Kommentar zum Evangelium Mt 62

Zweiundsechzigste Homilie. Kap. XIX, V.1-15.

62 Mt 19,1-15
1.

V.1: "Und es geschah, nachdem Jesus diese Reden vollendet hatte, begab er sich fort von Galiläa und kam an die Grenzen von Judäa, jenseits des Jordan." 

   Bisher hatte der Herr Judäa wegen der Eifersucht der Juden gewöhnlich gemieden; jetzt begibt er sich wieder dorthin, da sein Leiden nahe bevorstand. Er geht aber noch nicht nach Jerusalem, sondern vorerst nur an die Grenzen von Judäa. Und als er dahin ging, 

   V.2: "folgten ihm viele Scharen Volkes und er heilte sie dort." 

   Nicht ununterbrochen liegt er der Predigt ob, wie er auch nicht stets Wunder wirkt; er tut vielmehr bald das eine, bald das andere, um auf verschiedene Weise am Heile derer, die sich ihm anschlossen und ihm folgten, zu arbeiten. Durch die Wunder bekundete er sich als Lehrer, der auf Glauben Anspruch erheben darf, durch die Predigt vertiefte er, was er durch die Wunder gewonnen hatte. Das war der Weg, wie er die Menschen zur Erkenntnis Gottes zu führen suchte. Beachte hierbei, wie die Jünger ganze Volksscharen mit einem einzigen Worte nur kurz erwähnen, ohne die Geheilten einzeln mit Namen anzuführen. So sagen, sie einfach; "Viele sind geheilt worden", nicht der und der, um uns zu unterweisen, dass man nicht prahlen soll. Christus heilte aber die Leute, um ihnen eine Wohltat zu erweisen und durch sie wieder vielen anderen; denn die Heilung ihrer Leiden wurde für die anderen eine Anregung zur Erkenntnis Gottes. Nicht so für die Pharisäer; diese werden vielmehr infolgedessen noch verbissener und sie treten heran, ihn zu versuchen. Da sie jedoch in seinen Werken keine Handhabe fanden, so versuchten sie es mit Fragen. 

   V.3: "Und Pharisäer traten zu ihm und versuchten ihn und sagten: Ist es einem Manne erlaubt, sein Weib zu entlassen aus was immer für einer Ursache?" 

   Welch eine Torheit! Obwohl sie schon längst seine Überlegenheit erfahren hatten, meinten sie doch, ihn durch ihre Fragen zum Schweigen bringen zu können. Sie waren geschlagen worden, als sie vieles über die Sabbatheiligung geredet hatten, als sie ihn der Gotteslästerung bezichtigten, als sie ihn für besessen erklärten, als sie den Jüngern Vorwürfe machten, dass sie durch die Saatfelder gingen, als sie über das Essen mit ungewaschenen Händen stritten; immer hatte er sie mundtot gemacht, ihre unverschämte Zunge in die Schranken gewiesen und sie so heimgeschickt. Aber trotz all dem lassen sie sich nicht abschrecken. So frech und unverschämt waren sie in ihrer Bosheit und Eifersucht, und wenn er ihnen tausendmal den Mund stopfte, tausendmal versuchen sie es von neuem. 

   Beachte aber auch, was für eine Bosheit in der Art und Weise der Fragestellung an den Tag tritt. Sie sprechen nicht: Du hast verboten, ein Weib zu entlassen; darüber hatte er schon seine Meinung ausgesprochen. Davon tun sie jedoch gar keine Erwähnung, sondern fingen wieder von vorne an. Sie wollen ihm einen noch verfänglicheren Hinterhalt legen und ihn in einen Widerspruch mit dem Gesetze hineinzwingen. Darum lautet ihre Frage nicht: Warum hast du das und das als Gesetz hingestellt, sondern, als hätte er noch gar nichts gesagt: "Ist es erlaubt?" Sie hofften eben, er habe seine früheren Reden vergessen. Antwortete er also: Es ist nicht erlaubt, sein Weib zu entlassen, so waren sie schon bereit, ihm entgegenzuhalten, was er seinerzeit erklärt hatte und zu sagen: Wie konntest Du aber früher das Gegenteil behaupten? Stellte er jedoch dieselbe Lehre wie früher auf, dann gedachten sie ihm das Gesetz des Moses entgegenzuhalten. Was antwortet also der Herr? Er sagt nicht: "Ihr Heuchler, was versucht ihr mich?" (Mt 22,18); später allerdings sprach er so, hier jedoch nicht. Warum wohl? Um ihnen zu zeigen, dass er nicht nur überlegen, sondern auch sanftmütig war. Er schweigt nicht jedesmal, damit sie nicht etwa meinten, er durchschaue sie nicht; er macht ihnen aber auch nicht jedesmal Vorwürfe, um uns ein Beispiel zu geben, dass wir alles mit Gelassenheit hinnehmen sollen. Welches ist nun seine Antwort? 

   V.4: Habt ihr nicht gelesen, dass der, welcher den Menschen schuf vom Anfange an, sie als Mann und Weib geschaffen hat, und dass er sprach: 

   V.5: "Deshalb wird der Mann den Vater und die Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen, und werden die zwei sein in einem Fleische"? (Gn 2,24). 

   V.6: Demnach sind sie nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. Was nun Gott zusammengefügt hat, das soll er Mensch nicht trennen." 

   Da bewundere die Weisheit des Lehrers. Auf die Frage: "Ist es erlaubt?" erwidert er nicht sofort: Es ist nicht erlaubt, um sie nicht in Verlegenheit und Verwirrung zu bringen; vielmehr bereitet er sie auf seinen Bescheid vor durch die Klarstellung, dass auch sein Vater dasselbe Gebot gegeben habe und dass er mit seiner Satzung nicht in Widerspruch zu Moses, sondern in vollem Einklange mit ihm steht. Beachte ferner, wie er seine Erklärung nicht bloß aus der Tatsache der Erschaffung, sondern auch aus dem Gebote selbst erhärtet; denn er sagt nicht, dass Gott nur einen Mann und ein Weib gebildet hat, sondern dass er auch das Gebot gab, ein Mann solle sich nur mit einem Weibe verbinden. Hätte er gewollt, dass der Mann sein Weib entlassen und eine andere heiraten dürfe, so hätte er nach der Erschaffung des einen Mannes gewiß mehrere Weiber gebildet. Aus der Art der Erschaffung und aus dem Wortlaut des Gesetzes geht aber hervor, dass er will, ein Mann soll durchaus nur mit einem Weibe in Lebensgemeinschaft stehen und dürfe sich von ihr niemals trennen. Und höre, wie er sagt: "Der, welcher sie im Anfange geschaffen hat, als Mann und Weib hat er sie geschaffen", d.h. sie sind aus einer Wurzel hervorgegangen und haben sich zu einem Leibe vereinigt, "zwei werden sie in einem Fleische sein". Dann sucht er sie von jedem Vorwurf gegen dieses Gesetz abzuschrecken, und um es noch mehr zu bekräftigen, sagt er nicht etwa: Ihr dürfet das Eheband nicht zerreißen oder trennen, sondern vielmehr: "Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht trennen." Wenn du mir Moses entgegenhältst, so berufe ich mich auf den Herrn des Moses und zur weiteren Bekräftigung auf das Alter des Gesetzes. Im Anfange nämlich bildete Gott die Menschen als Mann und Weib. Uralt ist also das Gesetz, wenn es auch den Anschein hat, als hätte ich es jetzt erst eingeführt. Auch ist es eine sehr ernste und wichtige Sache damit, denn Gott führte nicht einfach das Weib dem Manne zu, sondern hieß ihn auch ihretwegen Vater und Mutter verlassen; er gebot ihm, nicht bloß das Weib zu nehmen, sondern ihr anzuhangen, um durch die Wahl der Worte die Unzertrennlichkeit anzudeuten. Ja, auch das war ihm noch nicht genug: er verlangte eine andere, noch innigere Verbindung; "Sie werden zwei sein in einem Fleische."



