Kommentar zum Evangelium Mt 8

Achte Homilie. Kap. II, V.11-15.

8 Mt 2,11-15
1.

V.11: "Und sie gingen hinein in das Haus, und sahen das Kind mit Maria, seiner Mutter. Und sie fielen nieder und beteten es an. Und sie öffneten ihre Schätze und brachten ihre Geschenke dar: Gold, Weihrauch und Myrrhe." 

   Wie kommt es denn, dass Lukas sagt, das Kind sei in der Wiege gelegen? (Lc 2,7). Weil die Jungfrau es nach seiner Geburt alsbald fort niedergelegt hat. Da nämlich wegen der Volkszählung viele Menschen zusammen gekommen waren, so hatte sie keine Wohnung finden können. Das deutet uns auch Lukas an mit den Worten: "Weil kein Platz da war, legte sie es nieder" (Lc 2,7). Dann aber hob sie es wieder auf und nahm es auf die Knie. Sobald sie nämlich nach Bethlehem gekommen war, gebar sie das Kind, damit du auch hierin nur das Werk der Vorsehung erkennest, und wissest, dass dies nicht nur zufällig so geschehen, sondern dass dies alles nach der Absicht der göttlichen Vorherbestimmung und gemäß den Prophetien sich vollzogen und erfüllt hat. Was bewog aber die Magier, das Kind anzubeten? Die Jungfrau war ja doch keineswegs berühmt, noch war das Haus[129] besonders großartig; auch sonst konnte man nichts wahrnehmen, was hätte Eindruck machen und die Aufmerksamkeit auf sich ziehen können. Sie aber beugen nicht nur ihre Knie vor ihm, sondern öffnen auch ihre Schätze und bringen Geschenke dar, und zwar Geschenke nicht wie für einen Menschen, sondern wie sie für Gott sich geziemen. Denn auf Gott deuteten der Weihrauch und die Myrrhe. Was war es also, das sie hierzu veranlaßte? Das gleiche, was sie bewogen hatte, von zu Hause aufzubrechen und eine so weite Reise zu unternehmen. Das waren aber einerseits der Stern und andererseits die innere, geistige Erleuchtung, die ihnen von Gott zuteil geworden, und die sie bald zu noch vollkommenerer Erkenntnis führen sollte. Ohne das hätten sie dem Kinde schwerlich solche Ehre erwiesen, da ja alles, was sie sonst dort sahen, so ärmlich und unscheinbar war. Gerade deshalb war dort nichts äußerlich Großes, nur eine Krippe, eine Hütte und eine arme Mutter, damit du die reine Gesinnung der Magier erkennest und wissest, dass sie nicht wie zu einem bloßen Menschen kamen, sondern wie zu einem Gott und Wohltäter. Darum nahmen sie auch an dem, was sie äußerlich wahrnahmen, keinen Anstoß, sondern brachten dem Kinde ihre Verwehrung dar und Opfer, die viel höher und geistiger waren, als die der Juden; denn sie schlachteten keine Schafe und junge Rinder. Sie standen eben der christlichen Religion schon viel näher, und sie brachten dem Kinde Glaube, Gehorsam und Liebe dar. 

   V.12: "Nachdem sie aber durch ein Traumgesicht gewarnt worden waren, nicht mehr zu Herodes zurückzukehren, da zogen sie auf einem anderen Wege in ihre Heimat zurück." 

   Beachte auch hier wieder ihren Glauben. Sie nehmen kein Ärgernis, sondern bleiben ruhig und zuversichtlich, lassen sich nicht verwirren, und sagen nicht untereinander: Wahrlich, wenn dieses Kind wirklich etwas Großes ist und irgend welche Macht besitzt, wozu brauchen wir dann zu fliehen und uns heimlich fortzustehlen? Nachdem wir doch offen und frei gekommen sind, und vor einem so großen Volk und einem tyrannischen König keine Furcht gezeigt haben, warum will uns jetzt der Engel wie Ausreißer und Flüchtlinge aus der Stadt[130] wegschicken? Nichts von all dem haben sie gesagt oder gedacht. Und gerade das ist ein Zeichen großen Glaubens, dass man nicht nach den Gründen fragt für das, was einem aufgetragen worden, sondern einfach dem gegebenen Befehle gehorcht. 

   V.13: "Als sie nun fortgezogen waren, siehe da erschien ein Engel des Herrn dem Joseph im Traume und sprach: Steh auf! Nimm das Kind und seine Mutter und fliehe nach Ägypten." 

   Hier drängt sich mit Recht eine Frage auf, die sowohl die Magier betrifft, als das Kind. Wenn nämlich die Magier auch nicht irre wurden in ihrem Vertrauen, sondern alles im Glauben annahmen, so müssen wir uns doch fragen, weshalb sie nicht mitsamt dem Kinde Rettung finden konnten, auch wenn sie da geblieben wären, warum im Gegenteil die Magier nach Persien, und das Kind mit seiner Mutter nach Ägypten fliehen mußten? Aber wie? Hätte das Kind vielleicht in die Hände des Herodes fallen und trotzdem nicht getötet werden sollen? Dann hätte man aber vielleicht nicht mehr zugegeben, dass der Herr wirklich Fleisch angenommen hatte und man hätte nicht mehr an die Größe des göttlichen Erlösungswerkes geglaubt. Denn obwohl dies also geschehen, und vieles nach menschlicher Art vor sich gegangen war, so haben einige sich doch schon herausgenommen, zu behaupten, die Fleischwerdung sei nur ein Mythus! In welchen Abgrund der Gottlosigkeit wären sie da nicht erst gefallen, wenn alles in einer der Würde und Macht Gottes entsprechenden Weise vor sich gegangen wäre? Die Magier sandte er aber deshalb so schnell fort, um sowohl Persien sobald als möglich seine Lehrmeister zu senden, als auch um den Tyrannen von seiner Tollheit zu heilen, indem er ihm zeigte, dass er sich an unmöglichen Dingen versuche, und damit er so seine Wut kühle und von diesem aussichtslosen Bemühen ablasse. Denn nicht bloß durch Macht über seine Feinde Herr zu werden, ist eine Tat, der göttlichen Allmacht würdig, sondern auch, sie mühelos zu täuschen. So hat Gott z.B. die Ägypter im Interesse der Juden getäuscht; denn obwohl er die Reichtümer der Ägypter ganz offen hätte in die Hand der Juden geben können, so hieß er sie dies doch heimlich und mit List tun, was ihn bei seinen Feinden nicht weniger gefürchtet machte, als sonst seine Wunderzeichen.



2.

Als z.B. die Bewohner von Askalon und all die anderen die Bundeslade in Empfang genommen hatten und dann durch sie besiegt worden waren, baten sie ihre eigenen Leute, nicht zu kämpfen und keine Schlacht anzunehmen, wobei sie neben anderen Wundern auch dieses erwähnten und sagten: "Was verhärtet ihr eure Herzen, wie weiland die Ägypter und Pharao getan; hat der Herr nicht jene erst überlistet und dann sein Volk herausgeführt und es entkommen lassen?" (1S 6,6). So sprachen sie, weil sie dieses Wunder für nicht weniger geeignet hielten als die anderen großen Zeichen, um die Macht und Größe Gottes zu beweisen. Auch hier geschah also ein solches Zeichen, das den Tyrannen wohl hätte abschrecken können. Denn bedenke, wie es den Herodes ärgern mußte, und wie er vor Zorn fast erstickte, da er sich so von den Magiern getäuscht sah und zum Schaden noch den Spott hatte! Wie aber, wenn er sich nicht besserte? Nun, da liegt die Schuld nicht an dem, der dies so gefügt hat, sondern an seinem eigenen, alles Maß übersteigenden Ingrimm, weil er denen, die ihn beruhigen und von seiner Bosheit abbringen konnten, kein Gehör schenkte, sondern im Gegenteil noch weiter ging, nur um für solchen Unverstand sich eine noch größere Strafe zuzuziehen. Warum aber "wird das Kind nach Ägypten geschickt"? Den Grund dafür gibt der Evangelist selber an, nämlich: "Auf dass erfüllt werde das Wort: Aus Ägypten rief ich meinen Sohn" (Os 11,1). Zugleich ward aber damit der Welt auch der Anfang zu froher Hoffnung vorhergesagt. Babylon und Ägypten waren ja mehr als die übrige Welt von dem verheerenden Brand der Gottlosigkeit erfüllt. Wenn nun der Herr von Anfang an zeigt, dass er beide auf den Weg der Gerechtigkeit und Besserung führen will, so ermutigt er uns dadurch, auch für die ganze Welt das Heil zu erwarten. Darum schickte er die Magier ins eine Land und ging selber mit seiner Mutter ins andere. 

