Kommentar zum Evangelium Mt 34

Vierunddreißigste Homilie. Kap. X, V.23-33.

34 Mt 10,23-33
1.

V.23: "Wenn sie euch aber in einer Stadt verfolgen, so fliehet in eine andere. Denn wahrlich, sage ich euch, ihr werdet die Städte Israels nicht vollenden, bevor der Menschensohn kommt." 

   Nachdem der Herr den Jüngern jene furchtbaren und schrecklichen Dinge prophezeit, die selbst einen Diamanten erweichen konnte, und die nach seinem Tode, nach seiner Auferstehung und Himmelfahrt sich ereignen sollten, da kommt er in seiner Rede wieder auf weniger aufregende Dinge zu sprechen, gibt den Glaubenskämpfern wieder etwas Zeit aufzuatmen und erfüllt sie mit großer Zuversicht. Er befahl ihnen nämlich, nicht mit ihren Verfolgern handgemein zu werden, sondern sie zu fliehen. Da sie eben damals noch in den ersten Anfängen standen, so sprach der Herr in einer Weise, die ihrer Schwäche mehr angemessen war. Er redete ja hier noch nicht von den späteren Verfolgungen, sondern von denen, die sie vor seinem Kreuz und Leiden finden sollten. Das offenbart er ihnen mit den Worten:"Ihr werdet die Städte Israels nicht vollenden, bevor der Menschensohn kommen wird." Damit sie nicht etwa sagten: "Wie aber, wenn wir in der Verfolgung fliehen und die Verfolger uns auch von dem neuen Zufluchtsort vertreiben?", so kommt er dieser Besorgnis zuvor und sagt: "Ihr werdet nicht durch ganz Palästina kommen und schon werde ich euch ohne Zögern zu mir nehmen." Beachte sodann, wie der Herr auch da nicht die Leiden beseitigt, dafür aber seinen Beistand in der Gefahr leiht. Er sagt nicht: Ich werde euch retten und den Verfolgungen ein Ende bereiten, sondern:"Ihr werdet die Städte Israels nicht vollenden, bevor der Menschensohn kommt." Um sie zu trösten, genügt es ja, dass sie ihn sahen. Du aber beachte, wie der Herr nicht überall alles der Gnade zuweist, sondern auch von ihrer eigenen Mitwirkung etwas verlangt. Wenn ihr Furcht habt, sagt er, so fliehet denn das meinte er mit den Worten:"fliehet" und "fürchtet euch nicht". Auch befahl er ihnen, nicht gleich von Anfang an zu fliehen, sondern nur, wenn sie vertrieben würden, sollten sie sich zurückziehen, dazu gewährt er ihnen nicht einmal einen großen Spielraum, sondern nur bis sie die Städte Israels durchwandert hätten. 

   Dann aber rüstet er sie wieder für einen anderen Teil der christlichen Lebensweisheit aus. Zuerst benimmt er ihnen die Sorge für den Lebensunterhalt, dann die Furcht vor den Gefahren, zuletzt die vor den bösen Anschuldigungen. Von der ersten Sorge befreit er sie mit den Worten "Der Arbeiter ist seines Lohnes wert" (Lc 10,7), sowie dadurch, dass er zeigt, dass viele ihnen Aufnahme gewähren würden; von der Angst vor den Gefahren, indem er sagt: "Macht euch keine Sorgen darüber, wie und was ihr reden sollst", und "Wer ausharrt bis ans Ende, wird gerettet werden" (Mt 14,13). Die Jünger sollten aber zu all dem auch üblen Nachreden ausgesetzt sein, was ja viele für das allerschwerste halten. Siehe darum, wie der Herr sie auch darüber tröstet und zwar durch den Hinweis auf sich selbst und auf all das, was über ihn gesagt werden sollte, und dem kam ja sonst gar nichts gleich. Früher hatte er gesagt; "Ihr werdet von allen gehaßt werden",und fügte dann hinzu:"um meines Namens willen". Ebenso macht er es auch hier. Auch da tröstet er sie auf dieselbe Weise und fügt außerdem noch etwas anderes hinzu. Und was denn?

   V.24: "Der Jünger", sagt er, "steht nicht über dem Meister, noch auch der Sklave über seinem Herrn.

   V.25: Es ist genug für den Jünger, wenn er wird wie sein Meister, und für den Sklaven, wenn er wird wie sein Herr; wenn sie den Herrn des Hauses Beelzebub nannten, um wieviel mehr dann seine Hausgenossen?

   V.26: Seid also nicht in Furcht vor ihnen." 

   Siehe, wie Christus sich hier enthüllt als den Herrn des Alls, als Gott und Weltenschöpfer. Wie also? "Der Jünger ist nicht über dem Meister, und der Sklave nicht über seinem Herrn." Solange jemand Jünger oder Knecht ist, kann er keinen Anspruch auf besondere Ehre machen. Da komme mir nicht mit seltenen Ausnahmen; bleibe vielmehr bei der allgemeinen Regel. Auch sagt der Herr nicht8 Um wieviel mehr seine Sklaven, sondern; "seine Hausgenossen"; auch dadurch zeigt er eine große Rücksicht auf sie. Ebenso sagt er an einer anderen Stelle: "Ich werde euch nicht mehr Knechte nennen; ihr seid meine Freunde" (Jn 15,15). Auch sagt er nicht: Wenn sie den Herrn des Hauses beschimpften und schmähten; er nennt vielmehr gleich die Art der Beschimpfung, dass sie ihn nämlich Beelzebul nannten. Außerdem gibt er ihnen noch einen zweiten, nicht geringen Trost an die Hand. Der größte ist allerdings der eben genannte. Indes hatten sie die wahre Weisheit noch nicht erlangt; deshalb bedürfen sie noch eines anderen Trostes, für den sie noch am meisten zugänglich wären, und so fügt er auch diesen noch hinzu. Der Wortlaut scheint zwar eine allgemeine Bedeutung zu haben; doch redet der Herr nicht von allen Dingen ohne Unterschied, sondern nur von den vorliegenden. Was sagt er also?"Nichts ist verborgen, das nicht geoffenbart werden wird; und nichts geheim, das nicht bekannt sein wird." Die Bedeutung dieser Worte ist die: Um euch zu trösten, genügt es zwar, dass auch ich, euer Meister und Herr, an der Schmach teilhabe, die euch zugefügt wird. Wenn euch aber meine Vorhersagung doch noch Schmerz bereitet, so bedenkt auch das noch, dass ihr auch von diesem schlechten Rufe nach kurzer Zeit befreit sein werdet. Denn weshalb empfindet ihr Schmerz? Weil sie euch Gaukler und Betrüger nennen? Aber habet nur ein wenig Geduld, und alle werden euch Retter und Wohltäter des Erdkreises nennen. Die Zeit wird alles enthüllen, was jetzt im Dunkeln ist, wird deren Verleumdung an den Pranger stellen und eure Tugend offenbar machen. Denn wenn ihr nachher durch die Tat als Retter und Wohltäter erscheint und all eure Tugend an den Tag kommt, dann werden die Leute nicht mehr auf die Reden jener Menschen achten, sondern nur noch auf die Wahrheit der Tatsachen. Dann werden die einen als Verleumder, Lügner und falsche Ankläger dastehen, ihr aber in herrlicherem Glanze erstrahlen als die Sonne; dann wird eine lange Zeit kommen, die euch offenbaren und preisen und euren Ruhm lauter verkünden wird, als mit Trompetenschall, und alle Menschen wird sie zu Zeugen eurer Tugend machen. Darum dürfen euch meine Worte jetzt nicht entmutigen, vielmehr soll die Hoffnung auf die zukünftigen Güter euch aufrichten. Denn es ist unmöglich, dass eure Taten verborgen bleiben.



2.

So hat denn der Herr seine Jünger von aller Angst, von Furcht und Sorge befreit, und sie über alle Leiden erhaben gemacht. Jetzt war auch der rechte Augenblick gekommen, von der Freimütigkeit in der Verkündigung des Evangeliums zu reden.

   V.27: "Denn", heißt es weiter, "was ich euch in der Finsternis sage, das sollt ihr am hellen Tage wiederholen; und was euch nur ins Ohr gesagt wurde, das sollt ihr auf den Dächern verkünden." 

