Kommentar zum Evangelium Mt 14

Vierzehnte Homilie. Kap. IV, V.12-25.

14 Mt 4,12-25
1.

V.12: "Als aber Jesus hörte, dass Johannes gefangen worden sei, zog er sich nach Galiläa zurück." 

   Weshalb zog sich der Herr zurück? Er will uns auch damit wieder die Lehre geben, dass wir die Versuchungen nicht herausfordern, sondern sie fliehen und meiden sollen. Sich nicht selbst in Gefahr zu stürzen, ist ja keine Schande, wohl aber, nicht mannhaft festzustehen, wenn wir in Gefahr sind. Das also will der Herr uns lehren, und deshalb sucht er den Haß der Juden zu besänftigen und begibt sich nach Kapharnaum. Er erfüllt damit auch eine Weissagung und zu gleicher Zeit bemüht er sich, die zukünftigen Lehrer der Welt zu gewinnen, die dort von ihrem Fischerhandwerk lebten. Da sollst du nun auch beachten, wie immer und überall die Juden die Ursache sind, wenn der Herr sich zu den Heiden begibt. Hier hatten sie es auf den Vorläufer abgesehen und ihn ins Gefängnis geworfen; dadurch nötigen sie den göttlichen Heiland, sich in das heidnische Galiläa zu begeben. Dass aber der Prophet weder bloß einen Teil des jüdischen Volkes meint, noch auch auf alle seine Stämme anspielt, kannst du aus der Art und Weise sehen, wie er diesen Ort beschreibt: 

   V.15: "Land Nephtalim, Meeresstraße jenseits des Jordan, Galiläa der Heiden: 

   V.16: Das Volk, das in Finsternis saß, schaute ein großes Licht"  (Is 9,12)

   Er meint damit nicht die äußerlich wahrnehmbare Finsternis, sondern die des Irrtums und der Gottlosigkeit. Darum fügte er auch hinzu:"Denen, die im Lande und im Schatten des Todes wohnten, ließ er ein Licht erstehen." Du sollst daraus ersehen, dass er nicht an das materielle Licht und die materielle Finsternis dachte: denn, da er vom Lichte redet, nennt er es nicht einfach Licht, sondern ein "großes Licht", das er anderswo  (Jn 1,9) als "wahres" Licht bezeichnet; und wenn er von Finsternis spricht, so meint er damit den Schatten des Todes. 

   Um ferner zu zeigen, dass nicht sie es waren, die durch ihr Suchen das Licht gefunden haben, sondern dass Gott es ihnen vom Himmel herab brachte, sagt er: Gott "ließ ihnen ein Licht erstehen", das heißt, das Licht selbst ist erschienen und hat ihnen geleuchtet; nicht sie waren es, die zuerst dem Lichte entgegengingen. Das Menschengeschlecht war ja vor der Ankunft Christi im tiefsten Abgrund angelangt. Es wandelte nicht mehr in Finsternis, nein, es dass förmlich fest in der Finsternis; das deutet darauf hin, dass sie selbst schon die Hoffnung aufgegeben hatten, je daraus befreit zu werden. Wie Leute, die nicht einmal wissen, wohin sie eigentlich gehen sollen, so lagen sie da in Finsternis gehüllt, nicht mehr imstande, auch nur auf den Füßen zu stehen. 

   V.17: "Von dieser Zeit an begann Jesus öffentlich zu predigen und zu rufen: Tuet Buße, denn das Himmelreich ist nahe." 

   Von welcher Zeit an? Von da an, als Johannes eingekerkert wurde. Und warum hat Jesus denn nicht selbst schon von Anfang an gepredigt? Was brauchte er überhaupt Johannes, da doch seine eigenen Wundertaten laut genug Zeugnis für ihn ablegten? Er beabsichtigte eben damit, dass du auch daran seine göttliche Würde erkennen sollst, dass er, so wie der Vater, ebenfalls seine Propheten hat. Das weissagte ja auch Zacharias: "Und du, o Kind, wirst der Prophet des Allerhöchsten genannt werden" (Lc 1,76). Auch wollte der Herr den verstockten Juden keinerlei Vorwand übrig lassen. Deshalb hat er auch selbst noch besonderen Nachdruck darauf gelegt und gesagt: "Es kam Johannes; der aß und trank nicht, und da sagen sie: Er ist vom Teufel besessen. Es kam der Menschensohn, aß und trank, und sie sagen: Siehe da den Fresser und Säufer, den Freund der Zöllner und Sünder! So wurde die Weisheit gerichtet von ihren eigenen Kindern" (Mt 11,18-19). 

   Indes war es auch sonst notwendig, dass seine Mission zuerst von einem anderen angekündigt würde, und nicht von ihm selbst. Wenn nämlich die Juden nach so großen und vollgiltigen Zeugnissen und Beweisen noch sagten: "Du legst Zeugnis ab über dich selbst; dein Zeugnis ist nicht wahr" (Jn 8,13), was hätten sie da nicht erst gesagt, wenn er selbst zuerst in ihre Mitte getreten und von sich selbst Zeugnis abgelegt hätte, bevor Johannes geredet hatte? Deshalb hat er vor ihm weder gepredigt noch Wunder gewirkt, bis Johannes ins Gefängnis kam, damit nicht andernfalls Parteiungen entstünden. Aus dem gleichen Grunde hat auch Johannes kein Wunder gewirkt, damit er auf diese Weise die Menge zu Jesus führen könnte, dessen Wunderzeichen sie anzogen. Wenn nun trotz dieser Vorsichtsmaßregeln, vor und nach der Einkerkerung des Johannes, dessen Schüler eifersüchtig auf den Herrn waren, während die große Menge nicht von ihm, sondern in Johannes Christus vermuteten, was wäre da erst geschehen, wenn sie nicht in der angegebenen Weise vorgegangen wären? Aus diesem Grund betont also auch Matthäus, dass Jesus von dieser Zeit an zu predigen begann; und als er seine Predigttätigkeit begonnen hatte, lehrte er zuerst dasselbe, was Johannes verkündet hatte, ohne in seiner Predigt etwas über sich selbst zu sagen. Vorläufig mußte man ja zufrieden sein, wenn sie nur wenigstens das annahmen, da sie ja über den Herrn noch nicht entsprechend unterrichtet waren.



2.

Aus dem gleichen Grunde redete er auch im Anfange von nichts, was den Juden hart und unangenehm hätte sein können, sprach nicht wie Johannes von der Axt und dem umgehauenen Baum, von Wurfschaufel, Tenne und unauslöschlichem Feuer; im Gegenteil, er bringt im Beginn nur angenehme Dinge vor; er verkündet seinen Zuhörern die frohe Botschaft vom Himmel und dem Himmelreich. 

   V.18: "Und als er am Gestade des galiläischen Meeres wandelte, sah er zwei Brüder, Simon mit dem Beinamen Petrus, und Andreas, dessen Bruder, wie sie eben ein Netz im Meer auswarfen[179] , 

   V.19: und er sprach zu ihnen: Kommt mit mir, ich will euch zu Menschenfischern machen. 

   V.20: Da ließen sie ihre Netze liegen und folgten ihm nach." 

   Johannes stellt allerdings ihre Berufung anders dar. Das erklärt sich aber damit, dass dies eben die zweite Berufung war; das kann man an vielen Merkmalen erkennen. Dort heißt es nämlich, sie seien berufen worden, bevor Johannes eingekerkert wurde; hier aber steht: nach dessen Gefangennahme. Bei Johannes wird Petrus von Andreas gerufen; hier ruft beide Jesus selbst. Johannes schreibt sodann: "Als Jesus den Simon kommen sah, sagte er zu ihm: Du bist Simon, der Sohn des Jonas, du wirst Kephas genannt

   Beachte aber auch den Glauben und den Gehorsam der beiden Apostel! Sie waren mitten in ihrer Arbeit[180] , als die Aufforderung des Herrn an sie erging. Sie aber zögerten nicht und schoben die Sache nicht auf; sie sagten nicht: Wir wollen zuerst nach Hause gehen und mit unseren Angehörigen reden; nein, sie verließen alles und folgten ihm nach, wie es auch Elisäus bei Elias gemacht hatte. Gerade einen solchen Gehorsam erwartet Christus von uns: wir sollen auch nicht einen Augenblick zögern, und wenn selbst die wichtigste Angelegenheit uns drängte. So hat er auch einem anderen, der zu ihm kam und bat, seinen eigenen Vater noch vorher begraben zu dürfen, selbst das nicht gestattet, weil er uns zeigen wollte, dass man den Gehorsam gegen ihn allem anderen vorziehen müsse (Mt 8,21-22). Da wendet mir aber vielleicht jemand ein: Ja, es ward ihnen aber auch etwas überaus Großes dafür verheißen. Nun, gerade deswegen bewundere ich sie am meisten, weil sie an eine so große Verheißung glaubten, noch ehe sie irgendein Wunderzeichen von ihm gesehen hatten, und alles andere diesem Gehorsam nachsetzten. Sie hatten eben die Überzeugung, dass sie durch die Worte, durch die sie selbst gefangen worden, auch andere in ihre Netze werden bringen können. Diesen beiden Aposteln machte also der Herr eine solche Verheißung. Zu denen hingegen, die mit Johannes und Jakobus waren, sagte er nichts dergleichen. Diesen mußte der Gehorsam der Vorgenannten als Beispiel dienen. Übrigens hatten sie auch schon vorher sehr viel von ihm gehört. Da beachte nun, wie er uns auch deren Armut recht deutlich zu erkennen gibt. 

   V.21: "Er fand sie nämlich, wie sie eben ihre Netze ausbesserten." 

   Sie waren eben so arm, dass sie ihre abgenützten Netze flicken mußten, weil sie keine neuen kaufen konnten. Übrigens ist auch das kein geringer Beweis ihrer Tugend, dass sie ihre Armut bereitwillig ertrugen, von ehrlicher Arbeit sich nährten, durch die Bande gegenseitiger Liebe geeint waren, und ihren Vater bei sich hatten und pflegten. Nachdem also der Herr sie gewonnen hatte, da erst fing er an, in ihrer Gegenwart Wunder zu wirken, und bekräftigt hierdurch das, was Johannes über ihn gesagt hatte. Häufig ging er auch in die Synagogen, und belehrte eben dadurch die Juden, dass er kein Feind Gottes und kein Verführer sei, sondern vollkommen eins mit dem Vater. Bei diesen seinen Besuchen hat er aber nicht bloß gepredigt, sondern auch Wunder gewirkt.



3.

So oft nämlich irgendwo etwas Ungewöhnliches und Außerordentliches geschieht, und ein neuer Plan der Vorsehung zur Ausführung gelangen soll, wirkt Gott jedesmal Wunderzeichen. Er will damit denen, die seine Satzungen empfangen sollen, ein Unterpfand seiner Macht bieten. so z.B. schuf er zuerst das gesamte Weltall, als er den Menschen bilden wollte, und dann erst gab er ihm das bekannte Gebot im Paradiese. Als er daranging, dem Noe sein Gesetz zu geben (Gn 9,17), hat er ebenfalls wieder große Wunderdinge gewirkt, indem er die gesamte Schöpfung erneuerte, jene schreckliche Flut ein ganzes Jahr lang herrschen ließ, und trotz der Überschwemmung jenen Gerechten rettete. Auch zur Zeit Abrahams hat er viele Wunder gewirkt, so z.B. verlieh er ihm den Sieg im Kampfe (GN 12,10-20

   V.24: "Man brachte zu ihm alle, die mit irgendeiner Krankheit behaftet waren, die von Schmerzen gepeinigt wurden, die Besessenen, die Mondsüchtigen, und die Gelähmten, und er heilte sie." 