   Außerdem werden wir hier auch noch über etwas anderes belehrt, das nicht wenig geeignet ist, uns zur Frömmigkeit anzuregen. Was ist denn das? Dass man von Anfang an auch auf Prüfungen und Verfolgungen gefaßt sein muß. Das können wir denn auch alsbald von der Wiege an am Herrn bewahrheitet sehen. Kaum ist er geboren, da wütet auch schon der Tyrann; er muß fliehen und in die Verbannung gehen, und die Mutter, die niemand etwas zuleide getan, muß im Lande der Barbaren Zuflucht nehmen. Daraus sollst du eine Lehre ziehen: Wenn du gewürdigt wurdest, bei irgendeinem guten Werke mithelfen zu dürfen, und dich dann Unannehmlichkeiten und Leiden ausgesetzt siehst, und alle möglichen Anfechtungen zu bestehen hast, so werde darob nicht irre und sage nicht: Wie kommt es dich nur? Ich hätte verdient mit einem Ehrenkranz geschmückt vom Herold ausgerufen zu werden und in Glanz und Ruhm zu leben; denn ich habe doch nur die Vorschriften des Herrn erfüllt! Nein, nimm dir vielmehr dies zum Beispiel, und trage alles mannhaft in dem Bewußtsein, dass gerade dies das Los aller Frommen ist, fortwährenden Heimsuchungen ausgesetzt zu sein. Sieh nur, wie sich dieses Gesetz nicht nur an der Mutter und ihrem Kinde, sondern auch an diesen Barbaren bewahrheitet hat. Diese gehen heimlich fort, wie Flüchtlinge; die Jungfrau, die niemals ihr eigenes Haus verlassen, muß sich einer so weiten und mühevollen Reise unterziehen, und zwar wegen dieses wunderbaren Kindes und seiner himmlischen Geburt. Und siehe, wie eigentümlich! Von Palästina droht die Gefahr; Ägypten gewährt Schutz und rettet den Bedrohten. Denn nicht nur für die Söhne des Patriarchen[131] , sondern auch für den Herrn selbst sind sie[132] Vorbilder geworden. Durch das, was sich mit dem Herrn zutrug, ward ja manches von dem vorherverkündet, was erst später geschehen sollte; so verhielt es sich auch mit der Eselin und dem Füllen. Es erscheint also der Engel; doch redet er nicht mit Maria, sondern mit Joseph. Und was sagt er? 

   V.20: "Steh auf! Nimm das Kind und seine Mutter." 

   Hier sagt er nicht mehr: dein Weib, sondern: "seine Mutter". Denn nachdem einmal das Kind geboren, der Verdacht beseitigt, und Joseph aufgeklärt worden war, redet der Engel hinfort mit aller Offenheit und spricht weder von seinem Kinde, noch von seinem Weibe. Er sagt einfach: "Nimm das Kind und seine Mutter und flieh nach Ägypten." Auch den Grund für die Flucht gibt er an: "denn Herodes wird dem Kinde nach dem Leben trachten".



3.

Als Joseph dies hörte nahm er kein Ärgernis und sagte nicht: Das ist mir unverständlich! Hast du nicht früher gesagt, er werde sein Volk erretten? Und jetzt kann er nicht einmal sich selber retten, und wir müssen fliehen in fremdes Land, zu langer Verbannung! Das ist ja das gerade Gegenteil von dem, was du versprochen hast! Nichts von all dem sagt Joseph; denn "er war ein gerechter Mann". Auch die Zeit der Rückkehr sucht er nicht zu erfahren, da ihn der Engel auch hierüber auf unbestimmte Zeit verwiesen; "denn", sagt er, "du sollst dort bleiben, bis ich es dir sagen werde". Aber auch daraufhin wird Joseph nicht überdrüssig; nein, er ist willig und gehorcht, und er trägt alle Prüfungen mit Freude. Gott hat ja in seiner Liebe unter die Mühsale dieses Lebens auch Freuden gemischt. Das tut er übrigens bei allen Heiligen. Weder Leid noch Freud schickt er ohne Unterbrechung, sondern das eine wie das andere hat er ins Leben der Gerechten eingestreut. So hat er es also auch hier gemacht. Denn siehe! Joseph bemerkte, dass die Jungfrau schwanger war. Das machte ihn verwirrt und äußerst besorgt; er hatte die Jungfrau im Verdacht, einen Ehebruch begangen zu haben. Da kam aber auch schon der Engel, und befreite ihn von Argwohn und Angst; und als dann Joseph das neugeborene Kind sah, empfand er darüber die größte Freude. Bald folgte aber dieser Freude eine neue Gefahr. Jerusalem geriet in Aufregung, der König war in Zorn und strebte dem Kinde nach dem Leben. Aber auch auf diesen Schrecken kam eine neue Freude: der Stern und die Magier, die dem Kinde ihre Huldigung darbrachten. Nach diesem frohen Ereignis stellen sich wieder Furcht und Fährlichkeit ein. "Herodes", so heißt es, "stellt dem Kinde nach dem Leben." Darum heißt es fliehen und fortziehen und zwar auf ganz menschliche Art. Noch war's ja nicht Zeit für den Herrn, Wunder zu wirken. Hätte er von frühester Jugend an solche gewirkt, so hätte man ihn nicht mehr für einen Menschen gehalten. Aus eben diesem Grunde hat auch Gott, nicht so ohne weiteres den Tempel seines Leibes gebildet, sondern er sollte empfangen werden, neun Monate im Mutterschoß weilen, Geburtswehen verursachen, geboren werden, und von der Muttermilch sich nähren; und all die Zeit hindurch ist äußerlich Ruhe und wartet er die rechte Zeit des Mannesalters ab, auf dass durch all diese Dinge das Geheimnis der göttlichen Vorsehung um so glaubwürdiger gemacht würde. Warum aber geschahen dann doch diese Wunder schon im Anfang? Mit Rücksicht auf die Mutter, auf Joseph, auf Simeon, der schon dem Sterben nahe war, auf die Hirten, die Magier und die Juden. Denn wenn diese den Ereignissen genaue Beachtung schenken wollten, so konnten sie auch schon aus ihnen für die Zukunft entnehmen. Wenn aber die Propheten nicht zum voraus von den Magiern geredet haben, so wundere dich darüber nicht; sie haben weder alles vorhergesagt, noch alles verschwiegen. Hätten die Menschen zuvor nichts erfahren und dann auf einmal die Ereignisse eintreten sehen, so wären sie gar sehr in Schrecken und Verwirrung geraten; hätten sie dagegen schon alles gewußt, so hätten sie sich nur gelangweilt, wenn man es ihnen nochmals gesagt hätte, und zudem wäre für die Evangelisten nichts mehr zu tun übrig geblieben. 

