Kommentar zum Evangelium Mt 17

Siebzehnte Homilie. Kap. V, V.27-37.

17 Mt 5,27-37
1.

V.27: "Ihr habt gehört, dass euren Vorvätern gesagt worden ist: Du sollst nicht ehebrechen.

   V.28: Ich aber sage euch; Jeder, der eine Frau ansieht aus Begierlichkeit, hat in seinem Herzen die Ehe schon gebrochen." 

   Der Herr hat seine Erklärung des ersten Gebotes vollendet, nachdem er es zur höchsten Höhe christlicher Lebensweisheit emporgehoben hat. Jetzt schreitet er in natürlicher Reihenfolge zum zweiten Gebote weiter und schließt sich auch hierin an das Gesetz an. Indes, sagst du, dies ist ja nicht das zweite, sondern das dritte Gebot; denn das erste lautet nicht: Du sollst nicht töten, sondern: "Der Herr, dein Gott, ist der alleinige Herr" (Dt 6,4).So wollen wir also den Grund suchen, weshalb der Herr nicht da anfing. Welches ist also dieser Grund? Hätte er mit diesem Gebot angefangen, so hätte er es auch weiter erklären und dann von sich selber reden müssen. Die Zeit war aber noch nicht gekommen, derartige Aufklärungen über sich selbst zu geben. Dafür enthüllte er schon jetzt seine moralischen Grundsätze. Er wollte eben zuerst durch sie und seine Wunder die Zuhörer davon überzeugen, dass er der Sohn Gottes ist. Hätte er also von Anfang an, noch bevor er irgend etwas geredet oder getan hatte, gesagt: Ihr habt gehört, dass euren Vorfahren gesagt worden ist: Ich bin der Herr, dein Gott, und außer mir gibt es keinen anderen; ich aber sage euch, ihr müßt auch mich anbeten wie ihn, so hätte dies nur zur Folge gehabt, dass ihn alle für irrsinnig gehalten hätten. Sie erklärten ihn ja noch für besessen, nachdem er längst vorher gelehrt und die größten Wunderzeichen getan, und selbst dann noch seine Gottheit nicht deutlich ausgesprochen hatte. Wenn er sich also eine solche Äußerung erlaubt hätte, bevor er etwas von all diesen Dingen getan hatte, was hätten sie dann nicht erst gesagt, was hätten sie da nicht alles gedacht? Indem er nun aber die diesbezügliche Aufklärung für die richtige Zeit vorbehielt, erreichte er, dass die Mehrzahl der Zuhörer für diese Lehre zugänglich wurde. Deshalb hat er sie für jetzt übergangen, und bereitete inzwischen durch seine Wunder und durch seine erhabene Lehre in jeder Weise auf sie vor, um sie später auch in ausdrücklichen Worten zu offenbaren. 

   Vorläufig läßt er also diese Offenbarung erst teilweise und langsam durchblicken durch den Erweis seiner Wundertaten und durch seine bloße Art und Weise zu lehren. Dass er nämlich aus eigener Machtvollkommenheit solche Satzungen verkündete und änderte, mußte den, der aufmerksam und mit Verstand zuhörte, langsam zur Offenbarung dieses Dogmas hinführen. Es fiel ihnen ja auf, sagt die Hl. Schrift, dass er nicht lehrte, wie ihre Schriftgelehrten. Er begann mit unseren am häufigsten vorkommenden Leidenschaften, dem Zorn und der Begierlichkeit; die sind es ja, von denen wir uns am meisten beherrschen lassen, und die auch stärker sind, als die anderen. Indes verbesserte er dieses Gebot mit aller einem Gesetzgeber zukommenden Machtvollkommenheit und veredelte es mit größter Sorgfalt. Er sagte nämlich nicht, nur der Ehebrecher werde bestraft, sondern er machte es hier, wie er es beim Mörder gemacht, er straft auch schon den unkeuschen Blick, damit du wissest, wo er mit seinen Anforderungen über diejenigen der Schriftgelehrten hinausgeht. Darum sagte er: "Wer eine Frau ansieht aus Begierlichkeit, hat bereits mit ihr die Ehe gebrochen", das heißt, wer Dinge tut, wie z.B.:sich an schöngestaltete Menschen heranzumachen, Leuten mit hübschen Gesichtern nachlaufen, sich an deren Anblick ergötzen und das Auge auf schöne Antlitze heften. Christus kam eben nicht bloß, um die Leiber von bösen Handlungen zu bewahren, sondern auch um die Seele vor dem Leibe zu schützen. Da war nämlich die Gnade des Hl. Geistes im Herzen empfangen, so reinigt er dieses zuerst. 

   Indes, wendest du ein, wie ist es möglich, von der Begierlichkeit befreit zu werden? O, wenn wir nur wollten, dann wäre es ganz gut möglich, auch sie vollständig zu ertöten und unschädlich zu machen. Übrigens verbietet hier der Herr die Begierlichkeit nicht bloß so im allgemeinen, sondern die Begierde, die durch den unkeuschen Blick geweckt wird. Wer nämlich geflissentlich schöne Gesichter ansieht, zündet selber am meisten das Feuer der Leidenschaft an, macht die Seele zur Sklavin, und schreitet gar bald auch zur bösen Tat. Darum sagte auch Christus nicht: Jeder, der nach einem Weibe begehrt, um mit ihm Ehebruch zu treiben, sondern: "Wer immer sie ansieht, um sie zu begehren."Beim Zorn hat er auch noch eine Einschränkung gemacht durch die Worte: "ohne Grund". Hier macht er keine, sondern verbot einfach und absolut die böse Begierde. Und doch sind uns beide Leidenschaften, der Zorn und die Begierlichkeit, angeboren und bringen beide gute Wirkungen hervor: die eine, weil wir durch sie die Bösen bestrafen und die Fehlenden bessern, die andere, weil sie die Ursache ist, dass wir Kinder erzeugen und unser Geschlecht durch solche Nachkommenschaft vermehren.



2.

