Kommentar zum Evangelium Mt 68

Achtundsechzigste Homilie. Kap. XXI, V.33-46.

68 Mt 21,33-46
1.

V.33: "Höret ein anderes Gleichnis: Es war einmal ein Hausvater, welcher einen Weinberg pflanzte, ihn mit einem Zaune umgab, eine Kelter in ihm grub und einen Turm erbaute; und er vermiete ihn an Landleute und reiste weit fort. 

   V.34: Als aber die Zeit der Früchte nahte, schickte er seine Knechte, damit die die Früchte in Empfang nähmen. 

   V.35: Und die Landleute ergriffen seine Knechte; den einen peitschten sie, den anderen töteten, einen dritten aber steinigten sie. 

   V.36: Wiederum schickte er andere Knechte, in größerer Anzahl als die ersten, und jene taten ihnen desgleichen. 

   V.37: Zuletzt aber schickte er zu ihnen seinen eigenen Sohn, indem er sagte: Sie werden vielleicht doch Scheu tragen vor meinem Sohne. 

   V.38: Da aber die Landleute den Sohn sahen, sprachen sie unter sich: Das ist der Erbe; wohlan, töten wir ihn und wir werden sein Erbteil haben. 

   V.39: Und sie ergriffen ihn und warfen ihn hinaus aus dem Weinberge und töteten ihn. 

   V.40: Wenn nun der Herr des Weinberges kommen wird, was wird er jenen Arbeitern tun? V.41: Und sie sagten zu ihm: Als Böse wird er sie böse verderben; und seinen Weinberg wird er anderen Landleuten übergeben, die ihm zur rechten Zeit die Früchte abliefern werden. 

   V.42: Da sagte ihnen Jesus: Habt ihr niemals gelesen in den Schriften: Der Stein, welchen die Bauleute verworfen haben, dieser ist zum Eckstein geworden?" (Ps 117,22). 

   Auf viele Dinge spielt der Herr in diesem Gleichnisse an: auf die Fürsorge, die Gott den Juden stets hatte angedeihen lassen, auf ihren von jeher mordlustigen Sinn, darauf, dass er auf jede erdenkliche Art für sie gesorgt hatte, dass er sich nicht von ihnen abwandte, trotzdem sie die Propheten ermordet hatten, ihnen vielmehr sogar seinen Sohn sandte; dass im Neuen Testamente derselbe Gott wie im Alten walte, dass sein Tod große Folgen haben, dass sie für die Kreuzigung und ihre anderen Untaten fürchterlich würden gestraft, dass die Heiden berufen, die Juden würden verworfen werden. Durch den Anschluß dieses Gleichnisses an das vorhergehende will er auf die Größe und völlige Unverzeihlichkeit ihres Verbrechens hinweisen. Wie folgt das daraus? Weil sie trotz der so besonderen Fürsorge, die ihnen zugewendet worden war, selbst hinter Buhlerinnen und Zöllnern, und zwar gleich um so vieles, zurückgeblieben waren. Betrachte auf der einen Seite die große Fürsorglichkeit Gottes, auf der anderen die unbeschreibliche Gleichgültigkeit der Juden. Was Sache der Arbeiter war, hat er selbst getan: er zog einen Zaun um den Weinberg, bepflanzte ihn und tat, was noch dazu gehört; nur wenig ließ er für sie zu tun übrig, sie hatten nur für den Besitz zu sorgen und, was sie erhalten, zu bewahren. Nichts hatte er übersehen, alles war im beten Stande. Und trotzdem er sie mit so vielen Wohltaten geradezu überschüttet hatte, machten sie es sich nicht zunutze. Als er sie aus Ägypten herausgeführt hatte, gab er ihnen das Gesetz, gründete ihnen eine Stadt, baute einen Tempel und errichtete eine Opferstätte. "Und er zog weit fort", d.h. er zeigte sich langmütig, ließ nicht jedesmal auf ihre Vergehungen unmittelbar die Strafe folgen; unter dem weiten Fortgehen ist nämlich seine große Langmut zu verstehen. "Und er sandte seine Knechte", das sind die Propheten, "um den Ertrag in Empfang zu nehmen", d.h. ihren Gehorsam, den sie in ihren Werken erweisen sollten. Sie aber handelten böse, nicht bloß darin, dass sie nachlässig waren und keinen Ertrag ablieferten, trotzdem er so großartig für sie gesorgt hatte, sondern auch dadurch, dass sie sich an seinen Boten vergriffen. Denn wenn sie schon ihrer Pflicht, Früchte abzuliefern, nicht nachkommen konnten, so durften sie doch wenigstens nicht unwillig und aufgebracht werden, sondern hätten bitten sollen. Allein, sie wurden nicht bloß zornig, sondern befleckten obendrein noch ihre Hände mit Bluttaten; sie, die selbst Strafe verdient hatten, maßten sich ein Strafrecht an. Damit nun sowohl ihre Schlechtigkeit, als auch seine Güte klar zutage träte, sandte Gott noch einmal und dann ein drittes Mal Boten. 

   Warum schickte er nicht sogleich seinen Sohn? Sie sollten durch ihr Verhalten gegen die ersten Boten zur Einsicht kommen, ihren Groll ablegen und den Sohn bei seiner Ankunft mit Ehrfurcht aufnehmen. Es gibt auch noch andere Gründe dafür; für jetzt wollen wir jedoch zum Folgenden übergehen. Was bedeuten die Worte:"Sie werden vielleicht Scheu tragen vor ihm?" Ferne sei es zu meinen, er habe nicht gewußt, was kommen würde: er wollte damit nur dartun, wie groß und völlig unentschuldbar ihr Frevel war. Er schickte ihn, wohl wissend, dass sie ihn töten würden. Durch die Worte: "Sie werden Scheu haben", weist er nur auf das hin, was sich gehört hätte, nämlich, dass sie vor ihm hätten Ehrfurcht haben sollen. Und wenn er anderswo sagt:"Vielleicht dass sie hören" (Ez 2,5), so heißt auch das nicht, er habe nicht gewußt, was eintreten werde, sondern die Ausdrucksweise "vielleicht", "sie werden" ist gewählt, um nicht den Gedanken aufkommen zu lassen, als sei in der Voraussagung eine Nötigung zum Ungehorsam gelegen. So behaupteten nämlich einige in ihrer Albernheit. Wenn sie aber auch gegen die Knechte ungehörig vorgingen, so hätten sie doch vor der Würde des Sohnes Achtung hegen sollen. Was tun sie aber? Anstatt zu ihm zu eilen und für ihre Untaten um Verzeihung zu flehen, nehmen sie neuerdings den Kampf auf, häufen neue Schandtaten auf sich, und suchen ihre früheren Schändlichkeiten durch neue zu verbergen. Auf diesen Umstand weist der Herr hin in den Worten: "Ihr machet das Maß eurer Väter voll" (Mt 23,32). Früher hatten ihnen schon die Propheten diesen Vorwurf gemacht: "Eure Hände sind blutbefleckt" (Is 1,15). "Eine Blutschuld häuft sich auf die andere" (Os 4,2), "Ihr bauet Sion mit Blutschuld" (Mi 3,10). Aber auch durch sie ließen sie sich nicht zur Umkehr bringen. Sie gaben diese böse Gewohnheit nicht auf, obgleich sie das so wichtige Gebot erhalten hatten:"Du sollst nicht töten", und trotzdem ihnen eben darum vieles andere verboten war; sie sollten eben durch eine ganze Reihe von Vorschriften zur Beobachtung dieses Gebotes angeleitet werden. Was sagten sie, als sie den Sohn erblickten? "Kommet, lasset uns ihn töten."Ja, warum? weshalb? Könnt ihr ihm auch nur den geringsten Vorwurf machen? Etwa, dass er, der Gott war, euch die Ehre erwiesen hat, für euch Mensch zu werden und so zahllose Wunder zu wirken? Oder dass er euch eure Sünden vergeben? oder dass er euch in das Himmelreich berufen? Siehe also, wie groß ihre Torheit ist, ganz abgesehen von ihrer Gottlosigkeit, und wie auch der Beweggrund zu ihrer Mordtat an Wahnsinn grenzt. "Lasset uns ihn umbringen",sagen sie, "und sein Erbe wird unser sein" (Lc 20,14). Und wo planen sie ihn umzubringen? Außerhalb des Weinberges.



2.