2.

So hatte Christus das alte Gesetz erwähnt, das sich auf Tatsachen und mündliche Anordnung stützt, und hatte gezeigt, dass es auch in Anbetracht des Gesetzgebers volle Anerkennung erheischt. Nun legt er es auf Grund seiner Machtbefugnis aus und bestätigt es von neuem durch die Worte; "Demnach sind sie nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch." Wie es also ein Verbrechen ist, seinen Leib zu zerstückeln, so ist es auch ein Frevel, sich von seinem Weibe zu scheiden. Ja er läßt es nicht dabei bewenden, sondern beruft sich auf Gott selbst: "Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht trennen",um damit klarzulegen, dass es gegen die Natur und gegen das Gesetz ist, sich zu trennen; und zwar gegen die Natur, weil das Fleisch, das eines ist, zerschnitten wird, und gegen das Gesetz, weil man sich unterfängt, etwas zu trennen, was Gott selbst zusammengefügt hat mit dem Befehle, es nicht zu trennen. Was blieb jetzt den Pharisäern noch übrig, als sich zufriedenzugeben und seine Worte gutzuheißen, seine Weisheit zu bewundern und zu staunen darüber, dass er mit dem himmlischen Vater so ganz übereinstimmte? Allein nichts von all dem tun sie, sondern sie bleiben weiterhin rechthaberisch und sagen: 

   V.7: "Weshalb aber hat dann Moses geboten, einen Scheidebrief zu geben und sie zu entlassen?" 

   Diesen Punkt hätten aber nicht sie dem Herrn, sondern er ihnen entgegenhalten sollen; trotzdem macht er sich deshalb nicht lustig über sie, noch spricht er: Darüber habe ich euch keine Rechenschaft zu geben; er löst vielmehr diese Schwierigkeit. Wäre er nun ein Feind des Alten Bundes gewesen, so wäre er nicht für Moses eingetreten, hätte seine Erklärungen nicht durch das erhärtet, was einmal im Anfang der Schöpfung geschehen war, und hätte sich auch keine Mühe gegeben, darzutun, dass er mit dem Alten Bunde im Einklange steht. Moses hatte aber doch auch viele andere Vorschriften gegeben, z.B. über die Speisen und über den Sabbat; warum halten sie ihm denselben sonst nirgends entgegen, als nur in unserem Falle? Ihre Absicht bestand darin, die große Mehrheit der Männer gegen ihn aufzubringen; denn die Entlassung des Weibes war bei den Juden etwas, das alle ohne Unterschied zu tun pflegten. Deshalb griffen sie jetzt unter allen Vorschriften der Bergpredigt nur diesen einen Punkt heraus. Nichtsdestoweniger verteidigt sich die unaussprechliche Weisheit auch hierin und sagt: 

   V.8: "Wegen eurer Herzenshärte hat Moses diese Satzung gegeben." 

   Nicht den Moses klagt er somit an denn er selbst hatte im ja das Gesetz übergeben ,er nimmt ihn vielmehr in Schutz und wälzt alle Schuld auf ihr Haupt. So ist es überhaupt eine Gepflogenheit. Als sie z.B. die Jünger anklagten, dass sie Ähren abrissen, zeigt er, dass sie selbst dafür verantwortlich seien; oder als sie den selben eine Übertretung zur Last legten, weil sie vor dem Essen die Hände nicht wuschen, weist er darauf hin, dass sie, die Ankläger, die Übertreter seien; desgleichen bei den Verhandlungen über den Sabbat und auch sonst; so auch in unserem Falle. Übrigens, da er ihnen durch seine Bestimmungen eine große Last auflegen mußte und diese auch einen großen Tadel für sie enthielten, so kommt er alsbald wieder auf das Gesetz, wie es im Anfange war, zurück mit den selben Worten, wie kurz zuvor: 

   V.8: "Im Anfange aber war es nicht so", 

   d.h. durch die Tatsachen hatte auch Gott im Anfange gerade das Gegenteil zum Gesetz gemacht. Er macht sie wieder mundtot, damit sie nicht einwenden könnten: Woraus sollen wir denn erkennen, dass die Satzung des Moses wegen unserer Härte erfolgte? Denn wäre diese Satzung besser und nützlicher gewesen, so wäre jenes andere Gesetz im Anfange nicht gegeben worden, hätte Gott die Menschen nicht in der Weise erschaffen und hätte er nicht die Worte gesprochen: 

   V.9: "Ich sage euch aber; Wer immer sein Weib entläßt, außer im Falle des Ehebruches, und eine andere heiratet, bricht die Ehe." 

   Nachdem der Herr die Pharisäer also entwaffnet hat, gibt er nun aus eigener Machtvollkommenheit sein Gesetz, ähnlich wie bei den Speisen und beim Sabbat. Als er sie bezüglich der Speisen zurechtgewiesen hatte, sprach er zu dem Volke: "Nicht was zum Munde eingeht, verunreinigt den Menschen" (Mt 15,11); und nachdem er sie wegen des Sabbats zum Schweigen gebracht hatte, sagte er: "Es ist also erlaubt, am Sabbate Gutes zu tun" (Mt 12,12). So macht er es auch hier. Aber auch die Wirkung ist dieselbe, hier wie dort. Als nämlich damals die Juden hatten verstummen müssen, waren die Jünger in Unruhe geraten, waren mit Petrus zu ihm hingetreten und hatten gebeten: "Erkläre uns das Gleichnis" (Mt 15,15). So sind sie auch jetzt befangen und sagen: 

   V.10: "Wenn es sich so verhält mit dem Manne und dem Weibe, so ist es besser, nicht zu heiraten." Jetzt verstanden sie seine Lehre besser als früher; damals hatten sie denn auch geschwiegen, während sie ihn jetzt fragen, da das Gesetz durch Rede und Gegenrede, durch Fragen und Erklärungen deutlicher geworden war. Offen ihm zu widersprechen, wagen sie freilich nicht; sie bringen bloß vor, was ihnen an der Sache schwer und hart zu sein scheint: "Wenn es sich so verhält mit dem Mann und dem Weibe, so ist es besser, nicht zu heiraten." Es kam ihnen nämlich ganz unerträglich vor, ein Weib zu haben, das vielleicht aller Bosheit voll wäre, und gezwungen zu sein, ein solch unbändiges Wesen im Hause zu beherbergen.



3.

Um uns zu zeigen, wie sehr diese Sache sie beunruhigte, berichtet Markus erklärend, dass sie abseits zu ihm redeten (Mc 10,10). Was sollen aber die Worte besagen:"Wenn es sich so verhält mit dem Mann und dem Weibe"? Sie bedeuten: Wenn die dazu miteinander verbunden sind, dass sie eins sein sollen, oder: Wenn der Mann sich jedesmal verfehlt und eine Sünde begeht, wenn er das Weib verstößt, dann ist es leichter, gegen die Triebe der Natur und gegen sich selbst zu kämpfen, als gegen ein böses Weib. Wie äußert sich daraufhin Christus? Er sagt nicht: Gewiß ist es leichter, handle nur auch so; denn da hätten sie leicht meinen können, es sei geboten, ledig zu bleiben; er fährt vielmehr fort: 

   V.11: "Nicht alle fassen dieses Wort, sondern die nur, welchen es gegeben ist." 