Weshalb hat aber dann der Herr nicht auch hier einen Unterschied gemacht? Wenn du genau zusiehst, wirst du auch hier eine sehr wichtige Unterscheidung vermerken. Er sagte nämlich nicht einfachhin: Jeder, der begehrt; denn die Begierde kann auch einer empfinden, der einsam auf einem Berge sitzt; vielmehr heißt es;"Wer immer[222] ansieht, um sie zu begehren."Das heißt, wer selbst die Begierde anfacht, wer, ohne von jemand genötigt zu sein, das wilde Tier in die stille Behausung der Seele einläßt. Das ist eben nicht mehr Ausfluß der Natur, sondern die Schuld des eigenen Leichtsinnes. Auch das alte Gesetz hat diese Leidenschaft geregelt, indem es gebot: "Schenk fremder Schönheit keine Beachtung" (Si 9,8). Da soll nur niemand einwenden: Wie aber, wenn ich einer nachsehe, ohne mich von ihr erfassen zu lassen? Gerade deshalb bestraft der Herr schon den unkeuschen Blick, damit keiner auf solch[223] Sicherheit vertraue und dann in Sünde falle. Aber wie, sagst du wieder, wenn ich sie ansehe und auch nach ihr verlange, dagegen nichts Böses tue? Du wirst trotzdem als Ehebrecher behandelt werden. Der Gesetzgeber hat es einmal verboten, und man soll nicht weiter daran herumdeuteln. Wenn du in solcher Absicht eine Frau ein,zweiund dreimal ansiehst, so kannst du dich wohl leicht noch beherrschen; tust du es aber anhaltend und zündest damit das Feuer der Lust an, so wirst du vollständig von ihm erfaßt werden; du bist ja doch nicht über die menschliche Natur erhaben. Wenn wir ein Kind mit einem Schwert in der Hand sehen, so strafen wir es, auch wenn es sich nicht damit verwundet hat, und verbieten ihm, es nochmals anzurühren. Geradeso verbietet auch Gott den unzüchtigen Blick schon vor der bösen Tat, damit du nicht wirklich auch eine Tatsünde begehest. Wer das Feuer einmal entzündet hat, macht sich auch dann, wenn das Weib nicht da ist, das er lüstern angesehen hat, bei sich selbst fortwährend die Vorstellung unkeuscher Handlungen, und geht von diesen oft auch zur bösen Tat selbst über. Deshalb untersagt Christus auch schon den Ehebruch, der nur im Herzen sich vollzieht, Was werden da wohl diejenigen sagen, die gottgeweihte Jungfrauen in ihrem Hause halten? Nach dem Wortlaut des Gesetzes wären sie wohl zahlloser Ehebrüche schuldig, wenn sie dieselben jeden Tag mit Begierlichkeit ansehen. Auch der selige Job hat sich darum dies von Anfang an zum Grundsatze gemacht, und sich jeden derartigen Blick, wie immer es sei, versagt (Jb 31,9). Wenn man nämlich ein Weib angesehen und die Begehrte nicht besitzen kann, so ist der Kampf nur um so größer. Ja die Lust, die der Anblick selber verursacht, ist nicht so groß als der Schaden, den wir uns durch die Stärkung dieser Leidenschaft zuziehen. Wir erhöhen ja dadurch nur die Macht unseres Widersachers, räumen dem Teufel größeren Spielraum ein, und werden nicht mehr imstande sein ihn zu vertreiben, nachdem wir ihn einmal in das Innerste unseres Herzens eingeführt und ihm unsere Seele eröffnet haben. 

   Aus diesem Grunde sagte er also: Brich die Ehe nicht mit den Augen, so wirst du sie auch nicht im Herzen brechen. Man kann ja ein Weib auch noch anders ansehen, nämlich so wie die Schamhaften es tun. Darum verbietet auch der Herr nicht den Anblick an sich, sondern nur den, der aus Begierlichkeit geschieht. Wäre nicht das seine Absicht gewesen, so hätte er einfach gesagt: Wer ein Weib ansieht; tatsächlich hat er aber nicht so gesagt, sondern: Wer sie ansieht, um die böse Gier zu wecken, wer sie ansieht, um seine Augenlust[224] zu befriedigen. Der liebe Gott hat dir eben die Augen nicht dazu gegeben, damit sie dir als Brücke zum Ehebruch dienen, sondern damit du beim Anblick seiner Geschöpfe den Schöpfer bewunderst. Wie man nun erlaubterweise zürnen kann, so kann man auch erlaubterweise jemand ansehen, auch wenn man es der Begierlichkeit wegen tut. Willst du nämlich deiner Augenlust genügen, so sieh deine eigene Frau an, und bring ihr immerwährende Liebe entgehen. Das verbietet kein Gesetz. Willst du dich aber unbefugterweise an der Schönheit fremder Frauen ergötzen, so tust du sowohl deiner eigenen Frau Unrecht, indem du deine Blicke anderswo herumschweifen lässest, als auch der anderen, die du ansiehst, weil du dich durch sie unrechtmäßigerweise bestricken lässest. Denn wenn du sie auch nicht mit der Hand berührt hast, du hast sie wenigstens mit den Augen berührt. Darum wird auch dies als Ehebruch betrachtet, und du mußt dafür nicht wenig büßen, noch bevor dich die Strafe im Jenseits trifft. Dein ganzes Inneres wird nämlich dadurch aufgewühlt und durcheinander gebracht, ein gewaltiger Sturm wird entfesselt, ein überaus heftiger Schmerz macht sich fühlbar, und in diesem Zustande der Leidenschaft bist du nicht besser daran als diejenigen, die gefangen und gefesselt sind. Außerdem entschwindet diejenige, die den Pfeil abgeschossen hat gar oft wieder dem Blick, die erhaltene Wunde bleibt aber trotzdem. Eigentlich hat aber nicht sie den Pfeil entsandt, sondern du hast dir selbst durch einen unzüchtigen Blick die Todeswunde beigebracht. 

