Kommentar zum Evangelium Mt 57

Siebenundfünfzigste Homilie. Kap. XVII, V.10-21.

57 Mt 17,10-21

1.

V.10: "Und es fragten ihn seine Jünger und sagten:Warum sagen dann aber die Schriftgelehrten, dass zuerst Elias kommen müsse?" 

   Also nicht aus der Hl.Schrift wußten sie das, sondern vonn den Schriftgelehrten, die ihre eigenen Ansichten gepredigt hatten, und so wurde diese Meinung unter dem ungebildeten Volke verbreitet. Ebenso hatten sie es mit Christus gemacht. Darum konnte auch die Samaritanerin sagen: "Der Messias kommt, und wenn er kommt, wird er uns alles verkünden" (Jn 4,25); so hatte man auch den Johannes gefragt:"Bist du Elias? bist du der Prophet?" (Jn 1,21). Denn, wie ich sagte, man sprach allgemein über Christus und über Elias; doch wurdeen von jenen falsche Meinungen in Um lauf gebracht. Die Hl.Schrift kennt eine zweifache Ankunft Christi, die eine, die bereits erfolgt ist, und die andere die erst noch erfolgen soll.V on ihnen beiden handelt Paulus, wo er schreibt: "Erschienen ist die Gnade Gottes, unseres Heilandes, allen Menschen, und hat uns unterwiesen, dass wir der Unfreiheit und den weltlichen Gelüsten entsagen und besonnen, gerecht und fromm leben sollen" (Tt 2,11-12). Damit ist also die erste Ankunft gezeichnet. Vernimm nun auch, wie er die zweite erwähnt. Nach obigen Worten fährt er fort: "Erwartend die selige Hoffnung und die Ankunft der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Heilandes Jesus Christus" (Tt 2,11-13) Auch die Propheten erwähnen beide Ankünfte.Vor der zweiten wird Elias der Vorläufer sein; denn bei der ersten war es Johannes, den Christus auch als Elias bezeichnet, nicht als ob er wirklich Elias gewesen wäre. sondern weil er die Aufgabe desselben erfüllte. Wie nämlich Elias bei der zweiten Ankunft Vorläufer sein wird, so war es Johannes bei der ersten. Die Schriftgelehrten aber hielten diese beiden nicht auseinander und machten auch das Volk irre, indem sie vor den Leuten nur die zweite Ankunft erwähnten;sie sagten: wenn dieser Christus wäre, hätte Elias vorher auftreten müssen. Damit ist also der Grund angegeben, weshalb die Jünger fragten:"Warum sagen die Schriftgelehrten, dass zuerst Eliass kommen müsse?" wie auch, dass die Pharisäer Johannes fragen ließen: "Bist du Elias?" Nirgends aber erwähnen sie die erste Ankunft. 

   Wie löste nun Christus diese Frage? Er sagt: Elias wird einst bei meiner zweiten Ankunft erscheinen, aber auch jetzt ist ein Elias gekommen, womit er Johannes bezeichnet. Dieser ist als Elias gekommen; aber nicht als der Thesbiter, denn er wird erst noch kommen. 

   V.11: "Elias wird kommen und alles wiederherstellen." 

   Was alles? Was der Prophet Malachias erwähnt: "Ich sende euch Elias,den Thesbiter und er wird zurückwenden das Herz des Vaters zu dem Sohne, damit ich nicht komme und das Land gründlich schlage" (Ml 4,56). Merkst du, wie genau sich der Prophet ausdrückt? Christus nennt den Johannes Elias, weil beide die gleiche Aufgabe haben. Damit man nun nicht glaube, der Prophet rede im gleichen Sinne, so fügt er dessen Heimat bei und sagt:"den Thesbiter": Johannes war aber kein Thesbiter.Noch ein weiteres Unterscheidungsmerkmal wird angeführt: "Damit ich nicht komme und die Erde von Grund aus erschüttere"; damit wird auf die Schrecken der zweiten Ankunft hingewiesen. Das erstemal erscheint er nicht, um die Erde zu erschüttern. "Ich bin nicht gekommen",sagt er, "damit ich die Welt richte, sondern damit ich die Welt rette" (Jn 12,47). Es ist also offenbar, dass der Thesbiter vor jener Ankunft, mit welcher das Gericht verbunden ist, erscheinen wird. Zugleich gibt er kund, in welcher Absicht er kommen wird. Und die wäre? Dass er kommen wird, um die Juden zum Glauben an Christus zu bewegen, damit sie nicht alle zusammen bei seiner Ankunft zugrunde gehen. Darum erinnert er sie auch daran, und sagt, "er wird alles wiederherstellen", d.h. er wird den Unglauben der dann noch lebenden Juden auf den rechten Weg weisen.Darin liegt der Grund, weshalb er die Worte so genau abwog und nicht sagte: er wird das Herz des Sohnes zum Vater kehren, sondern:"des Vaters zum Sohne". Die Apostel waren nämlich die Söhne der Juden; deshalb sagte er,Elias wird hinführen zu den Lehren ihrer Söhne, nämlich der Apostel, die Herzen der Väter, d.h.die Gesinnung der Juden. 

   V.12: "Ich sage euch aber, dass Elias schon gekommen ist, und sie erkannten ihn nicht, sondern taten an ihm, was sie nur wollten. So auch wird der Sohn des Menschen zu leiden haben von ihnen. 

   V.13: Da verstanden die Jünger, dass er von Johannes zu ihnen gesprochen habe." 

   Auch davon hatten weder die Schriftgelehrten noch die Schrift selbst gesprochen. Sie waren aber nunmehr scharfsinniger und aufmerksamer auf seine Worte geworden und so faßten sie es rasch auf. Wie kam es, dass sie es so schnell verstanden? Weil er ihnen schon früher erklärt hatte: "Er selber ist Elias, der da kommen soll" (Mt 11,14). Hier sagt er: "Er ist schon gekommen", und:"Elias wird kommen und alles wiederherstellen." Laß dich aber nicht beirren und denke auch nicht, der Herr sei im unklaren gewesen, wenn er das eine Mal sagt, Elias werde erst kommen, das andere Mal, er sei schon gekommen. Beides ist eben zugleich wahr. Denn wenn er einmal sagt: "Elias wird kommen und alles wiederherstellen", so spricht er vom eigentlichen Elias und der einstigen BNekehmrukng der Juden; wenn er dann wieder sagt: "der kommen soll", so bezeichnet er Johannes mit dem Namen Elias, weil beide eine gleiche Sendung hatten. Ähnlich nannten auch die Propheten jeden hervorragenden König einen David und die Juden nannten sie wegen ihrer Sitten die Obersten von Sodoma und Söhne der Äthiopier.Wie nun Elias der Vorläufer der zweiten Ankunft sein wird, so war Johannes der Vorläufer der ersten .



2.

Das ist aber nicht der einzige Grund, weshalb er Johannes überall Elias nennt; er zeigt damit auch, wie vollkommen er selbst im Einklange steht mit dem Alten Bunde, wie auch diese seine erste Ankunft der Weissagung der Propheten entspricht. Deshalb fährt er fort: "Sie erkannten ihn nicht, sondern taten an ihm, was sie nur wollten ." Was bedeuten die Worte: "alles was sie wollten"? Man warf ihn ins Gefängnis, verhöhnte ihn, tötete ihn, brachte sein Haupt auf einer Schüssel getragen. "So wird auch der Sohn des Menschen zu leiden haben von ihnen."Merkst du, wie der Herr wieder Anlaß nimmt, um die Apostel an sein Leiden zu erinnern und wie er aus dem Leiden des Johannes großen Trost für sie ableitet? Doch er tröstet sie nicht bloß durch diesen Hinweis, sondern auch durch die unmittelbar darauffolgen den großen Wunder. So oft er nämlich von seinem Leiden spricht, wirkt er gewöhnlich auch Wunder, sei es vor oder nach derartigen Äußerungen. Diese Beobachtung kann man häufig bei ihm machen.So heilßt es: "Von da an begann Jesus, seinen Jüngern zu zeigen, dass er nach Jerusalem hingehen und vieles leiden müsse (Mt 16,21). Wann war das:"von da an"? Da man ihn als Christus und Sohn Gottes bekannt hatte. Ferner als sie auf dem Berge die wunderbare Erscheinung gesehen hatten, wo die Propheten von seiner Herrlichkeit geredet hatten, auch da machte er sie auf sein Leiden aufmerksam. Jetzt, da er von dem Schicksale des Johannes gesprochen hat, fährt er fort: "So wird auch der Sohn des Menschen von ihnen zu leiden haben." Ebenso kurze Zeit später, nachdem er den Teufel ausgetrieben hatte, den seine Jünger nicht auszutreiben vermocht hatten: "Während sie nämlich in Galiläa umherwanderten, sprach Jesus zu ihnen: Der Sohn des Menschen wird in die Hände der Sünder überantwortet werden und sie werden ihn töten, und am dritten Tage wird er wieder auferstehen" (Mt 17,21-22). Er beabsichtigte damit, das Übermaß ihrer Trauer durch die großen Wunder zu mäßigen und sie auf alle mögliche Weise aufzurichten. So spendete er auch hier großen Trost durch die Erinnerung an den Tod des Johannes. Vielleicht fragt jemand: Warum hat Jesus nicht jetzt schon den Elias erweckt und gesendet, da er doch bezeugt, dass derselbe bei deinem Erscheinen so viel Gutes bewirken werde? Ich ergwidere: man hielt auch jetzt Christus für Elias, ohne indes an ihn zu glauben. " Die einen halten Dich für Elias, andere dür Jeremias" (Mt 16,14). Und doch war zwischen Johannes und Elias kein anderer Unterschied als der der Zeit. 