   Damit stellt er die Sache als etwas Großes hin und zeigt, dass es etwas Erhabenes darum ist, um so dazu aufzumuntern und anzuspornen. Beachte aber den Widerspruch. Der Herr bezeichnet die Ehelosigkeit als etwas Großes, die Jünger als etwas Leichtes. Beides mußte so sein; er mußte die Sache ganz groß hinstellen, um sie dafür einzunehmen; sie mußten dieselbe infolge seiner Worte als das Leichtere bezeichnen, um infolgedessen der Jungfräulichkeit und Enthaltsamkeit den Vorzug zu geben. Denn da es schwierig erscheinen mochte, über die Jungfräulichkeit zu sprechen, so flößte er ihnen das Verlangen darnach ein, indem er auf den Zwang hinwies, welchen das Gesetz der Ehe ihnen auferlegte. Um sodann zu zeigen, dass die Ehelosigkeit möglich sei, fährt er fort: 

   V.12: "Es gibt Verschnittene, welche vom Mutterleibe an so geboren werden, und es gibt Verschnittene, welche verschnitten worden sind von den Menschen, und es gibt Verschnittene, welche sich selbst verschnitten haben um des Himmelreiches willen." 

   Damit leitet er die Jünger unmerklich an zur Wahl der Ehelosigkeit, und weist darauf hin, dass eine solche Tugendhaftigkeit möglich ist, als wollte er sagen: Siehe, wenn du von Natur so beschaffen oder infolge einer Mißhandlung so geworden wärest, was könntest du tun? Du wärest des Genusses beraubt, ohne einen Lohn dafür zu erhalten. Danke also Gott, dass du mit der Aussicht auf Lohn und Vergeltung etwas auf dich nehmen kannst, was andere ohne Lohn ertragen müssen. Ja noch mehr, du erträgst es viel leichter, weil dich die Hoffnung stützt und das Bewußtsein, eine Tugend zu üben, und weil infolgedessen auch die Leidenschaft nicht so mächtig schäumt. Das Abschneiden des Gliedes ist ja weniger leicht imstande, die Wogen zu glätten und Stille zu schaffen, wie der Zügel der Vernunft; ja nur die Vernunft allein vermag das. Deshalb führt also der göttliche Heiland die Verschnittenen an, weil er die Jünger aufmuntern will. Hätte er dieses Ziel nicht im Auge gehabt, wozu hätte er dann über die Verschnittenen zu reden brauchen? Durch die Worte aber:"Welche sich selbst verschnitten haben" meint er nicht das wirkliche Abschneiden eines Gliedes, Gott bewahre, sondern das Entfernen der bösen Gedanken. Denn wer sich ein Glied abschneidet, ist dem Fluche verfallen, wie Paulus sagt: "Möchten nur auch abgeschnitten werden die, so euch aufwiegeln" (Ga 5,12). Ganz mit Recht; denn ein solcher verübt die gleiche Tat wie ein Mörder, gibt Anlaß, die Schöpfung Gottes herabzuwürdigen, leiht den Manichäern Stoff zu ihren Einwänden und begeht dasselbe Verbrechen wie die Heiden, die sich verstümmeln. 

   Das Wegschneiden der Glieder war ja von jeher die Folge der Einflüsterung und Anfechtung Satans. Die Teufel wollen eben Gottes Werk herabsetzen, sie wollen sein Geschöpf erniedrigen, sie wollen, dass man alles der natürlichen Beschaffenheit der Glieder, nicht der freien Selbstentscheidung zuschreibe, so dass die meisten ungescheut sündigen, als träfe sie keine Verantwortung dafür. So fügen sie den Geschöpfen einen doppelten Schaden zu: sie verstümmeln seine Glieder und vermindern den freien Antrieb zum Guten. Solche Grundsätze hat der Teufel aufgestellt und außerdem noch eine andere schlimme Lehre verbreitet, nämlich die vom blinden Schicksal und dem Naturzwang, und hat sich damit den Weg gebahnt. um überall die uns von Gott geschenkte Freiheit zu besudeln und uns einzureden, die Sünde sei etwas ganz Natürliches. Dazu streut er noch viele andere böse Anschauungen aus, wenn auch im Verborgenen. Das ist eben das Eigentümliche am Gifte des Teufels. Deshalb fordere ich euch auf, eine so schändliche Tat[581] zu meiden. Zu all dem, was ich gesagt habe, wird ja dadurch auch die Begierde gar nicht gebändigt, sondern nur noch heftiger. Denn der Samen hat seine Quellen ganz wo anders in uns und kommt aus anderen Gründen in Wallung, Einige meinen, der Geschlechtstrieb habe seine Quelle im Hirn, andere in den Lenden; , einer Ansicht nach aber nur in einem ungezügelten Gemüt und einen ungeregeltem Gedankenleben. Wird das in Schranken gehalten, dann sind die natürlichen Regungen unschädlich. Nachdem er nun von den Verschnittenen gesprochen, welche aber zwecklos und vergeblich verschnitten sind, wenn sie nicht auch in der Seele Enthaltsamkeit üben , wendet sich Jesus wieder zu denjenigen, die um des Himmelreiches willen jungfräulich leben, mit den Worten: 

   V.12: "Wer es fassen kann, der fasse es." 

   So ermutigt er sie einerseits durch den Hinweis auf die Vorzüglichkeit einer solchen Tugendübung, und anderseits schließt er sie wegen seiner unbeschreiblichen Milde doch nicht in die engen Schranken eines Gesetzes ein. Auch sprach er diese Worte erst, nachdem er klar gezeigt hatte, dass es möglich sei, um so ihren freien Willen noch mehr anzuspornen.



4.

Nun wirst du aber einwenden: Wenn es Sache der freien Wahl ist, wie konnte er dann anfangs sagen:"Nicht alle fassen dieses Wort, sondern nur die, welchen es gegeben ist"? Du sollst erkennen, dass der Kampf heftig ist, und nicht meinen, es sei einfach eine Schicksalsbestimmung, die einem aufgenötigt wird. Nur denen, die den Willen dazu haben, wird es gegeben. Seine Worte lauteten aber so, weil er zeigen wollte, dass man beim Antritt dieses Kampfes großen Beistand von oben bedarf, der aber jedem zuteil wird, der ihn haben will. Der Herr bedient sich nämlich dieser Redeweise gewöhnlich, wenn es sich um eine wichtige Sache handelt, z.B. wenn er sagt: "Euch ist es gegeben, das Geheimnis des Reiches Gottes zu verstehen" (Mt 13,11 u. Lc 8,10). Dass dem so ist, geht klar hervor aus unserer Stelle. Hinge die Jungfräulichkeit bloß von dem übernatürlichen Gnadenbeistand ab , ohne dass die, welche jungfräulich leben etwas dazu beizutragen hätten, dann wäre es überflüssig gewesen, ihnen das Himmelreich zu verheißen und sie den anderen Verschnittenen gegenüberzustellen. Beachte hier auch, wie ein und dasselbe für die einen zum Vorteil, für die anderen zum Verderben gereichen kann. So gingen die Juden weg, ohne etwas gelernt zu haben . sie hatten vielleicht auch nicht gefragt, um zu lernen, die Jünger aber zogen großen Nutzen daraus. 

   V.13: "Alsdann brachte man Kinder zu ihm, damit er die Hände ihnen auflege und bete. Die Jünger aber wehrten sie ab. 