   Dies sage ich auch, um die Schamhaften unter den Frauen vor ungerechter Anklage zu bewahren. Also nur wer sich selber schminkt und schmückt, um die Augen aller derer auf sich zu ziehen, die ihr begegnen, nur die wird die schwerste Strafe sich zuziehen, wenn sie auch keinen bei der Begegnung verführt hat. Sie hat ja doch den Trank gemischt und das Gift bereitet, wenn sie auch den Becher niemand reichte; oder besser gesagt, sie hat auch den Becher hingereicht, wiewohl niemand sich fand, der davon trinken wollte. Wie aber, fragst du, gelten die Worte des Herrn nicht auch den Frauen? Christus stellt seine Satzungen immer für alle auf, auch wo er sie nur für die Männer zu geben scheint. Wenn er nämlich das Haupt anspricht, so gilt seine Rede dem ganzen Leib. Er betrachtet eben Mann und Frau nur wie eine Person, und macht darum nie einen Unterschied zwischen den Geschlechtern.



3.

Willst du aber ausdrücklich wissen, was solchen Frauen angedroht ist, so höre, was der Prophet Isaias sagt, der sich häufig gegen sie wendet und seinen Spott ausgießt über ihre Haltung, ihren Block, ihren Fang, ihre Schleppkleider, ihren tänzelnden Schritt, ihre ausgeschnittenen Hälse (vgl. Is 3,16).Dann höre auch den hl. Paulus, der ihnen gar mancherlei Vorschriften gibt und diese Gattung von Frauen ganz energisch zurechtweist ob ihrer Haargeflechte, ihres Luxus und anderer ähnlicher Dinge (1Tm 2,9). Christus selbst hat im folgenden andeutungsweise das gleiche gesagt. Wenn er meint; Reiße aus das Auge, das dich ärgert, und wirf es weg", so will er mit diesen Worten seinen Unwillen über jene zeigen. Darum fährt er auch weiter:

   V.29: "Wenn dein rechtes Auge dich ärgert, so reiß es aus und wirf es von dir." 

   Es soll da niemand sagen: Wie aber, wenn sie zu mir verwandt ist, wie, wenn sie auf andere Weise mir nahe steht? Deshalb bezieht sich ja auch diese Vorschrift nicht auf die Glieder des Leibes. Nein! Nirgends hat der Herr die Schuld an den Sünden dem Fleische zugeschrieben, sondern macht immer und überall den bösen Willen dafür verantwortlich. Es ist ja auch nicht das Auge, das sieht, sondern der Geist und der Verstand. So kommt es oft vor, dass wir mit anderen Dingen beschäftigt sind, und dass deswegen das Auge die anwesenden Personen nicht bemerkt; es besitzt also nicht für sich allein das ganze Sehvermögen. Hätte darum der Herr die Glieder des Leibes gemeint, so hätte er nicht bloß von einem einzigen Auge geredet, und nicht nur vom rechten, sondern von beiden. Wer nämlich vom rechten Auge geärgert wird, dem widerfährt dasselbe offenbar auch durch das linke. Warum nimmt er also gerade das rechte und redet nur von der Hand? Damit du sehest, dass er nicht von den Gliedern des Leibes spricht, sondern von unseren Freunden. Wenn du jemand so sehr liebst, will Christus sagen, dass er dir so viel wert ist, wie dein rechtes Auge, oder glaubst, er sei dir so nützlich, dass du ihn wie deine rechte Hand betrachtest, so trenne dich trotzdem auch von solchen Freunden, wenn einer deiner Seele schadet. Beachte auch, mit welchem Nachdruck der Herr redet. Er sagte nicht: Stehe ab; nein, er will vielmehr die Größe der Trennung recht hervorheben und sagt darum: "Reiße es aus und wirf es von dir." 

   Nachdem er aber etwas so Hartes verlangt hatte, zeigt er auch, welches in beiden Fällen der Lohn ist für das Gute sowohl wie für das Böse. Dann fährt er unter Beibehaltung des Vergleiches fort: "Es ist nämlich besser für dich, dass nur eines deiner Glieder zugrunde gehe, als dass dein ganzer Leib in die Hölle geworfen werde." Wenn dein Freund sich selbst nicht rettet, sondern auch dich noch ins Verderben führt, was wäre das wohl für eine Nächstenliebe, wenn man beide zugrunde gehen ließe, während wenigsten einer gerettet werden kann, wenn sie getrennt werden? Warum aber, fragst du, wollte dann der hl. Paulus lieber verdammt werden? Nicht, um dabei nichts zu gewinnen, sondern um die anderen dadurch zu retten. In unserem Falle wäre es aber um beide geschehen. Darum sagte auch der Herr nicht bloß: Reiß es aus, sondern: Wirf es von dir, und nimm es nie wieder zurück, solange es so bleibt. Auf diese Weise ersparst du auch dem anderen eine größere Verantwortung, und rettest dich selbst vor dem Verderben. Damit du aber den Nutzen dieser Vorschrift noch besser einsiehst, so wollen wir, wenn es dir gefällt, das Gesagte einmal probeweise auch auf die Glieder des Leibes anwenden. Wenn man dir die Wahl ließe, und du vor die Notwendigkeit gestellt wärest, entweder mit deinen Augen in einen Abgrund gestürzt zu werden und so zugrunde zu gehen, oder dein Auge ausreißen zu lassen, und so deinen übrigen Leib zu retten, würdest du nicht eher das zweite vorziehen? Das ist doch ganz selbstverständlich! Das hieße ja nicht sein Auge hassen, sondern die anderen Glieder seines Leibes lieben. Dasselbe wende nun auch auf Mann und Frau an. Wenn derjenige, der dir mit seiner unreinen Liebe schaden will, unverbesserlich bleibt, und du ihn zurückweisest, so hast du nicht bloß dich selbst vor Sünde bewahrt, sondern auch ihm bleibt eine größere Schuld erspart, da er dann außer seinen eigenen Sünden nicht auch deinen Untergang zu verantworten braucht. Siehst du also, wie es sich da um ein Gesetz voll Milde und Fürsorge handelt, und wie das, was den meisten als Schroffheit erscheint, nur übergroße Liebe zu uns bekundet? Das sollen also diejenigen sich merken, die immer nur den Theatern zulaufen, und sich selber Tag für Tag zu Ehebrechern machen. Wenn das Gesetz befiehlt, selbst den, der unser bester Hausgenosse geworden, von uns zu entfernen, ob des[225] Schadens, den er uns zufügt, wie wollen sich dann diejenigen rechtfertigen, die täglich bei ihren Besuchen un Theater Personen an sich locken, die sie noch gar nicht kennen, und die sich selber dadurch tausenderlei Anlässe zum Verderben schaffen? Es ist dir ja fortan nicht bloß nicht erlaubt, jemand unzüchtig anzusehen, sondern, nachdem Christus dich auf die bösen Folgen aufmerksam machte, die daraus für dich entstehen, dehnt er das Gesetz auch noch weiter aus, und heißt dich sogar, den Schädling auszureißen, abzuschneiden und weit von dir zu werfen. Und das befiehlt er, der unzähligemal über die Liebe gesprochen hat! Di sollst eben aus beiden erkennen, wie sehr er für dich sorgt, und wie er in allem nur dein Bestes im Auge hat.

