Kommentar zum Evangelium Mt 24

Vierundzwanzigste Homilie. Kap. VII, V.21-27.

24 Mt 7,21-27
1.

V.21: "Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr, Herr, wird in das Himmelreich eingehen, wohl aber, wer den Willen meines Vaters tut, der im Himmel ist." 

   Weshalb sagte der Herr nicht: Wohl aber, der meinen Willen tut? Weil das die Juden vorläufig noch lieber hörten. Das andere wäre für diese schwachen Seelen schon viel zu stark gewesen. Übrigens hat er auch das zweite durch das erste angedeutet. Außerdem muß man auch betonen, dass der Sohn keinen anderen Willen hat als der Vater. Hier scheint mir aber Christus besonders die Juden im Auge zu haben, die das Hauptgewicht auf ihre Lehrmeinungen legten, dagegen um das sittliche Leben sich wenig kümmerten. Deshalb tadelt sie auch der hl. Paulus mit den Worten: "Siehe, du trägst den Namen eines Juden und beruhigst dich mit dem Gesetz; du rühmst dich in Gott und kennst seinen Willen" (Rm 2,17-18). Deshalb hast du aber gar nichts vor anderen voraus, wenn dein Leben und deine Werke nicht dementsprechend sind. Christus hingegen blieb dabei nicht stehen; er sagte noch viel mehr:

   V.22: "Denn es werden an jenem Tage viele zu mir sagen; Herr, Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt?" 

   Damit will er sagen: Nicht bloß derjenige, der zwar den Glauben hat, aber nicht nach dem Glauben lebt, wird vom Himmelreich ausgeschlossen, sondern wenn einer auch einen Glauben hätte, dass er noch viele Wunder dazu wirkte, aber nichts Gutes täte, auch ein solcher würde aus jenen heiligen Hallen des Himmels ausgewiesen. "Denn viele werden an jenem Tage zu mir sagen; Herr, Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt?" Siehst du da, wie Christus nach Vollendung seiner Predigt in verborgener Weise auch von sich selber redet, und sich in seiner Eigenschaft als Richter zeigt? Denn, dass die Sünder Strafe erwartet, hat er schon im vorausgehenden dargelegt. Wer aber derjenige sei, der da straft, das offenbart er erst jetzt. Doch sagte er nicht offen heraus: Ich bin es, sondern:"Viele werden zu mir sagen", womit er dasselbe erreichte. Denn, wenn er nicht selbst der Richter wäre, wie hätte er zu ihnen sagen können:

   V.23: "Und dann werde ich ihnen erwidern: Weichet zurück von mir, ich habe euch nie gekannt!" 

   Das heißt: Nicht nur im Augenblick des Gerichtes kenne ich euch nicht, sondern ich kannte euch auch damals nicht, als ihr Wunder gewirkt habt. Deshalb sagte er auch zu seinen Jüngern: "Freuet euch nicht darüber, dass euch die Dämonen untertan sind, sondern darüber, dass eure Namen im Himmel aufgeschrieben sind" (Lc 10,20). Auch sonst heißt uns der Herr überall unsere Lebenszeit recht gut benützen. Es ist ja nicht möglich, dass ein Mensch, der rechtschaffen lebt und sich von allen Leidenschaften freigemacht hat, jemals unbeachtet bleibe. Im Gegenteil, wenn er auch zufällig einmal vom rechten Wege abgeirrt wäre, so würde in Gott doch alsbald wieder auf denselben zurückführen. Indes gibt es Leute, die da behaupten, jene[288] hätten diese Worte nur aus Verstellung gebraucht, und deshalb seien sie auch nicht gerettet worden. Demnach hätte aber der Herr das Gegenteil von dem getan, was er eigentlich beabsichtigt hatte. Er wollte ja hier zeigen, dass der Glaube nichts nützt ohne die Werke. Diesen Gedanken führte er dann noch weiter aus und kam so auf die Wundertaten zu sprechen; er wollte dadurch zeigen, dass nicht bloß der Glaube, sondern selbst die Wunderwerke dem Wundertäter nichts nützen ohne die Tugend. Wenn aber jene keine Wunder gewirkt hätten, wie konnte dann der Herr diese beiden Dinge zusammenstellen? Außerdem würden sie es im Angesicht des Gerichtes überhaupt nicht wagen, so zu ihm zu reden. Auch beweist die Antwort selbst, sowie der Umstand, dass sie auf eine Frage hin redeten, dass sie wirklich Wunder gewirkt hatten. Da sie nämlich sahen, wie der Ausgang nicht ihren Erwartungen entsprach, und dass sie hienieden ob ihrer Wunderwerke von allen bewundert wurden, während sie dort sich der Strafe überantwortet sehen, so sagen sie, wie von Schrecken und Verwunderung erfüllt: Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt? Warum verwirfst du uns also jetzt? Wie soll man dieses befremdende und merkwürdige Ende verstehen? 

   Indes, wenn jene sich darüber verwunderten, dass sie trotz solcher Zeichen und Wunder der ewigen Strafe überliefert werden, so wundere doch du dich darüber nicht. Denn die Wundergabe ist ausschließlich ein Geschenk dessen, der sie verleiht; jene haben nichts von ihrem Eigenen dazugetan. Darum verdienen sie auch Strafe, weil sie gegen den undankbar und unerkenntlich waren, der sie doch so ehrte, dass er ihnen trotz ihrer Unwürdigkeit die Wundergabe verlieh. Wie kommt es aber dann, fragst du, dass sie solche Wundertaten verrichteten, obgleich sie Sünden begangen haben? Einige sagen da, sie hätten nicht zu der Zeit gesündigt, in der sie solche Wundertaten verrichteten, sondern erst später seien sie verdorben worden und hätten sich der Sünde zugewandt. Indessen, wenn das so wäre, so hätte der Herr wiederum das nicht erreicht, was er eigentlich beabsichtigte. Was er nämlich zeigen wollte, ist dies: Weder Glaube noch Wunderwerke haben einen wirklichen Wert, wenn das rechte Leben fehlt. Dasselbe sagt ja auch der hl. Paulus: "Wenn ich auch Glaube besäße, so dass ich Berge versetzen könnte, und wenn ich auch alle Geheimnisse und alle Wissenschaft besäße, habe aber die Liebe nicht, so bin ich nichts" (1Co 13,12). Wer sind also dann diese Leute, fragst du? Viele von denen, die glaubten, haben Charismen erlangt, so z.B. derjenige, der die Teufel austrieb, aber doch nicht mit dem Herrn war (Mc 9,37), wie z.B. Judas; auch er hatte ja trotz seiner Schlechtigkeit ein Charisma. Ebenso kann man auch im Alten Testamente beobachten, dass die Gnade oft in unwürdigen Werkzeugen wirkte, um anderen zu nützen. Da sich eben nicht alle für alle eigneten, sondern die einen ein reines Leben führten aber keinen so starken Glauben hatten, während es bei den anderen umgekehrt war, so ermahnt Gott jene durch diese, sie sollten einen starken Glauben an den Tag legen, und fordert diese auf, um solch unaussprechlicher Gabe[289] willen bessere zu werden.



