Kommentar zum Evangelium Mt 27

Siebenundzwanzigste Homilie. Kap VIII, V.14-22.

27 Mt 8,14-22
1.

V.14: "Und als Christus in das Haus des Petrus gekommen war, sah er dessen Schwiegermutter krank am Fieber darniederliegen;

   V.15: und er nahm sie bei der Hand und das Fieber verließ sie; und sie stand auf und bediente ihn." 

   Markus fügt auch noch das Wort "alsbald" hinzu, da er auch die Zeit bestimmen wollte (Mc 1,29). Matthäus erzählt nur die bloße Wundertat, ohne Angabe der Zeit. Ja die anderen Evangelisten erzählen, die Kranke habe ihn sogar rufen lassen (Mc 1,30 u. Lc 4,38). Auch das verschwieg Matthäus. Hierin liegt aber kein Widerspruch; vielmehr wollte der eine sich kurz fassen, der andere die Sache ausführlich erzählen. Weshalb kam aber der Herr in das Haus des Petrus? Ich glaube, er wollte am Mahle teilnehmen; wenigstens weist der Evangelist darauf hin mit den Worten: "Sie stand auf und bediente ihn." Bei seinen Jüngern pflegte er sich aufzuhalten, wie auch bei Matthäus nach dessen Berufung (Mt 9,10), um sie zu ehren und sie auf diese Weise zutraulicher zu machen. Du aber beachte auch hier wieder die Ehrfurcht, die Petrus für Jesus hatte. Da seine Schwiegermutter zu Hause an heftigem Fieber krank lag, da zog er ihn nicht in sein Haus, sondern wartete, bis der Herr seine Unterweisung beendet hatte, und alle anderen zuerst geheilt waren; dann erst trug er ihm seine Bitte vor, nachdem er schon ein Haus betreten hatte. So wurde er von Anfang an dazu erzogen, die Interessen der anderen den seinigen vorzuziehen. Auch war nicht er es, der den Herrn hereinführte, sondern der Herr kam selbst und aus eigenem Antriebe, nachdem der Zenturio gesagt hatte: "Ich bin nicht würdig, dass Du mein Haus betretest" (Mt 8,8). Er zeigte dadurch, wie sehr er dem Jünger zugetan war. Da bedenke auch, was das für Häuser waren, die diesen Fischern gehörten. Gleichwohl verschmähte es der Herr nicht, diese armseligen Hütten zu betreten. Er wollte dir damit die Lehre geben, in allem den menschlichen Stolz mit Füßen zu treten. Auch bewirkte er seine Heilungen bald mit bloßen Worten, bald streckte er auch seine Hand aus, bald tut er beides, um so die Aufmerksamkeit auf die Heilung zu ziehen. Er wollte eben solche Wunder nicht immer unter großem Aufsehen wirken. Er mußte es zunächst noch mehr geheim halten, besonders in Gegenwart der Jünger, die aus lauter Freude alles ausposaunt hätten. Das ergibt sich klar aus dem Umstand, dass er seinen Jüngern nach dem Aufstieg auf den Berg noch einschärfen mußte, dass sie niemandem etwas davon sagten (Mt 17,9). 

   Er berührte also den Leib der Kranken und löschte damit nicht nur den Fieberbrand, sondern gab ihr auch die volle Gesundheit wieder zurück. Da es sich nur um eine leichte Krankheit handelte, so hat er seine Macht mehr durch die Art und Weise der Heilung gezeigt. Ärztliche Kunst hätte ja doch das nicht zustande gebracht. Ihr wißt ja wohl, dass man auch dann, wenn man fieberfrei geworden ist, infolge der Ermattung noch lange Zeit braucht, bis man die frühere Gesundheit wieder erlangt hat. Damals ging aber alles in einem Augenblick vor sich; und nicht nur hier, sondern auch bei dem Meeressturm. Auch dort hat der Herr die Winde und den Sturm nicht bloß beruhigt, sondern brachte die Wogen in einem Augenblick zum Stillstand; und auch das war etwas Außergewöhnliches. Denn wenn auch ein Sturmwind sich legt, die Gewässer bleiben doch noch lange Zeit in Bewegung. Bei Christus aber war es nicht so; er bewirkte alles auf einmal. Also machte er es nun auch hier bei dieser Frau. Das wollte auch der Evangelist hervorheben, wenn er sagt: "Sie stand auf und bediente ihn." Darin zeigt sich sowohl die Macht Christi, als auch die dankbare Gesinnung, welche die Frau gegen den Herrn bekundete. Noch etwas anderes können wir aus diesem Wunder ersehen: Dass nämlich Christus um des Glaubens willen, den der eine hat, einem anderen die Heilung gewährt. Auch hier haben ihm ja andere die Bitte vorgebracht, ebenso wie bei dem Knechte des Hauptmannes. Er erhört aber die Bitte, wenn der, den er heilen will, nicht ungläubig und nur durch Krankheit verhindert ist, zu ihm zu kommen, oder aus bloßer Unwissenheit nicht die entsprechende hohe Meinung von ihm hat, oder er noch zu jung ist.

   V.16: "Da es aber Abend geworden war, brachten sie viele Besessene zu ihm und er trieb durch sein Wort die bösen Geister von ihnen aus, und alle, die an einer Krankheit litten, heilte er,

   V.17: auf dass in Erfüllung gingen die Worte des Propheten Isaias: Unsere Schwachheiten nahm er auf sich und trug selbst unsere Krankheiten." 

   Siehst du, wie der Glaube der Leute bereits im Wachsen begriffen war? Sie hielten es nicht für unzeitig, ihre Kranken noch am Abend daherzubringen. Da beachte aber auch, welche Menge von Geheilten die Evangelisten übergehen, ohne uns im Einzelnen alles zu berichten und zu erzählen; mit einem einzigen Wort fassen sie eine Unzahl von Wundern zusammen. Damit du aber nicht wieder ob der Größe des Wunders zu zweifeln beginnst, wenn du da hörst, wie Christus eine solche Menge Volkes und so viele Krankheiten in einem Augenblicke vollständig heilte, so bringt der Evangelist den Propheten als Zeugen für das Geschehene, und zeigt, dass uns für alles ein sehr gewichtiger Schriftbeweis zu Gebote steht, der nicht weniger wertvoll ist, als die Wunderzeichen selbst. So macht er darauf aufmerksam, dass auch Isaias dies vorausgesagt mit den Worten: "Er hat unsere Schwachheiten von uns genommen und unsere Krankheiten getragen."Er sagte nicht: Er hat sie zunichte gemacht, sondern: "er nahm sie auf sich und trug sie". Das scheint mir eher von den Sünden gemeint zu sein, in Übereinstimmung mit dem Prophetenwort des Johannes[307] : "Seht, das ist das Lamm Gottes, welches hinwegnimmt die Sünden der Welt!" (Jn 1,29).



2.

Wie kommt es nun, dass der Evangelist diese Worte auf Krankheiten bezieht? Entweder, weil er diese Beweisstelle im historischen Sinn versteht, oder um zu zeigen, dass die meisten Krankheiten von Sünden der Seele herrühren. Denn wenn die Hauptsache, der Tod selbst, in der Sünde seine Wurzel und seinen Ursprung hat, so ist dies noch viel eher bei der Mehrzahl der Krankheiten der Fall. Von der Sünde kommt es ja auch her, dass wir überhaupt leidensfähig sind,

   V.18: "Als aber Christus sich von einer so großen Menge Volkes umringt sah, gab er Befehl, ans andere Ufer zu fahren." 

