Kommentar zum Evangelium Mt 33

Dreiunddreißigste Homilie. Kap X, V.16-22.

33 Mt 10,16-22
1.

V.16: "Siehe, ich sende euch wie Schafe inmitten von Wölfen. Werdet also klug wie die Schlangen und einfältig wie die Tauben." 

   Zuerst hatte der Herr die Apostel wegen der notwendigen Nahrung beruhigt, hatte ihnen alle Häuser geöffnet und ihnen das Betreten derselben in ehrenvoller Weise ermöglicht. Er wollte nicht, dass sie wie Landstreicher und Bettler in die Häuser kommen, sondern wie Leute, die an Würde weit über denen stehen, von denen sie aufgenommen werden. Das zeigt er ja durch die Worte: "Der Arbeiter ist seines Lohnes wert" und dadurch. dass er ihnen befahl, zu fragen, wer würdig sei, und dann erst dort zu bleiben, und dass er ihnen auftrug, den Gastgebern den Friedensgruß zu entbieten, während er denen, die die Gastfreundschaft verweigern, jene unerträgliche Strafe androht. So hatte er ihnen also alle Sorge benommen und sie noch dazu mit der Gabe der Wunderkraft ausgerüstet und gewissermaßen gehärtet wie Eisen und Diamant; und erst nachdem er sie von allen irdischen Gedanken befreit und ihnen jede eitle Sorge benommen hatte, da kündete er ihnen auch die Leiden an, die ihrer harrten, und zwar nicht bloß die, die unmittelbar bevorstanden, sondern auch jene, die erst nach langer Zeit eintreten sollten. Er wollte sie dadurch schon lange zuvor auf den Kampf mit dem Teufel vorbereiten. Damit erreichte der Herr verschiedene gute Absichten. Erstens, dass die Apostel seine Prophetengabe erkannten; zweitens, dass keinem der Gedanke kam, sie hätten wegen der Machtlosigkeit ihres Herrn solches zu leiden; drittens, dass diejenigen, denen solches bevorstand, nicht zu erschrecken brauchten, wie wenn es plötzlich und unerwartet gekommen wäre; viertens, dass sie nicht etwa verwirrt würden, wenn sie dies erst in dem Augenblicke zu hören bekämen, wo ihm schon der Kreuzestod bevorstand. Denn so ging es ihnen, als er jene tadelnden Worte sprach: "Weil ich dies zu euch gesagt habe, hat Trauer euer Herz erfüllt; und keiner von euch fragt mich: Wohin gehst du?" (Jn 16,6 Jn 16,5). Und doch hatte er noch gar nichts von sich selbst gesagt, wie z.B., dass er sollte gebunden, gegeißelt und getötet werden. Er wollte eben nicht auch noch damit ihre Seele betrüben; vielmehr sagte er ihnen zunächst nur das voraus, was ihnen selbst zustoßen sollte. 

   Ferner sollten sie erkennen, dass dies ein ganz neues Kriegsgesetz sei und ein Kampf ganz ungewöhnlicher Art; er sandte sie ja ganz arm hinaus, nur mit einem Gewande bekleidet, ohne Schuhe, ohne Stab, ohne Gürtel und Reisetaschen und befahl ihnen, sich von dem zu ernähren, was sie erhielten. Gleichwohl beschloß er auch damit seine Rede nicht, sondern sagte zum Beweis seiner unaussprechlichen Macht: Und wenn ihr auf diese Weise auszieht, so zeiget die Sanftmut von Lämmern, obgleich ihr im Begriffe steht, zu Wölfen zu gehen, ja nicht bloß zu Wölfen, sondern mitten unter die Wölfe. Auch gebietet er ihnen, nicht allein die Sanftmut von Lämmern zu besitzen, sondern auch die Einfalt der Tauben. Denn auf diese Weise, so sagt er gleichsam, werde ich am besten meine Macht zeigen, wenn Lämmer über Wölfe siegen, wenn sie mitten unter Wölfen sich befinden, ungezählte Wunden empfangen, aber nicht nur nicht zugrunde gehen, sondern sogar die anderen bekehren. Das verdient vielmehr Bewunderung und ist etwas viel Größeres, als andere umzubringen, dass nämlich die Feinde ihre Ansicht ändern und ihre Gesinnung umwandeln, und das alles, obwohl die Apostel nur zu zwölf waren, und die Welt mit Wölfen ganz gefüllt war. 

   Schämen wir uns also, die wir das Gegenteil davon tun, die wir gleich Wölfen unsere Feinde anfallen. Solange wir Lämmer sind, siegen wir. Mögen auch unzählige Wölfe uns umgeben, wir siegen doch und gewinnen die Oberhand. Wenn wir dagegen selbst zu Wölfen werden, unterliegen wir; es fehlt uns dann eben die Hilfe des Hirten. Er weidet ja nicht Wölfe, sondern Schafe; deshalb verläßt er dich und zieht sich von dir zurück. Du machst es ihm ja unmöglich, seine Macht zu zeigen. Wenn du dich bei Unbilden sanftmütig zeigst, so wird der ganze Siegespreis ihm zugeschrieben; wenn du dich dagegen wehrst und dich verteidigst, so tust du dem Siege Eintrag. Beachte indes, wer diejenigen sind, an die diese harten und schweren Gebote gerichtet wurden: Arme, einfältige Leute, die nicht schreiben und lesen gelernt, die niemand kannte, die sich niemals mit weltlichen Gesetzen befaßten, die vielleicht nie in öffentlichen Versammlungen aufgetreten, Fischer, Zöllner, Leute, die mit tausenderlei Armseligkeiten behaftet waren. Wenn aber eine solche Aufgabe schon die Hohen und Großen zu verwirren vermag, wie sollte sie nicht diejenigen niederschmettern und erschrecken, die ganz unerfahren waren und niemals von Würde und Auszeichnung auch nur geträumt hatten? Aber es schreckte sie doch nicht ab. Das ist ganz natürlich, könnte vielleicht einer sagen; gab ihnen ja doch der Herr die Macht, Aussätzige rein zu machen und Teufel auszutreiben. Ich möchte dagegen lieber sagen, dass gerade das sie am meisten bedenklich machen könnte, dass sie trotz Totenerweckungen so unerträgliche Leiden erfahren sollten, Gerichte, Gefangennahmen, allseitige Anfeindung, gemeinsamen Haß der ganzen Welt, und dass sie solches leiden sollten, obgleich sie Wunder wirkten. Was ist nun also ihr Trost in all dem? Die Macht dessen, der sie aussandte. Deshalb hat auch der Herr gerade das allem anderen vorangestellt und gesagt: "Siehe, ich sende euch." Das genügt zu eurer Beruhigung, das genügt, um euch Mut und Vertrauen zu geben und euch die Furcht vor denen zu nehmen, die euch anfeinden.