   V.31: "Es ist aber gesagt worden: Jeder, der seine Frau entläßt, soll ihr den Scheidbrief geben.

   V.32: Ich aber sage euch: Wer immer seine Frau entläßt, ausgenommen im Falle der Unzucht, macht sich an ihr des Ehebruchs schuldig; und wer eine Entlassene heiratet, begeht einen Ehebruch."



4.

Der Herr geht nicht eher zu etwas Neuem über, als bis er das Vorhergehende ganz erschöpft hat. Hier stellt er uns deshalb eine neue Art von Ehebruch vor Augen. Und welche? Im Alten Bunde galt das Gesetz, dass derjenige, der seine Frau aus irgendeinem Grunde haßte, nicht daran gehindert werden durfte, sie zu entlassen und an ihrer Stelle eine andere zu nehmen. Indes gestattete das Gesetz nicht, dies ohne Formalitäten abzumachen, vielmehr mußte der Frau eine Scheidungsurkunde ausgestellt werden, und sie konnte daraufhin nicht mehr zu ihrem Manne zurückkehren, und wäre es auch nur, um den Schein der Ehe zu wahren. Hätte das Gesetz diese Vorschrift nicht gegeben, wäre es frei gestanden, die eine Frau zu entlassen und eine andere zu heiraten und dann auch die frühere wieder aufzunehmen, so wäre eine große Verwirrung entstanden. Da hätten alle fortwährend die Frauen anderer zu sich genommen und die ganze Sache wäre auf offene Ehebrecherei hinausgekommen. Darum hat das Gesetz ein nicht unbedeutendes Vorbeugungsmittel vorgesehen, nämlich den Scheidebrief.. Dies geschah aber[226] wegen eines anderen, viel größeren Mißstandes. Hätte das Gesetz den Gatten gezwungen, seine Frau auch dann bei sich zu behalten, wenn er sie haßte, so hätte dieser sie wahrscheinlich in seinem Hasse umgebracht; so tief stand eben das Judenvolk. Sie, die ihrer eigenen Kinder nicht schonten (vgl. Lv 18,21 Lv 20,2 u. Lv 20,4 Dt 12,31 Dt 18,10), die die Propheten mordeten, die Blut vergossen wie Wasser (Ps 78,3). hätten noch viel weniger ihrer Frauen geschont. Darum hat das Gesetz das geringere Übel geduldet, im das größere zu vermeiden. Dass aber dies nur ein vorläufiges Gesetz war, kannst du aus den Worten des Herrn entnehmen, der da sagte: "Moses hat diese Satzung gegeben wegen eurer Hartherzigkeit" (Mt 19,8), damit ihr die Frau nicht im Hause ermordet, sondern sie aus dem Hause entlasset. Nachdem aber er selbst allen Zorn verboten, und nicht nur den Mord, sondern auch schon das bloße Zürnen untersagt hat, kann er ohne Schwierigkeit auch dieses Gebot aufstellen. Deshalb erinnert er auch immer an die früheren Satzungen, um zu zeigen, dass die seinigen den anderen nicht widersprechen, sondern mit ihnen übereinstimmen, da er sie ja nur weiter ausdehnt, nicht aber sie abändert, da er sie verbessert, nicht aber aufhebt. Beachte aber auch, dass der Herr sich in seiner Rede überall an den Mann wendet. "Wer seine Frau entläßt", sagt er, "macht sie zur Ehebrecherin; und wer eine Entlassene heiratet, begeht einen Ehebruch." Der eine macht sich nämlich, auch wenn er selbst keine andere Frau zu sich nimmt, doch eben dadurch dieses Vergehens schuldig, weil er die Ursache ist, dass jene zur Ehebrecherin wird; der andere wird zum Ehebrecher, weil er eine fremde Frau heiratet. Da wende mir nicht ein, jener habe sie ja entlassen; denn auch eine Verstoßene bleibt noch immer die Frau dessen, der sie verstößt. Um aber dann doch nicht die ganze Schuld auf den Mann zu wälzen, der seine Frau entläßt, weil dadurch die Frau zu anmaßend werden könnte, so verschließt er ihr auch die Türe dessen, der etwa bereit wäre, sie aufzunehmen. Er sagt: "Wer immer eine Entlassene heiratet, begeht einen Ehebruch." Dadurch bringt er auch die Frau zur Vernunft, ob sie will oder nicht, verschließt ihr alle Türen, und benimmt ihr jeglichen Anlaß zu ungehörigen Anwandlungen. Sobald sie einmal weiß, dass sie gar keine andere Wahl hat, als entweder bei dem zu bleiben, dem sie zuerst angetraut wurde, oder aber sein Haus zu verlassen, ohne irgendeinen anderen Zufluchtsort zu finden, dann wird sie auch wider Willen und notgedrungen ihrem Lebensgefährten wieder ihre Liebe zuwenden. Wundere dich aber nicht darüber, dass der Herr nichts davon zur Frau selbst sagt; das Weib ist eben der schwächere Teil. Darum übergeht er sie und sucht ihrem Leichtsinn durch die Drohung zu begegnen, die er an die Männer richtet. Er macht es dabei gerade so, wie etwa einer, der einen ungeratenen Sohn hat. Ein solcher läßt ja auch den Sohn gehen und tadelt dafür diejenigen, die ihn verdorben haben, und verbietet ihnen, weiteren Umgang mit ihm zu pflegen und sich ihm wieder zu nähern. 

