könntest du die Seele eines Geizhalses offen zur Schau stellen, du würdest sie auf allen Seiten so von Sorgen duurchlöchert, von der Fäulnis und dem Rost der Sünden zersetzt finden, wie ein Kleid, das von tausend Würmern zerfressen ist und keinen gesunden Fleck mehr an sich hat. Die Seele des Armen dagegen ist nicht so, wenigstens nicht die eines freiwilligen Armen. Sie leuchtet wie Gold, glänzt wie eine Perle und blüht wie eine Rose. Da gibt es keine Motte, keinen Dieb, keine weltliche Sorge. Sie leben wie die Engel. Willst du die Schönheit einer solchen Seele schauen? Willst du den Reichtum der Armut kennen lernen? Der Arme befiehlt nicht Menschen, sondern Dämonen, er steht nicht in der Nähe eines Königs, sondern am Throne Gottes, er ist nicht der Mitkämpfer von Menschen, sondern von Engeln; er besitzt nicht bloß zwei oder drei oder zwanzig Geldtruhen, sondern ist so reich, daß er die ganze Welt dagegen für nichts erachtet. Er besitzt zwar keinen Schatz, dafür aber den Himmel; er braucht keine Diener, denn seine Sklaven sind die Leidenschaften, seine Diener sind die Neigungen, von de nen selbst Könige bezwungen werden. Die Versuchung, die auch dem Purpurträger ihren Willen aufzwängt, die fürchtet sich vor ihm, und wagt nicht einmal wider ihn aufzuschauen. Königtum, Gold und alles andere dieser Art verlacht er als Kinderspielzeug; er hält alles für ebenso nichtig, wie Reifen, Würfel, Kugeln und Bälle. Er besitzt ja einen Schmuck, den die nicht einmal zu sehen vermögen, die mit solchen Spielereien sich abgeben. Was gäbe es also Besseres als solch einen Armen? Er hat den Himmel zum Estrich. Und wenn der Himmel sein Estrich ist, was wird erst sein Dach sein? Aber du sagst, er hat weder Pferde noch Wagen. Und wozu braucht er das, wenn er doch einst auf den Wolken fahren und bei Christus sein wird? (1Th 4,17). 

   Das wollen wir also alle erwägen, Männer und Frauen, und wollen nach jenem[458] Reichtum streben und nach dem unveräußerlichen Besitz, damit wir dann auch das Himmelreich erlangen durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem die Ehre und die Macht gebührt in alle Ewigkeit. Amen!






Kommentar zum Evangelium Mt 46