   Sollten aber die Juden behaupten, die Prophetenstelle: "Aus Ägypten berief ich meinen Sohn", sei von ihnen zu verstehen, so könnten wir ihnen entgegnen, dass auch das zur Natur der Prophetie gehört, dass oft etwas von den einen ausgesagt wird, an anderen aber in Erfüllung geht. So ist es z.B. mit dem, was von Simeon und Levi gesagt wurde: "Ich werde sie teilen in Jakob, und sie zerstreuen in Israel" (Gn 49,7). Trotzdem ist dies nicht an ihnen, sondern an ihren Nachkommen in Erfüllung gegangen. Auch was Noe über Chanaan sagte, erfüllte sich an den Gabaoniten, den Nachkommen Chanaan's. Ebenso können wir beobachten, dass es mit Jakob gerade so ging. Zwar lauteten jene Segenswünsche:"Werde der Herr deines Bruders, und die Söhne deines Vaters sollen vor dir niederfallen" (Gn 27,29); doch haben sie sich nicht an ihm erfüllt, sondern an seinen Nachkommen; denn wie hätten sie sich auch an ihnen erfüllen sollen, da er ja seinen Bruder fürchtete und vor ihm zitterte, um ihm jede erdenkliche Ehre erwies? Dasselbe kann man in unserem Falle sagen. Denn wen könnte man mit größerem Recht Sohn Gottes nennen? Den, der das goldene Kalb anbetete, dem Beelphegor sich weihte und seine eigenen Kinder den Dämonen opferte[133] , oder den, der von Natur aus Sohn Gottes war und seinen Vater ehrte? (Jn 8,49). Wenn also Christus nicht gekommen wäre, so hätte die Weissagung keine entsprechende Erfüllung gefunden.



4.

Sieh nur, wie auch der Evangelist eben dies andeutet mit den Worten: "Auf dass erfüllt werde"; er will damit anzeigen, dass die Weissagung nicht erfüllt worden wäre, wenn Christus nicht gekommen wäre. Diese Tatsache gereicht aber notwendigerweise auch der Jungfrau zu Ehre und Ruhm. Denn was das ganze Volk sich zum Ruhme anrechnete, dasselbe konnte auch sie für sich in Anspruch nehmen. Die Juden taten sich ja viel darauf zugute und rühmten sich, dass sie "aus Ägypten" gekommen seien. Das hat auch der Prophet angedeutet mit den Worten: "Habe ich nicht auch die Philister aus Kappadozien herbeigeführt und die Assyrier aus ihren Höhlen?"  (Am 9,7) Denselben Vorzug verleiht er also auch der Jungfrau. Ja man kann sogar mit Recht sagen, das ganze Volk und die Patriarchen, die nach Ägypten hinunter und wieder herauf zogen, haben nur als Ur und Vorbild dieser Wanderfahrt[134] gedient. Jene reisten hinauf, um dem Hungertode zu entgehen; dieser, um dem Tode zu entfliehen, der durch des Herodes Nachstellungen drohte. Jene wurden damals durch ihre Reise vom Hunger befreit; wer hat durch sein Kommen das ganze Land geheiligt. Beachte darum, wie auch inmitten der Erniedrigung die Gottheit sich enthüllt. Als der Engel sagte: "Fliehe nach Ägypten", da kündigte er ihnen nicht an, er wolle mit ihnen gehen, weder beim Hin noch beim Rückweg; er wollte ihnen damit andeuten, dass sie ohnehin einen mächtigen Reisebegleiter hätten: das neugeborene Kind. Denn kaum war dieses erschienen, da änderte es alle Dinge, und machte, dass selbst seine Feinde zu diesem seinem Heilsplan mitwirkten. So haben Magier und Barbaren ihren Aberglauben preisgegeben, und kamen, um das Kind anzubeten. Selbst Augustus hilft durch die Volkszählung, die er vorschrieb, dass die Geburt in Bethlehem ermöglicht werde. Ägypten nimmt den verfolgten Flüchtling auf und rettet ihn, und empfängt dafür den Keim einer gewissen Empfänglichkeit für ihn, so dass später, wenn die Apostel kämen, ihn zu verkündigen, es sich rühmen könnte, das erste Land gewesen zu sein, das ihn aufnahm. 

   Und doch hätte ursprünglich Palästina allein diesen Vorzug gehabt; aber Ägypten zeigte eben größeren Eifer. Ja, wenn du in die ägyptische Wüste gehst, so kannst du auch jetzt noch ein viel schöneres Schauspiel sehen, als je das Paradies geboten: tausende von Engelchören in Menschengestalt, Scharen von Märtyrern, Chöre von Jungfrauen; die Herrschaft des Teufels vollständig gebrochen, das Reich Christi in strahlender Herrlichkeit. Das Land der Poeten, der Weisen und Magier, das alle Arten von Zauberkünsten erfunden und den anderen Völkern übermittelt hat, dieses Land kannst du jetzt sich der Fischer rühmen hören, während es alles andere verachtet; den Zöllner und den Zeltmacher führt man dort allerorts im Munde und sucht Schutz und Schirm im Kreuze. Und solche erhebende Szenen finden sich nicht nur in den Städten, nein selbst in der Wüste, und da noch mehr als in den Städten. Denn dort kann man im ganzen Lande die Heerschar Christi finden, seine königliche Garde, die die Lebensweise der himmlischen Mächte nachahmt; und zwar kann man dies nicht bloß bei Männern beobachten, sondern auch bei Frauen; denn auch diese führen kein weniger aszetisches Leben als jene. Sie nehmen nicht den Schild zur Hand und steigen zu Pferde, wie es sogar die berühmtesten Gesetzgeber und Philosophen der Heiden vorgeschrieben. Dafür aber nehmen sie einen anderen, viel schwereren Kampf auf sich. Sie streiten gerade so wie die Männer gegen den Teufel und seine Mächte, und nirgends bildet bei ihnen die Schwäche der Natur ein Hindernis gegen solche Kämpfe; denn nicht durch die Stärke des Leibes, sondern durch die freie Bestimmung des Willens wird diese Art von Kämpfen entschieden. Darum haben auch oft Frauen besser gekämpft als Männer und haben schönere Siegespalmen errungen. Ja der Himmel strahlt nicht so schön im bunten Reigen seiner Sterne, als die ägyptische Wüste, die allerorts die Hütten ihrer Mönche zeigt.



5.

Wer noch jenes alte Ägypten gekannt hat, das gegen Gott gestritten und gewütet, das Katzen verehrte, das vor Zwiebeln sich fürchtete und erschrak,[135] , der wird die Macht Christi wohl zu schätzen wissen. Indes, wir brauchen nicht auf alte Begebenheiten zurückzugreifen; denn bis auf den heutigen Tag sind uns die Überreste jener törichten früheren Verirrung zum Beweise erhalten geblieben. Aber trotzdem stellen jetzt diejenigen, deren ganze Vergangenheit auf solche Torheiten zurückführt, über den Himmel und über himmlische Dinge Betrachtungen an, lachen über die Gebräuche ihrer Väter, bemitleiden ihre Vorfahren, und kümmern sich nicht mehr um das, was die[136] Philosophen sagen. Denn sie haben an deren eigenem Leben gesehen, dass ihre Lehren nicht mehr wert sind, als das Wahngerede von alten betrunkenen Weibern. Die wahre Philosophie hingegen, die auch des Himmels würdig ist, ist diejenige, die ihnen durch die Fischer verkündet wurde. Darum haben sie neben so großer Treue in der Lehre[137] auch im praktischen Leben so großen Eifer gezeigt. Sie haben sich all ihres Besitzes entäußert und sind der ganzen Welt gekreuzigt worden (Ga 6,14); ja sie gehen noch weiter und suchen durch ihrer Hände Arbeit zum Unterhalt der Bedürftigen beizutragen. Denn obwohl sie fasten und die Nächte durch wachen, glauben sie doch, am Tage nicht müßig sein zu dürfen. Im Gegenteil, sie bringen die Nächte mit heiligem Hymnengesang und Wachen zu, den Tag verwenden sie auf Gebet und auf körperliche Arbeiten, und ahmen so den Eifer des Apostels nach. Denn während auf ihn die Augen der ganzen Welt gerichtet waren, in der Erwartung, er werde die Bedürftigen[138] nähren, hielt er sich eine Arbeitstätte und übte ein Handwerk aus, und gönnte sich ob dieser Arbeit selbst bei Nacht den Schlaf nicht (Ac 20,34 1Th 2,9 2Th 3,8); um so mehr, wollen sie sagen, ziemte es sich für uns, die wir die Einöde aufgesucht, und nichts mit dem geräuschvollen Leben der Städte zu tun haben, die Stille und Ruhe der Einsamkeit zu geistlicher Tätigkeit zu benützen! 

