Kommentar zum Evangelium Mt 23

Dreiundzwanzigste Homilie. Kap. VII, V.1-21.

23 Mt 7,1-21
1.

V.1: "Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet." 

   Wie soll man also den Sündern keinen Vorwurf machen? Sagt ja doch auch der hl. Paulus ganz dasselbe, oder vielmehr Christus durch den hl. Paulus: "Du, mit welchem Recht richtest du deinen Bruder?" Und: "Du, was schmähest du deinen Bruder?" (Rm 14,10). Und ein anderes Mal: "Du, wer bist du, dass du den Knecht eines anderen richtest" (Rm 14,4). Und wiederum sagt er: "Richtet nicht vor der Zeit, bevor nicht der Herr kommt" (1Co 4,5). Warum sagt aber dann Paulus an einer anderen Stelle: "Tadle, weise zurecht, schelte"? (2Tm 4,2). Und anderswo: "Tadle die Sünder in Gegenwart aller" (1Tm 5,20). Ebenso befahl Christus dem Petrus: "Wohlan! tadle ihn unter vier Augen; wenn er nicht auf dich hört, so ziehe noch einen anderen bei; wenn er aber auch so nicht nachgibt, so melde es auch der Gemeinde" (Mt 18,15-17). Und so viele stellte der Herr auf, die richten sollten, ja nicht bloß richten, sondern sogar strafen? Denn er befahl ja, denjenigen, der auf alle diese nicht hören wollte, wie einen Heiden und öffentlichen Sünder zu meiden. Ja, wie kommt es, dass er den Aposteln sogar noch die Schlüssel übergeben hat? Denn, wenn sie niemand richten sollten, so hatten sie auch über niemand Autorität, und die Gewalt, zu binden und zu lösen, hatten sie dann umsonst erhalten. Andererseits würde auch, wenn dies wirklich so wäre, eine allgemeine Verwirrung entstehen, in den Kirchengemeinden, in den Städten, in den Familien. Denn wenn der Herr seinen Knecht, die Herrin ihre Magd, der Vater den Sohn und der Freund den Freund nicht mehr richten dürfen, so wird bald das Böse überhandnehmen. Und was sage ich: der Freund den Freund? Wenn wir selbst die Feinde nicht richten, so werden wir nie einer Feindschaft ein Ende machen können, und alles wird darunter und darüber gehen. Welches ist also der Sinn dieser Aussprüche? Geben wir genau acht, damit keiner glaube, die Heilmittel, die zu unserem Besten gegeben sind, und die Gesetze, die uns den Frieden sichern sollen, hätten nur Umsturz und Verwirrung im Gefolge. Der Herr hat ja auch gerade in den folgenden Versen denen, die Einsicht haben, gezeigt, wie vorzüglich sein Gebot ist; er sagte: "Was beachtest du den Splitter im Auge deines Bruders, und den Balken in deinem eigenen Auge siehst du nicht?"Wenn aber viele von den Einfältigen dies noch zu unklar vorkommt, so will ich den Zweifel ganz von vorne an zu lösen versuchen. Wie mir wenigstens scheint, befiehlt der Herr hier nicht einfach, überhaupt keine Sünde zu richten, und verbietet dies nicht so ohne weiteres, sondern nur denen, die selbst mit tausenderlei Sünden beladen sind und dennoch andere wegen ganz unbedeutender Fehler beunruhigen. Außerdem glaube ich, dass er auch die Juden hier im Auge hatte, weil diese ihre Mitmenschen in liebloser Weise wegen harmloser und unbedeutender Dinge anklagten, selbst aber ohne Gewissensbedenken die größten Sünden begingen. Das hat er ihnen auch gegen Ende[273] vorgeworfen und gesagt: "Ihr legt anderen schwere und unerträgliche Lasten auf, ihr selbst aber wollt sie nicht um Fingerbreite bewegen" (Mt 23,4). Und ein anderes Mal: "Ihr gebt den Zehnten von Münzkraut und Anis; was aber das Schwerere ist am Gesetze, das Gericht, das Erbarmen, Treue und Glaube, das beachtet ihr nicht" (Mt 23,23). 

   Ich glaube also, der Herr hatte es auch auf diese Art von Juden abgesehen und wollte sie zum voraus mit den Klagen abweisen, die sie später gegen seine Jünger erheben würden. Denn, wenn auch die Jünger keine solchen Sünden begangen hatten, so schienen es doch den Juden schwere Verfehlungen zu sein, wie z.B., wenn man den Sabbat nicht halte (Mt 12,2), mit ungewaschenen Händen esse (Mt 15,2), mit Zöllnern bei Tische sitze (Lc 5,30). Das erwähnt er auch an einer anderen Stelle: "Ihr seihet Mücken und verschlucket Kamele" (Mt 23,24). Indes gibt der Herr damit auch eine allgemein gültige Richtschnur an für diese Dinge. Auch Paulus hat den Korinthern nicht einfachhin geboten, niemand zu richten, sondern nur diejenigen nicht, die ihre Vorgesetzten waren, zumal wo es sich um ganz unerwiesene Voraussetzungen handelt. Er befahl also nicht einfachhin, man solle die Sünder nicht zurechtweisen. Auch traf sein Tadel damals nicht alle ohne Unterschied; er wies nur die Schüler zurecht, die sich solches ihren Lehrmeistern gegenüber erlaubten, jene, die unzählige Missetaten auf dem Gewissen hatten und die Unschuldigen verleumdeten. Dasselbe hat nun auch Christus hier gemeint; und zwar hat er es nicht bloß zart angedeutet, sondern hat ihnen ganz ernstlich ins Gewissen geredet und ihnen unerbittliche Strafe in Aussicht gestellt.

   V.2: "Denn mit dem Maße, mit dem ihr richtet", sagt er, werdet ihr selbst gerichtet werden." 

   Er will damit sagen; Nicht ihn verurteilst du, sondern dich selbst, ziehst dir ein schreckliches Gericht zu und mußt einmal genaue Rechenschaft ablegen. Wie also wir den Anfang machen müssen, wenn wir Verzeihung unserer Sünden erlangen wollen, so ist auch bei diesem Gericht das Ausmaß der Strafe in unsere Hand gegeben. Wir sollen eben nicht schmähen und beschimpfen, sondern mahnen; sollen nicht anklagen, sondern zureden; sollen uns nicht in anmaßender Weise zu Richtern aufwerfen, sondern in Liebe zurechtweisen. Denn du überlieferst ja nicht den anderen, sondern doch selbst der schwersten Strafe, wenn du seiner nicht schonst, wo du über seine Verfehlungen richten solltest.



2.