   Da erhebt sich aber die Frage: Warum verlangte er von keinem aus ihnen den Glauben? Er sagte hier nicht, was wir später von ihm hören werden: "Glaubet ihr, dass ich die Macht besitze, solches zu tun?" (Mt 9,28). Nun, er hatte eben damals noch keinen Beweis seiner Macht gegeben. Übrigens beweist schon das kein geringes Maß von Glauben, dass sie überhaupt kamen und die Kranken zu ihm brachten. Sie brachten nämlich dieselben von sehr weit her, was sie gewiß nicht getan hätten, hätten sie selbst kein großes Vertrauen auf ihn besessen. Folgen also auch wir dem Herrn; denn auch wir haben eine Menge von Seelenkrankheiten, und diese will er vor allen anderen heilen. Gerade deshalb hat er ja jene leiblichen Krankheiten geheilt, um diese geistigen aus unserer Seele zu vertreiben. Kommen wir also zu ihm, aber verlangen wir nichts Weltliches von ihm, sondern bitten wir um Verzeihung für unsere Sünden; die gewährt er uns auch jetzt noch, wenn wir ihn nur eifrig darum bitten. Damals war ja sein Ruf nur erst bis Syrien gedrungen; jetzt hat er sich über die ganze Welt verbreitet. Jene eilten herbei, nachdem sie gehört hatten, er habe Besessene geheilt; du aber kennst seine Macht viel mehr und besser, und du stehst nicht auf und eilst nicht zu ihm? Jene verließen ihre Heimat, Freunde und Verwandten; du willst nicht einmal dein Haus verlassen, um zu ihm zu gehen und noch viel größere Wohltaten zu empfangen? Indes, ich verlange nicht einmal das von dir; aber laß nur wenigstens ab von deinen schlechten Gewohnheiten, dann kannst du leicht dein Heil wirken mitsamt den Deinigen, auch wenn du zu Hause bleibst. 

   Ja, wenn wir ein körperliches Leiden haben, dann tun wir alles und scheuen keine Mühe, um von unseren Schmerzen befreit zu werden; wenn es aber mit unserer Seele schlecht steht, dann zögern wir und zaudern. Deswegen werden wir aber auch von jenen nicht befreit, weil wir die Hauptsache zur Nebensache machen, und die Nebensache zur Hauptsache. Die Ursache[181] des Übels lassen wir außeracht, die Folgen aber wollen wir ausrotten. Dass nämlich die Verderbtheit auch an den leiblichen Krankheiten schuld ist, das sehen wir deutlich an dem Manne, der achtunddreißig Jahre lang gichtbrüchig war (Jn 5), an dem anderen, den man vom Dache herunterließ, und schon vor diesen an Kain; auch an vielen anderen Beispielen kann man die gleiche Beobachtung machen. Reißen wir also die Wurzel des Übels aus, und alle krankhaften Schößlinge werden absterben. Es ist eben nicht bloß der körperliche Lähmung eine Krankheit, sondern auch die Sünde, ja diese noch mehr als jene, weil ja auch die Seele höheren Wert hat als der Leib. Nehmen wir also auch jetzt zum Herrn unsere Zuflucht; bitten wir ihn, er möge unserer gelähmten Seele die Stärke wiedergeben; lassen wir alle irdischen Wünsche beiseite und bringen wir nur geistige vor. Wenn du aber auch noch an irdischen Wünschen festhältst, laß wenigstens den geistigen den Vorrang. Achte es auch nicht gering, dass du über deine Sünden keinen Schmerz empfindest; im Gegenteil, denn gerade das sollte dich am meisten betrüben, dass du das Gefühl für die Sünde verloren hast. Das kommt nicht etwa davon, dass die Sünde an und für sich keine Gewissensbisse verursachte, sondern davon, dass die sündige Seele abgestumpft worden ist. Schau auf diejenigen, die ihrer eigenen Sünden wohl bewußt sind, wie sie bitterer stöhnen, als jene, die geschnitten und gebrannt werden; sieh, wieviel sie tun, wieviel sie dulden, wieviel sie trauern und weinen, um von den Vorwürfen ihres Gewissens ob ihrer Sünde befreit zu werden; das würden sie gewiß nicht tun, wenn sie nicht wahren Seelenschmerz empfänden.



4.

Es ist also am besten, überhaupt nicht zu sündigen; das nächstbeste aber ist, dass man die Sünden, die man doch begangen hat, auch als solche empfindet und sich dann bessert. Wenn wir dies aber tun, wie können wir da noch zu Gott beten, und um Verzeihung für Sünden bitten, aus denen wir uns gar kein Gewissen machen? Wenn du selbst, der du gefehlt hast, nicht einmal die bloße Tatsache anerkennen willst, dass du gesündigt hast, für welche Fehler bittest du dann Gott um Verzeihung? Für die, die du gar nicht einsehen willst? Wie kannst du aber da die Größe der Wohltat[182] schätzen? Bekenne also[183] deine Sünden, so wie sie sind, damit du auch weißt, wofür du Verzeihung erlangst, und du auf diese Weise Dankbarkeit empfindest gegen deinen Wohltäter. Wenn du einen Menschen beleidigt hast, dann gehst du seine Freunde, Nachbarn und selbst seinen Türsteher um Vermittlung an, gibst Geld aus und verlierst eine Menge Zeit mit Versuchen, dich ihm zu nahen und ihn[184] zu bitten; und wenn der Beleidigte dich einmal, zweimal, ja hundertmal abgewiesen hat, so verliest du doch den Mut nicht, sondern wirst nur um so beharrlicher und eindringlicher mit deinen Bitten. Wenn wir dagegen Gott beleidigt haben, den Herrn aller Dinge, da sind wir träge und saumselig, erfreuen uns an Schwelgerei und Trinkgelagen, und treiben es in allem so, wie wir es immer getan haben. Wann können wir da Gott versöhnen? Oder wie sollten wir ihn nicht eher noch mehr erzürnen? Viel mehr als die Sünde an sich erregt es seinen Unwillen und Zorn, wenn man die Sünde nicht einmal bereut. Ja wir verdienten, unter die Erde begraben zu werden, keine Sonne mehr zu schauen und keine Luft mehr zu atmen, da wir einen Herrn, der so leicht zu versöhnen ist, dennoch beleidigen, und unsere Beleidigung nicht einmal bereuen. Aber er, selbst wenn er uns zürnt, tut dies nicht aus Haß und Abneigung, sondern nur, um uns wenn auch nur auf diese Weise an sich zu ziehen. Denn wenn er trotz seines Unwillens dir nur immer Gutes erweisen wollte, so würdest du ihn noch mehr mißachten. 

   Um aber das zu vermeiden, wendet er sich für kurze Zeit von dir ab, um dich ganz für sich zu gewinnen. Haben wir also Vertrauen auf seine Liebe und betätigen wir eifrige Bußgesinnung, bevor der Tag kommt, an dem er uns nicht mehr helfen kann. Jetzt liegt unser ganzes Schicksal in unserer Hand; später aber wird der Herr nur noch als Richter über uns entscheiden. "Treten wir also hin vor sein Antlitz und bekennen wir; lasset uns weinen und trauern" (Ps 94,2 Ps 94,6). Ja, wenn es uns gelingt, von dem Richter vor dem Tage des Gerichtes Verzeihung für unsere Sünden zu erwirken, dann haben wir nicht weiter nötig, uns dem Gericht zu stellen; wenn nicht, so wird er uns öffentlich vor der ganzen Welt verhören, und wir dürfen nicht länger auf Nachsicht hoffen. Wer immer in diesem Leben sich nicht frei gemacht hat von seinen Sünden, der wird im Jenseits der gebührenden Strafe nicht entrinnen können. So wie bei uns die Gefangenen mit Ketten beladen vor Gericht geführt werden, so werden auch alle die Seelen nach ihrem Hinscheiden, mit den verschiedenartigen Ketten ihrer Sünden beladen, vor den schrecklichen Richterstuhl gebracht. Unser irdisches Leben ist ja ohnehin nichts anderes als ein Gefängnis. Wenn wir einen Kerker betreten, so sehen wir alle mit Ketten beladen. Gerade so ist es auch hier; denn wenn wir von dem äußerlich Wahrnehmbaren absehen, und in das Leben und in die Seele eines jeden einzelnen hineinblicken könnten, wir würden sie mit noch schlimmeren als bloß mit eisernen Ketten gefesselt sehen, zumal, wenn du in die Seelen der Reichen Zutritt bekämest; denn je mehr diese besitzen, um so mehr Fesseln tragen sie. Wenn du also einen[185] Gefangenen siehst, wie er am Halse und an den Händen ja oft auch an den Füßen in Eisen geschmiedet ist, so bemitleidest du ihn darob gar sehr. In gleicher Weise sollst du aber auch den Reichen, den du mit unermeßlichem Besitz ausgestattet siehst, nicht deshalb für reich, sondern im Gegenteil eben deswegen für arm und elend halten. Er hat ja nicht bloß diese Ketten zu tragen, sondern hat auch noch einen bösen Wächter neben sich. Das ist der ungeordnete Hunger nach Reichtum. Der läßt ihn nicht aus diesem Gefängnis entkommen, sondern sorgt auch noch für hunderterlei andere Ketten, Wächter, Tore und Riegel, ja er wirft ihn ins innerste Verließ, und redet ihm sogar noch zu, an seinen Ketten sich zu freuen, damit ihm ja alle Aussicht entschwindet, je aus seiner unglücklichen Lage befreit zu werden. Ja, wenn du im Geiste eine solche Seele entblößt sehen könntest, du würde sie nicht bloß mit Ketten beladen, sondern auch mit Schmutz und Unrat bedeckt und voll von Ungeziefer finden. Die Freuden der Sinnenlust sind ja nicht besser als dies, höchstens noch abscheulicher; denn sie beschmutzen nicht bloß den Leib, sondern auch die Seele, und bringen über beide tausenderlei Krankheiten und Plagen. Aus all diesen Gründen wollen wir also zum Erretter unserer Seelen flehen, damit er unsere Fesseln zerreiße, diesen unheilvollen Wächter von uns treibe, uns von dem Gewicht dieser eisernen Ketten befreie und so unseren Geist leichter mache als die Schwingen eines Vogels. Indem wir ihn aber darum bitten, wollen auch wir unsererseits tun, was sich gehört, d.h. Eifer zeigen, Einsicht und guten Mut. Auf diese Weise werden wir auch in kurzer Zeit von den Fehlern, die uns anhaften, befreit werden und sehen können, in welcher Lage wir früher waren, und werden uns die Freiheit zurückerobern, die uns gebührt. Dies alles mögen wir erlangen durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem Ehre und Macht sei in alle Ewigkeit. Amen!





Fünfzehnte Homilie. Kap. V, V.1-16.

15 Mt 5,1-16
1.

V.1: "Als aber Jesus die Menschenmenge sah, sieg er auf den Berg, und als er sich gesetzt hatte, kamen seine Jünger zu ihm. 

   V.2: Und er öffnete seinen Mund und lehrte sie, indem er sprach: 

   V.3: Selig sind die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich." 

