Kommentar zum Evangelium Mt 38

Achtunddreißigste Homilie. Kap. XI, V.25-30.

38 Mt 11,25-30
1.

V.25: "In jener Zeit antwortete Jesus und sprach: Ich preise Dich, Vater. Herr des Himmels und der Erde, weil Du dies den Weisen und Ein sichtigen verborgen, den Kindern aber geoffenbart hast.

   V.26: Ja, Lob Dir, Vater, weil es Dir also gefallen hat." 

   Siehst du, auf wie vielfältige Weise der Herr seine Zuhörer zum Glauben führt? Zuerst tat er es durch das Lob, das er Johannes spendete. Indem er ihn nämlich als groß und bewundernswert hinstellte, hat er auch alles, was derselbe sagte, für glaubwürdig erklärt und die Jünger so zur Erkenntnis seiner selbst geführt. Zweitens tat er es durch die Worte: "Das Himmelreich leidet Gewalt, und die Gewalttätigen reißen es an sich" (Mt 11,12); das sagte er, um sie anzuregen und aufzumuntern. Drittens indem er zeigte, dass alle Prophetien in Erfüllung gingen; auch das bewies ja, dass er derjenige sei, den die Propheten vorher verkündet hatten. Viertens durch den Hinweis darauf, dass alles, was durch ihn geschehen sollte, geschehen ist; hat er ja doch sogar die Parabel mit den Kindern erwähnt. Fünftens dadurch, dass er den Ungläubigen Vorwürfe machte und ihnen großes und schreckliches Unheil androhte. Sechstens, indem er für die Gläubigen Dank sagte. Denn der Ausdruck: "Ich preise[384] Dich", bedeutet hier: Ich danke Dir. "Ich danke Dir", sagt er, "dass Du dies den Weisen und Einsichtigen verborgen hast." Aber wie? Du freust dich über ihr Verderben, und darüber, dass sie diese Dinge nicht kennen? Durchaus nicht; wohl aber ist das der beste Weg zum Heile, dass diejenigen, die meine Worte verschmähen und sie nicht annehmen wollen, auch nicht durch Zwang dazu gebracht werden. Nachdem sie eben trotz meiner Einladung nicht besser wurden, sondern den Herrn verließen und verachteten, so sollten sie durch ihre Verwerfung zum Verlangen nach diesen Dingen gebracht werden. Auf diese Weise mußten dann auch diejenigen eifrig werden, die auf ihn achteten. Denn dass seine Worte ihnen geoffenbart wurden, war gewiß ein Grund zur Freude; dass sie dagegen den anderen verborgen blieben, mußte nicht zur Freude, sondern zur Trauer stimmen. Dem entsprechend handelte auch der Herr; er weinte über die Städte. Also nicht über die Blindheit der einen freute er sich, sondern weil die anderen erkannten, was die Weisen nicht einsehen wollten. In ähnlichem Sinne sagt auch Paulus: "Ich danke Gott, dass ihr Sklaven der Sünde waret und doch von Herzen geachtet habt auf die Art der Lehre, die ihr empfangen habt" (Rm 6,17). Also auch Paulus freut sich nicht darüber, dass sie Sklaven der Sünde waren, sondern, dass sie, obgleich sie dies waren, dennoch solcher Gnaden gewürdigt wurden. Unter den Weisen versteht hier der Herr die Schriftgelehrten und Pharisäer. Dies sagt er, um seine Jünger zu ermutigen, und um zu zeigen, welche Auszeichnung den Fischern zuteil wurde, während jene alle zusammen dessen verlustig gingen. Mit der Bezeichnung "Weiser" meint er aber nicht die wahre und lobenswerte Weisheit, sondern jene, die sie durch eigene Tüchtigkeit erworben zu haben schienen. Deshalb sagte er auch nicht: Du hast es den Toren enthüllt, sondern den Kindern, das heißt den Ungebildeten und Einfältigen. Auch zeigt er dadurch, dass jene diese Gnaden nicht nur aus Billigkeitsgründen, sondern mit Fug und Recht vorenthalten wurde. Ebenso weist er uns durch all dies an, die Torheit zu fliehen, um die Einfalt dagegen uns zu bemühen. Deshalb sagte auch Paulus mit noch mehr Nachdruck dasselbe mit den Worten: "Wenn einer unter euch weise zu sein scheint in dieser Welt, so werde er zum Tor, damit er weise werde" (1Co 3,18). So wird ihnen nämlich die Gnade Gottes geoffenbart. 

   Warum aber dankt der Herr dem Vater, da doch er selbst dies bewirkt hat? Er tut dies im gleichen Sinne, wie er auch zum Vater betet und ihn bittet, seine große Liebe uns zu zeigen; auch das ist ja ein Beweis großer Liebe. Auch zeigt er damit, dass die Schriftgelehrten nicht bloß von ihm, sondern auch vom Vater sich lostrennten. Was er nämlich den Jüngern auftrug mit den Worten: "Werfet das Heilige nicht den Hunden vor" (Mt 7,6), das hat er selbst schon zum voraus so geübt. Sodann zeigt er mit diesen Worten, dass dies seinem eigenen vorwiegenden Willen entspreche, wie auch dem des Vaters; seinem eigenen, indem er dankt und sich über das Geschehene freut; dem des Vaters, indem er darlegt, dass auch der Vater dies nicht auf seine Bitten hin, sondern ganz aus eigenem Antriebe getan. Denn also, sagt er, war es wohlgefällig vor Dir; das heißt: so hat es Dir gefallen. Weshalb ward es aber vor jenen verborgen? Höre, was Paulus antwortet: "Weil sie die eigene Gerechtigkeit aufzurichten suchten, deshalb haben sie sich der Gerechtigkeit Gottes nicht unterworfen" (Rm 10,3). Erwäge also, was die Jünger sich wohl gedacht haben werden, als sie dies hörten, dass nämlich sie erkannt hätten, was die Weisen nicht einsahen; und dass sie es erkannten, weil Gott es ihnen geoffenbart habe! Lukas dagegen sagt, in derselben Stunde, in der die Siebzig kamen und die Nachricht von den Dämonen brachten, da habe sich der Herr gefreut und diese Worte gesprochen, durch die er nicht nur ihren Eifer angespornt, sondern sie auch zur Demut angeleitet habe. (Lc 10,17-21). Da nämlich Gefahr war, sie würden sich selbst überheben, weil sie Teufel auszutreiben vermocht hatten, so demütigte er sie auch aus diesem Grunde. Sie verdankten ja ihre Erkenntnis nur einer Offenbarung, nicht ihrem eigenen Bemühen.