   V.14: Jesus aber sprach: Lasset die Kinder zu mir kommen; denn solcher ist das Himmelreich. 

   V.15: Und nachdem er ihnen die Hände aufgelegt hatte, ging er weg von dort." 

   Was bewog die Jünger, die Kinder fernzuhalten? Die Würde des Herrn. Und was tut Christus? Er lehrt sie, bescheiden zu sein und den Dünkel der Welt mit Füßen zu treten; darum nimmt er die Kinder, schließt sie in seine Arme und verheißt denen das Himmelreich, die so sind, wie sie. So hatte er auch schon früher gesprochen. Wenn also auch wir des Himmelreiches teilhaftig werden wollen, müssen wir mit großer Sorgfalt diese Tugend zu erwerben bemüht sein. Das ist wirklich der Inbegriff aller Tugendhaftigkeit, klug und zugleich einfältig zu sein; damit führt man das Leben von Engeln. Die Seele eines Kindes ist ja noch rein von allen Leidenschaften, es trägt den Beleidigern nichts nach, geht vielmehr zu ihnen, als wären es Freunde, als wäre gar nichts vorgefallen. Und wenn es von der Mutter auch noch so sehr gezüchtigt wird, es fühlt sich doch zu ihr hingezogen und schätzt sie mehr als alle anderen. Ja, selbst wenn du ihm die Königin im Diadem zeigst, es gibt doch der Mutter den Vorzug, mag dieselbe auch in Lumpen gehüllt sein, und hat mehr Freude, wenn es die Mutter sieht trotz ihrer Lumpen, als wenn es die Königin in ihrem Schmucke schaut. Nicht Armut oder Reichtum, sondern die Liebe allein gibt ihm den Maßstab für das, was ihm nahesteht oder fremd ist. Ferner kennt es kein Verlangen nach mehr, als was notwendig ist; sobald es gesättigt ist, läßt es von der Mutterbrust ab. Ein Kind grämt sich auch nicht über den Verlust von Geld und dergleichen, noch freut es sich über Vergängliches, wie wir, und ebenso macht die Schönheit des Leibes keinen Eindruck auf dasselbe. Darum sagte auch der Herr: "denn solcher ist das Himmelreich", damit wir aus freier Wahl so handeln, wie die Kinder von Natur aus tun. Da nämlich die Pharisäer bei ihrem Handeln sich einzig von Bosheit und Hochmut leiten ließen, so fordert er bei jeder Gelegenheit seine Jünger auf, einfältig zu sein, und belehrt durch den Hinweis auf jene auch sie. 

   Nichts ist aber auch so sehr geeignet, zum Hochmut zu verleiten, als Herrschaft und Ehrenstellen. Da nun den Jüngern große Ehren auf der ganzen Welt in Aussicht standen, warnt er sie und sucht sie vor menschlicher Schwäche zu bewahren, damit sie nicht etwa beim Volke Ehrenbezeugungen suchen oder sich vor ihm überheben. Es mag scheinbar nur etwas Geringfügiges sein, allein zu vielem Unheil kann es der Anlaß werden. So bei den Pharisäern. Weil sie von Jugend auf so erzogen worden waren, versanken sie in große Lasterhaftigkeit, geizten darnach, gegrüßt zu werden, die ersten Plätze einzunehmen, beim Gehen in der Mitte zu sein: schließlich steigerte sich ihr Ehrgeiz bis zur Manie und zuletzt sogar bis zur Gottlosigkeit. Darum eben zogen sie sich den Fluch zu, als sie Jesus versuchten, während die Kinder den Segen empfingen, da eben sie von allen diesen Schlechtigkeiten frei waren. Darum lasset uns auch wie die Kinder werden und in Bezug auf die Bosheit wirklich Kinder sein. Auf andere Weise in den Himmel zu kommen ist unmöglich, ganz und gar unmöglich. Ein innerlich verderbter und schlechter Mensch muß unausweichlich der Hölle verfallen: und ehe er in die Hölle kommt, schon hier schreckliche Leiden ertragen. "Bist du schlecht, so wirst du allein das Unheil tragen, bist du gut, so bist du es zu deinem und deines Nächsten Nutzen" (Pr 9,12), heißt es. Sieh nur, wie sich das auch schon bei ihren Vorfahren bewahrheitet hat. Es gab wohl keinen schlimmeren Menschen als Saul und keinen geraderen und einfältigeren als David. Wer von beiden war nun der Stärkere? War Saul nicht zweimal in die Hände Davids gegeben? Und obwohl dieser ihn in seiner Gewalt hatte und töten konnte, tat er es doch nicht. Hatte er ihm nicht wie in einem Netze oder Käfige eingeschlossen und schonte seiner dennoch? Und so tat er, obgleich die anderen ihn aufstachelten, und obgleich er persönlich viele Beschwerden gegen ihn hatte. Dennoch ließ er ihn von dannen ziehen, ohne ihm ein Leid anzutun. Saul verfolgte David mit einem ganzen Heere, während dieser nur wenige hoffnungslose Flüchtlinge um sich hatte, ringsum eingeschlossen war und von einem Ort zum andern fliehen mußte. Und doch besiegte der Flüchtling den König, weil er mit Einfalt, jener mit Bosheit in den Kampf zog. Kann jemand noch verwerflicher handeln als Saul, der seinem eigenen Heerführer nach dem Leben strebte, obwohl derselbe alle Kriege glücklich geführt, sich selbst den Mühen, welche die Siege erforderten, unterzog, die Ruhmeskränze aber dem Könige überließ?



5.

So ist eben der Neid; er untergräbt immer seinen eigenen Vorteil, verzehrt denjenigen, der sich von ihm beherrschen läßt und stürzt ihn in tausend Widerwärtigkeiten. Solange sich Saul noch nicht von David getrennt hatte, brauchte der Unselige fürwahr nicht in das erbärmliche Wehklagen auszubrechen: "Ich bin sehr bedrängt! Denn die Philister führen Krieg gegen mich und der Herr verließ mich" (1S 28,15). Als David noch nicht von ihm geschieden war, wurde er in keine Kriege verwickelt, sondern lebte in Sicherheit und stand in Ansehen; denn der Ruhm des Feldherrn fiel auf den König zurück. David war auch nicht der Mann, der nach der Herrschaft strebte, oder damit umging, ihn vom Throne zu stürzen, sondern es glückte ihm alles und er war dem König äußerst ergeben. Das geht klar auf den weiteren Ereignissen hervor. Bei oberflächlicher Prüfung der Sache könnte wohl jemand meinen. David habe diese Haltung nur beobachtet, weil er durch das Verhältnis der Unterordnung dazu genötigt war. Was hielt ihn aber nach seiner Verbannung aus dem Reiche noch zurück, was konnte ihn da noch bewegen, vom Kriege gegen Saul abzustehen? Ja, war nicht vielmehr alles darnach angetan, ihn zur Ermordung Sauls zu treiben ? Hatte derselbe nicht mehr als einmal schlecht gegen ihn gehandelt, trotz aller seiner Wohltaten, trotzdem ihm derselbe nichts vorwerfen konnte? Lag nicht für David eine beständige Gefahr darin, dass Saul im ruhigen Genusse des Königtums stand? Mußte er nicht, solange derselbe am Leben und im Besitze der Herrschaft blieb, fortwährend unstet und flüchtig sein und um sein Leben fürchten? Nichts von all dem vermochte ihn indessen dazu, sein Schwert mit Blut zu beflecken. Ja, als er ihn vor sich sah, schlafend, gefangen, allein, umzingelt, als er dessen Haupt berühren konnte, als viele ihn aufmunterten und es für eine besondere Fügung Gottes erklärten, dass ihm diese Gelegenheit geboten sei, da wies er die Sprecher zurück, tötete ihn nicht, sondern ließ ihn heil und gesund gehen, und machte dem Lager des Königs den Vorwurf, ihn verraten zu haben. als wäre er dessen Leibwächter und Schildträger, nicht sein Feind. 