2.

Siehst du da Christi Macht, siehst du seine Gewalt, siehst du seine unbezwingliche Stärke? Der Sinn seiner Worte aber ist der: Seid nicht verzagt, dass ich euch mitten unter die Wölfe sende und euch befehle, wie Lämmer und Tauben zu sein. Ich hätte auch das Gegenteil tun können und nicht erlauben, dass euch etwas Böses widerfahre, euch nicht wie Schafe in die Gewalt von Wölfen fallen lassen, sondern machen können, dass ihr schrecklicher geworden wäret als Löwen. Indes ist es gut für euch, dass es so geht; denn das macht euch nur berühmter und das kündet auch laut meine Macht. So sprach der Herr auch zu Paulus: "Es genügt dir meine Gnade; denn meine Macht wird in der Schwäche vollendet" (2Co 12,9). Ich bin es also, der euch befahl so zu sein. Das ist es ja, was der Herr mit den Worten andeutet: "Ich sende euch wie Schafe." Verlieret darum den Mut nicht. Ich weiß ja recht wohl, dass ihr gerade so für alle unbezwingbar sein werdet. Damit sie aber auch aus sich selbst etwas dazu täten und es nicht den Anschein habe, als habe die Gnade allein alles gemacht, und sie nicht glaubten, ganz umsonst belohnt zu werden, sagt er: "Seid also klug wie die Schlangen und einfältig wie die Tauben." Und was vermöchte auch unsere eigene Klugheit inmitten so großer Gefahr? Ja, wie können wir denn überhaupt noch Klugheit zeigen, wenn wir von solchen Sturmwellen überschüttet werden? Ein Lamm mag noch so klug sein, wenn es mitten unter Wölfen ist und dazu noch unter solchen Wölfen, was kann es da noch ausrichten? Und die Taube mag noch so einfältig sein, was nützt es ihr, wenn sie von so vielen Habichten verfolgt wird? Wenn es sich um unvernünftige Tiere handelt allerdings nichts, bei euch dagegen nützt es gar viel. 

   Indes sehen wir, welche Art von Klugheit der Herr hier verlangt? Die Klugheit der Schlangen, sagt er. Diese gibt nämlich lieber alles preis; ja, wenn man ihr auch den Leib in Stücke hauen müßte, sie achtet dessen nicht sehr, wenn sie nur den Kopf schützen kann. So mußt auch du, will der Herr sagen, außer dem Glauben alles preisgeben und solltest du auch dein Vermögen, deinen Leib, ja dein Leben opfern müssen. Denn der Glaube ist die Krone und Wurzel; wenn er gewahrt wird, dann magst du alles verlieren. du wirst doch alles wieder viel reichlicher gewinnen. Deshalb wollte der Herr nicht, dass man bloß einfältig und schlicht sei, auch nicht bloß klug, vielmehr wollte er beides zugleich, damit es wirklich Tugend sei. Er wollte die Klugheit der Schlange, damit du keine tödliche Wunde empfangest; die Einfalt der Taube, damit ihr den Bösen nicht vergeltet und an euren Feinden keine Rache nehmt: denn ebenso hat die Klugheit keinen Wert, wenn nicht auch diese Tugend[347] dazu kommt. Was gibt es da wohl Schwereres als solche Vorschriften? Ist es denn nicht genug, dass man überhaupt Unrecht leiden muß? Durchaus nicht, sagt der Herr; ich will sogar, dass du nicht einmal darüber erzürnest, denn das entspricht der Natur der Taube. Das ist gerade so, wie wenn jemand ein Schilfrohr ins Feuer wirft und wollte, dass es nicht vom Feuer verzehrt würde, sondern das Feuer auslösche. Indes, wir wollen die Fassung nicht verlieren. Denn so ist es wirklich gegangen, so hat es sich erfüllt und durch die Tat bewahrheitet. Die Apostel sind klug geworden wie die Schlangen und einfältig wie die Tauben, und doch hatten sie keine andere Natur, sondern die gleiche wie wir. Es glaube darum keiner, diese Gebote seien unmöglich zu erfüllen. Der Herr weiß ja besser als irgend jemand, was er für Vorschriften gibt. Er weiß, dass Anmaßung nicht durch Anmaßung, sondern durch Sanftmut bezwungen wird. 