2.

Deshalb sind auch die Schriftgelehrten und Pharisäer, die in ihren eigenen Augen sich für einsichtig hielten, ob ihres eigenen Stolzes leer ausgegangen. Wenn also das der Grund ist, meint der Herr, weshalb dies vor ihnen verborgen ward, so seid auch ihr auf der Hut und bleibt Kinder. Denn damit verdient ihr euch die Gnade, der Offenbarung teilhaftig zu werden, wie ja durch das Gegenteil die anderen derselben verlustig gingen. Und wenn der Herr sagt: "Du hast verborgen",so glaube deshalb nicht, dass Gott das Ganze gemacht hat; auch wenn Paulus sagt: "Er überlieferte sie einem verderbten Sinn, und er verfinsterte ihren Verstand" (Rm 1,28), so will er damit nicht behaupten, dass Gott dies bewirke, sondern dass jene daran schuld seien, die den Anlaß hierzu bieten. In gleichem Sinne sagt Christus hier: "Du hast es verborgen." Zuerst hatte er ja gesagt:"Ich preise Dich, weil Du es ihnen verborgen und den Kindern geoffenbart hast"; damit du aber deshalb nicht etwa glaubst, er danke dem Vater, als ob er selbst nicht auch solche Macht besitze und nicht imstande wäre, solches zu vollbringen, fährt er fort:

   V.27: "Alles ist mir vom Vater übergeben worden." 

   Zu denen aber, die sich darüber freuten, dass selbst die Dämonen ihnen gehorchten, sagte er: Was wundert ihr euch denn, dass die Dämonen euch gehorchen? Alles steht in meiner Macht, "alles ist mir übergeben worden". Den Ausdruck: "Es ist übergeben worden", darfst du aber nicht nach menschlicher Art auffassen; der Herr gebrauchte ihn nur, damit du nicht glaubst, es gebe zwei ungeborene Götter. Denn dass er geboren wurde, und zugleich Herr aller Dinge ist, das hat er oft auch anderwärts kundgetan. Sodann bringt er noch etwas Größeres vor, um deine Seele aufzurichten: "Und niemand kennt den Sohn, außer dem Vater; und niemand kennt den Vater, außer dem Sohne." Für die Unverständigen könnte es scheinen, als ob zwischen diesen Worten und dem Vorausgehenden kein Zusammenhang bestünde, und doch stimmen sie sehr gut zusammen. Nachdem nämlich der Herr gesagt hatte: "Mir ist alles von meinem Vater übergeben worden", fügt er gleichsam hinzu: Und was Wunder, dass ich der Herr aller Dinge bin, da ich ja noch etwas Größeres besitze, nämlich die Erkenntnis des Vaters und die Wesensgleichheit mit ihm. Auch dieses letztere offenbart er in etwas verborgener Weise dadurch, dass er sagt, er allein besitze diese Erkenntnis; das ist nämlich der Sinn der Worte: "Niemand kennt den Vater, außer dem Sohne."Beachte nun auch, wann er dies sagt. Damals, als die Jünger durch Taten den Erweis seiner Macht erhielten, da sie nicht mehr ihn allein Wunder wirken sahen, sondern in seinem Namen auch selber das gleiche hatten tun können. Und weil er ferner gesagt hatte: "Du hast es den Kindern geoffenbart", so zeigt er, dass auch das sein Werk ist."Denn niemand kennt den Vater, außer dem Sohne, und wem es etwa der Sohn offenbaren will",nicht wem es etwa aufgetragen oder wem es etwa befohlen wird. Wenn Jesus aber den Vater enthüllt, dann auch sich selbst. Doch übergeht er dies, wie etwas, was jeder ohnehin zugibt; das andere dagegen betont er eigens, und bei allen Gelegenheiten wiederholt er es; so zum Beispiel, wenn er sagt; "Niemand kann zum Vater kommen, außer durch mich" (Jn 14,6). Damit bereitet er auch schon auf etwas anderes vor, nämlich darauf, dass er mit dem Vater übereinstimme und eines Sinnes mit ihm sei. Denn, will er sagen, ich bin soweit entfernt, mich im Gegensatz zu ihm zu befinden, dass es nicht einmal möglich ist, dass jemand zu ihm kommt, außer durch mich. Weil nämlich gerade das an meisten Anstoß bei ihnen erregt hatte, dass er ein Widersacher Gottes zu sein schien, so verneint er dies auf jede Weise, und gerade darauf legte er nicht weniger, sondern noch viel mehr Gewicht, als auf die Wunderzeichen. 

   Mit den Worten: "Und niemand kennt den Vater, außer dem Sohne", will er indes nicht sagen, dass niemand den Vater kennt, sondern nur, dass niemand ihn mit der Kenntnis erfaßt, die er besitzt; dasselbe ist auch vom Sohne zu sagen. Denn nicht von einem Gott, der unbekannt und niemand zugänglich ist, hat er dies gesagt, wie da Marcion behauptet, sondern hat nur eine genaue und erschöpfende Kenntnis desselben verneint. Wir kennen ja auch den Sohn nicht so, wie wir ihn kennen sollten. Das sagt sogar der hl. Paulus mit den Worten: "Zum Teil erkennen wir, und zum Teil weissagen wir" (1Co 13,9). Nachdem also der Herr durch seine Worte die Sehnsucht seiner Zuhörer angeregt und durch seine unaussprechliche Macht gezeigt hatte, da ruft er sie zu sich und sagt:

   V.28: "Kommet zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, und ich will euch erquicken." 