   Wie ab er werden die Juden dann glauben[558] ? so fragst du. Er wird eben alles wiederherstellen, weiol man ihn klennen wird, und weil auch die Herrlichkeit Christi bis zu jenem Tage immer mehr verbreitet sein und heller als die Sonne bei allen leuchten wird. Wenn er dann nach einer solchen Spannung und Erwartung kommt, um durch seine Predigt diejenige des Johannes zu bestätigen, wenn auch er selbst Jesus öffentlich verkündet, wird man seinen Worten ein geneigtes Gehör schenken. Durch die Worte: "Sie erkannten ihn nicht an" nimmt der Herr die Juden in Schutz wegen ihres Verhaltens gegen ihn. Aber nicht bloß damit tröstet er die Apostel, sondern auch durch den Hinweis darauf, dass er unschuldig alle seine Leiden von ihnen zu tragen haben werde. Zudem sucht er das Traurige dabei durch zwei Wunder zu verschleiern; das erste hatte er auf dem Berge gewirkt, das andere sollte aber jetzt geschehen. Als die Apostel seine Worte vernommen hatten, fragten sie ihn nicht, wann Elias kommen werde, sei es, dass sie von Bangigkeit vor dem Leiden beklommen sind, sei es, dass sie sich überhaupt scheuten zu fragen. Denn wir finden oft, dass sie schweigen, wenn sie bemerken, er wolle etwas nicht klar und deutlich sagen. So hatte er einst in Galiläa zu ihnen gesagt: "Der Sohn des Menschen wird überantwortet werden und sie werden ihn töten" (Mc 9,30); hierzu bemerkt Markus: "Sie verstan den das Gesagte nicht und fürchteten sich, ihn zu fragen" (Mc 9,31). Ebenso heißt es bei Lukas: Es war vor ihnen verhüllt, so dass sie es nicht erfaßten; auch scheuten sie sich, ihn über diese Rede zu befragen" (Lc 9,45). 

   V.14: "Und nachdem sie zu den Volksscharen gekommen waren, trat zu ihm ein Mensch heran, welcher vor ihm auf die Kniee niedersank und sagte: 

   V.15: Herr! Erbarme Dich meines Sohnes, weil er mondsüchtig und gar übel daran ist; oft nämlich fällt er in das Feuer und oft in das Wasser. 

   V.16: Und ich habe ihn zu Dinen Jüngern gebracht und sie waren nicht imstande, ihn zu heilen." 

   In diesem Manne zeigt uns die Schrift einen sehr glaubensschwachen Menschen, wie aus vielen Umständen hervorgeht. Einmal daraus, dass Christus sagte: "Alles ist möglich dem, der glaubt"; dann, dass der Mann sagte:"Hilf meinem Unglauben" (Mc 9,22-23); sowie daraus, dass Christus dem Teufel verbot, wieder in den Besessenen zu fahren;ferner, dass der Mann zu Christus gesagt hatte:"Wenn Du kannst" (Mc 9,21). Wenn nun der Unglaube dieses Menschen schuld war, dass der Teufel nicht ausfuhr, warum, sagst du, schilt Christus die Jünger? Er wollte zeigen, dass sie in jedem Falle heilen können, auch wenn der Bittsteller ohne Glauben kommt. Es kommt ja häufig vor, dass der Glaube des Bittenden genügt, um auch von geringeren Menschen Gewährung zu erhalten; aber oft geschieht es, dass ein Wunder vollbracht wird nur durch die Kraft derer, die es wirken, auch wenn der Bittsteller keinen Glauben hat. Für beide Fälle finden sich in der Hl. Schrift Beispiele. Kornelius und seine Leute zogen durch ihren Glauben die Gnade des Hl. Geistes auf sich herab, während zur Zeit des Elisäus ein Toter aufstand,wiewohl niemand Glauben besaß.Denn die Männer, welche den Toten in das Grab warfen, taten es nicht aus Glauben, sondern aus Feigheit,und ohne jede Sorgfalt, um dann aus Furcht vor einem Überfall der Räuber die Flucht zu ergreifen; der aber, den sie hineinwarfen, war tot. Also bloß durch die Kraft des heiligen Leibes[559] wurde dieser Tote erweckt. Darauf folgt klar, dass auch die Jünger schwach waren, wenn auch nicht alle; denn die Säulein[560] waren nicht dabei gewesen.



3.

Die Rücksichtslosigkeit des Mannes erhellt auch noch aus dem Umstand, dass er im Gegenwart des Vokes die Jüngher bei Christus bloßstellt: "Ich habe ihn zu Deinen Jüngern gebracht und sie vermochten nicht, ihn zu heilen."Der Herr aber nimmt seine Jünger vor dem Volke in Schutz gegen diesen Vorwurf und schreibt ihm die Hauptschuld zu. 

   V.17: "O ungläubiges und verkehrtes Geschlecht", sagt er, " wie lange noch werde ich bei euch sein?" 

   Doch will er damit auch die Juden, nicht den Mann allein treffen, um ihn nicht zu beschämen. Sonst hätten viele der Anwesenden Anstoß nehmen und über die Jünger ungebührlich den ken können. Mit den Worten; "Wie lange werde ich noch bei euch sein",bringt er wieder zum Ausdruck, dass ihm der Tod erwünscht sei, dass er sich darnach sehne und nach seinem Hingange verlange, dass n icht der Tod am Kreuze für ihn schjwer sei, sondern sein Verweilen unter ihnen. Bei bloßen Vorwürfen läßt er es aber nicht bewenden; er sagt vielmehr: "Bringet ihn mir hierher." Und er fragt ihn selbst, wie lange er schon leide; weil er sowohl seine Jünger in Schutz nehmen, als auch ihn selbst mit froher Hoffnung und mit dem Vertrauen erfüllen will, dass er bald von seinem Leiden werde befreit werden. Der Herr ließ es aber geschehen, dass der Besessene hinund hergezerrt wurde, nicht um ein Schauspiel zu bieten[561] , sondern um seines Vaters willen, der sehen sollte, dass der Teufel beim bloßen Anreden erschrickt, um wenigstens hierdurch zum Glauben an das bevorstehende Wunder gebracht zu werden. Der Mann hatte gesagt: "Von Jugend auf", und: "Wenn du kannst, hilf uns"; Christus antwortet ihm: "Alles ist dem möglich, der glaubt" (Mc 9,21-22), und lenkt damit den Tadel wieder auf ihn zurück. Auch der Aussätzige hatte gesagt: "Wenn du willst, kannst du mich rein machen" (Lc 5,12), und hatte dabei die Macht Christi bekannt; darum lobte ihn der Herr und bekräftigte seine Worte, indem er sprach:"Ich will, sei rein." Dieser Mensch aber hatte durch seine Worte: "Wenn du es vermagst, hilf mir", der Macht des Herrn Unehre angetan; darum stellt er auch die Rede richtig, weil sie etwas Ungehöriges enthielt. Was sagt er also? "Wenn du glauben kannst, so ist dem alles möglich, der glaubt." Das soll heißen: So groß ist meine Machtfülle, dass ich sogar andere in den Stand setzen kann, solche Wunder zu wirken. Wenn du also glaubst, wie es recht ist, wirst auch du heilen können, nicht bloß diesen, sondern noch viele andere. Nach diesen Worten befreite er den Besessenen vom Teufel. 