   Siehst du, wie sehr er sich wieder aller Ruhmsucht abhold zeigt? Die anderen berichten, er habe den Dämonen befohlen, niemandem zu sagen, dass er der Christus sei (Lc 4,41 Mc 1,34). Matthäus erzählt, er habe die Volksmenge abgewiesen. Das hat er darum getan, um uns zur Maßhaltung anzuleiten, den Neid der Juden zu schonen und uns die Lehre zu geben, nichts aus eitler Ruhmsucht zu tun. Er wollte ja nicht bloß Leiber heilen, sondern auch der Seele die rechten Bahnen weisen und so zur[308] Weisheit anzuleiten. So hat er sich uns durch beides geoffenbart, durch Heilung der Krankheit und dadurch, dass er nichts der bloßen Schaustellung wegen getan. Das Volk war ihm eben vielfach sehr zugetan, war voll Liebe und Bewunderung für ihn und wollte ihn sehen. Denn wer hätte auch fortgehen wollen, solange er solche Wunder wirkte? Wer hätte nicht den Wunsch gehabt, auch nur einfach sein Antlitz zu sehen und den Mund, der solche Machtworte sprach? Er war eben nicht bloß bewundernswert, solange er Wunder wirkte; schon seine bloße Erscheinung war voll Liebe und Huld. Das hat auch der Prophet geoffenbart mit den Worten: "Er übertrifft an Schönheit die Söhne der Menschen" (Ps 44,3). Wenn dagegen Isaias sagt: "Er besaß weder Gestalt noch Schönheit" (Is 53,2), so meint er das entweder von der unaussprechlichen, unfaßbaren Schönheit der Gottheit, oder will damit auf Ereignisse des Leidens hinweisen und auf die Erniedrigung, die er erfuhr, als er am Kreuze hing, sowie auf die Demut und Niedrigkeit, die er sein ganzes Leben hindurch in allem gezeigt hat. 

   Doch befahl der Herr, nicht früher über das Meer zu setzen, bevor er nicht alle geheilt hätte. Sonst hätten es ja die Leute vielleicht nicht einmal zugegeben. Auch oben auf dem Berge harrten sie nicht bloß aus, solange er predigte, sondern folgten ihm auch dann noch, als er bereits aufgehört hatte zu reden. Ebenso drängten sie sich auch hier nicht bloß solange um ihn, als er Wunder wirkte, sondern auch nachher noch, weil ihnen schon der bloße Anblick seines Antlitzes heilsam und nützlich war. Denn wenn schon Moses ein verklärtes Antlitz hatte, und Stephanus wie ein Engel anzusehen war, wie muß dann nicht unser Herr damals ausgesehen haben? Vielleicht ist jetzt in manchen schon der Wunsch entstanden, jenes Bild zu sehen. Doch, wenn wir wollen, können wir etwas viel Besseres sehen als das. Wenn wir unser irdisches Leben in der rechten Weise zubringen, dann werden wir ihm in den Wolken begegnen, ihm entgegengehen in einem unsterblichen, unverweslichen Leibe (1Th 4,17). Beachte auch, wie der Herr das Volk nicht so ohne weiteres verabschiedete, um die Leute nicht zu verletzen. Er sagt nicht einfach: "Gehet fort", sondern er hieß sie ans andere Ufer übersetzen und weckt so in ihnen die Erwartung, er werde sicher auch dahin kommen. Eine so große Liebe zeigte die Menge für ihn und folgte ihm mit der größten Anhänglichkeit. Einer aber aus ihnen, ein Sklave des Geldes, der ein ganz anmaßender Mensch war, ging auf den Herrn zu und sagte:

   V.19: "Meister, ich will Dir folgen, wo immer Du hingehst." 

   Seht ihr, wie aufgeblasen er war? Er wollte eben nicht zum gewöhnlichen Volke gerechnet werden, sondern zeigen, dass er über die große Menge erhaben sei; deshalb trat er zum Herrn hinzu. So ist eben das Judenvolk: voll ungehöriger Aufdringlichkeit. Eben so kam, nachher noch ein anderer auf den Herrn zu, während alle schwiegen, und sagte: "Welches ist das größte Gebot?" (Mt 22,36). Gleichwohl hat ihn der Herr ob seiner unangebrachter Zudringlichkeit nicht zurechtgewiesen, um uns dadurch zu zeigen, wie man auch derlei Menschen in Geduld ertragen müsse. Darum hat er auch diese beiden, die in böser Absicht kamen, nicht offen zurechtgewiesen; er gibt ihnen vielmehr eine Antwort, die ihrer Gesinnung entsprach und überließ es ihnen allein, den Tadel herauszufühlen, den sie erhielt. Dadurch hat er ihnen einen zweifachen Dienst erwiesen; er zeigte ihnen, dass er ihre Absicht gar wohl kenne, und nachdem er ihnen das gezeigt hatte, wollte er es doch geheimhalten und ihnen die Gelegenheit zur Reue bieten, falls sie dieselbe annehmen wollten. So machte er es auch bei diesem hier. Derselbe hatte die vielen Wunderzeichen gesehen und die große Menge, die herbeigeströmt war. Da dachte er, aus diesem Wunder Geld machen zu können. Deshalb wollte er so eilig dem Herrn folgen. Wie kann ich aber das beweisen? Durch die Antwort, die Christus gab und die nicht dem Wortlaut der Frage entsprach, sondern der Gesinnung des Fragenden: Wie, antwortet der Herr, erwartest du durch meine Nachfolge reich zu werden? Siehst du denn nicht, dass ich nicht einmal ein eigenes Heim besitze? Nicht soviel, als selbst die Vögel haben!

   V.20 "Die Füchse", sagt er, "haben ihre Höhlen, und die Vögel des Himmels ihre Wohnungen, der Menschensohn dagegen hat nicht, wohin er das Haupt legen könnte". 

   Das sagt der Herr nicht, um ihn abzuweisen, sondern um seine böse Gesinnung zu tadeln und ihm gleichwohl freizustellen, ihm, wenn er wollte, unter solchen Aussichten zu folgen. Dass er aber nicht in guter Absicht gekommen war, kannst du daraus erkennen, dass er auf diesen Tadel hin nicht sagte: Ich bin bereit, Dir zu folgen.



3.

Auch anderswo sehen wir Christus oft das gleiche Verfahren einschlagen. Er tadelt nicht offen, läßt aber aus seiner Antwort die Gesinnung derer erkennen, die sich an ihn wandten. Auch jenem, der da sagt: "Guter Meister", und ihn mit dieser Schmeichelei zu gewinnen hoffte, antwortete er entsprechend seiner Gesinnung:" Was nennst du mich gut? Niemand ist gut außer einem und das ist Gott" (Mt 19,16-17). Ein anderes Mal sagte man ihm: "Siehe, Deine Mutter und Deine Brüder suchen Dich!" (Mt 12,47). Doch war der Grund ihres Kommens menschliche Eitelkeit; nicht um etwas zu hören, was ihrer Seele Nutzen gebracht hätte, sondern um zu zeigen, dass sie mit ihm verwandt waren, und sich damit vor den Leuten zu zeigen. Darum höre, was der Herr ihnen antwortete: "Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder?" (Mt 12,48). Und als seine Brüder zu ihm sagten: "Offenbare Dich vor der Welt", weil sie dadurch berühmt werden wollten, erwiderte er: "Eure Zeit ist immer bereit, die meine ist noch nicht gekommen" (Jn 7,4 Jn 7,7). Aber auch der umgekehrte Fall kam vor, wie zum Beispiel bei Nathanael. Zu ihm sagte er: "Siehe, das ist ein wahrer Israelite, in dem kein Falsch ist" (Jn 1,47). Und ein andermal sagte er: "Gehet hin und meldet dem Johannes, was ihr hört und seht!" (Mt 11,4Lc 7,22MT 11,78

   V.21: "Wieder ein anderer sprach zu ihm: Herr, erlaube mir zuerst hinzugehen, um meinen Vater zu begraben," 

   Bemerkst du den Unterschied? Wie der eine keckerweise sagt: "Ich will dir folgen, wohin immer Du gehen wirst", während dieser, der doch eine gute und fromme Bitte stellt. erwidert: "Erlaube mir." Der Herr gab aber die Erlaubnis nicht, vielmehr antwortet er ihm:

   V.22: "Laß die Toten ihre eigenen Toten begraben; du aber folge mir nach." 