   Wenn dir aber die Beobachtung dieses Gebotes schwer zu sein scheint, so erinnere dich an das, was der Herr früher gesagt hat und um dessentwillen er die Zuhörer selig gepriesen hat. Dann wirst du sehen, dass dies ganz gut möglich, ja sogar leicht ist. Wer nämlich sanftmütig ist, friedfertig, arm im Geiste, barmherzig, wie wird der je dazu kommen, seine Frau zu entlassen? Wer unter anderen Frieden stiftet, wie wird der mit seiner eigenen Frau in Zwietracht leben? Aber nicht bloß dadurch, aber auch noch auf andere Weise hat uns Christus die Erfüllung dieses Gebotes leicht gemacht. Auch hier erlaubt er nämlich in einem Falle die Entlassung, indem er sagt: "Ausgenommen den Fall der Unzucht". Sonst wäre es ja wieder auf dasselbe hinausgekommen, wie im anderen Falle. Hätte er nämlich befohlen, auch eine solche Frau zu behalten, die sich mit vielen anderen Männern vergangen hatte, so wäre man wieder auf einer allgemeinen Ehebrecherei gestanden. Siehst du jetzt, wie gut das alles mit dem Früheren übereinstimmt? Wer eine fremde Frau nicht mit unzüchtigem Blicke ansieht, wird keinen Ehebruch begehen; wenn er aber keinen Ehebruch begeht, wird er dem Manne keinen Anlaß geben, seine eigene Frau zu verstoßen. Deshalb setzt auch der göttliche Heiland dem Manne gehörig zu, macht ihm ordentlich Angst und schreckt ihn mit der Verantwortung, im Falle er seine Frau entläßt; er schreibt nämlich ihm die Schuld zu an dem Ehebruch, den sie dann begeht. Damit du also die Worte: "Reiß dein Auge aus" nicht auch auf deine Frau beziehest, so hat er zur rechten Zeit noch diese Ausnahme hinzugefügt, und nur für diesen bestimmten Fall erlaubt, seine Frau zu entlassen, aber sonst für keinen.

   V.33: "Ebenso habt ihr gehört, dass euren Vorfahren gesagt wurde: Du sollst nicht falsch schwören, sondern sollst deine Eide auf den Herrn ablegen.

   V.34: Ich aber sage euch, ihr sollt überhaupt nicht schwören. 

   Weshalb begann der Herr nicht gleich vom Diebstahl zu reden, sondern spricht mit Übergehung jenes Gebotes gleich vom falschen Zeugnis? Weil ein Dieb imstande ist, auch falsch zu schwören. Wer es aber umgekehrt nicht über sich bringt, falsch zu schwören, oder auch nur die Unwahrheit zu sagen, wird sich noch viel weniger dazu entschließen können, zu stehlen. Christus hat also durch die eine Sünde auch die andere getroffen, das Lügen durch das Stehlen. Was ist aber mit den Worten gemeint: "Du sollst deine Eide auf den Herrn ablegen?" Das heißt: Du sollst beim Schwören die Wahrheit sagen. "Doch sage ich euch, es ist besser, gar nicht zu schwören."



5.

Um sie aber dann noch mehr davon abzubringen, bei Gott zu schwören, sagt er: 

   "Auch nicht beim Himmel, weil dies der Thron Gottes ist;

   V.35: nicht bei der Erde, weil sie der Schemel seiner Füße ist, noch auch bei Jerusalem, weil es die Stadt des großen Königs ist." 

   Der Herr redet hier noch mit den Worten des Propheten (Is 66,1 Ps 47,3 u. Ps 109,2). Er will damit zeigen, dass er sich nicht im Gegensatz zum Alten Testament befindet. Die Juden hatten nämlich die Gewohnheit, bei diesen Dingen zu schwören, und noch am Schlusse des Evangeliums können wir das Vorhandensein dieser Gewohnheit beobachten. Du aber bedenke, aus welchem Grunde er die geschaffenen Dinge so hochhält. Nicht ob ihrer eigenen Natur, sondern wegen der Beziehung, in der Gott zu ihnen steht, und die er hier so ausdrückt, wie es unserer Fassungskraft angemessen ist. Da nämlich überall der Götzendienst herrschte, so wollte er den Schein vermeiden, als zolle er den Geschöpfen um ihrer selbst willen Verehrung. Deshalb hat er den erwähnten Grund angegeben, der seinerseits wieder Gott die Ehre gibt. Er sagte darum nicht: Weil der Himmel so schön und so groß ist; oder: Weil die Erde so fruchtbringend ist, sondern: Weil der Himmel Gottes Thron ist, die Erde aber sein Schemel. Damit weist er seine Zuhörer in allem auf Gott hin.

   V.36: "Auch nicht bei deinem Haupte, weil du nicht imstande bist, auch nur ein Haar weiß oder schwarz zu machen." 