   Nicht dieser oder jener nur, nein, alle, die in Sorgen, in Kummer, in Sünden leben. Kommet, nicht damit ich Rechenschaft von euch fordere, sondern um euch von euren Sünden zu befreien. Kommet, nicht weil ich des Ruhmes von euch bedürfte, sondern weil mich nach eurem Heile verlangt. "Denn ich will euch erquicken."Er sagt nicht bloß :Ich will euch retten, sondern, was viel mehr ist: Ich will euch vollkommene Ruhe und Sicherheit verschaffen.

   V.29: "Nehmet mein Joch auf euch und lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und demütig von Herzen; und ihr werdet Erquickung finden für eure Seelen.

   V.30: Denn mein Joch ist süß und meine Bürde ist leicht." 

   Fürchtet euch nicht, will er sagen, wenn ihr das Wort "Joch" hört, denn es ist süß; erschreckt nicht, wenn ich von einer Bürde gesprochen, denn sie ist leicht. Wie konnte der Herr aber da früher sagen:"Eng ist die Pforte und beschwerlich der Weg"? (Mt 7,14). Das ist dann der Fall, wenn du nachlässig und lau bist: befolgst du hingegen meine Worte, so wird die Last leicht sein; deshalb hat er auch hier sie also bezeichnet. Wie befolgt man aber seine Worte? Dadurch, dass du demütig wirst und sanftmütig und bescheiden. Denn diese Tugend ist die Mutter aller Weisheit. Deshalb hat er auch sie an den Anfang seiner göttlichen Satzungen gestellt. Ebenso tut er hier wieder dasselbe und setzt für sie den höchsten Lohn fest. Denn nicht bloß anderen nützest du dadurch, so sagt er, sondern auch dich selbst erquickst du vor allen anderen. "Denn ihr werdet Erquickung finden für eure Seelen." Ja, er belohnt dich dafür, bevor du noch den Himmelslohn erhältst, und hält deinen Siegespreis bereit, und macht dadurch, sowie durch den Hinweis auf sich selbst als Vorbild, dass seine Rede willige Annahme findet.



3.

Was fürchtest du denn eigentlich, so fragt dich der Herr? Du könntest gering geschätzt werden, wenn du demütig bist? Blicke auf mich und alle meine Taten; von mir lerne, dann wirst du klar erkennen, welch großes Gut die Demut ist. Siehst du also, wie er sie auf jede Weise zur Demut anleitet? Durch sein eigenes Beispiel: "Denn lernt von mir, ich bin sanftmütig"; durch ihren eigenen Vorteil:"Denn ihr werdet Erquickung finden für eure Seelen"; durch seine Gnadengaben: "Denn auch ich werde euch erquicken"; dadurch, dass er es ihnen leicht macht: "Denn mein Joch ist süß und meine Bürde ist leicht." Ebenso macht es der hl. Paulus, wenn er sagt: "Die augenblickliche und leichte Trübsal wird euch eine alles Maß übersteigende, ewige und schwerwiegende Herrlichkeit verschaffen" (2Co 4,17). Allein, fragst du, wie soll die Last leicht sein, wenn er sagt: Wenn jemand nicht hasset Vater und Mutter",und: "Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht wert", und: "Wer nicht allem entsagt, was er hat, kann mein Schüler nicht sein"? (Lc 14,26 Lc 14,27 Lc 14,33), wenn er sogar befiehlt, sein eigenes Leben hinzugeben? Der hl. Paulus möge dich belehren, der da sagt: "Wer wird uns trennen von der Liebe Christi? Trübsal? Bedrängnis? Verfolgung? Hunger? Blöße? Gefahr? das Schwert?" (Rm 8,35). Und: Die Leiden dieser gegenwärtigen Zeit sind nichts im Vergleich zur Herrlichkeit, die in uns wird geoffenbart werden" (Rm 8,18). Belehren mögen dich auch die Apostel, die nach Empfang unzähliger Geißelhiebe aus dem Synedrium der Juden weggingen und sich freuten, dass sie gewürdigt worden waren, für den Namen Jesu Schmach zu leiden (Ac 5,41). Wenn du aber beim Hören der Namen "Joch" und "Bürde" immer noch Furcht hast und zitterst, so ist nicht die Sache an sich Schuld daran, sondern deine eigene Verzagtheit; wärest du dagegen bereitwillig und mutig, so würde dir alles leicht und erträglich. Christus wollte eben zeigen, dass auch wir selber Mühsal ertragen müßten, und deshalb hat er nicht bloß das Angenehme erwähnt und dann geschwiegen, auch nicht bloß das Schwere allein, sondern beides. Er hat vom Joch geredet, es aber angenehm genannt; er erwähnte die Bürde, fügt aber hinzu, sie sei leicht. Er will eben, dass du sie weder als zu beschwerlich fliehest, noch als etwas ganz Leichtes geringschätzest. 