   Überall richtet er sich eben nach der geistigen Verfassung des Fragenden. Warum hat er aber das nicht erlaubt, fragst du? Weil ohnehin noch Leute da waren, die diese Arbeit verrichten konnten und der Tote nicht unbegraben geblieben wäre; und es war nicht recht, den Fragenden von notwendigeren Dingen abzuziehen. Mit den Worten: "ihre eigenen Toten" deutet aber der Herr an, dass dieser Tote nicht sein Toter war. Der Verstorbene gehörte eben nach meiner Meinung zu den Ungläubigen. Wenn du dich aber wunderst, dass der Jüngling wegen einer so notwendigen Sache den Herrn fragte und nicht einfach von selbst wegging, so wundere dich vielmehr darüber, dass er auf das Verbot hin dablieb. War es aber nicht äußerst undankbar, dem Begräbnis des eigenen Vaters nicht beizuwohnen? Nun, hätte er es aus Gleichgültigkeit nicht getan, so wäre es Undankbarkeit gewesen; nachdem es aber galt, etwas, was noch notwendiger war, nicht zu hindern, so wäre vielmehr sein Weggang äußerst unklug gewesen. Es war ja Christus, der ihn daran hinderte, und zwar nicht um uns zur Mißachtung der den Eltern schuldigen Ehrfurcht anzuleiten, sondern um uns zu zeigen, dass uns nichts wichtiger sein soll als das, was den Himmel betrifft, dass wir uns mit dem größten Eifer um diese Dinge bekümmern müssen und sie nicht einen Augenblick aufschieben dürfen, wenn auch das, was uns davon abziehen will, noch so unaufschiebbar und dringend sein mag. Oder was gäbe es sonst Notwendigeres, als seinen Vater zu begraben? Was Leichteres? Der Jüngling hätte ja gar keine lange Zeit darauf zu verwenden brauchen. Wenn es aber schon nicht angeht, den geistigen Angelegenheiten auch nur soviel Zeit zu entziehen, als notwendig ist, um seinen Vater zu begraben, so bedenke, was wir wohl verdienen, wenn wir die ganze Zeit uns fernhalten von dem, wozu Christus uns verpflichtet, wenn wir ganz wertlose Dinge dem Notwendigen vorziehen, und uns einfach gehen lassen, solange niemand uns drängt? Auch darin müssen wir die Weisheit seiner Lehre bewundern, dass er den Mann mit seinem Worte so festgewonnen hat; außerdem ersparte er ihm auch dadurch eine Menge von Unannehmlichkeiten, wie zum Beispiel die Totenklage, die Trauer und alles, was damit zusammenhängt. Denn nach dem Begräbnis hätte er sich um das Testament kümmern müssen und um die Erbschaftsteilung und um alles andere, was ein Sterbefall mit dich zu bringen pflegt. So hätte ihn eine Weile um die andere erfaßt und ihn unendlich weit vom Hafen der Wahrheit weggetrieben. Deswegen hält ihn der Herr zurück und zieht ihn fester an sich. Wenn du dich aber noch immer wunderst und nicht weißt, was du davon halten sollst, dass ihn der Herr nicht erlaubte, dem Begräbnis seines Vaters beizuwohnen, so bedenke, dass viele Leute nicht erlauben, dass man Angehörigen, die krank sind, einen vorgekommenen Trauerfall mitteile oder dass sie dem Trauerzuge folgen, und wäre der Verstorbene auch der eigene Vater oder die Mutter oder ein Kind oder wer immer sonst aus der Verwandtschaft. Deshalb beschuldigen wir sie nicht der Rohheit und Unmenschlichkeit; und wir tun gut daran. Viel eher wäre ja das Gegenteil Rohheit, wenn man solche Kranke zur Teilnahme am Trauerzuge veranlassen wollte.



4.

Wenn es aber schon nicht recht ist, dass Angehörige sich betrüben und ihr Herz der Trauer hingeben, so trifft dies um so mehr zu, wenn man dadurch vom Worte Gottes abgehalten würde. Darum sagte der Herr auch an einer anderen Stelle: "Niemand, der seine Hände an den Pflug legt und zurückschaut, ist tauglich für das Himmelreich" (Lc 9,62). Es ist eben weit besser, das Himmelreich zu verkünden und andere vom Tode zu erretten, als einen Toten zu begraben, der niemand mehr nützt, zumal wenn andere da sind, die all das besorgen werden. Nichts anderes können wir also daraus lernen, als dass man auch nicht die geringste Zeit verlieren darf, und wenn uns tausend Dinge drängen; dass man vielmehr die geistigen Interessen allem anderen, auch dem Notwendigsten, vorziehen muß und wissen soll, was wirklich Leben ist, und was Tod. Auch von denen, die scheinbar leben, unterscheiden sich ja viele in nichts von den Toten, solange sie in der Sünde leben; ja sie sind eigentlich noch schlimmer daran, als jene. "Denn der Tode", sagt Paulus, "ist gerechtfertigt von der Sünde" (Rm 6,7); ein solcher aber ist der Sklave der Sünde. Da wenden wir nicht ein, er werde wenigstens nicht von Würmern gefressen, liege nicht in einem Sarge, habe die Augen nicht geschlossen und sei nicht mit Leichentüchern umwickelt. Er ist im Gegenteil noch schlimmer daran, als ein Toter. Er wird allerdings nicht von Würmern verzehrt, dafür aber von den Leidenschaften der Seele zerrissen, die noch grausamer sind als wilde Tiere. Und wenn er die Augen geöffnet hat, so ist auch das noch weit schlimmer, als wenn sie geschlossen wären. Des Toten Augen sehen wenigstens nichts Schlechtes mehr; der aber zieht sich mit seinen offenen Augen tausendfaches Unheil zu. Der Tode liegt im Sarge und rührt kein Glied mehr; der andere liegt dafür in dem Grabe ungezählter Leidenschaften. Aber man sieht doch seinen Leib nicht verfaulen. Was macht aber das aus? Seine Seele ist noch vor dem Leibe dem Ruin und den Verderben überantwortet, und unterliegt noch größerer Fäulnis. Der eine riecht zehn Tage lang, der verbreitet sein Leben lang üblen Geruch und sein Mund ist unreiner als selbst die Kloaken. Der Unterschied zwischen beiden ist also kein geringerer als der, dass der eine der natürlichen Auflösung unterworfen ist, der andere außerdem auch noch die Fäulnis eines lasterhaften Lebens mit sich herumträgt, und jeden Tag tausend neue Ursachen seines Verderbens dazu ersinnt. Aber er reitet zu Pferde! Und was macht das? Jener liegt dafür auf seinem Bette; das Schlimme ist aber das, dass der eine, der in Auflösung und Fäulnis begriffen ist, von niemandem gesehen, sondern durch den Sarg dem Blick entzogen ist; der andere dagegen läuft trotz seines Gestankes umher und trägt seine verstorbene Seele mit seinem Leibe wie in einem Sarge mit sich. 