2.

.Aus diesem Grunde hat auch Gott die Wundergabe in reichlichem Maße erteilt. Wir haben, sagen sie, viele Zeichen der Kraft getan. Ich werde ihnen aber dann erwidern: "Ich kenne euch nicht." Jetzt glauben sie meine Freunde zu sein; dann werden sie aber erfahren, dass ich ihnen die Gabe nicht deshalb verliehen habe, weil sie etwa meine Freunde gewesen wären. Und was wunderst du dich, wenn er Leuten, die zwar an ihn glaubten, dagegen nicht ihrem Glauben entsprechend lebten, die Charismen verlieh, da er doch sogar denen seine Wohltaten erweist, die keines von beiden besitzen? So war Balaam ohne Glauben und führte auch kein gutes Leben (Nb 24); aber dennoch war in ihm die Wundergabe wirksam, um anderer willen. Pharao war ebenso, gleichwohl hat Gott auch ihm die Zukunft geoffenbart. Sogar dem großen Sünder Nabuchodonosor hat er vorausgesagt, was erst nach vielen Generationen eintreffen sollte. Ja, auch dessen Sohn, der seines Vaters Missetaten noch übertraf, hat er die Zukunft vorherverkündet, und hat auf diese Weise wunderbare und große Dinge vollbracht. Da also schon damals die Verkündigung[290] begonnen hatte, und Gott seine Gewalt recht deutlich zeigen mußte, so erhielten auch viele Unwürdige seine Gaben. Gleichwohl nützten ihnen diese Wunderzeichen nichts sie zogen sich damit nur größere Strafe zu. Deshalb sprach der Herr auch jenes schreckliche Wort zu ihnen: "Ich habe euch nie erkannt."Viele sind auch hienieden schon der Gegenstand seines Hasses und werden schon vor dem[291] Gericht verworfen. Seien wir also in Furcht, Geliebte, und haben wir ja recht acht auf unser Leben, und glauben wir nicht, es gehe uns etwas ab, weil wir jetzt keine Wunderzeichen tun. Wir würden deshalb einst gar nichts voraushaben, so wie wir auch jetzt nichts verlieren, weil wir keine Zeichen tun. Die Hauptsache ist, dass wir auf jegliche Tugendübung sorgfältig bedacht sind. Wenn wir Wunderzeichen wirken, so sind wir Gottes Schuldner; leben wir aber recht und tun wir Gutes, so ist Gott unser Schuldner. So hat also der Herr alles zu Ende geführt, hat mit aller Ausführlichkeit über die Tugend gesprochen, und gezeigt, dass es verschiedene Arten von Leuten gibt, die dieselbe nur heuchlerischerweise zur Schau tragen, wie z.B. jene, die nur fasten und beten, um gesehen zu werden, die in Schaffellen einhergehen, aber die Tugend schänden. Sie sind es, die er Schweine und Hunde nannte. Damit hat er übrigens auch gezeigt, wie groß der Nutzen der Tugend schon hienieden ist, und wie groß dagegen der Schaden der Schlechtigkeit. Dann sagt er:

   V.24: "Jeder also, der diese meine Worte hört und sie befolgt, wird einem weisen Manne gleich gehalten werden." 

   Was also jenen geschehen wird, die seine Worte nicht befolgen, und wenn sie dabei auch Wunder wirkten, habt ihr gehört. Ihr müßt aber auch wissen, was denen, die alle seine Befehle gehorsam aufnahmen, zuteil werden wird, und zwar nicht bloß in der zukünftigen Welt, sondern auch in dieser zeitlichen. "Denn",so sagt Christus, "jeder, der diese meine Worte hört und sie befolgt, wird einem weisen Manne gleichgeachtet werden." Siehst du da, wie der Herr abwechselt in seiner Rede? Das eine Mal sagt er: "Nicht jeder, der zu mir sagt Herr, Herr", und damit offenbart er sich selbst; das andere Mal sagt er: "Wer den Willen meines Vaters tut"; wieder ein anderes Mal zeigt er sich selbst als Richter: "Denn viele werden zu mir an jenem Tage sagen: Herr. Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt? Und ich werde antworten: Ich kenne euch nicht." Auch hier zeigt er wieder, dass er selbst die Macht über alles besitzt. Deshalb sagte er auch: "Wer immer diese meine Worte hört." Hier handelt es sich nämlich ausschließlich um das Jenseits. Er hatte das Himmelreich erwähnt und den unaussprechlichen Lohn, die Tröstung und alles andere, was damit zusammenhängt; deshalb will er, dass sie auch davon einigen Nutzen hätten und zeigt ihnen darum, wieviel die Macht der Tugend auch schon in diesem Leben vermag. Und was vermag sie denn? Dass man in Ruhe und Sicherheit lebt, dass man von keinem Unglück überwunden werden kann, dass man über alle Beleidiger erhaben ist. Was gäbe es doch, das dem gleich käme? Das könnte sich ja nicht einmal ein König selbst verschaffen, wohl aber der, welcher die Tugend übt. Nur er besitzt diese Macht in überreichem Maße, und erfreut sich der größten Ruhe mitten im Strudel der weltlichen Geschäfte. Das Wunderbare daran ist dies, dass er nicht etwa bei herrschender Windstille, sondern sogar im heftigsten Sturm, in großer Wirrsal, unter beständigen Anfechtungen auch nicht im geringsten erschüttert werden kann. Denn:

   V.25: "Es stürzte der Regen nieder, es kamen die Flüsse, es stürmten die Winde und stießen an jenes Haus, allein es fiel nicht; es war eben auf Felsen gebaut." 

   Unter dem Regen, den Flüssen und Winden bezeichnet der Herr bildlich die menschlichen Schicksale und Leiden, wie z.B. Verleumdungen, Nachstellungen, Trauer und Sterbefälle, Verlust des Eigentums, Kränkungen durch andere, überhaupt alles, was man die Unbilden des Lebens nennen kann. Gleichwohl weicht eine solche Seele vor nichts zurück, und zwar deshalb nicht, weil sie auf Felsen gebaut ist. Unter "Felsen" versteht aber Christus die unfehlbare Gewißheit seiner Lehre. Seine Satzungen sind ja fester als Gestein und machen, dass man über alle menschlichen Schicksalsschläge erhaben wird. Wer nämlich diese Gebote gewissenhaft beobachtet, wird nicht bloß über die Menschen erhaben sein, die ihn kränken, sondern sogar über die Dämonen, die ihm Nachstellungen bereiten.