   Hierbei kannst du auch beachten, dass seine Fürsorge und Wohltätigkeit diesen Menschen nicht erst jetzt, sondern schon seit jener Zeit begleitete, da er dem Teufel gestattete, in ihm zu wohnen; denn wäre er nicht damals schon unter dem besonderen Schutze Gottes gestaden, so hätte er schon längst umkommen müssen. Denn, wie wir hören, hatte ihn der Teufel ins Feuer und ins Wasser gestürzt. Wenn er es so weit trieb, hätte er ihn auch ganz umgebracht, hätte nicht Gott seiner großen Wut einen festen Zaum angelegt, ähnlich wie bei jenen, welche nackt in den Wüsten herumlaufen und sich mit Steinen zu zerschmettern suchen.Wenn er aber mondsüchtig genannt wird, so laß dich das nicht beirren; das ist nur das Gerede seines Vaters. Wie kommt es nun aber, dass der Evangelist sagt, Christus habe viele Mondsüchtige geheilt? Damit gibt er nur der Anschauung der Menge Ausdruck. Denn um diesen Himmelskörper in Verruf zu bringen, befällt der Teufel die Besessenen und läßt wieder von ihnen, entsprechend dem Laufe des Mondes; doch ferne sei es zu glauben, der Mond sei die Ursache dieser Erscheinung; der Teufel ist der Urheber dieses Leidens und will, dass man dem Mond die Schuld dafür zuschreibe. So konnte auch diese irtümliche Meinung bei den Ungeb ildeten platzgreifen, und infolgedessen gab m an derartigen Teufeln den Namen Mondsüchtige. Doch stimmt dies nicht mit der Wahrheit überein. 

   V.19: "Da traten die Jünger allein zu Jesus heran und fragten: Warum vermochten wir nicht, den Teufel auszutreiben?" 

   Mir scheint, die Apostel waren voll Angst und Besorgnis, die Gnadengabe, die ihnen verliehen worden war, verloren zu haben. Sie hatten ja die Gewalt gegen die unreinen Geister erhalten. Deshalb treten sie auch ohne Zeugen vor ihn, um ihn zu fragen, nicht aus Scham, denn da die Sache öffentlich war, da sie öffentlich bloßgestellt worden waren, wäre es doch gegenstandslos gewesen, wenn sie sich geschämt hätten, es einzugestehen, sondern, weil sie ihn über eine geheime wichtige Angelegenheit befragen wollten. Und Christus? 

   V.20: "Er sprach zu ihnen: Wegen eures Unglaubens. Denn wenn ihr Glauben habet wie ein Senfkorn, werdet ihr zu diesem Berge sagen: Gehe hin weg, und er wird weggehen, und nichts wird euch unmöglich sein." 

   Du fragst vielleicht: Wo haben sie je einen Berg versetzt? Ich antworte: Sie haben noch viel größere Wunder verrichtet durch Tausende von Totenerweckungen. Denn einen Berg zu versetzen steht nicht auf gleicher Stufe wie eine Leiche dem Tode entreißen. Übrigens wird auch berichttet, dass in späterer Zeit manche, die an Heiligkeit weit hinter den Aposteln standen, im Notfalle Berge versetzten haben. Daraus folgt offenbar, dass auch sie es im Notfalle getan hätten. Wenn aber damals kein solcher Notfall eiuntrat, so brauchst du deshalb nichts an ihnen auszusetzen. Zudem hatte ja auch der Herr nicht gesagt: Ihr werdet nach Belieben Berge versetzen, sondern: "Ihr werdet auch das vermögen." Wenn sie nun keine Berge versetzten, so liegt der Grund nicht darin, dass sie es nicht vermocht hätten[562] , sondern weil sie nicht wollten, da kein triftiger Anlaß dazu vorlag. Weil ab er überhaupt nicht alle ihre Wundertaten aufgeschrieben worden sind, kann es wohl sein, dass sie auch Berge versetzt haben, ohne dass es aufgezeichnet worden ist. 

   Zu jener Zeit waren sie aber noch recht unvollkommen. Und inwiefern? Hatten sie damals auch diesen Glauben nicht? Nein. Sie waren eben nicht immer dieselben. Petrus wird das eine Mal selig gepriesen, dann wieder getadelt; die übrigen werden vom Herrn getadelt, weil sie in ihrem Unverstande das Gleichnis vom Sauerteig nicht begriffen.So zeigten sich die Jünger auch in unserem Falle schwach; vor dem Kreuzestode Christi waren sie eben noch gar zu unvollkommen.Hier nun handelt er vom Glauben an die Wunder und weist auf das Senfkorn hin, um die unbeschreibliche Kraft des Glaubens zu kennzeichnen. Das Senfkorn ist dem Äußeren nach zwar klein, aber an Leistungsfähigkeit übertrifft es alle Samenkörner. Das Senfkörnlein also führt er an, um zu zeigen, dass auch das geringste Maß echten Glaubens Großes vermag. Aber auch das genügt ihnen nicht; er spricht auch noch vom Bergeversetzen; ja er geht noch weiter und sagt: "Nichts wird euch unmöglich sein."



4.

Hier nun hast du Gelegenheit, die Tugend der Apostel und die Kraft des Hl. Geistes zu bewundern; die Tugendhaftigkeit der Apostel, denn sie machen kein Hehl aus ihre Schwäche; die Kraft des Hl. Geistes, weil er sie, die nicht einmal ein Senfkörnlein Glauben besaßen, nach und nach so weit emporhob, dass sogar Quellen und Ströme des Glaubens aus ihnen hervorbrechen. 

   V.21: "Diese Art aber wird nicht ausgetrieben außer durch Gebet und Fasten." 

   Der Herr spricht hier von dem ganzen Teufelsgezücht, nicht bloß von den Mondsüchtigen allein. Siehst du, wie er schon zum voraus die Lehre vom Fasten grundlegt? Man komme mir aber nicht mit jenen seltenen Fällen, wo hie und da Teufel auch ohne Fasten ausgetrieben wurden. Das mag wohl bei dem einen oder an deren Teufelsbeschwörer so gewesen sein, aber es ist ganz ausgeschlossen, dass jemand vom Unglück dieses Wahnsinnes geheilt werde, wenn er der Schwelgerei ergeben ist. Denn gerade für einen solchen Kranken ist Fasten und Gebet unbedingt notwendig. Da sagst du: Ja, wenn der Glaube notwendig ist, wozu dann noch fasten? Weil außer dem Glauben gerade das Fasten große Kraft verleiht. Es pflanzt große Tugendhaftigkeit in die Seele und macht aus dem Menschen einen Engel, so dass er mit den Mächten der Geister zu ringen vermag. Für sich allein genügt aber das Fasten nicht, auch das Gebet ist erforderlich, und zwar an erster Stelle.. Erwäge nun, wieviel Gutes aus beidem erwächst. Wer ordentlich betet und fastet, hat nicht viele Bedürfnisse; wer nur wenig bedarf, wird nicht leicht habsüchtig; wer nicht habsüchtig ist, der ist auch geneigter zum Almosengeben. Wer fastet ist leicht und beschwingt, wacht und betet, erstickt die Glut der bösen Begierden, zieht die Gnade Gottes auf sich und hält seine Seele, wenn sie sich selbst erhebt, nieder. Deshalb übten auch die Apostel beinahe ohne Unterlaß das Fasten. Wer mit dem Fasten zugleich das Gebet verbindet, hat zwei Flügel, die leichter sind als der Wind. Ein solcher gähnt und streckt sich nicht vor Schläfrigkeit beim Beten, wie es die meisten machen; er ist vielmehr glühender als Feuer und erhebt sich hoch über die Erde. Ein solcher Beter ist darum den Teufeln auch besonders verhaßt und zuwider. Es gibt eben nichts Stärkeres als einen rechten Beter. Denn wenn schon ein Weib einen grausamen Gewalthaber, der weder Gott noch Menschen fürchtet, zu erweichen imstande ist[563] , wieviel mehr wird da einer, der seine Eßlust beherrscht und der Wollust entsagt, bei Gott Gehör finden, wenn er ihn ohne Unterlaß bittet. 