   Siehe, wie wenig der Herr Ehre und Ruhm sucht! Er zog nicht mit der Menschenmenge umher; nur wenn es galt, Kranke zu heilen, ging er selbst überall hin und besuchte Städte und Dörfer. Weil sich aber jetzt viel Volk angesammelt hatte, so bleibt er an Ort und Stelle, und zeigt sich weder in der Stadt noch auf offenem Markt, sondern auf einsamem Berge; er will uns damit die Lehre geben, dass wir nichts tun dürfen, bloß um uns vor den Menschen zu zeigen, und dass wir den Lärm der Welt fliehen sollen, besonders wenn es sich um himmlische Dinge handelt, und um Angelegenheiten unseres Seelenheils. Nachdem er aber hinaufgegangen und sich gesetzt hatte, kamen seine Jünger zu ihm. Siehst du da, welchen Fortschritt sie in der Tugend gemacht, und wie sie in kurzer Zeit besser geworden sind? Die große Menge schaut nur auf seine Wunder; sie hingegen verlangten auch etwas Hohes und Erhabenes zu hören. Das bewog denn auch den Herrn, mit seiner Belehrung durch die Bergpredigt zu beginnen. Er wollte eben nicht bloß die Leiber heilen, sondern auch die Seelen auf den rechten Weg bringen und verband darum auch die Sorge für diese mit der Heilung jener. So wechselte er mit seiner Hilfe ab, und verband mit der mündlichen Belehrung auch den sichtbaren Beweis seiner Taten. Indem er also für die leibliche und geistige Seite Sorge trug, benahm er den verwegenen Häretikern jede Möglichkeit eines Einwandes, denn er zeigte ja damit, dass er der Schöpfer des ganzen Menschen ist. Darum erwies er beiden Naturen große Aufmerksamkeit, und hat bald der einen[186] , bald der anderen[187] seine rettende Fürsorge angedeihen lassen. So machte er es denn auch jetzt; denn, heißt es, "er öffnete seinen Mund und lehrte sie." Warum setzt der Evangelist hinzu: "Er öffnete seinen Mund"? Damit du wissest, dass er auch durch Schweigen lehrte, nicht bloß durch Reden; er hat eben das eine Mal den Mund geöffnet, ein andermal ließ es seine Werke reden. Wenn du sodann die Worte hörst: "Er lehrte sie", so denke nicht, er habe sich nur an seine Jünger gewandt, nein, er tat es durch sie an alle. Die große Menge bestand eben aus einfachem Volk, deshalb wählte der Herr aus denen, die sich gelagert hatten, den Kreis seiner Jünger aus, und richtete seine Worte an sie und durch sie auch an alle anderen: Dabei trachtete er, die Lehre seiner Weisheit auch allen denen mundgerecht zu machen, die seiner Belehrung am meisten bedurften. Das deutet auch Lukas an, wenn er sagt, der Herr habe sich mit seiner Rede an seine Jünger gewendet (Lc 6,20): und Matthäus sagt uns dasselbe, wenn er schreibt: "Seine Jünger kamen zu ihm und lehrte sie" (Mt 5,12). Auf diese Weise waren auch die übrigen genötigt, besser achtzugeben, als wenn er zu allen geredet hätte. 

   Womit machte also nun der Herr den Anfang? Was ist das Fundament der neuen Lebenssatzungen, die er uns verkündet? Hören wir mit Aufmerksamkeit auf das, was er sagt; geredet hat er zwar nur zu jenen, die um ihn waren, aber geschrieben ist es für alle, die später leben. Deshalb wandte er sich also mit seiner Predigt an seine Jünger; aber das, was er sagt, beschränkt er nicht auf sie, sondern verkündet seine sämtlichen Seligpreisungen für alle ohne Unterschied. So sagte er nicht: Selig seid ihr, wenn ihr arm werdet, sondern: "Selig sind die Armen." Und wenn er dies auch nur zu den Jüngern sagte, so wollte er doch, dass sein Rat für alle gelte. Auch wenn er sagt: "Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt", so ist das ebenfalls nicht bloß für sie gesagt, sondern durch sie für die ganze Welt. Und wenn er sie glücklich preist, weil sie verfolgt und vertrieben werden und die ärgsten Dinge zu erdulden haben, so hält er deswegen nicht bloß für sie, sondern für alle, die denselben Weg gehen, seinen Siegeskranz bereit. Damit aber dies noch deutlicher werde und du klar erkennest, dass seine Worte auch dich sehr nahe angehen, und überhaupt jeden, der sie nur hören und verstehen will, so gib jetzt acht darauf, wie er seine wunderbare Rede beginnt: "Selig sind die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich." Wer sind denn diese "Armen im Geiste"? Das sind jene, die demütig sind und ein zerknirschtes Herz haben. Unter "Geist" versteht er nämlich hier die Seele und den freien Willen. Es gibt ja viele, die niedrig und klein sind, aber sie sind es nicht freiwillig, sondern nur durch die Umstände gezwungen; diese übergeht der Herr[188] und preist zuerst jene selig, die sich aus freiem Willen verdemütigen und erniedrigen. Warum sagte der Herr aber nicht "die Demütigen", sondern "die Armen"? Weil das mehr ist als das andere. Er meint eben hier diejenigen, die in Furcht und Zittern die Gebote Gottes beobachten. Von ihnen hat Gott ja schon durch Isaias gesagt, wie sehr sie ihm wohlgefällig seien, denn: "Auf wen soll ich[189] schauen, wenn nicht auf den Sanftmütigen und Friedfertigen, und den, der zittert vor meinem Worte? (Is 66,2).



2.

Es gibt zudem auch viele Abstufungen der Demut. Der eine ist mittelmäßig demütig, der andere in ganz ausnehmender Weise. Diese letztere Art von Demut lobt auch der heilige Prophet, denn er redet nicht von einer Seele, die nur so leichthin demütig ist, sondern von einer solchen, die wirklich große Zerknirschung empfindet. Von diesen sagt er: "Ein Opfer für Gott ist ein zerknirschter Geist; ein zerknirschtes und gedemütigtes Herz wird Gott nicht verachten" (Ps 50,19). Auch die drei Jünglinge bringen eine solche Gesinnung Gott als großes Opfer dar: "Mit zerknirschter Seele und gedemütigten Geistes mögen wir zu Gnaden angenommen werden" (Da 3,39). Dieselbe Gesinnung wird denn auch jetzt von Christus selig gepriesen. Kam ja doch das größte Unheil, das den ganzen Erdkreis befleckt hat, vom Stolze her; durch ihn ist ja der Teufel wirklich zum Teufel geworden, der er vorher nicht war. Das gleiche offenbart uns auch Paulus, da er sagt: "Damit nicht[190] vom Stolze aufgeblasen der Strafe des Teufels verfällt" (1Tm 3,6). Auch der erste Mensch wurde durch solch eitle Hoffnungen vom Teufel stolz gemacht, kam so zu Falle, und ward sterblich. Während er geglaubt hatte, er werde wie Gott werden, verscherzte er auch das, was er schon war. Diesem Stolz hat ihm auch Gott vorgeworfen und hat seine Torheit bloßgestellt mit den Worten: "Da siehe! Adam ist geworden wie einer von uns" (Gn 3,22). So ist aber noch jeder, der späterhin der Gottlosigkeit verfiel, durch Stolz dahin gekommen, weil er sich Gott gleich wähnte. Da also der Stolz die größte aller Sünden ist und zugleich die Wurzel und Quelle aller Schlechtigkeit, so wollte der Herr für diese Krankheit das rettende Heilmittel bereiten, und hat uns als sicheres, festes Fundament dieses erste Gesetz gegeben. Solange dieses Fundament besteht, kann der Bauherr mit Zuversicht alles andere darauf bauen; wo dieses fehlt, mag einer noch so regelmäßig leben, das ganze Gebäude wird doch leicht zusammenstürzen und ein schlimmes Ende nehmen. Wenn du auch fastest betest, Almosen gibst, keusch lebst und alles erdenkliche Gute tust, ohne Demut wird alles wie Wasser zerrrinnen und zugrunde gehen. So ging es mit dem Pharisäer. Er hatte es[191] bis zur höchsten Vollkommenheit gebracht, und doch hatte er alles verloren, als er[192] ging, weil er die Mutter aller Tugenden nicht besaß. Wie eben der Hochmut die Quelle allen Übels ist, so ist die Demut der Anfang aller Weisheit. Deshalb macht auch der Herr mit ihr den Anfang, und sucht den Stolz recht gründlich aus den Seelen seiner Zuhörer auszurotten. 

   Aber warum redet er so zu den Jüngern, die doch schon vollkommen demütig waren? Ihnen fehlte ja doch jeder Anlaß zur Selbstüberhebung; sie waren ja nur arme Fischer, ohne Ansehen und ohne Bildung. Nun, wenn es auch nicht gerade den Jüngern galt, so war es doch für diejenigen bestimmt, die damals zugegen waren, und für jene, die späterhin durch die Jünger zum Glauben geführt werden sollten, damit sie dieselben nicht ob ihres niederen Standes erachteten. Aber gleichwohl galt es auch für die Jünger, denn wenn auch nicht schon damals, so sollte ihnen[193] wenigstens späterhin nützlich werden, wenn sie einmal Zeichen und Wunder getan hätten, und sowohl in der Welt Ehre und Ansehen genössen, als auch bei Gott in Gnaden stünden. Weder Reichtum noch Macht, selbst nicht die Königswürde sind so sehr geeignet, zum Stolz zu verleiten, als das, was ihnen zuteil geworden. Indes konnten sie auch schon damals, bevor sie noch Wunder gewirkt hatten, sich leicht zur Eitelkeit verleiten lassen, und beim Anblick der Menschenmenge und der Szene, die ihren Lehrmeister umgab, eine Regung menschlicher Schwäche empfinden. Darum sucht der Herr von vornherein ihren Stolz zu demütigen. Auch bringt er das, was er sagt, nicht in Form einer Ermahnung oder eines Befehles vor, sondern in der einer Seligpreisung, um seine Rede auf diese Weise desto schonender und angenehmer zu gestalten und die Allgemeingültigkeit seiner Lehre darzutun. Er sagte nämlich nicht: dieser und jener, sondern: "Alle, die so handeln, sind selig." Also, wenn du auch ein Sklave wärest, oder ein Bettler, arm, fremd und verlassen, nichts kann dich hindern, selig zu sein, wenn du dich nur um die Tugend[194] bemühst. Nachdem also der Herr den Anfang mit dem gemacht, was am meisten not tat, geht er zu einem anderen Gebot über, das der allgemeinen Anschauung der Menschen direkt zuwider zu sein scheint. Während nämlich jedermann glaubt, diejenigen beneiden zu sollen, die freudig sind, um jene bemitleiden zu müssen, die niedergeschlagen, arm und traurig sind, preist hingegen der Herr gerade diese und nicht jene glücklich, indem er sagt: 

   V.5: "Selig sind die Trauernden!" 

   Und doch hat jedermann mit den Trauernden Mitleid! Aber gerade deshalb hat der Herr zum voraus Wunder gewirkt, damit er mit solchen Vorschriften Gehör fände. Übrigens meint er auch hier wieder nicht solche, die aus irgendeinem Grunde trauern, sondern jene, die über ihre Sünden trauern. Ja, jede andere Art von Trauer ist sogar strenge verpönt, nämlich diejenige, die nur irdischen Motiven entspringt. Das nämlich lehrt uns auch Paulus, wenn er sagt: "Die Trauer der Welt bewirkt den Tod; die Trauer in Gott hingegen bringt Reue hervor zum Heil, das keine Trauer kennt" (2Co 7,10).



3.

Hier preist also der göttliche Heiland nur diejenigen selig, die in solcher Art trauern. Auch redet er nicht einfachhin von denen, die trauern, sondern von denen, die dies mit Ernst und Nachdruck tun. Deshalb sagt er auch nicht: die Betrübten, sondern: "die[195] Trauernden". Denn auch in diesem Gebot liegt wieder der Inbegriff der ganzen Weisheit. Wenn schon diejenigen, die ihre Kinder, oder ihre Frau, oder sonst einen Verwandten verloren haben und deshalb in Trauer sind, keinerlei Verlangen nach Geld und leiblichen Genüssen tragen, solange ihr Schmerz dauert, nicht Ehren nachjagen, über Beleidigungen sich nicht erregen, keinen Neid empfinden, für kein anderes Leid zugänglich sind, sondern sich ganz ihrer Trauer überlassen, so beweisen jene, die ihre eigenen Sünden so bereuen, wie es sich gebührt, noch viel größere Einsicht und Weisheit. 