3.

Dass aber diese meine Worte kein bloßes Gerede sind, bezeugt uns Job, der alle Angriffe des Teufels erfuhr und doch unerschüttert blieb. Ebenso könnten es uns die Apostel bezeugen, gegen welche die Brandungen der ganzen Welt anstürmten, Völker und Fürsten, Einheimische und Fremde, Dämonen und selbst der Teufel, gegen jedes Mittel in Bewegung gesetzt wurde und die doch unerschütterlicher blieben als Felsen und so alle diese Anschläge zunichte machten! Was könnte es also Glücklicheres geben als ein solches Leben? Da sind weder Reichtum noch Körperkraft, nicht Ruhm und nicht Macht, überhaupt gar nichts imstande, uns ein solches Lebensglück zu verschaffen, sondern einzig und allein der Besitz der Tugend. Es ist eben ganz und gar unmöglich, ein anderes Leben zu finden, das von allen Übeln frei wäre, als nur dieses allein. Das bezeuget auch ihr, die ihr die Intrigen kennt, wie sie in Königspalästen vorkommen, sowie den Unfrieden und die Zerwürfnisse, die sich in den Häusern der Reichen finden. Von all dem findet sich nichts unter den Aposteln. Doch wie? Ist ihnen nie etwas Derartiges begegnet, und hat ihnen nie jemand etwas Übles zugefügt? Das Wunderbarste an der Sache ist ja gerade dies, dass sie viele Feindseligkeiten erfuhren, dass viele Stürme über ihnen zusammenschlugen, dass aber diese die Seele der Apostel nicht zu erschüttern vermochten, noch ihnen den Mut rauben konnten. Die Apostel kämpften eben mit bloßem Leibe und gewannen so die Oberhand und den Sieg. Auch du wirst darum über alles triumphieren, wenn du all dies genau erfüllen willst. Wenn du in diesen weisen Satzungen gefestigt bist, so kann nichts dir etwas anhaben. 

   Oder worin könnte dir derjenige schaden, der dir Böses zufügen wollte? Dadurch, dass er dein Eigentum fortträgt? Aber der Herr hieß dich ja solches verachten, schon bevor der andere Miene machte, es dir zu nehmen, und zwar solltest du demselben so entschieden entsagen, dass du nicht einmal vom Herrn selbst etwas Derartiges bittest. Oder dein Feind wird dich ins Gefängnis bringen? Aber schon bevor du in den Kerker kommst, befahl dir der Herr so zu leben, dass du der ganzen Welt gekreuzigt wärest (Ga 6,14). Oder er redet schlecht von dir? Auch von diesem Schmerz befreite dich Christus, da er dir einen großen und leicht zu verdienenden Lohn für die Geduld im Leiden versprach, und dich so sehr von dem Zorn und Kummer freimachte, der daraus entsteht, dass er dir sogar befehlen konnte, für deine Feinde zu beten. Aber dein Feind ärgert dich und fügt dir tausenderlei Unbilden zu? Damit erreicht er indes nur, dass du eine noch herrlichere Krone erhältst. Allein er tötet dich und bringt dich um? Auch dadurch leistet er dir einen ganz bedeutenden Dienst; denn er verschafft dir auf diese Weise die Martyrerkrone und macht, dass du um so schneller in den Hafen des Friedens einläufst, verschafft dir ein Anrecht auf größeren Lohn und setzt dich in den Stand, bei der allgemeinen Rechenschaftsablage zu bestehen. Gerade das verdient am meisten Bewunderung, dass unsere Feinde uns nicht nur nicht schaden können, sondern nur noch zum größeren Ruhm derer beitragen, denen sie Übles tun. Was käme also der Wahl eines Lebens gleich, wie es nur dieses eine gibt? Nachdem nämlich der Herr gesagt hatte, es sei ein enger und mühsamer Weg, und damit einen Trost für die Mühsale gegeben hatte, so zeigt er jetzt, dass dieser Weg auch große Sicherheit aufweist und viel Freude, wie auch der entgegengesetzte viel Schlechtigkeit und Unheil. Wie er nämlich auf der einen Seite den Lohn für die Tugend vor Augen stellt, so auf der anderen die Strafe für die Schlechtigkeit. 

   Denn, was ich immer sage, das muß ich auch jetzt wiederholen: Der Herr trachtet stets durch beide Mittel das Heil der Zuhörer zu fördern, durch den Eifer für die Tugend und durch den Haß gegen die Sünde. Da er nämlich wußte, dass einige seine Worte zwar bewundern, sie aber nicht in die Tat umsetzen würden, so erschreckt er diese schon zum voraus, indem er sagt, wenn auch seine Worte gut seien, das bloße Anhören genüge nicht, um sicher zu sein; es bedürfe auch des werktätigen Gehorsams; ja, gerade das sei die Hauptsache. Hiermit beschließt der Herr seine Rede und überläßt die Zuhörer ihrer heilsamen Furcht. Er wollte sie eben zur Tugend nicht bloß mit dem Hinweis auf die zukünftigen Dinge anregen, mit dem Gottesreich, dem Himmel, dem unaussprechlichen Lohn, der Freude und dem Trost und den tausend anderen Vorteilen, sondern auch durch den Hinweis auf zeitliche und sichtbare Dinge. Deshalb stellt er ihnen die Härte und Unbeweglichkeit eines Felsens vor Augen. Ebenso geht er vor, wo es sich um das Böse handelt. Er erschreckt sie nicht nur mit dem, was erst kommen soll, wie z.B. mit dem umgehauenen Baum, dem unauslöschlichen Feuer, dem Verlust des Himmelreiches und dem schrecklichen: "Ich kenne euch nicht"; nein, er nimmt auch die Dinge der Gegenwart zu Hilfe, z.B. die Stöße, die ein Haus auszuhalten hat. So steigerte er noch den Eindruck seiner Worte, indem er seine Gedanken auch noch durch eine Parabel erläuterte. Hätte er nur gesagt, der Tugendhafte werde unüberwindlich sein, der Böse dagegen leicht zu besiegen, so hätte dies doch nicht den gleichen Eindruck gemacht, wie jetzt, da er von einem Felsen redet und einem Haus, von Flüssen, Regen anderen derartigen Dingen.

   V.26: "Und jeder, der diese meine Worte hört und sie nicht befolgt, wird sein wie ein Tor, der sein Haus auf Sand gebaut hat." 