   Wenn du dies aber auch an praktischen Fällen verwirklicht sehen willst, so ließ die Apostelgeschichte. Da wirst du sehen, wie oft das Judenvolk sich im Aufruhr erhoben und mit den Zähnen knirschte, und wie dann die Apostel die Taube nachahmten, mit entsprechender Sanftmut antworteten, ihren Zorn beschwichtigten, ihren Unmut besänftigten, ihr Ungestüm zur Ruhe brachten. Als nämlich die Juden sagten:"Haben wir euch nicht feierlich geboten, nicht mehr in diesem Namen zu reden (Ac 5,28), da haben sie nichts Herausforderndes gesagt oder getan, obwohl sie tausend Wunder hätten verrichten können, vielmehr haben sie sich voll Sanftmut verteidigt und gesagt: "Richtet selbst, ob es recht ist, euch mehr zu gehorchen als Gott" (Ac 4,19). Erkennst du die Ein falt der Taube? Beachte aber auch die Klugheit der Schlangen: "Denn es liegt nicht in unserer Macht, von dem nicht zu reden, was wir wissen und gehört haben" (Ac 4,20). Siehst du, wie man nach jeder Richtung hin gewappnet sein muß, um weder durch die Gefahr gebeugt, noch vom Zorn erregt zu werden? Deshalb sagt auch der Herr:

   V.17: "Hütet euch vor den Menschen; denn sie werden euch den Gerichten überliefern und in den Synagogen euch geißeln,

   V.18: und ihr werdet hingeführt werden vor Fürsten und Könige um meinetwillen, zum Zeugnis für sie und die Völker." 

   Nochmals befiehlt ihnen der Herr, vorsichtig zu sein, und überall weist er sie an, für sich das Böse zu dulden, dagegen das Böse tun den andern zu überlassen. Damit will er zeigen, dass im Leiden der Sieg liegt, und dafür hat er auch einen herrlichen Lohn verheißen. Er sagte nicht: Werdet auch ihr zornig und widerstehet denen, die euch Böses tun wollen! Nein, er sagte nur: "Ihr werdet das Äußerste zu erdulden haben."



3.

O wie groß ist die Macht dessen, der da redet! Wie groß die Weisheit derer, die ihn hören! Ja, wir müssen uns billig wundern, dass sie beim Anhören solcher Reden nicht gleich alle davonliefen. Sie waren ja furchtsame Leute, die noch nie über den See hinausgekommen waren, in dem sie ihre Fische fingen. Und warum haben sie denn nicht bei sich gedacht und zu sich selbst gesagt: Wohin sollen wir dann noch fliehen? Die Gerichtshöfe sind gegen uns, feindlich gesinnt sind uns die Könige, die Fürsten, die Synagogen der Juden, die Völker der Heiden, die Obrigkeiten und die Untertanen. Mit den obengenannten Worten hat ihnen nämlich der Herr nicht bloß die Leiden angekündigt, die ihnen in Palästina warteten, sondern auch die Kämpfe eröffnet, die sie von der ganzen Welt zu bestehen hätten, indem er sagte: "Ihr werdet hingeführt werden vor Könige und Fürsten." Damit zeigt er an, dass er sie später als Verkünder des Glaubens auch zu den Heiden schicken wolle. Ja, du hast die ganze Welt gegen uns zum Kampfe aufgerufen, hast alle Bewohner der Erde gegen uns gewappnet, die Völker, die Herrscher, die Könige. Was aber nachfolgt, ist noch viel schrecklicher, dass nämlich die Menschen sogar Bruder,Kinderund Vatermörder werden sollen.

   V.21: "Denn" heißt es weiter, "es wird der Bruder den Bruder dem Tode überliefern und der Vater sein Kind und erheben werden sich die Kinder gegen die Eltern und werden sie töten." 

   Wie werden aber dann, so mochten die Apostel fragen, die anderen glauben, wenn sie sehen, dass unseretwillen Kinder von ihren Vätern umgebracht werden und Brüder von ihren Brüdern, und dass alles voll ist von Greueltaten? Werden sie uns nicht wie böse Dämonen, werden sie uns nicht als Fluchbeladene und Weltverderber überall vertreiben, wenn sie sehen, dass die Erde mit dem Blute von Stammverwandten gesättigt ist und voll von solchen Mordtaten? Da werden wir einen schönen Friedensgruß in die Häuser bringen, wenn wir sie mit solchen Bluttaten erfüllen. Ja, wenn wir wenigstens viele wären und nicht nur zwölf! Wenn wir nur keine einfältigen und ungebildeten Leute wären, sondern gelehrte und sprachgewandte Redner! Ja, wenn wir Könige wären und Armeen besäßen und Geld in Menge! Wie sollen wir dagegen imstande sein, jemand zu bekehren, wenn wir Bürgerkriege entzünden, ja noch viel schlimmeres als Bürgerkriege? Denn wenn wir auch unser Wohl gering achten, wer wird uns von den anderen folgen? Doch nein; nichts von alldem haben die Apostel weder gedacht noch gesagt; sie fragten auch nicht nach dem "Warum" dieser Befehle; sie haben einfach willfahrt und gehorcht. 

   Das war aber eine Folge nicht bloß ihrer Tugend, sondern auch der Weisheit des Meisters. Denn sieh nur, wie er jeden[348] Leiden auch einen Trost zur Seite gestellt. Und von denen, die die Aufnahme verweigern würden, sagte er: "Dem Lande Sodoma und Gomorrha wird es besser ergehen am Tage des Gerichtes, als solch einer Stadt" (Mt 10,15). Ebenso fügt er hier zu den Worten: "Ihr werdet vor Fürsten und Könige geführt werden", hinzu: "um meinetwillen, zum Zeugnis für sie und die Völker". Es ist aber dies kein geringer Trost, um Christi willen solches zu leiden und zu gleicher Zeit für andere zum Zeugnis zu dienen. Wir können nämlich beobachten, dass Gott, auch wenn niemand es sieht, doch überall das Seine tut. Indes tröstet er sie damit, nicht weil sie nach der Bestrafung anderer Verlangen getragen hätten, sondern damit sie die frühere Zuversicht besäßen, dass sie ihn überall zur Seite haben würden; da er ja dies vorausgesagt und vorausgesehen hatte, und dass sie nicht etwa als Verbrecher und Schuldbeladene soviel zu leiden hätten. Außerdem tröstet er sie mit einem anderen, nicht unwichtigen Hinweis, in dem er sagt:

   V.19: "Wenn sie aber euch überliefern, so macht euch keine Sorgen darüber, wie oder was ihr reden sollt; den n in jener Stunde wird euch eingegeben werden, was ihr sagen werdet.