   Ist dein Leib zu schwach, um viel zu fasten, so ist er doch nicht zu schwach zum Beten, noch zu kraftlos, um die Eßlust zu verachten. Wenn du auch nicht zu fasten vermagst, so kannst du doch die Üppigkeit vermeiden; auch das ist nichts Geringes und ist nicht weit vom Fasten entfernt; vielmehr ist auch diese Enthaltsamkeit ein sehr geeignetes Mittel, die wütenden Anfälle des Teufels zu vereiteln. Denn nichts sieht der Teufel so gern, wie Schwelgerei und Trunkenheit, weil daraus alle Laster entspringen und geboren werden. Damit verführte er seinerzeit die Israeliten zum Götzendienst; damit entflammte er die Sodomiter zu widernatürlicher Liebe. Die Schrift sagt nämlich: "Das war die Schuld Sodomas: sie schwelgten in Hochmut, in Genüge an Brot und Überfluß" (Ez 16,49). Damit hat er auch schon tausend andere ins Verderben und in die Hölle gestürzt. Gibt es wohl ein Laster, zu dem die Üppigkeit nicht führt? Sie macht aus Menschen Schweine; ja noch Schlimmeres als Schweine. Das Schwein wälzt sich im Schlamme und frist Unrat. Der Üppige sucht sich noch abscheulichere Genüsse zu verschaffen als ein Schwein, indem er nach sündhaften Umarmungen und unerlaubter Liebe trachtet. Ein solcher Mensch unterscheidet sich in nichts von einem Besessenen, so schamlos und toll ist er. Mit einem Besessenen haben wir noch Mitleid, ein Wollüstiger flößt uns nur Abscheu und Ekel ein. Und weshalb? Weil er selbst an seiner Tollwut schuld ist, indem er seinen Mund, die Augen, die Nase und alle Glieder zu Schmutzkanälen macht. Könntest du gar einen Blick in sein Inneres tun, du würdest sehen, dass seine Seele wie vor Frost und Regen erstarrt, gelähmt und außerstande ist, das Fahrzeug zu lenken wegen der Heftigkeit des Sturmes. Scham erfaßt mich, wenn ich sagen soll, wieviel Unmäßigkeit über Mann und Weib bringt; das überlasse ich lieber denen, die darin Erfahrung haben, die es genauer wissen. Oder kann es etwas Schändlicheres geben als ein betrunkenes Weib, das nur so hin und her taumelt? Je gebrechlicher das Fahrzeug, desto entsetzlicher ist auch der Schiffbruch, mag die Trunkene nun eine Freigeborene sein oder eine Sklavin. Die Freie ist eben zum schamlosen Schauspiel der Slaven geworden, die Sklavin ist unter ihresgleichen unanständig. Beide sind schuld, dass die Gaben Gottes von den Unverständigen geschmäht werden. Denn gar häufig, wenn so etwas Böses vorkommt, höre ich sagen: Es sollte keinen Wein geben! Wie töricht! wie beschränkt! Wenn andere sündigen, ziehst du gegen die Gaben Gottes los? Was ist das doch für ein Wahnsinn! Nicht der Wein trägt die Schuld, sondern diejenigen, welche ihn zur Unmäßigkeit mißbrauchen. Sage also: es sollte keine Trunkenheit, es sollte keine Unmäßigkeit geben. Wer aber meint, es sollte keinen Wein geben, der wird allmählich weiter gehen und behaupten, wegen der Mörder sollte es kein Eisen geben, wegen der Diebe keine Nacht, wegen der Betrüger kein Licht, wegen der Ehebrüche keine Frauen; so gelangt man schließlich dahin, alles abschaffen zu wollen.



5.

Allein so darf man es nicht machen; solche Reden sind ein Zeichen teuflischer Einflüsterung. Nicht dem Weine sollst du die Schuld geben, sondern der Trunksucht. Nimm einen Trinker her, wenn er nüchtern ist, schildere ihm seine ganze Abscheulichkeit und sprich zu ihm: Der Wein ist uns gegeben worden, um uns zu erheitern, nicht damit wir den Anstand einbüßen; zu unserer Freude, nicht zu unserer Schmach; zur Erhaltung der Gesundheit, nicht um uns krank zu machen; zur Kräftigung der leiblichen Schwäche, nicht zur Schwächung der Kräfte der Seele. Gott hat dich mit dieser Gabe beehrt; wie kannst du dich selbst entehren durch Unmäßigkeit? Höre doch, was Paulus sagt: "Gebrauche ein wenig Wein wegen deines Magens und deiner häufigen Schwächen" (1Tm 5,23). Wenn Timotheus, ein Heiliger, trotz seiner Krankheit und seiner fortwährenden Unpäßlichkeiten keinen Wein genoß, bis es ihm der Meister auftrug, womit wollten wir uns entschuldigen, wenn wir uns bei voller Gesundheit betrinken? Zu Timotheus sprach Paulus: "Trinke ein wenig Wein wegen des Magens", zu jedem von euch, der sich berauscht, wird er sagen: Du darfst nur wenig Wein genießen, wegen der Fleischessünden, wegen der häufigen unflätigen Reden, wegen der bösen Begierden, welche die Trunkenheit im Gefolge hat. Genügen euch schon diese Gründe nicht, so enthaltet euch des unmäßigen Trinkens wenigstens wegen der Unlust und Verdrossenheit, die es nach sich zieht. Der Wein ist zur Freude gegeben worden, so lesen wir: "Wein erfreut des Menschen Herz" (Ps 103,15). Ihr aber tut dieser guten Wirkung Schmach an. Kann es denn eine Freude sein, wenn man nicht mehr bei Sinnen ist, wenn man von allerlei Übelkeiten gepeinigt wird, wenn sich alles im Kreise dreht und aussieht, als wäre es von einem Schleier überzogen, wenn man sich gleich einem Fieberkranken den Kopf mit Öl einreiben muß? 

   Diese meine Worte gelten aber nicht allen und doch auch wieder allen; nicht als ob nämlich alle dem Trunke ergeben wären, Gott bewahre, sondern weil sich die Nüchternen um die Betrunkenen nicht kümmern. Deshalb wende ich mich besonders an euch, die ihr vernünftig seid, ähnlich wie ein Arzt, der sich ja auch nicht bloß an die Kranken wendet, sondern auch mit deren Umgebung sich bespricht. An such also sind meine Worte gerichtet, euch fordere ich auf; lasset euch ja nicht von dieser Leidenschaft ergreifen. Die aber davon befallen sind, die muntert auf, dass sie doch nicht schlimmer als die unvernünftigen Tiere sich betragen. Denn diese verlangen nicht mehr, als sie brauchen. Die Trinker dagegen sind unvernünftiger, weil sie die Grenzen der Mäßigung überschreiten. Wieviel besser ist doch ein Esel als sie! wieviel gescheiter ein Hund! Diese und alle anderen Tiere finden beim Essen und Trinken ihr Maß in der Genüge und gehen nicht über das Bedürfnis hinaus; und würde man sie auch noch so sehr nötigen, man kann sie nicht bewegen, unmäßig zu sein. In dieser Beziehung seid ihr also schlechter als die unvernünftigen Tiere, nicht nur im Vergleich mit den Nüchternen, sondern auch für euch selbst; denn ihr beweist damit, dass ihr euch selbst nicht einmal so hoch schätzet, wie die Hunde und Esel. Denn die unvernünftigen Tiere nötigt man nicht, mehr zu fressen, als sie bedürfen, und auf die Frage: warum? entgegnest du, du wollest sie nicht schädigen. Dir gegenüber bist du nicht so behutsam. Folglich hältst du dich für weniger wert als die Tiere, und es liegt dir nichts daran, dass du fortwährend in Gefahr bist, zugrunde zu gehen. Denn die Trunkenheit schadet nicht bloß am Tage, wo du betrunken bist, sondern noch lange darüber hinaus. Wie bei einem Fieber nachteilige Wirkungen zurückbleiben, auch wenn es gewichen ist, so ist es auch bei der Trunkenheit. Auch nachdem der Rausch verflogen ist, wirkt die Aufregung in der Seele und im Leibe nach. Der arme Leib liegt da, gebrochen wie ein Fahrzeug nach dem Schiffbruche. Die Seele ist noch elender daran als der Leib; während dieser matt ist, erregt sie den Sturm und entfacht die Begierden, und ist gerade dann recht toll, wenn sie vernünftig zu sein scheint, und träumt von Wein, Fässern, Bechern und Humpen. Es geht hier wie bei einem Sturme; nachdem das Toben desselben beschwichtigt ist, bleibt der Schaden, den er angerichtet hat; denn wie dort[564] die Waren über Bord geworfen werden, so büßt man durch die Trunkenheit fast alle Tugenden ein. Alles, was vorher da war: Enthaltsamkeit, Schamhaftigkeit, Klugheit, Gerechtigkeit, Demut, alles schleudert sie in das Meer der Ungerechtigkeit. 

   Hinsichtlich der Folgen trifft der Vergleich aber nicht mehr zu. Dort wird das Fahrzeug nach dem Verluste erleichtert, hier wird es noch mehr beschwert. An Stelle des eingebüßten Reichtums nimmt es hier Sand, Seewasser und den ganzen Unrat der Trunkenheit auf. Die Folge davon ist, dass gar bald das Schiff mit den Fahrgästen und dem Steuermann zugrunde geht. Damit uns also kein solches Unglück zustoße, wollen wir uns vor diesem Sturme bewahren. Es ist eben ein Ding der Unmöglichkeit, dass einer, der dem Laster der Trunksucht verfallen ist, in das Himmelreich eingehe. Die Schrift sagt: "Täuschet euch nicht!...weder Trunkenbolde noch Lästerer werden Gottes Reich ererben" (1Co 6,9-10). Was rede ich nur vom Himmelreiche? Nicht einmal das Reich Gottes auf Erden kann ein Trunksüchtiger genießen. Die Trunkenheit macht ja die Tage zur Nacht, das Licht zur Finsternis; bei offenen Augen sehen die Trunkenen nicht einmal, was vor ihren Füßen liegt. Und das ist noch nicht das einzige Unheil; einer viel schlimmeren Strafe verfallen sie noch außerdem, denn unbeschreiblicher Überdruß, Schwermut, Krankheiten, Spott, Schande ist ihr beständiges Los. Können Menschen, die sich selbst so viel Böses zufügen, wohl auf Verzeihung rechnen? Wahrlich nicht! Lasset uns also diese Pest fliehen, damit wir der zeitlichen und ewigen Güter teilhaftig werden durch die Gnade und Güte unseres Herrn Jesus Christus, dem im Verein mit dem Vater und dem Hl. Geiste die Ehre und die Macht gebührt in alle Ewigkeit. Amen!