Siehst du, wie diese beiden Gebote gar leicht zu beobachten sind und denen, die sie befolgen, großen Nutzen bringen, aber auch viel Unheil denen, die sie übertreten? Wer seinem Nächsten die Sünden verzeiht, befreit sich selbst noch vor dem anderen von seinen Sünden, ohne dass er sich viel anzustrengen braucht. Wer mit Schonung und Nachsicht die Verfehlungen anderer prüft, sichert sich selbst durch ein solches Urteil überreiche Verzeihung, Wie also? fragst du; wenn jemand einen Ehebruch begeht, soll ich nicht sagen, der Ehebruch sei etwas Schlechtes, und soll den Wollüstigen nicht zurechtweisen? Zurechtweisen, ja; aber nicht als Gegner, nicht wie ein Feind Rechenschaft von ihm fordern, sondern tun wie ein Arzt, der die Medizinen verabreicht. Christus sagt ja auch nicht: du sollst den Sünder nicht von der Sünde abhalten, sondern: du sollst nicht richten; das heißt: sei kein bitterer Sittenrichter! Übrigens hat er dies auch, wie schon bemerkt, nicht von wichtigen und verbotenen Dingen gesagt, sondern von solchen, die allem Anscheine nach kaum recht Verfehlungen genannt werden können. Darum sagte er: "Was achtest du den Splitter im Auge deines Bruders?"So machen es heutzutage viele. Wenn sie einen Mönch sehen, der ein überflüssiges Kleid hat, so halten sie ihm das Gesetz des Herrn vor, während sie doch selber unzählige Räubereien begehen und den ganzen Tag darnach trachten, Schätze aufzuhäufen. Wenn sie sehen, dass einer etwas mehr Nahrung zu sich nimmt, so klagen sie ihn voll Bitterkeit an, während sie selber sich jeden Tag berauschen und ein schwelgerisches Leben führen, ohne zu beachten, dass sie, abgesehen von ihren eigenen Sünden, auch dadurch noch das[274] Feuer vermehren und sich selber jegliches Recht auf mildere Umstände benehmen. Denn dass man deine eigenen Handlungen unnachsichtlich beurteilen soll, das hast du zuerst gleichsam als Gesetz aufgestellt, indem du diejenige deines Nächsten so gerichtet hast. Halte es also nicht für zu hart, wenn auch du in gleicher Weise zur Rechenschaft gezogen wirst.

   V.5: "Heuchler! Entferne zuerst den Balken aus deinem eigenen Auge!" 

   Hier will der Herr zeigen, wie groß sein Unwille gegen jene sei, die in der angegebenen Weise handeln. Sooft er nämlich klar machen will, dass es sich um eine recht schwere Sünde handle, die auch schwere Strafe und Sühne verlange, beginnt er mit einem Scheltworte. So sagte er auch voll Unwille zu dem, der die hundert Denare zurückverlangte: "Du böser Knecht, deine ganze große Schuld habe ich dir nachgelassen" (Mt 18,32). Ebenso gebraucht er auch hier den Ausdruck: "Heuchler". Derartige Urteile[275] sind eben nicht der Ausdruck liebender Fürsorge, sondern liebloser Gehässigkeit. Es trägt zwar den Anschein der Liebe zum Nächsten an sich, ist aber doch nur eine Frucht erbärmlichster Schlechtigkeit, wenn jemand dem Nächsten unwahre Vergehen zur Last legt, wenn derjenige die Rolle des Lehrmeisters sich anmaßt, der nicht einmal wert ist, des Herrn Jünger zu sein. Darum gibt der Herr einem solchen Menschen den Namen "Heuchler". Denn wenn du mit dem Nächsten so lieblos verfährst, dass du auch die kleinen Fehler bemerkst, warum bist du dann mit dir selbst so nachsichtig, dass du sogar über deine großen Sünden hinwegsiehst? "Entferne zuerst den Balken aus deinem Auge." Siehst du, wie der Herr nicht verbietet, zu richten; nur will er, dass man zuerst den Balken aus dem eigenen Auge entferne, und dann erst die anderen auf die rechte Bahn zu weisen suche. Jeder kennt ja seine eigenen Angelegenheiten besser als die der anderen; jeder sieht das Große früher als das Kleine und liebt sich selbst mehr als seinen Nächsten. Willst du also aus wirklicher Fürsorge handeln, so sorge zuerst für dich selbst, weil da die Sünde größer und leichter zu sehen ist. Wenn du dagegen dich selber vernachlässigst, so ist dies ein deutliches Zeichen, dass du deinen Bruder nicht aus Fürsorglichkeit richtest, sondern aus Mißgunst und in der Absicht, ihn bloßzustellen. Denn wenn ein solcher auch gerichtet werden muß, so soll dies doch durch einen geschehen, der selbst von der betreffenden Sünde frei ist, nicht aber durch dich. Nachdem also Christus so große und erhabene Tugendsatzungen gegeben, brachte er diesen Vergleich[276] , damit niemand sagen könne, es sei gar leicht, solche Tugenden mit Worten anzupreisen. Er wollte deshalb zeigen, dass sein eigenes Gewissen frei sei, dass er sich in dieser Beziehung nichts habe zuschulden kommen lassen, sondern sich in allem korrekt benommen habe. Er selbst sollte ja später als Richter auftreten und sagen: "Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler!"  (Mt 23,13)Ihn selbst aber traf dieser Vorwurf nicht. Er hatte weder einen Splitter auszuziehen, noch hatte er einen Balken im Auge; er war frei und rein von all dem und hatte so das Recht, die Sünden aller Menschen zu bessern. Er wollte eben sagen: Man muß nicht über andere richten, wenn man selbst die gleiche Sünde begangen hat. Was wunderst du dich aber, dass er diesen Grundsatz aufgestellt? Hat ja doch selbst der Räuber am Kreuze dies erkannt und zum anderen Räuber gesagt:"Fürchtest auch du Gott nicht, da wir doch demselben Gerichte verfallen sind?" (Lc 23,40). Er hat damit dem gleichen Gedanken Ausdruck verliehen wie Christus. Du hingegen entfernst nicht nur nicht deinen eigenen Balken, du siehst ihn nicht einmal; den Splitter des anderen aber siehst du nicht bloß, sondern du richtest auch und machst dich daran, ihn zu entfernen. Das ist gerade so, wie wenn jemand an Wassersucht litte oder sonst an einer schweren Krankheit und, während er selbst sich um diese nicht kümmert, einen anderen tadelte, dass er eines leichten Fiebers nicht achte. Wenn es aber schon tadelnswert ist, seine eigenen Sünden nicht zu sehen, so ist es zwei und dreifach tadelnswert, auch noch über andere zu Gericht zu sitzen. während man selbst ganze Balken in den Augen herumträgt, ohne Schmerz zu empfinden! Und dazu ist eine Sünde ja noch schwerer als ein Balken!



3.

Was also der Herr durch seine Worte uns einprägen wollte, ist dies: Wer selbst unzählige Sünden auf dem Gewissen hat, soll nicht unbarmherzig über die Fehler anderer richten, zumal, wenn es sich nur um Kleinigkeiten handelt. Er wollte nicht verbieten, dass man einem anderen Vorstellungen macht und ihn zu bessern sucht, sondern nur verhindern, dass man die eigenen Fehler vergißt und über fremde herfällt. Das führt eben zu großem Unheil und hat einen doppelten Übelstand im Gefolge. Wer nämlich seine eigenen schweren Sünden vernachlässigt, dagegen rücksichtslos die kleinen und leichten Fehler anderer aufstöbert, der hat sich in zweifacher Weise verfehlt: einmal dadurch, dass er die eigenen Sünden nicht beachtet, dann aber auch dadurch, dass er sich allseits Haß und Feindschaft zuzieht und jeden Tag mehr in die äußerste Herzund Gefühllosigkeit verfällt. Das alles hat also der Herr durch dieses schöne Gebot unmöglich gemacht und hat dann noch ein neues hinzugefügt mit den Worten:

   V.6: "Gebt das Heilige nicht den Hunden, und werft die Perlen nicht den Schweinen vor." 