   Schämen wir uns darum alle, ob reich oder arm, beim Anblick dieser Leute, die gar nichts besitzen, als ihren Leib und ihre Hände, und sich doch abmühen und streben, auch den Armen damit noch Hilfe zu bringen; wir hingegen, die wie unzählige Reichtümer zu Hause besitzen, wir wollen nicht einmal den Überfluß zu Almosen verwenden! Womit sollen wir uns also rechtfertigen? sprich! Wie sollen wir dafür Nachsicht erlangen? Bedenke, wie sehr auch diese Ägypter früher der Habsucht ergeben waren, der Gaumenlust und vielen anderen Lastern! Dort waren ja die Fleischtöpfe, deren die Juden gedachten (Ex 16,3); dort war der Magen der oberste Herr. Und dennoch änderten sie sich, weil sie es so wollten; die empfingen das Feuer Christi, und nahmen alsbald ihren Flug zum Himmel. Und obgleich sie alle anderen an Leidenschaftlichkeit übertrafen, und viel geneigter waren zum Zorn und zur Sinnenlust, so wetteiferten sie doch jetzt mit den unsichtbaren Mächten durch ihre Sanftmut und ihre sonstige Leidenschaftslosigkeit. Falls jemand in diesem Lande gewesen ist, so weiß er, was ich sage. Wer hingegen noch nie jene Hütten besucht hat, der erinnere sich an jenen Mann, der bis auf den heutigen Tag in aller Munde lebt, den größten, den Ägypten nach den Aposteln hervorgebracht hat, den gottseligen, großen Antonius, und bedenke, dass auch er in dem gleichen Lande gelebt hat wie Pharao. Und doch hat ihm dies nichts geschadet; vielmehr ward er sogar göttlicher Gesichte gewürdigt und hat ein solches Leben geführt, wie es die Gebote Christi erheischen. Hierüber kann sich jeder genau unterrichten, der das Buch zur Hand nimmt, das seine Lebensbeschreibung enthält auch kann er viele prophetischen Aussprüche darin finden. So hat er z.B. von den unseligen Anhängern des Arius vorhergesagt, welch ein Unheil durch sie entstehen werde; denn Gott hat es ihm damals gezeigt und ihm vor seinen Augen die ganze Zukunft enthüllt. So ist also neben anderen Dingen auch das ein ganz besonders deutlicher Erweis der Wahrheit, dass die von uns getrennten Häretiker nie einen solchen Mann aufzuweisen haben. Damit ihr dies aber nicht bloß aus unserem Munde zu erfahren braucht, leset selbst die betreffende Schrift; ihr werdet aus ihr alles genau erfahren, und viel geistigen Nutzen daraus schöpfen. Das wünsche ich aber, nicht damit ihr die Schrift bloß in die Hand nehmet, sondern damit ihr das dort gegebene Beispiel auch nachahmet, und nicht wieder die Verschiedenheit des Landes und der Erziehung, noch die[139] Schlechtigkeit eurer Vorfahren als Ausrede gebraucht. Denn wenn uns an uns selber gelegen ist, so wird all dies kein Hindernis für uns bilden. Auch Abraham hatte ja einen gottlosen Vater; gleichwohl hat er dessen Schlechtigkeit nicht nachgeahmt. Ezechias stammte von Achaz, und doch stand er in Gnade bei Gott; Joseph wand sich den Lorbeerkranz der Keuschheit mitten im damaligen Ägypten ums Haupt; die drei Jünglinge zeigten, dass sie die Höhe der Vollkommenheit mitten in Babylon erreicht hatten, mitten in einem Palaste, in dem die Tafel der Üppigkeit stets gedeckt war; desgleichen taten Moses in Ägypten und Paulus in der weiten Welt; nichts konnte diese hindern in ihrem Tugendstreben. Das alles sollen also auch wir beherzigen, diese unnötigen Zweifel und Ausflüchte beiseite lassen, und die Mühen der Tugendübung auf uns nehmen. Auf diese Weise werden wir Gott zu größerem Wohlwollen bewegen und ihn veranlassen, an unseren Kämpfen teilzunehmen; und dann wird auch uns der ewige Lohn zuteil werden, den wir alle erlangen mögen durch die Gnade und die Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem Ehre und Macht gebührt in alle Ewigkeit. Amen!





Neunte Homilie. Kap II, V.16-22.

9 Mt 2,16-22
1.

V.16: "Da sah Herodes, dass er von den Magiern getäuscht worden war. Er geriet darob in großen Zorn und sandte Häscher aus mit dem Befehle, in Bethlehem und seiner ganzen Umgebung sämtliche Knaben von zwei Jahren und darunter zu töten, entsprechend der Zeit, die er von den Magiern ausgeforscht hatte." 

   Es wäre besser gewesen, Herodes wäre nicht in Zorn, sondern in Furcht und Angst geraten und zur Einsicht gekommen, dass er sich an Unmöglichem versuche. Allein er läßt sich nicht abschrecken. Wenn nämlich die Seele einmal blind und unheilbar geworden ist, so ist sie für keines der Heilmittel mehr zugänglich, die Gott uns geschenkt. So siehe denn, wie Herodes nach all den früheren Kämpfen auch diesen noch auf sich nimmt, einen Mord zum andern fügt und alles tut, um in sein Verderben zu rennen. Wie von einem Dämon, so ist er von seinem Zorn und seiner Eifersucht besessen, er hört nicht mehr auf die Stimme der Vernunft, sondern wütet selbst gegen die Natur, läßt seinen Zorn über die Magier, die ihn überlistet, an den unschuldigen Kindern aus, und wagt es, eine ähnliche Missetat in Palästina zu begehen, wie sie einmal in Ägypten vorgekommen war.<f>Unter dem Pharao, der alle männlichen Judenkinder zu töten befahl<f>Ex 1,15.22</f> . "Denn",so sagt der Evangelist, "Herodes sandte Häscher aus mit dem Befehl, in Bethlehem und seiner ganzen Umgebung alle Knaben von zwei Jahren und darunter zu töten, entsprechend der Zeit, die er von den Magiern ausgeforscht hatte." Gebt hier ganz besonders acht! Denn manche reden da alles Mögliche zusammen wegen dieser Kinder, und sagen, es sei ein Unrecht gewesen, dass so etwas zugelassen ward. Die einen bringen ihre Bedenken hierüber in mehr bescheidenerer Form vor, andere mehr in anmaßendem, unwilligem Tone. Um also die einen von ihrem Unmut, die anderen von ihren Zweifeln zu befreien, laßt mich ein wenig bei diesem Gegenstand verweilen. 