   Auch hier hat er wieder nicht den Menschen zum Gegenstand der Bewunderung gemacht, da er hinzufügte, man solle auch nicht bei seinem Haupte schwören; sonst wäre am Ende ja auch noch der Mensch angebetet worden. Vielmehr weist er die Ehre Gott zu, und zeigt dir, dass du nicht einmal Herr über dich selbst bist, also auch nicht Herr über die bei deinem Haupte geschworenen Eide. Wenn schon niemand sein eigenes Kind einem anderen geben möchte, so wird um so eher Gott sein eigenes Werk nicht in deine Gewalt geben. Wenn es auch dein Haupt ist, es gehört doch einem anderen. Ja, du bist so wenig dessen Herr, dass du auch nicht das geringste daran ändern kannst. Er sagte nämlich nicht: Du kannst kein Haar ausreißen, sondern: Du kannst dessen Beschaffenheit nicht ändern. Wie aber, fragst du, wenn jemand einen Eid von mir verlangt, und mich dazu nötigt? Dann soll eben die Furcht Gottes stärker sein als der Zwang. Willst du nämlich solche Vorwände geltend machen, so wirst du überhaupt kein Gebot beachten. Da wirst du auch von deiner Frau sagen: Wie aber, wenn sie streitsüchtig und verschwenderisch ist? Und von deinem rechten Auge: Wie, wenn ich es gern habe, und dafür brennen muß? Und von dem unkeuschen Blick: Wie, wenn ich es nicht über mich bringe, jemand nicht anzusehen? Von dem Haß gegen deinen Nächsten: Wie, wenn ich vorschnell bin und meine Zunge nicht beherrschen kann? Mit einem Wort, du würdest dich auf diese Weise über alle Gebote hinwegsetzen. Freilich bei menschlichen Gesetzen wagst du es nicht, derlei Ausflüchte vorzubringen und zu sagen: Wie aber, wenn das und das der Fall ist? Da tust du, was dir vorgeschrieben ist, ob es dir gefällt oder nicht. Indes dürftest du wohl ohnehin niemals zum Schwören gezwungen werden. Wer nämlich die obigen Seligpreisungen gehört hat, und sich dann so im Leben verhält wie Christus es befohlen, der wird niemals von irgend jemand zu solch einem Schwur genötigt werden, da er eben von allen geachtet und geehrt wird.

   V.37: "Ihr sollt aber Ja. Ja sein lassen, und Nein, Nein; was darüber hinausgeht, ist vom Bösen." 

   Was ist denn das, was über das Ja und Nein hinausgeht? Das ist der Eid, aber nicht etwa der Meineid. Dies letztere geben ja alle zu, und man braucht keinem erst zu sagen, dass der Meineid vom Bösen ist, und dass er nicht bloß überflüssig, sondern unerlaubt ist. Das Überflüssige, das, was zuviel ist und über das rechte Maß hinausgeht, das ist der Eid. Wieso aber, fragst du, ist der Eid vom Bösen? und wenn er vom Bösen war, wie konnte man ihn gesetzlich vorschreiben? Dasselbe kannst du auch von deiner Frau sagen. Wie kann man jetzt als Ehebruch ansehen, was früher erlaubt war? 

   Was kann man also darauf erwidern? Dass eben die Vorschriften des Alten Testamentes der Schwäche derer Rechnung trugen, für die sie bestimmt waren. So ist es ja auch an sich Gottes ganz unwürdig, ihm mit dem Fett von Opfertieren zu verehren, so wenig wie unverständiges Geschwätz sich für Philosophen ziemt. Deshalb wird also jetzt eine derartige Handlung als Ehebruch, und das Schwören als böse betrachtet, weil der Herr uns eben jetzt zu höherer Tugend angeleitet hat. Hätten aber jene früheren Gesetze den Teufel zum Urheber gehabt, so hätten sie nicht soviel Gutes gewirkt. Und wenn sie nicht zuerst vorausgegangen wären, so hätten die jetzigen nicht so leicht Aufnahme gefunden. Beurteile darum ihren Wert nicht nach der Gegenwart, in der sie ihre Brauchbarkeit verloren, sondern nach der damaligen Zeit, da sie durch die Umstände bedingt waren; oder vielmehr, wenn du willst, auch nach der Gegenwart. Denn auch jetzt noch erweist sich ihr Wert am meisten gerade in dem, wogegen wir Einwendungen erheben. Dass sie uns jetzt weniger gut vorkommen, ist gerade ihr höchstes Lob. Denn, hätten sie uns nicht die richtige Nahrung geboten, und uns dadurch zum Streben nach Höherem befähigt, so würden sie uns jetzt nicht als das erscheinen, was sie sind. Wenn die Mutterbrust ihre Aufgabe ganz erfüllt hat, und dem Kinde festere Nahrung gereicht werden kann, so gilt sie fortan als überflüssig. Ja die Eltern, die sie früher als Bedürfnis für das Kind ansahen, suchen sie ihm jetzt durch allerhand neckische Reden als unnütz darzustellen; und viele Mütter begnügen sich nicht bloß mit Worten, sondern bestreichen ihre Brust auch mit bitteren Salben, damit, wenn schon bloße Worte das unangebrachte Verlangen des Kindes nicht beseitigen, die Sache selbst ihm den Appetit verderbe.



6.

In diesem Sinne hat also Christus jene Satzungen für böse erklärt; nicht um zu zeigen, dass der Alte Bund vom Teufel stamme, sondern um uns durch einen sehr starken Ausdruck von etwas abzubringen, was im Alten Bunde seine Nützlichkeit besaß. Auch waren es hier die Jünger, zu denen er so redete. Dagegen hat er den unempfindsamen Juden, die starr am Hergebrachten festhielten, die Stadt[227] durch Androhung von Kriegsgefangenschaft unzugänglich gemacht, so wie[228] mit einer bitteren Salbe einreibt. Da aber nicht einmal das sie abzuhalten vermochte, sie vielmehr die Stadt wiederum sehen wollten, wie Kinder, die nach der Mutterbrust zurückverlangen, so hat er sie zuletzt ganz ihren Blicken entzogen, hat sie zerstört und ihre meisten Einwohner fern von ihr fortgeführt. Auch in der Landwirtschaft schließen ja viele die jungen Kälber ein, i, sie mit der Zeit der Milch zu entwöhnen. 

   Hätte aber das Alte Testament den Teufel zum Urheber, so hätte dasselbe die Juden nicht vom Götzendienst abgehalten, sondern im Gegenteil dazu angeleitet und ihn begünstigt. Das war es ja, was der Teufel wollte. Nun sehen wir aber, dass das Alte Testament das Gegenteil davon bewirkte. Auch wurde gerade der Eid selbst im Alten Bunde deshalb vorgeschrieben, damit keiner bei den Götzenbildern schwöre. Darum heißt es: "Ihr sollt bei dem wahren Gott schwören" (Jr 4,2).Das Gesetz hat also nicht wenig, sondern im Gegenteil sehr viel Gutes gestiftet. Die Menschen aber dann an feste Nahrung zu gewöhnen, war den Bemühungen des Erlösers vorbehalten. Wie nun, fragst du, ist also das Schwören nicht vom Bösen? Ganz gewiß ist es vom Bösen. Aber erst jetzt, nachdem wir so erhabene religiöse Weisheit empfangen; damals aber nicht. Indes, wendest du ein, wie ist es möglich, dass dieselbe Sache einmal gut und einmal böse sei? Ich frage aber umgekehrt: Warum sollte eine Sache nicht einmal gut und einmal böse sein, wo doch alle Dinge uns Beispiele hierfür bieten, die Künste, die Früchte, überhaupt alles? An unserer eigenen Natur kannst du dies zu allererst bewahrheitet finden. Sich tragen zu lassen ist ganz gut für das erste Kindesalter; später wird es schädlich. Vorgekaute Nahrung genießen, paßt für den Anfang unseres Lebens, später empfinden wir den stärksten Ekel dagegen. Nur von der Milch leben und sich der Mutterbrust zuwenden, ist nützlich und heilsam im Anfang, nachher ist es schädlich und ungesund. 