   Indes, es war ja nicht finster, als der Herr dies sprach; auch flüstert er den Aposteln seine Reden nicht bloß ins Ohr! Nun, der Herr sprach eben hier vergleichungsweise. Weil er nämlich nur zu den Jüngern redete und dies in einem kleinen Winkel Palästinas, deshalb sagt er: "In der Finsternis" und "ins Ohr";er will diese Art der Unterredung dem Freimut gegenüberstellen, den sie nachher besitzen sollten und den er ihnen geben wollte. Denn, meint er, ihr werdet nicht bloß einer oder zwei oder drei Städten predigen, sondern dem ganzen Erdkreis; werdet Land und Meer durchwandern, bewohnte und unbewohnte Gegenden; ihr werdet Fürsten und Völkern, Philosophen und Rhetoren ganz offen und freimütig alles sagen. Deshalb gebraucht der Herr den Ausdruck: "Auf den Dächern" und "saget es am hellen Tage", d.h. ohne irgendwelche Zurückhaltung und mit allem Freimut. Weshalb hat er aber nicht bloß gesagt: "prediget auf den Dächern" und "redet am hellen Tage"; weshalb fügt er auch noch hinzu: "Was ich euch im verborgenen sage" und "was euch nur ins Ohr geflüstert wird"? Er wollte damit ihre Zuversicht heben. So hat er ja auch ein andermal gesagt: "Wer an mich glaubt, der wird auch die Werke tun, die ich tue, ja noch größere als diese" (Jn 14,12). Ebenso hat er auch hier diese Wendung gebraucht, um zu zeigen, dass er alles durch sie wirken wolle und selbst noch mehr, als er ohne sie gewirkt hatte. Den Anfang, will er sagen, und den Beginn mache ich; die Hauptsache dagegen will ich durch euch vollenden. Das vermag aber nur der, der nicht bloß befiehlt, sondern auch imstande ist, die Zukunft vorher zu verkünden, Vertrauen zu seinen Worten einzuflößen und zu beweisen, dass er über alles Macht besitzen wird, und der ganz unmerklich auch ihren Ängsten und Befürchtungen ob der bösen Reden ein Ende machen konnte. Denn wie diese Botschaft, die jetzt noch verborgen war, alle Grenzen überschreiten wird, so wird auch das verleumderische Gerede der Juden gar schnell ein Ende nehmen. Nachdem er sie dann auf diese Weise aufgerichtet und emporgehoben hat, verkündet er ihnen von neuem auch die Gefahren, die ihrer harren, beflügelt gleichsam ihre Seele und gibt ihnen die Kraft, sich über alles emporzuheben. Denn, fährt er weiter:

   V.28: "Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht zu töten vermögen." 

   Siehst du, wie der Herr seine Jünger über alles erhaben macht, nicht bloß über Sorgen und Verleumdungen, über Gefahren und Nachstellungen, sondern sie auch den Tod selbst verachten lehrt, den man doch für das Schrecklichste von allem hält, und zwar nicht bloß den einfachen Tod, sondern sogar den gewaltsamen. Er sagt da nicht: Ihr werdet befreit werden, nein, er hat ihnen mit der ihm eigenen Erhabenheit auch das geoffenbart und gesagt: "Fürchtet nicht diejenigen, die den Leib töten, aber die Seele nicht töten können; fürchtet vielmehr den, der den Leib und die Seele in das höllische Feuer zu stürzen vermag." So macht es der Herr immer; er geht stets von einem Gegensatz zum anderen über. Wie, sagt er, ihr fürchtet den Tod und seid lässig im Predigen? Gerade deshalb predigt, weil ihr den Tod fürchtet. Denn gerade das wird euch vom wirklichen Tod befreien. Wenn sie euch auch das irdische Leben nehmen, über das höhere werden sie keine Macht haben und wenn sie sich auch tausendfach darum abmühen. Deshalb sagte Jesus nicht; diejenigen, die die Seele nicht töten, sondern:"die sie nicht töten können". Denn wenn sie auch wollten, sie werden es nicht zustande bringen. Wenn du also del Tod fürchtest, so fürchte den Tod, der bei weitem der schlimmste ist. 

   Siehst du also, wie er auch hier wieder den Aposteln nicht in erster Linie die Befreiung vom Tode vorher verkündet, sondern sagt, wie er gestatten werde, dass man ihnen das Leben nehme, und dass er ihnen dadurch eine größere Gnade erweise, als wenn er kein solches Leiden über sie kommen ließe. Es ist eben etwas viel Größeres, zur Todesverachtung anzuleiten, als vom Tode zu befreien. Er treibt sie also nicht in die Gefahr hinein, sondern hebt sie über die Gefahr empor und überzeugt sie mit wenigen Worten von der Wahrheit der Unsterblichkeit der Seele. In zwei oder drei Sätzen pflanzt er in ihre Seele die heilwirkende Lehre und dann tröstet er sie auch noch mit anderen Gründen, die der Vernunft entnommen sind. Wenn sie nämlich getötet und hingemordet würden, so sollte sie nicht glauben, es widerfahre ihnen dies, weil sie verlassen worden wären. Deshalb kommt er von neuem auf die Vorsehung Gottes zu sprechen und sagt:

   V.29: "Werden nicht zwei Sperlinge um eine Aß verkauft, und doch fällt nicht ein einziger von ihnen in die Schlinge ohne euren Vater, der im Himmel ist?

   V.30: Bei euch dagegen sind alle Haare des Hauptes gezählt." 

   Was gäbe es denn Wertloseres als das Haar? Und doch werdet ihr auch dieses nicht verlieren, ohne dass Gott es weiß. Er wollte ja damit nicht sagen, dass er bewirke, dass die Haare ausfallen; das wäre doch Gottes unwürdig; sondern, dass nichts von dem, was geschieht, ihm verborgen sei. Wenn er aber alles weiß, was vor sich geht und er euch noch aufrichtiger liebt als ein Vater, und euch so liebt, dass er selbst eure Haare gezählt hat, so habt ihr keinen Grund, euch zu fürchten. Das sagt aber der Herr nicht etwa, weil Gott die Haare wirklich gezählt hat, sondern weil er damit seine genaue Kenntnis und seine allumfassende Fürsorge für seine Jünger dartun wollte. Wenn er also alles weiß, was vor sich geht und er euch retten kann und will, so mag euch widerfahren was immer, ihr dürft nicht glauben, dass ihr deshalb zu leiden habt, weil ihr verlassen worden seid. Er will euch eben vor den Leiden nicht befreien, sondern euch lehren, die Leiden zu verachten. Darin besteht ja in erster Linie die Befreiung von Leiden.

   V.31: "Fürchtet euch also nicht; ihr seid mehr wert als viele Sperlinge." 

   Siehst du also da, wie schon die Furcht die Apostel beherrscht? Der Herr kannte eben ihre verborgenen Gefühle. Deshalb fügt er hinzu: "Fürchtet sie also nicht." Denn wenn sie euch auch Gewalt antun, sie bezwingen nur den wertlosen Teil, den Leib, und wenn diese ihn nicht töten, so führt ihn die Natur seiner Auflösung entgegen.



3.

Also nicht einmal über den Leib sind die Verfolger eigentlich Herr geworden, vielmehr haben sie diese Macht nur von der Natur. Wenn du dich aber davor fürchtest, so ist es weit besser, das zu fürchten, was schlimmer ist, vor dem Angst zu haben, was die Seele und den Leib ins höllische Feuer stürzen kann. Auch sagt der Herr nicht klar und deutlich, dass er es sei, der Seele und Leib verderben könne; doch hat er dies schon oben zu verstehen gegeben, wo er sich selbst als den Richter hinstellt. In Wirklichkeit nun machen wir es gerade umgekehrt; den, der die Seele verderben. d.h. strafen kann, fürchten wir nicht; dafür zittern wir vor denen, die uns das leibliche Leben nehmen können. Und doch straft der eine nicht nur die Seele, sondern auch den Leib; diese hingegen können nicht bloß die Seele, sondern auch nicht einmal den Leib strafen; und wenn sie ihm auch tausend Peinen zufügen sollten, sie verschaffen ihm dadurch nur mehr Glanz und Ruhm. Siehst du jetzt, weshalb Jesus die Kämpfe als so leicht hinstellt? Der Tod besaß eben noch gewaltige Macht über ihre Gemüter und flößte ihnen immer noch Furcht ein, weil er bisher noch niemals leicht zu bekämpfen gewesen, und weil diejenigen, die ihn in Zukunft verachten sollten, die Gnade des Hl.Geistes noch nicht empfangen hatten. Nachdem also der Herr ihnen die Furcht und Angst benommen, die ihre Seele erschütterten, so flößte er ihnen im folgenden auch wieder Mut ein, vertreibt die eine Furcht durch eine andere und zwar nicht bloß durch Furcht, sondern auch durch die Hoffnung auf größeren Lohn; ja, er droht ihnen mit ganzer Macht, und treibt sie durch beides an, für die Wahrheit offen und männlich einzutreten. Deshalb fährt er fort:

   V.32: "Wer immer also in mir vor den Menschen das Bekenntnis ablegt, den werde auch ich vor meinem Vater bekennen, der im Himmel ist.

   V.33: Wer mich aber vor den Menschen verleugnet, den werde auch ich vor meinem Vater verleugnen, der im Himmel ist." 