   Ja, wäre es nur möglich, die Seele eines Menschen zu sehen, der in Schwelgerei und Sünde lebt! Da würdest du sehen, dass es weit besser ist, eingehüllt in einem Grabe zu liegen, als mit den Ketten der Sünde gefesselt zu sein; besser einen Grabstein auf sich liegen haben, als die schwere Last eines abgestumpften Gewissens. Gerade deshalb müssen auch die Angehörigen solcher Toten, die ja kein Gefühl mehr haben, ihretwegen zu Jesus kommen, wie es damals Maria für Lazarus tat. Wenn er auch in Fäulnis begriffen wäre, wenn er auch schon vier Tage lang im Grabe läge, verzweifle nicht! Gehe hin und nimm zuerst den Stein weg! Dann wirst du sehen, wie er daliegt, als wäre er in einem Grabe, in Linnen eingebunden. Ja, wenn es euch gefällt, wollen wir das Beispiel einer hohen und angesehenen Persönlichkeit vorbringen. Seid indes ohne Furcht; ich werde das Beispiel vorbringen, ohne den Namen zu nennen. Aber selbst wenn ich den Namen nennte, brauchtet ihr euch dann nichts zu fürchten. Denn wer hat je vor einem Toten Angst gehabt? Denn was immer er tun mag, er bleibt immer tot. Ein Toter kann aber einem Lebenden keinen Schaden mehr zufügen, weder wenig noch viel. Sehen wir also, wie solche Menschen das Haupt eingebunden haben; Wer immer im Rausche lebt, dessen Sinne sind ebenso verschlossen und in Fesseln gehalten, wie die Toten in ihren vielen Hüllen und Linnen. Willst du dann auch die Hände betrachten, so wirst du bemerken, dass auch sie an den Leib geschnürt sind, wie bei den Toten, und zusammengebunden, nicht mit Linnen, sondern mit den weit schlimmeren Banden der Habsucht. Diese erlaubt ihnen nicht, die Hände zu einem Almosen auszustrecken, noch zu sonst einem derartigen guten Werke, sondern macht, dass sie unnützer sind, als diejenigen von Toten. Und willst du auch die Fesseln an seinen Füßen sehen? Sieh nur, wie auch sie mit den Banden der Sorgen gebunden und deshalb nicht einmal imstande sind, in das Haus Gottes zu eilen. Siehst du also, dass ein solcher Mensch tot ist? Schau dich aber nur auch nach dem Totengräber um! Wer ist also der Totengräber dieser Leute? Das ist der Teufel, der sie gar sorgsam fesselt, und der macht, dass ein solcher Mensch fortan nicht mehr wie ein Mensch aussieht, sondern wie dürres Holz. Denn wo keine Augen mehr sind, keine Hände, keine Füße und keine anderen menschlichen Glieder, wie sollte einer da noch einem Menschen gleich sehen? Ebenso kann man auch ihre Seele in Linnen eingebunden sehen, mehr einem Götzenbilde, als einer Seele ähnlich. 

   Da also diese Menschen alles Gefühl verloren haben, als wären sie Tote, so wollen wir ihretwegen zu Jesus gehen! Bitten wir ihn, er möge sie auferwecken; nehmen wir den Stein hinweg und lösen wir ihre Fesseln! Denn wenn du den Stein wegnimmst, das heißt die Gefühllosigkeit für das Böse, so wirst du sie schnell auch aus dem Grabe herausbringen können. Sind sie aber heraus, so kannst du bequem auch ihre Fesseln lösen. Dann wird Christus dich[309] anerkennen, wenn du auferstanden und von den Banden befreit bist. Dann wird er dich auch zu seinem Mahle rufen. Wer immer also Christus liebt, wer immer sein Jünger ist, wer immer einem[310] Toten in Liebe zugetan ist, der gehe hin zu Jesus und bitte ihn. Wenn der Tote auch noch so sehr von Fäulnis riecht, seine Angehörigen dürfen ihn trotzdem nicht verlassen, sondern müssen nur um so eher hinzutreten. So machten es damals auch die Schwestern des Lazarus. Und nicht eher sollen wir aufhören zu beten, zu bitten, ihn anzuflehen, bis er uns den Toten lebendig zurückgibt. Wenn wir so für uns selbst und für unseren Nächsten sorgen, dann werden wir ohne Zögern auch das zukünftige Leben erlangen, dessen wir alle teilhaftig werden mögen durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem Ehre und Ruhm gebührt in alle Ewigkeit. Amen!





Achtundzwanzigste Homilie. Kap. VIII, V.23-34.

28 Mt 8,23-34
1.

V.23: "Und als er in das Schifflein einstieg, folgten ihm seine Jünger.

   V.24: Und siehe, es erhob sich ein großer Sturm auf dem Meere, so dass die Wogen über das Schifflein schlugen. Er selbst aber schlief." 

   Lukas wollte der Frage nach der zeitlichen Aufeinanderfolge[311] entgehen und sagte deshalb: "Es geschah aber an einem dieser Tage, da stieg er selbst in das Schifflein und auch seine Jünger" (Lc 8,22). Ähnlich drückt sich auch Markus aus (Mc 4,35). Matthäus dagegen macht es nicht so. Er hält sich hier auch an die zeitliche Aufeinanderfolge. Es hat eben nicht jeder alles in der gleichen Weise aufgezeichnet. Ich habe aber schon früher darauf aufmerksam gemacht, damit niemand glaube, eine Auslassung bedeute auch schon einen Widerspruch. Die Volksmenge schickt der Herr voraus, seine Jünger aber nahm er mit sich; denn so berichten es die Evangelisten. Es geschah aber nicht ohne guten Grund, dass er die Jünger mit sich nahm. Er wollte sie zu Zeugen des Wunders machen, das er zu wirken beabsichtigte. Er hat es eben gemacht wie ein guter Erzieher, und hat sie auf beides eingeübt, nämlich sowohl unerschrocken zu sein in Gefahr, als auch Selbstbeherrschung zu üben bei Ehrenbezeigungen. Damit sie nämlich nicht eitel würden, weil er die anderen fortgeschickt und sie bei sich behalten hatte, so erlaubte er, dass ein Sturm kam. Er wollte damit nicht bloß diesen Zweck erreichen, sondern auch die Jünger dazu anleiten, Heimsuchungen standhaft zu ertragen. Auch früher hat der Herr schon sehr große Wundertaten verrichtet, allein dieses Wunder hatte auch einen nicht geringen Erziehungswert und hatte auch Ähnlichkeit mit einem Wunderzeichen aus dem Alten Bunde. Deshalb nimmt er auch nur seine Jünger mit sich. Da wo es nur galt, ein Wunder zu sehen, erlaubt er auch dem Volke, beizuwohnen; wo aber Gefahren und Schrecken warteten, da nimmt er nur die großen Helden mit sich, die er an Gefahren gewöhnen wollte. Matthäus nun sagt bloß, der Herr habe geschlafen; Lukas dagegen bemerkt noch dazu, er habe auf einem Kissen geschlafen (so heißt es nicht bei Lukas, sondern bei Markus 4,38). Er läßt daran des Herrn Demut erkennen, und gibt uns damit eine Lehre voll erhabener Weisheit. Es erhob sich also der Sturm und es raste der See. Da wecken sie den Herrn und sagen:

   V.25: "Herr, rette uns, wir gehen zugrunde." 