   V.20: Denn nicht ihr seid es, die reden, sondern der Geist eures Vaters in euch." 

   Damit nämlich die Apostel nicht etwa sagten: "Wie werden wir imstande sein zu gehorchen, wenn derlei Dinge geschehen", so heißt er sie auch wegen ihrer Verteidigung guten Mutes sein. Und während er an einer anderen Stelle sagt:"Ich werde euch Mund und Weisheit geben" (Lc 21,15), spricht er hier: "Der Geist eures Vaters ist es, der in euch redet"; damit erhebt er sie gleichsam zur Würde von Propheten. Das ist der Grund, weshalb er zu gleicher Zeit mit der Macht, die ihnen gegeben ward, auch auf die Leiden hinwies, auf Tod und Mord.

   V.21: "Denn der Bruder wird den Bruder zum Tode überliefern und der Vater den Sohn, und die Kinder werden sich erheben wider die Eltern und werden sie dem Tode überantworten." 

   Ja, selbst da bleibt der Herr noch nicht stehen; er fügt etwas hinzu, das noch viel schrecklicher ist und einen Stein erzittern machen könnte:

   V.22: "Ihr werdet der Gegenstand allgemeinen Hasses sein." 

   Doch hat er hierfür schnell einen Trost zur Hand, denn er sagt: "Ihr werdet all das leiden um meines Namens willen", und außerdem noch einen zweiten: "Wer aber ausharrt bis ans Ende, der wird gerettet werden." Diese Worte waren auch aus einem anderen Grunde geeignet, den Geist der Jünger aufzurichten. Die Macht ihrer Predigt sollte ja so groß werden, dass sie die Natur beschämten, die Rücksicht auf Verwandtschaft hintansetzten, und allem anderen das Wort Gottes vorzögen, das alle Hindernisse machtvoll beseitigen würde. Denn wenn schon die Naturkraft dem Worte Gottes nicht zu widerstehen vermag, sondern besiegt und überwältigt wird, was sollte denn sonst noch euch bezwingen können? Aber trotzdem werdet ihr kein ruhiges, gefahrloses Leben führen können, vielmehr werdet ihr an den Bewohnern der ganzen Welt euren gemeinsamen Feind und Widersacher haben.



4.

Wo bleibt da jetzt Plato? Wo Pythagoras? Wo die Schar der Stoiker? Der erstere hat zwar anfangs große Ehre gefunden, ward aber dann so unwürdig behandelt, dass man ihn sogar verkaufte; und seine Ideen konnte er nicht einmal bei einem einzigen Herrscher verwirklichen Pythagoras aber kam auf elende Weise um, nachdem er sogar seine eigenen Schüler verraten hatte. Und die Torheiten der Zyniker sind jetzt von allen überwunden, als wären sie Traum und Schatten gewesen. Aber gleichwohl ist jenen nie etwas Ähnliches zugestoßen. Im Gegenteil, sie genossen ob ihrer Weltweisheit Ruhm und Ehre. So haben z.B. die Athener die Briefe Platos öffentlich ausgestellt, die ihnen Dion gesandt hatte. Dazu verbrachten diese Philosophen ihr ganzes Leben mit Nichtstun und sammelten dabei nicht geringe Reichtümer. So hat z.B. Aristipp sich teure Dirnen gemietet; ein anderer hinterließ testamentarisch eine recht hübsche Summe Geldes; ein dritter schritt über seine Schüler hinweg, die sich als Brücke hergeben mußten. Von dem Philosophen aus Sinope[349] endlich erzählt man, er habe seine Schandtaten auf offenem Markte getrieben. So sehen ihre Großtaten aus. Hier dagegen ist nichts dergleichen zu bemerken; da ist alles beharrliche Keuschheit und peinlichste Reinheit, Kampf gegen die ganze Welt für Wahrheit und Gottes Ehre, und ein tägliches Martyrium, das von herrlichem Lohne gekrönt wird. 