   Wenn dir aber auch nach all dem die Tugendübung noch schwer vorkommt, so bedenke, dass die Schlechtigkeit noch viel beschwerlicher ist. Das wollte auch der Herr andeuten und sagte darum nicht gleich: Nehmet mein Joch auf euch, sondern zuerst: Kommet zu mir, die ihr mühselig und beladen seid"; damit zeigt er, dass auch die Sünde Mühsal verursacht und eine schwere, nicht leicht zu tragende Last ist. Er sagt ja nicht bloß: "Die ihr mühselig seid", sondern fügt noch hinzu: "Und die ihr beladen seid." Dasselbe sagt auch der Prophet, da er die Natur der Sünde beschrieb: "Wie mit einer schweren Last haben sie mich beladen" (Ps 37,5). Auch Zacharias sagt in seiner Beschreibung der Sünde, sie sei wie eine Tonne Blei (Za 5,7). Das bestätigt auch die Erfahrung selbst. Denn nichts beschwert ja die Seele so sehr, nichts lähmt so sehr den Geist und drückt das Gemüt hinunter, als ein schuldbeladenes Gewissen; und nichts erleichtert und erhebt dasselbe so sehr, als der Besitz der Rechtschaffenheit und Tugend. Bedenke aber, wendest du ein: Was ist schwerer als nichts zu besitzen, die andere Wange darzureichen, und wenn man geschlagen wird, nicht wieder zu schlagen, ja selbst einen gewaltsamen Tod zu erleiden? Und dennoch, wenn wir die Sache richtig betrachten, so ist all dies unbedeutend und leicht und eine Quelle der Freude. Doch laßt euch nicht in Verwirrung bringen: prüfen und behandeln wir vielmehr eines nach dem andern ganz genau, und wenn es euch recht ist, zuerst das, was die meisten für besonders beschwerlich erachten. Sag mir also, was ist wirklich schwerer und härter, nur für einen einzigen Leib zu sorgen, oder von tausend Ängsten geplagt zu werden; mit einem Gewande bekleidet zu sein, ohne nach mehreren zu verlangen, oder deren viele zu Hause zu haben und jeden Tag und jede Nacht sich abzuquälen, weil du wegen ihrer Bewachung Furcht hast und zitterst, und weil die Sorge dich quält und ängstigt, es könnte der Wurm dazu kommen, oder es könnte ein Diener sie nehmen und forttragen? Doch mag ich sagen was immer, bloße Worte werden niemals dieselbe Wirkung haben wie die tatsächliche Erfahrung. Deshalb wünschte ich, es wäre einer von jenen zugegen, die auf diese Höhe der Weisheit gelangten; dann würdest du klar erkennen, wie angenehm die Sache ist, und wie keiner von jenen, die die Armut lieben, einwilligen möchte, wenn man ihm auch ungezählte Reichtümer anböte. Aber, fragst du, haben denn diese hier jemals eingewilligt, arm zu werden und ihre Sorgen von sich zu weisen? Und was verschlägt das? Das beweist ja nur ihre Torheit und die Schwere des Übels, an dem sie leiden, nicht aber, dass der Besitz etwas Angenehmes sei.



4.

Eben dies könnten uns diejenigen bezeugen, die tagtäglich wegen solcher Sorgen jammern und das Leben für unerträglich halten. Jene anderen dagegen sind nicht so. Sie lachen und sind fröhlich, und sie sind stolzer auf ihre Armut, als Könige auf ihr Diadem. Ebenso ist es bei genauem Zusehen leichter, auch die andere Wange hinzuhalten, als den anderen wieder zu schlagen; denn mit dem einen nimmt der Krieg den Anfang, mit dem anderen findet er sein Ende; auf die eine Art entflammst du sogar fremdes Feuer, auf diese Weise löschest du dagegen auch deinen eigenen Brand aus. Dass es aber angenehmer ist, nicht verbrannt zu werden, als verbrannt zu werden, das sieht jedermann ein. Wenn dies aber schon beim Leibe zutrifft, dann noch viel mehr bei der Seele. Was ist nun aber leichter, zu kämpfen oder die Siegespalme zu erhalten? den Faustkampf mitzumachen, oder den Kampfespreis entgegenzunehmen? die Sturmeswogen über sich ergehen zu lassen, oder in den Hafen einzulaufen. So ist also auch der Tod besser als das Leben. Denn der Tod befreit aus Sturm und Gefahr, das Leben hingegen vermehrt sie und setzt sich so vielen Fährlichkeiten und Nöten aus, dass du ihretwegen sogar das Leben für unerträglich hältst. Wenn du aber meinen Worten nicht glauben willst, so höre nur, was jene erzählen, die die Märtyrer zur Zeit der Verfolgung noch persönlich kannten: wie sie trotz Geißeln und Schlägen heiter und fröhlich waren, ja sich mehr freuten und frohlockten, als jene, die auf Rosen gebettet sind. Darum sagte auch Paulus, als er im Begriffe war, aus dieser Welt zu scheiden und sein Leben durch einen gewaltsamen Tod zu beenden: "Ich freue mich und freue mich mit euch allen; in gleicher Weise sollt auch ihr euch freuen und euch freuen mit mir (Ph 2,17-18). Siehst du, in welch überschwenglicher Form er den ganzen Erdkreis zur Teilnahme an seinem Glück aufruft! Für einen so großen Gewinn hielt er das Hinscheiden aus dieser Welt; für so begehrenswert, ja für liebwert und willkommen den sonst so schrecklichen Tod. 