   Er aber gebot zuerst ihnen und dann erst dem Meere. Der Herr ließ ja, wie schon gesagt, den Sturm zu, um die Apostel zu üben und ihnen einen Vorgeschmack zu geben von den Gefahren, die ihrer erst warteten. Denn auch später ließ er oft noch schwerere Stürme über die Apostel kommen und zögerte dann mit seiner Hilfe. Darum sagt auch Paulus: "Ich will durchaus, dass ihr wisset, Brüder, dass wir über unsere Kraft und Leistungsfähigkeit geprüft wurden, so dass uns selbst das Leben verleidete" (2Co 1,8). Und etwas später fügt er hinzu: "Er hat und aus so vielen Todesnöten errettet" (2Co 1,10). Deshalb tadelte also Christus zuerst die Apostel, um zu zeigen, dass man Vertrauen haben soll, wenn auch die Sturmeswogen hochgehen, und dass er alles so fügt, wie es zu unserem Nutzen ist. Schon das war zu ihrem Vorteil, dass sie in Furcht gerieten; so erschien das Wunder nur um so größer und die Erinnerung an das Geschehene blieb ihnen für immer im Gedächtnis. Wenn nämlich der Herr etwas Außergewöhnliches tun wollte, so bereitete er dies immer zuerst durch eine Reihe von Ereignissen vor, die leicht im Gedächtnis haften blieben, damit dann das Wunderzeichen, wenn es einmal geschehen war, nicht der Vergessenheit anheim falle. So geriet auch Moses zuerst vor der Schlange in Furcht, ja nicht bloß in Furcht, sondern in große Todesangst ward er versetzt und dann erst durfte er das bekannte große Wunderzeichen schauen (Ex 4,25). So ging es auch den Aposteln. Zuerst mußte es dahin kommen, dass sie schon den Tod erwarteten; dann erst wurden sie befreit. Zuerst sollte ihnen die Gefahr zum Bewußtsein kommen, damit sie die Größe des Wunders um so besser verstünden. Deshalb schläft auch der Herr. Denn wäre der Sturm gekommen, solange der Herr wachte, so wären die Apostel entweder nicht in Furcht geraten, oder sie hätten sich nicht mit einer Bitte an ihn gewendet, oder es wäre ihnen vielleicht gar nicht der Gedanke gekommen, dass er die Macht habe, ein solches Wunder zu wirken. Deshalb schläft er und überläßt sie eine Zeitlang der Furcht, damit dann das nachfolgende Wunder um so mehr Eindruck auf sie machte. Es ist eben nicht das gleiche, ob man etwas am fremden oder am eigenen Leibe geschehen sieht. Nachdem sie also gesehen, wie der Herr allen Leuten Gutes getan, während sie selbst leer ausgegangen waren[312] , so waren sie gleichgültig geworden. Deshalb mußten sie eben am eigenen Leibe die Notwendigkeit seiner Wohltaten empfinden und schätzen lernen. So läßt der Herr den Sturm zu, damit die Apostel durch Befreiung aus der Gefahr die Größe der Wohltat nur umso deutlicher empfinden. Deshalb wirkte er auch dieses Wunder nicht vor dem Volke, damit die Apostel nicht als Kleingläubige verachtet würden. Er nimmt nur sie allein mit sich, um sie zu bessern. Darum beschwichtigt er noch vor dem Sturme der Wogen den Sturm in ihrer Seele, indem er zu ihnen sagt:

   V.26: "Warum seid ihr in Furcht, ihr Kleingläubige?" 

   Damit gibt er auch zu verstehen, dass die Furcht nicht von den Prüfungen kommt, sondern von der Schwäche des Gemütes. Wenn aber jemand einwendet, es sei doch kein Zeichen von Angst oder Kleingläubigkeit, wenn die Apostel hingingen, um ihn zu wecken, so kann ich wohl darauf erwidern, dass gerade das ein Zeichen war, dass sie nicht die gebührende Meinung von ihm hatten. Dass er dem Meere gebieten könne, wenn er wach wäre, das wußten sie; dass er es auch im Schlafe tun konnte, wußten sie noch nicht. Und was wunderst du dich, wenn sie jetzt sich kleingläubig zeigten? Sie waren ja selbst später, nachdem sie eine Reihe anderer Wunder gesehen, noch zu schwachmütig. Deshalb werden sie auch oft getadelt vom Herrn, z.B. wo er sagt: "Noch gehört auch ihr zu den Unverständigen!" (Mt 15,16). Wenn also schon die Jünger schwach im Glauben waren, so wundere dich nicht, wenn auch die große Menge keine größere Meinung vom Herrn hatte. Denn sie wunderten sich und sagten:

   V.27: "Was ist denn das für ein Mensch, dass sogar das Meer und die Winde ihm gehorchen?" 

   Christus verwies es ihnen nicht, dass sie ihn einen Menschen nannten und ließ es sich gefallen. Er wollte sie eben durch seine Wunderzeichen belehren, dass sie mit ihrer bisherigen Ansicht im Irrtum waren. Weshalb nannten sie ihn aber einen Menschen? Weil er so aussah, weil er geschlafen hatte, weil er das Schifflein benützt hatte. Darum konnten sie sich den Vorgang gar nicht mehr erklären und sagten daher: "Was ist denn das für einer?" Der Schlaf und der äußere Schein deuten auf einen Menschen hin; das Meer und die Windstille offenbaren Gott.



2.

Weil aber Moses auch einmal etwas Ähnliches vollbracht hatte, so zeigte der Herr auch in dieser Hinsicht seine höhere Macht. Er gibt zu erkennen, dass der eine sein Wunder als Gehorchender wirkte, er aber als Herr. Er streckte keinen Stab aus, wie Moses, er streckte nicht die Hände zum Himmel empor und brauchte nicht erst zu beten. Nein, wie ein Herr seiner Magd zu gebieten pflegt, und der Schöpfer dem Geschöpf, so hat er das Meer beruhigt und gezügelt mit einem einzigen Wort und Befehl; und im nämlichen Augenblick war der große Sturm vorüber, war die Brandung spurlos verschwunden. Das bezeugt uns der Apostel mit den Worten: "Und es ward eine große Stille." Das, was man am Vater als etwas Großes gerühmt hatte, das hat Christus von neuem durch seine Taten gezeigt. Was ward aber vom Vater gerühmt? "Er sprach," heißt es, "und der Sturmwind hörte auf" (Ps 106,25). Ebenso heißt es auch hier: "Er sprach und es entstand eine große Stille." Gerade deshalb bewunderten ihn auch die Leute, was sie wohl nicht getan hätten, wenn er es ebenso gemacht hätte wie Moses. Als er aber ans Land gestiegen war, da folgte ein noch größeres Wunder. Es riefen Besessene wie schuldbeladene Flüchtlinge beim Anblick ihres Herrn:

   V.29: "Was haben wir mit Dir zu schaffen, Christus, Sohn Gottes? Kommst du hierher, um uns vor der Zeit zu peinigen? 

   Weil die Leute ihn einen Menschen genannt, so kamen die Dämonen, um seine Gottheit zu verkünden. Und sie, die die Stimme des tobenden und wieder beruhigten Meeres nicht vernommen, hörten die Dämonen das rufen, was das Meer durch die Windstille verkündet hatte. Damit es aber nicht den Anschein habe, als hätten sie ihm nur schmeicheln wollen, bekunden sie, was sie durch die Tat erfahren und sagen: "Kommst Du hierher, vor der Zeit uns zu quälen?" So bezeugen sie zuerst die Feindschaft, die zwischen ihm und ihnen herrscht, damit so ihre Bitte keinem Verdacht unterliege. Sie wurden eben unsichtbarerweise gepeinigt, sie wurden zu einem Sturm aufgepeitscht, der wilder war als das Meer, wurden mit Stacheln und Feuer gepeinigt und empfanden bei seinem bloßen Erscheinen die größte Pein. Weil niemand es wagte, diese Besessenen zum Herrn zu führen, deshalb kommt Christus selbst zu ihnen. Nach Matthäus hätten sie nun gesagt: "Kommst Du hierher vor der Zeit uns zu peinigen?" Die anderen Evangelisten fügen aber noch hinzu, sie hätten ihn auch gebeten und beschworen, er möge sie nicht in den Abgrund[313] stürzen (Mc 5,10 Lc 8,31). Sie dachten eben, es stünde ihnen bereits die endgültige Strafe bevor, und so fürchteten sie sich, als wären sie schon den Peinen überantwortet. Wenn aber die Zeugen des Lukas nur einen Dämonen erwähnen, Matthäus dagegen zwei, so bedeutet auch das keinen Widerspruch. Hätte Lukas gesagt, es sei n u r einer gewesen und es habe sich nicht um zwei gehandelt, so hätte man wohl sagen müssen, dass er dem Matthäus widerspreche. So aber redet der eine von einem, der andere von zwei Besessenen, und das bedeutet keinen Widerspruch, sondern nur eine Verschiedenheit in der Erzählung. Meiner Ansicht nach wollte Lukas hier nur den schlimmsten von beiden erwähnen. Deshalb weist auch seine Schilderung des Unglücklichen viel mehr tragische Züge auf; so z.B.:Er habe die Fesseln und die Bande zerrissen und sei in der Wüste umhergeirrt. Markus dagegen berichtet. er habe sich selbst auch mit Steinen zerschlagen. Auch kann man aus ihren Worten ihre Feindseligkeit und Unverschämtheit erkennen. Sie sagen: "Bist du gekommen, vor der Zeit uns zu plagen?" Dass sie nicht gesündigt hatten, das konnten sie nicht behaupten. Sie bitten nur, nicht vor der Zeit gestraft zu werden. Da er sie dabei ertappt hatte, wie sie ihre unaussprechlichen, schrecklichen Missetaten begingen und seine eigenen Geschöpfe auf jede mögliche Weise quälten und peinigten, so glaubten sie, er werde ob der Größe ihrer Vergehen nicht warten, bis die Zeit der Vergeltung gekommen sei; deshalb baten und flehten sie. Und sie, die nicht einmal mit eisernen Ketten festgehalten werden konnten, kommen daher, als wären sie gebunden; sie, die die Gebirge durchstreiften, steigen in die Ebene herab, und sie, die andere nicht ihres Wegen ziehen ließen, bleiben stehen beim Anblick dessen, der ihnen den Weg versperrt! 