   Der Herr will nicht nur durch Verheißung von Gutem auf seine Jünger einwirken, sondern auch durch das Gegenteil; deshalb bleibt er zunächst bei dem Unheil stehen. Beachte auch die Genauigkeit des Ausdruckes. Er sagt nicht: mich, sondern: "in mir". Er wollte damit zeigen, dass derjenige, der ihn bekennt, ihn nicht aus eigener Kraft, sondern durch die Hilfe der Gnade von oben bekennt. Dagegen sagt er von dem, der ihn verleugnen werde, nicht: in mir, sondern: "mich". Denn ihn verleugnet nur, wer die Gnade verscherzt hat. Wie kann man aber dann, fragst du, dem einen Vorwurf machen, der nur deshalb verleugnet, weil er verlassen worden ist? Weil eben der, der verlassen wird, selbst schuld daran ist, dass er verlassen wurde. Weshalb begnügt er sich aber nicht mit dem innerlichen Glauben, sondern verlangt auch das mündliche Bekenntnis? Weil er uns zur Freimütigkeit, zu größerer Liebe und Hingabe erziehen, und weil er uns zur erhabenen Höhe führen will. Deshalb wandte er sich auch an alle ohne Unterschied. Auch bedarf er nicht nur der Person der Jünger; denn nicht bloß sie, sondern auch die Jünger seiner Jünger will er zu edler Gesinnung heranbilden. Denn wer das gelernt hat, der wird nicht bloß furchtlos lehren, sondern wird auch alle Leiden leicht und mutig ertragen. Der Umstand hat in der Tat den Aposteln viele Seelen zugeführt, dass sie auf dieses Wort des Herrn vertrauten. Denn bei uns ist sowohl für das Böse die Strafe größer, wie für das Gute der Lohn. Der Gute bereichert sich mit der Zeit, der Böse glaubt durch den Aufschub der Strafe etwas zu gewinnen. Deshalb hat der Herr ein Gegengewicht geschaffen oder vielmehr einen weit größeren Vorteil in Aussicht gestellt, denn er fügt noch die Belohnung hinzu. Du hast den Vorteil, will er sagen, zuerst mich hienieden bekannt zu haben. Dafür werde auch ich dir einen Vorteil zuwenden, und dir noch mehr geben, ja unaussprechlich mehr, ich werde dich dort[355] bekennen. 

   Siehst du da, wie das Gute und das Böse im Jenseits aufgespeichert wird? Was bist du also so eilig und drängst so sehr? Warum willst du schon hienieden belohnt sein, wo doch die gute Hoffnung zu deinem Heile genügt? Wenn du also auch etwas Gutes tust und den Lohn dafür nicht schon hienieden erhältst, verliere die Fassung nicht; der Lohn erwartet dich in noch erhöhtem Maße in der zukünftigen Welt. Wenn du dagegen etwas Böses tust und keine Buße dafür leistest, so wiege dich nur nicht in falscher Sicherheit; die Strafe wird dich drüben erwarten, falls du nicht umkehrst und dich besinnst. Bleibst du dagegen ungläubig, so schließe doch nur von den Dingen dieser Welt auf diejenigen in der anderen. Wenn die Bekenner Christi schon zur Zeit des Kampfes so herrlich glänzen, so denke doch, wie sie sein werden, wenn sie einmal mit den Siegeskränzen geschmückt sind. Wenn schon die Feinde hienieden Beifall klatschen, wie wird dich dann nicht erst der bewundern und preisen, der dich mehr liebt als alle Väter es tun könnten! Dort erhalten wir ja den Lohn für das Gute, wie auch Strafe für das Böse. Wer also Christus verleugnet, der wird hienieden und drüben den Schaden haben; hienieden, weil er ein schlechtes Gewissen durch das Leben trägt; und wenn er auch nicht gleich stirbt, sterben wird er doch; drüber aber wird er dann die schwerste Strafe zu erdulden haben. Die anderen dagegen gewinnen hienieden und drüben; sie ziehen schon hienieden aus dem Tode Nutzen, weil sie dadurch mehr Ehre erlangen als die Lebenden, und in der anderen Welt genießen sie unaussprechliches Glück. Gott ist eben nicht bloß zum Strafen bereit, sondern auch zum Belohnen, ja zu diesem noch mehr als zum anderen. Weshalb hat aber der Herr dieses letztere nur einmal erwähnt, das andere dagegen zweimal? Weil er wußte, dass wir so eher gebessert werden können. Deshalb sagte er zuerst: "Fürchtet den, der die Seele und den Leib ins höllische Verderben stürzen kann" und fügt dann noch hinzu: auch ich werde ihn verleugnen". Der hl. Paulus machte es ebenso; Auch er sprach fortwährend von der Hölle.



4.

So hat denn der Herr seine Zuhörer in jeder Beziehung vorbereitet; er hat ihnen den Himmel eröffnet, hat ihnen jenes furchtbare Gericht vor Augen gehalten, ihnen das Schauspiel der Engel gezeigt; hat ihnen die Siegeskränze in Aussicht gestellt und so der Verkündigung des Evangeliums die Wege geebnet. Zuletzt, damit ihre Furchtsamkeit der Verkündigung des Evangeliums nicht im Wege stünde, heißt er sie sogar, sich bereit machen, einen gewaltsamen Tod zu erleiden! Sie sollten da sehen, dass diejenigen, die im Irrtum verharren, auch für die Missetat ihre Strafe empfangen würden. Verachten wir also den Tod, wenn er auch vor der Zeit von uns gefordert werden sollte; wir werden ja in ein viel besseres Leben hinübergehen. Allein, sagst du, der Leib verfällt der Auflösung. Aber gerade darüber müßten wir uns am meisten freuen, dass der Tod vernichtet wird und die Sterblichkeit aufhört, nicht aber das Wesen des Leibes. Wenn du eine Statue gießen siehst, so wirst du das auch nicht für einen Verlust des Materials betrachten, sondern für eine bessere Verwendung desselben. Dasselbe denke nun auch vom Leibe und sei darum nicht traurig. Nur dann dürftest du trauern, wenn er in der Strafe[356] verbleiben müßte. Indes, wendest du ein, die Leiber hätten in diesen Zustand übergehen sollen, ohne vorher aufgelöst zu werden, hätten ganz so bleiben sollen wie zuvor. Was hätte aber das den Lebenden oder den Toten genützt? Wie lange wollt ihr denn mit eurem Herzen an euren Leibern hängen? Wie lange wollt ihr an der Erde kleben und den Schatten nachjagen? Welchen Nutzen hätten wir davon? Oder vielmehr, welcher Schaden würde nicht da entspringen? Wenn die Leiber nicht der Auflösung anheimfielen, so würde in erster Linie das größte aller Übel, die stolze Vermessenheit, von vielen Menschen nicht weichen. Denn wenn schon jetzt, wo dies der Fall ist und die Leiber den Würmern zum Opfer fallen, wenn jetzt schon viele wie Götter sein wollen, was wäre nicht erst der Fall, wenn der Leib immerdar fortdauerte? Ferner würde man nicht glauben wollen, dass er von der Erde genommen sei; denn obgleich seine Auflösung dafür Zeugnis ablegt, so zweifeln doch noch viele daran. Was würden sie da nicht alles glauben, wenn sie dies nicht sähen? 

   Drittens würde bloß die sinnliche Liebe überaus erstarken und die meisten würden noch fleischlicher und irdischer gesinnt. Denn wenn manche schon jetzt sich von den Gräbern und den Urnen nicht trennen können, obgleich sie die Leiber[357] nicht mehr sehen können, was würden sie nicht erst tun, wenn die Gestalt und der Anblick des Leibes ihnen immer noch erhalten bliebe? Viertens würden sie auch kein großes Verlangen nach dem zukünftigen Leben haben. Fünftens würden diejenigen, die die Welt für ewig halten, noch mehr in dieser Meinung bestärkt werden und würden nicht mehr glauben, dass Gott die Welt erschaffen hat. Sechstens würden sie gewiß auch den Wert der Seele nicht erkennen und wieviel die Seele für den Leib bedeutet, solange sie ihn belebt. Siebtens würden viele von denen, die ihre Angehörigen verlieren, die Städte verlassen und die Grabdenkmäler bewohnen und, als wären sie von Sinnen, fortwährend mit den Toten sich unterhalten wollen. Denn wenn jetzt schon die Menschen sich Abbilder ihrer Toten herstellen, weil sie deren Leiber nicht länger erhalten können[358] , und wenn sie sich an diese gemalten Bilder gleichsam anklammern, was hätten sie dann im anderen Fall nicht alles für Unsinniges erdacht? Ich glaube, die meisten hätten diesen Leibern sogar Tempel erbaut, und hätten, wenn sie sich etwas auf Zauberei verstanden, gar noch die Dämonen veranlaßt, durch dieselben zu reden, versuchen ja doch auch jetzt schon die Nekromanten noch viel unsinnigere Dinge als dies. Wieviel Götzendienerei würde aber nicht daraus entstanden sein? Ja, manche versuchen derlei sogar, obwohl die Leiber in Staub und Asche verfallen sind. All diese Verirrungen wollte also Gott unmöglich machen und wollte uns lehren, von all den irdischen Dingen abzustehen. Deshalb vernichtet er die Leiber der Toten vor unseren Augen. Der fleischlich Gesinnte, der für ein schönes Mädchen von Leidenschaft entbrannt ist, wenn er das Ekelerregende der Materie nicht durch die Vernunft erfahren will, so muß er es durch den Anblick selbst erfahren. Viele Altersgenossinnen seiner Geliebten, die oft noch schöner waren als sie, sind gestorben und verbreiteten nach einem oder zwei Tagen üblen Geruch von Leichen, zersetztem Blut, Fäulnis und Würmer. Bedenke also, welcher Art die Schönheit ist, die du liebst und in welche Gestalt du verliebt bist. Würden dagegen die Leiber nicht aufgelöst werden, so würde man das nicht recht erkennen; im Gegenteil, wie die Dämonen bei den Gräbern ihren Spuk treiben, so würden viele vor lauter Liebe immerfort bei den Gräbern sitzen wollen, die Dämonen in ihre Herzen aufnehmen und ob dieser unheilvollen Leidenschaft vielleicht gar noch den Tod finden. So aber ist, von allem anderen abgesehen, auch das eine Beruhigung für die Seele, dass man das Bild des Verstorbenen nicht länger mehr sieht und dass so der Schmerz in Vergessenheit gerät.