   Doch im folgenden, sagst du, gebot er: "Was ihr mit euren Ohren höret, das predigt auf den Dächern" (Mt 10,27). Indes steht dies gar nicht im Widerspruch mit dem vorausgehenden. Denn auch hier befiehlt er nicht allen, ohne Unterschied zu reden, sondern er will nur, dass diejenigen, die reden müssen, auch mit Freimut reden. Mit dem Ausdruck "Hunde" bezeichnet er aber hier jene, die in vollendeter Gottlosigkeit leben, und die keine Hoffnung mehr auf eine Änderung zum Besseren bieten. Unter den "Schweinen" dagegen verstand er jene, die ein ganz unzüchtiges Leben führen; sie alle bezeichnet er als unwürdig einer so erhabenen Lehre. Dasselbe hat uns auch der hl. Paulus kundgetan mit den Worten: "Der sinnliche Mensch hört nicht auf das, was des Geistes ist; denn ihm ist dies Torheit" (1Co 2,14). Auch an anderen Stelle bezeugt er oft, dass ein schlechtes Leben die Ursache sei, weshalb jemand die Lehren der höheren Vollkommenheit nicht annehmen will. Deshalb befiehlt er auch, ihnen die Türen nicht zu öffnen; denn wenn sie einmal eingeweiht sind, so werden sie nur um so verhärteter. Denjenigen, die guten Willen und Einsicht haben, erscheinen die Wahrheiten voll Erhabenheit, wenn sie ihnen geoffenbart werden; den Toren dagegen eher dann, wenn sie ihnen verborgen bleiben. Da ihnen also die Natur das Verständnis für diese Dinge versagt hat, so will der Herr, dass sie ihnen verborgen bleiben, damit sie dieselben, wenn auch nur aus Unwissenheit, in Ehren halten. Auch das Schwein weiß ja nicht, was eine Perle ist; und weil es dies nicht weiß, soll es auch keine zu sehen bekommen, damit es nicht etwa zertrete, was es nicht zu schätzen weiß. Der einzige Erfolg davon wäre doch nur der, dass solche Leute noch größeren Schaden davon hätten, wenn sie mit diesen Dingen bekannt gemacht würden. Denn das Heilige wird von ihnen verunehrt, weil sie nicht verstehen, was es ist; und dann werden solche Menschen nur um so übermütiger und feindseliger gegen uns. Das ist nämlich der Sinn der Worte: "damit die dieselben nicht zertreten und sich dann gegen euch wenden und euch zerreißen". Doch wendet man ein: Dieses Heilige sollte eben so überzeugungskräftig sein, dass es auch dann widersteht, wenn man es kennen gelernt, und dass es den anderen kein Anlaß wird, sich gegen uns zu wenden. 

   Doch daran ist nicht das Heilige schuld, sondern der Umstand, dass jene Schweine sind; wie ja auch die Perlen nicht deshalb mit Füßen getreten werden, weil sie wertlos sind, sondern weil die unter Schweine fielen. Auch sagt der Herr ganz passend: "sie werden sich gegen euch wenden und euch zerreißen". Sie heucheln nämlich solange guten Willen, bis sie die Geheimnisse erfahren haben; ist dies geschehen, so werfen sie die Maske ab und verspotten uns, verhöhnen und verlachen uns und sagen, sie hätten uns hinters Licht geführt. Aus diesem Grunde schrieb auch der hl. Paulus an Timotheus: "Vor ihm hüte auch du dich; denn er setzte unseren Worten großen Widerstand entgegen" (2Tm 4,15). Ebenso sagt er an einer anderen Stelle: "Von solchen Menschen wende dich ab" (ebd 3,5), und: "Einen häretischen Menschen meide, nachdem du ihn ein und ein zweites Mal ermahnt hast" (Tt 3,10). Es sind also nicht die Lehren des Herrn, die jenen die Waffen in die Hand geben, sondern ihre eigene Torheit bringt die dazu und macht, dass sie nur noch kecker werden. Es ist deshalb auch kein geringer Nutzen für sie, wenn man sie in ihrer Unwissenheit beläßt; denn so werden sie wenigstens die Lehren nicht verachten. Wenn man sie ihnen dagegen mitteilt, so ist der Schaden ein doppelter. Denn sie selbst haben nicht nur keinen Nutzen davon, sondern sogar größeren Nachteil, und dir werden sie unendlich viel zu schaffen machen. Das sollen sich jene gesagt sein lassen, die mit allen ohne Unterschied Gemeinschaft pflegen und so das Heilige verächtlich machen. Aus diesem Grunde feiern wir ja die heiligen Geheimnisse bei verschlossenen Türen und weisen die Uneingeweihten zurück, nicht als ob wir glaubten, das, was wir tun, beruhe nicht auf sicherer Grundlage, sondern weil die große Menge noch zu unreif dafür ist, Deshalb hat auch Christus oft in Parabeln zu den Juden gesprochen, weil sie zwar Augen hatten, aber doch nicht sahen (Mt 13,13). Aus dem gleichen Grunde sagte auch der hl. Paulus, man soll wissen, wie man einem jeden antworten muß (vgl. Tt 1,9).

   V.7: "Bittet und es wird euch gegeben werden; suchet und ihr werdet finden; klopfet an und es wird euch aufgetan werden." 

   Da der Herr große und erhabene Dinge vorschrieb, so wollte er auch, dass man über alle Leidenschaften erhaben sein soll. Ja, er führte uns selbst bis zum Himmel hinan und hieß uns darnach streben, nicht den Engeln und Erzengeln, sondern dem Herrn des Weltalls selber soweit als möglich ähnlich zu werden. Und zwar sollten seine Jünger dies nicht bloß selber tun, sondern auch andere dazu antreiben, und sollten die Schlechten unterscheiden von denen, die nicht schlecht sind, die Hunde von denen, die keine Hunde sind[277] ,damit niemand sagen könne, diese Dinge seien schwer und unerträglich. Später hat ja der hl. Paulus etwas Ähnliches angedeutet, da er fragte: "Wer kann da noch gerettet werden" (Mt 19,25). Und nochmals: "Wenn es so bestellt ist um den Mann, so ist es besser, nicht zu heiraten" (Mt 19,10; Mc 10,26).



4.

Damit also die Juden nicht auch jetzt solche Reden führten, so hat Christus besonders durch das Vorausgehende gezeigt, dass seine Gebote leicht zu beobachten sind, und hat oft und zu wiederholten Malen Gründe angeführt, die sie davon überzeugen könnten. Auch jetzt hat er nicht irgendeinen wohlfeilen Trost fürs Leiden ausgedacht, sondern bringt einen solchen vor, der die Sache mehr als alles andere erleichtert, nämlich die Hilfe des anhaltenden Gebetes. Man muß eben nicht bloß sich selber an strengen, so will er sagen, sondern soll auch die Hilfe von oben anrufen. Dann wird Christus selbst uns beistehen und wird zugegen sein und an unserem Kampfe teilnehmen und uns alles leicht machen. Darum, befahl er uns auch zu beten und hat uns die Erhörung verheißen. Doch wollte er nicht, dass wir nur gerade einmal so beten, sondern dass wir es mit Ausdauer und Beharrlichkeit tun. Das ist der Sinn des Wortes: "Suchet". Wer sucht, schlägt sich alles andere aus dem Sinn und trachtet nur nach dem, wonach er sucht, ohne auf einen der Umstehenden zu achten. Was ich da sage, verstehen diejenigen sehr wohl, die jemals Geld oder Sklaven verloren haben und sie jetzt suchen. Das meinte also der Herr mit dem Worte "suchen". Durch den Ausdruck "anklopfen" dagegen wollte er zeigen, dass man mit Ungestüm und heißem Verlangen hinzutreten soll. Laß also den Mut nicht sinken, o Mensch, und zeige keinen geringeren Eifer im Streben nach Tugend als im Verlangen nach Geld und Gut. Dieses Letztere hast du oft gesucht und nicht gefunden. Allein, obwohl du weißt dass du es nicht immer finden wirst, so suchst du doch auf jede erdenkliche Weise darnach. Hier aber hast du sogar die Verheißung, dass du das Gesuchte ganz gewiß finden wirst, und doch zeigst du auch nicht den bescheidensten Grad von jenem Eifer. Wenn du aber das Gesucht nicht gleich zu Anfang findest, so laß dich auch dadurch nicht abschrecken. Gerade deshalb hat ja Christus gesagt: "Klopfet laut an", um zu zeigen, dass man auch dann ausharren müsse, wenn er die Türe nicht sogleich öffnet. Wenn du aber den bloßen Worten nicht glaubst, so glaube wenigstens dem angeführten Vergleich:

   V.9: "Wer ist unter euch", sagt er, "den sein Sohn um Brot bittet, und der ihm statt dessen einen Stein gäbe?" 