Achtundfünftigste Homilie. Kap. XVII, V.22 - Kap XVIII.

58 Mt 17,22-18,6

1.

V.22: "Während sie aber in Galiläa umherwanderten, sprach Jesus zu ihnen: Der Sohn des Menschen wird in die Hände der Menschen überliefert werden, 

   V.23: und sie werden ihn töten, und am, dritten Tage wird er auferstehen. Und sie wurden sehr betrübt." 

   Die Jünger hätten leicht sagen können: Weshalb bleiben wir dann immerfort hier? Deshalb spricht der Herr wieder von seinen Leiden. Sobald sie davon hörten, mochten sie Jerusalem nicht einmal mehr sehen. Bedenke nur, was alles vorhergegangen war: Petrus hatte einen Verweis erhalten, Moses und Elias hatten über sein Leiden gesprochen und hatten es als Verherrlichung bezeichnet, der Vater hatte vom Himmel herab geredet, große Wunder waren gewirkt worden, und die Auferstehung sollte in kürzester Zeit eintreffen[565] . Allein trotz alledem konnten sie die Rede vom Leiden nicht ertragen; sie wurden betrübt, ja sogar tief betrübt. Das kam aber daher, weil sie die Tragweite seiner Worte noch nicht begriffen. Das deuten auch Markus und Lukas an, jener durch die Worte: "Sie verstanden das Gesagte nicht und fürchteten sich, ihn zu fragen" (Mc 9,31), dieser, indem er schreibt: "Die Rede war vor ihnen verhüllt, so dass sie dieselbe nicht verstanden; und sie scheuten sich, ihn über diese Rede zu befragen" (Lc 9,45). Wie konnten sie aber traurig werden, wenn sie ihn nicht verstanden? Weil sie die Rede nur teilweise nicht verstanden; denn dass er sterben werde, wußten sie; sie hatten es immer wieder von ihm gehört; was für ein Tod es aber sein werde, dass seine Dauer nur kurz sein, und dass er unendlich viel Gutes im Gefolge haben werde, das war ihnen noch nicht klar; ebensowenig konnten sie sich vorstellen, was es mit der Auferstehung für eine Bewandtnis habe. Infolgedessen also wurden sie betrübt, denn sie hingen gar sehr an ihrem Meister. 

   V.24: "Als sie aber nach Kapharnaum gekommen waren, traten die, welche die Doppeldrachme in Empfang nahmen, zu Petrus und sprachen: Bezahlt euer Meister nicht die Doppeldrachme?" 

   Was ist das für eine Doppeldrachme? Als Gott die Erstgeburt der Ägypter getötet hatte, nahm er an ihrer Statt den Stamm Levi an. Da später die Kopfzahl des Stammes niedriger war, als die der Erstgeborenen bei den Juden, ordnete er an, dass zur Ergänzung der Zahl an Stelle der Ausfallenden ein Schekel entrichtet werde. Seit jener Zeit kam es in Brauch, dass die Erstgeborenen diesen Zins zahlen mußten. Weil also Christus ein Erstgeborener war, und Petrus der oberste unter den Jüngern zu sein schien, so trat man an ihn heran. Meiner Ansicht nach wurde dieser Zins in jeder Stadt eingehoben, deshalb forderte man ihn vom Herrn auch in seiner Heimat; Kapharnaum galt ja für seine Vaterstadt. Man mochte sich jedoch nicht unmittelbar an ihn wenden, sondern lieber an Petrus; aber auch das nicht mit Zudringlichkeit, sondern in schonender Weise. Sie reden ihn nicht mit Vorwürfen an, sondern in Form einer Frage: "Zahlt euer Meister nicht die Doppeldrachme?" Ihre Meinung von Christus war nicht die richtige, denn sie hielten ihn für einen bloßen Menschen, obschon sie ihm eine gewisse Hochachtung und Ehre erwiesen wegen der Wunder, die er schon gewirkt hatte. Was antwortet nun Petrus? "Jawohl", sagt er; und damit gab er ihnen zu wissen, dass der Herr zahlen werde; ihm selbst sagte er aber nichts davon, vielleicht aus Scheu, dergleichen Dinge vor ihm zu erwähnen. In seiner Allwissenheit kommt ihm aber der Herr liebevoll entgegen mit der Frage: 

   V.25: "Was dünket dich, Simon? Die Könige der Erde, von wem nehmen sie Zoll oder Steuer? Von ihren eigenen Kindern oder von den fremden? 

   V.26: Und jener sagte: Von den fremden. Da sprach Jesus zu ihm: Also sind die eigenen Kinder frei." 

   Petrus sollte nicht meinen, er rede so, weil er die Worte der Steuereinnehmer gehört habe; gerade das will er ihm klar machen; deshalb kommt er ihm zuvor und macht ihm Mut, weil er nicht zuerst reden wollte. Der Sinn seiner Worte ist der: Ich bin eigentlich frei von der Entrichtung der Steuer. Wenn schon die irdischen Könige nur von ihren Untertanen, nicht von ihren eigenen Kindern Zins erheben, dann muß ich um so mehr dieser Abgabe enthoben sein, da ich ja nicht der Sohn eines irdischen, sondern des himmlischen Königs und selbst König bin. Merkst du, wie er Söhne und Nichtsöhne unterscheidet? Wäre er nicht die Sohn gewesen, so hätte er das Beispiel von den Königen umsonst angeführt. Allerdings, wendet man ein, er ist Sohn, aber kein eigentlicher. Also doch nicht Sohn. Wenn er nun nicht Sohn ist, so ist er auch nicht wirklicher Sohn, gehört nicht zum Vater, sondern ist ihm fremd; ist er ihm aber fremd, dann hat das Beispiel keine eigentliche Beweiskraft. Denn der Herr redet nicht von Söhnen im allgemeinen, sondern von Söhnen im eigentlichen Sinne, von solchen, die mit dem Vater an der königlichen Würde teilnehmen. Darum stellt er ihnen auch Fremde gegenüber. Unter Fremden versteht er hierbei jene, die nicht von ihnen gezeugt sind, unter Söhnen hingegen jene, deren eigentliche Väter sie selbst sind. 

   Beachte ferner, wie er auch dadurch die Offenbarung bestätigt, welche Petrus erhalten hatte. Damit noch nicht genug, er tut dasselbe auch durch seine Einwilligung in die Abgabe kund und hierin offenbarte er seine große Weisheit. Nach den obigen Worten fährt er nämlich fort: 

   V.27: "Damit wir sie aber nicht ärgern, gehe hin an das Meer und wirf eine Angel aus, und den ersten Fisch, der heraufkommt, nimm, und du wirst in ihm einen Stater[566] finden; diesen nimm und gib ihn ihnen für mich und dich." 

   Siehe, wie er den Zins nicht verweigert, aber auch nicht ohne weiteres entrichten läßt, sondern vorher darauf hinweist, dass er nicht verpflichtet ist, und dann erst bezahlt. Das eine tat er, damit nicht die Jünger, das andere, damit nicht die Steuereinnehmer Ärgernis nähmen. Er entrichtet die Steuer nicht als eine Schuldigkeit, sondern aus Rücksicht auf den schwachen Glauben jener.



2.

Bei einer anderen Gelegenheit setzt er sich allerdings über das Ärgernis hinweg, als er nämlich über das Speisegebot predigte. Damit gab er uns die Lehre, dass man unterscheiden müsse, wann es angebracht sei, sich einmal um Ärgernisse zu kümmern, und wann man sich nicht daran kehren dürfe. Auch durch die Art und Weise der Entrichtung zeigt der Herr wieder, wer er ist. Denn weswegen ließ er den Zins nicht aus den Sammelgeldern bezahlen? Er wollte, wie gesagt, bekunden, dass er Gott und Herr über alles, auch über das Meer ist. Schon früher hatte er einmal einen Beweis davon gegeben, als er das Meer zum Gehorsam zwang und ebenfalls wieder Petrus auf den Wogen einhergehen ließ; hier nun gibt er wieder einen Beweis davon, der sich aber in der Art und Weise von jenen unterscheidet und dadurch großes Staunen erregt. Es war gewiß nichts Geringes, vorauszusagen, dass der erste Fisch, der in jener Tiefe getroffen werde, das Steuergeld bringe, dass das Netz, das auf sein Geheiß in den See geworfen wurde, den fangen werde, der die Münze trage; es ist eine Großtat göttlicher, unbeschreiblicher Macht, wenn er sich das Meer in solcher Weise dienstbar zu machen weiß, dass es in jeder Hinsicht seine Unterwürfigkeit betätigte, sowohl damals, als es tobte und plötzlich ruhig wurde und schäumend den Jünger Christi auf seinen Rücken nahm, als auch jetzt wieder, da es für ihn, den Steuereinnehmer, den Zins entrichtet. 