   Wenn man es tadeln will, dass der Mord der Kinder zugelassen wurde, so muß man es auch tadeln, dass jene Soldaten den Tod fanden, die den Petrus bewachten. Im einen Falle sind wegen der Flucht des Jesuskindes andere Kinder statt des gesuchten getötet worden; im anderen Falle hat der Engel den Petrus aus Kerker und Banden befreit. Als daher der Tyrann, der mit jenem ersten den Namen und die Gesinnung gemeinsam hatte, ihn suchte und nicht fand, ließ er statt seiner die Soldaten töten, die seine Wächter gewesen. Aber was willst du damit beweisen, fragst du? Das heißt man ja die Schwierigkeit nicht lösen, sondern vergrößern. Auch ich bin mir dessen bewußt, und gerade darum bringe ich dies alles vor, um alles auf einmal zu beantworten. Wie kann man also diese Schwierigkeit lösen? Welch annehmbare Antwort könnte ich darauf geben? Die, dass nicht Christus schuld war am Tode jener unschuldigen Kinder, sondern die Grausamkeit des Königs; und dass nicht Petrus schuld war am Tode der Soldaten, sondern der Unverstand des Herodes. Hätte der die Mauer durchbrochen gesehen, oder die Kerkertüren zerstört, so hätte er vielleicht den Soldaten, die den Apostel bewachten, noch Fahrlässigkeit vorwerfen können. So aber war alles an seinem Platze geblieben; die Türen waren verschlossen, die Ketten hingen noch an den Händen der Wächter<f>denn Wächter und Gefangene waren aneinander gekettet</f> . Daraus konnte Herodes, wenn er den Vorfall richtig beurteilen wollte, den Schluß ziehen, dass das Geschehen nicht Menschenwerk war und kein Vergehen<f>der Soldaten</f> vorlag, sondern dass eine göttliche, wunderwirkende Macht eingegriffen hatte; und vor dem Urheber dieser Tat hätte Herodes sich beugen, nicht aber gegen die Wächter einschreiten sollen. Denn alles, was Gott getan hat, hat er in einer Weise getan, dass er nicht bloß die Wächter dem Tode überantwortete, sondern im Gegenteil den König durch sie zur Wahrheit hätte führen können. Wenn aber der sich blind zeigte, nun, welche Schuld trifft den weisen Seelenarzt, der alles zum Besten anordnet, wenn der Kranke nicht gehorcht? Das trifft auch hier zu. Warum denn, Herodes, bist du in Zorn geraten, als du von den Magiern getäuscht worden warst? Hast du nicht gewußt, dass es sich hier um eine übernatürliche Geburt handelte? Bist nicht du es gewesen, der die Hohenpriester gerufen? Hast nicht du die Schriftgelehrten versammelt? Und als sie kamen, haben sie da nicht vor dein Tribunal den Propheten mitgebracht, der alles dies schon längst vorausgesagt? Sahest du nicht, wie der Alte mit dem Neuen übereinstimmte? Hörtest du nicht, dass sogar ein Stern den Magiern dienstbar war? Hat der Eifer der Barbaren dich nicht beschämt? Hat ihr Mut dir keine Bewunderung abgenötigt? Erfaßte dich nicht Scheu und Ehrfurcht vor der Wahrheit des Propheten? Konntest du nicht von dem Früheren auf diese jüngsten Ereignisse schließen? Warum hast du nicht aus all dem bei dir selbst den Schluß gezogen, dass nicht eine List der Magier die Dinge so gewendet, sondern die Macht Gottes, die alles leitet, wie sie will? Und wenn dich auch die Magier getäuscht hätten, was hatten damit die unschuldigen Kinder zu schaffen?



2.

Nun ja, sagst du, damit hast du allerdings den Herodes als ganz unentschuldbaren blutgierigen Menschen hingestellt, aber noch nicht bewiesen, dass die Tatsache selbst kein Unrecht war. Wenn auch Herodes unrecht handelte, warum hat aber Gott dies überhaupt zugelassen? Was soll ich darauf erwidern? Dasselbe, was ich ohnehin immer in der Kirche, auf der Straße und sonst überall sage, und was ich auch euch gerne recht tief einprägen möchte; denn es ist eine Antwort von allgemeiner Gültigkeit, die auf jede ähnliche Frage paßt. Wie lautet also diese prinzipielle Antwort? Ich sage: Viele gibt es, die Unrecht tun, aber nicht einen, der Unrecht leidet" Damit euch aber das Rätsel nicht noch mehr verwirre, will ich euch gleich die Erklärung dazu geben. Sooft wir von irgendeiner Seite Unrecht leiden, so rechnet uns dies Gott entweder als Buße für unsere Sündern an, oder gibt uns einen Lohn dafür. Damit aber meine Worte noch klarer werden, will ich auch noch ein Beispiel anführen. Nehmen wir den Fall, ein Sklave schuldet seinem Herrn eine große Summe Geldes. Dieser Sklave wird von Übeltätern bedroht und eines Teiles seiner Habe beraubt. Wenn nun der Herr, der den Dieb an seinem Raube hätte hindern können, das gestohlene Gut dem Sklaven nicht ersetzt, sondern es als in der Schuld des Sklaven mit inbegriffen erklärt[140] , hat da der Sklave ein Unrecht erlitten? Durchaus nicht. Und wenn der Herr noch mehr dafür gäbe? Hätte das der Sklave nicht noch mehr gewonnen[141] ? Ganz offenbar! So sollen wir denn auch von den Leiden denken, die uns treffen. Dass wir nämlich für unsere Leiden entweder Sünden abbüßen, oder größeren Lohn empfangen, wenn wir nicht etwa ganz besonders schwere Sünden begangen, das beweisen uns die Worte des hl. Paulus über den Unzüchtigen: "Übergebet", sagt er, "einen solchen dem Satan zum Verderben des Fleisches, auf dass seine Seele gerettet werde" (1Co 5,5). 

   Was beweist aber das, fragst du? Es handelte sich ja um solche, die von fremder Seite Unrecht erleiden, nicht um diejenigen, die von ihren Lehrmeistern gestraft werden. Indes besteht hierin gar kein Unterschied. Es fragt sich nur, ob Böses leiden ein Unglück sei für den, der es leidet? Um aber auf den eigentlichen Kern der Frage einzugehen, denke an David. Als er den Semei dastehen. ihn über sein Unglück spotten sah, und von ihm mit ungezählten Beleidigungen überschüttet wurde, trat er doch den Heerführern, die den Semei töten wollten, in den Weg und sagte: "Lasset ihn lästern, auf dass der Herr meine Erniedrigung ansehe, und mir statt des Bösen, das mir heute widerfahren, Gutes erweise" (2S 16,11-12). Und in den Psalmen hat er gesungen: "Siehe, wie meine Feinde zahlreich geworden sind, und mit ungerechtem Hasse mich verfolgten, und verzeih mir alle meine Sünden" (Ps 24,19 u. Ps 24,18). Auch Lazarus ward deshalb ein besseres Los zuteil, weil er in diesem Leben zahllose Leiden erduldet. Es ist also denen, die zu leiden hatten, keim wirkliches Leid widerfahren, wenn sie nur all ihre Unbilden starkmütig ertrugen. Im Gegenteil,. sie haben dabei viel mehr gewonnen, ob sie nun von Gott geprüft oder vom Teufel gequält wurden. Aber, fragst du, welche Sünden konnten denn die unschuldigen Kinder abbüßen? Bei den Erwachsenen, die viel gesündigt haben, mag man wohl mit Recht so reden. Diese hingegen, die ein so vorzeitiges Ende fanden, was konnten sie durch ihre Leiden für Sünden abbüßen? Hast du denn nicht gehört, wie ich sagte, wenn auch keine Sünden da seien[142] , so werden dafür diejenigen entsprechend belohnt werden, die hienieden zu leiden haben? Was für ein Nachteil war es also für diese Kinder, wenn sie unter solcher Voraussetzung dahingerafft wurden, und alsbald in den Hafen des[143] Friedens einlaufen konnten? Aber sie hätten vielleicht viele große Taten verrichtet, wenn sie gelebt hätten! Indes trägt gerade das nicht wenig zur Erhöhung ihres Lohnes bei, dass sie trotzdem das Leben verloren. Übrigens hätte Gott sie nicht vor der Zeit dahinsterben lassen, wenn er gewußt hätte, dass diese Kinder etwas Großes werden sollten. Denn wenn er schon diejenigen, von denen er voraussieht, dass sie fortwährend in Sünde dahinleben werden, mit so großer Langmut erträgt, so hätte er um so eher bei diesen einen solchen Tod verhindert, wenn er vorausgesehen hätte, sie würden viel Gutes vollbringen.



3.

Das sind die Gründe die ich vorzubringen habe. Doch sind dies nicht alle; vielmehr gibt es noch andere viel verborgenere als diese, und derjenige, der dies alles selber so bestimmte, kennt sie gar wohl. Beugen wir uns darum vor seiner besseren Einsicht, und befassen wir uns mit dem folgenden, damit wir an fremdem Unglück lernen, alles mutig zu tragen. Es war ja auch kein kleines Unglück, das damals Bethlehem heimsuchte, als die Kinder von der Brust der Mütter gerissen und so ungerechter Weise hingeschlachtet wurden. Wenn du aber immer noch Bedenken hegst, und dich nicht zu so erhabenen Gesichtspunkten erschwingen kannst, so höre, welches das Ende dessen war, der solches gewagt hatte, und fasse etwas Mut. Für seine Vergehen hat ihn nämlich gar schnelle Strafe ereilt, und für sein Verbrechen hat er entsprechend gebüßt; denn er hat sein Leben durch einen schrecklichen Tod beschlossen, der noch elender war als der, den er selbst hier veranlaßte, und hat außerdem noch tausenderlei anderes Unglück erlitten. Das alles könnt ihr erfahren, wenn ihr die Geschichte des Josephus hierüber lest; sie hier selbst einzufügen halte ich nicht für nötig, damit die Predigt nicht zu lange werde, und wir den Zusammenhang nicht unterbrechen. 