   Indes, wendest du ein, es gibt unter den Heiden wenigstens einige[350] Feldherrn, wie z.B. Themistokles und Perikles. Ja, aber auch ihre Taten sind im Vergleiche zu denen der Fischer nur Kinderspiel. Oder was kannst du wohl Großes an ihnen rühmen? Dass der eine die Athener bewogen, die Schiffe zu besteigen, als Xerxes wider Hellas heranzog? Hier ist es aber nicht bloß Xerxes, der heranzieht, sondern der Teufel, der im Bunde mit der ganzen Welt und mit unzähligen Dämonen diesen Zwölfen entgegentritt, und zwar nicht bloß ein einziges Mal, sondern ihr ganzes Leben lang; und doch haben sie gesiegt und den Feind bewältigt. Und das Wunderbare daran ist, dass sie ihre Gegner nicht etwa getötet, sondern bekehrt und umgewandelt haben. Ja, gerade das müssen wir überall am meisten beachten. Dass die Apostel ihre Widersacher nicht getötet und vernichtet haben, sondern dass sie Leute vorfanden, die Dämonen glichen und die sie zu Gefährten der Engel machten, dass sie die menschliche Natur von dieser unseligen Herrschaft des Teufels befreiten und die elenden Dämonen, die überall Unfrieden stifteten, von den Marktplätzen und aus den Häusern, ja sogar aus der Wüste vertrieben. Das bezeugen die Chöre der Mönche, die sie überall gepflanzt, und die nicht bloß die Welt, sondern auch die Einöde gereinigt haben. Und was noch bewunderungswürdiger ist, sie haben das alles nicht in Kampf und Streit zuwege gebracht, sondern haben alles durch Leiden erreicht. Ihre Gegner hatten sie ja mitten in ihrer Gewalt; zwölf ungebildete Leute; sie haben sie gefesselt, mit Ruten geschlagen, überall umhergeschleppt, und doch vermochten sie dieselben nicht zum Schweigen zu bringen. Ja, sie konnten ihre Zunge so wenig fesseln, als man einen Sonnenstrahl anbinden kann. Das kam, aber davon her, dass nicht die Apostel es waren, die da redeten, sondern die Kraft des Hl.Geistes. Auf diese Weise hat denn auch Paulus den Hof des Agrippa besiegt, und den Nero, der alle Menschen an Schlechtigkeit übertraf. "Denn",sagt er,"der Herr stand bei mir und stärkte mich und befreite mich aus dem Rachen des Löwen" (2Tm 4,17). Darum verdienen die Apostel auch von dir bewundert zu werden; denn als sie die Worte vernahmen:"Seid nicht in Sorge", da befolgten sie es voll Glauben und nichts konnte sie mehr erschrecken, und wäre es auch noch so furchtbar gewesen. 

   Wenn du aber einwendest, der Herr habe ihnen auch genügend Mut gemacht mit den Worten: "Der Geist eures Vaters ist es, der da reden wird", so bewundere ich sie gerade deshalb am meisten, weil sie nicht schwankten und sich den Leiden nicht zu entziehen suchten, obgleich sie ja dieselben nicht zwei oder drei Jahre, sondern das ganze Leben hindurch ertragen sollten. Das deutet der Herr an mit den Worten:"Wer aber ausharrt bis ans Ende, wird gerettet werden." Er will eben, dass ihr guten Werke nicht bloß ihm zu verdanken wären, sondern dass sie auch selbst dabei mitwirkten. Betrachte nun gleichsam von oben, wie der Anteil Gottes und der der Jünger zustande kommt. Dass sie Wunder wirkten, ist seine Tat, dass sie aber gar keinen Gewinn daraus zogen, ihr Verdienst. Dass sie alle Türen zu öffnen vermochten, war eine Gabe Gottes; dass sie aber nur um das Notwendige baten, war eine Folge ihrer eigenen Tugend. "Denn der Arbeiter ist seines Lohnes wert." Den Frieden geben ist ein Geschenk Gottes; dagegen die Würdigen aussuchen und nicht zu allen ohne Unterschied hineingehen, das konnten sie aus eigener Kraft. Ebenso ist es Gottes Sache, diejenigen zu strafen, die den Aposteln die Aufnahme verweigern; dagegen ruhig und gelassen von solchen fortzugehen, ohne zu klagen und zu tadeln, war ein Verdienst ihrer eigenen Sanftmut. Den Geist zu verleihen und zu machen, dass er nicht mißachtet werde, war Aufgabe dessen, der den Geist sandte; dagegen wie Lämmer und Tauben alles geduldig ertragen, dazu hatten sie selbst genügende Kraft und Einsicht. Gehaßt werden, ohne den Mut zu verlieren und auszuharren, war ihr Werk; die Beharrlichen zu retten, das Werk desjenigen, der sie sandte. Deshalb sagt auch der Herr: "Wer ausharrt bis ans Ende, der wird gerettet werden."



5.

Die meisten Menschen pflegen im Anfang stark zu sein; nachher aber werden sie schwach. Deshalb sagt der Herr: "Ich schaue auf das Ende." Oder was nützt der Same, der im Anfang blüht, aber bald darauf verdorrt? Darum verlangt der Herr von seinen Jüngern hinlängliche Beharrlichkeit. Es sollte nämlich niemand sagen, er allein habe alles gemacht und es sei darum nicht zu verwundern, dass die Apostel so mutig seien; sie hätten ja ohnehin nichts Schweres zu tragen gehabt. Deshalb sagt er zu ihnen: Auch eure Standhaftigkeit ist vonnöten. Denn wenn ich euch auch aus den ersten Gefahren befreite, ich habe für euch noch andere und schwerere vorbehalten und auf diese werden wiederum andere folgen, und an Widersachern wird es euch nicht fehlen, solange ihr atmet. Das deutet der Herr an mit den Worten: "Wer bis ans Ende verharrt, wird gerettet werden." Und wenn er gesagt hat: "Seid nicht in Sorge, was ihr reden werdet", so fügt er anderswo hinzu: "Seid bereit, jedem zu antworten, der euch fragt über die Hoffnung, die in euch ist" (1P 3,15). Solange sich der Wettkampf nur unter Freunden abspielt, will er, dass auch wir selber für das Rechte sorgen; wo es sich aber um den furchtbaren Richterstuhl handelt, um wild aufgeregte Volksmassen, um Angst und Bangigkeit von allen Seiten, da tritt der Herr für uns ein, damit wir voll Mut und Vertrauen redeten, uns nicht einschüchtern ließen und die Gerechtigkeit nicht preisgäben. Ja, es war ein großes, erhabenes Schauspiel, die Männer zu sehen, die an Seen ihr Gewerbe ausgeübt, mit Häuten und Zolltischen sich abgegeben hatten. Da sitzen die Machthaber, da stehen vor ihnen die Heerführer und Speerträger; es sind die Schwerter entblößt und alles steht auf ihrer Seite. Dann kommen sie herein[351] , allein, gebunden, gebeugt: und doch haben sie die Kraft und den Mut, den Mund zu öffnen! Man wollte ihnen ja nicht einmal erlauben, über ihre Lehren frei zu reden und sie zu verteidigen, sondern gedachte sie wie gefährliche Weltverderber dem Tode zu überantworten. "Sie sind es", sagen sie, "die den ganzen Erdkreis in Aufruhr bringen, und da stehen sie." Und ebenso:"Sie predigen gegen die Satzungen des Kaisers und behaupten, Christus sei König" (Ac 17,67). Und überall hatten sich die Gerichtshöfe mit solchen Anklagen zu beschäftigen. Es bedurfte daher gar sehr der Kraft von oben, um diese beiden Punkte zu beweisen; erstens, dass die Lehren wahr seien, die sie verkündeten, und zweitens, dass sie sich durchaus nicht gegen die öffentlichen Gesetze verfehlten; dass außerdem der Eifer, mit dem sie ihre Lehren verkündeten, sie nicht in den Verdacht brächte, die Gesetze umstürzen zu wollen, und dass sie andererseits ihre Lehrpflicht nicht verletzten durch ihr Bemühen, zu zeigen, dass sie die öffentliche Ordnung nicht antasten wollen. Da kannst du sowohl bei Petrus als auch bei Paulus wie bei allen anderen Aposteln sehen, wie sie all diesen Rücksichten mit entsprechender Einsicht gerecht wurden. Sie wurden auf dem ganzen Erdkreis als Aufwiegler, als Unruhestifter und Neuerer verschrien; gleichwohl haben sie auch diese Anklage widerlegt un bewiesen, dass sie das Gegenteil davon waren, dass sie von allen als Retter, als Beschützer und Wohltäter gepriesen würden. Das alles brachten sie aber durch ihre große Beharrlichkeit zustande. Darum sagt auch Paulus: "Jeden Tag sterbe ich" (1Co 15,31). Und bis zu seinem Tode befand er sich fortwährend in Gefahren. 