   Wo findet man noch eine so edle Seele? wo eine Sanftmut gleich dieser? Läßt sich das schon aus dieser Erzählung ersehen, so geht es noch klarer hervor aus dem Vergleich mit unserem heutigen Leben . Denn wenn wir zur Einsicht unserer eigen en Verkehrtheit gelangen, werden wir um so mehr die Tugendhaftigkeit jener Heiligen würdigen. Darum bitte ich euch, eifert ihnen aus Kräften nach. Wenn du aus Ehrgeiz deinen Nächsten anfeindest, so wisse, dass du viel mehr Ruhm erntest, wen n du die Ehre verschmähst und die Feindseligkeit aufgibst. Beide Dinge stehen nämlich einander entgegen: die Habsucht dem Streben nach Reichtum. und der Ehrgeiz der Erlangung der Ehre. Wenn es euch gefällt, wollen wir diese Behauptung im einzelnen untersuchen. Wenn wir schon die Hölle nicht fürchten und den Himmel beiseite setzen, vielleicht gelingt es, euch durch den Hinweis auf irdische Vorgänge anzutreiben. Wer macht sich denn eigentlich lächerlich? Doch wohl jene, die etwas nur deshalb tun, um bei der großen Menge Ehre zu finden. Und wer findet Anerkennung? Sind es nicht jene, die auf das Lob der Menge nichts geben? Ein solches Haschen nach eitler Ehre ist aber nicht bloß tadelnswert, es kann auch vor den Menschen nicht verborgen bleiben; daher kommt es dann, dass ein Ehrgeiziger vor allem verächtlich wird und damit anstatt Ehre nur Unehre einheimst. Ist also darin schon eine Quelle der Schmach gelegen, so noch mehr darin , dass er genötigt ist, manches Entehrende und äußerst Gemeine zu tun. Es geht hierbei wie mit der Habsucht. Krankhafte Gewinnsucht verursacht den Leuten in der Regel nur Schaden. Es ist ja schon sprichwörtlich geworden: viele Enttäuschungen sind ihr Los und kleine Gewinne ziehen große Verluste nach sich. Nicht anders ergeht es dem Wollüstigen ; seine Leidenschaft wird ihm zum Hindernis im Genusse der Lust. Die Weiber pflegen ja solche Lüstlinge und Weiberknechte nur wie Sklaven zu behandeln; sie halten dieselben nicht der Behandlung von Männern für wert, schlagen sie, speien sie an, jagen sie dahin und dorthin, und halten sie zum Narren durch alle möglichen Aufträge, die sie ihnen geben. Ebenso gibt es nichts Niedrigeres und Verächtlicheres, als einen hochfahrenden, ehrsüchtigen und eingebildeten Menschen. Alle Menschen sind ja streitsüchtig, aber niemanden widerspricht man so gern als einem anmaßenden, hochfahrenden Knecht der Ehrsucht. Und er selbst, um dem Hirngespinst seines Hochmutes nachzujagen, benimmt sich gegen die meisten wie ein Sklave, schmeichelt, tut einem schön und nimmt ein schwereres Joch auf sich, als irgendein gekaufter Sklave. 

   Das alles müssen wir nur einsehen, dann werden wir diese Leidenschaft ablegen, sonst trifft uns schon hier die Strafe und dort unendliche Pein. Lasset uns also Liebhaber der Tugend werden, dann werden wir schon im Diesseits die größten Güter ernten, noch ehe wir das Himmelreich in Besitz nehmen, und werden nach unserem Hinscheiden im Jenseits der ewigen Wonne teilhaft werden. Möchten wir sie alle erlangen durch die Gnade und Güte unseres Herrn Jesus Christus, dem Ehre und Macht sei in alle Ewigkeit. Amen!





Dreiundsechzigste Homilie. Kap. XIX, V.15-26.

62 Mt 19,15-26
1.

V.15: "Und siehe, einer trat heran und sprach zu ihm: Guter Meister, was soll ich tun, damit ich ewiges Leben erlange?" 

   Manche stellen diesen Jüngling als Heuchler und schlechten Menschen hin, der nur zu Jesus gekommen sei, um ihn zu versuchen. Ich für meine Person möchte ihn zwar nicht gegen den Vorwurf der Habsucht und Geldgier in Schutz nehmen, denn auch Christus tadelte ihn darob; allein als Heuchler möchte ich ihn keineswegs bezeichnen, weil es etwas gar so Unsicheres und Gewagtes ist, über verborgene Dinge ein Urteil zu fällen, namentlich wenn es sich um Beschuldigungen handelt, und auch deshalb,. weil Markus einen solchen Verdacht ausschließt, wenn er schreibt; "Es lief einer herzu, und fragte ihn, das Knie vor ihm beugend", und:"Jesus aber sah ihn an und liebte ihn" (Mc 10,17 Mc 10,21). Allein die Macht und Anziehungskraft des Geldes ist eben gar groß. Das kann man auch darauf ersehen: Wenn man sonst allwegs tugendhaft ist, die Habsucht verdirbt alles andere. Paulus war gar im Rechte, wenn er sie als die Wurzel aller Übel bezeichnet:"Denn die Wurzel aller Übel ist die Habsucht" (1Tm 6,10). Warum aber gab ihm Christus zur Antwort: "Niemand ist gut"? Weil der Jüngling ihn noch als bloßen Menschen betrachtete, als einen aus vielen anderen und als gewöhnlichen jüdischen Lehrer. Deshalb redet auch er als Mensch mit ihm. Gar häufig macht er es so, dass er im Sinne der Fragesteller antwortet, so z.B. als er sagte: "Wir beten an, was wir wissen" (Jn 4,22), oder: "Wenn ich Zeugnis gebe über mich selber, dann ist mein Zeugnis nicht wahr" (Jn 5,31). Wenn also Jesus in unserem Falle erwidert: "Niemand ist gut", so will er sich selbst damit nicht die Güte absprechen, Gott bewahre, denn seine Worte lauteten ja nicht: Warum nennst du mich gut? Ich bin nicht gut, sondern: "Niemand", das soll heißen kein Mensch, "ist gut." Auch will er damit nicht besagen, es gebe überhaupt keinen guten Menschen, sondern nur keinen im Vergleiche mit Gottes Güte; deshalb fügt er auch hinzu: "Außer Gott allein." Er sagte nicht: Als nur mein Vater, um anzudeuten, dass er sich dem Jünglinge nicht offenbaren wollte. In ähnlicher Weise hatte er früher die Menschen böse genannt, als er sprach: "Wenn nun ihr, obgleich ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisset" (Mt 7,11). Damit wollte er aber nicht die ganze menschliche Natur als böse bezeichnen[582] , sondern er nannte vielmehr auch die guten Menschen böse, aber nur im Vergleiche mit der Güte Gottes. Deshalb fuhr er auch fort: "Um wieviel mehr wird euer Vater, welcher im Himmel ist, Gutes geben denen, die ihn bitten?" 