   Sodann, welchen Lohn werden sie dafür empfangen? Der Herr sagt: "denn sie werden getröstet werden".Aber sage mir, wo werden sie getröstet werden? Sowohl in diesem, wie im anderen Leben. Da nämlich sein Gebot sehr schwer und unangenehm war, so versprach er als Entgelt etwas, wodurch es recht leicht würde. Wenn du also getröstet werden willst, so traure!" Und glaube nicht, die Worte enthielten einen Widerspruch. Wenn einmal Gott tröstet, so bist du über alles erhaben, und würden die Leiden zahllos wie Schneeflocken über dich kommen. Der Lohn, den Gott gibt, ist eben weit größer, als die aufgewandte Mühe. So ist es auch hier der Fall. Der Herr preist die Trauernden selig, nicht wegen des Wertes der Trauer an sich, sondern wegen seiner Liebe zu uns. Die[196] Trauernden bereuen ja ihre Sünden; diese sind aber zufrieden, wenn sie nur Verzeihung und Rechtfertigung erlangen. Da nun aber Gottes Liebe zu den Menschen sehr groß ist, so wollte er, dass sein Entgelt nicht bloß im Nachlaß der Sündenstrafen bestehe, und in der Verzeihung der Sündenschuld, sondern er macht sie auch glücklich und läßt ihnen großen Trost zuteil werden. Indes befiehlt uns der Herr, nicht bloß über unsere eigenen Sünden zu trauern, sondern auch über die Sünden der anderen. So waren die Seelen der Heiligen gestimmt, eines Moses, Paulus, David; sie alle haben oft für fremde Sünden Buße getan. 

   V.4: "Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden die Erde besitzen." 

   Sage mir, welche Erde? Einige denken an eine geistige Erde. Das ist aber nicht richtig; in der Hl. Schrift finden wir nirgends eine geistige Erde. Was ist aber dann mit dem Wort gemeint? Der Herr verheißt damit einen irdischen Lohn, wie dies auch Paulus getan hat. Seinen Worten: "Ehre deinen Vater und deine Mutter" fügte er ja hinzu: "denn so wirst du lange leben auf Erden" (Ep 6,23). Ebenso sagt der Herr selbst zum Räuber: "Heute wirst du mit mir im Paradiese sein" (Lc 23,43). Er will uns eben nicht bloß mit den zukünftigen Belohnungen, sondern auch mit zeitlichen Wohltaten ermuntern, wegen der mehr irdisch gesinnten Zuhörer, denen die zeitlichen Güter mehr gelten, als die zukünftigen. Deshalb sagt er auch im folgenden: "Sei nachgiebig gegen deinen Widersacher" (Mt 5,25). Dann setzt er auch die Belohnung fest für so weises Handeln, und sagt: "Auf dass dein Widersacher dich nicht dem Richter überliefere, und der Richter dem Henker" (Mt 5,22). Siehst du, wovon er dich abschrecken wollte? Von der Anhänglichkeit an die irdischen Dinge, an das, was du gerade unmittelbar rings vor den Augen hast. Ein andermal sagt der Herr: "Wer immer zu seinem Bruder sagt: Raka, wird dem Gerichte verfallen sein." 

   Indes auch der hl. Paulus verspricht uns gar häufig irdische Belohnungen und sucht uns durch zeitliche Beweggründe anzuregen. So z.B. wo er von der Jungfräulichkeit redet; da sagt er nichts vom Himmel, sondern sucht uns zunächst durch irdische Motive zu bewegen indem er sagt: "Wegen des dringenden Zwanges" (1Co 7,26), und: "Ich aber schone euch" (1Co 7,28), endlich: "Ich will, dass ihr ohne Sorge seid" (1Co 7,32). In derselben Weise hat also auch Christus natürliche und übernatürliche Motive verknüpft. Da nämlich die Leute glauben, ein Sanftmütiger werde all das Seine verlieren, so verspricht er das Gegenteil davon und sagt, gerade der werde ganz sicher irdischen Reichtum erwerben, der weder verwegen noch anmaßend ist; wer dies aber ist, wird oft sein ererbtes Vermögen mitsamt seiner Seele verlieren. Schon im Alten Testament sagt der Prophet immerfort: "Die Sanftmütigen werden die Erde zum Erbe erhalten" (Ps 36,11), und auch deshalb beginnt der Herr seine Rede mit diesen Worten, die seinen Zuhörern vertraut waren. Er wollte ihnen eben nicht lauter Dinge sagen, die ihnen ganz neu und fremd waren. So redet er aber nicht weil er als Entgelt nur Irdisches in Aussicht stellen will, sondern um ihnen dieses und das andere zu ermöglichen. Wenn er nämlich von Geistigem spricht, so will er das Irdische deshalb nicht ausschließen; verspricht er aber irdischen Lohn, so will er seine Verheißung auch nicht darauf allein beschränken. "Suchet das Reich Gottes", sagt er, "und dies alles wird euch drein gegeben werden" (Mt 6,33); und an einer anderen Stelle: "Wer immer sein Haus oder seine Brüder verläßt, wird Hundertfältiges dafür in dieser Welt erhalten, und in der zukünftigen das ewige Leben erlangen" (Mt 19,29 Mc 10,29-30). 

   V.6: "Selig, die Hunger und Durst leiden nach der Gerechtigkeit." 

   Nach welcher Gerechtigkeit? Meint er diese Tugend überhaupt, oder nur insoweit sie der Habsucht entgegengesetzt ist? Er steht ja eben im Begriff, Vorschriften über das Almosen zu geben; er will also zeigen, wie man Almosen geben soll, nämlich nicht von dem, was man durch Raub oder Habsucht erworben hat. Darum preist er diejenigen selig, die nach Gerechtigkeit streben.



4.

Beachte auch, mit welchem Nachdruck der Herr dies ausspricht. Er sagt nicht: Selig sind diejenigen, die festhalten an der Gerechtigkeit, sondern: "Selig diejenigen, die Hunger und Durst leiden nach der Gerechtigkeit." Wir sollen eben nicht bloß so einfachhin der Gerechtigkeit nachgehen, sondern dabei Eifer und großes Verlangen zeigen. Das ist ja auch ein ganz besonderes Merkmal der Habsucht. Ja, nicht einmal nach Speise und Trank haben wir ein so heftiges Verlangen, wie nach Erwerb und größerem Besitz. Mit ebenso großem Verlangen hieß uns nun der Herr nach jener Tugend streben, die der Habsucht entgegengesetzt ist. Dann bestimmt er auch hier wieder die zeitliche Belohnung: "denn sie werden gesättigt werden". Da nämlich die meisten glauben, Gewinnsucht mache reich, so stellt er fest, dass das Gegenteil davon der Fall ist; denn[197] die Gerechtigkeit vermag dies zu erreichen. Fürchte also nicht, durch rechtschaffenes Handeln arm zu werden, und habe keine Angst, deswegen Hunger leiden zu müssen. Gerade die Diebe und Räuber verlieren am ehesten all das, was sie haben, während der, der die Rechtschaffenheit liebt, all sein Eigentum in Ruhe und Sicherheit genießen kann. Wenn aber schon jene, die nicht nach fremdem Gute trachten, solchen Reichtum erlangen, um wieviel mehr diejenigen, die ihren eigenen Besitz freiwillig dahingeben? 

   V.7: "Selig sind die Barmherzigen." 

   Hier scheint mir der Herr nicht bloß diejenigen im Auge zu haben, die mit ihrem Gelde, sondern auch jene, die mit ihren Taten Barmherzigkeit üben. Es gibt ja gar verschiedene Arten, barmherzig zu sein, und weit und umfassend ist dieses Gebot. Welches ist also dann der Lohn dafür? "Denn die werden Barmherzigkeit erlangen." Diese Gegengabe scheint zwar nur gleichwertig zu sein, und doch ist sie weit mehr wert, als das gute Werk. Denn die Barmherzigen üben nur menschliches Erbarmen, aber finden dafür solches bei Gott, dem Herrn aller Dinge. Menschliches und göttliches Erbarmen stehen aber nicht auf einer Stufe, sondern soweit das Böse vom Guten absteht, so groß ist der Unterschied zwischen diesem und jenem. 

   V.8: "Selig sind diejenigen, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott anschauen." 

   Da hast du wieder eine geistige Belohnung. Unter "rein" versteht aber hier Christus entweder diejenigen, die in jeder Hinsicht tugendhaft sind und keinerlei Sünde auf dem Gewissen haben; oder jene, die in Enthaltsamkeit leben. Keine Tugend haben wir ja so notwendig, um Gott zu schauen, als gerade die Reinheit des Herzens. Darum sagte auch der hl. Paulus: "Suchet den Frieden mit allen und die Heiligkeit, ohne die niemand den Herrn schauen wird" (He 12,14). Das "Schauen" meint er hier, insoweit es dem Menschen möglich ist. Da nämlich viele zwar Almosen geben, nicht stehlen und nicht habsüchtig sind. dagegen die Ehe brechen und Unkeuschheit treiben, so wollte er zeigen, dass das erstere nicht genügt; darum fügte er auch diese Seligpreisung hinzu. So bezeugt auch der hl. Paulus den Mazedoniern in seinem Brief an die Korinther, sie hätten nicht bloß durch ihre Almosen sich ausgezeichnet, sondern auch durch die andere Tugend. Nachdem er nämlich davon geredet, wie freigebig sie mit ihrem Gelde seien, sagt er: "Ja, sogar sich selbst haben sie dem Herrn und uns geschenkt" (2Co 8,5). 

   V.9: " Selig die Friedfertigen." 

   Mit diesen Worten verbietet Christus nicht nur Zwiespalt und gegenseitige Feindschaft, sondern verlangt noch mehr, dass wir nämlich andere, die entzweit sind, wieder versöhnen. Auch dafür stellt er eine geistige Belohnung in Aussicht. Und was für eine? "Denn sie werden Kinder Gottes genannt werden." Das ward ja die Aufgabe des Eingeborenen, das Zwiespältige zu vereinigen, und das zu versöhnen, was sich bekämpfte. Und damit du nicht glaubest, der Friede sei überall etwas Gutes, fügte er hinzu: 

   V.10: "Selig diejenigen, die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen", das heißt ihrer Tugendhaftigkeit wegen, weil sie besser und gottesfürchtiger sind als andere. Mit dem Worte "Gerechtigkeit" pflegt er nämlich immer das allseitige Tugendleben der Seele zu bezeichnen. 

   V.11: "Selig seid ihr, wenn euch die Menschen schmähen und verfolgen, und lügnerisch alles Schlechte gegen euch sagen um meinetwillen. 

   V.12: Freuet euch und frohlocket!" 

   Zum Beispiel, will er sagen, wenn sie euch auch Zauberer nennen, Betrüger, Verführer, oder was immer sonst, selig seid ihr. Könnte es wohl eine größere Neuerung geben, als diese Vorschriften, durch die er gerade das als begehrenswert hinstellt, wovor die anderen zurückschrecken, das ist: Armut, Buße, Verfolgung, üble Nachrede? Aber dennoch hat er es ausgesprochen, und fand Gehör, nicht bloß bei zwei oder zehn, zwanzig, hundert oder tausend Menschen, sondern in der gesamten Welt. Und als die Volksscharen diese Dinge hörten, die doch schwer und unangenehm sind, und der Gewohnheit der meisten Menschen zuwiderlaufen, da wurden sie erschüttert. So groß war die Gewalt seiner Rede.



5.