5.

Wäre dies nicht so, dann gäbe auch kein Grab; vielmehr würde man in den Städten anstatt der Bildsäulen Leichen sehen, da jeder den sehen wollte, der ihm nahestand. Da entstünde aber eine große Verwirrung und von den meisten würde nie einer auf seine Seele achten, noch würde er sich veranlaßt fühlen, über die Unsterblichkeit nachzudenken. Noch viele andere und schlimmere Folgen würden sich da ergeben, die man nicht einmal gut nennen kann. Darum beginnt der Leib alsbald zu verfaulen, damit du die unverhüllte Schönheit der Seele schauen könnest. Denn wenn sie dem Leibe soviel Schönheit und Leben vermittelt, so muß sie selbst um so höher stehen; und wenn sie etwas so Häßlichem und Abscheuerregendem die Gestalt gibt, dann um so mehr noch sich selbst. Es ist ja nicht der Leib, der die Schönheit ausmacht, sondern die Gestalt und jenes blühende Aussehen, das durch die Seele in der Natur zum Ausdruck kommt. 

   Und was rede ich da nur vom Tode? Ich will dir am Leben selbst zeigen, wie alle Schönheit von der Seele herkommt. Wenn die Seele sich freut, so malt sie die Wangen rosig; leidet sie dagegen, so nimmt sie die Schönheit hinweg und gibt allem einen düsteren Ausdruck. Dauert der Zustand der Freude lang, so verschafft das dem Leben Gesundheit und Wohlbefinden; hat sie aber zu leiden, so macht sie den Leib dünner und schwächer als ein Spinngewebe. Ist sie vom Zorn erregt, so macht sie ihn ebenfalls unschön und häßlich; zeigt sie aber im Auge Ruhe und Frieden, so prägt sie auch dem Leibe große Schönheit auf. Ist sie vom Leid gequält, so ist das Antlitz blaß und magert ab; besitzt sie dagegen Liebe, so verleiht sie ihm sogar große Anmut. So haben schon manche, die von Natur kein angenehmes Äußere besessen, durch die Seele eine große geistige Anmut empfangen, während andere, die glänzende Schönheit besaßen, ihren Reiz verdunkelten, weil sie eine unschöne Seele hatten. Denke nur daran, wie ein reines, unschuldiges Gesicht sich färbt und welchen Liebreiz es durch die abwechselnde Farbe erhält, wenn es voll Scham errötet; wenn es dagegen kein Schamgefühl besitzt, so verleiht dies dem Anblick einen Ausdruck, der widerwärtiger ist als der eines wilden Tieres. Es gibt eben nichts Schöneres, nichts Lieblicheres als eine schöne Seele. Die sinnliche Liebe ist nicht ohne Schmerz; die seelische ist reine ungemischte Freude. Warum läßt du also den König stehen und bewunderst seinen Herold: warum wendest du dich von dem Philosophen ab und hörst dem Erklärer zu? Siehst du ein reines Auge, schließe da auf das Innere; und wenn dieses nicht schön ist, so wende dich auch von dem anderen ab. Wenn du eine häßliche Frau siehst, die ihr Gesicht mit einer schönen Maske bedeckt hat, so empfindest du deswegen doch keine Neigung zu ihr, wie du auch andererseits ein reizendes und schönes Gesicht nicht mit einer Maske sich verhüllen lassen wolltest. sondern diese entfernen und es in seiner unverhüllten Schönheit schauen möchtest. So mache es auch mit der Seele; lerne sie zuerst kennen. Denn sie ist vom Leibe wie mit einer Maske umhüllt. Deshalb b leibt sie auch so wie sie ist. Wenn also auch das Antlitz einer solchen unschön wäre, sie könnte doch noch schön werden. Und wenn sie ein unschönes, finsteres und abstoßendes Auge hätte, so kann es trotzdem schön, milde, friedlich, an genehm und lieblich werden. Das ist also die Schönheit, nach der wir streben sollen: dieses Antlitz sollen wir schön machen, auf dass auch Gott nach unserer Schönheit Verlangen trage und uns der ewigen Güter teilhaftig mache durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, der Ehre und Macht besitzt in alle Ewigkeit. Amen!





Fünfunddreißigste Homilie. Kap. X, V.34-42.

35 Mt 10,34-42
1.

V.34: "Glaube nicht, dass ich gekommen bin, den Frieden auf Erden zu bringen; ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert." 

   Von neuem kommt der Herr auf ernste Dinge zu sprechen und zwar tut er es mit großem Nachdrucke und zum voraus antwortet er auf die Einwände, die man ihm machen würde. Damit nämlich seine Zuhörer nicht etwa sagten: Du bist also deshalb gekommen, um auch uns ums Leben zu bringen samt denen, die auf uns hören und um die Welt mit Krieg zu erfüllen, so kommt er ihnen zuvor und sagt: "Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen auf Erden." Warum hat er aber dann den Aposteln befohlen, so oft sie ein Haus betreten, vorher den Friedensgruß zu entbieten? Und warum haben auch die Engel gesungen: "Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden sei Frieden"? Und warum haben auch die Propheten alle dasselbe verkündet? Weil der Friede hauptsächlich darin besteht, dass alles Krankhafte ausgeschieden, dass alles Widerstrebende beseitigt werde. Auf diese Weise ist es möglich, den Himmel mit der Erde zu vereinen. Auch der Arzt rettet ja sogar den Leib, indem er ein unheilbares Glied abschneidet, und der Feldherr[359] , indem er die Verschwörer ausscheidet. So ging es auch bei dem bekannten biblischen Turmbau[360]     (Gn 11,19); dem unheilvollen Frieden hat eine heilsame Spaltung ein Ende bereitet und so den[361] Frieden bewirkt. Auch Paulus hat auf diese Weise jene auseinandergebracht, die wider ihn sich verschworen hatten (Ac 23,6-10). Bei Nabuth hatte sogar dieses gegenseitige Einvernehmen[362] schlimmere Folgen als irgendein Krieg (1R 21,1-14). Eintracht ist also nicht immer etwas Gutes. Auch Räuber sind ja unter sich eins. Nicht deshalb gibt es also Krieg, weil der Herr ihn bewirkt, sondern weil die Menschen ihn wollen. Er selbst hätte gewünscht, dass alle in frommer Gesinnung geeint wären; da aber die Menschen sich widersetzten, so entstand Krieg. Doch sprach der Herr dies nicht aus. Wie sagte er vielmehr? "Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen"; damit wollte er sie trösten. Glaubt nicht, will er sagen, ihr tragt die Schuld daran; ich bin es , der dies alles so fügt, weil sie so gesinnt sind. Laßt euch also nicht in Verwirrung bringen, als ob die Dinge einen ganz unvorhergesehenen Gang nähmen. Deshalb bin ich gekommen, um Krieg zu bringen. Das ist mein Wille. Wundert euch darum nicht, wenn es auf Erden Krieg und Feindseligkeiten gibt. Dann erst, wenn das Schlechte ausgemerzt ist, dann erst wird der Himmel sich mit den Guten berühren. 