   Aus welchem Grunde, fragst du, oder zu welchem Zwecke gab er ihm diese Antwort? Weil er den Jüngling allmählich emporheben und unterweisen will, dass man sich jeder Schmeichelei enthalten soll. Er sucht ihn vom Irdischen loszumachen und mit Gott zu vereinigen; er will ihn für das Himmlische gewinnen, zur Erkenntnis des wahrhaft Guten führen, der die Wurzel und Quelle alles Guten ist, und ihn aufmuntern, diesem allein Ehre zu erweisen. Auch die Worte: "Lasset euch nicht Meister nennen" (Mt 23,10), die er ein andermal sprach, gelten nur im Vergleich mit ihm, damit man lerne, wer der Urheber alles Bestehenden sei. Bislang hatte der Jüngling keine geringe Bereitwilligkeit an den Tag gelegt; wenigstens war er von solcher Liebe beseelt, dass er zu Christus kam, um sich mit ihm über das ewige Leben zu beraten, indes andere zu ihm kamen, um ihn zu versuchen oder für sich oder andere Heilung zu finden. Der Boden war fett und fruchtbar, aber die zahllosen Disteln erstickten die Saat. 

   Beachte, wie bereitwillig er bisher die Gebote erfüllt hatte. "Was soll ich tun, damit ich das ewige Leben erlange?" fragt er. So willig zeigte er sich zur Erfüllung alles dessen, was ihm aufgetragen werden würde. Wäre er gekommen, um Christus zu versuchen, so hätte es der Evangelist gewiß erwähnt, wie er es auch bei den anderen tat, z.B. bei dem Gesetzeslehrer. Und hätte es auch der Evangelist übergangen, Christus hätte es jedenfalls aufgedeckt durch ein offene Zurechtweisung oder doch durch eine Anspielung, schon um nicht den Schein zu erwecken, als sei er hintergangen worden, ohne es zu merken: sonst würde er ja seine eigene Sache geschädigt haben. Hätte er den Herrn versuchen wollen, so würde er ihn auch kaum voll Trauer über den Bescheid verlassen haben. Ein derartiges Gefühl finden wir bei den Pharisäern nie, sondern nur Ingrimm, so oft sie hatten verstummen müssen. Ganz anders der Jüngling; er war niedergeschlagen, als er wegging. Darin liegt doch ein deutlicher Beweis dafür, dass er nicht in schlechter Absicht gekommen war, sondern eher, dass sein Wille zu schwach war, dass sein Verlangen nach dem ewigen Leben aufrichtig gemeint, er aber einer Leidenschaft erlag, die noch stärker war. 

   Als daher Christus antwortete: 

   V.17: "Wenn du in das Leben eingehen willst, so halte die Gebote", 

   fragte er: "Welche?" Durchaus nicht, um ihn zu versuchen, sondern in der Annahme es gäbe außer den Vorschriften des Gesetzes noch andere, die ihm die Pforte zum Leben erschließen könnten: ein klarer Beweis für die Aufrichtigkeit seines Verlangens. Als ihn darauf Jesus auf die Vorschriften des Gesetzes verwies, erklärte er: 

   V.20: "Alles dieses habe ich beobachtet von meiner Jugend an." 

   Aber auch das genügte ihm noch nicht, er fragte neuerdings: "Was bleibt mir noch zu tun übrig?" Auch das ist doch wahrlich nichts Geringes, dass er dachte, es fehle ihm noch etwas, die angeführte Gesetzestreue reiche noch nicht aus, um zu erreichen, wonach er verlangte. Was erwidert nun Christus? Da er ihm etwas Großes auferlegen wollte, so stellte er ihm auch einen großen Kampfpreis in Aussicht und spricht: 

   V.21: "Wenn du vollkommen sein willst, so geh hin, verkaufe, was du hast und gib es den Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben; und komme, folge mir nach!"



2.

Siehst du, was für Preise, was für Siegeskränze der Herr bei diesem Wettkampf in Aussicht stellt? Wenn ihn der Jüngling hätte versuchen wollen, würde Jesus nicht so gesprochen haben. Nun redete er aber doch so, und zwar, um ihn aufzumuntern, und deshalb zeigt er ihm auch den großen Lohn, stellt alles seiner Entscheidung anheim und verschleiert auf jede Weise, was an seiner Aufforderung hätte drückend erscheinen können. So weist er ihn denn, ehe er von Kampf und Anstrengung spricht, auf den Siegespreis hin: "Willst du vollkommen sein", dann erst sagt er: "Verkaufe alles, was du hast und gib es den Armen",um sofort wieder auf den Lohn zurückzukommen: "Du wirst einen Schatz im Himmel haben, und komm, folge mir nach." Wer Christus nachfolgt, empfängt herrlichen Lohn: "Und du wirst einen Schatz im Himmel haben. "Da von Besitz die Rede war und Jesus den Jüngling auffordere, alles hinzugeben, so zeigt er ihm, dass er sein Vermögen nicht einbüßen, sondern es noch vermehren würde, dass er mehr von ihm erhalte, als er ihn geben heißt; ja nicht bloß mehr, sondern um soviel mehr, als der Himmel die Erde überragt und noch darüber hinaus. Den Ausdruck "Schatz" gebraucht er aber deshalb, um, soweit es dem Zuhörer aus dem menschlichen Gesichtskreise veranschaulicht werden kann, die Vorzüglichkeit, Dauerhaftigkeit und Sicherheit des Lohnes klarzumachen. Es genügt also nicht, bloß den Besitz zu verachten, man muß auch die Armen unterstützen und vor allem Christus nachfolgen; mit anderen Worten, man muß entschlossen sein, alle seine Gebote zu halten, und jeden Tag für ihn sich töten und Hinschlachten zu lassen. "Wenn jemand mir nachfolgen will, verleugne er sich selbst, und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach" (Mt 16,24 u. Lc 9,23). Dieses Gebot legt also eine weit größere Verpflichtung auf, als nur sein Vermögen hinzugeben; man muß bereit sein, auch sein Blut zu vergießen. Seinen Besitz aufzugeben, trägt aber nicht wenig dazu bei. 

   V.22: "Als jedoch der Jüngling das gehört hatte, ging er betrübt hinweg." 

   Um zu zeigen, dass dieses Gefühl ganz erklärlich war, fährt der Evangelist fort: "Er hatte nämlich viel Besitztum." Die Anhänglichkeit an den Besitz ist eben verschieden bei den Menschen, je nachdem sie wenig haben oder in großem Reichtum gleichsam schwimmen. Bei letzteren ist die Leidenschaft viel heftiger. Darauf muß ich immer wieder aufmerksam machen, dass die Vermehrung des Einkommens das Feuer[583] immer gewaltiger entfacht, und die Erwerbenden nur ärmer macht, indem sie ihre Habsucht steigert und dadurch den Mangel um so fühlbarer gestaltet. Du kannst auch in unserem Falle sehen, welche Gewalt die Leidenschaft ausübt. Obwohl der Jüngling voll Freude und mit gutem Willen gekommen war, wurde er doch, als ihm Christus das Aufgeben seines Reichtums nahelegte, derart von der Leidenschaft erfaßt und beherrscht, dass er gar keine Erwiderung auf die Worte fand, sondern schweigend, niedergedrückt und traurig hinwegging. Und Christus? Er spricht: 

   V.23: "Wie schwer werden die Reichen in das Himmelreich eingehen!" 