Siehst du, wie Christus sogar weissagt, an welchem Orte er hingerichtet werden sollte? "Und sie warfen ihn hinaus aus dem Weinberge und töteten ihn" (Lc 20,15). Lukas erzählt, dass Christus selbst es ausgesprochen, welche Strafe die Winzer traf, und dass die Juden daraufhin gesagt: "Das sei ferne", und dass der Herr auch das Schriftzeugnis angeführt: "Er aber blickte sie an und sprach: Was ist sodann dieses, was geschrieben steht: Der Stein, welchen die Bauleute verworfen haben, dieser ist zum Eckstein geworden; jeder, der auf diesen Stein fällt, wird zerschmettert werden, auf wen er aber gefallen sein wird, den wird er zermalmen" (Lc 20,16-18). Matthäus berichtet, dass die Juden selbst das Urteil fällten. Darin liegt jedoch kein Widerspruch. Beides trifft nämlich zu: Sie sprachen sich selbst ihr Urteil, und als sie ihrer Worte inne wurden, fügten sie hinzu: "Das sei ferne." Der Herr hält ihnen daher die Propheten entgegen, um sie zu überzeugen, dass alles sicher in Erfüllung gehen werde. Die Berufung der Heiden spricht er dagegen nicht so offen aus, um den Juden keinerlei Handhabe zu bieten; er spielt bloß darauf an in den Worten: "Er wird seinen Weinberg an andere vermieten." Das also war seine Absicht, als er durch ein Gleichnis zu ihnen sprach, sie wollten selbst ihr Urteil aussprechen. Ähnlich hat es auch David einst gemacht, als er auf Grund des Gleichnisses Nathans das Urteil fällte. Beherzige daher, wie gerecht ihre Verdammnis war, da sie, die die Strafe verdient hatten, sich selber das Urteil sprachen. Ferner sollten sie einsehen, dass nicht bloß die Gerechtigkeit ein solches Urteil erheische, sondern auch, dass es der Hl. Geist schon längst geweissagt, somit Gott das Urteil schon gefällt hatte. Deshalb führte er die Prophetenstellen an und sprach mit eindringlichem Vorwurfe: "Habt ihr niemals gelesen: Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, dieser ist zum Eckstein geworden? Vom Herrn ist dieses geschehen, und es ist wunderbar in unseren Augen" (Ps 117,22). Durch alles das zeigt er ihnen, dass sie selbst infolge ihres Unglaubens verworfen und dafür die Heiden berufen werden sollten. 

   Dasselbe hatte er in dem Vorfalle mit dem chananäischen Weibe, mit dem Esel[596] und sonst noch angedeutet, und jetzt tut er es wieder. Darum setzte er auch hinzu: "Vom Herrn ist dieses geschehen und es ist wunderbar in unseren Augen", um darauf hinzuweisen, dass trotz des vorherigen großen Unterschiedes die gläubig gewordenen Heiden und alle Juden, die ebenfalls gläubig werden würden, eine einzige Gemeinde ausmachen würden. Außerdem sollten sie zur Erkenntnis kommen, dass das großartige und ungemein auffallende Ereignis denn es war ja auch ein mächtiges Wunder Gott nicht mißfällig, sondern vielmehr sehr angenehm sei. Daher sagte er: "Vom Herrn ist dieses geschehen." Sich selbst bezeichnet er als "Stein", die Lehrer der Juden als "Bauleute". So hatte sich schon Ezechiel ausgedrückt: "Sie bauen eine Mauer, ohne sie mit Lehm zu verbinden" (Ez 13,10). Und inwiefern haben sie ihn verworfen? Da sie sprachen:"Dieser ist nicht aus Gott" (Jn 9,16). "Er verführt das Volk" (Jn 7,12). "Du bist ein Samaritan und hast einen Teufel" (Jn 8,48). Die folgenden Worte: 

   V.44:"Jeder, der auf diesen Stein fällt, wird zerschmettert werden, und auf wen er fällt, den wird er zermalmen", 

   sollten sie lehren, dass in der Verwerfung nicht ihre einzige Strafe bestehe. Zweifach ist das Unheil, das er erwähnt: erstens, dass sie an ihm Anstoß nehmen und sich über ihn ärgern würden, das besagen die Worte: "Wer auf diesen Stein fällt"; zweitens ihre Unterjochung, ihr Elend und ihr völliger Untergang; denn das alles drückt der Satz aus: "Den wird er zermalmen." Überdies liegt in seinen Worten auch ein Hinweis auf seine Auferstehung. 

   Bei Isaias klagt der Herr über den Weinberg; an unserer Stelle beschuldigt Christus die Ältesten des Volkes. Dort steht: "Was ist's, das ich meinem Weinberge noch hätte tun sollen und habe es nicht getan?" (Is 5,4), und anderswo: "Was haben eure Väter an mir Unrecht gefunden?" (Jr 2,5), und: "Mein Volk, was hab ich dir getan, oder womit habe ich dich betrübt?" (Mi 6,3). Damit wies er auf ihre Undankbarkeit hin und wie sie alle seine Wohltaten nur mit Undank lohnten. In unserem Gleichnisse drückt er sich noch schärfer aus. Er sagt nicht in eigener Person: Was sollte ich noch tun, das ich nicht getan hätte, sondern führt sie dazu, dass sie selbst das Urteil aussprechen, er habe nichts unterlassen, und dass sie so sich selbst verdammen. Denn durch ihre Antwort: "Er wird die Elenden elend verderben und seinen Weinberg anderen Winzern vermieten" sprechen sie sich selbst mit großem Nachdruck ihr eigenes Urteil. Auch Stephanus machte ihnen dieses zum Vorwurf und das erbitterte sie ja auch so tief, dass ihnen von jeher so viel Sorge zuteil geworden und dass sie dem Wohltäter mit Undank vergolten hatten. Zugleich liegt hierin ein deutlicher Beweis, dass nicht der Strafende, sondern die Bestraften selbst schuld waren an der über sie verhängten Züchtigung. Dasselbe ergibt sich aus unserem Gleichnisse, sowie aus den Weissagungen. Ließ er es doch nicht bei dem Gleichnisse allein bewenden, sondern berief sich auch auf zwei Prophezeiungen; die eine stammte von David, die andere von ihm selbst. Was hätten nun die Zuhörer tun sollen? Hätten sie nicht ihn anbeten, nicht seine Fürsorge von früher und von jetzt bewundern sollen? Und wenn alles das sie nicht zu bessern vermochte, hätten sie nicht wenigstens aus Furcht vor der Strafe in sich gehen sollen? Aber das war nicht der Fall, sondern 

   V.45: "Sowie die Hohenpriester und die Pharisäer seine Gleichnisse gehört hatten, erkannten sie, dass er von ihnen rede. 

   V.46: Und obgleich sie suchten, ihn festzunehmen, fürchteten sie die Volksscharen, da diese ihn als Propheten betrachteten." 

   Endlich merkten sie, dass der göttliche Heiland auf sie anspielte. Einmal, da sie ihn ergreifen wollten, ging er ungesehen mitten durch sie hindurch; ein andermal trat er offen vor sie hin und hielt ihre Leidenschaftlichkeit in Schranken. Das erregte auch Erstaunen, denn man sprach: "Ist das nicht Jesus? Siehe, er redet freimütig und sie sagen ihm nichts" (Jn 7,25-26). In unserem Falle ist es ihm genug, dass sie durch die Furcht vor der Menge zurückgehalten werden; er wirkt kein Wunder wie früher, wo er unsichtbar durch sie hindurchging. Er wollte eben nicht immer übermenschlich handeln, damit man an seine Menschwerdung glaube. Die Juden aber wurden weder durch das Volk, noch durch seine Worte zur Einsicht gebracht; weder das Zeugnis der Propheten, noch ihr eigenes Urteil, noch die Meinung der Leute machte Eindruck auf sie. So sehr waren sie durch ihre Herrschgier, ihren Ehrgeiz und ihre Anhänglichkeit an das Zeitliche verblendet.



3.