   Warum aber halten sie sich auch so gerne in den Gräbern auf? Um den Leuten einen recht unseligen Aberglauben beizubringen, wie z.B., die Seelen der Abgeschiedenen würden in Dämonen verwandelt werden, woran ja keinen Augenblick auch nur zu denken ist. Aber, wendest du mir ein, was sagst du dazu, dass viele Zauberer Kinder nehmen und schlachten, um sich nachher[314] ihrer Seelen zu bedienen? Allein, woher weiß man denn das? Dass die Magier Kinder schlachten, das sagt man vielfach; dass aber die Seelen der Getöteten mit ihnen im Bunde stehen, woher weißt du denn das? Sprich! Ja, sagst du, die Dämonen selbst rufen ja: Ich bin die Seele dieses und dieses Menschen! Allein das ist Lüge und teuflischer Betrug. Nicht die Seele des Getöteten ist es, die ruft, sondern der Dämon lügt das seinen Zuhörern vor, um sie zu täuschen. Denn wenn eine Seele in die Natur eines Dämons verwandelt werden könnte, so würde sie viel eher wieder in den eigenen Leib zurückkehren. Außerdem wäre es ja auch ganz unvernünftig, dass die Seele des Gemordeten dem Mörder noch als Gehilfin diente, oder dass ein Mensch eine geistige Gewalt auf ein anderes Wesen ausüben könnte. Wenn also dies schon bei den Leibern unmöglich ist, und niemand den Leib eines Menschen in den eines Esels verwandeln könnte, so ist dies um so weniger bei der unsterblichen Seele möglich, und gewiß ist niemand imstande, sie in die Natur eines Dämons zu verwandeln.



3.

Das ist also nichts als unvernünftiges Altweibergeschwätz und kindisches Gerede. Eine Seele, die einmal vom Leibe getrennt ist, kann nicht länger hienieden umherirren, Denn "die Seelen der Gerechten sind in der Hand Gottes" (Sg 3,1). Wenn dieses von den Seelen der Gerechten gilt, dann auch von denen der Kinder. Denn diese sind noch unverdorben. Die Seele der Sünder dagegen wird sofort von dannen geführt. Das ergibt sich klar aus der Geschichte des Lazarus und des reichen Prassers. Auch an einer anderen Stelle sagt Christus:"Heute noch werden sie deine Seele von dir fordern" (Lc 12,20). Es ist ja auch überhaupt nicht möglich, dass eine Seele, die aus dem Leibe geschieden ist, auf dieser Welt umherirre; und so ist es auch ganz recht. Wir wandern auf dieser gewohnten und uns bekannten Erde mitsamt unserem Leibe. Betrachten wir aber einmal einen fremden Pfad, so wissen wir nicht mehr, welche Richtung einschlagen, wenn nicht jemand da ist, der uns an der Hand führt. Wie sollte also die vom Leibe getrennte Seele, die sich in einer ganz ungewöhnlichen Lage befindet, wissen, wohin sie gehen soll, ohne jemand zu haben, der sie führt und leitet? Noch aus vielen anderen Gründen kann man ersehen, dass es einer abgeschiedenen Seele nicht möglich ist, auf dieser Erde zu bleiben. So sagt auch Stephanus: "Nimm auf meinen Geist" (Ac 7,59), und Paulus: "Viel besser ist es, aufgelöst und mit Christus zu sein" (Ph 1,23). Auch vom Patriarchen Abraham berichtet die Hl. Schrift: "Und er ward zu seinen Vätern versammelt, nachdem er ein hohes Alter erreicht hatte" (Gn 25,8). Dass auch die Seelen der Sünder nicht auf dieser Erde verweilen dürfen, können wir an dem reichen Prasser sehen, der gar sehr um diese Gunst gebeten hat, ohne sie zu erlangen. Wenn es also möglich gewesen wäre, so wäre er sicher gekommen und hätte[315] gesagt, wie es ihm an jenem Ort ergehe (Lc 16,27). Es ist also klar, dass die Seele nach dem Hinscheiden von dieser Erde an einen besonderen Ort gebracht wird, wo es nicht mehr in ihrer Gewalt steht, zurückzukommen, und wo die jenen furchtbaren Tag[316] abwarten muß. 

   Wenn aber jemand fragen sollte: Warum hat Christus die Bitte der Dämonen erfüllt und ihnen erlaubt, in die Schweineherde zu fahren? so möchte ich antworten: Er hat dies nicht aus Willfährigkeit gegen sie, sondern weil er gar manches damit bezweckte. Erstens wollte er denen, die von jenen entsetzlichen Tyrannen befreit worden waren, zeigen, welch unsaubere Gesellen ihre Peiniger gewesen seien; zweitens sollten alle sehen, dass die Dämonen nicht einmal an Schweine sich heranwagen, wenn er es nicht erlaubt; drittens, dass sie ihnen noch Schlimmeres zugefügt hätten, als den Schweinen, hätte nicht auch im Unglück Gottes Vorsehung sich ihrer angenommen, Es ist ja ganz bekannt, dass die Dämonen uns viel mehr hassen, als die unvernünftigen Tiere. Wenn sie jedoch nicht einmal die Schweine verschonten, sondern in einem einzigen Augenblick alle zusammen[317] stürzten, so hätten sie dies noch viel eher den Menschen getan, über die sie Gewalt hatten, und die sie in der Wüste hin und her jagten, wenn nicht auch über diese Gewalttätigkeit Gottes Fürsorge gewacht hätte, die den Dämonen Zügel anlegte und sie von ärgerer Mißhandlung abhielt. Daraus ergibt sich klar, dass es gar niemand gibt, der nicht unter dem Schutze der Vorsehung Gottes stünde. Wenn dies nicht bei allen in gleichem Maße der Fall ist, und nicht in der gleichen Weise sich zeigt, so ist gerade das die beste Art der Vorsehung. Denn außerdem, dass sie jedem Nutzen bringt, gibt sich auch die Tatsache der Vorsehung dabei zu erkennen. 