   Damit will er nicht den Reichtum tadeln, sondern diejenigen, die sich von ihm einnehmen lassen. Wenn es nun schon für einen Reichen schwer ist, um wieviel schwerer für einen Habsüchtigen? Da es schon ein Hindernis ist, ins Himmelreich zu gelangen, wenn man sein Vermögen nicht zu Almosen verwendet, was für ein Feuer muß es erst verursachen, wenn man auch noch andere um das ihrige bringt? Weshalb aber sagte der Herr gerade zu den Jüngern, die doch arm waren und kein Vermögen hatten, dass ein Reicher schwerlich in den Himmel kommt? Er wollte sie belehren, dass sie sich ihrer Armut nicht zu schämen brauchten, und gewissermaßen erklären, warum er ihnen keinen Besitz gestattete. Nachdem er nun gesagt hatte, es sei schwer, geht er einen Schritt weiter und zeigt, dass es überhaupt unmöglich ist; ja er bezeichnet es nicht einfachhin als unmöglich, sondern als ganz und gar unmöglich, und erklärt es durch das Beispiel vom Kamel und dem Nadelöhr. 

   V.24: "Leichter ist es", sagt er, "dass ein Kamel durch ein Nadelöhr hindurchgehe, als dass ein Reicher eingehe in das Himmelreich." 

   Damit weist er aber auch darauf hin, dass die Reichen, die tugendhaft zu sein vermögen, keinen gewöhnlichen Lohn erhalten werden. Darum eben bezeichnete er dies auch als ein Werk Gottes, um anzudeuten, dass man zu einer solchen Tugendhöhe viel Gnade notwendig hat. Als nämlich die Jünger darüber betroffen waren, erklärte er ihnen: 

   V.26: "Bei Menschen ist dieses unmöglich, bei Gott aber ist alles möglich." 

   Doch warum sind die Jünger bestürzt, da sie ja arm, sehr arm waren? Warum geraten sie in Unruhe? Weil sie um das Heil der anderen besorgt waren, gegen alle große Liebe hegten und bereits die Gesinnung von Seelenführern besaßen. Deshalb versetzten jene Worte sie in Angst und Besorgnis um die ganze Welt, so dass sie des Trostes gar sehr bedurften. Der Herr blickt sie denn auch an und spricht: "Bei den Menschen ist das unmöglich, bei Gott aber ist alles möglich." Mit einem Blicke voll Milde und Sanftmut richtet er ihr bebendes Herz auf uns zerstreut ihre Besorgnis; das deutet der Evangelist an durch die Worte: "Er blickte sie an"; dann ermutigte er sie auch durch mündliches Zureden und belebt ihre Zuversicht durch den Hinweis auf Gottes Macht. Willst du auch erfahren , wie das Unmögliche möglich wird, so höre. Er sagt: "Was bei den Menschen unmöglich ist, ist möglich bei Gott", damit du nicht etwa entmutigt von der Tugend als etwas Unmöglichem abstehst, sondern damit du die Größe der Sache erkennst, frohen Herzens daran gehest, und Gott um Beistand zu einem so herrlichen Kampfe anzurufen; dann wirst du auch das ewige Leben erlangen.



3.

Wie kann dies nun aber möglich werden? Dadurch, dass du deinem Besitz entsagst, dein Geld verteilst, die böse Begierde ausrottest. Hierbei wollte aber der Herr nicht alles Gott allein zuschreiben, sondern auch der Erhabenheit einer solchen Tugendübung. Das entnehmen wir aus dem Folgenden. Petrus hatte zuerst entgegnet: 

   V.27: "Siehe, wir haben alles verlassen und sind Dir gefolgt"; dann fragt er: "Was wird uns demnach werden? 

   Darauf zeigt ihnen Christus den Lohn und fügt dann noch hinzu: 

   V.29: "Und jeder, der verlassen hat Haus oder Felder oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder Mutter, wird Hundertfaches empfangen und ewiges Leben ererben." 

   So wird das Unmögliche möglich. Aber da fragst du: wie soll es möglich sein, das alles zu verlassen? Wie kann einer, der einmal für die Lust am Besitze ganz versunken ist, sich wieder herausarbeiten? Wenn er beginnt, seine Güter zu verteilen und das Überflüssige zu beseitigen. Auf diese Weise wird er immer weitere Fortschritte machen und zuletzt ganz leicht vorwärtskommen. 

   Nimm also nicht alles auf einmal in Angriff, sondern steige auf dieser Leiter, die dich zum Himmel führt, langsam Schritt für Schritt empor, falls es dich schwer ankommt, alles mit einem Male zu tun. Wie nämlich Fieberkranke und Gallsüchtige durch Essen und Trinken den Durst nur noch mehr entfachen, anstatt ihn zu stillen, so geht es auch bei den Habgierigen; wenn sie dieser verderblichen Leidenschaft, die noch weit heftiger ist als das Gallfieber, mit Geld fröhnen, so fachen sie die Glut nur mehr an. Dagegen dämpft diese Leidenschaft nichts so sehr, als wenn man dem Verlangen nach Gewinn hinfort entsagt, wie ja auch die Gallsucht durch Mäßigkeit im Essen und durch Entleerung gehindert wird. Wie aber kann man das fertig bringen, fragst du? Indem du beherzigst, dass du durch Erwerb von Reichtum nie den Durst darnach stillen kannst, sondern im Gegenteil von der Sucht nach mehr immer heftiger ergriffen wirst, hingegen die Krankheit zum Weichen bringen kannst, wenn du deinem Besitztum entsagst. Strebe also nicht nach immer mehr, sonst jagst du Unerreichbarem nach, verfällst einer unheilbaren Krankheit und wirst ob einer solchen Manie wahrhaft erbarmungswürdig. Sage mir doch, wer ist eigentlich gequält und gepeinigt, derjenige, der nach köstlichen Speisen und Getränken verlangt, ohne sie genießen zu können, wie er will, oder der, der kein solches Gelüsten hat? Offenbar, wer die Begierde darnach hat, ohne sie befriedigen zu können. Denn darin liegt ja gerade die Pein, dass man voll Verlangen ist und es nicht stillen kann, dass man Durst hat, ohne trinken zu können. Als darum Christus die Hölle beschreiben wollte, hat er sie mit diesen Farben geschildert: Er führt den Reichen vor Augen, wie er im Feuer liegt, und wie gerade das seine Strafe war, dass er nach einem Tropfen Wasser lechzt, ihn aber nicht erhält. 

   Also nur derjenige, welcher den Reichtum verachtet, gebietet seiner Begierde Halt, wer hingegen reich werden und immer mehr gewinnen will, entflammt sie nur noch heftiger und kann sie doch niemals stillen. Und hat er zehntausend Talente erworben, so wünscht er noch einmal so viel; und hat er diese im Besitze, will er noch zweimal so viel haben; und so geht es weiter; er wünscht, dass Berge, Erde, Meer, kurz alles, für ihn zu Gold werde, so groß ist die neue entsetzliche Raserei, die ihn erfaßt hat und nie gebändigt werden kann. Damit du dich überzeugest, dass dieses Übel nicht durch Hinzufügen, sondern nur durch Entziehen einzudämmen ist, so erwäge: Wenn dich die törichte Lust, zu fliegen und durch die Luft dahinzuschweben überkäme, wie würdest du ein so einfältiges Verlangen bändigen? Würdest du dir etwa Flügel machen oder andere Flugwerkzeuge anschaffen? Oder nicht vielmehr durch Vernunftgründe dich bestimmen lassen, dass ein solches Verlangen Unmögliches in sich schließt, dass man etwas Derartiges nicht unternehmen kann? Gewiß das Letztere. Ja, sagst du, hier handelt es sich um etwas Unmögliches. Aber ich sage dir, noch unmöglicher ist es für die Habgier, ein Ziel zu finden. Leichter noch wird ein Mensch das Fliegen zustande bringen, als seine Habgier durch Vergrößerung des Besitzes befriedigen. Wenn einer nämlich Dinge anstrebt, die im Bereiche der Möglichkeit liegen, so kann er sich in der Aussicht auf den Genuß freuen; wer hingegen Unmögliches verlangt, dem bleibt nichts anderes übrig, als diese Sehnsucht zu ersticken, weil auf eine andere Weise die Seele nicht zur Ruhe zu kommen vermag. Um also nicht zwecklos in Schmerzen zu leben, müssen wir die Liebe zum Besitz, die fortwährend peinigt und nie zum Schweigen zu bringen ist, aufgeben und uns dafür einer anderen Liebe zuwenden, die uns selig macht und sehr leicht befriedigt werden kann, nämlich wir müssen unser Verlangen auf die Schätze dort oben richten. Das ist mit keinen großen Sorgen verbunden, der Gewinn ist unbeschreiblich und nicht zu verfehlen, wenn man nur wachsam und nüchtern ist und das Irdische gering achtet. Wer sich dagegen von dem Irdischen knechten und ein für allemal fesseln läßt, der wird mit absoluter Notwendigkeit der himmlischen Güter verlustig gehen.