   Das alles sagt aber der Herr, um seine Jünger auf die feindselige Gesinnung der großen Welt vorzubereiten. Er sagt auch nicht: den Krieg, sondern was viel schlimmer ist; "das Schwert". Wenn dieses Wort aber gar zu hart klingt und unangenehm zu hören ist, so wundere dich darüber nicht. Christus wollte durch besonders starke Ausdrücke gleichsam ihr Ohr üben, damit sie nicht nachher in der schweren Wirklichkeit sich schwach zeigten; deshalb hat er diese Bezeichnung gewählt. Es sollte niemand sagen können, er hat sie durch Schmeicheleien überredet und hat ihnen das Schwere und Harte verheimlicht; deshalb hat er auch für das, was auf andere Weise hätte gesagt werden müssen, die schlimmeren und härteren Ausdrücke gewählt. Es war ja besser, wenn die Wirklichkeit sich etwas gelinder ausnahm, als seine Worte. Deshalb hat er sich auch mit diesen allein nicht begnügt, sondern führt den Vergleich mit dem Krieg noch weiter aus und zeigt, dass dieser sogar noch viel härter sei als ein Bruderkrieg. Er sagt:

   V.35: "Ich bin gekommen, um den Sohn mit seinem Vater zu entzweien, die Tochter mit ihrer Mutter und die Braut mit der Schwiegermutter."  

   Denn nicht bloß Feinde, so will er sagen, nicht bloß Mitbürger, nein, selbst Familienangehörige werden sich widereinander erheben und die Natur wird mit sich selbst in Zwiespalt liegen. "Denn ich bin gekommen, um den Sohn mit seinem Vater zu entzweien und die Tochter mit ihrer Mutter und die Braut mit ihrer Schwiegermutter." Der Krieg wird eben nicht bloß unter Hausgenossen wüten, sondern auch unter den Verwandten und nächsten Angehörigen. Damit beweist aber der Herr am meisten seine Macht, dass die Jünger trotz dieser Worte sich bereit zeigten und auch andere zu deren Annahme bewogen. Allerdings war nicht der Herr an diesen Leiden schuld, sondern der Menschen eigene Schlechtigkeit. Gleichwohl sagt er, dass er es sei, der dies alles bewirke. Das ist nämlich der Sprachgebrauch der Hl. Schrift. So heißt es auch an einer anderen Stelle:"Gott gab ihnen Augen, damit sie nicht sehen" (Is 6,9). Im gleichen Sinn drückt sich der Herr auch hier aus. Er will, wie ich schon gesagt habe, dass seine Jünger diese Worte beherzigen, und nicht in Verwirrung kämen, wenn sie getadelt und geschmäht würden. Wenn aber manche glauben, diese Worte seien zu hart, so mögen sie sich an die Geschichte des Alten Testamentes erinnern. Auch in früheren Zeiten kamen ja Dinge vor, die in hervorragendem Maße die Verwandtschaft zwischen dem Alten und Neuen Testament bekunden, und die beweisen, dass derjenige, der dieses sagte, derselbe ist wie der, der jenes anbefahl. Denn auch zur Zeit der Juden ließ der Herr einmal erst dann von seinem Zorne ab, als ein jeder seinen Nächsten umgebracht hatte, ebenso, da sie das goldene Kalb gegessen (Ex 32,26-30) und dem Beelphegor sich geweiht (Nb 25). Wo bleiben also diejenigen, die da sagen, der Gott des Alten Bundes sei böse, der des Neuen dagegen gut? Sieh nur, er hat zwar die Welt mit dem Blute von Stammesgenossen erfüllt; aber gleichwohl behaupte ich, auch das war ein Werk seiner großen Liebe zu den Menschen. Deshalb will der Herr also zeigen, dass er derselbe sei wie der, der jenes gut geheißen; darum erinnert er an die Prophetie, die, wenn auch nicht gerade mit Bezug auf unseren Fall, aber doch tatsächlich dasselbe besagt. Und wie lautet diese Prophetie?

   V.36: "Die Feinde des Menschen sind seine Hausgenossen" (Mi 7,6). 

   Auch bei den Juden kam ja Derartiges vor. Es gab bei ihnen Propheten und Pseudopropheten; das Volk entzweite sich; Familien wurden auseinandergerissen, und die einen hingen diesen an, die anderen jenen. Deshalb gibt der Prophet die Ermahnung und sagt: Vertrauet nicht auf Freunde und hoffet nicht auf eure Anführer; im Gegenteil, hüte dich sogar vor deiner eigenen Frau und vertraue dich ihr nicht an, denn die Feinde des Menschen sind die Leute, die mit ihm im selben Hause wohnen" (Mi 7,5-6). Das sagte der Herr, um jene, die bereit wären, seine Worte anzunehmen, von allem Irdischen loszuschälen. Denn nicht der Tod ist schlimm, sondern ein schlimmer Tod. Deshalb hat er auch gesagt: "Ich bin gekommen. Feuer auf Erden zu senden" (Lc 12,49). Mit diesen Worten wollte er offenbar zeigen, wie heftig und heiß die Liebe sein muß, die er von uns verlangt. Weil nämlich er selbst uns überaus liebte, so will er auch in gleicher Weise von uns geliebt sein. Mit diesen Worten hat er aber auch seine Jünger ermutigt und emporgehoben. Denn, will er sagen, wenn jene[363] bereit sind, ihre Kinder und Eltern zu verlassen, so bedenke, wie ihr, deren Lehrer, gesinnt sein müßt! Kreuz und Leiden wird ja nicht bloß euch heimsuchen, sondern auch die anderen. Und da ich gekommen bin, große Gnadenschätze zu bringen, so verlange ich auch dafür großen Gehorsam und bereitwillige Gesinnung.

   V.37: "Wer Vater und Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert, und wer den Sohn oder die Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert.

   V.38: Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht wert." 

   Siehst du da, wie der Meister denkt? Siehst du, wie er sich als den ebenbürtigen Sohn seines Vaters hinstellt und uns heißt, alles Irdische zu verlassen und seine Liebe allem vorzuziehen? Un d was nenne ich bloß Freunde und Verwandte? Wenn due selbst deine eigene Seele der Liebe zu mir vorzögest, so wärest du weit entfernt, mein Schüler zu sein. Steht nun aber das nicht im Widerspruch mit dem Alten Testament? Durchaus nicht; es stimmt im Gegenteil vorzüglich mit ihm überein. Auch dort befahl ja Gott, die Götzendiener nicht nur zu hassen, sondern sogar zu steinigen. Ja, im Deuteronomium findet dies sogar seine Bewunderung ; denn dort heißt es: "Wer zu Vater und Mutter spricht: Ich kenne dich nicht, und wer seine Brüder nicht kennt und sie sogar verleugnet, der hat deine Worte bewahrt" (Dt 33,9). Wenn aber Paulus viele Vorschriften betreffs der Eltern gibt und sagt, man müsse ihnen in allem gehorchen, so wundere dich darüber nicht. Denn nur in den Dingen befiehlt er ihnen zu gehorchen, die der Gottesfurcht nicht zuwider sind. Sonst ist es eine heilige Pflicht, ihnen jegliche Ehre zu erweisen. Wenn sie aber mehr verlangen, als erlaubt ist, so darf man ihnen nicht gehorchen. Deshalb heißt es bei Lukas: "Wenn jemand zu mir kommt und nicht haßt seinen Vater, seine Mutter, sein Weib, seine Kinder und seinen Bruder, ja selbst seine eigene Seele, so kann er nicht mein Schüler sein" (Lc 14,26). Damit befahl der Herr nicht, so ohne weiteres zu hassen; denn das wäre durchaus gegen das Gesetz, sondern nur: wenn eines von jenen mehr geliebt sein will als ich, so hasse ihn insoweit. Sonst stürzt der Geliebte und der Liebende ins Verderben.



2.

Dies alles sagt aber Christus, um sowohl die Kinder mannhaft zu machen, als die Väter milder zu stimmen, die jenen etwa zum Hindernis werden sollten. Wenn sie nämlich hörten, er besitze so große Macht und Autorität, dass er selbst ihre Kinder von ihnen trennen könne, falls sie etwa Unmögliches von ihnen verlangten, so durfte er wohl erwarten, dass sie davon abstehen würden. Deshalb übergeht er auch zunächst sie und wendet sich an jene, gibt aber den ersteren damit die Lehre, nichts Unerlaubtes von ihren Kindern zu verlangen, weil es ein aussichtsloses Unterfangen wäre. Damit sie aber darüber nicht unwillig würden und erzürnten, so beachte, wie er mit seiner Rede weiterfährt. Zu den Worten: "Wer nicht haßt Vater und Mutter", fügt er noch hinzu: "und seine eigene Seele". Was redest du mir, will er sagen, von den Eltern, den Brüdern, den Schwestern und der Frau? Nichts steht irgend jemand näher als die eigene Seele." Was redest du mir, will er sagen, von den Eltern, den Brüdern, den Schwestern und der Frau? Nichts steht irgend jemand näher als die eigene Seele. Wenn du aber nicht auch sie hassest, so wirst du trotzdem in allem das Gegenteil erfahren von dem, was du für sie wünschtest. Doch befahl der Herr auch sie nicht bloß so einfachhin zu hassen, sondern so, dass man sogar bereit ist, sie dem Krieg und dem Kampf zu überantworten, dem Tode und blutigem Morde. "Denn wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, kann nicht mein Jünger sein." Auch sagt er nicht einfach, man müßte auf den Tod gefaßt sein, sondern sogar auf einen gewaltsamen Tod, und nicht bloß auf einen gewaltsamen, sondern selbst auf einen schimpflichen Tod. Der Herr sagt da n och kein Wort von seinem eigenen Leiden, damit die Jünger zunächst über diesen Punkt unterrichtet wären und dann um so leichter das aufnähmen, was er über das andere zu sagen hätte. Muß man sich also da nicht billig wundern , dass den Jüngern beim Anhören dieser Reden nicht gleichsam die Seele aus dem Leibe entfloh, d sie doch alles dessen, was betrübend und unheilvoll war, schon ganz sicher waren, das Gute und Angenehme aber nur erst erhoffen konnten? Woher kam es also, dass sie nicht ganz den Mut verloren? Von der großen Macht dessen, der redete, und der großen Liebe derer, die ihm zuhörten. Obwohl sie also viel schwerere und entsetzlichere Dinge zu hören bekamen als jene großen Männer, wie Moses und Jeremias, so blieben sie doch gehorsam und widersprachen nicht.