   V.17: "Damals erfüllte sich die Weissagung des Propheten Jeremias, der da spricht: 

   V.18: "Eine Stimme ward in Rama gehört, Rachel, die ihre Kinder beweinte, und sie wollte keinen Trost annehmen, weil sie nicht mehr sind" (Jr 31,15). 

   Nachdem der Evangelist den Zuhörer durch die Erzählung dieses gewaltsamen, ungerechten, rohen, gesetzwidrigen Mordens mit Schauder erfüllt hat, beruhigt er ihn auch wieder mit dem Hinweis darauf, dass dies nicht etwa deshalb geschehen ist, weil Gott nicht imstande war, es zu verhindern, oder weil er nichts davon wußte, sondern dass er es im Gegenteil voraussah und es auch durch den Propheten vorausverkündete. Erschrick also nicht und werde nicht bestürzt im Angesicht der unerforschlichen Vorsehung, die wir zumeist nur an dem erkennen, was sie entweder bewirkt oder was sie zuläßt. Das hat der Herr auch sonst in den Gesprächen mit seinen Jüngern angedeutet. So hat er ihnen vorhergesagt, sie würden vor die Richterstühle geschleppt werden, und in die Verbannung geschickt, es würden Kriege entstehen in der Welt, und unversöhnliche Kämpfe; dann hat er sie aber auch wieder aufgerichtet und ermutigt mit den Worten: "Verkauft man nicht zwei Sperlinge um einen Heller? Und doch fällt keiner von ihnen zur Erde ohne euren Vater, der im Himmel ist" (Mt 10,29). Das sagt er, um uns zu zeigen, dass nichts geschieht ohne sein Wissen, dass er im Gegenteil alles weiß, wenn er auch nicht alles bewirkt[144] . Darum, will er sagen, fürchtet euch nicht und werdet nicht verwirrt. Denn, da euer Vater weiß, was euch widerfährt, und es hindern könnte, so ist es klar, dass er es gerade deshalb nicht hindert, weil er an euch denkt und für euch sorgt. Das gleiche müßt ihr auch bei den Heimsuchungen denken, die euch treffen, und ihr werdet keinen geringen Trost daraus schöpfen. 

   Aber, fragst du, was hat denn Rachel mit dem Ereignis in Bethlehem zu tun? Nun, da könnte einer ebenso gut sagen: "Rachel", heißt es, "beweinte ihre Kinder." Was hatte aber Rama mit Rachel zu tun? Rachel war die Mutter Benjamins, und nach ihrem Tod begrub man sie in dem Hippodrom, welches nahe bei diesem Orte liegt. Da also auch ihr Grab in der Nähe lag, und zum Erbe Benjamins ihres Sohnes gehörte[145] , so konnte der Prophet mit Recht die ermordeten Kinder die ihrigen nennen, weil sie die Ahnfrau des Stammes war, und ihr Grab sich dortselbst befand. Um ferner zu zeigen, wie unheilbar und grausam die empfangene Wunde war, fügt er hinzu: "Sie ließ sich nicht trösten, weil sie nicht mehr sind." Auch daraus lernen wir wieder dasselbe, was ich schon vorhergesagt, dass wir uns nämlich niemals verwirren lassen wollen, wenn die Tatsachen der Verheißung Gottes zu widersprechen scheinen. Sieh nur, was sich alles von Anfang an ereignete, nachdem der Herr zur Rettung seines Volkes erschienen war, oder vielmehr zur Erlösung der Welt. Seine Mutter muß fliehen, über seine Heimat kommt unerträgliches Unglück, eine Mordtat, schrecklicher als alle anderen Morde, wird gewagt; überall ist nur Trauer, Jammer und Wehklagen. Verliere aber deswegen die Fassung nicht. Gott pflegt seine Ratschlüsse stets durch seine Widersacher zu erfüllen, und gibt uns gerade dadurch den besten Beweis seiner Macht. In gleichem Sinne hat er auch seine Jünger angeleitet, und sie in den Stand gesetzt, alles zu vollbringen, indem er Gegensätze durch Gegensätze ausgleicht, um dadurch nur um so mehr unsere Bewunderung zu erregen. Auch die Apostel wurden ja gegeißelt und vertrieben, und duldeten unsäglich viele Leiden, trugen aber gerade dadurch den Sieg davon über diejenigen, von denen sie gegeißelt und verbannt wurden. 

   V.19: "Als aber Herodes gestorben war, siehe da erschien der Engel des Herrn dem Joseph im Traume und sprach: Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter und ziehe ins Land Israels." 

   Der Engel sagt schon nicht mehr: Fliehe, sondern: Ziehe.



4.

Siehst du, wie auch hier wieder auf den Sturm Ruhe folgte? Und der Ruhe folgte dann wieder eine neue Gefahr. Von der Verbannung ward er zwar befreit und konnte in seine Heimat zurückkehren und sehen, wie der Mörder der Kinder selbst dahingerafft worden. Doch kaum langt er zu Hause an, da stößt er schon wieder auf die Erinnerung an die früheren Gefahren, nämlich den Sohn des Tyrannen, der jetzt lebte und die Regierung führte. Wie konnte aber Archelaus König von Judäa sein während doch Pontius Pilatus Statthalter war?[146] Herodes war eben erst vor kurzem gestorben, und das Königreich war noch nicht in mehrere Teile geteilt. Da also jener kurz zuvor gestorben, so hatte inzwischen der Sohn die Herrschaft inne an Stelle des Herodes, seines Vaters. Auch sein Bruder trug ja den gleichen Namen, deshalb fügt der Evangelist hinzu: 

   V.22: " An Stelle des Herodes, seines Vaters." 

   Denn, wollte er damit sagen, wenn Joseph wegen des Archelaus sich fürchtete, nach Judäa zu gehen, so mußte er auch Galiläa meiden, des Herodes wegen. Wenn er hingegen den Aufenthalt wechselte, so blieb die Sache mehr verborgen, da die ganze Aufmerksamkeit[147] sich auf Bethlehem und seine Umgebung richtete. Nachdem also der Mord geschehen war, glaubte der Sohn Archelaus, die ganze Sache sei damit zu Ende, und unter den vielen anderen sei auch der getötet worden, den man eigentlich allein gesucht hatte. Dann aber, als er gesehen, dass auch sein Vater auf solch gewaltsame Weise das Leben verloren, erfaßte ihn doch zu große Scheu, als dass er auf diesem Wege weiter geschritten und mit unrechten Mitteln gekämpft hätte. Joseph ging also nach Nazareth, wich auf diese Weise der Gefahr aus, und hatte doch zugleich die Freude, in seiner Heimat zu wohnen. Damit er sich aber noch sicherer fühle, empfing er hierüber wunderbarer Weise vom Engel auch noch eine besondere Weisung. Lukas sagt allerdings nicht, dass Joseph auf diese Weisung hin dorthin gekommen sei, sondern nur, dass sie sich nach Vollzug des ganzen Reinigungsritus nach Nazareth begaben. Wie ist also dies zu erklären? Durch die Tatsache, dass Lukas so redet, weil er nur über die Zeit von der Flucht nach Ägypten berichten will. Der Engel führte sie ja auch nicht vor der Reinigung dorthin, damit nicht das Gesetz verletzt würde, sondern wartete, bis die Reinigung vorüber und sie nach Nazareth gekommen waren und dann erst hieß er sie nach Ägypten ziehen. Dann, nach ihrer Rückkehr, befahl er ihnen, nach Nazareth zu gehen. Das erstemal war ihnen nicht durch eine Erscheinung befohlen worden, dorthin zu gehen, sondern sie taten dies aus Liebe zur Heimat und aus eigenem Antrieb. Sie waren ja auch aus keinen anderen Grunde nach Bethlehem, gegangen, als wegen der Volkszählung, und konnten nicht einmal Unterkunft finden. Als daher der Zweck ihrer Reise erfüllt war, kehrten sie wieder nach Nazareth zurück. Darum brachte sie auch der Engel zuletzt wieder in ihre Heimat, und zwar nicht ohne besonderen Grund, sondern im Hinblick auf eine Prophetie: "Auf dass erfüllt werde", sagt er, "was der Prophet gesprochen: er werde Nazarener genannt werden"  (Mt 1,22-23 vgl. Is 11,1) Und welcher Prophet hat denn dies gesagt? Nun, sei nicht vorwitzig und wolle nicht zuviel wissen. Es sind ja viele prophetische Bücher verloren gegangen, wie man aus der Geschichte der Paralipomena ersehen kann. Die Juden waren eben nachlässig und fielen immer wieder ab von Gott; so ließen sie einige Bücher verloren gehen, andere haben sie selbst verbrannt und zerstört. Den einen Fall berichtet uns Jeremias (Jr 36,131), den anderen der Verfasser des vierten Buches der Könige, der erzählt, man habe nach langer Zeit nur mit Mühe das Deuteronomium finden können, das irgendwo begraben und versteckt gewesen sei (2R 22). Wenn sie aber schon zur Zeit, da keine Feinde im Lande waren, die hl. Bücher so geringschätzig behandelten, dann um so mehr, als die Barbaren das Land erobert hatten. 