   Überdies lernen wir auch noch etwas anderes daraus kennen, dass nämlich Gott nicht nur für alle zusammen vorsorgt, sondern auch für jeden einzelnen insbesonders. Das hat der Herr auch seinen Jüngern kundgetan mit den Worten: "Bei euch sind sogar die Haare des Hauptes gezählt" (Mt 10,30). Das kann man auch ganz klar an den Besessenen sehen, die längst umgebracht worden wären, hätten sie nicht in hohem Maße den Schutz von oben genossen. Deshalb hat er denn auch den Dämonen erlaubt, in die Herde der Schweine zu fahren, damit auch die Bewohner jener Gegend seine Macht erkannten. Wo sein Name schon ganz bekannt war, da wirkte er keine auffallenden Wunder; wo aber noch niemand ihn kannte, wo die Leute ohne wahre Erkenntnis dahinlebten, da ließ er seine Wunderzeichen glänzen, um auch sie zur Erkenntnis seiner Gottheit zu führen. Dass es unter den Bewohnern jener Stadt einige gab, die noch keine Einsicht besaßen, ergibt sich aus dem Schluß der Erzählung. Anstatt dass sie vor dem Herrn niederfielen und seine Macht bewunderten, schickten sie Leute zu ihm

   V.34: "und ließen ihn bitten, aus ihrer Gegend fortzugehen." 

   Weshalb aber wurden die Schweine von den Dämonen getötet? Weil sie auf jede Weise dem Menschen Leid zufügen wollen und sie immer freuen, wenn sie ein Unheil angerichtet haben. So machte es ja der Teufel auch bei Job; auch dort hat es ihm eben der Herr erlaubt. Doch ließ Gott auch da den Teufel seine Absicht nicht erreichen, vielmehr wollte er nur seinen Diener verherrlichen. Deshalb gab er dem Teufel freies Spiel für seine Bosheit, ließ aber all das Unheil, das er dem Gerechten zufügte, auf sein eigenes Haupt zurückfallen. Auch hier im vorliegenden Falle ist das Gegenteil von dem eingetreten, was die Dämonen beabsichtigt hatten. Christi Macht ward überall gelobt und gerühmt, während die Bosheit der Dämonen, von denen er die Besessenen befreit, nur um so deutlicher wurde und es sich zeigte, dass sie nicht einmal imstande sind, von Schweinen Besitz zu ergreifen, wenn es ihnen nicht Gott der Herr aller Dinge, erlaubt.



4.

Wenn aber jemand diese Erzählung im bildlichen Sinne erklären will, so steht dem gar nichts entgegen. Meine Erklärung berücksichtigt nur den wirklichen, historischen Vorgang. Doch muß man wohl wissen, dass Menschen, die nach Art von Schweinen leben, durch die Macht der Dämonen gar leicht zu überwinden sind. Da es aber Menschen sind, denen solches widerfährt, so können sie auch häufig als Sieger aus dem Kampfe hervorgehen. Sind sie aber einmal ganz und gar Schweine geworden, dann sind sie nicht bloß in der Gewalt des Teufels, sondern werden auch von ihnen ins Verderben gestürzt. Es soll aber niemand glauben, der ganze Vorgang sei nur Schein gewesen; jeder möge fest überzeugt sein, dass die Dämonen wirklich ausgetrieben wurden. Das geht schon klar aus der Tatsache hervor, dass die Schweine zugrunde gingen. Beachte aber auch, wie milde der Herr bei all seiner Macht ist. Da die Bewohner dieser Gegend trotz dieser großen Wohltat, die er ihnen erwiesen, ihn fortgehen hießen, so widerstand er nicht, sondern entfernte sich und verließ diejenigen, die sich selbst für unwürdig erklärten, seine Lehre zu hören; er überließ ihnen dafür diejenigen, die er von den Dämonen befreit hatte, sowie die Schweinehirten als Lehrer, damit sie von ihnen erfahren möchten, was alles geschehen. Er selbst ging fort und ließ sie in größter Angst zurück. Wegen der Größe des Schadens ward nämlich die Kunde von dem Geschehenen weithin verbreitet und das Ereignis machte großen Eindruck auf ihr Gemüt. Von allen Seiten hörte man die Stimmen, die dieses außergewöhnliche Wunder verkündeten: das waren die geheilten Menschen, die ertränkten Schweine und die Herren und Hirten der Schweine. 

   Denselben Vorgang kann man auch jetzt noch beobachten, und sehen, wie viele Besessene lebendig in den Grabdenkmälern hausen, die nichts von ihrer Raserei abhalten kann, nicht Eisen, noch Fesseln, noch zahlreiche Menschen, keine Ermahnung, weder Furcht noch Drohung, noch sonst etwas Derartiges. Wenn nämlich ein Mensch der Unkeuschheit ergeben ist und nach jedem fremden Leibe in Gier entbrennt, so unterscheidet es sich in nichts mehr von einem Besessenen. Nackt wie dieser, irrt er umher, zwar mit Kleidern bedeckt, aber der wahren Kleidung beraubt und ledig der Ehre, die er besitzen sollte; und nicht mit Steinen zerschlägt er sich, wohl aber mit den Sünden, die viel schlimmer sind, als viele Steine. Wer kann einem solchen Menschen Fesseln anlegen? Wer ein Ende machen dem Treiben eines unkeuschen, vor Leidenschaft rasenden Menschen, der niemals im eigenen Hause sich aufhält, sondern immer an fremden Gräbern sich herumtreibt! Solche Gräber sind nämlich die Wohnungen der Huren, voll von Gestank und Fäulnis. 

   Und der Geizhals? Ist der nicht ebenso? Wer könnte seinen Geiz in Fesseln schlagen? Wirken nicht Furcht und Drohung tagtäglich auf ihn ein, und hört er nicht Bitten und gute Ratschläge? Aber all diese Bande zerbricht er. Ja, wollte ihn jemand aus diesem Zustand befreien, er würde ihn beschwören, ihn nicht zu befreien, und es für die größte Tortur halten, nicht unter dieser Folter des Geizes zu stehen. Gäbe es da wohl etwas Mitleiderregenderes, als solch einen Menschen? Dort hat der Dämon, wenn er auch die Menschen verachtete, doch dem Befehl Christi gehorcht und verließ sofort den Leib des Besessenen. Der Teufel des Geizes dagegen weicht nicht einmal einem Befehl. Ja, sieh nur! Tag für Tag hört er, wie der Herr sagt: "Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon" (Mt 6,24), und wie er mit der Hölle droht und den schrecklichsten Strafen; aber er gehorcht nicht. Nicht als ob dieser Teufel mächtiger wäre, als Christus, sondern weil Christus uns nicht gegen uns, nicht gegen unseren Willen retten will. Deshalb leben solche Leute gleichsam in der Wüste, wenn sie auch mitten in einer Stadt sich aufhalten. Welcher verständige Mensch möchte sich aber solchen Leuten zugesellen? Ich möchte lieber mit einem Dämon zusammen sein, als mit einem, einzigen Menschen, der diesem Laster ergeben ist. Und dass ich mit diesen Worten mich nicht im Irrtum befinde, ergibt sich aus dem, was die beiden zu tragen haben. Diese betrachten den[318] als ihren Feind, der ihnen nichts zuleide getan hat, und wollen den, der frei ist, als Sklaven besitzen und fügen ihm tausenderlei Unrecht zu; die Besessenen dagegen tun nichts dergleichen, sondern tragen ihre Krankheit mit sich selbst herum. Die einen reißen viele Häuser nieder und machen, dass der Name Gottes gelästert wird, sind eine Schande der Stadt und der ganzen Welt. Die anderen sind von den Dämonen gepeinigt und verdienen vielmehr Mitleid und Tränen. Diese tun das meiste, ohne sich dessen bewußt zu sein; jene sind trotz ihres Verstandes von Sinnen, führen mitten in den Städten ein ausschweifendes Leben und leiden an einer ganz neuen Art von Raserei. Oder wo tun die Besessenen je etwas Derartiges wie Judas, der die schrecklichst Ruchlosigkeit beging? Und alle, die es ihm nachmachen, sind wie wilde Tiere, die ihren Käfigen entsprungen und die Stadt unsicher machen, ohne dass ihnen jemand Einhalt gebieten kann. Und doch sind auch sie auf allen Seiten von Fesseln umstrickt; so z.B. drückt sie die Furcht vor den Richtern, die Strafandrohung des Gesetzes, die fast allgemeine Verachtung und noch vieles andere. Aber alle die Fesseln sprengen sie und kehren alle Ordnung um. Und wollte man erst jene Fesseln von ihnen nehmen, dann könnte man ganz deutlich sehen, der Dämon, der sie erfaßte, viel schlimmer ist als der, den der Herr hier ausgetrieben.