   V.39: "Wer seine Seele findet, wird sie verlieren, und wer seine Seele um meinetwillen verliert, wird sie finden." 

   Siehst du, welches Verderben denen droht, die nicht in rechtmäßiger Weise[364] lieben? welcher Lohn diejenigen erwarten, die da[365] hassen? Es war ja schwer, was er verlangte; er befahl ihnen, gegen die Eltern, die Kinder, die Natur, die Verwandten, die ganze Welt, ja gegen die eigene Seele sich zum Kampf zu rüsten. Deshalb stellt er ihnen aber auch den überaus großen Lohn vor Augen. Denn, sagt er, das alles wird euch nicht nur keinen Schaden bringen, sondern im Gegenteil überaus nützlich sein; nur das Gegenteil würde euch schaden. So macht es der Herr überall; er knüpft seine Reden an das an, wonach die Menschen ein besonderes Verlangen haben. Oder weshalb sollst du denn deine Seele nicht hassen? Weil du sie liebst? Gerade deshalb verachte sie, dann wirst du ihr am meisten nützen und wirst zeigen, dass du die wahre Liebe besitzest. Beachte auch die unaussprechliche Einsicht. Nicht bloß die Eltern hat er bei seiner Rede im Auge, nicht bloß die Kinder, sondern sogar das, was einem jeden näher steht als alles andere, die Seele, er will eben, dass die Jünger von seinen Worten vollkommen überzeugt wären, und das Bewußtsein hätten, dass sie auf diese Weise auch jenen am meisten nützten[366] , da ja dies auch bei der Seele der Fall ist, die uns doch von allen Dingen am nächsten steht. Das alles trug also dazu bei, die Menschen zur Aufnahme derer geneigt zu machen, die für sie in geistiger Weise Sorge tragen sollten. Denn wer wollte nicht mit der größten Bereitwilligkeit Leute aufnehmen, die so edel und gut waren, dass sie gleich Löwen den ganzen Erdkreis durcheilten und, ihr eigenes Wohl vollständig vergessend, nur an die Rettung anderer dachten? Gleichwohl verheißt der Herr denen, die solche Gastfreundschaft üben, auch noch einen anderen Lohn, indem er zeigt, dass er in diesem Punkte mehr für die Aufnehmenden als für die Aufgenommenen bedacht ist. So verheißt er den ersten Lohn mit den Worten:

   V.40: "Wer euch aufnimmt, nimmt mich auf; und wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat." Was gäbe es da wohl Ehrenvolleres, als den Vater und den Sohn aufnehmen zu dürfen? Der Herr kündigt ihnen aber dazu noch einen anderen Lohn an:

   V.41: "Denn", sagt er, wer einen Propheten als einen Propheten aufnimmt, der wird den Lohn für den Propheten erhalten; und wer einen Gerechten als Gerechten aufnimmt, wird den Lohn des Gerechten empfangen." 

   An einer früheren Stelle hat er diejenigen mit der Strafe bedroht, die die Aufnahme verweigern würden; hier gibt er auch das Maß der Belohnung an. Und damit du sehest, dass die Gastgeber ihm mehr am Herzen liegen, sagt er nicht einfachhin: "Wer einen Propheten aufnimmt", oder: "Wer einen Gerechten aufnimmt",sondern fügt hinzu: "Im Namen eines Propheten" und "Im Namen eines Gerechten." Das heißt, wenn er ihn nicht aus weltlichen Beweggründen, noch aus sonst einer wichtigen Ursache aufnimmt, sondern weil er ein Prophet ist oder ein Gerechter, so wird er den Lohn eines Propheten oder Gerechten erlangen, sei es den Lohn, der demjenigen gebührt, der einen Propheten oder einen Gerechten aufnimmt, sei es der Lohn, der jenen selbst vorbehalten ist. Dasselbe sagt auch der hl. Paulus: "Euer Überfluß komme der Dürftigkeit jener zugute, damit auch deren Überfluß eurer Dürftigkeit zu Hilfe komme" (2Co 8,14). Damit sodann niemand die Armut als Vorwand gebrauche, sagt er:

   V.42: "Oder wer immer einen dieser Geringen einen Becher kalten Wassers reicht, weil er mein Jünger ist, wahrlich, ich sage euch, er wird seinen Lohn nicht verlieren." 

   Ja, wenn du auch nur einen Becher kalten Wassers reichst, der dich gar nichts kostet, so ist dir auch dafür dein Lohn gesichert. Denn für euch, die ihr meine Jünger aufnehmet, tue ich alles.



3.

Siehst du, welche Mittel der Herr anwendet, um die Menschen bereitwillig zu machen, und wie er den Aposteln die Häuser der ganzen Welt öffnet? Er zeigt ja durch alle seine Reden, dass sie ihre Schuldner seien. Zuerst mit den Worten: "Der Arbeiter ist seines Lohnes wert"; sodann dadurch, dass er sie ganz arm aussendet; drittens, indem er sie in Krieg und Kampf schickt für diejenigen, die sie aufnahmen; viertens dadurch, dass er ihnen sogar die Gabe der Wunderwirkung verlieh; fünftens, indem er durch den Mund seiner Jünger die Quelle alles Guten, den Frieden, in die Wohnung derer bringt, die sie aufnehmen; sechstens, indem er jenen, die ihnen die Aufnahme verweigerten, schwerere Strafen androht als über Sodoma kamen; siebtens, indem er darauf hinweist, dass diejenigen, die ihnen Aufnahme gewähren, zugleich ihn und den Vater aufnehmen; achtens, indem er den Lohn eines Propheten und eines Gerechten verheißt; neuntens, indem er selbst für einen Becher kalten Wassers großen Lohn verspricht. Von all diesen Punkten wäre schon jeder für sich allein hinreichend gewesen, sie anzuziehen. Oder sag mir doch, wer könnte mit ansehen, wie ein Feldherr, mit tausend Wunden bedeckt und mit Blut überströmt, nach vielen Siegen aus dem Krieg und dem Schlachtgetümmel heimkehrt, ohne dass er ihm alle Türen des ganzen Hauses öffnete und ihn bei sich aufnähme? Und wer ist denn ein solcher Feldherr, fragst du? Gerade deswegen hat der Herr hinzugefügt: "Im Namen eines Jüngers, eines Propheten, eines Gerechten", damit du wissest, dass er den Lohn nicht nur nach der Würde des Ankömmlings, sondern auch nach der guten Meinung des Gastgebers bemißt. Hier redet er allerdings von Propheten, Gerechten und Jüngern; anderswo dagegen befiehlt er auch, die ganz Armen und Verlassenen aufzunehmen, und bedroht diejenigen mit Strafe, die dies nicht tun. "Denn was ihr einem von diesen Geringsten nicht getan, das habt ihr auch mir nicht getan" (Mt 25,45). Und dasselbe sagt er auch in umgekehrter Form. Denn wenn auch ein solcher nicht gerade als Apostel oder Jünger kommt, so ist er doch wenigstens ein Mensch, bewohnt dieselbe Erde, schaut dieselbe Sonne, hat die gleiche Seele, denselben Herrn, nimmt an denselben Geheimnissen teil wie du, ist zum gleichen Himmel berufen wie du, und besitzt einen großen Rechtstitel, die Armut und das Bedürfnis nach der notwendigen Nahrung. Jetzt aber entlässest du diejenigen, die dich zur Winterszeit mit Flöten und Pfeifen im Schlafe stören und dich ganz nutzlos belästigen mit vielen Geschenken; ebenso erhalten jene, die Schwalben feilbieten, die Possenreißer und Allerweltslästerer, ihre Lohn für ihre Gauklerkunststücke. Kommt aber ein Armer daher und bittet um Brot, so antwortest du mit tausend bösen Reden und Beleidigungen, nennst ihn einen Faullenzer, schmähst ihn, beschimpfst ihn und verspottest ihn. Und dabei denkst du nicht, dass du selber ebenfalls müßig bist, und dass dir Gott dennoch das gibt, was an ihm liegt. 