Nichts stößt und treibt den Menschen so mächtig in den Abgrund, nichts bringt ihn so leicht um die ewigen Güter, als wenn er sich an die zeitlichen hängt, wie anderseits auch nichts mehr geeignet ist, ihn in den Genuss beider Güter zu setzen, als wenn er die ewigen allen anderen vorzieht. Sagt ja Christus: "Suchet zuerst das Reich Gottes, und seine Gerechtigkeit und dieses alles wird euch dazugegeben werden" (Mt 6,33). Und würde auch all dies nicht dazugegeben, so dürfte man doch nicht darnach streben. Nun aber gewinnt man sie obendrein, wenn man die ewigen Güter erlangt, und trotzdem lassen sich manche nicht überzeugen, sondern sind hart wie Stein und jagen schattenhaften Freuden nach. Gibt es denn so viel Angenehmes im irdischen Leben? so viel Erfreuliches? Ich will heute mit besonderem Freimute reden; lasset es euch gefallen, damit ihr einsehet, dass ein scheinbar so beschwerliches und drückendes Leben, wie es die Mönche und die Büßer führen, bei weitem lieblicher und begehrenswerter ist als vermeintlich so angenehme und bequeme. Zeugen für meine Behauptung seid ihr selbst, da ihr euch oft bei Widerwärtigkeiten und Trübsalen den Tod wünscht und jene Leute glücklich preist, die im Gebirge, in Höhlen wohnen und ein eheloses Leben fern vom weltlichen Getriebe führen, während ihr Handwerker oder Soldaten seid oder ohne Arbeit müßig im Theater oder bei Tanzunterhaltungen euer Leben hinbringt. Mag ein solches Leben scheinbar auch ein Strudel von allen möglichen Vergnügungen und Freuden sein, es bringt doch in sich ungezählte Bitterkeiten. Wer sich z.B. in eine Tänzerin verliebt, hat weit ärgere Folterqualen auszustehen, als wer tausendmal ins Feld ziehen oder die Heimat verlassen muß, und ist elender daran als eine belagerte Stadt. 

   Doch wir wollen nicht näher darauf eingehen, das überlassen wir der Erfahrung der hiervon Betroffenen. Wir wollen lieber vom Leben der großen Menge reden. Da finden wir zwischen ihrem und dem Leben der Mönche einen so großen Unterschied, wie zwischen einem Hafen und einer sturmgepeitschten See. Schon ihre Behausungen sind ein Beweis ihres Glückes. Fern von dem Lärm der Märkte und Städte haben sie ihren Aufenthalt in den Bergen gewählt, wo sie vom weltlichen Treiben unberührt und von den Widerwärtigkeiten der Menschen verschont bleiben; da gibt es keinen irdischen Kummer, kein Weh, keine Sorgen, keine Gefahren, keine Nachstellungen, keinen Neid, keine Eifersucht, keine unerlaubten Liebschaften oder dergleichen. Ihre Sorge gilt nur mehr dem Himmelreich, sie verkehren nur mit den Tälern, den Bergeshöhen, den Quellen, der Ruhe und dem Frieden und vor allem mit Gott. In ihrer Zelle gibt es keinen Lärm, ihre Seele, frei von Leidenschaften und Makeln, ist leicht und empfänglich und reiner als die klarste Luft. Ihre Arbeit ist dieselbe wie die Adams, als er im Anfange, noch vor dem Falle, in Herrlichkeit gekleidet mit Gott innig verkehrte in jenem überglückseligen Lande, das er bewohnte. Oder wo sollten unsere Mönche schlimmer dran sein als Adam vor der Sünde, da er mit der Bebauung des Paradieses betraut war? Er kannte keine weltlichen Sorgen. Sie kennen sie ebenfalls nicht. Er verkehrte reinen Gewissens mit Gott. Sie desgleichen; ja, sie gehen noch weit vertraulicher mit Gott um, weil sie vom Hl. Geiste mit größeren Gnaden ausgestattet werden. Ihr solltet es mit eigenen Augen beobachten. Das wollt ihr aber nicht; ihr weilet lieber im Strudel des Marktgetümmels. So will ich euch denn wenigstens eine Schilderung davon entwerfen. Da wir aber unmöglich ihr ganzes Leben beschreiben können, wollen wir wenigstens einen Teil ihrer Lebensweise herausgreifen. 

   Diese Leuchten der Welt erheben sich mit Sonnenaufgang, ja schon lange vor dem ersten Sonnenstrahle gesund, ausgeruht und munter von ihrem Lager; denn es drückt sie weder Leid noch Sorge, weder Kopfschmerz noch Kummer noch der Wust der Geschäfte oder sonst etwas Dergleichen; ihr Leben gleicht eher dem der Engel im Himmel. Kaum haben sie heiter und fröhlich ihr Lager verlassen, so bilden sie einen Chor und stimmen mit reinem Gewissen alle zusammen wie aus einem Munde zu Ehren Gottes, des Schöpfers aller Dinge, Hymnen an, zum Preis und Dank für seine Wohltaten, die sie und ihre Mitmenschen von ihm empfangen. Sehen wir also ganz ab von Adam und fragen wir, wenn es beliebt, welcher Unterschied bestehe zwischen den Engeln und dem Chor dieser Männer, die auf Erden Gott lobpreisen und singen: "Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden, die guten Willens sind" (Lc 2,24). Ihre Kleidung steht im Einklang mit ihrer Manneswürde, sie tragen keine Gewänder wie die Entnervten und Verweichlichten, die lange Kleider nachschleppen, sondern wie jene Engel im Fleische, wie Elias, Elisäus, Johannes und die Apostel. Diese Kleider sind teils aus Ziegen, teils aus Kamelhaaren, ja einige begnügen sich mit bloßen Fellen, die schon längst schäbig geworden sind. Wenn sie dann ihre Hymnen gesungen haben, so werfen sie sich auf die Knie und tragen dem Herrn, den sie gepriesen, Bitten vor, wie sie manch anderen gar nicht einmal in den Sinn kommen. Nicht um Dinge dieser Erde bitten sie, davon kommt kein Wort über ihre Lippen, sondern sie flehen, dass sie einst vertrauensvoll vor dem furchtbaren Gerichte erscheinen dürfen, wenn der eingeborene Sohn Gottes kommen wird zu richten die Lebendigen und Toten; dass zu keinem die entsetzlichen Worte gesprochen werden:"Ich kenne euch nicht" (Mt 25,12); dass sie reinen Gewissens und reich an guten Werken dieses mühereiche Leben vollenden und bei günstigem Winde dieses gefährliche Meer durchfahren können. Das Gebet wird von ihrem Obern, der ihr Vater ist, geleitet. Nach Beendigung ihrer heiligen und andauernden Gebete erheben sie sich beim Aufgang der Sonne, um an ihre Arbeit zu gehen und durch sie reiche Mittel zur Unterstützung der Notleidenden zu erwerben.



4.

Wo sind nun jene Leute, die sich zu Chören des Teufels und zu schamlosen Gesängen zusammenfinden und die in den Theatern herumliegen? Ich schäme mich, sie zu erwähnen, aber wegen eurer Schwachheit muß ich es tun. Denn Paulus schreibt: "Wie ihr eure Glieder in den Dienst der Unlauterkeit gestellt, so stellt jetzt eure Glieder in den Dienst der Gerechtigkeit zu eurer Heiligung" (Rm 6,19). Wir wollen also den Chor, der aus Buhldirnen und unzüchtigen Jünglingen besteht, mit dem Chore jener glückseligen Männer vergleichen, soweit die Freude in Betracht kommt, denn um sie handelt es sich, wenn so viele Jünglinge leichtsinnig in ihr Netz gehen. Wir werden da einen solchen Abstand finden, wie zwischen den lieblichen Melodien der Engel im Himmel droben und dem Bellen von Hunden und dem Grunzen von Schweinen, die im Miste wühlen. Durch den Mund der einen spricht Christus, durch den der anderen der Teufel. Hier hört man das widerliche Kreischen der Pfeifen und das Auge wird beleidigt durch den Anblick aufgeblasener Backen und gespannter Muskeln; dort spielt die Gnade des Hl. Geistes, die sich an Stelle von Flöte, Zither und Pfeife des Mundes der Heiligen bedient. 