   Einen solchen Menschen nannte der Herr mit Recht einen Toren. Oder gäbe es etwas Törichteres, als ein Haus auf Sand zu bauen, die Mühe und Arbeit auf sich zu nehmen, dagegen den Nutzen und die Ruhe zu verlieren, und sich statt dessen noch Strafe zuzuziehen? Dass auch die Sünder sich abmühen müssen, ist ja ganz bekannt; denn auch Räuber, Ehebrecher, Verleumder haben viele Anstrengungen und Mühseligkeiten durchzumachen, um ihre Missetaten auszuführen. Aber von all ihren Mühen haben sie nicht nur keinen Nutzen, sondern werden noch ganz gehörig dafür gezüchtigt. Darauf hat auch der hl. Paulus hingewiesen mit den Worten: "Wer auf sein Fleisch säet, wird auch von seinem Fleische Verderben ernten" (Ga 6,8). Ganz ähnlich machen es diejenigen, die auf Sand bauen, d.h. die einen auf Unzucht, die anderen auf Schwelgerei, wieder andere auf Trunksucht, oder auf Zorn oder auf irgendein anderes Laster.



4.

Solch ein Mensch war z.B. Achab; nicht aber war so Elias. Wir stellen da nur Tugend und Laster einander gegenüber, um den Unterschied besser zu erkennen. Der eine baute also auf Felsen, der andere auf Sand. Deshalb fürchtete sich auch dieser und zitterte vor dem Propheten, obgleich er König war, während der andere nur einen Mantel aus Ziegenfellen trug. So waren auch die Juden, nicht aber die Apostel. Deshalb haben sich auch diese so hart wie Felsen gezeigt, obgleich sie so wenige waren und dazu noch in Fesseln lagen. Jene dagegen, die zahlreich und bewaffnet waren, zeigten sich schwach wie Sand. Sie fragten sich: "Was sollen wir mit diesen Menschen machen?" (Ac 4,16) Siehst du, wie ratlos sie sind, sie, die selbst nicht gefangen und gefesselt sind, sondern andere in ihrer Gewalt haben und sie in Fesseln schlagen? Gibt es wohl etwas so Unerhörtes wie das? Du hast die anderen in deiner Gewalt und weißt dir nicht zu helfen? Ja, so mußte es auch sein. Da sie eben alles auf Sand gebaut hatten, waren sie auch schwächer als alle anderen. Deshalb sagten sie auch ein anderes Mal "Was tut ihr denn? Wollt ihr das Blut dieses Menschen über euch bringen?" (Ac 5,28). Was? sage ich. Du teilst Geißelhiebe aus und fürchtest dich? Du begehst Unrecht und empfindest Angst? Du richtest und zitterst dabei? Ja, so schwach ist eben das Böse. Die Apostel hingegen waren nicht so; sondern wie antworten sie? "Wir sind nicht imstande, das nicht zu verkünden, was wir gesehen und gehört haben" (LC 9,9

   Den Ausdruck: "Ich habe getötet" gebraucht er nicht aus Überhebung, sondern um seine Angst zu beschwichtigen und weil er seinem verwirrten Gemüt in Erinnerung bringen wollte, dass ja er selbst es war, der ihn hatte töten lassen. So groß ist eben die Macht der Tugend, dass sie selbst nach dem Tode noch stärker ist als die Lebendigen. Deshalb kamen ja auch schon zu Lebzeiten des Johannes die Reichen zu ihm und fragten: "Was müssen wir tun?" (Lc 3,10 Lc 3,12) Also ihr seid reicht und wollt von dem, der gar nichts hat, wissen, auf welchem Weg ihr glücklich werden könnt? Die Reichen kommen zu den Armen! Soldaten zu den, der nicht einmal ein Obdach hat! Ein solch tugendhafter Mann war auch Elias. Deshalb sprach auch er mit demselben Freimut zu dem Volke. Johannes sagte: "Ihr Vipernbrut" (Mt 3,7), er ruft: "Wie lange werdet ihr noch auf euren beiden Knien hinken?" (1R 18,21) Ebenso sprach Elias: Du hast getötet und zu dir genommen" (1R 21,19), Johannes dagegen: "Es ist dir nicht erlaubt, die Frau deines Bruders zu haben" (Mt 14,4). Siehst du da den Felsen? Siehst du den Sand, wie leicht er fällt, wie er im Unglück nachgibt? Wie er zunichte wird, auch wo es sich um Könige handelt, oder um eine Volksmenge, oder um Machthaber? Er macht eben alle zu schwach, die auf ihn bauen. Auch ist es mit dem bloßen Einsturz nicht genug; meistens geschieht dabei noch ein großes Unglück.

   V.27: "Denn", sagt der Herr, "sein Fall war groß." 

   Es ist ja auch nichts Geringes, was hier in Gefahr schwebt; es handelt sich um die Seele und um den Verlust des Himmelreiches mit seinen ewigen Gütern. Aber auch schon vorher muß der, der dem Bösen nachgeht, ein ganz elendes Leben führen in steter Begleitung von Furcht, Mutlosigkeit, Sorgen und Kämpfen. Das hat auch ein weiser Mann angedeutet mit den Worten: "Der Gottlose flieht, ohne dass ihn jemand verfolgt" (Pr 18,1). Solche Leute zittern vor Schatten, sind voll Argwohn gegen Freunde, Feinde, Diener, Bekannte und Unbekannte, und leiden schon hienieden die schwersten Strafen, noch bevor sie von denen im Jenseits betroffen werden. Alles das hat uns Christus geoffenbart in den Worten: "Und sein Fall war groß." Damit hat er seiner herrlichen Ermahnung ein passendes Ende gegeben, und selbst die ganz Ungläubigen durch den Hinweis auf die gegenwärtigen und sichtbaren Dinge dazu angeregt, das Böse zu meiden. Denn wenn er auch mehr vom Jenseits redete, auf die Hartherzigen macht doch gerade dies noch am meisten Eindruck und ist am ehesten geeignet, uns vom Bösen abzuhalten. Deshalb hat er auch damit geschlossen, auf dass sie dies noch frisch in Erinnerung und so auch Nutzen davon hätten. Laßt uns also dies alles in Erwägung ziehen, das Zeitliche und das Ewige, und fliehen wir das Böse, streben wir nach Tugend, damit wir uns nicht umsonst abmühen, sondern sowohl auf dieser Welt in Ruhe und Sicherheit leben, als auch die Herrlichkeit der anderen Welt erlangen, deren wir alle teilhaft werden mögen durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem Ehre und Macht gebührt in alle Ewigkeit. Amen!





Fünfundzwanzigste Homilie Kap. VII, V.28 - Kap VIII, V.4.

25 Mt 7,8-8,4
1.

V.28: "Und es geschah, als Jesus diese seine Reden beendet hatte, da ward die Menge über seine Lehre erstaunt." 