   Siehst du also, wie dieselbe Sache je nach der Verschiedenheit der Zeit gut oder schädlich erscheint? Den Kinderrock zu tragen, ist ja ganz schön für einen ganz kleinen Jungen; ist er aber ein Mann geworden, so wird dies eine Schade für ihn. Willst du aber umgekehrt sehen, wie das, was für den Mann paßt, bei einem Kinde nicht am Platze ist? Gib dem Kinde ein Mannskleid, und alles würde zu lachen anfangen; ja es wäre sogar recht gefährlich für das Kind, da es auf diese Weise beim Gehen gar häufig zu Fall käme. Oder laß es sich mit Politik befassen, mit Handel, mit Aussaat und Ernte, und es wird wiederum großes Gelächter geben. Doch wozu bringe ich diese Beispiele? Hat ja selbst ein Mord, den doch alle als Frucht des Bösen anerkennen, zur rechten Zeit begangen, dem Phinees die Ehre des Priestertums verschafft (Nb 25). Dass aber der Mord ein Werk des Bösen ist, sagt uns der Herr mit den Worten: "Ihr wollt die Werke eures Vaters tun; der war ein Menschenmörder von Anbeginn" (Jn 8,41 Jn 8,44). Aber auch Phinees hat einen Menschen getötet: "Und es ward ihm als gute Tat angerechnet" (Ps 105,30-31; vgl. 1M 2,26). Ja Abraham hat nicht bloß einen Menschen umgebracht, sondern wollte, was noch weit schlimmer ist, sein eigenes Kind töten, und ihm ward es noch viel höher angerechnet. Petrus hat den Tod von zwei Menschen verursacht (Ananias u. Saphira , Ac 5,1-11), und doch war es eine Gottestat. Prüfen wir also nicht einfach bloß die Vorkommnisse an sich, sondern untersuchen wir auch alles andere recht genau, die Zeit, die Ursache, die Absicht, die Verschiedenheit der Personen, und was immer sonst noch dabei in Betracht kommen mag. Anders können wir den wahren Sachverhalt nicht in Erfahrung bringen. Auch müssen wir uns bemühen, wenn wir doch schon Anteil am Himmelreich erlangen wollen, etwas mehr zu tun, als was im Alten Bunde vorgeschrieben war, da wir sonst unmöglich in den Himmel kommen können. Wenn wir nur nach dem Maßstabe des Alten Testamentes leben, so werden wir außerhalb dieses Vorhofes zu stehen kommen. "Denn, wenn eure Rechtschaffenheit nicht größer ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so könnt ihr nicht in das Himmelreich eingehen" (Mt 5,20). Allein trotz dieser Drohung gibt es Leute, die jenen Grad von Gerechtigkeit nicht nur nicht übertreffen, sondern sogar hinter ihm zurückbleiben. Sie schrecken nicht nur vor Eiden nicht zurück, sondern nicht einmal vor Meineiden; weit entfernt, ihren Blick von unkeuschen Dingen abzuwenden, heften sie ihm im Gegenteil sogar auf die unschamhafte Tat selbst, ja, sie erlauben sich unbedenklich alles, was irgendwie verboten ist. Ihrer wartet aber auch nur eines, der Tag der Rache, an dem sie die Strafe für ihre Missetaten in vollstem Maße empfangen werden. Das allein ist das Ende derer, die in Schlechtigkeit und Sünde ihr Leben beschließen. An ihnen muß man wirklich verzweifeln, und kann nichts anderes mehr für die erwarten, als die Strafe der Hölle. Nur solange man am Leben ist, kann man eben mit Leichtigkeit kämpfen, siegen und den Siegeskranz erlangen.



7.

Verliere also den Mut nicht, o Mensch, und laß nicht ab von deinem guten Eifer; es ist ja nicht so schwer, was dir aufgetragen ist. Oder sag mir doch, welche Mühe macht es dir, das Schwören zu lassen? Bringt es dir etwa Unkosten? Oder verursacht es dir viel Schweiß und Mühe? Es genügt ja, einfach zu wollen; damit ist alles getan. Wenn du aber einwendest, es sei so deine Gewohnheit, so sage ich, dass es gerade deswegen um so leichter ist, dich zu bessern; du brauchst ja nur die gegenteilige Gewohnheit anzunehmen und alles ist in Ordnung. Bedenke nur, wie viele es sogar unter den Heiden gab, die es so machten; da war einer, der stotterte, aber mit vieler Mühe brachte er es zustande, seinen Zungenfehler abzulegen[229] ; ein anderer hatte die Gewohnheit, seine Schultern schief zu tragen und fortwährend zu bewegen, da hing er ein Schwert über sich und gewöhnte sich die Sache ab[230] .Da ihr also den hl. Schriften nicht gehorcht, so bin ich gezwungen, euch durch das Beispiel der Heiden zu beschämen. So hat es ja auch Gott bei den Juden gemacht, da er sprach: "Gehet auf die Inseln der Chetim, und sendet Boten nach Cedar, und sehet, ob die Heiden ihre Götter wechseln; und doch sind dies keine Götter" (Jr 2,10-11). Ja selbst auf die unvernünftigen Tiere weist er sie oft hin und sagt:"Geh zur Ameise, fauler Mensch, und ahme ihre Wege nach, und gehe hin zur Biene" (Pr 6,6). Dasselbe will also auch ich jetzt euch sagen: Blicket hin auf die heidnischen Weisen! Da werdet ihr erkennen, welche Strafe jene verdienen, die auf die göttlichen Gebote nicht hören; sie haben sich ja unendliche Mühe gegeben, bloß um Menschen zu gefallen und wir wollen den gleichen Eifer nicht einmal für den Himmel aufbringen! 