   Allein, wir mögen sagen, was wir wollen, diese Wonnen können wir niemand begreiflich machen, weil die Leute an Erde und Staub haften. Könnte ich doch wenigstens einen von denen, die auf solche Dinge versessen sind, nehmen und hinführen und ihm den Chor dieser Heiligen zeigen, dann brauchte ich weiter kein Wort zu verlieren. Allein, wenn ich auch zu solchen Erdenmenschen reden muß, ich will doch den Versuch machen, sie wenigstens in etwa durch meine Worte über Lehm und Kot zu erheben. Im Theater fängt der Zuhörer alsbald das Feuer einer unerlaubten Liebe; als ob es nicht genügte, dass die Buhlerin durch ihre Gestalt das Herz entflammt, auch ihre Stimme lockt noch ins Verderben. Bei den Mönchen dagegen wird die Seele von all dem augenblicklich gereinigt, auch wenn sie vorher damit behaftet wäre. Bei der Schauspielerin übt nicht bloß die Stimme, nicht nur die Gestalt, sondern noch mehr die Kleidung auf die Zuschauer einen berückenden Reiz aus. Und wenn unter diesen sinnlichen und eitlen Menschen ein Armer ist, so findet er im Schauspiel allen möglichen Anlaß zur Unzufriedenheit. Er wird sich sagen: Diese Dirne, dieser Lotterbube lebt in solcher Üppigkeit, obwohl sie nur von Köchen und Schustern oder gar von Sklaven abstammen; ich hingegen bin frei und stamme von Freien ab, lebe von ehrlicher Arbeit und kann mir nicht einmal im Traume dergleichen vorstellen; so geht er denn fort, den Unmut in seiner Brust. Bei den Mönchen kann so etwas nie vorkommen; da findet man das gerade Gegenteil. Denn wenn man sieht, wie die Söhne reicher Leute und die Sprößlinge erlauchter Ahnen schlechtere Kleider anhaben als die allerärmsten Bettler und sich noch darüber freuen, so bedenket, welchen Trost da der Arme mit sich nimmt. Und wenn einer reich ist, geht er wenigstens weiser und gebessert von dannen. Wenn ferner der Arme im Theater sehen muß, wie die Buhlerin in Gold prunkt, während sein Weib nichts dergleichen tragen kann, dann seufzt und klagt er; die Reichen hingegen werden durch solche Schauspiele verführt, ihre Frauen zu verachten und geringzuschätzen, denn der Schauspielerin Haltung, Blick, Stimme und Gang, die alle auf Sinnenkitzel berechnet sind, entzündet sie, so dass sie wie Gefangene nach Hause heimkehren. So erklärt es sich, woher die Beschimpfungen, die Verunehrungen, die Feindschaften, Zwistigkeiten und Totschläge kommen, die an der Tagesordnung sind; daher kommt es, dass Leuten, die in solchen Schlingen gefangen liegen, das Leben eine Last, die Ehefrauen zuletzt zuwider, die Kinder gleichgiltig werden, in der Familie alles darüber und darunter geht und schließlich sogar das helle Tageslicht ihnen unerträglich ist. Besucht man aber die Mönche, so fühlt man keine solche Unlust: das Weib findet vielmehr ihren Mann[597] mild und sanft, jeder unerlaubten Freude abhold und kann mit ihm leichter verkehren als zuvor. So groß die Nachteile sind, die aus dem Theaterbesuche erwachsen, so günstig sind die Folgen hier. Dort werden aus Schafen Wölfe, hier aus Wölfen Lämmer. 

   Aber wir haben da noch gar nicht von den Freuden der Mönche gesprochen. Kann es also eine größere Wonne geben als ein Leben ohne Aufregung, ohne Seelenschmerz, ohne Kummer und Leid? Gehen wir daher weiter, um den Genuss zu prüfen, den Gesänge und Schauspiele der einen und der anderen gewähren. Da finden wir, dass auf der seinen Seite der Genuss bis zum Abend dauert, solange als der Zuschauer im Theater sitzt, dass er aber nachher ärger als ein Stachel peinigt. Auf der anderen Seite hält der Genuss in den Herzen derer, die es erlebt haben, ununterbrochen an, weil sich das Äußere der Männer, der Reiz der Örtlichkeit, die Freude an ihrem Wandel, die Reinheit ihres Lebens und die Anmut ihres lieblichen geistlichen Gesanges unauslöschlich der Seele einprägt. Wahrlich, wer immer in einem solchen Hafen weilt, meidet das Getriebe der Menge, als wäre es ein Unwetter. Aber nicht bloß durch Gesang und Gebet, sondern auch durch eifrige Beschäftigung mit der Hl. Schrift bieten sie den Zuschauern ein herzerhebendes Schauspiel. Wenn sie nämlich den Chor verlassen, nimmt der eine den Isaias vor und verkehrt mit ihm, ein anderer unterhält sich mit den Aposteln, ein dritter befaßt sich mit den Werken anderer Männer und denkt nach über Gott, über diese Welt, über die sichtbaren und unsichtbaren Wesen, über das Sinnliche und Geistige, über die Nichtigkeit dieses Lebens und über die Erhabenheit des Jenseits.



5.

Die Nahrung, die sie zu sich nehmen, ist ausgezeichnet. Sie essen nicht das gekochte Fleisch von Tieren, sondern genießen das Wort Gottes, das über Honig und Honigseim geht; ein wunderbarer Honig, weit besser als der, den Johannes in der Wüste verzehrte. Nicht von wilden Bienen, die auf die Blumen fliegen, wird dieser Honig gesammelt, nicht von Tau wird er bereitet und in die Waben gebaut, sondern die Gnade des Hl. Geistes bereitet und baut ihn in der Seele der Heiligen wie in Wachs, Waben und Zellen, so dass man ihn nach Belieben jederzeit ungehindert genießen kann. Wie die Bienen um die Stöcke schwärmen, so befassen sich die Mönche mit den hl. Büchern und ernten daraus große Freuden. Wenn du auch kennen lernen willst, wie es an ihrem Tische zugeht, so gehe hin und du wirst finden, dass sie sich von lauter erhabenen, angenehmen und süßen Speisen voll geistlichen Wohlgeruches nähren; ihr Mund vermag keim schädliches, kein zweideutiges, kein hartes Wort, sondern nur himmlische Reden hervorzubringen. Man würde nicht fehlgehen, wenn man den Mund der Menge, die sich auf dem Markte drängt und sich wie wahnsinnig in die weltlichen Geschäfte stürzt, mit Schmutzkanälen, den Mund dieser Männer aber mit Quellen vergliche, die Honig und reines Wasser ergießen. Wer es etwa übernehmen will, dass ich den Mund der großen Menge als Gosse bezeichne, der wisse, dass ich mich sehr schonend ausgedrückt habe. Die Hl. Schrift kennt diese Zurückhaltung nicht, sondern wendet einen viel schärferen Vergleich an. "Otterngift ist unter ihren Lippen, ein offenes Grab ist ihr Rachen" (Ps 13,3), sagt sie. Das trifft aber bei den Mönchen nicht zu, dort atmet alles nur Wohlgeruch. 

   Das alles betrifft nur das Diesseits. Wer aber fände Worte genug, um ihr Jenseits zu schildern? Welcher Verstand kann es fassen, das engelgleiche Los, die unbeschreibliche Seligkeit, die unausdenkbare Wonne? Vielleicht ist in manchem unter euch auch ein hl. Feuer und Verlangen nach einem solchen Leben erwacht. Was frommt es jedoch, wenn das Feuer nur solange anhält, als ihr hier seid, wenn aber die Flamme wieder erlischt und die Sehnsucht verraucht, kaum dass ihr euch entfernt habt? Was ist zu tun, um das zu verhüten? Du mußt diese engelgleiche Männer besuchen, solange die Liebe noch in dir glüht, um sich noch mehr zu entfachen. Unsere Worte sind nicht imstande, dich so zu begeistern, wie die Wirklichkeit durch den Augenschein. Sag nicht, ich werde erst mit meinem Weibe reden und vorher meine Geschäfte ordnen. Ein solcher Aufschub ist der Anfang der Lauheit. Höre! Es war auch einmal einer, der erst seine Familienangelegenheiten ordnen wollte, aber der Prophet ließ es nicht zu (1R 19,20). Was sage ich, Geschäfte ordnen? Seinen Vater begraben wollte ein Jünger und nicht einmal das gestattete der Herr (Lc 9,60). Was kann noch wichtiger erscheinen als dieser Liebesdienst gegen den Vater? Und doch wurde er nicht bewilligt. Warum wohl? Weil der Teufel gar gewaltige Anstrengungen macht, um sich einschmuggeln zu können: wenn er nur ein wenig Lässigkeit und Aufschub erreicht, so bringt er es bald dahin, dass die Trägheit vollständig wird. Darum warnt jemand: "Schiebe nicht auf von Tag zu Tag" (Si 5,8). Wenn du es nicht aufschiebst, kannst du das meiste gut machen, dann wird es auch um dein Hauswesen gut bestellt sein; heißt es ja: "Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit und alles andere wird euch dareingegeben werden" (Mt 6,33). Wenn schon wir diejenigen, welche die Sorge um unsere Angelegenheiten ihren eigenen vorziehen, in eine sorgenfreie Lage bringen, wieviel mehr wird Gott so handeln, der sonst schon huldvoll waltet? Kümmere dich darum nicht um deine Angelegenheiten, stelle sie Gott anheim. Wenn du dich sorgst, so tust du es, soweit es ein Mensch vermag, wenn Gott sorgt, so tut es eben Gott. Gib also über dieser Sorge nicht das Wichtigere auf, du bist ja doch nicht imstande, mit deiner Sorge viel auszurichten. Um recht angelegentlich zu sorgen, lege nur alles in Gottes Hände. Wenn du dich aber selbst abmühst mit Hintansetzung der geistlichen Dinge, so wird Gott sich wenig um dich kümmern. 