Damit du indes nicht glaubest, es genüge zur Seligkeit, dass man dir einfach Übles nachredet, so stellt der Herr eine doppelte Bedingung auf: erstens, dass dies seinetwegen geschehe, und zweitens, dass das, was man gegen uns sagt, nicht wahr sei. Wenn nämlich dies nicht der Fall wäre, so wäre derjenige, gegen den man Böses redet, nicht nur nicht glückselig, sondern sogar unglücklich. Beachte dann wiederum, welchen Preis er dafür aussetzt: "Denn euer Lohn ist groß im Himmel." Du sollst aber den Mut nicht verlieren, wenn er auch nicht bei jeder Seligpreisung das Himmelreich verheißt. Denn wenn er auch seinen Belohnungen verschiedene Namen gibt, sie führen doch alle ins Himmelreich ein. Wenn er zum Beisspiel sagt: "Die Trauernden werden getröstet werden", "die Barmherzigen werden Barmherzigkeit erlangen", "die ein reines Herz haben werden Gott anschauen", "die Friedfertigen werden Kinder Gottes genannt werden", so bezeichnet er mit all dem nichts anderes, als das Himmelreich; denn wer diese Belohnungen empfängt, dem wird auch das Himmelreich voll und ganz zuteil werden. Denke also nicht, das Himmelreich sei nur der Lohn für die Armen im Geiste; nein, es gehört auch denen, die nach Gerechtigkeit hungern, sowie den Sanftmütigen, und überhaupt allen anderen auch. Gerade deshalb hat der Herr jedesmal eine Seligpreisung vorausgeschickt, damit du nichts Irdisches erwartest. Derjenige könnte ja doch wohl kaum glücklich sein, der mit Dingen belohnt wird, die mit diesem Leben ein Ende nehmen, die schneller vorbei eilen, als ein Schatten. Zu den Worten: "Euer Lohn ist groß", fügt der Herr aber auch noch einen anderen Trost hinzu; er sagt: "Denn so haben sie die Propheten verfolgt, die vor euch lebten." Da nämlich gerade das Himmelreich erwartet und erhofft wurde, so tröstet er sie mit ihm, das heißt mit der Gemeinschaft derer, die vor ihnen Böses erduldet hatten. Glaubet nicht, will er sagen, dass ihr solches zu leiden bekommt, weil ihr Dinge sagen und befehlen werdet, die den Menschen zuwider sind, oder dass ihr von ihnen wegen Verkündigung schlechter Lehren werdet verworfen werden; nein, die Nachstellungen und Gefahren kommen nicht von der Schlechtigkeit euerer Predigt, sondern von der Böswilligkeit eurer Zuhörer. Infolgedessen sprechen diese Verfolgungen auch nicht gegen euch, die ihr Böses erduldet, sondern gegen jene, die Böses tun. Dafür ist die ganze Vergangenheit Zeuge. Den Propheten warfen sie auch nicht Lasterhaftigkeit und gottlose Gesinnung vor, wenn sie die einen steinigten, die anderen vertrieben, wieder anderen tausenderlei Böses zufügten. Das soll euch also nicht beunruhigen; denn auch jetzt noch ist für all ihre Handlungen die gleiche Gesinnung maßgebend. 

   Siehst du da, wie der Herr den Mut seiner Jünger aufrichtet, indem er ihnen ihren Platz nahe bei Moses und Elias anweist? So sagt auch der hl. Paulus in seinem Briefe an die Thessalonicher: "Ihr habt die Kirchen Gottes nachgeahmt, die in Judäa sind. Denn auch ihr habt das gleiche erlitten von euren Stammesgenossen, was jene von den Juden, die auch den Herrn Jesus getötet haben und ihre eigenen Propheten, die euch verfolgt haben, die Gott mißfallen, und aller Menschen Feind sind" (1Th 2,14-15). Auf dasselbe hat Christus seine Jünger auch hier vorbereitet. Bei den anderen Seligpreisungen sagte er: "Selig sind die Armen, und die Barmherzigen"; hier dagegen gebraucht er sie nicht in unbestimmter Form, sondern wendet sich direkt an sie mit den Worten: "Selig seid ihr, wenn euch die Menschen schmähen und verfolgen, und euch alles Schlechte nachsagen."Damit will er zeigen, dass sie gerade dadurch sich von anderen unterscheiden werden, und dass dies vor allen anderen der besondere Anteil der Verkündiger des Evangeliums sei. Zugleich weist er aber auch hier auf seine eigene Würde hin und auf die Gleichheit der Ehre, die ihm mit dem Vater zukommt. "Denn", sagt er, "wie jene um des Vaters willen, so werdet auch ihr solches um meinetwillen leiden." Wenn er aber sagt: "Die Propheten, die vor euch waren", so deutet er damit an, dass auch sie schon Propheten geworden waren. Als sodann der Herr ihnen klar machen wollte, dass gerade das ihnen am meisten nütze und ihnen zum Ruhme gereiche, da sagte er nicht: Sie werden Böses wider euch reden und euch verfolgen, ich aber werde dies verhindern; denn nicht darin sollen sie nach dem Willen des Herrn ihr Heil finden, dass niemand ihnen Böses nachsagt, sondern dadurch, dass die böse Nachrede hochherzig ertragen und die Schmäher durch ihre Taten widerlegen. Das ist viel mehr wert als das andere, wie es auch etwas viel Größeres ist, geschlagen zu werden, ohne es übel zu nehmen, als überhaupt nicht geschlagen zu werden. 

   Hier also sagt Christus: "Euer Lohn ist groß im Himmel." Lukas dagegen sagt, der Herr habe dies noch mit viel stärkerem und tröstlicheren Worten ausgedrückt. Denn dort preist er nicht bloß diejenigen glücklich, die um Gottes willen böse Nachrede erfahren, sondern ruft auch das Wehe aus über jene, von denen alle Menschen Gutes reden. "Wehe euch", sagt er, "wenn euch alle Menschen loben" (Lc 6,26). Zwar wurden auch die Apostel gelobt, aber nicht von allen. Darum sagte der Herr nicht: Wenn euch die Menschen loben, sondern:"Wenn euch alle Menschen loben". Denn es ist ja nicht möglich, dass diejenigen, die ein tugendhaftes Leben führen, von allen gelobt werden. Auch sagt er an einer anderen Stelle: "Wenn sie euren Namen verwerfen, als wäre er schlecht, freuet euch und frohlocket" (Lc 6,22-23). Er verheißt eben großen Lohn nicht bloß für die Gefahren, denen sie sich unterzogen, sondern auch für die bösen Reden, die sie erfuhren. Darum sagte er auch nicht: Wenn sie euch vertreiben und töten, sondern:"Wenn sie euch schmähen und euch alles Böse nachreden." Böse Reden schmerzen ja meistens mehr, als böse Taten. Bei Verfolgungen gibt es gar vieles, das einem die Mühsal erleichtert; so zum Beispiel, wenn man allseits Ermunterung erfährt, wenn man viele Freunde hat, die einem Beifall klatschen, Ehrenkränze erteilen und Lob spenden. In diesem Falle aber, wo es sich um böse Nachrede handelt, fehlt auch dieser Trost. Freilich ist es scheinbar nichts Großes, üble Nachrede zu ertragen, und doch schmerzt es den, der damit kämpfen muß, mehr als offene Verfolgungen. Ja, es haben schon manche zum Stricke gegriffen, weil sie das böse Gerede nicht ertragen konnten. Doch was brauchen wir uns über andere zu verwundern? Hat ja doch jenen ausgeschmähten und abscheulichen Verräter, der über nichts mehr errötete, gerade das am meisten zum Selbstmord durch den Strick getrieben! Und selbst Job, der härter war, als Diamant und Stein, hat alles leicht ertragen, da ihm sein Eigentum genommenm ward und er unerträgliche Leiden zu erdulden hatte, als er plötzlich seine Kinder verlor und sehen mußte, wie sein eigener Leib eine Brutstätte von Würmern geworden war, und zu gleicher Zeit seine eigene Frau ihn noch belästigte. Als er dagegen sah, wie seine Freunde ihn schmähten und mißhandelten, und schlecht von ihm dachten, und wie sie sagten, er habe all dies seiner Sünden wegen zu leiden, und es sei nur eine Strafe für seine Schlechtigkeit, da verlor selbst dieser ausgezeichnete und große Mann seine Fassung und ward erschüttert.



6.

Auch David hat alles Leid verziehen, das ihm angetan worden; nur für die erlittenen Schmähungen erbat er von Gott Genugtuung. "Laß ihn", sagte er, "seine Verwünschungen ausstoßen, weil der Herr es ihm so befohlen, auf dass der Herr meine Erniedrigung sehr, und mit Genugtuung verschaffe für die Verwünschung, die mir heute widerfahren ist" (2S 16,11-12). Ebenso lobt der hl. Paulus nicht bloß jene, die in Gefahren sind und ihr Hab und Git vberloren, sondern auch diese, indem er also schreibt: "Denket zurücj an die früheren Tage, da ihr das Licht empfangen und einen schweren Kampf voll Leiden zu erdulden hattet, indem ihr ob der erlittenen Schmähungen und Prüfungen zum Schausspiel gheworden seid" (He 10,32-33). Aus diesem Grunde also hat auch Christus einen großen Lohn dafür verheißen. Es soll auch niemand sagen können:Hier strafst du nicht und bringst die Bösen nicht zum Schweigen, erst dort willst du die Guten belohnen? Deshalb hat er die Propheten erwähnt, um zu zeigen, dass Gott auch im Alten Bunde nicht gleich gestraft hat. Wenn Gott aber schon damals, als die sofortige Vergeltung das Gewöhnliche war, sie auf die Zukunft vertröstete, so ist dies um so mehr jetzt am Platz, wir diese Hoffnung viel deutlicher und das religiöse Bewußt sein viel stärker geworden ist. Beachte aber auch, nach wie vielen Geboten erst der Herr solches verheißen hat. Er hat dies nämlich nicht bloß so einfachhin getan, sondern hat deutlich zu verstehen gegeben, dass derjenige, der nicht zu all dem bereit und gerüstet ist, unmöglich sich diesen Kämpfen unterziehen kann. Darum hat er im stetem Fortschreiten von einem Gebot zum anderen uns gleichsam eine goldene Kette geschmiedet. Wer nämlich demütig ist, wird auch seine eigenen Sünden von Herzen bereuen; wer aber reumütig ist, wird auch sanftmütig sein und gerecht und barmherzig; wer aber barmherzig, gerecht und zerknirschten Sinnes ist, der wird auch durchaus reinen Herzens sein: und wer das ist, wird auch friedfertig sein. Wer sodann alle diese Tugenden sich angeeignet hat, der wird auch gegen Verfolgungen gerüstet sein, und nicht die Fassung verlieren, wenn er schlecht von sich reden hört und zahllose Leiden zu ertragen hat. 

   Nachdem also der Herr ihnen die entsprechenden Mahnungen erteilt hat, ermutigt er sie auch wieder durch Lob. Da nämlich seine Gebote si erhaben waren, viel mehr als im Alten Testament, so wollte er nicht, dass sie darob beunruhigt und bestürzt würden, und sagte: Wie können wir solches vollbringen? Höre darum, was er weiter sagt: 

   V.13: " Ihr seid das Salz der Erde." 

   Damit zeigt er, dass er nur aus Notwendigkeit solche Gebote gegeben hat. Denn nicht bloß für die Dauer eures eigenen Lebens, will er sagen, sondern für das ganze Menschengeschlecht ist euch die Verkündigung des Wortes anvertraut. Ich sende euch nicht in zwei Städte, oder in zehn oder hundert, auch nicht zu einem einzigen Volk, wie die Propheten, sondern über Land und Meer, über die ganze Welt und zwar eine schlechte Welt. Mit den Worten: "Ihr seid das Salz der Erde" zeigt er nämlich, dass die gesamte Menschheit schal geworden und von der Sündenfäulnis angesteckt war. Das ist der Grund, weshalb er von den Aposteln gerade solche Tugenden verlangt, die ganz besonders bei der Leitung[198] der großen Massen notwendig und nützlich sind. Wer nämlich sanftmütig ist, bescheiden, barmherzig und gerecht, der beschränkt seine guten Werke[199] nicht bloß auf sich selbst, sondern sorgt dafür, dass diese kostbaren Quellen auch zun Nutzen anderer fließen. Ebenso wird auch der, der reinen Herzens ist und friedfertig, und um der Wahrheit willen Verfolgung leidet, sein Leben so einrichten, dass es zum Nutzen aller dient.Glaubet also nicht, sagt Christus,dass ihr zu leichten und alltäglichen Kämpfen gerufen werdet, und dass es sich für euch um unbedeutende Dinge handle, nein: "Ihr seid das Salz der Erde." Nun, und dann? Haben sie vielleicht wiederhergestellt, was schon in Fäulnis übergegangen war? Ganz und gar nicht. Was einmal verdorbenm ist, kann unmöglich mehr etwas nützen, auch wenn man Salz daraufstreut.Das haben sie also nicht getan; vielmehr haben sie nur das, was vorher erneeuert und dann ihnen anvertraut worden und was von jener Fäulnis befreit gebnlöieben, mit Salz vermischt, und haben es so in jener Frische und Kraft erhalten und bewahrt, die sie selbst vom Herrn empfangen hatten. Von der Fäulnis der Sünden zu befreien, war ja Aufgabe und Werk Christi; hingegen niemand mehr in sie zurückfallen zu lassen, hing von ihrem Eifer und ihrer Bemühung ab. 