5.

Da aber dies in Wirklichkeit nicht möglich ist, so stellen wir uns wenigstens einmal in Gedanken vor, wir befreiten einen solchen Menschen von all seinen Fesseln! Dann werden wir erst klar erkennen, wie stark seine Raserei ist. Doch haben wir keine Angst vor dem wilden Tiere, wenn wir es auch zeigen, wie es ist; wir stellen es uns ja nur in Gedanken vor und haben es nicht in Wirklichkeit vor uns. Denkt euch also einen Menschen, dem Feuer aus den Augen sprüht, der ganz schwarz ist, dem an beiden Schultern anstatt der Arme Schlangen hängen, dessen Mund an Stelle der Zähne mit scharfen Schwertern besetzt ist und wo an Stelle der Zunge eine Gift und Verderben sprudelnde Quelle fließt! Sein Bauch, gefräßiger als wie ein Feuerofen, vertilgt alles, was in ihn hineingeworfen wird. Seine Füße sind geflügelt und rascher als Feuer. Sein Gesicht hält die Mitte zwischen dem eines Hundes und eines Wolfes. Nichts Menschliches hat seine Stimme an sich; sie ist im Gegenteil widerwärtig, abstoßend, schrecklich. Auch in den Händen trägt er Feuer. Vielleicht erscheint euch das schrecklich, was ich gesagt habe. Aber meine Schilderung entspricht der Wirklichkeit noch lange nicht. Wir müssen noch ganz andere Dinge dazufügen. Denkt euch, das Ungetüm zerfleische alle, die ihm begegnen, verschlinge sie und reiße ihre Leiber in Stücke. Aber auch so ist noch viel schrecklicher der Geizige, der allen nachstellt wie die Hölle, der alle verschlingt und ein öffentlicher Feind des Menschengeschlechtes geworden ist. Er möchte, dass es keine Menschen mehr gäbe, um selber alles zu besitzen. Und selbst das genügt ihm noch nicht. Wenn er durch seine Habsucht alles zugrunde gerichtet hat, dann möchte er auch noch die Natur der Erde ändern und sie in Gold verwandelt sehen; ja nicht bloß die Erde, auch die Berge, die Täler, die Quellen, kurz alles, was man sehen kann. 

   Damit ihr aber seht, dass ich seine Raserei noch nicht erschöpft habe, so setzt den Fall, es sei niemand da, der ihn tadle oder reize, sondern nehmt an, er werde nicht mehr durch die Furcht vor den Gesetzen gehemmt, und ihr werdet sehen, wie er alsbald ein Schwert ergreift und alle niedermacht, ohne irgend jemand zu verschonen, weder den Freund, noch die Verwandten, nicht den Bruder und selbst nicht den eigenen Vater. Ja, wir brauchen uns dies nicht einmal bloß vorzustellen. Fragen wir nur gleich selbst, ob er nicht in der Tat fortwährend solche Gedanken mit sich herumträgt, ob er nicht wenigstens im Herzen alle angreift und niedermacht, die Freunde, die Verwandten, ja selbst die eigenen Eltern? Aber es ist nicht einmal notwendig, ihn zu fragen. Es wissen ja ohnehin alle, dass jene, die von solchem Laster angesteckt sind, nur unwillig ihren alten Vater ertragen, und selbst das lästig und unangenehm empfinden, was allen anderen das Süßeste und Liebste ist, nämlich Kinder zu haben. Viele haben aus diesem Grunde sich kinderlos, die Natur unfruchtbar gemacht, nicht indem sie die geborenen Kinder umgebracht, sondern dadurch, dass sie sie nicht einmal geboren werden ließen. 

   Wundert euch also nicht, dass wir einen Geizhals in dieser Weise schilderten; er ist ja eigentlich noch schlechter, als ich gesagt habe. Überlegen wir vielmehr, wie wir ihn von seinem Dämon befreien könnten. Wie werden wir also das erreichen? Wenn wir ihm die klare Überzeugung beibringen, dass sein Geiz ihm gerade dazu am meisten hinderlich ist, nämlich um Reichtümer zu erwerben; denn wer auch das Kleinste gewinnen will, wird großen Schaden leiden. Das ist sogar schon zum Sprichwort geworden. So ist es schon oft vorgekommen, dass diejenigen, die ihr Geld für hohe Zinsen ausleihen wollten, aus lauter Gewinnsucht sich die Schuldner nicht genau ansahen, und dann mit den Zinsen auch das ganze Kapital verloren. Andere haben selbst nicht in Lebensgefahr einen geringen Teil opfern wollen und verloren deshalb zugleich Leben und Vermögen. Wieder andere wären in der Lage gewesen, einträgliche Stellen oder sonst etwas Ähnliches sich zu verschaffen, haben aber dann aus Knauserigkeit alles verloren. Da sie eben nicht zu säen verstehen, sondern immer nur ans Einheimsen denken, so geht ihnen oft die ganze Ernte verloren. Niemand kann immerfort Ernte halten, niemand fortwährend Gewinn machen. Da sie also nichts ausgeben wollen, verstehen sie auch keinen Gewinn zu machen. Ja, selbst wenn es sich darum handelte, eine Frau nehmen zu müssen, es ginge ihnen gerade so. Denn entweder werden sie hintergangen und erwischen statt einer Reichen eine Arme, oder sie bekommen eine Reiche, die aber dafür tausend Fehler und Untugenden hat, und dann sind sie noch schlimmer daran, als im ersten Falle. Denn nicht Vermögen, sondern Tugend macht wahrhaft reich. Oder was nützt Reichtum, wenn die Frau rechten Aufwand macht und das Geld verschwendet und alles fortträgt, schneller als der Wind? Was nützt der Reichtum, wenn sie sich der Unzucht ergibt und ein Heer von Liebhabern nach sich zieht? Was nützt er, wenn sie sich dem Trunke ergibt? Wird sie nicht in kürzester Zeit den Mann an den Bettelstab bringen? Aber nicht bloß beim Heiraten, auch beim Einkaufen schaden die Geizigen sich selbst, da sie aus lauter Interesse nicht die Sklaven anschaffen, die etwas wert sind, sondern die man recht billig haben kann. 

   Erwägt also alles das; denn was ich über die Hölle und den Himmel zu sagen hätte, könnt ihr noch gar nicht fassen. Denkt an den Schaden, den euer Geiz euch oft einträgt, beim Ausleihen von Geld, beim Einkaufen, beim Heiraten, bei Anstellungen und in allen anderen Dingen, und lasset endlich ab von eurer Liebe zum Geld. Nur so könnt ihr sowohl dieses zeitliche Leben in Ruhe und Sicherheit genießen, und, wenn ihr auch nur ein wenig Fortschritte macht, auch die Lehren der wahren Weisheit fassen und bei genauem Zusehen die Sonne der Gerechtigkeit selber schauen und der Güter teilhaftig werden, die uns durch sie verheißen wurden und die wir alle erlangen mögen durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, der Ehre und Macht besitzt in alle Ewigkeit. Amen!






Kommentar zum Evangelium Mt 27