   "Und gib ihn ihnen für mich und dich", sprach Christus. Merkst du, dass darin eine große Ehre liegt? Beachte aber auch die große Tugend Petri. Markus, sein Jünger, hat nämlich diesen Vorfall nicht verzeichnet, weil damit Petrus eine große Ehre erwiesen wurde. Seine Verleugnung hat er wohl berichtet; was hingegen ein glänzendes Licht auf ihn wirft, das hat er mit Schweigen übergangen, wahrscheinlich weil sein Meister es sich verbeten hatte, dass er aufschreibe, was ihn groß machte. "Für mich und dich" hatte Christus gesagt, weil auch Petrus ein Erstgeborener war. Muß man über die Macht Christi staunen, so ist auch der Glaube des Jüngers bewundernswert, der in einer so zweifelhaften Sache doch so willig gehorcht. Natürlicherweise gesprochen war seine Arbeit ja auch sehr aussichtslos. Zur Belohnung ließ ihn Christus an der Abgabe des Zinses teilnehmen. 

   Hier folgt nun Kapitel XVIII. 

   V.1: "Zu jener Stunde traten die Jünger zu Jesus und sagten: Wer ist denn größer im Himmelreich?" 

   Den Jüngern war etwas Menschliches widerfahren. Darauf will wohl auch der Evangelist hindeuten, wenn er schreibt: "In jener Stunde", nämlich als Christus den Petrus mehr als die übrigen geehrt hatte. Auch Jakobus und Johannes waren Erstgeborene, aber für sie hatte der Herr nichts dergleichen getan. Da sie sich aber schämten, ihre Eifersucht einzugestehen, fragen sie nicht offen: Weshalb hast Du Petrus mehr als uns ausgezeichnet? oder: Ist er mehr als wir? eben weil sie sich schämten; ihre Frage lautet vielmehr unbestimmt: "Wer ist wohl der Größte?" Als sie seinerzeit gesehen hatten, dass er jene drei Apostel bevorzugte, da hatte sich nichts dergleichen in ihnen geregt; aber jetzt, da er nur einen auszeichnete, wurden sie schmerzlich berührt. Diese Eifersucht wurde aber nicht allein durch diesen Vorgang entfacht, sondern indem sie vieles andere zusammenreimten, so, dass er zu ihm gesagt hatte: "Dir werde ich die Schlüssel geben", und: "Selig bist du, Simon, Sohn des Jonas" (Mt 16,19 u.Mt 16,17), und dazu seine jetzigen Worte: "Entrichte die Abgaben für mich und dich." Das verdroß sie, zumal sie auch sonst seine große Bevorzugung des Petrus beobachteten. Wenn Markus nicht berichtet, dass sie gefragt, sondern dass sie nur untereinander darüber geredet hätten, so steht das nicht in Widerspruch zu unserer Stelle. Denn es ist doch ganz natürlich, dass sie das eine und das andere getan haben. Zuerst wird sich hie und da die Eifersucht in ihnen geregt haben, dann werden sie sich besprochen und darüber beraten haben. Laß dich aber hierdurch nicht verleiten, bloß den Fehler an ihnen zu sehen; bedenke auch, dass sie nicht nach Irdischem trachten, ferner dass sie später diese Eifersüchtelei ablegen und einander den Vorrang gerne lassen. Wir hingegen reichen nicht einmal an ihre Schwäche heran, wir fragen nicht einmal, wer der Größte im Himmelreiche, sondern wer der Größte auf Erden sei, wer der Reichste, und wer der Mächtigste? Was sagt nun darauf Christus? Er deckt ihnen ihr Inneres auf, er gibt eine Antwort nicht so fast auf ihre Frage, als vielmehr auf ihre Eifersucht. 

   V.2: "Und Jesus rief ein Kind herbei und sprach: 

   V.3: Wenn ihr euch nicht bekehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in das Himmelreich eingehen." 

   Der Herr will sagen: Ihr fraget, wer der Größte sein werde und seid eifersüchtig auf den Vorrang; ich aber sage euch, wer nicht der Demütigste von allen geworden ist, der ist gar nicht wert, in das Himmelreich einzugehen. Er beleuchtet seine Worte auch noch durch ein schönes Beispiel. Er stellt ein Kind in ihre Mitte, um sie durch den Augenschein anzuleiten und zu bewegen, ebenso demütig und natürlich zu sein. Denn ein Kind kennt nicht Neid, Eifersucht und Ehrgeiz; es besitzt die wichtigsten guten Eigenschaften: Schlichtheit, Einfalt, Demut. Nicht bloß Starkmut und Klugheit sind also notwendig, sondern auch diese Tugenden: Demut und Einfalt. Denn wenn sie uns fehlen, hinkt unser Heil gerade in Bezug auf das Wichtigste. Ein Kind mag man verspotten und schlagen, oder ehren und loben, es wird weder aufgebracht noch neidisch und selbstüberhoben.



3.

Siehst du da, wie Christus uns von neuem zu äußeren guten Werken auffordert und zeigt, dass man sie alle freiwillig übern kann, womit er den verderblichen Wahnsinn der Manichäer widerlegt? Denn wenn die Natur etwas Böses wäre, wie könnte er seine Beispiele für die Übung der Tugenden aus ihr wählen? Ich bin aber überzeugt, er hat ein Kind, und zwar ein noch recht kleines Kind in ihre Mitte gestellt, das ganz frei war von all diesen bösen Eigenschaften. Ein solches Kind nämlich ist nicht keck, ehrgeizig, neidisch, eifersüchtig und wie alle diese Unarten heißen; es besitzt im Gegenteil viele gute Eigenschaften: es ist einfältig, demütig, mischt sich in nichts ein, ist nicht eingebildet. Es ist nämlich doppelt tugendhaft, solche Eigenschaften zu besitzen und sich darüber nicht aufzublähen. Deshalb also rief es der Herr herbei und stellte es in ihre Mitte. Das war aber nicht die einzige Lehre, die er ihnen gab. Er fährt in seiner Ermahnung noch fort: 

   V.5: "Und wer ein solches Kind in meinem Namen aufnimmt, nimmt mich auf." 

   Er sagt damit: Nicht nur, wenn ihr selbst wie Kinder werdet, wird euch ein großer Lohn zuteil werden, sondern auch wenn ihr andere, die so sind, um meinetwillen ehret, stelle ich euch als Entgelt für die Anerkennung, die ihr jenen zollet, das Himmelreich in Aussicht. Ja, was noch viel mehr ist, er sagt: "Der nimmt mich auf." So sehr, sagt er, bin ich für Demut und Einfalt eingenommen. Deshalb gibt er ja auch den Menschen, welche schlicht und demütig sind, und von der großen Menge zurückgesetzt und geringschätzig behandelt werden, den Namen Kinder. Um seine Worte noch eindringlicher zu machen, bekräftigt er sie durch den Hinweis nicht bloß auf die Belohnung, sondern auch auf die Strafe. Er fährt fort: 

   V.6: "Wer aber eines von diesen Kleinen ärgert, welche an mich glauben, für den wäre es besser, dass ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er versenkt würde in die Tiefe des Meeres." 

   Das soll heißen: Gleichwie diejenigen, welche solche Kinder um meinetwillen ehren, den Himmel, ja eine noch größere Auszeichnung als das Himmelreich erhalten werden, so werden auch diejenigen, welche sie verachten[567] , der schwersten Strafe verfallen. Es darf dich nicht wundern, dass er mit dem Worte "ärgern" die verächtliche Behandlung bezeichnet; denn gar manche schwache Seele hat an Verachtung und Geringschätzung großes Ärgernis genommen. Um nun die Größe und Schwere der Freveltat hervorzuheben, stellt er den Schaden, den sie anrichten, vor Augen. Er weist nicht mehr auf die Sache selbst hin, um ihre Strafwürdigkeit darzutun, sondern geht von ganz bekannten Dingen aus, um zu zeigen, wie abscheulich sie ist. Jedesmal nämlich, wenn er härtere Herzen treffen will, bedient er sich ganz sinnfälliger Beispiele. So spricht er auch hier, wo er die Frechheit solcher Verächter treffen und zeigen will, dass sie eine große Strafe zu gewärtigen haben, von einer sinnfälligen Züchtigung, nämlich von Mühlstein und von der Versenkung ins Meer. Und doch hätte man nach dem Vorausgehenden erwarten sollen: "Wer eines von diesen Kleinen nicht aufnimmt, nimmt mich nicht auf", und das wäre die empfindlichste aller Strafen. Weil sie jedoch sehr stumpfsinnig und gefühllos waren, hätte diese wenn auch entsetzliche Strafe doch wenig Eindruck auf sie gemacht; darum bedient er sich des Gleichnisses vom Mühlstein und von der Versenkung. Seine Worte lauten jedoch nicht, ein Mühlstein werde wirklich an seinen Hals gehängt werden, sondern: es wäre besser für ihn, wenn es geschähe; dadurch deutet er an, dass seiner eine andere noch schlimmere Strafe harrt. Ist ersteres schon etwas Entsetzliches, wie wird erst das letztere sein? 