   Um also deine Angelegenheiten wohl zu leiten und dich aller Sorgen zu entledigen, lass das Weltliche fahren, gib dich dem Geistlichen hin. Auf diese Weise wirst du die Erde und zugleich den Himmel besitzen und die ewigen Güter erlangen durch die Gnade und Güte unseres Herrn Jesu Christi, dem die Ehre und die Macht gebührt in alle Ewigkeit. Amen!





Neunundsechzigste Homilie. Kap. XXII, V.1-14.

69 Mt 22,1-14
1.

V.1: "Und Jesus ergriff das Wort und sprach wiederum in Gleichnissen zu ihnen: 

   V.2: Das Himmelreich gleich einem Könige, welcher seinem Sohne die Hochzeit bereitete, 

   V.3: Und er schickte seine Knechte aus, um jene zu rufen, die zur Hochzeit geladen waren, und sie wollten nicht kommen. 

   V.4: Wiederum schickte er andere Knechte und sprach: Saget zu den Eingeladenen: Siehe, mein Frühmahl habe ich bereitet, meine Ochsen und die Masttiere sind geschlachtet und alles ist bereit, kommet zur Hochzeit. 

   V.5: Sie aber mißachteten es und gingen fort, der eine auf sein Landgut, der andere zu seinem Geschäft. 

   V.6: Die übrigen aber bemächtigten sich seiner Knechte, mißhandelten und töteten sie." 

   Hast du beobachtet, dass zwischen dem Sohne und ebenso zwischen den Knechten in dem vorliegenden Gleichnisse ein Unterschied obwaltet? Hast du bemerkt, dass beide Gleichnisse viel Gemeinschaftliches, aber auch viel Verschiedenes haben. Auch das gegenwärtige zeigt Gottes Langmut und Fürsorge, sowie die Undankbarkeit der Juden. Aber es enthält noch mehr als das vorausgehende. Der Herr weissagt nämlich die Verwerfung der Juden und die Berufung der Heiden; dann muntert er zu einem vollkommenen Leben auf und erklärt, welch strenge Strafe die Nachlässigen sich zuziehen. Unser Gleichnis schließt sich treffend an das vorhergehende an. Dort hatte er gesagt: "Das Reich wird einem Volke gegeben werden, welches die Früchte desselben zeitigt"; hier offenbart er, wer dieses Volk sein wird. Außerdem legt er neuerdings dar, wie überschwänglich seine Fürsorge für die Juden gewesen ist. Die vorausgehende Parabel zeigt ihn, wie er sie vor seiner Kreuzigung zu sich ruft, in der vorliegenden, wie er auch noch nach seinem Tode fortfährt, sie an sich zu ziehen. Die härteste Strafe hätten sie verdient, und doch ladet er sie noch zur Hochzeit ein und zeichnet sie besonders aus. Siehe, wie dort zuerst die Juden, nicht die Heiden berufen wurden; so auch hier. Aber wie er dort den Weinberg vergab, da sie ihn nicht aufnahmen, sondern ihn sogar bei seiner Ankunft ermordeten, so beruft er auch hier andere, da sie selbst nicht zur Hochzeit kommen mochten. Gibt es wohl eine abscheulichere Undankbarkeit, als dass sie sich weigern, zur Hochzeit zu kommen, zu der sie geladen sind? Wer würde es auch ablehnen, auf eine solche Hochzeit zu gehen, die Hochzeit eines Königs, eines Königs, der seinem Sohne die Hochzeit veranstaltet? 

   Warum, fragst du, gebraucht er den Ausdruck "Hochzeit"? Gott will damit seine Besorgtheit andeuten, sein Verlangen nach uns, den Glanz der Veranstaltungen, will zeigen, dass es dort keinen Kummer, keine Trübsal gibt, sondern nur lauter geistliche Wonnen. Deshalb nennt Johannes den Herrn einen Bräutigam (Jn 3,29); deshalb schreibt Paulus: "Ich habe euch einem Manne verlobt" (2Co 11,2), und an einer anderen Stelle: "Dieses ist ein großes Geheimnis, nämlich in Christus und in der Kirche" (Ep 5,32). Warum heißt es dann aber, dass die Braut seinem Sohne und nicht ihm selbst angetraut wird? Weil die Braut des Sohnes auch die Braut des Vaters ist. So wird in der Schrift unterschiedslos bald das eine, bald das andere ausgedrückt, denn in der Wesenheit sind sie einander völlig gleich. Daran schließt sich die Weissagung von seiner Auferstehung. Denn nachdem er zuvor von seinem Tode gesprochen, erklärt er jetzt, dass er auch nach seinem Tode Hochzeit hält und Bräutigam ist. Allein die Juden bessern sich trotzdem nicht, sie werden nicht nachgiebiger. Gibt es eine größere Schlechtigkeit? Das macht denn auch ihre dritte Schuld aus. Die erste bestand darin, dass sie die Propheten mordeten; die zweite, dass sie den Sohn umbrachten; die dritte, dass sie, obschon nach seinem Tode zur Hochzeit des Ermordeten von dem Gemordeten selbst geladen, nicht erscheinen, sondern vielmehr Ausflüchte suchen: Ochsen, Äcker und Weiber. Diese Vorwände scheinen wohl etwas für sich zu haben. Allein wir sollen doch dabei lernen, das Geistliche höher als alles andere zu schätzen, mögen es auch sonst notwendige Dinge sein, die uns daran hindern wollen. Auch geschieht die Einladung nicht jetzt erst, sondern ist schon längst erfolgt. "Saget den Geladenen", heißt es, dann wieder: "Rufet die Eingeladenen." Dieser Umstand erschwert noch die Schuld der Juden. Wann wurden sie denn geladen? Durch alle ihre Propheten, dann durch Johannes, der alle auf Christum hinweis mit den Worten: "Er muß wachsen, ich hingegen abnehmen" (Jn 3,30). Ferner durch den Sohn selbst: "Kommet zu mit alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken" (Mt 11,28), sagt er: "Wenn jemand dürstet, so komme er zu mir und trinke" (Jn 7,37). Er berief sie aber nicht bloß durch seine Worte, sondern auch durch seine Werke. Nach seiner Himmelfahrt setzte er die Einladung fort durch Petrus und seine Genossen. So heißt es z.B.: Derjenige, welcher wirksam gewesen mit Petrus zum Apostolate der Beschneidung, ist wirksam gewesen auch mit mir unter den Heiden (Ga 2,8). Da sie der Anblick des Sohnes so ergrimmt hatte, dass sie ihn ermordeten, läßt er sie wieder durch seine Knechte einladen. Und wozu ruft er sie? Etwa zu Mühsalen. Arbeiten, Anstrengungen? Keineswegs, sondern zu Freuden. Spricht er doch: "Ochsen und Maultiere sind geschlachtet." Siehe, was für ein Festmahl, welch ein Aufwand! 