   Was verdienen nun da wir, wenn wir, mit solchen Beispielen vor Augen, mitten im Frieden verweichlichen und zu Fall kommen? Wir verlieren das Leben, obwohl niemand gegen uns kämpft; wir werden besiegt, obgleich niemand uns verfolgt; wir sollen im Frieden unser Heil wirken, und nicht einmal das bringen wir zustande! Während bei ihnen der ganze Erdkreis in Flammen stand und das Feuer über die ganze Welt hinloderte, da gingen sie mitten hinein und retteten die brennenden Menschen aus dem Feuer. Du aber vermagst nicht einmal dich selbst zu retten! Welche Entschuldigung bleibt uns also noch? Welche Nachsicht verdienen wir? Uns bedrohen weder Geißelhiebe noch Kerkerverließe, weder Könige noch Juden, noch irgend etwas Derartiges; ganz im Gegenteil, wir sind es, die befehlen, und herrschen. Wir haben gottesfürchtige Kaiser, den Christen werden alle Ehren erwiesen; sie erhalten die hohen Ämtern sie genießen Ruhm und Freiheit! Aber trotz alldem tragen wir keine Siege davon! Damals wurden die Christen tagtäglich zum Tode geführt, sowohl Priester als Laien, waren stets mit unzähligen Striemen und Wunden bedeckt; aber dennoch genossen sie mehr Glück und Freude als die Bewohner des Paradieses. Wir hingegen können solche Leiden nicht einmal im Traume ertragen und sind viel weicher als Wachs. Ja, sagst du, jene haben aber auch Wunder gewirkt. Nun, sind sie vielleicht deshalb nicht gegeißelt worden? Wurden sie deshalb nicht zum Tode geführt? Gerade darin liegt ja das Auffallende, dass sie solche Dinge sogar von jenen zu erdulden hatten, denen sie Wohltaten erwiesen, und dass sie auf diese Weise Böses für Gutes erfuhren. Wenn aber du jemand auch nur eine kleine Gefälligkeit erwiesen hast und nachher irgendeine Widerwärtigkeit von ihm erfährst, wirst du gleich verwirrt, verlierst die Ruhe und bereust das, was du ihm getan hast.



6.

Wenn es also, was nicht geschehen möge, und wohl auch nie geschehen dürfte, je zu einem Kampf gegen die Kirche und zu einer Verfolgung käme, so stelle dir vor, welch rohes Gelächter da entstünde, wie groß die Schande wäre! Und ganz mit Recht. Denn wenn niemand sich auf dem Exerzierplatz übte, wer soll da im Kampf sich bewähren? Welcher Athlet, der nichts von der Gymnastik versteht, wird am Tage der olympischen Spiele sich dem Gegner gegenüber als wackerer Kämpfer erweisen? Muß man sich da nicht jeden Tag im Ring- und Faustkampf üben und im Laufen? Oder wißt ihr nicht, wie es die sogenannten Fünfkämpfer machen, wenn sie keinen haben, mit dem sie sich messen können? Da hängen sie einen schweren Sack voll Sand auf und üben an ihm ihre ganze Kraft. Die Jüngeren hingegen üben sich mit ihren Altersgenossen auf den Kampf mit ihren Gegnern ein. Diese Athleten sollst auch du nachahmen, und die Übungen in den geistigen Wettkämpfen dir angelegen sein lassen. Es gibt ja gar viele Menschen, die dich zum Zorne reizen, die böse Begierden in dir wachrufen, einen großem Brand in dir entzünden. Stehe also fest gegenüber den Leidenschaften, ertrage mutig die geistigen Leiden, damit du auch die leiblichen Schmerzen zu ertragen vermögest. Hätte der selige Job nicht schon vor dem Ernstfalle wacker im Kampfe sich geübt, so hätte er sich auch im Kampfe selbst nicht so glänzend bewährt. Wäre ihm nicht daran gelegen gewesen, von aller Leidenschaft frei zu sein, so hätte er sich gewiß zu einer ungehörigen Äußerung hinreißen lassen, als er den Tod seiner Kinder erfuhr. So aber hat er alle die Kämpfe bestanden, den Verlust seines Vermögens und seines so großen Reichtums, den Untergang seiner Kinder, die Liebe zu seiner Frau, die Wunden an seinem Leibe, die Schmähreden seiner Freunde, die Lästerungen seiner Hausgenossen. 