   Siehst du da, wie der Herr den Aposteln allmählich zu erkennen gibt, dass sie sogar über den Propheten stehen? Er macht sie ja nicht bloß zu Lehrern von Palästina, sondern zu solchen der ganzen Welt, und dazu nicht bloß zu einfachen Lehrern, sondern zu solchen, die auch gefürchtet waren. Das Wunderbare an der Sache ist nämlich dies, dass sie die Gunst aller gewonnen, nicht durch Schmeicheleien und Augendienerei, sondern dadurch, dass sie beizend wirkten wie Salz. Wundert euch also nicht, will Christus sagen, dass ich die andern außeracht lasse und nur zu euch rede und euch solchen Gefahren entgegensende. Denn erwäget,in wie viele Städte, zu wie vielen Stämmen und Völkern ich euch als Vorsteher senden will. Deshalb sollt ihr nicht bloß klug sein, sondern auch andere klug machen. Denen aber eine solche Aufgabe anvertraut ist, die müssen große Einsicht besiten, denn von ihnen hängt auch das Seelenheil der anderen ab. So stark muß darum die Macht der Tugend in ihnen sein, dass sie dadurch auch auf andere heilsamen Einfluß ausüben. Wenn also eure Tugend nicht so stark wird, so habt ihr sie selbst nicht in genügendem Maße.



7.

Seid darum nicht unwillig, als ob ich euch Beschwerliches zumute. Wenn die anderen schal geworden, so können sie durch euch gebessert werden; wenn aber ihr selber untauglich geworden, so zieht ihr mit euch auch andere ins Verderben.Je größer also die Aufgabe ist, die euch anvertraut ist, um so größer muß auch euer Eifer sein. Deshalb sagt ja der Herr: "Wenn das Salz aber schal geworden ist, womit wird dann gesalzen werden? Es ist zu nichts anderem mehr tauglich, als dass man es hinauswirft und dass die Leute es mit Füßen treten." Die anderen, wenn sie auch tausendmal fallen, können doch Verzeihung erlangen; wenn aber ein Lehrmeister fällt, so gibt es für ihn keine Entschuldigung; er wird die schwerste Strafe gewärtigen müssen. Damit sie aber bei den Worten: "Wenn sie euch schmähen und verfolgen, und alles Böse wider euch sagen", sich nicht etwa fürchten, offen aufzutreten, so sagt der Herr: 'Wenn ihr dazu nicht bereit seid, so seid ihr umsonst auserwählt.' Nicht die Verleumdungen muß man fürchten, sondern den Anschein der Mitschuld; denn in diesem Falle werdet ihr schal geworden sein und mit Füßen getreten werden. Wenn ihr hingegen den Menschen beharrlich zusetzt, und dafür geschmäht werdet, dann freut euch. Gerade dann wirket ihr ja nach Art des Salzes, wenn ihr die Nachlässigen gleichsam beißet und aufrüttelt. Das hat notwendig Schmähungen im Gefolge; doch schaden euch diese nicht, sondern legen nur Zeugnis ab für euren Starkmut. Wenn ihr aber aus Furcht vor Schmähungen es an der nötigen Festigkeit fehlen lasset, so werdet ihr nur um so schwerer dafür büßen; denn dann wird man euch nicht bloß Böses nachsagen, sondern euch auch allgemein verachten. Das meint der Herr mit dem Ausdruck: "zertreten werden". Von da geht er zu einem anderen, noch höheren Vergleich über. 

   V.14: "Ihr seid das Licht der Welt." 

   Auch hier wieder sagt er: "der Welt", nicht eines einzigen Volkes, oder von zwanzig Städten, nein, des gesamten Erdkreises. Und zwar meint er das geistige Licht, das viel wertvoller ist als das irdische, wie es ja auch mit dem geistigen Salze der Fall ist. Zuerst also bringt er das Salz, dann das Licht. Du sollst daraus erkennen, wie nützlich oft bittere Worte sind, wie groß der Gewinn aus rechter Belehrung. Denn sie zwingt uns geradezu und läßt uns nicht auskommen, sie führt uns bei der Hand und nötigt uns, die Tugend zu betrachten. 

   V.15: "Eine Stadt, die auf dem Berge liegt, kann man nicht geheim halten; auch zündet man kein Licht an, um es dann unter en Scheffel zu stellen." 

   Auch durch diese Vergleiche stellt der Herr seinen Aposteln den Ernst des Lebens vor Augen und lehrt sie kampfbereit zu sein, da sie ja den Blicken der ganzen Menschheit ausgesetzt sind und mitten in der Arena der Welt zu kämpfen haben. Sehet nicht darauf, will er sagen, dass wir jetzt gerade hier stehen, dass wir uns auf einem kleinen Punkte eines Erdenwinkels befinden; ihr werdet nämlich allen so offenkundig und bekannt werden, wie eine Stadt, die auf dem Gipfel eines Berges liegt, wie ein Licht, das auf den Scheffel gestellt ist und das Innere des Hauses erleuchtet. 

   Wo sind jetzt diejenigen, die an Christi Macht nicht glauben wollen? Hören sollen sie diese Worte, erstaunen über die Kraft seiner Weissagung und sich beugen vor seiner Macht! Beachte doch, was er Leuten verheißt, die nicht einmal in ihrem eigenen Lande bekannt waren! Dass Land und Meer sie kennen werden, und dass ihr Ruf bis an die Grenzen der Welt dringen werde; ja nicht bloß ihr Ruf, sondern auch die Wirkung ihrer Heilstätigkeit. Sie wurden ja auch überall bekannt, nicht bloß durch den vorauseilenden Ruf, sondern auch durch den Erweis ihrer eigenen Werke. Als hätten sie Flügel erhalten, so haben sie, schneller als das Tageslicht, die ganze Erde durcheilt, und das Licht der Religion verbreitet. Indes, glaube ich, wollte der Herr an dieser Stelle seinen Aposteln auch Mut einflößen; denn die Worte: "Man kann nicht eine Stadt verbergen, die auf einem Berge liegt" spricht nur einer, der seine Macht offenbaren will. So unmöglich es nämlich ist, eine solche Stadt zu verbergen, so unmöglich ist es, das Evangelium tot zu schweigen und zu verbergen. Da er also von Verfolgungen, Verleumdungen, Nachstellungen und Kämpfen geredet hatte, so wollte er nicht, dass sie glaubten, sie könnten durch diese Dinge zun Schweigen gebracht werden. Deshalb sagte er, sie sollten guten Mutes sein; denn ihre predigt werde nicht bloß nicht unbekannt bleiben, sondern im Gegenteil den ganzen Erdkreis erleuchten; ja gerade dadurch würden sie bekannt und berühmt werden. Mit diesen Worten zeigt also Christus seine eigene Macht. Im folgenden verlangt er von den Aposteln, dass sie auch offenen Mut zeigen, indem er sagt: "Auch zündet man kein Licht an, um es um es unter den Scheffel zu stellen, sondern stellt es auf den Leuchter, so dass es allen leuchtet, die im Hause sind." 

   V.16: "So soll auch euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen, und euren Vater preisen, der im Himmel ist." 

   Ich, sagt Christus, habe das Licht angezündet; dass es aber weiter brenne, dafür soll euer Eifer sorgen, nicht bloß eurer selbst wegen, sondern auch um jener willen, die in Zukunft sich dieses Lichtes erfreuen und zur Wahrheit geführt werden sollen. Die bösen Reden werden nicht imstande sein, euren Lichtglanz zu verdunkeln, wenn ihr nur rechtschaffen lebt, als Männer, die den ganzen Erdkreis bekehren sollen. Zeigt euch also im Leben würdig der empfangenen Gnade, denn wie diese überall verkündet wird, so soll jenes mit dieser im Einklang stehen. 

   Außer der Rettung der Menschen stellt ihnen der Herr aber auch noch einen anderen Gewinn in Aussicht, der allein hinreichte, sie zum Kampfe anzufeuern und sie mit Eifer und Begeisterung zu erfüllen. Nicht nur, sagt er, werdet ihr die Welt besser machen durch ein rechtes Leben; ihr werdet auch Ursache sein, dass Gott verherrlicht wird. Dagegen werdet ihr auch, wenn ihr das Gegenteil tut, die Menschen ins Verderben stürzen, und schuld daran sein, dass der Name Gottes gelästert wird.



8.

Aber wie, mochten die Apostel fragen, soll Gott durch uns verherrlicht werden, wenn die Menschen uns schmähen werden? Ja, aber doch nicht alle Menschen werden dies tun; und selbst jene, die aus Haß so handeln, werden euch in ihrem Herzen bewundern und euch Recht geben, wie sie anderseits diejenigen in ihrem Inneren verurteilen, die offen den Sündern schmeicheln. Was ist also dann zu tun? Willst du, dass wir unser Leben zur Schau stellen, um recht geehrt zu werden? Durchaus nicht; so ist es nicht gemeint. Ich habe ja auch nicht gesagt: Sorget ihr dafür, dass eure guten Werke öffentlich bekannt werden, und ebenso wenig habe ich gesagt: Stellet dieselben zur Schau, sondern: "euer Licht soll leuchten", das heißt: ihr sollt große Tugend besitzen, reichliches Feuer und sehr viel Licht. Wenn nämlich die Tugend so groß ist, dann kann sie auch nicht verborgen bleiben, wenn auch derjenige, der sie besitzt, sie tausendmal verbergen möchte. Führet vor ihnen ein tadelloses Leben, und gebt ihnen keinerlei begründeten Anlaß zur Klage; dann kann euch niemand in Schatten stellen, wenn auch tausend Kläger kommen. Auch sagte der Herr mit Recht: das Licht; denn nichts fällt am Menschen so in die Augen als Zeichen der Tugend, wenn er sie auch noch so sehr verbergen will. Ja, als wäre er selbst mit dem Lichte der Sonne bekleidet, so strahlt der Tugendhafte noch heller als diese, und sendet seine Lichtstrahlen nicht bloß über die Erde hin, sondern sogar über den Himmel hinaus. Deshalb spricht der Herr den Aposteln noch mehr Trost zu. Wenn ihr es auch schmerzlich empfindet, sagt er, gelästert zu werden, ihr werdet doch auch viele finden, die euretwegen Gott bewundern werden. Für beides werdet ihr belohnt werden, sowohl dafür, dass durch euch Gott verherrlicht wird, als auch dafür, dass ihr um Gottes willen gelästert werdet. 