   Allein selbst dadurch ließen sie sich nicht zur Bekehrung bewegen; im Gegenteil, je größer seine Langmut war, desto ärger wurde ihre Verstocktheit. Nicht wirkliche Verhinderung war der Grund, dass sie nicht erschienen, sondern ihre Geringschätzung. Woher kommt es aber, dass einige eine Heirat, andere einen Ochsenhandel vorschützen? Sind das nicht vollgültige Entschuldigungsgründe? Mit nichten; denn sobald es sich um Geistliches handelt, gibt es keinen triftigen Verhinderungsgrund. Ich meine, sie haben diese Ausflüchte nur vorgebracht, um ihre Gleichgültigkeit zu bemänteln. Das Schauderhafte an der Sache ist aber nicht allein ihr Fernbleiben, sondern vielmehr, dass sie ihre Bosheit so weit treiben, die Boten zu misshandeln, zu verhöhnen und sogar umzubringen. Hierin handeln sie aber weit verwerflicher als das erste Mal. Die Boten in dem früheren Gleichnisse waren gekommen, um den Ertrag in den Früchten einzufordern, deshalb tötete man sie. Im gegenwärtigen Gleichnis kamen sie, um sie zur Hochzeit des Getöteten einzuladen; trotzdem werden auch sie ermordet. Gibt es wohl etwas Wahnsinnigeres als das? Darum macht ihnen auch Paulus dies zum Vorwurf, wenn er schreibt: "Den Herrn Jesus Christus haben sie getötet und die Propheten, und uns haben sie verfolgt" (1Th 2,15). Damit sodann die Juden nicht einwenden können: Er ist ein Widersacher Gottes, so höre, mit welchen Worten sie eingeladen werden: Der Vater ist es, der die Hochzeit veranstaltet, er läßt euch einladen. Was geschieht nun daraufhin? Weil sie sich weigerten, zu erscheinen und sogar die Boten umbrachten, so steckt der Herr ihre Städte in Brand und entsendet seine Heere, um sie zu vernichten. In diesen Worten weissagt Christus, was später unter Vespasian tatsächlich geschah, sowie auch, dass sie durch ihren Unglauben ihm gegenüber auch den Vater erbittert hatten; darum ist es auch er selbst, der strafend gegen sie einschreitet. Die Belagerung erfolgte daher auch nicht unmittelbar, nachdem sie Christus getötet hatten, sondern erst vierzig Jahre später, als sie auch Stephanus gesteinigt, Jakobus umgebracht, die Apostel mißhandelt hatten. Gott offenbarte dadurch seine Langmut. Siehst du also, wie ernst seine Drohungen sind, und wie rasch sie sich erfüllen? Brachen doch diese Ereignisse herein, als noch Johannes lebte und viele andere, die Christus noch gekannt hatten; sie, die Ohrenzeugen jener Weissagung gewesen waren, sollten Augenzeugen ihrer Erfüllung sein. 

   Beherzige daher, wie überaus besorgt Gott sich zeigte. Er pflanzte einen Weinberg, er tat alles, was dazu erforderlich war; nach der Ermordung der Knechte sandte er andere; als auch sie umgebracht worden waren, schickte er seinen Sohn, obschon sie dann auch ihn getötet hatten, ladet er sie zur Hochzeit ein; sie wollen nicht kommen. Da sendet er neuerdings seine Knechte; sie schlagen auch diese tot. Jetzt erst vertilgt er die Mörder, weil sie eben unverbesserlich waren. Diese Unverbesserlichkeit geht nicht bloß aus ihrer Handlungsweise hervor, sondern auch aus der Tatsache, dass sie nicht gläubig wurden, nachdem doch sogar Buhlerinnen und Zöllner glaubten. Es trifft sie somit das Urteil nicht bloß ihrer Frevel wegen, sondern auch deshalb, weil sie sich trotz der Bekehrung anderer nicht bekehrten. Es mag vielleicht jemand einwenden, die Heiden seien nicht erst, nachdem die Apostel gegeißelt und schmählich mißhandelt worden waren, berufen worden, sondern schon gleich nach der Auferstehung, da der Herr zu den Jüngern sprach; "Gehet hin und lehret alle Völker" (Mt 28,19). Ich entgegne: die Jünger predigten sowohl vor seinem Tode am Kreuze als nachher zu allererst den Juden. Früher hatte er ihnen gesagt: "Gehet hin zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel" (Mt 10,6); nach seinem Tode hat er es ihnen nicht untersagt, sondern sogar befohlen, den Juden zu predigen. Wenn er auch gesagt hatte: "Lehret alle Völker", so gab er ihnen doch, als der in den Himmel auffahren wollte, kund, dass sie erst den Juden predigen sollten."Ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Hl. Geist auf euch herabkommt, und ihr werdet mir Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samaria und bis an die Grenzen der Erde" (Ac 1,8). Desgleichen sagt Paulus: "Derjenige, welcher wirksam gewesen für Petrus zum Apostolate der Beschneidung, ist auch für mich wirksam gewesen unter den Heiden" (Ga 2,8). Deshalb wandten sich die Apostel auch zuerst an die Juden und hielten sich lange Zeit in Jerusalem auf; erst als sie von da vertrieben wurden, zerstreuten sie sich unter die Heiden.



2.

Daraus kannst du auch erkennen, wie großmütig der Herr ist. 

   V.9: "Wie viele ihr auch finden werdet, ladet sie zur Hochzeit", 

   sprach er. Vorerst predigten sie, wie gesagt, den Juden und Heiden und hielten sich zumeist in Judäa auf; die Juden hörten jedoch nicht auf, ihnen Nachstellungen zu bereiten. Vernimm daher, wie Paulus das Gleichnis auslegt: "Zu euch mußte das Wort Gottes zuerst geredet werden; doch da ihr es zurückstoßet und euch als unwürdig des ewigen Lebens verurteilet, siehe, so wenden wir uns an die Heiden" (Ac 13,46). Daher sagt auch der Herr: 

   V.8: "Die Hochzeit ist zwar bereit, die Eingeladenen aber waren nicht würdig." 

   Freilich hatte er das schon im voraus gewußt, aber er wollte ihnen keinen Vorwand zu unverschämter Gegenrede lassen; so kam er dennoch und sandte vorher Boten an sie; dadurch wurde ihnen jede Ausflucht abgeschnitten und uns eine Lehre gegeben, alles, was an uns liegt, zu tun, selbst wenn kein Erfolg dabei zu gewärtigen ist. Da sie sonach unwürdig waren, sagte der Herr; 

   V.9: "Gehet an die Straßenkreuzungen, und wen ihr nur immer finden werdet, ladet sie zur Hochzeit", 

   die ersten besten, auch die geringsten. Oft hatte er ja gesagt: "Die Buhlerinnen und Zöllner werden das Himmelreich erben" (Mt 21,31), und: "Die Ersten werden die Letzten, die Letzten werden die Ersten sein" (Mt 19,30). Jetzt zeigt er, dass es mit vollem Rechte so geschieht. Das wurmte aber die Juden gar heftig, ja noch viel mehr als die Vernichtung ihres Staates ärgerte es sie, sehen zu müssen, dass die Heiden in das Reich zugelassen wurden und zwar in weit größerer Zahl als sie selbst. Damit aber auch sie sich nicht auf den Glauben allein verlassen sollten, sprach er zu ihnen vom Gerichte, das über die bösen Werke gehalten werden wird, um die noch Ungläubigen zum Glauben, die bereits Gläubigen zu einem ordentlichen Lebenswandel aufzumuntern. Unter dem Kleide versteht er nämlich ein Leben voll guter Werke. Die Berufung ist ja ein Werk der Gnade. Warum spricht er dann aber mit solcher Schärfe? Ihre Berufung und Reinigung war allerdings ein freies Geschenk der Gnade, aber dass sie in dem Berufe beharren und das Kleid der Reinheit bewahren, das hängt vom Eifer der Berufenen ab. Die Berufung gründet nicht auf der Würdigkeit, sondern auf der Gnade. Man sollte also der Gnade entsprechen und die erwiesene Ehre nicht mit solcher Schlechtigkeit erwidern. 

   Ja, sagst du, ich habe aber nicht so zahlreiche Gunsterweise empfangen, wie die Juden. Im Gegenteil, du hast noch weit größere empfangen. Was ihnen Gott nur im Laufe der Zeit erwiesen, das ist dir ohne irgendein Verdienst auf einmal zuteil geworden. Darum sagt Paulus: "Die Heiden verherrlichen Gott ob seiner Erbarmung" (Rm 15,9). Was die Juden hätten empfangen sollen, das hast du tatsächlich erhalten. Deshalb droht aber auch den Nachlässigen eine so große Strafe. Gleichwie nämlich jene, durch ihre Weigerung zu kommen, ihre Geringschätzung offenbarten, so machst auch du es, wenn du nach einem verwerflichen Leben stirbst. Denn nach einem unreinen Lebenswandel von hinnen scheiden, heißt: in schmutzigen Kleidern erscheinen. Darum heißt es auch: 

   V.12: " er verstummte". 