   Willst du aber auch sehen, wie er sich früher geübt hat, so höre, wie er über den Reichtum dachte: "Ich habe mich wenigstens nicht über den großen Reichtum gefreut, der mir zuteil geworden; denn ich habe Gold wie Staub geachtet und auf wertvolle Steine mein Vertrauen nicht gesetzt" (Jb 31,25 u. Jb 31,24). Darum verlor er auch die Fassung nicht, als er seines Reichtums beraubt ward, weil er ja sein Herz nicht an ihn gehängt hatte, solange er ihn besaß. Dann sieh auch, wie er sich seinen Kindern gegenüber verhielt, wie er nicht über Gebühr weichlich gegen sie war wie wir, sondern strenge Disziplin von ihnen verlangte. Denn wenn er schon Opfer brachte für ihre Sünden, die er nicht kannte, so denke dir, welch strenger Richter er gewesen sein muß für die Sünden, die er erfuhr! Willst du aber auch erfahren, wie er sich in der Keuschheit geübt, so höre, wie er sagte; "Ich habe mit meinen Augen einen Bund geschlossen, auf dass sie niemals eine Jungfrau ansehen sollten" (Jb 1,5). Deshalb hat ihn auch seine Frau nicht zu Fall gebracht; denn er liebte sie schon zuvor, aber nicht über das rechte Maß, sondern wie es der Frau gegenüber recht ist. Gerade darum wundere ich mich auch; wie es dem Teufel einfallen konnte, sich in solchen Kampf mit ihm einzulassen, obwohl er wußte, wie sehr er darin geübt war. Warum hat er es also doch getan? Weil er wie ein wildes Tier ist und niemals den Mut sinken läßt. Gerade darin liegt unsere größte Schuld, dass der Teufel die Hoffnung niemals aufgibt, uns zu verderben, wir dagegen an unserer eigenen Rettung verzweifeln. 

   Sodann beachte, wie Job auch an die Verwundung und die Geschwüre seines Leibes zum voraus gedacht hatte. Da ihm selbst nie etwas dergleichen begegnet war und er im Gegenteil sein ganzes Leben in Reichtum, Genuß und Glanz verbracht, so hatte er wenigstens das Unglück anderer sich täglich vor Augen gehalten. Das können wir aus seinen Worten ersehen: "Denn was ich immer befürchtet hatte, kam über mich, und wovor ich mich geängstigt hatte, das begegnete mir" (Jb 3,25). Und an einer anderen Stelle: "Ich weinte über jeden Armen und seufzte, wenn ich jemand in Not sah" (Jb 30,25). Darum konnte ihn auch keiner von den großen, unerträglichen Schicksalsschlägen, die über ihn kamen, aus der Fassung bringen. Es ist da nicht der Verlust seines Eigentums, auf den du sehen sollst, nicht der Untergang seiner Kinder, nicht jene unheilvolle Krankheit, noch auch die böse Gesinnung seiner Frau, auf die du am meisten sehen sollst; nein, etwas viel Schlimmeres als das. Aber, sagst du, was hat den Job noch Schlimmeres gelitten? Aus der Geschichte wissen wir doch nicht mehr, als das. Ja, wenn wir die Augen zumachen, dann sehen wir nicht mehr. Wer aber sorgfältig acht gibt und die Perle eifrig sucht, der wird mehr als das heraus finden. Das, was noch schlimmer war und den Job in weit größere Bestürzung zu versetzen imstande war, ist etwas anderes. In erster Linie der Umstand, dass er vom Himmelreich und von der. Auferstehung keine klare Kenntnis besaß. Das bekennt er auch unter Tränen: "Denn ich werde nicht ewig leben, so dass ich deshalb langmütig sein müßte" (Jb 7,16). Für das zweite, weil er wußte, dass er viel Gutes getan hatte. Drittens, dass er sich nichts Schlechtes vorzuwerfen hatte. Viertens, weil er glaubte, Gott habe ihm diese Leiden geschickt; und hätte er auch gewußt, dass sie vom Teufel kamen, so hätte auch das ihm Ärgernis verursachen können. Fünftens, weil er hören mußte, wie ihm seine Feinde angebliche Sünden vorwarfen: "Denn" sagen sie, "du bist noch lange nicht so zugerichtet, als du wegen deiner Sünden verdienst" (Jb 11,6). Sechstens, weil er sah, wie es denjenigen gut ging, die in Schlechtigkeit dahinlebten und wie diese ihn verhöhnten. Siebtens, weil er niemals gesehen hatte, dass je einer soviel zu leiden gehabt hätte.



7.