   Da sag mir nicht, dass auch du etwas arbeitest; zeige mir vielmehr, ob du etwas von dem tust und betreibst, was notwendig ist. Wenn du mich da auf dein Gewerbe verweisest und deine Handelsgeschäfte, sowie auf deine Sorge für die Vermehrung von Hab und Gut, so könnte wohl auch ich dir antworten, dass das eigentlich gar keine Arbeit ist. Wahre Arbeit ist vielmehr das Almosengeben, das Gebet, die Hilfeleistung für Unglückliche und ähnliche gute Werke, in denen wir ganz und gar untätig sind. Und doch hat Gott deswegen nie zu uns gesprochen: Weil du müßig bist, will ich die Sonne nicht mehr aufgehen lassen; weil du nichts von dem tust, was notwendig ist, will ich den Mond auslöschen, die Erde unfruchtbar machen, die Seen, die Quellen und Flüsse verstopfen, die Luft vernichten und den jährlichen Regen zurückhalten; nein, vielmehr gibt er dir all das in reichlichem Maße. Ja, er läßt diese Gaben selbst einige genießen, die nicht nur nichts tun, sondern sogar Böses tun . Wenn du also einen Armen siehst, so sag nicht: Ich bin wütend darüber, dass dieser Mensch, der jung und kräftig ist und nichts besitzt, ernährt werden soll ohne etwas zu arbeiten; vielleicht ist es ein Sklave, der irgendwo davongelaufen ist und seinen Herrn verlassen hat. Das alles sage, wie schon bemerkt, zu dir selbst, oder vielmehr lasse es den anderen mit Freimut zu dir sagen, und er wird dies mit mehr Recht tun: Ich bin ergrimmt darüber, dass du müßig gehst, obwohl du gesund bist, und dass du nichts von dem tust, was Gott befiehlt, dass du vielmehr den Geboten des Herrn entfliehst, dich gleichsam in einem fremden Lande herumtreibst, mit Schlechtigkeit dich abgibst, der Trunkenheit huldigst, Diebstahl und Raub begehst und fremde Familien zugrunde richtest. Du wirfst anderen Faulheit vor; ich aber muß dir deine Sünden vorhalten, da du anderen nachstellst, fluchst, lügst raubst und tausend Missetaten begehst.



4.

Das alles sage ich, nicht als ob ich jemanden zur Trägheit ermuntern wollte. Gott bewahre! Vielmehr ist mein innigster Wunsch, es möchten alle recht tüchtig arbeiten; denn der Müßiggang hat alles Böse verschuldet. Ich will euch nur ermahnen, nicht geizig und hartherzig zu sein. Hat sich ja doch der hl. Paulus unzählige Mahle beklagt und gesagt: "Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen" (2Th 3,10). Und dabei ließ er es noch nicht bewenden, sondern fügte hinzu: "Ihr aber sollst nicht müde werden, Gutes zu tun" (2Th 3,13). Darin liegt aber doch ein Widerspruch. Denn wenn du befiehlst, sie dürften nicht essen, warum ermahnst du uns, ihnen zu geben? Jawohl, antwortet Paulus, ich habe ja befohlen, man solle sich von ihnen abwenden und nichts mit ihnen zu tun haben, und ebenso habe ich gesagt: "Behandelt sie nicht als Feinde, sondern weiset sie zurecht" (2Th 3,15). Dieser Befehl steht nicht im Widerspruch mit dem früheren, sondern stimmt sehr gut mit ihm überein. Denn wenn du bereits bist zum Almosengeben, dann wird der Arme alsbald von seiner Trägheit geheilt und du von deiner Hartherzigkeit. Aber, wendest du ein, erlügt und schwindelt einem eine Menge Dinge vor. Aber auch aus diesem Grunde verdient er ein Almosen, weil er eben in so große Not geraten ist, dass er sogar zu solchen Lügen seine Zuflucht nehmen muß. Statt dessen habe wir nicht nur kein Mitleid mit ihm, sondern geben ihm auch noch harte Worte und sagen; Hast du nicht schon ein und ein zweites Mal etwas erhalten? Ja, und dann? Braucht er deshalb kein zweites Mal zu essen, weil er schon einmal gegessen? Warum schreibst du denn deinem eigenen Magen nicht dasselbe Gesetz vor und sagst zu ihm: Du bist gestern und vorgestern gesättigt worden, sei jetzt zufrieden? Im Gegenteil, deinen Magen bringst du durch übermäßige Ernährung fast zum Bersten, den Armen dagegen weisest du ab, der nur das nötige Maß verlangt. Und doch solltest du gerade wenigstens deshalb Mitleid mit ihm haben, weil er gezwungen ist, dich Tag für Tag anzubetteln. Wenn schon kein anderer Grund dich zu rühren vermag, so solltest du wenigstens deshalb Mitleid mit ihm haben; denn nur durch seine Armut und Notlage ist er gezwungen, dies zu tun. Und hast du nicht auch deshalb Mitleid mit ihm, weil er sich nicht schämt, obgleich er derlei Dinge zu hören bekommt? 

   Seine Not ist eben stärker. Du aber zeigst nicht nur kein Mitleid mit ihm, sondern beschämst ihn auch noch. Und während Gott befohlen hat, heimlich Almosen zu geben, stehst du da und wirfst dem, der sich an dich wendet, vor aller Öffentlichkeit Dinge vor, die ihm eigentlich dein Mitleid hätten sichern sollen. Wenn du doch schon nichts geben willst, wozu schmähst du ihn dann noch; wozu betrübst du noch eine unglückliche, elende Seele? Er glaubte in einen ruhigen Hafen zu kommen, da er deine Hand aufsuchte. Warum peitschest du da noch die Wogen auf und machst den Sturm noch ärger? Warum verachtest du seine Zwangslage? Würde er wohl zu dir gekommen sein, wenn er voraus gesehen hätte, dass er dergleichen zu hören bekomme? Und wenn er es zum voraus wußte und den noch kam, so ist gerade dies ein Grund, mit ihm Mitleid zu haben, und ob deiner eigenen Hartherzigkeit zu erschaudern. Denn du wirst nicht einmal da zum Mitleid gestimmt, wo du jemand in einer unerbittlichen Notlage siehst; du willst nicht einmal in seiner Angst vor dem Hunger eine genügende Entschuldigung für seine Zudringlichkeit sehen, sondern machst ihm aus dieser noch einen Vorwurf! Und doch bist du oft noch unverschämter gewesen, selbst wo es sich um bedeutendere Dinge handelte. In diesem Falle ist die Zudringlichkeit zu entschuldigen, zumal da wir uns oft nicht einmal dann schämen, wenn wir strafbare Handlungen begangen haben. Und während wir bei dem Gedanken hieran demütig werden sollten, erheben wir uns gegen diese Unglücklichen und schlagen denen Wunden, die uns um Heilmittel bitten. Wenn du ohnehin nichts geben willst, warum schlägst du ihn noch? Wenn du ihm kein Almosen verabreichen willst, warum beschimpfst du ihn noch? 

   Aber, sagst du, sonst bringe ich ihn überhaupt nicht mehr fort. Nun, dann mache es, wie jener Weise zu tun befahl: "Antworte ihm in Frieden und in Sanftmut" (Si 4,8). Der andere ist ja auch nicht gern so zudringlich. Es gibt doch ganz gewiß keinen einzigen Menschen, der ohne allen Grund beschimpft werden möchte; und wenn manche auch tausendmal darauf bestehen, ich werde mich niemals davon überzeugen können, dass ein Mensch, der genug zum Leben hat, es vorziehen sollte, betteln zu gehen. Es soll mir also niemand mit eitlen Ausflüchten daher kommen. Denn wenn auch Paulus sagt: "Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen" (2Th 3,10), so sagt er das zu den anderen[367] , nicht aber zu uns. Uns sagt er das Gegenteil, nämlich: "Werde nicht müde, Gutes zu tun" (2Th 3,13). So machen es ja auch wir zu Hause; wenn zwei miteinander streiten, so nehmen wir beide zur Seite und ermahnen den einen zu dem, den anderen zum Gegenteil. So machte es auch Gott und eben so Moses. Dieser sagte zu Gott: "Wenn Du ihnen die Sünde nachläßt, so lasse sie nach; wenn nicht, so nimm auch mich hinweg" (Ex 32,32). Den Juden selbst dagegen befahl er, sich gegenseitig und alle ihre Verwandten niederzumetzeln. Auch hierin liegt ein Widerspruch, und doch zielte beides auf einen und denselben Endzweck ab. Ebenso sagte Gott zu Moses, so dass auch die Juden es erfahren konnten: "Laß mich und ich will dieses Volk vertilgen" (Ex 32,10).[368] Dagegen sagte er nachher ihm allein das Gegenteil davon. Auch das hat Moses später notgedrungen ausgesagt mit den Worten: "Habe ich sie vielleicht in meinem Schoße empfangen, dass du zu mir sagst: Trage sie, wie etwa eine Amme den Säugling an ihrer Brust trägt?" (Nb 11,12)