   Ja, wenn du bei Menschen so anhaltend bittest, so findet man dich lästig und beschwerlich; bei Gott aber erregst du gerade dann am meisten Unwillen, wenn du es nicht so machst. Verharrst du hingegen bei deiner Bitte, so wirst du, wenn auch nicht gleich zu Anfang, so doch ganz sicher erhört werden. Gerade deshalb ward ja die Türe verschlossen, damit er dich veranlasse, anzuklopfen; deshalb erhört er dich nicht sogleich, damit du genötigt seiest, zu bitten. Sei also beharrlich im Bitten, und du wirst gewiß empfangen. Damit du nämlich nicht einwenden könntest: Was aber dann, wenn ich bitte und doch nicht empfange? so hat er dir dieses Gleichnis zur Beruhigung gegeben, hat wiederum Vernunftschlüsse angewendet und durch den Vergleich mit den menschlichen Verhältnissen dich zu bewegen gesucht, auch hierin Vertrauen zu hegen. Er wollte dadurch zeigen, dass man nicht nur überhaupt bitten müsse, sondern auch um das bitten soll, was man notwendig braucht. "Denn wo ist unter euch der Vater, den sein Sohn um Brot bittet, und der ihm einen Stein gäbe?"Wenn du also nicht erhört wirst, so wirst du deshalb nicht erhört, weil du um einen Stein bittest. Denn wenn du auch der Sohn bist, so genügt das noch nicht, um erhört zu werden; gerade das ist ein Hindernis gegen die Erhörung, dass du als Sohn um etwas bittest, was dir nicht zuträglich ist. Bitte also du um nichts Weltliches, sondern nur um geistige Gaben; die wirst du gewiß erhalten. Siehe nur, wie schnell Salomon erhört wurde, als er um das bat, worum er bitten sollte (1R 3,5-14). 

   Zwei Bedingungen sind es also, die man beim Beten erfüllen muß: erstens, dass man inbrünstig und beharrlich bete; zweitens, dass man um die rechte Sache bitte. Denn auch ihr, sagt der Herr, obgleich ihr Väter seid, laßt ja eure Kinder oft lange bitten; und wenn sie euch um etwas bitten, das ihnen nicht zuträglich wäre, so gewährt ihr es ihnen überhaupt nicht. Bitten sie dagegen um etwas Rechtes, so stimmt ihr zu und gewährt es ihnen. Auch du sollst also, von solchen Erwägungen geleitet, nicht ablassen, bis du das Erbetene empfangen hast; höre nicht auf mit Suchen, bis du gefunden hast; laß deinen Eifer nicht ermatten, bis dir die Türe geöffnet worden ist. Wenn du mit diesem Entschlusse kommst und sagst: Solange ich nichts erhalte, gehe ich nicht fort, so wirst du ganz gewiß erhört werden, vorausgesetzt, dass du im Dinge bittest, die derjenige gewähren kann, den du bittest, und die zu deinem, des Bittenden Besten gereichen. Wann trifft aber dies zu? Wenn man um irgendwelche geistige Gaben bittet; wenn man zuvor seinen Beleidigern verziehen hat und dann erst kommt, und für sich selbst um Verzeihung bittet; wenn man ohne Zorn und Streit unbefleckte Hände emporhält (1Tm 2,8). Ja, wenn wir so bitten, dann werden wir empfangen. So wie wir es aber jetzt machen, ist unser Gebet mehr ein Hohn, mehr als von Betrunkenen als das von nüchternen Menschen. Was aber dann, fragst du, wenn ich auch um geistige Gaben bitte, und doch nicht erhört werde? Dann hast du eben nicht mit dem entsprechenden Eifer gebetet, oder hast dich selbst der Gabe unwürdig gemacht, oder hast alsbald vom Gebet wieder abgelassen. Aber warum hat dann Christus nicht gleich gesagt, um was man bitten soll? Er hat ja ohnehin im vorausgehenden alles angeführt und gezeigt, mit welchen Anliegen man sich an ihn wenden müsse. Sage also nicht: Ich habe mich an ihn gewendet und bin nicht erhört worden. Wenn du nichts erhältst, so ist niemals Gott daran schuld, der ja so große Liebe zu uns hegt, dass er selbst die[278] Väter übertrifft, und zwar so sehr übertrifft, wie das Gute das Böse.

   V.11: "Denn, wenn ihr, die ihr schlecht seid, euren Kindern gute Gaben zu spenden wißt, dann noch viel mehr euer Vater, der im Himmel ist." 

   So redet der Herr nicht aus Verachtung gegen die menschliche Natur, noch um unser Geschlecht herabzusetzen; er wollte damit nur zum Ausdruck bringen, dass gegenüber seiner Güte die Liebe eines Vaters Schlechtigkeit sei. So übergroß ist eben das Maß seiner Liebe zu den Menschen.



5.

Siehst du jetzt, wie vorzüglich dieser Vergleich des Herrn ist, und ganz geeignet, auch den Mutlosesten wieder zu edlen Hoffnungen aufzurichten? Hier hat er also seine Güte mit der von Vätern verglichen; im vorausgehenden hat er seinen Beweis von den besten seiner Gaben hergeleitet, der Seele und dem Leib. Nirgends kommt er dagegen auf den höchsten Erweis seiner Liebe zu sprechen, nirgends redet er von seiner eigenen Ankunft unter den Menschen. Denn, wie sollte der, der so bereitwillig seinen Sohn zum Schlachtopfer gegeben, uns nicht alle Gnaden gewähren? Doch war dies Opfer damals noch nicht vollzogen. Der hl. Paulus hingegen führt es an mit den Worten: "Wie wird derjenige, der den eigenen Sohn nicht geschont hat, uns nicht zugleich mit ihm alle Gnaden verleihen" (Rm 8,32). Christus selbst hingegen entnimmt seine Vergleiche im Verkehr mit den Juden zunächst noch den menschlichen Verhältnissen. So hat er also gezeigt, dass man nicht auf das Gebet vertrauen dürfe, wenn wir nicht auch unsererseits unsere Pflicht tun, und dass selbst die Eifrigen nicht bloß auf den eigenen Eifer bauen, sondern die Hilfe von oben erflehen und doch zugleich das tun sollen, was an ihnen liegt. Auf diese beiden Dinge macht er denn auch unablässig aufmerksam. So lehrte er nach oftmaligen Ermahnungen die Jünger beten, und nachdem er sie beten gelehrt, ermahnt er sie wieder zum Handeln. Dann kommt er nochmals auf die Pflicht des unablässigen Gebetes zurück und sagt: Betet, suchet, klopfet an (Mt 7,7-11).Daraufhin ermahnt er sie wieder, auch selbst Eifer zu zeigen.

   V.12: "Also", sagt er, "alles, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das sollt auch ihr ihnen tun." 

   Damit hat er, in kurzen Worten zusammengefaßt, gezeigt, dass die Tugendlehre einfach, leicht und für alle verständlich ist. Auch sagt er nicht bloß: "alles, was ihr wollt", sondern:"alles also, was ihr wollt". Dieses "also" fügt er nicht umsonst hinzu, sondern er wollte damit andeuten: Wenn ihr erhört werden wollt, so tut außer dem, was ich schon gesagt habe, auch dies noch. Was ist aber dies? "Alles, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun." Siehst du, wie der Herr auch hier wieder zeigte, dass man nicht bloß beten, sondern auch einen tadellosen Lebenswandel führen müsse? Auch sagte er nicht: was immer du willst, dass Gott dir tue, das tu auch deinem Nächsten; sonst könntest du sagen: wie ist dies aber möglich? er ist Gott, und ich bin ein Mensch! Nein, er sagte: Was immer du willst, dass dein Mitknecht dir tue, das tue auch du deinem Nächsten. Was ist wohl leichter als dies? und was gerechter? Dann fügte der Herr außer dem verheißenen Lohn auch noch ein großes Lob hinzu: "Denn das begreift Gesetz und Propheten in sich."Daraus geht klar hervor, dass die Übung der Tugend schon in unserer Natur liegt, dass wir alle schon gleichsam von Haus aus wissen, was wir zu tun haben, und dass wir uns niemals mit Unwissenheit entschuldigen können.