   Es wäre richtiger gewesen, wenn sie über den Ernst der Rede betrübt gewesen wären, und vor Schrecken gleichsam erstarrt ob der Erhabenheit seiner Vorschriften. Dafür war aber auch der Eindruck des Lehrmeisters so gewaltig, dass er viele von seinen Zuhörern gewann, sie zur größten Bewunderung anregte und durch seine herrlichen Worte sie dazu brachte, dass sie auch am Schlusse seiner Rede nicht von ihm fortgingen. So verließen ihn seine Zuhörer auch dann nicht, als er vom Berge herabstieg, sondern die ganze Schar folgte ihm; so groß war die Liebe, die er ihnen für seine Lehre eingeflößt hatte. Am meisten aber bewunderten sie seine Macht. Denn was er sagte, bezog er nicht, wie die Propheten und wie Moses getan, auf einen anderen, sondern ließ überall erkennen, dass er selbst derjenige sei, der diese Macht besitzt. Wenn er eine Vorschrift gab, so setzte er immer voraus: "Ich aber sage euch." Und wo er an jenen Tag[293] erinnerte, gibt er sich selbst als den Richter zu erkennen, der über die Strafe wie über die Belohnung entscheidet. Und doch hätten seine Zuhörer eigentlich auch darüber erschrecken müssen. Wenn die Schriftgelehrten ihn steinigen wollten und ihn verjagten, als sie sahen, wie er durch Taten seine Macht bezeugte, wie hätten da seine Zuhörer nicht Ärgernis nehmen sollen, wo er dieselbe nur durch Worte kundtat, zumal da er solches gleich im Anfang sagte, noch bevor er einen tatsächlichen Beweis seiner Macht erbracht hatte? Gleichwohl taten sie nichts von all dem. Wenn eben die Seele und der Geist rechtschaffen gesinnt sind, so lassen sie sich durch die Worte der Wahrheit leicht überzeugen. Deshalb nahmen jene Ärgernis, obwohl die Wunderzeichen seine Macht erwiesen; diese glaubten und folgten ihm, wenn sie gleich nur seine Worte hörten. 

   Darauf hat auch der Evangelist hingedeutet, wenn er sagte: "Es folgte ihm eine große Menge Volkes"; freilich keiner von den Oberpriestern, keiner von den Schriftgelehrten, sondern nur jene, die von Sündhaftigkeit frei waren, und eine unbestechliche Gesinnung hegten. Solche Leute sieht man aber durch das ganze Evangelium hindurch dem Herrn zugetan. Wenn er redete, hörten sie schweigend zu; sie machten keine Einwände, sie unterbrachen seine Rede nicht, sie stellten ihn nicht auf die Probe und suchten keine Handhabe gegen ihn zu finden wie die Pharisäer; und auch nach seiner Predigt folgten sie ihm wieder voll Bewunderung. Du aber beachte die Weisheit des Herrn, wie er auf so viele Weise auf den Nutzen seiner Zuhörer bedacht ist, und bald von den Wundertaten zur Predigt übergeht, bald auf die mündliche Belehrung Wundertaten folgen läßt. So z.B. hat er viele geheilt, bevor er auf den Berg hinaufstieg, und hat sie dadurch auf seine Predigt vorbereitet; und nachdem er die große Predigt beendigt hatte, schickte er sich wieder an, Wunder zu wirken, und bekräftigte so seine Worte durch die Tat. Da er eben lehrte, wie einer, der Macht besitzt, so wollte er dem Verdachte entgehen, als lehre er nur so aus Stolz und Prahlerei. Deshalb hat er die Worte auch durch seine Taten bestätigt und hat geheilt wie einer, der Macht hat. Sie sollten eben in Zukunft nicht mehr verwirrt werden, wenn sie ihn in dieser Weise lehren sähen, da ja auch seine Wunderzeichen der gleichen Macht entsprachen. 

   Kap. VIII. V.1: "Da er nämlich vom Berge herabstieg, kam ein Aussätziger auf ihn zu und sagt: Herr, wenn Du willst, kannst Du mich rein machen." 

   Groß war die Einsicht und der Glaube dieses Aussätzigen. Er hat die Predigt nicht unterbrochen, hat das Schauspiel nicht gestört; er wartete auf den rechten Augenblick und näherte sich dem Herrn, als dieser vom Berg herunterstieg. Auch bringt er seine Bitte nicht so einfachhin vor, sondern fleht mit vieler Inbrunst, und wie ein anderer Evangelist (Mc 1,40) sagt, zu seinen Füßen hingeworfen, mit aufrichtigem Glauben und geziemender Ehrfurcht. So sagte er nicht zum Herrn: Wenn Du Gott bittest, noch auch: Wenn du willst, sondern: "Wenn du willst, kannst du mich rein machen." Auch sagte er nicht: Herr, mach mich rein, sondern stellt alles ihm anheim, überläßt ihm die Entscheidung über sein Anliegen, schreibt alle Macht ihm zu. Wie aber dann, fragst du, wenn die Meinung des Aussätzigen irrig gewesen wäre? Dann hätte man sie ihm nehmen und ihn aufklären und belehren müssen. Hat nun der Herr dies getan? Durchaus nicht; vielmehr das gerade Gegenteil. Er bestätigte und bekräftigte seine Worte. Deshalb sagte er auch nicht: Sei rein, sondern:

   V.3: "Ich will, sei rein", damit so nicht mehr die Meinung des Aussätzigen, sondern der Ausspruch des Herrn für die Glaubenswahrheit bürge. Die Apostel hingegen machten es nicht so. Vielmehr wie? Als bei ihnen das ganze Volk in Verwunderung geraten war, sagten sie: "Was schaut ihr uns an, als hätten wir aus eigener Kraft und Macht bewirkt, dass dieser da geht? (Ac 3,12). Der Herr dagegen, der doch oftmals aus Demut Dinge von sich gesagt hatte, die seiner göttlichen Würde nicht entsprachen, wollte hier den Glauben derer bestätigen, die ihn ob seiner Macht bewunderten. Und wie sagt er deshalb? "Ich will, sei rein." Obgleich er sonst so viele und große Wunder gewirkt hatte, nirgends findet man, da0 er dieses Wort gebraucht hätte.



2.