4.

All das mußt du nun allerdings auch beherzigen, um die böse Begierde nach Besitz auszutilgen. Du kannst auch nicht einwenden, dass sie doch wenigstens irdische Güter gewährt, wenn sie schon der ewigen beraubt. Denn wäre dem auch wirklich so, so käme selbst das der größten Strafe und Marter gleich. Nun ist das aber gar nicht einmal der Fall; die Habsucht treibt einen nicht bloß in die Hölle, sondern, noch ehe man in die Hölle kommt, stürzt sie hienieden schon in entsetzliches Elend. Gerade diese Leidenschaft ist es ja, die schon viele Häuser zerstört, schreckliche Kriege entfacht und manche in einen gewaltsamen Tod getrieben hat. Und was noch mehr als all dieses Unheil ist, sie besudelt den Adel der Seele. Wie oft hat sie ihre Sklaven feige, unmännlich, oder frech, lügnerisch und ränkevoll, oder raubsüchtig, geizig und zu allen möglichen Schlechtigkeiten fähig gemacht! Aber vielleicht läßt du dich durch den Glanz des Goldes, die große Zahl der Dienerschaft, die Schönheit der Gebäude, die Huldigungen der Öffentlichkeit berücken? Was für eine Arznei mag es wohl für diese gefährliche Wunde geben? Man muß bedenken, in welchen Zustand die Seele durch alle diese Äußerlichkeiten gerät; wie düster, öde. häßlich und mißgestaltet sie dadurch wird. Man muß ferner erwägen, wieviel Böses getan wird, um all das zu erwerben; wieviel Mühen und Gefahren die Erhaltung mit sich bringt; ja wie es nicht einmal bis zum Ende bewahrt werden kann. Mag man auch allen Angriffen darauf glücklich entronnen sein, zuletzt kommt doch der Tod und wirft alles deinen Feinden in den Schoß, indes er dich mit leeren Händen davonführt, ohne dass du etwas anderes mitnimmst als nur die Wunden und Eiterbeulen, welche die Seele durch all jene Dinge davongetragen hat. Wenn du daher jemanden bemerkst, der äußerlich mit Kleidern und zahlreicher Begleitung prunkt, so wirf nur einen Blick in sein Gewissen und du wirst darin viel Spinngewebe und Staub entdecken. Siehe dagegen auf einen Paulus, einen Petrus, schau hin auf Johannes, auf Elias, oder vielmehr auf ihn selbst, den Sohn Gottes, der nicht so viel besaß, wohin er sein Haupt legen konnte. Ihn ahme nach und seine Diener, ihren unbeschreiblichen Reichtum lasse auf deine Seele wirken. Und wenn du nach einem solchen Blicke wiederum von irdischen Schätzen geblendet wirst und es dir geht, wie wenn bei einem Schiffbruch eine Woge heranrollt, dann lasse in deinem Ohr die Worte Christi wiederklingen: Es ist unmöglich, dass ein Reicher in das Himmelreich eingehe. Stelle diesem Ausspruch dann die Berge, die Erde, das Meer gegenüber und mache es meinetwegen zu lauter Gold, und du wirst einsehen, dass es nichts gibt, was mit der Strafe in Vergleich kommen kann, die dich im Jenseits erwartet. 

   Du magst dir immerhin so und soviel Joch Land, zehn, zwanzig oder noch mehr Häuser, und ebensoviele Bäder, tausend oder zweitausend Sklaven, silber und goldbeschlagene Wagen vorstellen, ich sage nur soviel: Wenn jeder von euch Reichen diesen Bettel fahren ließe[584] und dafür die ganze Welt gewänne, wenn jeder soviel Untertanen hätte, als es jetzt zu Wasser und zu Lande Menschen gibt, wenn jeder die Erde, das Land und das Meer und überall Gebäude und Städte und Völker besäße, wenn ihm von allen Seiten aus den Brunnen Gold statt Wasser flöße, ich würde für diesen ganzen Reichtum nicht drei Heller geben, wenn sein Besitzer dafür das Himmelreich einbüßte. Schon hier auf Erden sind sie ganz unglücklich, wenn sie diesen vergänglichen Reichtum, nach dem sie haschen, nicht erlangen; wie groß würde erst die Verzweiflung sein, wenn sie eine Ahnung bekämen von den unbeschreiblichen Schätzen des Jenseits! Nichts wäre imstande, sie zu trösten. 

   Es komme mir also niemand mit dem Geschwätz vom Überfluß an Reichtum, vielmehr denke er an die große Strafe, welcher die Habsüchtigen verfallen, wenn sie seinetwegen den Himmel einbüßen. Es geht ihnen ebenso wie einem, der am königlichen Hofe die höchsten Ehren stellen verliert. dafür einen Düngerhaufen besitzt und sich darauf noch viel einbildet. Ein Haufen Mist unterscheidet sich in nichts von einem Haufen Geld, ja ersterer ist eher noch besser als letzterer, denn er gewährt einen besonderen Nutzen in der Landwirtschaft, zum Heizen von Bädern und dergleichen; vergrabenes Geld kann man zu keinem solchen Zwecke gebrauchen. Und wäre es nur bloß unnütz! Nun aber zündet es dem Besitzer mächtige Brände an, wenn er es nicht in der gehörigen Weise verwendet. Tausendfach ist das Unheil, das daraus erwächst. Darum nennen auch die weltlichen Schriftsteller die Habsucht eine Hochburg alles Bösen, der hl. Paulus aber noch viel besser und treffender: die "Wurzel aller Übel" (1Tm 6,10). Alle diese Wahrheiten wollen wir beherzigen, damit wir nach dem zu streben lernen, was des Strebens wert ist; ich meine nicht prächtige Gebäude oder wertvolle Ländereien; ich meine vielmehr, wir müssen die Männer nachahmen, welche bei Gott in großem Ansehen stehen, welche für den Himmel Schätze sammeln, welche Besitzer der Reichtümer im Jenseits, welche in Wahrheit reich sind, weil sie um Christi willen arm geworden. Dann werden wir auch die ewigen Güter erlangen durch die Gnade und Güte unseres Herrn Jesu Christi, dem im Verein mit dem Vater und dem Hl. Geiste Ruhm sei und Macht und Ehre jetzt und allezeit und in alle Ewigkeit Amen!






Kommentar zum Evangelium Mt 62