   V.13: "Tretet ein durch die enge Pforte; denn weit ist das Tor und breit der Weg, der zum Verderben führt, und viele sind's, die durch dieses eintreten.

   V.14: Und eng ist das Tor und rauh der Weg, der zum Leben führt, und wenige sind es, die ihn finden." 

   Im folgenden sagt dann Christus noch: "Mein Joch ist süß und meine Bürde ist leicht" (Mt 11,30). auch in den unmittelbar vorausgehenden Worten hat er denselben Gedanken angedeutet. Wie kommt es also, dass er hier sagt, das Tor sei eng und der Weg rauh? Indes, wenn du genau zusiehst, so zeigt er auch hier, dass derselbe gar leicht sei, bequem und angenehm. Wie kann aber der enge und rauhe Weg leicht sein, fragst du? Eben weil es ein Weg ist und ein Durchgangstor; wie es sich denn auch auf der anderen Seite nur um einen Weg handelt und um ein Tor, wenn sie auch weit sind und breit. Von all dem hat aber nichts dauernden Bestand, alles geht vorbei, die Leiden so gut wie die Freuden des Lebens. Aber nicht bloß aus diesem Grunde ist das Tugendleben leicht, es wird auch noch mehr erleichtert durch den Zweck und das Ziel, worauf es hingeordnet ist. Denn nicht allein, dass die Mühen und Beschwerden vorübergehen, sondern auch, dass sie zu einem guten Ende führen[279] ,ist wohl geeignet die Kämpfenden zu trösten. Also sowohl die Vergänglichkeit der Leiden, wie auch die ewige Dauer des Lohnes, sowie der Umstand, dass die Leiden vorausgehen und der Lohn nachfolgt, kann einen ungemein großen Trost im Leiden gewähren. Deshalb sagt auch der hl. Paulus, die Trübsal sei leicht, nicht weil die Sache an sich leicht wäre, sondern weil die[280] Streiter die Trübsal freiwillig auf sich nehmen und ihre Hoffnung auf den Himmel setzen. "Denn", sagt Paulus, "eine leichte Trübsal bewirkt ewig dauernde, schwerwiegende Verherrlichung, wenn wir nämlich nicht auf das Irdische, Sichtbare blicken, sondern auf das Himmlische, Unsichtbare" (2Co 4,17-18). Wenn die Wogen und Meere den Seeleuten, Tod und Wunden den Soldaten, Winter und Frost dem Landmann, heftige Stöße den Faustkämpfern ganz leicht und erträglich vorkommen, weil sie auf einen Lohn hoffen, der doch vergänglich ist und verschwindet, so wird um so mehr da niemand der gegenwärtigen Leiden achten, wo der Himmel als Preis gesetzt ist, mit der unaussprechlichen Seligkeit und dem unvergänglichen Siegeskranz.



6.

Sollten aber einige diesen Weg auch so noch für mühevoll halten, so ist ihre verkehrte Ansicht nur ein Ausfluß ihrer Trägheit. Sieh also, wie Christus diesen Weg auch noch auf andere Weise leicht macht. Er sagt, man solle sich nicht mit den Hunden zu schaffen machen, sich selbst nicht den Schweinen hingeben, und sich hüten vor den falschen Propheten; und so bereitet er sie auf jede Weise zum Kampfe vor. Auch dass er den Weg "eng" nannte, trug hauptsächlich dazu bei, ihn leicht zu machen; er erreichte eben dadurch, dass sie sich zusammen nahmen. Wenn also der hl. Paulus sagt: "Unser Kampf gilt nicht Fleisch und Blut" (Ep 6,12), so wollte er damit den Mut der Streiter nicht niederbeugen, sondern aufrichten. Ebenso hat auch Christus hier den Weg "rauh" genannt, um die Wanderer aus ihrem Schlafe aufzurütteln. Und nicht bloß dadurch machte er sie vorsichtig; er fügte auch noch hinzu, dass es viele Wegelagerer gebe, ja, was noch schlimmer ist, dass sie nicht offen angreifen, sondern aus dem Verborgenen. So zum Beispiel machen es die falschen Propheten. Indes, sagt der Herr, achtet nicht darauf, dass der Weg rauh und eng ist, sondern darauf, wohin er führt; auch nicht, dass der andere Weg breit ist und weit, sondern welches sein Endziel ist. Das alles sagte er aber nur, um unseren Geist aufzuwecken, wie er ja auch ein andermal äußert: "Die Gewalt brauchen, reißen es an sich" (Mt 11,12). Wenn nämlich der Kämpfende sieht, dass der Kampfesrichter seine mühevollen Kämpfe bewundert, so erhöht dies noch seinen Mut. Verlieren wir also den Mut nicht, wenn uns infolgedessen viel Unangenehmes zustößt. Der Weg ist eben rauh, und eng das Tor; aber nicht so die Stadt selbst. Deshalb dürfen wir hier keine Ruhe erwarten, aber auch dort keine Leiden befürchten. Durch die Worte: "Wenige sind es, die ihn finden", hat dann Christus auch hier wieder die Trägheit der großen Menge geoffenbart, und hat seine Zuhörer angewiesen, nicht auf das Wohlleben der großen Masse zu achten, sondern auf die Mühsale der Wenigen. Denn die große Mehrzahl, sagt er, geht nicht nur nicht auf diesem Weg, sondern will ihn überhaupt schon gar nicht betreten; und das ist gewiß eine schwere Anklage. Indes nicht auf die große Menge muß man achten, noch sich von ihr verwirren lassen, sondern man soll die Wenigen nachahmen, soll sich auf jede Weise gut ausrüsten und so auf dem engen Weg wandeln. Denn abgesehen davon, dass er eng ist, gibt es auch noch viele, die uns von ihm abzuhalten suchen. Deshalb fügte der Herr hinzu:

   V.15: "Hütet euch vor den falschen Propheten; sie werden in Schafskleidern zu euch kommen, im Innern aber sind sie reißende Wölfe." 

   Da hast du also neben Hunden und Schweinen noch eine andere Gattung von Feinden, die dir hinterlistig nachstellen, und zwar sind diese viel gefährlicher als jene. Die ersteren sind eben jedermann gar wohlbekannt, diese sind verborgen. Deshalb sagte auch der Herr, man solle sich von jenen fernhalten, auf diese dagegen ein recht wachsames Auge haben, weil es eben nicht möglich ist, sie gleich beim ersten Angriff zu erkennen. Darum sagte er auch: "Habt acht" und regte sie damit zu wachsamer Unterscheidung an. Wenn sie nun aber hörten, dass der Weg eng und rauh sei, und dass man den dem Wege der großen Menge entgegengesetzten Pfad wandeln müsse, dass man sich vor Schweinen und Hunden hüten solle, und dass es außer diesen eine noch schlimmere Art von Feinden gebe, die der Wölfe, so konnten sie ob der Menge der Schwierigkeiten und Hindernisse leicht den Mut verlieren. Damit sie nun doch auf dem entgegengesetzten Weg von dem der großen Menge ausharren und zugleich auch gegen all diese Gefahren wachsam wären, erinnert sie der Herr an das, was zur Zeit ihrer Vorfahren geschehen war, und erwähnt deshalb die falschen Propheten; denn auch zu ihren eigenen Zeiten gab es solche."Laßt euch also nicht in Verwirrung bringen", sagt er; denn es wird nichts Neues und Unerhörtes sich ereignen; der Teufel setzt ja zu allen Zeiten der Wahrheit die Lüge entgegen. Unter den "falschen Propheten" scheint mir aber der Herr nicht sie Häretiker zu verstehen, sondern diejenigen, die unter dem Scheine der Tugend ein lasterhaftes Leben führen, und die man gewöhnlich mit dem oben erwähnten Beinamen[281] zu bezeichnen pflegt. Darum fügte er auch noch den Satz hinzu:

   V.16: "An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen." 