Hier wollte also der Herr die Ansicht, die das ganze Volk, sowie der Aussätzige von seiner Macht hatten, bekräftigen, und deshalb schickte er dieses Wörtlein voraus: "Ich will." Auch blieb es nicht bei diesem Worte, ohne dass ihm die Tat gefolgt wäre; denn auch diese traf alsbald ein. Wäre es aber nicht recht gewesen, so zu sprechen, hätten des Aussätzigen Worte eine Gotteslästerung enthalten, so hätte man der Sache alsbald Einhalt gebieten müssen. In der Tat aber gehorchte die Natur dem Befehle des Herrn und zwar mit entsprechender Schnelligkeit, ja schneller noch, als der Evangelist es sagen konnte. Denn das "alsbald" ist viel langsamer gesprochen, als die Raschheit, mit der das Wunder geschah. Indes sagte Christus nicht einfach: "Ich will", sondern er streckte auch noch die Hände aus und faßte ihn an."Hier ist es wohl am Platze, eine Frage zu stellen. Wie kommt es, dass der Herr den Aussätzigen zuerst durch seinen Willen und sein Wort gereinigt hat, und dann überdies ihm noch seine Hand reichte? Ich glaube, er tat dies aus keinem anderen Grunde, als um auch daran zu zeigen, dass er nicht unter, sondern über dem Gesetze stehe, und dass es überhaupt für den Reinen nichts Unreines gibt. Deshalb hat auch Elisäus den Neheman nicht angesehen, und obwohl er merkte, dass jener sich darüber ärgerte, weil er nicht herauskam und ihm die Hand reichte, hielt er sich doch streng an das Gesetz, blieb im Hause und schickte ihn zum Jordan, damit er sich darin wasche. Dagegen wollte der Herr zeigen, dass er nicht als Untergebener, sondern als Herr die Heilung bewirkte, und reichte deshalb dem Aussätzigen die Hand. Diese wurde eben nicht durch den Aussatz unrein, sondern der aussätzige Leib ward durch die heilige Hand rein. Der Herr war ja nicht bloß gekommen, um Leiber zu heilen, sondern um auch die Seele zur höheren Weisheit zu führen. Wie er also einerseits nicht mehr verbot, mit ungewaschenen Händen zu essen, sondern jenes vorzügliche Gesetz einführte, nach dem man keinen Unterschied in den Speisen mehr zu machen braucht, so gab er uns auch hier die Lehre, dass man sich um die Seele bekümmern solle, dass wir nach der Befreiung von jenen äußerlichen Waschungen vielmehr die Seele reinigen und nur den seelischen Aussatz fürchten sollen, der da die Sünde ist; denn körperlich aussätzig sein, ist kein Hindernis für die Tugend. Deshalb berührt er selbst zuerst den Aussätzigen und niemand macht ihm darob einen Vorwurf. Es waren eben keine unehrlichen Richter da und keine neiderfüllten Zuschauer. Deshalb haben sie ihn auch nicht bloß nicht angeklagt, sondern gerieten vielmehr in Staunen ob des Wunders, wichen zurück, und anerkannten seine durch Wort und Tat bewiesene unüberwindliche Macht. Nachdem also der Herr den Leib des Aussätzigen geheilt hatte, befahl er ihm

   V.4: "niemand etwas zu sagen, sondern sich dem Priester zu zeigen und die Opfergabe darzubringen, die Moses vorgeschrieben hatte, zum Zeugnis für sie." 

   Da sagen nun einige, der Herr habe ihm deshalb befohlen, niemand etwas zu sagen, damit die Priester bei der Untersuchung der Reinheit keinen bösen Willen zeigten. Doch ist es sehr töricht, so etwas zu vermuten. Der Herr hat ja den Aussätzigen nicht so gereinigt, dass noch irgendein Zweifel an der Reinheit bestehen konnte; vielmehr hieß er ihn niemand etwas davon sagen, weil er uns damit die Lehre geben wollte, niemals Ruhm und Ehre zu suchen. Er wußte ja ohnehin, dass jener nicht gehorchen, sondern laut seinen Wohltäter preisen würde; gleichwohl tut er, was an ihm liegt. Warum aber hat er bei einem anderen Falle befohlen, davon zu reden? Damit kommt er noch nicht in Widerspruch und in Gegensatz mit sich selbst; damals wollte er uns eben Dankbarkeit lehren, hat er ja doch auch damals den Geheilten nicht befohlen, ihn zu preisen, sondern Gott die Ehre zu geben. Durch diesen Aussätzigen hat er uns also den Stolz und die Ruhmsucht untersagt, durch jenen hat er uns zur Dankbarkeit und zu guter Gesinnung angeleitet und hat uns ermahnt, bei allem, was geschieht. dem Herrn die Ehre zu geben. Da eben die meisten Menschen sich wohl an Gott erinnern, wenn sie krank sind, ihn aber vergessen, sobald sie gesund geworden, so befiehlt er uns, immerdar, in Krankheit und Gesundheit den Herrn vor Augen zu haben. Deshalb sagte er: "Gib Gott die Ehre" (Jn 9,24). 

   Weshalb befahl aber der Herr dem Geheilten, sich nicht bloß dem Priester zu zeigen, sondern auch seine Gabe darzubringen? Auch hierin wollte er wieder das Gesetz erfüllen. Er hat es nämlich weder in allen Punkten aufgehoben, noch in allen Stücken erfüllt, sondern das eine Mal so gehandelt, das andere Mal anders. Durch das eine hat er seiner zukünftigen Lehre die Wege gebahnt, durch das andere aber die frechen Zungen der Juden im Zaume gehalten, und hat sich doch gleichzeitig ihrer Schwachheit anbequemt. Indes, was wunderst du dich denn, dass der Herr im Anfang sich also verhielt? Sehen wir ja doch, dass selbst die Apostel das Gesetz einmal beobachtet, ein andermal übertreten haben, nachdem sie doch schon den Befehl erhalten hatten, unter die Heiden zu gehen, der ganzen Welt die Tore ihrer Lehre zu öffnen, die des Gesetzes zu schließen, alles zu erneuern und den ganzen Alten Bund aufhören zu lassen. Aber, sagst du, was hat das mit der Beobachtung des Gesetzes zu tun, wenn er sagt: "Zeige dich dem Priester"? Gar nicht wenig. Es bestand nämlich von Alters her die Vorschrift, dass ein geheilter Aussätziger nicht selbst die Untersuchung und Bestätigung der Reinheit vornehme, sondern vor dem Priester erscheine, durch dessen persönliche Inaugenscheinnahme seine Heilung bestätigen lasse, und durch sein Urteil den Reinen zugewiesen werde. Hätte nämlich der Priester nicht bestätigt, dass der Aussätzige rein sei, so hätte er noch mit den Unreinen außerhalb des Lagers bleiben müssen. Darum sagte der Herr: "Zeige dich dem Priester und bringe die Gabe dar, die Moses vorgeschrieben hat."Er sagte nicht: die ich vorschreibe, sondern er verweist noch auf das Gesetz, um so die Juden auf jede Weise zum Schweigen zu bringen. Damit sie nämlich nicht sagen könnten, er habe die Autorität der Priester beeinträchtigt, so hat er selbst die Wundertat vollbracht, die Prüfung aber jenen zugewiesen und sie selbst zu Richtern über seine eigene Wundertat bestellt. Denn, so will er gleichsam sagen, ich bin so weit entfernt, Moses oder die Priester zu bekämpfen, dass ich im Gegenteil auch noch diejenigen zum Gehorsam gegen sie anleite, denen ich eine Wohltat erwiesen habe.