   Dass aber das Joch der Tugend angenehm und leicht ist, läßt sich auch sonst noch aus vielfachen Gründen erweisen. Doch fassen wir jetzt, wenn es euch gefällt, auch das Beschwerliche der Sünde ins Auge. Nehmen wir die Habsüchtigen als Beispiel, die Verkäufer und Wiederverkäufer schamloser Schuldverschreibungen. Was könnte es doch Härteres geben als ein solches Geschäft? Wieviel Trauer, wieviel Sorgen, wieviel Mißhelligkeiten, wieviel Gefahren, Feindschaften und Streitigkeiten entstehen nicht Tag für Tag aus solchem Erwerb? Wieviel Verwirrung und Unruhe? Wie man das Meer niemals ohne Wellen antreffen kann, so trifft man auch eine solche Seele niemals ohne Sorgen, Kämpfe, Furcht und Verwirrung; vielmehr löst eine Sorge die andere ab und folgen immer neue, und ehe noch diese verschwunden, tauchen schon wieder andere auf. Oder möchtest du die Seelen der Streitsüchtigen und der Zornmütigen schauen? Aber was gibt es Schlimmeres als diese Folter? Was Schmerzlicheres als diese innerlichen Wunden? Was Brennenderes als diesen immer brennenden Glutofen und dieses Feuer, das niemals erlöscht? Oder wolltest du die Seelen derer schauen, die der Fleischeslust und den irdischen Lebensfreuden ergeben sind? Was gäbe es aber wohl Schwereres als diese Sklaverei? Sie leben ein wahres Kainsleben, wandeln im ewigen Zittern und in Furcht und beweinen im Tode eines jeden Geliebten mehr noch als in dem ihrer Angehörigen ihr eigenes Ende. Und was gibt es Unruhigeres und Wilderes als die Hochmütigen? Denn "lernet von mir", sagt der Herr, "ich bin sanftmütig und demütig von Herzen und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen". Die Geduld im Leiden ist eben die Quelle alles Guten. Fürchte dich also nicht und fliehe nicht ein Joch, das dich von all diesen Leidenschaften befreit; nimm es vielmehr voll Mut auf dich, dann wirst du erst seine Süßigkeit wirklich erkennen. Es drückt deinen Nacken nicht, es ist dir nur der Ordnung wegen auferlegt, damit es dich den rechten Weg einhalten lehre, dich auf der königlichen Straße führe und dich vor den Abgründen zu beiden Seiten des Weges schütze und bewirke, dass du mit Leichtigkeit den engen Pfad wandelst. Da also sein Nutzen so groß ist, so groß die Sicherheit, die es dir bietet, so groß das Glück, so wollen wir dieses Joch mit ganzer Seele, mit allem Eifer tragen[385] , um nicht bloß hienieden Ruhe und Friede für unsere Seele zu finden, sondern auch diese zukünftigen Güter zu erlangen durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, der die Ehre und die Macht besitzt jetzt und immer und in alle Ewigkeit. Amen!





Neununddreißigste Homilie. Kap. XII, V.1-8.

39 Mt 12,1-8
1.

V.1: "In jener Zeit ging Jesus am Sabbate über die Saatfelder; seine Jünger hungerten aber und begannen Ähren abzureißen und zu essen." 

   Lukas schreibt: Am zweitersten Sabbate. Was bedeutet das, am zweitersten Sabbate? Wenn ein doppelter Ruhetag eintraf, nämlich der Sabbat als Tag des Herrn und noch ein anderes Fest, das ihm folgte. Sabbat nennen ja die Juden jeden Feiertag. Aber wozu hat sie der Herr, der doch alles voraussah. dahin geführt, wenn er nicht wollte, dass der Sabbat verletzt werde? Er wollte es, aber nicht ohne guten Grund. Deshalb verletzt er ihn ohne Ursache, sondern gibt immer vorher entsprechende Gründe an, damit er das Gesetz außer Geltung brächte, ohne den Juden Ärgernis zu geben. Es gibt aber Fälle, wo er es auch von vornherein ohne besondere Umstände übertrat; so zum Beispiel, wo er die Augen des Blinden mit Kot bestreicht oder wo er sagt: "Mein Vater wirkt jetzt und auch ich wirke" (Jn 5,17). Das tut er, um dadurch einerseits seinen Vater zu verherrlichen und andererseits der Schwachheit der Juden Rechnung zu tragen. Die gleiche Absicht leitete ihn auch hier und deshalb gebraucht er das natürliche Bedürfnis zum Anlaß; denn für sichtlich klare und offenbare Sünden gäbe es ja doch nie eine Entschuldigung. Ein Mörder kann kaum seinen Zorn als Entschuldigung vorbringen, ebensowenig wie ein Ehebrecher seine Begierlichkeit, ja sie können überhaupt keine Entschuldigungsgründe angeben. Hier aber hat der Herr seine Jünger auf Grund ihres Hungers von aller Schuld freigesprochen. Du aber bewundere die Jünger, die so bescheiden und anspruchslos für die Bedürfnisse des Leibes waren. für die der Tisch so schnell und leicht gedeckt wart, die fortwährend mit Hunger zu kämpfen hatten und doch den Herrn nicht verließen; denn wäre ihr Hunger nicht sehr stark gewesen, so hätten sie auch jetzt keine Ähren gegessen. Was tun also die Pharisäer?

   V.2: "Sie sahen es und sagten zu ihm: Siehe, Deine Jünger tun etwas, was man am Sabbat nicht tun darf." 

   Hier treten sie nicht so ungestüm auf, obwohl man es hätte erwarten können; aber sie zeigen sich nun einmal nicht übermäßig erregt, sondern bringen einfach ihre Klagen vor. Als dagegen der Herr die verdorrte Hand ausstreckte und heilte, da gerieten sie in solche Wut, dass sie sogar über seinen gewaltsamen Tod beratschlagten. Wo eben nichts Großes und Aufsehenerregendes geschieh, da bleiben sie ruhig; wenn sie aber sehen, dass einige geheilt werden, da geraten sie außer sich und kommen in Aufregung und sind unerträglicher als alle anderen; so sehr sind sie Feinde des menschlichen Heiles. Wie verteidigte also der Herr seine Jünger?

   V.3: "Habt ihr nicht gelesen", sagte er, "was David im Heiligtume tat, als ihn hungerte, ihn und alle, die mit ihm waren?

   V.4: Wie er ins Haus Gottes hineinging und die Schaubrote aß, die zu essen weder ihm erlaubt war noch seinem Gefolge, sondern nur den Priestern allein?" (1S 21). 