   Unter den Häretikern kann man ja auch oft solche finden, die ein gutes Leben führen, unter denen aber, die ich genannt habe, niemals. Was aber dann, fragst du, wenn auch unter diesen sich Heuchler finden? Nun, die findet man wenigstens leicht heraus. Denn der Weg, den ich zu gehen befohlen, ist nun einmal so beschaffen, dass er mühevoll und beschwerlich ist. Ein Heuchler will sich aber keiner Mühe unterziehen, es sei denn dem Scheine nach; darum kann man ihn auch leicht überführen. Nachdem nämlich Christus gesagt hatte: "Wenige sind es, die ihn finden", unterscheidet er sie auch wieder von denen, die ihn zwar auch nicht finden, aber doch tun, als hätten sie ihn gefunden, und ermahnt uns zugleich, nicht bloß auf den Schein zu achten, sondern darauf, ob einer diesen Weg auch in Wahrheit begeht. Warum hat er sie aber nicht selbst entlarvt, sondern uns aufgetragen, sie herauszufinden: Damit wir wachsam seien und jeden Augenblick kampfbereit, und uns nicht bloß vor den offenkundigen Feinden hüten, sondern auch vor den verborgenen. Auf diese hat auch der hl. Paulus hingewiesen mit den Worten: "Durch süße Reden verführen sie die Herzen der Arglosen" (Rm 18,18). Seien wir also nicht überrascht, wenn wir sehen, dass es auch jetzt noch viele solcher Heuchler gibt. Auch das hat ja Christus oben vorausgesagt.



7.

Beachte hier auch die Milde des Herrn. Er sagte nicht: Strafet sie[282] , sondern: Sehet zu, dass sie euch nicht schaden, damit ihr nicht aus Unbedachtsamkeit in ihre Schlingen fallet. Damit du sodann nicht sagen könntest, es sei unmöglich, solche Heuchler herauszufinden, so bringt er nochmals einen Vergleich aus dem menschlichen Leben und sagt: Sammelt man etwa Trauben von Dornen ein, oder Feigen von Disteln?

   V.17: "So bringt also jeder gute Baum gute Früchte hervor; der schlechte Baum dagegen bringt schlechte Früchte hervor.

   V.18; Kein guter Baum kann schlechte Früchte tragen und kein schlechter Baum kann gute Früchte tragen." 

   Der Sinn dieser Worte ist der: Die falschen Propheten haben nichts Sanftes, nichts Süßes an sich, vom Lamme haben sie nur das Fell; darum ist es auch leicht sie zu erkennen. Damit du aber nicht den geringsten Zweifel hegest, so vergleicht er mit naturnotwendigen Vorgängen das, was seine Natur nicht verleugnen kann. So sagte auch der hl. Paulus; "Das Sinnen des Fleisches ist Tod; denn es unterwirft sich nicht dem Gesetze Gottes, und es ist auch nicht imstande dazu" (Rm 8,67). Wenn aber Christus zweimal das gleiche sagt, so ist das keine unnütze Wiederholung. Damit nämlich niemand einwende, ein schlechter Baum trage zwar schlechte Früchte, er trage aber auch gute, und gerade das mache die Unterscheidung schwer, dass er zweierlei Früchte trage, so sagt der Herr; Nein, das ist nicht der Fall, ein solcher Baum trägt nur schlechte Früchte, und er wird wohl auch niemals gute tragen; ebenso ist es auch umgekehrt wahr. Doch wie? Gibt es nicht Leute, die gut waren und dann schlecht wurden? Und auch das Gegenteil kommt vor, und das menschliche Leben ist voll von solchen Beispielen. Das sagte aber Christus nicht, dass ein schlechter Mensch sich nicht bekehren könne, noch, dass es für einen guten unmöglich sei, zu fallen; er sagte nur: Solange einer in seinem bösen Leben verharrt, solange vermag er keine guten Früchte hervorzubringen. Indes, hat nicht David, der doch gut war, eine schlechte Frucht hervorgebracht? Nicht, solange er gut blieb, sondern erst, nachdem er sich geändert hatte. Wäre er immer so geblieben, wie er war, so hätte er keine solche Frucht hervorgebracht. Aber gerade weil er nicht in seinem tugendhaften Zustand verharrte, hat er den Mut gefunden zu tun, was er tat. Mit diesen Worten hat der Herr aber auch denen einen Verweis gegeben, die andere grundlos verleumdeten, und hat damit den bösen Zungen einen Zügel angelegt. Da es nämlich viele gibt, die von den Bösen auf die Guten schließen, so hat der Herr diese Äußerung getan, um ihnen jede Entschuldigung zu nehmen. Da kannst du ja doch wohl nicht sagen: Ich bin getäuscht worden und habe deshalb böse von anderen geredet. Ich habe dir ja genau gesagt, wie man sie an ihren Taten unterscheiden könne, habe dich aufgefordert, auf die Werke zu sehen, und nicht einfach alles durcheinander zu bringen. Da sodann der Herr nicht befohlen hat sie zu strafen, sondern nur, sich vor ihnen zu hüten, so wollte er auch die Beleidigten ermutigen, den Beleidigern dagegen Furcht einflößen und sie zur Umkehr bewegen. Deshalb stellte er ihnen auch die von ihm selbst festgesetzte Strafe vor Augen und sagte:

   V.19: "Jeder Baum, der keine gute Frucht bringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen." 

   Um aber dann seine Worte etwas zu mildern, fügte er hinzu:

   V.20: "Also an ihren Früchten werdet ihr sie erkennen;" er wollte eben nicht den Anschein erwecken, als habe er die Absicht, seine vorausgegangenen Drohungen gleich auszuführen, sondern wollte lieber in Form einer Ermahnung und eines Rates ihr Herz erschüttern. 

   Ich glaube, Christus hatte hier ebenfalls die Juden im Auge, als er auf diese Früchte hinwies. Deshalb brachte er auch die Worte des Johannes in Erinnerung, der ihnen ihre Strafe mit den gleichen Ausdrücken beschrieben hatte. Denn auch er hatte dasselbe gesagt, hat von der Axt geredet, dem gefällten Baum und dem unauslöschlichen Feuer. Es scheint auch, als wäre hier nur von einer Strafe die Rede, der des Feuers. Wer aber die Sache genau prüfen will, wird finden, dass es sich um zwei verschiedene Strafen handelt. Wer nämlich ins[283] Feuer geworfen wird, der geht auch des Himmelreiches vollständig verlustig. Das ist aber eine noch viel schwerere Strafe als jene. Ich weiß wohl, dass viele nur die Hölle fürchten. Ich aber behaupte, dass der Verlust jener Glorie eine weit härtere Strafe ist als die Hölle. Wenn wir aber dies mit Worten nicht klar zu machen imstande sind, braucht man sich darüber nicht zu wundern. Wir kennen eben die beseligende Wirkung jenes Himmelsglückes nicht so, dass wir auch klar zu erfassen vermöchten, wie schrecklich sein Verlust sei. Aber Paulus, der all dies deutlich geschaut hatte, wußte, dass der Verlust der Herrlichkeit Christi das Allerschrecklichste ist (vgl. Rm 9,3). Das werden wir dann recht einsehen, wenn wir es einmal selbst erfahren haben.