3.

Was bedeuten aber die Worte: "Zum Zeugnis für sie"? Zum Tadel, zum Beweis, zur Anklage, wenn sie nicht tun, was recht ist. Da nämlich die Priester gesagt hatten: Wir verfolgen ihn, weil er ein Verführer und Betrüger ist, ein gottloser Mensch und ein Feind des Gesetzes, so sagt er[294] : Du wirst mir Zeugnis geben an jenem Tage, dass ich kein Gesetzesverächter bin. Denn nachdem ich dich geheilt habe, überwies ich dich dem Gesetze und der Prüfung durch die Priester; das beweist, dass ich das Gesetz achte, Moses hochschätze und den Satzungen des Alten Bundes nicht entgegen bin. Wenn aber auch die Juden keinen Nutzen für sich daraus ziehen wollten, so könnte man doch an sich wenigstens daraus ersehen, wie sehr der Herr das Gesetz achtete; er wußte ja, dass die Priester keinen Nutzen daraus ziehen würden, aber dennoch hat er alles erfüllt, was an ihm lag. Er wußte ja gerade dies zum voraus und sagte es auch vorher. Er sagte nämlich nicht: zu ihrer Besserung, noch: zu ihrer Belehrung, sondern: zum Zeugnis für sie, das heißt, zur Anklage, zur Überführung, zum Beweis, dass alles geschehen, was an mir lag. Und obgleich er vorher wußte, dass sie unverbesserlich blieben, hat er doch auch so nicht unterlassen, zu tun, was vorgeschrieben war. Jene aber verharrten auch ferner in ihrer eigenen Bosheit. 

   Dasselbe hat der Herr auch anderswo bezeugt mit den Worten:"Es wird das Evangelium auf dem ganzen Erdkreis verkündet werden zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird das Ende kommen" (Mt 24,14), nämlich für die Völker, die nicht auf ihn hörten, die sich ihm nicht unterwarfen. Damit eben keiner sage: Weshalb predigst du allen, wenn doch nicht alle auf dich hören werden? so antwortet er ihnen gleichsam zum voraus: damit man sieht, dass ich alles getan habe, was an mir lag, und mir nachher keiner den Vorwurf machen könne, er habe nichts gehört. Die Predigt selbst wird gegen sie Zeugnis ablegen, und sie werden wohl daraufhin nicht mehr sagen können, wir haben nichts gehört; denn:"Bis an die Grenzen der Erde ist die Verkündigung des Wortes Gottes gedrungen" (Ps 18,5).



4.

Das wollen also auch wir erwägen, und wollen auch unsererseits all unsere Pflichten gegen den Nächsten erfüllen und Gott für alles Dank sagen. Es wäre ja unvernünftig, wenn wir jeden Tag Gottes Wohltaten zwar genössen, aber unserem Danke nicht durch ein Wort Ausdruck verleihen wollten, obwohl diese Dankesbezeigung uns auch ihrerseits wieder Nutzen bringt. Es ist ja nicht Gott, der irgend etwas von dem bedürfte, was wir besitzen, vielmehr haben wir alles das notwendig, was sein Eigen ist. Unsere Danksagung bringt ja ihm gar keinen Nutzen, während sie uns vertrauter mit ihm macht. Wenn wir uns an die Wohltaten erinnern, die Menschen uns erwiesen, so wird dadurch unsere Liebe noch größer. Um so mehr noch wird uns das beständige Andenken an die Wohltaten, die Gott uns erwiesen, zu noch größerem Eifer in der Beobachtung seiner Gebote anregen. Deshalb hat auch Paulus gesagt:"Seid dankbar!" (Col 3,15). Der beste Mahner zur Dankbarkeit ist eben das Andenken an die empfangene Wohltat und die immerwährende Danksagung. Deshalb werden ja auch die heiligen, Schauer erregenden Geheimnisse, die uns so reichliches Heil bringen, und die wir in jedem Gottesdienst vollziehen, Eucharistie genannt. Sie sind eben eine Erinnerung an gar viele Wohltaten, weisen uns auf den Hauptpunkt der göttlichen Fürsorge hin, und regen uns in jeder Beziehung zur Dankbarkeit an. Wenn schon die Geburt aus der Jungfrau ein so großes Wunder war, dass der Evangelist voll heiligen Staunens sagte: "Das alles ist geschehen" (Mt 1,22), was sollen wir dann erst von seinem Opfertode denken? Wenn der Evangelist für die Geburt die Worte gebraucht: "das alles", was soll man dann darüber sagen, dass der Herr gekreuzigt wurde, sein Blut vergoß, und sich selbst uns zur Speise gegeben und zum geistigen Mahle? Danken wir also unaufhörlich dem Herrn! Danksagung soll all unserem Reden und Handeln vorausgehen! Danken wir aber nicht bloß für die Wohltaten, die wir selbst empfangen, sondern auch für die, welche anderen zuteil geworden! Auf diese Weise wird es uns möglich sein, nicht bloß den Neid zu unterdrücken, sondern auch die Liebe zu kräftigen und zu veredeln. Da wirst du keinen Neid mehr gegen diejenigen empfinden können, für die du dem Herrn Dank sagst. Deshalb fordert uns auch der Priester in Gegenwart jenes Opferlammes auf, Dank zu sagen für die ganze Welt, für die Vergangenheit, für die Gegenwart, für das, was früher geschehen, und das, was erst später über uns kommen soll. Das schält uns von der Erde los, weist uns auf den Himmel hin und macht uns aus Menschen zu Engeln. Denn auch die Engelchöre danken Gott für die Wohltaten, die er uns Menschen erwiesen, und singen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede sei auf Erde, Eintracht unter den Menschen!" (Lc 2,14). Allein, was haben wir mit den Engeln zu tun, die nicht auf Erden leben und nicht einmal Menschen sind? Gar vieles; denn so wurden wir unterrichtet, unsere Mitgeschöpfe zu lieben und das Gute, das sie besitzen, wie unser eigenes zu betrachten. 