   Indes nennen auch die Apostel, wie die Propheten es vorausgesagt, den Herrn allenthalben Nazarener. Und ist es also das, fragst du, wodurch die Prophetie über Bethlehem etwas unverständlich und dunkel gemacht wurde? Ganz und gar nicht. Vielmehr gab gerade das den Anstoß und den Antrieb zur Erforschung dessen, was über ihn verheißen worden. Das veranlaßte ja auch Nathanael zu seiner Frage bezüglich des Herrn: "Kann denn aus Nazareth etwas Gutes kommen?" (Jn 1,46). Es war dies nämlich ein ganz unansehnlicher Ort; oder vielmehr nicht bloß der Ort allein war unbedeutend, sondern das ganze Land Galiläa. Darum sagten auch die Pharisäer: "Forsche nach und du wirst sehen: Aus Galiläa ist kein Prophet hervorgegangen" (Jn 7,52). Trotzdem schämt sich der göttliche Heiland nicht, nach dieser Gegend benannt zu werden; er zeigt dadurch, dass er von menschlichen Rücksichten unabhängig ist; ja auch seine Apostel beruft er aus Galiläa. Er will eben dadurch auf jede Weise den Vorwänden derer begegnen, die sich lieber ihrer Trägheit hingeben möchten, will zeigen, dass wir keiner äußerlichen Hilfe bedürfen, wenn wir nur die Tugend üben. Aus diesem Grunde wollte er nicht einmal ein eigenes Haus haben, denn, sagt er: "Der Menschensohn hat nicht, wohin er sein Haupt neige" (Lc 9,58). Als Herodes ihm nach dem Leben trachtet, flieht er; nach seiner Geburt wird er in eine Krippe gelegt; er wohnt in einer Herberge und eine arme Mutter wählt er sich aus, nur um uns die Lehre zu geben, dass wir nichts von all dem für entehrend halten sollen, um den menschlichen Stolz in seinem Ursprung zu zertreten, und um uns anzuhalten, uns nur der Übung der Tugend zu weihen.



5.

Was bildest du dir auch viel auf dein Vaterland ein, so sagt gleichsam der Herr, wenn ich will, dass dir die ganze Welt fremd sei, wenn du so werden kannst, dass die ganze Welt deiner nicht wert ist? (He 11,38). Denn so wertlos sind diese weltlichen Dinge, dass nicht einmal die heidnischen Philosophen sie für nennenswert fanden, sondern sie Äußerlichkeiten nannten, denen der allerletzte Platz zukomme. Jedoch, sagst du, Paulus anerkennt solche Rücksichten, wenn er sagt: "Infolge der Berufung sind sie uns lieb, wegen ihrer Väter" (Rm 11,28). Indes sage mir doch, wann, von wem und zu wem hat Paulus so gesprochen? Zu den Heidenchristen, die sich auf ihren Glauben zu viel einbildeten, die Judenchristen bekämpften, und sie so noch mehr von sich abstießen; er will damit die Selbstüberhebung der einen etwas demütigen, und die anderen anziehen, um sie mit dem gleichen Eifer zu erfüllen. Höre doch nur, wie er spricht, wenn er von jenen edlen und großen Männern redet: "Diejenigen, die also reden, bekunden damit, dass sie ein Vaterland suchen. Und wenn sie an jenes hätten zurückdenken sollen, das sie verlassen hatten, so hätten sie ja Gelegenheit gehabt, dahin zurückzukehren. Jetzt aber streben sie nach einem anderen und besseren" (He 11,14-16). Und ebenso sagt er:"Im Glauben sind alle diese gestorben, ohne der Verheißungen teilhaft geworden zu sein; nur von weitem haben sie dieselben geschaut und begrüßt" (He 5,13). In gleicher Weise sagte Johannes zu denen, die zu ihm kamen: "Saget nur nicht: Wir haben Abraham, zum Vater" (Lc 3,8). Und Paulus wiederum schreibt; "Nicht alle, die aus Israel stammen, sind Israeliten, und die Kinder des Fleisches sind nicht die Kinder Gottes" (Rm 9,6). Was nützte den Kinder Samuels der Adel ihres Vaters, nachdem sie nicht die Erben seiner Tugend geworden? Und welchen Vorteil hatten die Nachkommen des Moses, die dessen Rechtschaffenheit nicht nachahmten? Nicht einmal in der Herrschaft folgten sie ihm nach; während sie ihn ihren Vater nannten, ging die Leitung des Volkes an einen anderen über, der sein Sohn der Tugend nach geworden. 

   Was schadete es dem Timotheus, dass sein Vater ein Heide war? Und was nützte dem Sohne des Noe die Vortrefflichkeit seines Vaters, da er doch aus einem Freien ein Sklave geworden? Siehst du, dass des Vaters Adel nicht genügt, um den Söhnen Ansehen zu verschaffen? Die Schlechtigkeit des freien Willens wog mehr als die Gesetze der Natur, und brachte ihn nicht nur um den Adel seines Vaters, sondern auch um seine eigene Freiheit. Und wie ging es mit Esau? War er nicht der Sohn Isaaks, und stand unter der schützenden Fürsorge seines Vaters? Sein Vater bemühte sich ja auf jede Weise, dass auch er an seinem Segen Anteil bekäme, und dieser selbst tat eben deswegen alles, was ihm aufgetragen worden war. Aber trotzdem nützte ihm dies in seiner Verkehrtheit alles nichts; obwohl er der Geburt nach der erste war, und der Vater zu ihm hielt, der alles zu diesem Zwecks für ihn tat, verlor er doch alles, weil Gott nicht auf seiner Seite stand. Und was rede ich nur von Menschen? Die Juden waren Kinder Gottes geworden, und doch hat ihnen diese Würde nichts genützt. Wenn also einer, der ein Kind Gottes geworden ist, aber den Tugendgrad nicht aufzuweisen hat, der sich für einen solchen Vorrang geziemt, so wird er dafür nur um so mehr gestraft. Was kommst du mir also da und redest von dem Adel deiner Vorfahren und Großeltern? Diese Regel gilt ja nicht bloß für das Alte Testament, sondern auch für das Neue. "Denn allen denen, die ihm Aufnahme gewährten, gab er die Macht, Kinder Gottes zu werden" (Jn 1,42). Aber dennoch sagt der hl. Paulus, werde solche Vaterschaft vielen dieser Kinder keinen Nutzen bringen: "Denn, wenn ihr euch beschneiden lasset. wird Christus euch nichts nützen" (Ga 5,2). Wenn aber Christus denen nichts nützen wird, die auf sich selbst nicht achten wollen, wie soll ein Mensch ihnen helfen? 