   Damit wir aber dann Schmähungen nicht geradezu suchen, wegen des Lohnes, der darauf gesetzt ist, so hat Christus seine Verheißung auch nicht so ohne weiteres gegeben, sondern mit zwei Beschränkungen: nämlich, dass es nicht wahr sei, was man gegen uns sagt, und dann, dass es Gottes wegen geschehe. Außerdem zeigt er, dass nicht bloß böse, sondern auch gute Nachreden großen Nutzen stiftet, weil die Ehre davon auf Gott zurückfällt; und so weckt er in ihnen die besten Hoffnungen. Die Verleumdungen der Bösen, will er sagen, vermögen nicht soviel, dass sie auch den anderen die Möglichkeit nähmen, das Licht zu sehen, das in euch ist. Nur wenn ihr schal geworden seid, dann werden sie euch mit Füßen treten, nicht aber, wenn ihr eure Pflicht tut und dafür verleumdet werdet. In diesem Falle werdet ihr sogar viele finden, die euch bewundern, und nicht bloß euch, sondern in euch auch euren[200] Vater. Auch sagte er hier nicht: Gott, sondern: den Vater, und legt damit schon die Grundlage für den zukünftigen Adel, der ihnen verliehen werden soll. Um sodann zu zeigen, dass auch ihm gleiche Ehre[201] zukommt, hat er oben gesagt: Seid nicht traurig, wenn man Böses gegen euch redet; es genügt euch, wenn es um meinetwillen geschieht. Hier dagegen nennt er den Vater, und offenbart damit, dass er ihm in allem gleich ist. Nachdem wir also wissen, welcher Lohn des Eifrigen harrt, und welche Gefahr demjenigen droht, der nachlässig ist[202] , so bemühen wir uns, kein Ärgernis zu geben, weder den Juden noch den Heiden, noch auch der Kirche Gottes. Solange aber unser Leben die Sonne an Reinheit und Glanz übertrifft, solange mag einer schlecht von uns reden; wir brauchen uns über die böse Rede nicht zu betrüben, sondern nur dann, wenn man uns mit Recht Böses nachsagt. Wenn wir nämlich in Sünde leben, so braucht uns niemand erst Böses nachzusagen, wir sind doch schlimmer daran, als alle anderen. Wenn wir uns aber der Tugend befleißen, so mag die ganze Welt uns schmähen, wir werden gerade dann am beneidenswertesten sein, und werden alle an uns ziehen, denen an ihrem Seelenheil gelegen ist. Diese werden sich eben nicht um die Verunglimpfungen der Bösen kümmern, sondern lieber auf ein tugendhaftes Leben bedacht sein. Der Beweis aus euren Werken spricht lauter als der lauteste Herold und ein reines Leben glänzt mehr, als selbst das Licht, auch wenn tausend Verleumder wider euch aufträten. 

   Wenn wir also alle die obengenannten Tugenden besitzen, wenn wir sanftmütig, demütig und barmherzig sind, reinen Herzens und friedfertig, wenn wir Schmähreden nicht mit Schmähungen vergelten, sondern uns sogar freuen über sie, dann werden wir diejenigen, die uns beobachten, nicht weniger an uns ziehen, als Wunderzeichen dies tun könnten, und alle werden mit Freude zu uns kommen und wäre einer auch ein wildes Tier oder ein Teufel oder sonst etwas. Wenn aber auch einige mit Verleumdungen kommen, so verliere deswegen die Fassung nicht, und mache dir nichts daraus, dass sie dich öffentlich schmähen, prüfe nur ihr eigenes Gewissen und du wirst sehen, dass sie dir Beifall spenden und dich bewundern und tausend Dinge zu deinem Lobe aufzuzählen wissen. Siehe nur, wie Nabuchodonosor die Jünglinge im Feuerofen lobt; und doch war er ihr Gegner und Feind. Nachdem er aber gesehen, wie standhaft sie waren, da lobte er sie und spendete ihnen den Siegespreis, und das aus keinem anderen Grunde, als weil sie seinen Befehl mißachtet und das Gesetz Gottes befolgt hatten. Wenn nämlich der Teufel sieht, dass er nichts ausrichtet, so zieht er sich zurück aus Furcht, er könnte uns sonst noch mehr Lorbeeren einbringen. Sobald er aber fort ist, da mag einer noch so schlecht und verdorben sein, er wird die Tugend erkennen, nachdem die Ursache seiner vorigen Blindheit gehoben ist. Wenn dann aber auch Menschen irren, von Gott erlangst du nur um so mehr Lob und Bewunderung.



9.

Betrübe dich also nicht und verliere den Mut nicht! Auch die Apostel waren ja für die einen ein "Geruch des Todes", für die anderen ein "Geruch des Lebens" (2Co 2,16). Wenn nur du keinerlei Handhabe bietest, so bist du frei von aller Schuld. Leuchte also durch dein Leben, und kümmere dich nicht um die Reden der Bösen. Es gab ja noch niemand, gar niemand, dem die Tugend am Herzen gelegen wäre, und der nicht viele Feinde gehabt hätte. Das macht aber dem Tugendhaften gar nichts aus; er wird ob solcher Dinge nur in um so hellerem Lichte erglänzen. Beherzigen wir dies also, und behalten wir nur eines im Auge, in unserem eigenen Leben recht genau und gewissenhaft zu sein; auf diese Weise werden wir auch jene, die noch in Finsternis sitzen, zu diesem Leben führen. So groß ist eben die Macht dieses Lichtes, dass es nicht nur hienieden leuchtet, sondern diejenigen, die ihm folgen, auch hinüber ins Jenseits geleitet. Wenn jene nämlich bemerken, wie manche alles Irdische verachten, und sich nur auf die andere Welt vorbereiten, so werden sie unseren Werken mehr als all unseren Reden Glauben schenken. Wer wäre doch so töricht, dass er beim Anblick eines Menschen, der eben noch in Schwelgerei und Reichtum lebte, und auf einmal alles verläßt und voll freudiger Hoffnung bereit ist, Hunger und Armut und jegliche Entbehrung zu ertragen, Gefahren, Blutvergießen und Tod zu trotzen und allem, was einem Menschen Schrecken einflößen kann, wer wäre so töricht, frage ich, dass er daraus nicht einen klaren Beweis für das Dasein einer zukünftigen Welt entnähme? Wenn aber wir selbst uns mit irdischen Dingen abgeben, und allzu sehr in ihnen aufgehen, wie sollen da die Leute glauben, dass wir einer anderen Heimat zustreben? Und womit werden wir uns entschuldigen können. wenn die Furcht Gottes bei uns weniger vermag als menschlicher Ruhm bei den heidnischen Philosophen? Auch von ihnen haben ja einige auf ihr Eigentum verzichtet, und haben den Tod verachtet, um bei den Menschen angesehen zu sein; darum sind aber auch ihre Hoffnungen zunichte geworden. 

   Nachdem uns also so große Dinge verheißen worden sind, nachdem uns der Weg zu so hoher Lebensweisheit eröffnet worden ist, was können wir da zu unserer Rechtfertigung noch vorbringen, wenn wir nicht einmal soviel zu leisten vermögen, wie jene, und im Gegenteil uns und andere ins Verderben stürzen? Der Heide, der ein Gebot übertritt, schadet nicht soviel, als ein Christ, der das gleiche tut. Das ist ganz natürlich. Die Religion der Heiden ist eben schlecht, die unsere dagegen steht durch die Gnade Gottes selbst bei den Gottlosen in Achtung und Ansehen. Wenn uns darum die Heiden ganz besonders beschimpfen und ihrer bösen Rede besonderen Nachdruck verleihen wollen, so setzen sie noch Ausdrücke hinzu wie: und der will ein Christ sein; das würden sie nicht sagen, wenn sie keine hohe Meinung von unserer Lehre hätten. Oder hast du nicht gehört, welch erhabene Gebote Christus uns gegeben hat? Wie könntest du also auch nur eines derselben erfüllen, wenn du ohne Scham herumgehst, um Wucher zu treiben, Zinsen zu erjagen, Geschäfte zu machen, Herden von Sklaven zu kaufen, Silbergeschirr anzuschaffen, Güter und Häuser mit tausenderlei Zubehör zu erwerben? Und wäre das nur alles! Wenn du aber neben all diesen überflüssigen Sorgen auch noch Unrecht tust, deines Nachbarn Grundstücke verkürzest, anderen ihre Häuser nimmst, die Zahl der Armen vermehrst, ihren Hunger steigerst, wie solltest du da in diese Vorhalle des Himmels eintreten können? 

   Doch, du gibst auch zuweilen den Armen ein Almosen. Das weiß ich schon. Indes liegt auch darin wieder viel Fehlerhaftes. Denn du tust dies entweder aus Stolz, oder von den Leuten gesehen zu werden, so dass dir nicht einmal deine guten Werke Nutzen bringen. Was gäbe es aber Schrecklicheres, als selbst im Hafen noch Schiffbruch zu leiden? Um dich also davor zu bewahren, suche für deine guten Werke nicht von mir Lob zu ernten, damit du dafür Gott zum Schuldner habest. Er sagt ja: "Leihet euer Geld denen, von denen ihr nicht hoffet, es wieder zu bekommen" (Lc 6,35). Du hast also einen Schuldner? Warum lässest du ihn dann stehen und forderst die Schuld von mir, der ich ein armer, elender Mensch bin? Oder wird etwa dein Schuldner unwillig, wenn du die Schuld von ihm forderst? Ist er vielleicht arm? Oder weigert er sich, seine Schuld zu bezahlen? Siehst du denn seine unermeßlichen Schätze nicht? Bemerkst du nicht, wie unendlich freigebig er ist? An ihn also halte dich, von ihm fordere die Schuld zurück; er freut sich ja nur an solcher Forderung. Wenn er dagegen sieht, dass du von einem anderen forderst, was er selbst dir schuldet, so wird er das als Beleidigung aufnehmen, und dir überhaupt nichts mehr zurückgeben, sondern dir sogar Vorwürfe machen, und zwar mit Recht. Wann, wird er sagen, hast du mich jemals undankbar gefunden? Wo hast du mich arm gesehen, so dass du mich übergehen und dich an andere wenden müßtest? Dem einen hast du dein Geld geborgt, und von einem anderen forderst du es zurück? Wenn auch ein Mensch es erhalten hat, es war doch Gott, der es geben hieß; und er selbst will in erster Linie Schuldner und Bürge sein und bietet dir tausend Gelegenheiten, alles von ihm zurückzuverlangen. Mißachte also nicht ein so großes Entgegenkommen und eine so günstige Gelegenheit, und suche nichts bei mir, der ich selbst nichts habe. Oder weshalb streichst du dich bei mir heraus, wenn du einmal einem Armen ein Almosen gibst? Hab etwa ich dir befohlen, zu geben? Hab etwa ich es dich geheißen, dass du es von mir zurückverlangst? Nein. Gott selbst hat gesagt: "Wer sich des Armen erbarmt, leiht Gott aus" (Pr 19,17). Gott hast du geborgt, auf ihn schreibe die Schuld. Doch gibt er dir nicht jetzt schon alles zurück. Und auch das tut er nur um deinetwillen. Solch ein Schuldner ist eben Gott. Bei ihm ist es nicht wie bei den meisten Menschen, die einfach das Geliehene sobald als möglich zurückzugeben suchen; er trachtet auch auf jede Weise, das, was er bekommen, an einem sicheren Orte zu hinterlegen. Deshalb gibt er einen Teil in diesem Leben zurück, den andern spart er fürs Jenseits auf.



10.

Nachdem wir also dies jetzt wissen, wollen wir die Barmherzigkeit recht hoch schätzen und viel Nächstenliebe zeigen, durch Almosen und werktätige Hilfe. Wenn wir also auf offener Straße jemand treffen, der recht elend und vom Unglück heingesucht ist, und wir ihm Geld geben können, so tun wir es; können wir ihn durch Worte trösten, lassen wir es uns nicht verdrießen. Auch ein einfaches Wort findet seinen Lohn, ja schon das bloße Mitgefühl. Das bestätigt uns der selige Job mit den Worten: "Ich aber weinte über jeden Unglücklichen, ich seufzte, wenn ich jemand in Not sah" (Jb 30,25). Wenn man aber schon für Tränen und Seufzer belohnt wird, so bedenke, wie groß erst der Lohn sein wird, wenn du dazu auch noch Trost spendest und dich auf andere vielfältige Weise um einen Unglücklichen bemühst! Waren ja doch auch wir Feinde Gottes! Und dennoch hat der Eingeborene uns erlöst, indem er sich selbst zum Mittler hergab, an unserer Stelle die Strafe auf sich nahm, für uns den Tod erlitt. 