Und wenn du wissen willst, was das alles heißt, so sieh nur auf das, was bei uns geschieht. Wir erwarten jetzt das himmlische Reich, erhoffen die Auferstehung und unaussprechliches Glück; wir wissen, dass wir unzählige Fehltritte begangen haben; wir haben so große Beispiele vor Augen und empfingen so erhabene religiöse Lehren. Und trotzdem, wenn wir auch nur ein wenig Geld verlieren und dazu oft noch solches, das wir selbst vorher gestohlen haben, so halten wir gleich das Leben für unerträglich; und das, obgleich keine Frau uns zusetzt, obgleich wir keine Kinder verloren haben, keine Freunde uns schmähen, keine Diener uns beschimpfen; während im Gegenteil manche uns trösten, die einen mit Worten, die anderen durch die Tat. Welchen Lohn wird also nicht derjenige verdient haben, der sich ganz urplötzlich und ohne Grund dessen beraubt sah, was er durch redliche Mühen erworben hatte, der zu all dem noch durch eine Unzahl von Heimsuchungen geprüft wurde, aber in all diesen Leiden unerschütterlich blieb und dem Herrn für alles den gebührenden Dank aussprach? Ja, hätte auch sonst niemand etwas zu ihm gesagt, die Worte seiner Frau wären allein imstande gewesen, selbst einen Stein zur Ungeduld zu reizen. Sieh nur, wie schlecht sie sich benimmt. Sie erwähnt nicht das Vermögen, nicht die Kamele, die Schafund Rinderherden[352] ; nein etwas, was viel empfindlicher war als dies, nämlich die Kinder; von diesem Verlust redet sie lang und breit und fügt noch das Ihrige hinzu. 

   Wenn aber auch solche, die wohlhabend sind und kein Leid zu tragen haben, sich oft vielfach von ihren Frauen beeinflussen lassen, so bedenke, welch kräftiges Gemüt Job haben mußte, der seine Frau, die mit so starken Waffen auf ihn eindrang, zurückwies und die allerstärksten menschlichen Gefühle überwand, die Liebe und das Mitleiden! Und doch gibt es viele, die zwar ihre Begierlichkeit bemeistern, aber vom Mitleiden überwunden wurden. So hat auch der edle Joseph die so überaus starke, böse Lust überwunden und jenes barbarische Weib von sich gestoßen, obwohl es tausend Kunstgriffe angewandt hatte; seine Tränen dagegen konnte er nicht bemeistern. Denn als er seine Brüder sah, die gegen ihn Unrecht verübt, da übermannte ihn das Gefühl; er warf sogleich all den falschen Schein von sich und enthüllte die ganze Wahrheit. Wenn es nun gar noch die eigene Frau ist, die so empörend redet, und wenn auch alle anderen Zeitumstände dazu mitwirken, die Wunden und leiblichen Beschwerden und die Aufregungen unermeßlicher Schicksalsschläge, wie sollte man da eine Seele nicht für härter als Diamant ansehen, der selbst solche Stürme nichts anhaben können! Ja, erlaubt mir, dass ich es freimütig heraussage, ich glaube, dieser Selige war, wenn nicht größer, so doch um nichts geringer als die Apostel. Für diese war es wenigstens ein Trost, dass sie für Christus zu leiden hatten; und dieser Gedanken war so sehr geeignet, sie täglich von neuem aufzurichten, dass der Herr ihn bei jeder Gelegenheit vorbrachte und sagte "für mich" und: "um meinetwillen" und: "wenn sie mich den Herrn der Welt, Beelzebub nannten" (Mt 10,25). Job hingegen hatte diesen Trost nicht; er hatte noch keine Wunderzeichen geschaut und die Gnade[353] nicht empfangen. Er besaß ja noch keine so große Stärke durch den Hl. Geist. Ja, was noch mehr ist, das alles, was er zu erdulden hatte mußte er leiden, nachdem er in Fülle und Reichtum aufgewachsen war und nicht von Fischfange, von Zolleinnahmen oder sonst einem armseligen Gewerbe geklebt hatte. Und was uns bei den Aposteln für das allerschwerste vorkommt, gerade das hatte auch er zu leiden; auch er ward gehaßt von seinen Freunden, Hausgenossen und Feinden, und von denen, die er mit Wohltaten bedacht hatte. Den heiligen Hoffnungsanker hingegen und den Hafen ohne Sturm[354] , das durfte er nicht schauen. 

   So bewundere ich auch die drei Jünglinge, die selbst im Feuerofen standhielten und dem Tyrannen nicht gehorchten. Doch höre ihre eigenen Worte: "Deine Götter verehren wir nicht, und das Bild, das du aufgestellt hast, beten wir nicht an!" (Da 3,18). Das eben war für sie der größte Trost, das klare Bewußtsein, dass sie alle ihre Leiden um Gottes willen zu erdulden hätten. Job dagegen wußte nicht, dass all dies eine Übung und eine Probe für ihn war; denn hätte er es gewußt, so hätte er auch die Vorkommnisse nicht so schmerzlich empfunden. Und als der Herr zu ihm sprach: "Glaubst du, ich hätte aus einem anderen Grunde mit die geredet, außer um deine Gerechtigkeit offenkundig zu machen?" (Jb 40,3, nach der LXX), so beachte, wie er alsbald bei diesem einfachen Worte aufatmete, wie gering er von sich selbst dachte, wie er glaubte, das, was er zu leiden gehabt habe, sei noch gar kein Leiden gewesen, und wie er sagt: "Warum werde ich nochmals gerichtet, nachdem ich schon vom Herrn ermahnt und zurechtgewiesen worden, und weshalb muß ich solches hören, obgleich ich doch nichts bin?" Und weiter: "Früher habe ich Dich mit dem Gehöre wahrgenommen, jetzt aber hat mein Auge Dich geschaut; darum erniedrigte ich mich selbst und ward zunichte und ich erachte mich selbst für Erde und Staub" (Jb 42,56). Eine solche Mannhaftigkeit, eine solche Ergebung sollen also auch wir nachahmen, die wir nach dem Erscheinen des Gesetzes und der Gnade Christi leben, während er vorher lebte, damit auch wir einstens mit ihm die Himmelszelte teilen können. Dies möge uns allen zuteil werden durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, der alle Ehre und Macht besitzt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen!






Kommentar zum Evangelium Mt 33