   Da der Herr seine Jünger in Schutz nimmt, führt er David als Beispiel an; wo er sich aber selbst verteidigt, den Vater. Beachte auch, mit welchem Tone des Vorwurfs er dies tut: "Habt ihr nicht gelesen, was David getan hat?" Groß war ja das Ansehen des Propheten; darum sprach auch Petrus später, um sich vor dem Juden zu rechtfertigen, also zu ihnen: "Ich darf freimütig zu euch über den Patriarchen reden und sagen, dass er gestorben ist und begraben wurde" (Ac 2,29). Weshalb erwähnte ihn aber der Herr, ohne seine Würde beizufügen, weder hier noch später? Vielleicht, weil er von ihm abstammte. Wären also die Pharisäer gut gesinnt gewesen, so hätte er den Hunger seiner Jünger als Grund angegeben; da sie böse und unmenschlich waren, verweist er sie auf die Geschichte. Wenn dagegen Markus schreibt: "Zur Zeit des Abiatar, des Hohenpriesters" (Mc 2,26), so steht er damit nicht im Widerspruch mit der Geschichte, sondern zeigt nur, dass der Mann zwei Namen hatte; auch fügt er hinzu, jener habe ihm das Brot gegeben (vgl. 1Co 21,6). Er zeigt damit, dass auch darin ein starker Entschuldigungsgrund liege, dass sogar der Hohepriester dies erlaubt habe; und nicht nur erlaubt, sondern sogar dabei mitgeholfen habe. Da sage mir nur nicht, David sei ja ein Prophet gewesen; denn auch so wäre es ihm nicht erlaubt gewesen; vielmehr war dies ein Vorrecht der Priester. Deshalb fügte der Herr auch hinzu: "Sondern nur den Priestern allein." Denn wenn auch David tausendmal Prophet war, Priester war er nicht. Und wenn auch er ein Prophet war, so doch nicht seine Begleiter, denen ja der Priester auch davon gab. Nun denn, fragst du, stehen also David und die Apostel auf gleicher Stufe? Was kommst du da mit einer Gleichstellung, wo es sich um eine Gesetzesübertretung zu handeln schien, obgleich eine natürliche Zwangslage vorlag? Gerade so schützte der Herr sie am ehesten gegen Vorwürfe, wenn sogar einer, der noch größer war, dasselbe getan hatte.



2.

Was hat aber dies mit der eigentlichen Frage zu tun, sagst du? David hat doch wenigstens den Sabbat nicht übertreten. Dafür tat er noch mehr, und gerade das bekundet am meisten die Weisheit Christi, dass er den Umstand des Sabbats unbeachtet ließ und ein anderes Beispiel brachte, das noch mehr bedeutete als der Sabbat. War es doch keineswegs das gleiche, den Sabbat zu übertreten und jenen heiligen Tisch zu berühren, den niemand berühren durfte. Der Sabbat ward ja oft übertreten, ja er wurde immer übertreten durch die Beschneidung und durch viele andere Handlungen (Nb 28,19). Auch in Jericho können wir dasselbe beobachten. Doch geschah dies nur damals. Der Sieg bleibt also auf Seite des größeren Beispiels. Weshalb hat also dem David niemand einen Vorwurf gemacht, obgleich noch ein stärkerer Grund dazu in dem anderen Umstand lag, dass er so zum Anlaß für die Ermordung der Priester wurde? Doch erwähnt der Herr dies nicht. Er hält sich nur an das Vorliegende. Sodann gibt er auch auf andere Weise darauf Antwort. Zuerst hat er das Beispiel Davids angeführt, um durch die hohe Stellung der Person die Anmaßung der Juden zu dämpfen. Nachdem er sie aber einmal zum Schweigen gebracht und ihre Großtuerei zuschanden gemacht hatte, da erst gibt er noch eine Antwort, die mehr ausschlaggebend war. Und wie lautet sie?

   V.5: "Wißt ihr nicht, dass im Heiligtum die Priester den Sabbat entweihen und doch sind sie ohne Schuld?" 

   Dort, will er sagen, findet sich die Erklärung in dem besonderen Umstand; hier erklärt sich die Sache ohne diesen. Doch gibt er diese Lösung der Frage nicht sofort; vielmehr bringt er zuerst eine Entschuldigung und dann erst geht er zum Angriff über. Das stärkere Argument muß er nämlich später bringen, obwohl auch das erste seine eigene Beweiskraft besitzt. Da sagt mir nur nicht, es heiße jemanden eigentlich nicht von Schuld freisprechen, wenn man bloß das Beispiel eines anderen vorbringt, der dieselbe Sünde begangen hat. Denn wenn der Täter nicht angeklagt wird, so erlangt seine Tat die Bedeutung einer Entschuldigung. Doch begnügt sich der Herr nicht damit; er bringt ein noch beweiskräftigeres Argument, indem er sagt, das Vorkommnis sei überhaupt keine Sünde. Darin liegt ja sein siegreichstes Argument, dass er zeigt, dass das Gesetz sich selbst aufhebt, dass es dies zweimal tat, hinsichtlich des Ortes und in Anbetracht des Sabbats; ja eigentlich dreimal, denn das Geschehnis hatte zwei Gesichtspunkte und dazu noch einen dritten: dass es nämlich durch Priester geschah, ja, was noch mehr ist, dass es nicht einmal Tadel verdient."Denn", sagt der Herr, "sie sind ohne Schuld." Siehst du also, wie viele Punkte er aufzählt? Den Ort: denn er sagt: "im Heiligtum"; die Person: nämlich "die Priester"; die Zeit: nämlich den Sabbat; die Sache selbst; denn: sie entweihen; er sagt nicht bloß: sie heben auf, sondern, was schwerer wiegend ist: "sie entweihen". Ferner, dass sie nicht nur nicht bestraft werden, sondern auch von jeder Anschuldigung frei sind: "denn sie sind ohne Schuld". Glaubet also nicht, will der Herr sagen, dass dies dem früheren ähnlich sei; denn was die Jünger taten, geschah nur einmal, und zwar nicht durch einen Priester und dazu lag noch ein Notfall vor. Deshalb verdienten sie auch Entschuldigung. Dies hingegen geschieht jeden Sabbat, und zwar durch Priester, und im Heiligtum, und entsprechend dem Gesetze. Deshalb sind sie auch nicht bloß aus Nachsicht, sondern auf Grund des Gesetzes von jeder Schuld frei; denn nicht um sie anzuklagen, habe ich so geredet, noch auch, um sie aus Nachsicht von der Schuld freizusprechen, sondern ganz nach dem Buchstaben des Rechtes. Während er also jene in Schutz zu nehmen scheint, verneint er die Schuld dieser. Denn wenn er sagt: "Jene sind frei von Schuld", dann noch um so mehr diese. Aber, wendest du ein, die Jünger sind keine Priester. Dafür sind sie noch mehr als Priester. Denn hier ist der Herr des Heiligtums selbst zugegen; die Erfüllung nicht bloß das Vorbild. Darum sagt er auch:

   V.6: "Ich sage euch, hier ist einer, der über dem Tempel steht." 