8.

Du aber, o eingeborener Sohn Gottes, laß doch nicht zu, dass dies je an uns geschehe, und laß uns niemals diese unerträgliche Strafe aus Erfahrung kennen lernen! Wie groß das Unglück ist, jener Güter verlustig zu gehen, das vermag man mit Worten nicht zu schildern. Indes will ich, so gut ich kann, mir Gewalt an tun und mich bemühen, euch durch ein Gleichnis die Sache wenigstens ein klein wenig zu veranschaulichen. Setzen wir den Fall es sei da ein ganz wunderbares Kind, das nicht bloß tugendhaft ist, sondern auch die Herrschaft über den ganzen Erdkreis besitzt, auch soll es alle möglichen Vorzüge in solchem Grade besitzen, dass es imstande ist, die Herzen aller so zu gewinnen, dass jeder es liebt, als wäre er sein Vater. Was glaubt ihr nun wohl, dass der Vater eines solchen Sohnes nicht mit Freuden über sich ergehen ließe, nur um seines Umgangs nicht beraubt zu werden? Welch kleine oder große Leiden wäre er nicht bereit, auf sich zu nehmen, nur um ihn zu sehen und seine Gesellschaft zu genießen? Dasselbe müssen wir auch von der Herrlichkeit des Himmels denken. Denn so lieb und wertvoll ist keinem Vater sein eigenes Kind, und besäße es auch tausend Vorzüge, wie es die Erlangung jener Güter ist, das Aufgelöstwerden und mit Christus sein. Etwas Unerträgliches ist die Hölle und die höllische Strafe. Allein, wenn einer auch tausend Höllen nennte, er wird damit nichts so Schreckliches aussprechen, wie es der Verlust der beseligenden Himmelsglorie bedeutet, wie es ist, von Christus gehaßt zu werden und hören zu müssen: "Ich kenne euch nicht", und den Vorwurf zu erhalten, dass man Christus hungern sah und ihm keine Nahrung bot. Besser wäre es, dass tausend Blitze auf uns niederführen, als dass es uns verwehrt würde, jenes milde Antlitz zu schauen, und dass wir den Blick jenes ruhigen Auges nicht zu ertragen vermöchten! Wenn nun er selbst mit seinem Feinde, der ihn haßte und sich von ihm abwandte, also nachging, dass er nicht einmal sich selber schonte, sondern sich dem Tode überlieferte, und wenn ich nach all dem nicht einmal ein Brot ihm gönne, wenn er hungert, mit welchen Gefühlen soll ich ihn da hinfort noch ansehen? 

   Beachte aber, wie milde der Herr auch hierin wieder ist. Er zählt nicht etwa die Wohltaten auf, die er uns erwiesen, noch weist er darauf hin, dass du ihn vernachlässigst, nachdem er dir soviel Gutes getan; auch sagt er nicht: Siehe, ich habe dich aus dem Nichts ins Dasein gerufen, habe dir eine Seele eingehaucht und dich zum Herrn aller Geschöpfe auf Erden gemacht, habe um deinetwillen die Erde, den Himmel, das Meer, die Luft und alles, was ist, gemacht, und du hast mich dafür verachtet, und hast mich für geringer gehalten als den Teufel! Aber selbst da habe ich dich nicht verlassen, habe auch nachher noch tausenderlei Wohltaten für dich erdacht, bin freiwillig zum Knecht geworden, bin gegeißelt, angespien und getötet worden, und zwar habe ich den allerschimpflichsten Tot erlitten, bin dann auch für dich zum Himmel aufgefahren, habe dir den Hl. Geist gesandt, dir das Himmelreich angeboten und dir so große Dinge verheißen; wollte für dich Haupt sein und Brautgemahl, Kleid, Haus, Fundament, Nahrung, Trank, Hirte, König und Bruder; habe dich zum Erben und Miterben erwählt und dich aus der Finsternis zur Freiheit des Lichtes geführt! 

   Dies alles und noch viel mehr hätte Christus sagen können. Er sagte aber nichts davon. Wovon redete er statt dessen? Nur von dieser einen Sünde[284] . Und auch dabei zeigt er seine Liebe und das Verlangen, das er nach dir hat. Der Herr sagte ja nicht: Gehet in das Feuer, das e u c h bereitet ist, sondern "das dem Teufel bereitet ist" (Mt 25,41). Zuerst sagte er zwar, worin sie gesündigt haben; aber auch da will er nicht alles sagen, sondern nur weniges. Auch ruft er vor diesen die Guten auf, um auch dadurch zu zeigen, dass er die anderen mit Recht anklage. Sind also nicht diese Worte schrecklicher als irgendeine Strafe? Wenn jemand einen Menschen hungern sieht, der sein Wohltäter war, so möchte er wohl nicht achtlos an ihm vorübergehen; und wenn er es auch täte, so würde er dann, zur Rede gestellt, wohl lieber unter die Erde versinken wollen, als in Gegenwart von zwei oder drei Freunden sich so etwas vorwerfen lassen zu müssen. Was werden aber da wir nicht erst empfinden, wenn wir im Angesichte der ganzen Welt Dinge zu hören bekommen, die der Herr auch dann wohl nicht nennen würde, wenn es für ihn nicht gälte, sich[285] in eigener Sache zu rechtfertigen? Er brachte ja auch diese Worte nicht vor, um zu tadeln, sondern um sich zu rechtfertigen und zu zeigen, dass er nicht ohne Grund und Ursache zu ihnen gesagte hatte: "Weichet zurück von mir!" Das ergibt sich klar aus seinen unaussprechlich großen Wohltaten. Hätte er tadeln wollen, so hätte er auch alle jene Dinge vorgebracht; so aber redete er nur von seinen Leiden.



9.

Nehmen wir uns also in acht, Geliebte, dass wir solche Worte nicht zu hören bekommen. Das Leben ist kein Kinderspiel; oder richtiger gesagt; dieses gegenwärtige Leben ist ein Kinderspiel, nicht aber das zukünftige. Ja, vielleicht ist das Leben hienieden nicht bloß ein Spiel, sondern noch etwas Schlimmeres. Es endet ja nicht mit Lachen, sondern bringt denen großen Schaden, die nicht mit aller Gewissenhaftigkeit ihr Leben einrichten wollen. Oder sagt mir doch, worin unterscheiden wir uns von Kindern, die spielen und Häuser bauen, wenn wir großartige Gebäude aufführen? Welcher Unterschied besteht zwischen ihnen, wenn sie frühstücken, und uns, wenn wir Schwelgerei treiben! Keiner, außer dass w i r für unser Tun gestraft werden. Wenn wir aber auch jetzt noch die Wertlosigkeit unseres Tuns nicht einsehen, so ist dies nicht zu verwundern. Wir sind eben noch nicht zum Reifealter gelangt. Wenn wir aber einmal so weit sind, dann werden wir wissen, dass dies alles Kindereien sind. Wir lachen ja auch über das Treiben der Kinder, wenn wir Männer geworden sind. Solange wir aber selbst Kinder waren, hielten wir diese Dinge für überaus wichtig, und wenn wir Scherben und Lehm zusammentrugen, so waren wir um nichts gescheiter als diejenigen, die große Ringmauern aufführen. Auch gehen diese Kinderbauten schnell zugrunde und stürzen zusammen, und selbst wenn sie stehen, nützen sie niemand etwas, so wenig wie diese prunkenden Häuser. Denn einen Himmelsbürger können ja diese doch nicht fassen, noch dürfte es jemand darin aushalten, der das himmlische Vaterland sein eigen nennt. Aber wie wir die Kinderhäuser mit den Füßen zertreten, so macht auch der Himmelsbürger solche Prachthäuser im Geiste zunichte. Und wie wir die Kinder auslachen, wenn sie über die Zerstörung ihrer Häuser weinen, so lachen auch diese Himmelsbürger nicht bloß über unseren Schmerz sie weinen sogar darüber, weil eben ihr Herz voll Mitleid ist über den großen Schaden, der uns daraus erwächst. 