   Bilden wir uns also weder auf Adel noch auf Reichtum vieles ein; im Gegenteil, bemitleiden wir die, die solches tun. Und werden wir nicht traurig ob unserer Armut, sondern suchen wir den Reichtum, der in den guten Werken liegt. Fliehen wir dagegen jene Armut, in die uns die Sünde stürzt, und die auch jenen Reichen[148] arm gemacht hatte; denn ihrethalben erhielt er nicht einmal ein Tröpflein Wasser, wie sehr er auch darum bat. Wer von uns wäre aber so arm, wie er[149] ? Gewiß kein einziger! Denn selbst diejenigen, die vom ärgsten Hunger gepeinigt werden, finden wenigstens einen Tropfen Wasser zu schlürfen; ja nicht bloß einen Wassertropfen, sondern noch viel größere Linderung. Nicht so jener Reiche, dessen Armut soweit ging. Was aber noch schlimmer war, er konnte gar niemals auch nur die geringste Linderung in seiner Armut finden. Was rühmen wir uns also unserer Reichtümer, da sie uns doch nicht in den Himmel verhelfen? Sage mir doch: Wenn ein König dieser Welt sagte, kein Reicher könne in seinem Palast zu Glanz und Ehre gelangen, würdet ihr nicht alle euer Eigentum wegwerfen wie eine wertlose Sache? Also, wenn eure Reichtümer euch der Gunst eines irdischen Königs beraubten, dann sind sie wertlos; wenn aber der König des Himmels tagtäglich uns zuruft und sagt, es sei schwer, mit denselben in diese heilige Hallen einzutreten, sollen wir da nicht alles wegwerfen, sollen wir uns nicht unseres Eigentums entäußern, damit wir frei und zuversichtlich den Königspalast betreten können?



6.

Welche Nachsicht verdienen wir also, wenn wir mit solcher Zähigkeit an den Schätzen hängen, die uns den Weg dahin versperren, sie nicht bloß in Schränken, sondern sogar in der Erde verbergen, während wir sie doch im Himmel hinterlegen können? Nun machst du es aber gerade so, wie wenn ein Landmann Weizen nimmt, den er auf fruchtbares Ackerland säen sollte, der aber seinen Acker stehen läßt und all den Weizen in eine Grube vergräbt, so dass er selbst keinen Nutzen davon hat, und auch der Same verdirbt und zugrunde geht. Was bringen sie aber da für lange Entschuldigungen vor, wenn wir ihnen diese Dinge vorhalten? Es ist keine kleine Beruhigung zu wissen, so sagen sie, dass man all das Seine in sicherem Gewahrsam hält. Im Gegenteil, nicht zu wissen, dass etwas hinterlegt ist, das ist ein Trost. Denn wenn du auch nicht gerade den Hunger fürchten mußt, so mußt du dafür ob dieses Schatzes andere viel schlimmere Dinge fürchten wie Tod, Krieg und Nachstellungen. Und wenn jemals eine Hungersnot ausbricht, so waffnet sich doch das Volk, vom Hunger getrieben, gegen dein Haus. Ja, wenn du so handelst, so bringst du nur um so eher Teuerung in die Städte, und beschwörst auf dein Haus eine noch viel ernstere Gefahr als bloß den Hunger. Ich wüßte nicht, dass schon jemand aus Hunger so leicht gestorben wäre. Man kann sich ja auf alle mögliche Weise gegen eine solche Gefahr vorsehen. Dagegen kann ich dir zeigen, dass ob ihrer Schätze und Reichtümer und dergleichen, schon viele ihr Leben eingebüßt haben, die einen heimlich, die anderen am hellen Tage. Von solchen Beispielen sind alle Wege voll, alle Gerichtssäle und öffentlichen Plätzen? Sogar das Meer kann man mit Blut gefüllt sehen. Denn nicht bloß auf fester Erde geschehen solche Gewalttaten, nein, auch auf dem Meere hielten sie ihren kecken Einzug. Der eine zieht übers Meer des Goldes wegen, der andere wird eben darum umgebracht. Die gleiche Leidenschaft macht den einen zum Kaufmann, den anderen zum Mörder. Was gäbe es also, das trügerischer wäre, als der Mammon, wenn man seinetwillen die Heimat verläßt, sich in Gefahren stürzt, ums Leben gebracht wird? Aber, sagst du: "Wer wird Mitleid mit dem Zauberer haben, den die Schlange gebissen" (Si 12,13). Nun, wer die Gewalt dieser Leidenschaft kennt, der sollte ihre Knechtschaft fliehen, und sich frei machen von so verhängnisvoller Liebe. Doch, wie wäre das möglich? Dadurch, dass du die eine Liebe durch eine andere ersetzest, nämlich durch die Liebe zum Himmel. Wer ein ganzes Königreich erringen will, der spottet der Habsucht. Wer Christi Diener geworden, der soll kein Sklave des Mammons sein, sondern dessen Herr; denn wer ihn flieht, dem geht er nach; wer ihn verfolgt, den flieht er. Weit weniger ehrt er den, der ihm nachjagt, als den, der ihn verachtet. Niemandens spottet er so, als derer, die nach ihm verlangen; und er spottet ihrer nicht bloß, er legt ihnen auch unzählige Fesseln an. Machen wir uns also los von diesen furchtbaren Ketten, und sollte es auch schon spät sein. Was unterjochst du deine vernünftige Seele dem vernunftlosen Stoffe, dem Urheber tausendfachen Unglücks? Ja, wie lächerlich! Wir kämpfen gegen ihn mit Vernunftgründen, er streitet wider uns mit Taten, führt und treibt die Menschen überall umher und doch verachtet er sie wie Sklaven und faule Knechte! Gibt es wohl etwas Schimpflicheres und Beschämenderes als dies? Wenn wir uns nicht über seelenlose Materie überheben können, wie sollen wir geistige Gewalten bezwingen? Wenn wir wertlose Erde nicht verachten und weggeworfene Steine, wie sollen wir die Fürstentümer und die Gewalten[150] unterjochen? Wie sollen wir Selbstbeherrschung üben? Wenn blinkendes Silber uns aus der Fassung bringt, wie sollen wir ein schönes Gesicht unbeachtet lassen? Sind ja doch manche so sehr dieser Leidenschaft ergeben, dass sie beim bloßen Anblick von Gold in Aufregung geraten, und sich dann noch den Scherz erlauben und sagen, der Schimmer eines Goldstückes tue den Augen wohl. 

   Aber scherze doch nicht mit solchen Dingen! Nichts schadet ja den Augen mehr, den leiblichen wie den geistigen, als dieser Hunger nach Gold. Diese verhängnisvolle Gier hat jenen[151] Jungfrauen die Lampen ausgelöscht und ihnen den Bräutigam geraubt. Dieser Anblick, der den Augen so wohl tut, wie du sagst, hat den unglücklichen Judas die Stimme des Herrn nicht hören lassen, hat ihn zum Stricke geführt und ihn bersten lassen, und zu all dem ihn in die Hölle gestürzt. Was gäbe es also Schlimmeres, als solch einen Anblick? Was Schrecklicheres? Nicht von den Dingen an sich betrachtet rede ich, sondern von der unzeitigen, wahnwitzigen Begierde nach denselben. Denn diese trifft von Menschenblut, sinnt auf Mord und ist schlimmer als ein wildes Tier; sie zerreißt diejenigen, die ihr verfallen, und je schlimmer sie ist, um so weniger läßt sie es fühlen, wie sie die Menschen zerfleischt. Eigentlich sollten diejenigen, denen so etwas widerfährt ihre Hände ausstrecken nach denen, die vorübergehen und um Hilfe rufen; statt dessen sind sie sogar noch froh, dass sie gefangen wurden. Gibt es wohl etwas Erbärmlicheres als dies? Dies alles wollen wir also beherzigen, und wollen fliehen vor dieser unheilbaren Krankheit; suchen wir ihre Wunden zu heilen, und uns fern zu halten vor solcher Pest. Dann werden wir hienieden ein ruhiges ungestörtes Leben führen können, und doch auch der Schätze des Jenseits teilhaft werden durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem zugleich mit dem Vater und dem Hl. Geist Ehre, Macht und Ruhm sei, jetzt und immer und in alle Ewigkeit. Amen!






Kommentar zum Evangelium Mt 8