   Trotzdem sie aber einen solchen Ausspruch hörten, erwiderten sie doch nichts; denn jenen lag das Heil des Menschen nicht am Herzen. Da aber seine Worte den Zuhörern offenbar unangenehm waren, so ging der Herr sogleich über den Gegenstand hinweg und kam wieder auf die Nachsicht zu sprechen; und zwar sind seine Worte nicht ohne einen gewissen Tadel:

   V.7: "Wenn ihr aber erkannt hättet, was es heißt: Ich will Barmherzigkeit und nicht Opfer (Os 6,6),so würdet ihr nicht Schuldlose verurteilt haben." 

   Siehst du, wie er hier wieder auf die Barmherzigkeit zu sprechen kommt und wie er von neuem bezeugt, die Jünger hätten in diesem Falle keine Nachsicht nötig? "Denn", sagt er, "ihr würdet nicht Unschuldige verurteilt haben." Zuerst hat er sich auf das Beispiel der Priester berufen und gesagt: "Sie sind unschuldig";hier aber spricht er aus sich selbst, oder vielmehr auch hier nach dem Gesetze; er zitiert ja einen Prophetenspruch.



3.

Sodann macht Jesus noch einen anderen Grund namhaft:

   V.8: "Denn der Menschensohn ist Herr über den Sabbat"; er meint damit sich selbst. Markus berichtet dagegen, er habe dies von der Menschheit im allgemeinen gesagt; er schreibt nämlich: "Der Sabbat ist für den Menschen gemacht, nicht der Mensch für den Sabbat" (Mc 2,27). Warum wurde aber dann[386] derjenige bestraft, der das Holz gesammelt hatte? (Nb 15,33 ff). Nun, wenn man schon gleich zu Anfang sich nicht um das Gesetz gekümmert hätte, so wäre es wohl auch später nie beobachtet worden. Der Sabbat hat ja auch im Anfang vielen und großen Nutzen gebracht. So machte er, dass die Juden gegen ihre Angehörigen milde und liebevoll waren; er lehrte sie die Vorsehung und die Schöpfung Gottes, wie auch Ezechiel (Ez 20,12 u. Ez 20,20) sagt; er lehrte sie, allmählich von Unzucht abzulassen, und unterwies sie so, auf die geistigen Dinge zu achten. Hätte Gott das Gesetz des Sabbats gegeben und gesagt: "Das Gute sollt ihr am Sabbat tun, das Böse aber nicht", so hätten sie das Gesetz nicht beobachtet; deshalb verbot er alles gleichmäßig: "Tut nichts", sagte er; und nicht einmal so gehorchten sie. Er selbst hingegen, der das Gesetz des Sabbats gegeben hatte, läßt auch auf diese Weise erkennen, dass er nur das eine wollte, dass sie sich vom Bösen enthielten. "Denn" sagt er, "tut nichts, außer was für die Seele getan wird" (Ex 12,16). So wurde im Heiligtum jede Verrichtung vorgenommen, und zwar mit noch größerem Eifer und mit erhöhter Emsigkeit. So ließ er sie durch den Schatten selbst die Wahrheit schauen. 

   Dann hat also Christus eine so nützliche Einrichtung aufgehoben? Ganz und gar nicht; er hat sie im Gegenteil noch fester begründet. Es war eben nunmehr an der Zeit, die Jünger durch die höheren, mehr geistigen Gesichtspunkte über alles zu unterrichten, und es ging nicht an, demjenigen die Hand zu binden, der nicht bloß vom Bösen befreit war, sondern auch zu allem Guten sich hingezogen fühlte. Auch sollten sie deswegen nicht glauben, dass Gott alles allein tue, damit nicht infolgedessen diejenigen lässig würden, die zur Nachahmung der Liebe Gottes selbst berufen waren. "Denn", heißt es, werdet barmherzig, wie euer Vater im Himmel" (Lc 6,36). Ebensowenig sollten diejenigen nur einen Tag als Fest feiern, die er geheißen hatte, das ganze Leben zu einem Festtage zu gestalten. "Denn", schreibt Paulus, "laßt uns Feste feiern, nicht mit dem alten, Sauerteig, noch mit dem Sauerteig der Schlechtigkeit und Bosheit, sondern mit dem ungesäuerten Brote der Reinheit und Wahrheit" (1Co 5,8). Auch brauchen diejenigen nicht neben der Arche und dem goldenen Altar zu stehen, die den Herrn des Weltalls selber in sich wohnen haben, die auf jede Weise mit ihm verkehren durch Gebet, durch Opfer, durch Lesung der Hl. Schrift, durch Almosen und dadurch, dass sie ihn selber in sich tragen. Was hat also derjenige den Sabbat nötig, der fortwährend Feiertag hat, dessen Leben sich im Himmel bewegt? Halten wir daher immerdar Feiertag und tun wir nichts Böses; denn darin besteht der wahre Feiertag. Richten wir vielmehr unser Augenmerk auf geistige Dinge; die irdischen Sorgen mögen verschwinden; geben wir uns der geistigen Muße hin; halten wir die Hände frei von Habsucht, den Leib frei von unnützen, törichten Mühsalen, wie sie damals das Hebräervolk in Ägypten zu ertragen hatte. Ja, wenn wir Gold zusammenscharren, so unterscheiden wir uns in nichts von denen, die die Lehmarbeiten verrichteten und die Ziegel herstellen mußten, die Spreu auflasen und dazu Geißelhiebe erhielten. Auch jetzt will uns ja noch der Teufel zwingen, Ziegel zu machen, wie damals Pharao. Oder was ist das Gold anderes als Lehm? Und das Silber, ist es etwas anderes als Spreu? Wie Spreu entflammt ja das Silber den Brand der Begierlichkeit und wie Lehm beschmutzt das Gold den, der es besitzt. Deshalb sandte uns Gott nicht den Moses aus der ägyptischen Wüste, sondern seinen eigenen Sohn aus dem Himmel. Wenn du also auch nach seiner Ankunft noch in Ägypten bleibst, so wird es dir gehen wie den Ägyptern; wenn du es aber verläßt und mit dem geistigen Israel gehst, so wirst du lauter Wunder schauen.