   Siehst du, wie der Herr in zweifacher Weise Schrecken einflößt, einerseits indem er seine Drohung durch das Beispiel aus dem Leben beleuchtet, anderseits indem er sie zwingt, sich eine noch weit fürchterlichere als die erwähnte übermäßige Strafe vorzustellen? Siehst du, wie er auch den Hochmut gründlich auszurotten sucht? wie er die Eiterbeule der Eitelkeit heilt? wie er die Apostel anleitet, nie nach den ersten Plätzen zu streben? wie er diejenigen, welche nach den ersten Plätzen trachten, anweist, überall die letzte Stelle einzunehmen? Es gibt eben nichts Schlimmeres als den Hochmut. Der nimmt den Menschen die vernünftige Überlegung, zieht ihnen den Ruf der Albernheit zu, ja bringt sie so weit, dass sie völlig unvernünftig werden. Wenn jemand, der nur drei Ellen hoch ist, Anstrengungen macht, um höher als ein Berg zu werden, oder wenn er sich dies auch nur einbildete, und sich streckte, als überragte er tatsächlich den Berggipfel, so brauchten wir nach keinem weiteren Beweise für seinen Unverstand zu suchen. Ebenso bedarf man keines anderen Beweises für die Narrheit eines Hochmütigen, als zu sehen, wie er sich für besser als alle übrigen hält, und es für eine Schmach ansieht, mit den anderen zusammenzuleben. Ein solcher ist eigentlich viel lächerlicher als ein wirklicher Narr, weil er an seinem elenden Zustande selbst schuld ist. Überdies ist er auch schlimmer daran, weil er, ohne es wahrzunehmen, immer tiefer in dieses Unheil hineingerät. Wann sollte auch wohl ein solcher seinen Fehler gehörig einsehen? seine Sünden erkennen? Wie einen elenden Sklaven, wie eine Kriegsbeute nimmt, führt, schleppt ihn der Teufel mit sich herum, peitscht und treibt ihn immer wieder zu allerlei schimpflichen Handlungen. Schließlich verleitet er ihn zu solchem Wahnwitz, dass er sogar Weib und Kind und die eigenen Eltern verachtet. Andere hingegen führt er dazu, dass sie sich mit dem Glanz ihrer Ahnen brüsten. Kann es etwas Widersinnigeres geben, als dass man aus so ganz entgegengesetzten Ursachen in gleicher Weise hochfahrend wird; die einen, weil ihre Väter, Großväter und Urgroßväter nur einfache Leute, die anderen, weil dieselben angesehen und berühmt waren? Wie könnte man wohl den Hochmut solcher Menschen dämpfen? Zu dem einen müßte man sagen: Gehe doch weiter zurück, hinauf über Großväter und Urgroßväter, und du wirst vielleicht[568] viele finden, die Köche, Eseltreiber und Krämer waren; zu den anderen, die sich über ihre schlichten Vorfahren erheben, umgekehrt: Gehe auch in der Reihe deiner Voreltern weiter zurück und du wirst finden, dass viele darunter sich weit mehr ausgezeichnet hatten als du.



4.

Das ist eben der Lauf der Menschengeschichte. Ich will es euch aus der Hl. Schrift zeigen. Salomon war der Sohn eines Königs, und zwar eines berühmten Königs; aber sein Großvater gehörte zu den niedrigen und unbekannten Leuten; ebenso der Großvater mütterlicherseits, denn sonst hätte er seine Tochter nicht an einen einfachen Soldaten verheiratet (2R 11). Geht man aber von diesen schlichten Leuten weiter zurück, so findet man wieder ein glänzendes und vornehmes Geschlecht. Ebenso war es mit Saul, und bei vielen anderen könnte man dasselbe finden. Lassen wir uns daher aus solchen Gründen nicht zu hochfahrenden Gedanken verleiten. Sage mir doch, was ist denn eigentlich das Geschlecht? Nichts als ein leerer Name. Das wird man am jüngsten Tage erfahren. Da wir aber den jüngsten Tag noch nicht haben, so möchte ich euch aus den Tatsachen der Gegenwart überzeugen, dass man keine Ursache hat, aus seiner Abstammung irgendeinen Vorzug abzuleiten. Es mag nur ein Krieg, eine Hungersnot oder etwas Ähnliches ausbrechen, und alle Einbildung wegen der Abstammung wird zuschanden; bei einer Krankheit, einer Seuche gibt es keinen Unterschied zwischen reich und arm, berühmt und unberühmt, hoch und nieder; ebensowenig macht der Tod einen Unterschied oder die übrigen Schicksalsfälle; alle Menschen werden von ihnen in gleicher Weise betroffen, und, es mag befremdlich klingen, die Reichen noch mehr. Je weniger sie sich nämlich dessen versehen, desto eher erliegen sie darunter. Zudem ist die Furcht bei den Reichen größer. Sie zittern am meisten vor den Machthabern, und nicht weniger vor deren Untertanen, ja vor ihnen noch mehr; denn gar manches angesehene Haus ist durch die Wut des Volkes oder durch die Drohung der Fürsten vernichtet worden. Ein Armer ist gegen alle diese Stürme gesichert. Rede daher nicht von einem solchen Adel; willst du mir beweisen, dass du adelig bist, so zeige mir, dass du einen solchen Adel des Geistes besitzest, wie ihn jener heilige Mann trotz seiner Armut besaß, der zu Herodes sprach: "Es ist dir nicht erlaubt, die Frau deines Bruders zu haben" (Mc 6,18); wie ihn jener an den Tag legte, der schon lange vor Johannes mit solchem Freimut auftrat und einst wieder auftreten wird, jener nämlich, der zu Achab sprach: "Nicht ich bringe Israel Verderben, sondern du und das Haus deines Vaters" (1R 18,18); einen Adel, wie ihn die Propheten, wie ihn alle Apostel besaßen. 

   So sind die Seelen der Sklaven des Reichtums freilich nicht beschaffen, sondern eher so, als ob sie unter der Peitsche von tausend Zuchtmeistern und Henkern ständen, sie wagen nicht einmal die Augen aufzuschlagen und beherzt für die Tugend einzutreten. Denn die Begierde nach Besitz, nach Ehre und anderen Dingen macht sie feige, knechtisch und schmeichlerisch. Durch nichts wird eben die Freiheit so sehr eingedämpft, als wenn man sich an die irischen Geschäfte hingibt und sich in Dinge mischt, die Ruhm einzutragen scheinen. Ein solcher Mensch hat nicht bloß einen oder zwei oder drei Gebieter über sich, sondern unzählige. Wollt ihr sie kennen lernen, so lasset uns einen vornehmen Höfling betrachten, der großen Reichtum, gewaltigen Einfluß, ein berühmtes Vaterland, angesehene Ahnen besitzt und aller Augen auf sich lenkt. Wir werden nun sehen, ob er nicht der elendeste Knecht ist, und wollen ihn hierbei einen Sklaven, aber nicht den ersten besten, sondern den Sklaven eines Sklaven gegenüberstellen; denn mancher Sklave hält sich wieder Sklaven. Dieser Knecht eines anderen Knechtes hat nur einen Gebieter. Es liegt gar nichts daran, dass derselbe auch nicht frei ist, er hat eben doch nur einen und braucht nur auf dessen Wünsche zu sehen. Wenn auch der Herr seines Gebieters über ihn Gewalt zu haben scheint, er untersteht doch nur einem einzigen; genießt er seine Zufriedenheit, so ist sein Leben ein ruhiges. 