   Ersiehst du hieraus, dass der König trotz der Offenkundigkeit der Sache doch nicht eher straft, als bis der Sünder selbst sein Urteil gesprochen hat? Eben dadurch, dass er nichts entgegnen konnte, fällte er sein eigenes Urteil. Dann erst wird er der unbeschreiblichen Pein überantwortet. Wenn aber von Finsternis die Rede ist, so darfst du ja nicht glauben, dass in dem Hinauswerfen an den dunklen Ort die einzige Strafe besteht, sondern 

   V.13: " Es herrscht dort auch Weinen und Zähneknirschen." 

   Diese Worte lassen auf unerträgliche Qualen schließen Vernehmet es nun ihr alle, die ihr in die hl. Geheimnisse eingeweiht und zur Hochzeit erschienen seid, aber doch eure Seele mit häßlichen Werken beschmutzet. Vernehmet es, woher ihr berufen worden seid! Von der Straße! Was waret ihr? Mit Lahmheit und Blindheit der Seele geschlagen, was viel ärger ist als leibliche Verkrüppelung. Achtet doch die Güte dessen, der euch berufen; keiner behalte ein schmutziges Kleid an, jeder sei bemüht um ein reines Seelengewand. Höret es, ihr Frauen, höret es, ihr Männer. Nicht goldgewirkte Kleider, die euch äußerlich schön machen, sind euch vonnöten, sondern Kleider, die euch innerlich schmücken. Solange man jene trägt, ist es schwer, diese anzulegen. Es ist nicht möglich, zugleich Seele und Leib zu schmücken; es ist nicht möglich, zugleich dem Mammon zu dienen und Christo zu folgen, wie es Pflicht ist. Lasset uns also dieses drückende Joch abschütteln. Du würdest es gewiß nicht ruhig hinnehmen, wenn man in deinem Hause goldene Vorhänge anbrächte und dich halbnackt in Lumpen dasitzen ließe. Aber du selbst handelst so an dir, wenn du die Wohnung deiner Seele, nämlich den Leib, mit allen möglichen Stoffen schmücktest, die Seele dagegen in Lumpen gehüllt lässest. Weißt du nicht, dass man den König schöner schmücken muß als die Stadt? Deshalb werden die Häuser der Stadt mit Linnen geziert, der König mit Purpur und Krone angetan. So sollst auch du es machen. Deinen Leib brauchst du nur in ein einfaches Gewand zu hüllen, die Seele aber sollst du in Purpur kleiden, ihr ein Diadem aufdrücken und sie auf einen erhabenen, strahlenden Thron setzen. Du tust aber das Gegenteil; du schmückst die Stadt prächtig, den König, die Seele, lässest du gefesselt von den ungezügelten Leidenschaften dahinschleppen. Denkst du nicht daran, dass du zu einer Hochzeit geladen bist, zur Hochzeit bei Gott? Kümmert es dich nicht, dass die geladene Seele in goldverbrämte Prachtgewänder gekleidet in das Brautgemach eintreten soll?



3.

Soll ich dir Leute zeigen, die also gekleidet sind, die dieses Hochzeitsgewand wirklich tragen? Erinnere dich an jene heiligmäßigen Männer, von denen ich neulich vor euch redete, die härene Gewänder anhaben und die Einöden bewohnen! Diese Männer sind es vor allem, die das genannte Hochzeitskleid tragen. Das geht klar daraus hervor, dass sie Purpurgewänder, die ihnen jemand anböte, nicht annehmen, sondern zurückweisen würden; wie ein König die Lumpen eines Bettlers, sie man ihm anziehen wollte, zurückwiese, so lehnen sie den Purpur des Königs ab. Eine solche Gesinnung beseelt sie aus dem Grunde, weil sie wohl wissen, wie schön ihre Tracht ist, und darum verschmähen sie den erwähnten Purpur, als wäre es nur Spinnengewebe. Das hat sie ihr Bußkleid also gelehrt; denn sie stehen ja in der Tat weit höher und sind besser daran als selbst ein König. Könnte man die Pforten ihres Innern erschließen, einen Blick in ihre Seele werfen und all den Schmuck darin sehen, man würde zu Boden fallen, weil man den Glanz dieser Schönheit, die Pracht dieser Gewänder und das Strahlen ihres Innern nicht zu ertragen vermöchte. Ich könnte euch große, bewundernswerte Gestalten aus dem Alten Bunde vorführen. Weil jedoch härtere Gemüter leichter durch Beispiele, die sie mit eigenen Augen sehen, ergriffen werden, so verweise ich euch zu den Hüten jener heiligen Männer. Sie kennen keinen Kummer, sondern haben ihre Gezelte im Himmel aufgeschlagen, leben darunter frei von allen Widerwärtigkeiten des irdischen Daseins; und haben sie mit dem Teufel zu streiten, so kämpfen sie, als gälte es einen Reigentanz. Hierin liegt der Grund, warum sie ihre Zellen fern von den Städten, Märkten und Häusern errichtet haben. Wer nämlich Krieg führt, kann sich nicht häuslich niederlassen, er kann nur in einer flüchtig angelegten Wohnung vorübergehend leben, um jeden Augenblick zum Aufbruch bereit zu sein. So machen es alle Mönche, im Gegensatz zu uns. Wir leben nicht wie in einem Kriegslager, sondern wie in einer friedlichen Stadt. Denn wer würde je in einem Lager ein Haus mit Grundmauern bauen, da er es doch nach kurzer Frist wieder verlassen muß? Kein Mensch; und wenn es einer täte, so würde er als Verräter hingerichtet werden. Wer würde in einem Feldlager Grundbesitz erwerben und ein Geschäft einrichten? Niemand, und zwar ganz mit Recht. Denn, wird man ihm sagen, zum Kriegsdienst bist du gekommen, nicht um Handel zu treiben. Warum also um einen Ort sich abmühen, den man bald wieder aufgeben muß? Wenn man in die Heimat zurückgekehrt ist, mag man dergleichen tun. 

   So sage auch ich zu dir. Wenn wir in das Reich dort oben gekommen sein werden, dann magst du solche Dinge treiben; dort wird es dich auch gar keine Mühe kosten, der König wird alles für dich besorgen. Hier auf Erden braucht man bloß Gräben und Schanzen zu ziehen; ein Gebäude ist überflüssig. Du weißt gewiß, was für ein Leben die Skythen haben, die in Wägen wohnen, und was für ein Dasein die Nomaden führen. So sollten auch die Christen leben: Auf Erden wandern, den Teufel bekriegen, seine Gefangenen befreien und von allem Irdischen losgeschält sein. Wozu, o Mensch, bauest du dir ein Haus und fesselst dich so noch mehr? Warum suchst du nach Schätzen und forderst so den Kampf gegen dich heraus? Warum errichtest du Mauern und baust dir selbst einen Kerker? Kommt dir aber eine solche Entsagung zu schwer vor, so gehe hin zu den Zellen jener Männer, um dich zu überzeugen, dass es in Wirklichkeit leicht ist. Die Mönche haben sich zwar Hütten aufgeschlagen; wenn sie dieselben aber verlassen müssen, so trennen sie sich davon ebenso bereitwillig wie Soldaten, die in Friedenszeit das Lager abbrechen. Ihre Behausungen sind ja auch nur ein Lager, eigentlich aber viel angenehmer. Es ist ein viel lieblicheres Schauspiel, in der Einöde eine Reihe von Mönchszellen zu sehen, als ein Soldatenlager, wo man Zelttücher ausspannt, Lanzen mit bunten Wimpeln an der Spitze aufpflanzt und eine Menge Leute sieht mit ehernen Helmen, weithin funkelnden Schilden und eisenstarrendem Panzer, wo das Feldherrnzelt sich erhebt in dem weit ausgedehnten Gefilde, wo man Mahlzeiten bereitet und Flöte bläst. Ein derartiges Schauspiel ist an Reiz nicht zu vergleichen mit demjenigen, wovon ich jetzt spreche. Wenn wir in die Einöde gehen und die Zellen der Streiter Christi beobachten, finden wir keine ausgespannten Tücher, keine aufgepflanzten Lanzen, kein goldstrotzendes Feldherrenzelt, sondern es macht den Eindruck, als wären auf einer weit größeren, unübersehbaren Fläche zahlreiche Himmel ausgespannt, so neu und überraschend ist der Anblick, der sich dort darbietet. Ihre Behausungen sind in der Tat eine Art Himmel; Engel steigen da zu ihnen hernieder, ja der Herr der Engel selbst. Wenn die Engel Abraham, der Weib und Kind hatte, besuchten, weil sie seine Gastfreundlichkeit kannten, wieviel lieber werden sie dann dort weilen und ihren Reigen aufführen, wo sie eine weit hervorragendere Tugend finden, einen Mann, der sich vom Leibe losgeschält hat und im Fleische das Fleisch überwindet? An ihrem Tische herrscht keine Üppigkeit, alles ist von der Mäßigkeit geregelt. Bei ihnen werden nicht Ströme von Blut vergossen, wird nicht Fleisch in Stücke zerlegt, da findet man keine Kopfbeschwerden, keine Leckerbissen, keinen widerwärtigen Dunst oder unangenehmen Rauch, kein Herumrennen, Geräusche oder lästiges Schreien, sondern bloß durch redliche Arbeit verdientes Brot und Wasser, das in reiner Quelle sprudelt. Wenn sie einmal etwas vornehmer speisen wollen, so besteht der Aufwand in Beeren, die ihnen ebensolche Wonne bereiten, als säßen sie an der Tafel des Königs. Sie kennen auch weder Furcht noch Zittern, kein Beamter schilt, kein Weib zetert, keine Kinder machen Sorgen, niemand läßt sich in ungezogenem Gelächter gehen, niemand wird von Scharen von Schmeichlern zur Aufgeblasenheit verleitet. Es ist eine Tafelrunde von Engeln, an der von solchem Wirrwarr nichts zu finden ist. Als Lager dient ihnen einfach das Gras, wie damals dem Volke, das in der Wüste von Christus gespeist wurde. Viele von ihnen schlafen nicht einmal unter einem Dache; das Himmelsgewölbe ist vielmehr ihr Dach, und ihre Lampe der Mond, der kein Öl und keine Besorgung braucht. Sie allein sind es eigentlich wert, dass er dort oben leuchtet.