4.

Indes genügt auch das noch nicht zum Heil. Man muß sich nicht bloß von Ägypten frei machen, sondern auch in das christliche Land der Verheißung einziehen. Auch die Juden sind ja, wie der hl. Paulus schreibt, durch das Rote Meer gezogen, haben das Manna gegessen und den geistigen Trank getrunken, und sind doch alle zugrunde gegangen. Damit es also uns nicht ebenso gehe, wollen wir nicht zögern und nicht zaudern. Ja, auch jetzt noch kann man feindliche Kundschafter hören, die über den engen und rauhen Weg schlecht reden und sagen, was damals jene Kundschafter gesagt; aber dann wollen wir es nicht der großen Menge nachmachen, dem Jesus und dem Chaleb, dem Sohne des Jephone (Nb 13,18 Nb 14,10 Jos 14-15); und nicht eher stehe davon ab, als bis du das Land der Verheißung in deinen Besitz gebracht und in den Himmel eingegangen bist. Glaube auch nicht, der Weg sei beschwerlich. "Denn wenn wir als Feinde mit Gott versöhnt wurden, dann werden wir um so eher als Versöhnte gerettet werden" (Rm 5,10). Allein der Weg ist eng und rauh, sagst du. Ja, aber der, auf dem du früher gingst, ist nicht bloß eng und rauh, sondern ganz ungangbar und voll von wilden Tieren. Und wie es ohne Wunder nicht möglich gewesen wäre, das Rote Meer zu durchschreiten, so wäre es auch nicht möglich gewesen, bei unserer früheren Lebensweise in den Himmel zu kommen, wenn nicht die Taufe zu uns gekommen wäre. Wenn aber das Unmögliche möglich geworden, so wird um so eher das Schwere leicht werden. 

   Indes, wendest du ein, das war nur eine Wirkung freier Gnade. Aber gerade deshalb hättest du um so mehr Grund, zuversichtlich zu sein. Wenn Gott schon da mitwirkte, wo die Gnade allein in Frage kam, wird er dann nicht um so mehr helfen, wenn ihr zeigt, dass ihr euch auch selbst anstrenget? Wenn er den Untätigen rettet, wird er nicht noch eher dem zu Hilfe kommen, der auch selbst mitwirkt? Oben habe ich gesagt, dass die Ermöglichung des Unmöglichen dir auch für das Schwierige Mut machen müßte; jetzt sage ich aber weiter, wenn wir nur vernünftig sind, so ist dies nicht einmal schwer. Sieh nur: der Tod ward mit Füßen getreten, der Teufel besiegt, das Gesetz der Sünde aufgehoben, die Gnade des Geistes verliehen, das Leben auf kurze Zeit beschränkt, die Leiden und Mühsale verringert. Und damit du das auch aus den Tatsachen selbst ersehest, so sieh nur, wie viele noch über die Vorschriften Christi hinausgingen. Und du fürchtest dich sogar vor dem notwendigen Maße? Womit willst du dich also entschuldigen, wenn andere noch das gesteckte Ziel überholen, und du selbst zögerst, auch nur bis zu dem vorgeschriebenen Punkte zu gehen? Dich ermahnen wir, ein Almosen zu geben von dem, was du hast, während ein anderer sich all seiner Habe entledigt. Dich bitten wir, ehrbar zu leben mit deiner Frau, andere dagegen haben sich nicht einmal verheiratet. Dich fordern wir auf, nicht lieblos zu sein, während wir Beispiele von solchen besitzen, die aus Liebe sogar ihr eigenes Leben hingegeben haben. Von dir erwarten wir, dass du nachsichtig seiest gegen die Fehlenden; andere bieten sogar noch die andere Wange dar, wenn sie geschlagen werden. Was werden wir also sagen, sprich! Wie werden wir uns rechtfertigen, wenn wir nicht einmal das tun, während andere uns um soviel übertreffen? Sie hätten uns aber nicht übertroffen, wenn die Sache nicht wirklich ganz leicht gewesen wäre. Oder wer magert ab, derjenige, der anderen ihr Glück mißgönnt, oder der sich mit ihnen von Herzen freut? Wer ist voll Argwohn gegen alles und zittert unaufhörlich, der Keusche oder der Ehebrecher? Wer freut sich voll froher Hoffnung, der Räuber oder der Barmherzige, der von seinem Eigentum dem Bedürftigen mitteilt? Das alles wollen wir also erwägen und nicht träge sein im Wettlauf um die Tugend, vielmehr mit allem Eifer uns rüsten zu diesen herrlichen Kämpfen und kurze Zeit uns abmühen, um dafür die ewige unverwelkliche Krone zu erlangen, deren wir alle teilhaftig werden mögen durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem Ehre und Macht gebührt in alle Ewigkeit. Amen!






Kommentar zum Evangelium Mt 38