   Beeilen also auch wir uns, die Gefallenen von ihrem tausendfachen Unheil zu befreien, und machen wir es nicht wie bisher, dass wir z.B. beim Anblick von solchen, sie sich gegenseitig in den Haaren liegen und zerzausen, hinstehen, uns freuen über fremde Schmach und diesem Teufelsschauspiel zusehen. Oder was gäbe es Gefühlloseres als das? Siehst du nicht, wie sie einander böse Reden zuwerfen, zu Tätlichkeiten übergehen, sich die Kleider zerreißen, einander Faustschläge ins Gesicht geben, und du bringst es über dich, ruhig daneben zu stehen? Ist es denn ein Bär, der also kämpft? ist es ein wildes Tier? ist es eine Schlange? Nein, ein Mensch, der in allem dir gleich ist, ein Bruder, ein Glied deines Geschlechts! Darum schau ihnen nicht zu, sondern bringe sie auseinander! Freue dich nicht über sie, sondern weise sie zurecht! Verleite nicht auch noch andere zu solcher Schmach, sondern hindere und trenne vielmehr die Streitenden. Nur diejenigen, die kein Schamgefühl besitzen, die gemeinen Charakters sind, die zum Abschaum der Menschen gehören und unvernünftig geworden sind wie Tiere, die mögen sich an solchen Vorkommnissen freuen. Du siehst, wie ein Mensch sich schimpflich benimmt, und denkst nicht daran, dass du ebenso handelst? Du trittst nicht dazwischen und trennst nicht die Streiter des Teufels, machst der menschlichen Schmach kein Ende? Ja, sagst du, damit ich selber auch noch Schläge bekomme! Oder willst du mir wirklich so etwas befehlen? Nein, es wird dir durchaus nichts geschehen! Und selbst wenn dir das passierte, du würdest dadurch nur zum Märtyrer werden, weil du um Gottes willen zu leiden hattest. Wenn du aber Furcht hast, dich Schlägen auszusetzen, so bedenke, dass dein Herr kein Bedenken trug, um deinetwillen das Kreuz auf sich zu nehmen. Jene sind wie berauscht und umnebelt, da sie ganz vom Zorne beherrscht und geleitet werden, und eben deshalb brauchen sie jemand, der selbst vernünftig ist, und ihnen hilft, und zwar braucht dies der Beleidiger so gut wie der Beleidigte; der eine, damit er aus seiner üblen Lage befreit werde, der andere, damit er von seinen Mißhandlungen abstehe. 

   Gehe also hinzu und reiche ihm die Hand, du, der Nüchterne dem Betrunkenen. Es gibt nämlich auch einen Zornesrausch, und der ist noch schlimmer, als Trunkenheit durch Weingenuß. Siehst du nicht, wie die Seeleute es machen, wenn sie jemand Schiffbruch leiden sehen? Sie spannen die Segel aus und kommen in aller Eile herbei, um ihre Kollegen den Wogen zu entreißen. Wenn aber Berufsgenossen schon solche Hilfsbereitschaft zeigen, so geziemt es sich um so mehr, dass auch diejenigen das alles tun, die von Natur schon Brüder sind. Auch in unserem Fall stehen wir ja vor einem Schiffbruche, der noch schlimmer ist als der andere. Denn entweder lästert da der Mißhandelte, und verliert so die ganze Gelegenheit zum Verdienst; oder er flucht in seinem Zorn und stürzt so ebenfalls in die Hölle; oder er verwundet, ja tötet seinen Gegner, und auch dann nimmt er das gleiche Ende. Geh also und mache dem Unheil ein Ende, rette diejenigen, die schon versinken, geh hinaus in die stürmende See, mach dem teuflischen Schauspiel ein Ende, nimm jeden von beiden zur Seite, ermahne sie, ihren brennenden Zorn zu bändigen, und die stürmischen Wogen zu besänftigen. Wenn aber dann die Flamme nur um so höher emporschlägt und der Feuerbrand um so stärker wird, so fürchte dich nicht. Da sind viele, die dir helfen und mit Hand anlegen, wenn du nur den Anfang machst, und vor allen anderen hilft dir der Her, der Gott des Friedens. Und wenn du zuerst den Feuerbrand zu löschen beginnst, dann werden dir viele beistehen, und du wirst den Lohn für das Gute erhalten, das sie tun. Höre, wie Gott die Juden ermahnte, die nur an Irdisches dachten: "Wenn du", sagte er, "die Zugtiere deines Feindes fallen siehst, so gehe nicht vorbei, sondern hilf ihnen auf" (Ex 23,5). Und doch, viel leichter, als ein gefallenes Paar Zugtiere wieder aufzurichten, ist es, streitende Menschen zu beruhigen und auseinander zu bringen. Wenn man aber schon dem Esel seines Feindes wieder aufhelfen muß, dann um so mehr der Seele eines Freundes, zumal wenn sie einen noch viel schlimmeren Fall getan. Die Seelen fallen ja nicht in den Straßenkot, sondern ins höllische Feuer, weil sie die Last des Zorns nicht zu tragen vermögen. Und du gehst herzlos und ohne Erbarmen vorüber an deinem Bruder, der unter der Last zusammengebrochen ist, während schon der Teufel daneben steht und den Feuerbrand herrichtet! So etwas darf man ungestraft nicht einmal dann tun, wenn es sich nur um ein Tier handelt.



11.

Als der Samaritan einen unbekannten Verwundeten sah, der ihn weiter gar nichts anging, da ging er zu ihm hin, lud ihn auf sei Lasttier, führte ihn in die Herberge, berief den Arzt, und bezahlte die eine Hälfte bar, die andere versprach er ihm für später. Du hingegen siehst einen Menschen, der nicht unter Räuber, sondern unter eine Rotte von Dämonen gefallen und gefangen ist, und dies nicht in der Einsamkeit, sondern mitten auf offenem Markt, und du willst kein Geld opfern, kein Lasttier mieten und es einen weiten Weg machen lassen, nein, du hast nur Worte feil, zögerst und besinnst dich, und gehst vorbei ohne Mitleid und Erbarmen! Wie kannst du erwarten, dass der Gott des Guten dir einmal gnädig sein werde? Aber auch an euch will ich mich wenden, die ihr vor aller Augen euch so unwürdig benehmet, und besonders an den Urheber der Beleidigung und des Unrechts. Sage mir, du bringst Wunden bei, schlägst aus und beißest? Bist du denn ein wütender Eber geworden oder ein wilder Esel? Und du schämst dich nicht einmal, wirst nicht rot darüber, dass du wie ein wildes Tier geworden bist, und deine eigene Menschenwürde preisgegeben hast? Wenn du auch arm bist, du bist doch wenigstens frei; wenn du auch ein Handwerker bist, du bist doch ein Christ. Gerade deshalb mußt du dich also beherrschen, weil du arm bist; denn nur die Reichen pflegen miteinander im Streite zu liegen, nicht die Armen, und zwar die Reichen deshalb, weil sie mehr Anlässe zu Feindschaften haben. Nachdem dir also die Annehmlichkeiten des Reichtums versagt sind, willst du da trotzdem seine Nachteile auf dich nehmen, als da sind: Feindschaften, Eifersucht und Streit? Und dazu würgst du uns bedrohst deinen Bruder, und wirfst ihn öffentlich vor aller Augen zu Boden? Und du denkst gar nicht daran, dass dein Benehmen noch viel unwürdiger ist, weil du dich unvernünftigen Tieren gleichstellst, ja dass du schlimmer geworden bist als sie? Sie haben ja alles gemeinsam, bilden zusammen Herden, und leben miteinander. Wir hingegen haben nichts Gemeinsames. Bei uns geht alles darunter und darüber, gibt es Streitigkeiten, Eifersucht, Beschimpfungen, Feindschaften, Schmähreden. Wir respektieren weder den Himmel, zu dem wir alle gemeinsam berufen sind, noch die Erde, die uns zum gemeinsamen Anteil geworden, ja nicht einmal unsere eigene Natur! Zorn und Habsucht zerstören und richten alles zugrunde. 

   Erinnerst du dich nicht an jenen Knecht, der tausend Talente schuldete, und, nachdem diese ihm nachgelassen worden waren, hinging und wegen hundert Denaren seinen Mitknecht würgte? Weißt du nicht, wie schlimm es ihm dafür erging, und wie er ewiger Strafe überantwortet wurde? Fürchtest du dich nicht vor diesem Beispiel? Hast du nicht Angst, es könnte auch dir das gleiche widerfahren? Auch wir haben ja bei unserem Herrn viele und schwere Schulden. Und doch übt er Geduld und Langmut; er fällt nicht über uns her, wie wir über unsere Mitmenschen, er quält uns nicht und würgt uns nicht. Und doch, hätte er auch nur den geringsten Teil unserer Schulden von uns zurück verlangen wollen, wir wären längst verloren gewesen. Das wollen wir also beherzigen, Geliebte, wollen uns demütigen, und gegen unsere Schuldner Nachsicht üben. Denn wenn wir einsichtig sind, dann werden wir um ihretwillen die größte Nachsicht erlangen und für eine geringe Gabe großen Lohn erhalten. Was verlangst du also gewalttätig die Schuld zurück, während du sie ihm doch nachlassen solltest, selbst wenn er sie zurückbezahlen wollte? Denn dann würdest du alles von Gott erhalten? Statt dessen setzest du alles in Bewegung, brauchst Gewalt und erregst Streit, damit du ja nichts von deinem Eigentum verlierest. Während du aber deinen Nächsten zu bedrohen glaubst, zückst du nur das Schwert gegen dich selbst, und vermehrst die Strafe, die deiner in der Hölle wartet. Wenn du hingegen in diesem Leben auch nur ein wenig einsichtig bist, so bereitest du dir selber damit ein mildes Gericht. Gerade deshalb wollte ja Gott, dass wir mit solcher Hochherzigkeit den Anfang machen, damit er so Veranlassung habe, uns nur um so mehr zurückzuerstatten. So viele Geld und Sündenschuldner du also auch hast, wenn du allen Freiheit und Verzeihung gewährst, so verlange von Gott Ersatz für solche Seelengröße. Solange nämlich jene deine Schuldner sind, wirst du Gott nicht zu deinem Schuldner haben; wenn du sie aber freilässest, so wirst du Gott dafür gewinnen und von seiner großen Freigebigkeit den Lohn für deine große Frömmigkeit erbitten können. Wenn ein Mensch an dir vorbeiginge und sähe, wie du deinen Schuldner gefangen hältst, und dir dann sagte, du solltest ihn freigeben, weil er die ganze Schuld auf sich nehmen wolle, so würde er sich, wenn du den anderen wirklich freigelassen, schwerlich undankbar gegen dich zeigen wollen, da er ja alles auf sich genommen hatte. Wie sollte da Gott nicht viel mehr, ja tausendfältigen Ersatz bieten, wenn wir auf sein Gebot hin unsere Schuldner von jeder weiteren Verpflichtung frei entlassen und weder wenig noch viel von ihnen zurückfordern? Sehen wir also nicht auf die vorübergehende Annehmlichkeit, die wir empfinden, wenn wir Schulden zurückfordern; blicken wir vielmehr auf die Strafe, die wir darob im anderen Leben zu gewärtigen haben, wenn wir selbst unsere ewigen Interessen schädigen. Erheben wir uns also über alle Bedenken, schenken wir unseren Schuldnern ihr Geld und ihre Beleidigungen, damit wir uns selber die Rechenschaft erleichtern. Und was wir mit anderen Tugenden nicht zu erreichen vermochten, das wollen wir erringen, indem wir unserem Nächsten verzeihen, und so der ewigen Güter teilhaft werden, durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, der die Ehre und die Macht besitzt, jetzt und in alle Ewigkeit. Amen!






Kommentar zum Evangelium Mt 14