4.

Ein solcher Tisch ist ein wonniger Anblick selbst für die Engel, die vom Himmel herniederschauen. Freuen sie sich schon über einen Sünder, der Buße tut, wie groß wird ihre Freude sein an so vielen Gerechten, die mit ihnen wetteifern! Da gibt es keinen Unterschied zwischen Herr und Knecht, alle sind Knechte, alle sind Freie. Glaube nicht etwa, ich spreche in Rätseln. Sie sind gegenseitig wirklich sowohl Knechte als auch Herren. Wenn der Abend genaht ist, stellt sich bei ihnen keine Niedergeschlagenheit ein, wie bei so manchen Leuten, welche die Sorgen und Widerwärtigkeiten des Tages überdenken. Sie brauchen nach dem Nachtmahl nicht aus Besorgnis vor Dieben die Türe zu verschließen und Riegel vorzulegen, noch wie so viele andere vor Gefahren sich zu ängstigen, nicht mit dem Lichte behutsam umzugehen, um nicht etwa durch einen Funken das Haus in Brand zu stecken. Einen ähnlichen Frieden atmet auch ihre Unterhaltung. Sie schwatzen nicht wie wir über Dinge, die einen nichts angehen, z.B. der ist Beamter geworden, der ist aus dem Amte entlassen worden, dieser ist gestorben, jener hat eine Erbschaft gemacht und dergleichen mehr. Bei den Mönchen drehen sich die Reden wie die Gedanken immer um die Ewigkeit; als wohnten sie schon in einer anderen Welt, als wären sie in den Himmel versetzt, als lebten sie im Jenseits, so unterhalten sie sich über die Dinge dort droben, über den Schoß Abrahams, über die Kronen der Heiligen, über den seligen Umgang mit Christus; der Verhältnisse dieser Erde geschieht bei ihnen auch nicht die geringste Erwähnung, darüber verlieren sie kein Wort. Wie wir es nicht der Mühe wert finden, von dem Treiben der Ameisen in ihren Bauten und Höhlen zu reden, so geben sich auch die Mönche nicht mit unserem Tun und Lassen ab, so hat für sie nur Interesse der himmlische König, der Krieg, den wir hier führen müssen, die Umtriebe des Teufels, die guten Werke, welche die Heiligen verrichtet haben. 

   Wenn wir uns nun mit den Mönchen vergleichen, inwiefern unterscheiden wir uns da von den Ameisen? Wie diese sind wir nur auf materielle Dinge bedacht; und bliebe es nur bei solchen! Leider sind es aber noch viel schlimmere. Wir denken nicht nur an das Notwendige, sondern auch an Überflüssiges. Was die Ameisen treiben, ist nichts Böses; wir aber sind voll Habsucht, wir treiben es nicht bloß wie Ameisen, sondern sogar wie Wölfe und Panther und noch ärger als sie. Sie folgen ja nur dem Triebe der Natur, während wir von Gott mit Verstand und freier Selbstbestimmung ausgezeichnet wurden, trotzdem sind wir schlimmer als die wilden Tiere. Während aber wir schlechter sind als die vernunftlosen Geschöpfe, sind die Mönche den Engeln gleich, sind Fremdlinge und Pilger hier auf Erden. Alles bei ihnen steht im Gegensatze zu uns: Kleidung, Nahrung, Wohnung, Schuhwerk, Gespräche. Wenn jemand sie und uns reden hört, so wird es ihm sonnenklar, dass sie Himmelsbürger sind, wir hingegen nicht einmal verdienen, dass uns die Erde trägt. Insbesondere wenn ein hochgestellter Mann zu ihnen kommt, zeigt sich die Nichtigkeit alles Dünkels. Denn der Mönch, der nur das Land bebaut und nichts von allem, weltlichen Händeln weiß, setzt sich auf den Strohsack oder ein verschlissenes Kopfkissen neben den Feldherrn, der sich so viel auf seinen Rang zugute tut. Es gibt eben dort niemanden, der ihm schmeichelt und Weihrauch streut; es geht vielmehr ebenso, wie wenn einer zu einem Goldschmied oder einem Rosenstrauche kommt; ein solcher nimmt etwas vom Glanze des Goldes und dem Dufte der Rosen an. So erhalten auch die Besucher etwas vom Glanze der Mönche, indem ihre Einbildung ein wenig gemäßigt wird. Wie ein kleiner Mensch groß aussieht, wenn er an einem hochgelegenen Orte steht, so erscheinen auch die Menschen, welche jene erhabenen Männer besuchen, groß, solange sie bei ihnen weilen, werden aber wieder klein, sobald sie sich entfernen, weil sie von dieser Höhe herabsteigen. Bei den Mönchen bedeutet weder der König noch der Konsul etwas, sondern wie wir über Kinder lachen, wenn sie solche Rollen spielen, so sehen die Mönche mit Geringschätzung auf die Leute, welche ihren Stolz in solche Äußerlichkeiten setzen. Das geht klar daraus hervor, dass sie selbst ein Königreich nicht zum Geschenke nehmen würden, wenn sie es auch in aller Sicherheit innehaben könnten. Sie weisen es aber nur deshalb zurück, weil sie es bloß für etwas Zeitliches erachten und in ihrer Hochherzigkeit nach Höherem streben. Wie also? Sollen wir nicht in das Lager überlaufen, wo solche Glückseligkeit zu finden ist? nicht jenen engelgleichen Leuten uns anschließen? nicht die reinen Gewänder anlegen, um diese Hochzeit mitzufeiern? Warum wollen wir arm bleiben, weit ärmer und elender, als die Bettler auf den Straßen? Wer nämlich durch Ungerechtigkeit reich geworden ist, um den steht es schlimmer als um Bettler, denn besser ist betteln als rauben. Jenes ist verzeihlich, dieses ist strafbar; durch Betteln beleidigt man Gott nicht, durch Rauben frevelt man gegen Gott und die Menschen. Oft hat man überdies vom Raube bloß die Lasten, während andere die Vorteile davon ernten. Da wir nun alles das wissen, so lasset uns doch der Habsucht völlig entsagen, dafür um die ewigen Güter uns bemühen und voll Eifer das Himmelreich an uns reißen. Es ist jedoch unmöglich, ganz und gar unmöglich, dass jemand in dasselbe eingehe, der träge und nachlässig ist. O, möchten doch alle eifrig und wachsam werden, dann werden sie es auch erlangen durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem Ehre und Macht gebührt in alle Ewigkeit. Amen!






Kommentar zum Evangelium Mt 68