   Ebenso machen wir es ja auch zu Hause; auch da tadelt oft der Vater den Erzieher, der gegen seinen Sohn aufbraust, und sagt zu ihm unter vier Augen: Sei nicht rauh und hart; zum Sohn dagegen sagt er das Gegenteil: Wenn er dich auch zu Unrecht tadelt, trage es; und doch erstrebt er mit den beiden entgegengesetzten Ermahnungen einen und denselben guten Zweck. So sagt auch Paulus zu denen, die trotz ihrer Gesundheit betteln gehen: "Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen", in der Absicht, sie dadurch zur Arbeit anzuhalten; denen aber, die imstande sind, Almosen zu geben, sagt er: "Ihr aber sollt nicht müde werden, Gutes zu tun", um sie damit zum Almosengeben anzueifern. Ebenso brachte Paulus in seinem Brief an die Römer, wo er die Heidenchristen ermahnt, die Judenchristen nicht zu verachten, den Ölzweig des Friedens zum, Vorschein, und hat anscheinend den einen dies, den anderen das Gegenteil gesagt. Geben wir uns also nicht der Hartherzigkeit hin, sondern hören wir auf die Worte des hl. Paulus, der da sagt:"Werdet nicht müde, Gutes zu tun." Hören wir auf den Herrn, der uns ermahnt: "Gib jedem, der dich um etwas bittet" (Mt 5,42), und: "Seid barmherzig wie euer Vater" (Lc 6,36). Der Herr hat doch vieles gesagt, aber nirgends hat er einen solchen Ausspruch getan, wie hier betreffs der Barmherzigkeit. Nichts macht uns eben so sehr Gott ähnlich. als anderen Gutes tun.



5.

Indes, wendest du ein, es gibt auch nichts Unverschämteres als einen Armen. Warum? frage ich. Weil er auf dich zueilt und mit lauter Stimme um ein Almosen bittet? Willst du also, dass ich dir zeige, wie wir noch viel unverschämter sind als sie, und ganz ohne Scham? Denke nur einmal daran, wie du es an Fasttagen machst, wenn die Mahlzeit erst am Abend bereitsteht; wie oft es da vorkommt, dass du den auftragenden Diener rufst und, wenn er etwas zu langsam kommt, alles umwirfst, auf den Boden stampfst und ihm alle Schimpfnamen gibst, bloß wegen einer geringen Verzögerung! Und doch weißt du ganz gut, dass du deine Mahlzeit, wenn nicht sofort, so doch nach wenigen Augenblicken schon genießen kannst. Da nennst du dich dann auch nicht unverschämt, obwohl du wegen eines Nichts dich wie ein wildes Tier benommen hast; einen Armen dagegen, der aus viel dringenderer Ursache in Furcht und Zittern lebt[369] , den nennst du einen frechen, schamlosen, unverschämten Menschen, und gibst ihm die allergröbsten Schimpfnamen! Ist so etwas nicht der höchste Grad von Unverschämtheit? Doch daran denken wir nicht; und deshalb finden wir die anderen so lästig. Würden wir dagegen unsere eigenen Handlungen prüfen, und sie mit denen anderer vergleichen, so würden wir ihnen wohl nicht mehr Zudringlichkeit vorwerfen. Sei also kein harter Richter. Denn wenn du auch frei wärest von aller Sünde, so hätte dir trotzdem Gottes Gesetz nicht aufgetragen, die Handlungen anderer so scharf zu beurteilen. Wenn der Pharisäer deshalb verloren ging, welche Entschuldigung werden dann wir haben? Wenn der Herr schon den Rechtschaffenen nicht erlaubt, andere hart zu beurteilen, dann um so weniger den Sündern. Seien wir also nicht hartherzig und unerbittlich, nicht lieblos und unversöhnlich, seien wir nicht schlimmer als die wilden Tiere! Ich weiß allerdings, dass viele so erbarmungslos geworden sind, dass sie um einer kleinen Bequemlichkeit willen die Hungernden vernachlässigen, und Äußerungen tun wie zum Beispiel: Jetzt ist mein Diener nicht da; wir sind jetzt weit fort von zu Hause; es ist kein Geldwechsler in der Nähe, der mir bekannt wäre. O wie hartherzig! Das Größere hast du versprochen, und das Geringere unterläßt du! Welch ein Hohn, welch ein Stolz! Wenn du auch zehn Stadien weiter gehen müßtest, dürftest du deshalb zögern? Und denkst du nicht daran, dass dir auf diese Weise noch ein größerer Lohn gesichert ist? Denn wenn du bloß etwas gibst, so erhältst du einfach den Lohn für die Gabe; wenn du aber selbst noch einen weiten Weg zurücklegst, so wird dir auch das noch entgolten. Eben deshalb bewundern wir ja auch den Patriarchen[370] , weil er selbst zur Rinderherde eilte und das Kalb herausholte, obwohl er dreihundertachtzehn Diener besaß (Gn 14,14 u. Gn 18,7). Jetzt sind aber manche so vom Stolz aufgeblasen, dass sie das alles durch Diener besorgen lassen, ohne sich darüber zu schämen. Allein, fragst du, willst du, dass ich dies selber tue? Wie werde ich dann dem Scheine der Prahlerei entgehen? Nun, du handelst auch so nur aus einer anderen Art von Ruhmsucht; du fürchtest eben, man könnte dich sehen, wie du mit einem Armen sprichst. Doch hierauf will ich nicht einmal Gewicht legen: wenn du nur etwas gibst, ob du es nun in eigener Person oder durch einen anderen geben willst; und dann tadle nicht, verletze nicht, beschimpfe nicht! Der Bettler braucht Heilmittel und keine Wunden, Mitleid und nicht Schwerthiebe. 

   Sage mir doch, wenn jemand durch einen Steinwurf am Kopfe verwundet würde, und er würde an allen anderen vorbeigehen und gerade dir sich zu Füßen werfen, von Blut überströmt, würdest du ihm wohl mit einem zweiten Steinwurf eine neue Wunde beibringen? Ich glaube kaum! Du würdest vielmehr diese eine zu heilen versuchen. Warum machst du es also mit den Armen gerade umgekehrt? Weißt du nicht, wie sehr ein Wort sowohl aufrichten wie niederschmettern kann? "Denn", heißt es, "besser ist ein[371] Wort als eine Gabe" (Si 18,16). Bedenkst du nicht, dass du das Schwert wider dich selber richtest, und dich selbst noch viel schwerer verwundet hast, wenn der andere, den du geschmäht hast, schweigend von dir fortgeht, unter Seufzen und reichlichen Tränen? Es ist ja Gott, der ihn zu dir sendet. Bedenke also, auf wen deine Schmähungen zurückfallen, wenn Gott den Bettler zu dir sendet und dir befiehlt, ihm etwas zu geben, und du nicht nur nichts gibst, sondern ihn auch noch beschimpfst? Wenn du aber die Größe dieser Torheit nicht einsiehst, so schau nur, wie man unter Menschen zu tun pflegt; dann wirst du die Größe der Sünde gewiß erkennen. Wenn du deinen Diener zu einem anderen Diener sendest, damit er von ihm dein Geld in Empfang nehme, und der Betreffende käme nicht nur mit leeren Händen zurück, sondern wäre auch überdies noch beschimpft worden, was würdest du dem Frevler nicht alles antun? Welche Strafe würdest du ihm nicht auferlegen, da ja eigentlich du der Beleidigte wärest? Gerade so, mußt du glauben, ist es auch bei Gott der Fall. Auch er sendet ja zu uns die Armen, und wir geben nur, was ihm gehört, wenn wir überhaupt etwas geben. Wenn wir dagegen nicht bloß nichts geben, sondern sie auch mit Schimpf und Schande fortschicken, so erwäge doch, ob nicht eine solche Handlungsweise mit hundert Blitzen und Ungewittern bestraft zu werden verdient? Das alles wollen wir also erwägen, wollen unsere Zunge bezähmen, alle Unmenschlichkeit von uns fernhalten, die Hand zur Mildtätigkeit ausstrecken, und nicht bloß mit Gaben, sondern auch mit guten Worten die Bedürftigen trösten, damit wir nicht allein der Strafe für solche Frevel entfliehen, sondern auch das Himmelreich erlangen, das uns für gute Reden und für Almosen verheißen worden ist, durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, der die Ehre und die Macht besitzt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen!






Kommentar zum Evangelium Mt 34