   Wenn du aber auch daraufhin noch sagst, die Macht der Gewohnheit bringe selbst diejenigen zu Fall, die mit ernstem Willen sich ihrer zu erwehren suchen, so gebe auch ich dies vollkommen zu; nur füge ich dem anderen noch dieses bei: wenn es schlimm ist, zu Fall zu kommen, so ist es dafür auch ehrenvoll, sich wieder aufzurichten. Würdest du z.B. zu Hause vielen Personen auftragen, auf sich achtzugeben, etwa deinem Diener, deiner Frau, deinem Freunde, so würdest du mit Leichtigkeit deine schlechte Gewohnheit ablegen, wenn man dir von allen Seiten zusetzte und dich aufmerksam machte. Ja, würdest du nur zehn Tage lang an deiner Besserung arbeiten, so wäre dies vollkommen genügend, da du hinfort in allem ganz sicher wärest und bereits gefestigt durch die Macht der guten Gewohnheit. Wenn du also auf diese Weise dich zu bessern anfängst, dann magst du das Gesetz ein oder zweimal übertreten, ja dreimal oder zwanzigmal, du brauchst nicht zu verzweifeln; raffe dich nur wieder auf, geh mit dem gleichen Eifer von neuem an die Arbeit und du wirst einen vollkommenen Sieg erringen. Ein falscher Schwur ist ja doch auch keine geringfügige Sünde. Wenn schon das bloße Schwören vom Bösen ist, welche Strafe wird dir dann das falsche Schwören eintragen? 

   Meine Worte haben euch gefallen? Ja, aber es ist nicht Händeklatschen, was ich brauche, nicht lärmender Beifall! Nur das eine will ich haben; dass ihr ruhig und aufmerksam zuhöret und dann auch tut, was ich gesagt habe. Das ist der Beifall, das ist das Lob, das ich wünsche. Wenn du dagegen lobst, was ich sage, aber nicht tust, was du gelobt hast, so wirst du nur dir selbst größere Strafe und größere Verantwortung zuziehen, uns aber Schaden und Spott bereiten. Die Kirche ist eben kein Theater, und ihr seid nicht hier, um Schauspieler zu sehen und am Schlusse einfach Beifall zu klatschen. Hier ist eine geistliche Schule. Darum geht auch mein ganzes Bemühen nur darauf hin, dass ihr meine Worte auch befolget, und dass ihr euren guten Willen durch die Tat beweiset. Dann habe ich alles erreicht, während ich jetzt noch ganz hoffnungslos bin. Habe ich ja doch schon oft und oft dasselbe gesagt, wenn ich mit jemand privatim zusammentraf, und wenn ich in öffentlicher Versammlung zu euch gesprochen habe. Aber ich sehe, dass ich gar nichts weiter erreicht habe, als dass ihr immer noch auf dem gleichen Punkte steht. Das ist wahrlich imstande, einem das Predigen gar sehr zu verleiden. 

   Siehe nur, auch der hl. Paulus war sehr ungehalten darüber, dass seine Zuhörer so lange Zeit nicht über die ersten Anfangsgründe hinauskamen. "Während ihr", sagt er, "der Zeit nach bereits Lehrer sein solltest, muß ich euch jetzt von neuem über die Anfangsgründe des Wortes Gottes belehren" (He 5,12).Aus dem gleichen Grunde empfinde auch ich Trauer und Schmerz. Ja, wenn ich sehen muß, dass ihr immer so bleibet, so werde ich euch in Zukunft verbieten, diese heiligen Hallen zu betreten und an den unsterblichen Mysterien teilzunehmen, so gut wie dies den Unkeuschen und Ehebrechern verboten ist und denen, die wegen Mordtaten angeklagt sind. Besser ist es, mit nur zweien oder dreien, die die Gebote Gottes beobachten, die gewohnten Gebete darzubringen, als eine große Menge von Gesetzesverächtern hinter uns her zu ziehen, die nur die anderen verderben. Kein Reicher und kein Mächtiger soll hier sich überheben und sich hochmütig gebärden. Ich betrachte das alles für nichts, nur als Schatten und Traum. Keiner von denen, die hier über Reichtum verfügen, wird in der anderen Welt mein Anwalt sein, wenn ich angeklagt werde und mich verantworten soll dafür, dass ich nicht mit der nötigen Entschiedenheit auf die Beobachtung der Gebote Gottes gedrungen bin. Das, gerade das hat ja auch jenen ausgezeichneten Hohenpriester[231] ins Verderben gestürzt, der doch sonst ein tadelloses Leben führte; weil er aber zur Übertretung der Gebote Gottes schwieg, so ward er dennoch samt seinen Kindern bestraft und mußte schwer dafür büßen. Obgleich hier die Stimme der Natur gar mächtig war, so ward doch eine schwere Strafe über ihn verhängt, weil er seinen eigenen Kindern gegenüber nicht die nötige Mannhaftigkeit gezeigt hatte. Wie sollten also da wir Verzeihung finden, die wir nicht durch solche Bande gehemmt sind, und doch durch Augendienerei alles verderben?! Damit ihr also nicht uns und euch selbst zugrunde richtet, so bitte ich euch, laßt euch belehren, bestellet euch selbst Aufpasser und Mahner, so viele ihr nur könnet, lasset euch von der Gewohnheit des Schwörens und Fluchens, damit ihr von da aus fortschreitend auch die anderen Tugenden mit aller Leichtigkeit übet und dafür mit den himmlischen Gütern belohnt werdet, deren wir alle teilhaft werden mögen, durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem Ehre und Macht gebührt, jetzt und immer und in alle Ewigkeit. Amen!






Kommentar zum Evangelium Mt 17