   Werden wir also doch Männer! Wie lange wollen wir denn noch am Boden kriechen und Steine und Holz bewundern? Wie lange werden wir noch spielen? Und wenn wir doch nur spielten! In Wirklichkeit geben wir aber sogar unser eigenes Seelenheil preis. Und wie die Kinder tüchtig Schläge erhalten, wenn sie ihre Zeit auf solche Dinge verwenden und darüber das Lernen vernachlässigen, so werden auch wir einst schwer gestraft werden, wenn wir all unser Sinnen und Trachten auf diese Dinge richten und wenn wir gar keine Taten aufzuweisen haben, wenn man uns auffordert, zu zeigen, wie wir die empfangenen göttlichen Lehren in der Praxis geübt haben. Von dieser Pflicht ist niemand ausgenommen, kein Vater, kein Bruder, überhaupt gar niemand. Indes, dies alles geht vorüber, das Urteil hingegen, das wir uns damit verdienen, bleibt für immer und ewig. Dasselbe ist ja auch bei den Kindern der Fall, wenn der Vater ob ihres Leichtsinnes zuletzt ihr Spielzeug zerschlägt und sie so zum Weinen bringt, das kein Ende nehmen will. Damit du aber siehst, dass die Sache wirklich so steht, so will ich den Reichtum als Beispiel anführen, der ja unter allen Dingen als das Begehrenswerteste erscheint, und will ihm irgendeine geistige Tugend gegenüberstellen. Dann wirst du so recht eigentlich seine Wertlosigkeit erkennen. Nehmen wir also an, es seien da zwei Menschen, und zwar rede ich hier noch nicht von unrechtem Besitz, sondern zunächst von rechtmäßig erworbenem Reichtum. Von diesen beiden Menschen rafft der eine Geld zusammen, fährt über die Meere, bebaut die Erde und findet viele andere Arten des Erwerbs. Allerdings weiß ich nicht, ob einer, der dieses tut, imstande ist, nur gerechten Gewinn zu machen. 

   Doch lassen wir auch das gelten. Setzen wir voraus, er mache nur rechtmäßigen Gewinn, er kaufe Gelder und Sklaven und was sonst noch dazu gehört, und an all dem hafte keinerlei Unrecht. Der andere dagegen, der ebensoviel besitzt, verkaufe seine Äcker[286] ,verkaufe seine Häuser, sein Gold und Silbergeschirr, und gebe den Erlös den Armen, spende den Dürftigen Almosen, pflege die Kranken, helfe denen, die in Not sind, erlöse die Gefangenen, befreie die, die zu den Bergwerken verurteilt sind, halte diejenigen zurück, die sich das Leben nehmen wollen, und befreie die Gefangenen von ihrer Strafe. Welcher von diesen beiden möchtet ihr lieber sein? Und doch habe ich noch gar nicht vom Jenseits, sondern bis jetzt nur vom Diesseits geredet. Welcher von beiden möchtet ihr also sein? Derjenige, der Geld zusammenträgt, oder der, der Unglück lindert? Der Äcker kauft, oder der sich selber zum Retter für die Menschen gemacht? Der in reiche goldene Gewänder gekleidet ist, oder der die Dankbarkeit Tausender wie eine Krone schmückt? Gleicht ein solcher nicht einem Engel, der vom Himmel herabkommt, als Retter für die übrigen Menschen, während der andere weniger einem Menschen gleicht, als vielmehr einem Kind, das ohne Zweck und Ziel alles zusammenträgt? Wenn aber schon der gerechte Reichtum so lächerlich und töricht ist, wie wäre dann der nicht der verworfenste Mensch, der ihn nicht einmal rechtmäßiger Weise besäße? Wenn der Reichtum schon an sich lächerlich ist, wieviel Tränen verdient dann nicht erst der, sei er noch lebend oder schon tot, bei welchem auch noch die Hölle dazukommt und der Verlust des Himmelreiches?



10.

Indes, wir wollen auch eine andere Seite der Tugend betrachten. Stellen wir uns wieder einen anderen Menschen vor, der große Macht besitzt, der allen befiehlt, der hohes Ansehen genießt, einen Herold besitzt, einen prachtvollen Leibgurt und Liktoren, und eine zahlreiche Dienerschaft. Scheint dir das nicht etwas Großes und Preiswürdiges zu sein? Nun wollen wir auch diesem einen anderen gegenüberstellen, der geduldig ist, sanft, demütig und großmütig. Denken wir uns nun, er werde beschimpft und geschlagen, und er trage es mit Gleichmut, ja segne diejenigen, die ihm solches antun. Wer verdient nun da wirkliche Bewunderung, sprich! Derjenige, der aufgeblasen und hochfahrend, oder der demütig ist? Gleicht nicht der eine den überirdischen Mächten, die von keiner Leidenschaft berührt werden, der andere dagegen einer Seifenblase, oder einem Menschen, der an Wassersucht leidet und ganz aufgeschwollen ist? Und gleicht nicht jener einem geistigen Arzt, dieser einem lächerlichen Jungen, der die Backen aufbläst? 

   Ja, was bildest du dir Großes ein, o Mensch? Weil du vielleicht hoch zu Wagen fährst? Weil dich ein paar Maulesel ziehen? Aber was bedeutet das? Das kann man ja auch mit Holz und Steinen tun sehen. Oder vielleicht, dass du schöne Kleider an hast? Aber siehe doch nur auf den, der statt mit schönen Gewändern mit Tugenden geschmückt ist! Da wirst du merken, dass du selbst verwelkendem Heu gleichst, der andere dagegen einem Baum, der wunderbare Frucht trägt und den Beschauern großes Ergötzen bereitet! Du trägst nur die Speise der Würmer und der Motten umher, die dich alsbald deines Schmuckes berauben, wenn sie sich einmal an dich machen; denn die Kleider werden eine Nahrung der Würmer, Gold und Silber dagegen Erde und Staub und nochmals Erde und weiter nichts. Wer aber mit Tugenden geschmückt ist, trägt ein Kleid, das nicht nur Motten, sondern selbst der Tod nicht verderben kann. Und ganz mit Recht! Denn diese Tugenden der Seele haben ihren Ursprung nicht von der Erde, sie sind eine Frucht des Geistes. Deshalb unterliegen sie auch nicht den nagenden Würmern. Diese Gewänder werden eben im Himmel gewoben, wo es keine Motten und Würmer und nichts dergleichen gibt. Sag also, was ist angenehmer? Reich sein oder arm? mächtig oder unbekannt? schwelgen oder Hunger leiden? Offenbar: geehrt sein, schwelgen und Reichtümer besitzen. Wenn du also die Sache[287] willst und nicht den Namen, so verlaß die Erde und alles Irdische und strebe dem Himmel zu. Was hienieden ist, ist Schatten, was im Jenseits ist, bleibt ewig, fest und unverwüstlich. Entscheiden wir uns also mit aller Entschlossenheit für dieses letztere, damit wir sowohl dem Lärm der irdischen Dinge entgehen, als auch jenem stillen Hafen zueilen, und dort mit reichen Lasten erscheinen und mit dem unaussprechlichen Reichtum des Almosens. Das möge uns allen zuteil werden durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem Ehre, Macht und Ruhm sei von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen!






Kommentar zum Evangelium Mt 23