   Unser Höfling dagegen hat nicht nur einen oder zwei Herren, sondern viele und dazu recht schlimme. Zuerst muß er seine Augen auf den König richten. Es ist aber nicht gleich, ob man einen einfachen Mann oder den König zum Herrn hat; vor letzteren wird gar vieles gebracht, bald leiht er diesen, bald jenen sein Ohr. Ohne sich einer Schuld bewußt zu sein, hat ein solcher doch gegen alle das Gefühl des Argwohnes, gegen seine Mitfeldherrn und die, die unter ihm stehen, gegen seine Freunde und Feinde. Du wendest ein: Auch der andere fürchtet seinen Herrn. Ich frage dagegen: Ist es wohl einerlei, ob man einen oder viele zu fürchten hat? Ja, genau betrachtet, braucht jener Sklave nicht einmal einen zu fürchten. Warum? Aus welchem Grunde? Nun, weil ihn niemand aus seiner Stellung als Sklave zu verdrängen sucht, um seinen Platz einzunehmen, und somit hat er keinen, der gegen ihn Ränke schmiedet. Die Höflinge aber haben nur ein Bestreben, den, der beim Herrscher in Ansehen und Gunst steht, in seiner Stellung zu erschüttern. Daher sieht sich dieser genötigt, allen schön zu tun, den Höheren, den Gleichgestellten, den Freunden. Wo Eifersucht und Ehrgeiz herrschen, ist übrigens gar kein Raum für wahre Freundschaft. Wie nämlich die Handwerker desselben Berufszweiges einander nicht vollkommen und aufrichtig Freund sein können, so auch diejenigen nicht, welche in denselben Würden stehen und in weltlichen Dingen dieselben Ziele verfolgen. Daraus erklärt sich der so häufige gegenseitige Kampf. Siehst du also, was das für ein Schwarm von Herren, von recht schlimmen Herren ist? Willst du auch einen anderen, noch schlimmeren sehen? Es sind alle jene, die unter ihm stehen; sie trachten, vor ihn zu kommen, und die vor ihm sind, sie suchen es zu hindern, dass er an ihre Seite komme oder sie überhole.



5.

Merkwürdig! Ich versprach euch, bloß Herrscher zu zeigen, aber die Rede hat uns in ihrem Fortgang und in der Hitze des Kampfes weitergeführt als in Aussicht genommen war, sie hat uns anstatt der Herrscher Feinde gezeigt, ja eigentlich Feinde und Herrscher in einer Person. Wie Herrscher wird ihnen gehuldigt und wie Gegner werden sie gefürchtet und liegen auf der Lauer wie Feinde. Kann es ein größeres Unglück geben, als in denselben Leuten Gebieter und zugleich Feinde zu besitzen? Dem Sklaven werden allerdings auch Befehle erteilt, aber der Gebietende wendet ihm doch auch Fürsorge und Wohlwollen zu; jene Höflinge hingegen müssen Befehle entgegennehmen und sind zudem Gegenstand der Bekämpfung und Anfeindung untereinander; dabei sind sie noch schlimmer daran als im Kriege, weil man sie aus dem Hinterhalte zu treffen sucht, unter der Maske von Freunden die Rolle von Feinden spielt und durch den Sturz des Nebenbuhlers emporzukommen trachtet. Bei uns gelten ganz andere Grundsätze. Wenn jemand schlecht handelt, so haben gar viele Mitleid mit ihm, und wenn es ihm gut geht, freuen sich viele mit ihm. Sagt nicht der Apostel: "Wenn ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit; wenn ein Glied verherrlicht wird, freuen sich alle Glieder mit" (1Co 12,26); ein andermal spricht derjenige, der also predigt: "Wer ist meine Hoffnung oder Freude? Seid nicht auch ihr es?" (1Th 2,19); dann wieder: "Weil wir jetzt leben, wenn ihr feststehet im Herrn" (1Th 3,8); ein andermal: "Aus vieler Drangsal und Herzensangst habe ich euch geschrieben" (2Co 2,4), und: "Wer ist schwach, ohne dass ich schwach bin? wer wird geärgert, ohne dass ich brenne?" (2Co 11,29). 

   Warum setzen wir uns also diesem Sturme und Wogendrange auf offener See aus und eilen nicht in diesen sturmfreien Hafen? Warum lassen wir nicht die Scheingüter fahren, um uns den tatsächlichen zuzuwenden? Was sie unter Ehre, Macht, Reichtum und dergleichen verstehen, sind doch nur leere Worte; was wir darunter verstehen, ist alles das in Wirklichkeit; ebenso wie umgekehrt Widerwärtigkeiten, Tod, Schmach, Armut und dergleichen für uns bloße Namen sind, während es für jene deren Wirklichkeit bedeutet. Fassen wir nur einmal die Ehre ins Auge, nach der jene so sehr verlangen und geizen. Ich will gar nicht davon reden, dass sie unbeständig ist und schnell vergeht; zeige sie mir, wenn sie in voller Blüte dasteht. Du brauchst der Hure nicht Puder und Schminke abzuwischen; führe sie uns nur in vollem Aufzuge vor, dann will ich dir doch zeigen, wie häßlich sie eigentlich ist. Du wirst nun gewiß auf den Prunk hinweisen, auf die Menge der Trabanten, auf das Rufen der Herolde, auf die Unterwürfigkeit der Leute, auf das Verstummen des Volkes, darauf, dass alle einer solchen Persönlichkeit beim Begegnen huldigen und sich nach ihr umsehen. Ist das nicht etwas Glänzendes? Wohlan, sehen wir, ob es nicht doch nur eitle und alberne Einbildung ist. Wird ein so angesehener Mann durch alle diese Umstände dem Leibe oder der Seele nach etwa besser? Denn das macht ja doch den Menschen aus. Wird er etwa infolgedessen größer, kräftiger, gesünder und behender, werden seine Sinne dadurch schärfer und sicherer? Niemand wird wohl so etwas behaupten. Wenden wir uns also der Seele zu, ob nicht ihr aus den Ehrenbezeigungen etwa ein Vorteil erwächst. Ja, wird der Mann infolgedessen vernünftiger, bescheidener, weiser? O nein, sondern gerade das Gegenteil trifft ein. Da geht es nicht wie beim Leibe; dieser wird dadurch einfach nicht tüchtiger, das ist der einzige Nachteil. Die Seele aber hat nicht nur keinen Nutzen davon. sondern vielmehr noch großen Schaden, weil sie durch die Ehrenbezeigungen in Anmaßung, Eitelkeit, Torheit, Zorn und zahllose ähnliche Untugenden verfällt. 

   Du sagst: aber sie kann sich doch daran erfreuen und ergötzen und damit prunken. Damit hast du nur den Höhepunkt des Unheils bezeichnet, wo das Leiden unheilbar geworden ist. Denn wenn sich einer über seine Übel freut, wird er kaum Verlangen haben, davon befreit zu werden, die Freude versperrt ihm vielmehr den Weg zur Heilung. Das ist ja gerade das Entsetzliche an der Sache, dass er sich darüber freut, anstatt darunter zu leiden, weil die Leidenschaften sich mehren. Es ist aber nicht immer ein Glück, wenn sich ein Mensch freut. Auch der Dieb freut sich am Diebstahl, der Wüstling am Ehebruch, der Habsüchtige an fremdem Gute, der Mörder am Totschlag. Nicht das darf also maßgebend sein, ob sich einer freut, sondern ob der Gegenstand seiner Freude gut ist. Und wir müssen wohl auf der Hut sein, dass unsere Freude nicht der des Ehebrechers oder des Diebes gleiche. 

   Sage mir nun, worüber freut sich ein Ehrgeiziger? Weil er bei der Menge in Ansehen steht, weil er sich brüsten und die Augen auf sich lenken kann? O, gibt es etwas Erbärmlicheres als ein derartiges Streben und ein so törichtes Verlangen? Wenn das nicht erbärmlich ist, dann höret auf, euch über die Ehrgeizigen lustig zu machen und sie bei jeder Gelegenheit mit Spott zu überhäufen; dann lasset ab, die Anmaßenden und Hochmütigen zu verwünschen. Aber ihr werdet es kaum über euch bringen. Die Angesehenen sind also allen möglichen Angriffen ausgesetzt, mögen sie noch so viele Trabanten haben. Das will ich von den Machthabern gesagt haben, die noch erträglich sind. Wir finden aber unter ihnen gar manche, die größere Verbrechen verüben als Räuber, Mörder, Ehebrecher und Leichenschänder; denn sie mißbrauchen ihre Gewalt, um unverschämter zu stehlen, grausamer zu morden, weit schändlichere Ausschweifungen als jene zu begehen. Ihre Gewalt macht es ihnen leicht, nicht etwa durch eine Mauer einzubrechen, sondern ganze Vermögen und Häuser zu rauben. Dabei liegen sie in den Ketten der ärgsten Knechtschaft, indem sie ihren Leidenschaften feige nachgeben,[569] und vor allen Mitwissern in steter Angst schweben. Denn nur wenn man von Leidenschaften frei ist, ist man wahrhaft frei und mächtig und vornehmer als ein König. Davon sollen wir durchdrungen sein, dann werden wir nach der wahren Freiheit streben und uns der schmählichen Sklaverei entledigen; dann werden wir die Tugend aller für ein Glück ansehen, nicht den Dünkel der Gewalt oder die Zwingherrschaft des Reichtums oder dergleichen. Damit werden wir auch die Frieden hier auf Erden genießen und zugleich die ewigen Güter erlangen durch die Gnade und Güte unseres Herrn Jesus Christus, dem die Ehre und die Macht sei im Verein mit dem Vater und dem Hl. Geiste in alle Ewigkeit. Amen!






Kommentar zum Evangelium Mt 57