   Deshalb dankt auch Paulus in allen seinen Briefen für all das Gute, das der Welt widerfuhr. Ebenso sollen auch wir immerdar für unser eigenes Wohl danken, wie auch für das anderer, danken für kleine und auch große Wohltaten. Denn wenn auch die Gabe klein sein sollte, sie wird groß dadurch, dass Gott sie spendet, oder besser gesagt, es ist überhaupt nichts klein, was von Gott kommt, nicht bloß deshalb, weil er es gibt, sondern auch in sich selbst betrachtet. Um alle anderen Wohltaten zu übergehen, deren Zahl ja die Menge des Sandes am Meere übertrifft: Was kommt der Fürsorge gleich, die Gott uns zuteil werden ließ? Was ihm unter allen Dingen am kostbarsten war, seinen eingeborenen Sohn, ihn hat er für uns, seine Feinde, hingegeben! Ja, nicht bloß hingegeben hat er ihn, sondern ihn außerdem auch nur für uns zum Mahle bereitet, und hat auch selber alles für uns getan, hat uns nicht bloß das Geschenk selbst gegeben, sondern dazu auch die dankbare Gesinnung dafür. Da einmal der Mensch in den meisten Fällen undankbar ist, so besorgt und bereitet er selbst für uns das, was wir brauchen. Und das gleiche, was er bei den Juden getan, die er durch bestimmte Orte, Zeiten und Feste an die empfangenen Wohltaten erinnerte, dasselbe hat er auch hier getan, und hat uns durch die Natur dieses Opfers zum immerwährenden Andenken an diese Wohltat angeregt. So hat sich also niemand soviel Mühe gegeben, um uns angesehen und groß zu machen und uns mit dankbarer Gesinnung für alles zu erfüllen, als eben Gott, unser Schöpfer. Deshalb erweist er uns oft Wohltaten selbst gegen unseren Willen, und so, dass wir die meisten nicht einmal kennen. 

   Wenn du dich aber wunderst über meine Worte, so will ich dir an keinem geringeren Beispiel, als an dem des hl. Paulus zeigen, wie dies wirklich so ist. Dieser große Heilige befand sich in vielfachen Gefahren und Trübsalen, und oft bat er, Gott möchte ihn von seinen Heimsuchungen befreien. Gleichwohl hörte Gott nicht auf seine Bitte, sondern hatte nur dessen größeren Nutzen im Auge. Das gab er kund mit den Worten: "Es genügt dir meine Gnade, denn meine Macht zeigt ihren Höhepunkt gerade in der Schwachheit" (2Co 12,9). Also bevor er ihm einen Grund angab, erweist er ihm eine Wohltat, auch ohne dass Paulus es will und weiß. Was verlangt er also Großes von uns, wenn er will, dass wir für eine so große Fürsorglichkeit dankbar seien? Entsprechen wir also seinen Absichten und seien wir dankbar in allem. Auch die Juden hat ja nichts so sehr ins Verderben geführt als die Undankbarkeit, und nichts anderes als sie hat die bekannten mannigfachen und häufigen Unglücksfälle über dieselben gebracht. Ja, schon vor jenen Unglücksfällen hat die Undankbarkeit ihre Seelen verdorben und zugrunde gerichtet. "Denn die Hoffnung des Undankbaren ist wie der Reif des Winters" (Sg 16,29). Die Undankbarkeit macht die Seele so starr und tot, wie der Reif den Leib. Doch kommt diese Undankbarkeit nur von unserem Unverstand her, und weil wir glauben, wir hätten irgendeine Wohltat verdient. Wer dagegen ein zerknirschtes Herz hat, wird Gott nicht nur für das Gute Dank wissen, sondern auch für das, was das Gegenteil davon zu sein scheint, und soviel er auch zu leiden hat, er wird nicht glauben, etwas Unverdientes erfahren zu haben. So sollen also auch wir um so mehr Bußgesinnung hegen, je mehr wir in der Tugend Fortschritte machen, denn gerade darin besteht die Tugend. Je schärfer unsere[295] Augen sind, um so besser werden wir sehen, wie weit der Himmel von uns entfernt ist, und je mehr wir in der Tugend fortschreiten, um so mehr werden wir erfahren, welch ein Unterschied ist zwischen Gott und uns. Das ist aber kein geringes Maß von Weisheit, wenn wir imstande sind, unseren wirklichen Wert zu erkennen. Denn der kennt sich selbst am besten, der sich selbst für nichts hält. 

   Deshalb haben auch David und Abraham gerade damals am geringsten von sich gedacht, da sie die höchste Höhe der Tugend erstiegen hatten. Da nannte sich der eine Staub und Asche (Gn 18,27), der andere einen Wurm (Ps 21,7). Gleich ihnen verdemütigten sich aber auch alle anderen Heiligen. Es kennt also gerade der sich selbst an wenigsten, der in ruhmredige Selbstüberhebung verfällt. Auch kommt es gerade von diesem allgemeinen Empfinden, dass wir von eitlen Menschen zu sagen pflegen: Er kennt sich selbst nicht, er weiß nicht, wie es mit ihm steht. Wer aber sich selbst nicht kennt, wen soll der dann überhaupt kennen? Wer sich selbst kennt, kennt alles; wem aber die Selbsterkenntnis fehlt, der kann auch andere nicht verstehen. So ging es z.B. jenem, der da sagte: Über den Himmeln will ich meinen Thron errichten" (Is 14,13). Da dieser sich selbst nicht kannte, so hatte er auch in allen anderen Dingen keine Einsicht. 

   Anders war es bei Paulus. Er nannte sich aber auch den Auswurf (1Co 15,8) und den Geringsten unter den Heiligen (Ep 3,8) <=Christen>, ja er hielt sich selbst nicht für würdig, Apostel genannt zu werden, nachdem er doch schon so Vieles und Großes[296] vollbracht hatte (1Co 15,9). Ihn sollen wir also zum Vorbild nehmen, ihn nachzuahmen suchen. Wir werden dies aber auch so tun, wenn wir uns von der Welt und allen irdischen Dingen losschälen. Nichts hindert ja so sehr die Selbsterkenntnis, als die Anhänglichkeit an die irdischen Dinge; und nichts anderes bewirkt diese Anhänglichkeit so schnell und sicher, als wenn man sich selbst nicht mehr kennt. Das eine ist hier die Folge des anderen. Derjenige, der weltlichen Ruhm liebt und die eitlen Dinge für etwas Großes hält, wird nie dazu kommen, sich selbst zu erkennen, und gäbe er sich auch tausendfache Mühe: umgekehrt wird derjenige, der all dies verachtet, mit Leichtigkeit zur Selbsterkenntnis gelangen. Nachdem er aber sich selbst einmal erkannt hat, wird er auch alle anderen noch übrigen Tugenden sich erwerben. Um also diese nützliche Erkenntnis zu erlangen, wollen wir uns von all den vergänglichen Dingen lossagen, die eine solche Leidenschaft in uns entfachen, wollen unsere eigene Armseligkeit erkennen, und uns in Demut und Frömmigkeit bewähren, auf dass wir der zeitlichen und ewigen Güter teilhaft werden mögen durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem mit dem Vater und dem Hl. Geiste Ehre, Macht und Ruhm sei jetzt und immer und in alle Ewigkeit. Amen!






Kommentar zum Evangelium Mt 24