Kommentar zum Evangelium Mt 76

Sechsundsiebzigste Homilie. Kap.XXIV,V.16-31.

76 Mt 24,16-31
1.

V.16:"Dann sollen die, welche in Judäa sind, in die Gebirge fliehen. V.17: Und wer auf dem Dach ist, steige nicht herab, um etwas zu holen aus seinem Hause. V.18: Und wer auf dem Feld ist, kehre nicht heim, um ein Oberkleid zu nehmen." 

   Der Herr hatte von dem Elend gesprochen, das die Stadt befallen sollte, sowie von den Prüfungen, die der Apostel warteten, dabei aber vorhergesagt, dass dieselben ungebeugt bleiben und die ganze Welt durchziehen werden. Jetzt kehrt er wieder zu dem Unglück der Juden zurück und zeigt, dass die Stadt gerade dann von dem Unglück betroffen wird, wenn jene den Glanz ihrer Lehre über die ganze Welt verbreiten werden. Beachte, wie er das Entsetzliche des Krieges beschreibt durch Anführung von Zügen, welche an sich unbedeutend zu sein scheinen. "Dann sollen die, welche in Judäa sind, sich flüchten in die Gebirge." "Dann", sagt er. Wann ist das? Wenn das alles geschehen wird, wenn der Greuel der Verwüstung an heiliger Stätte herrscht. Meiner Ansicht nach meint er mit "Greuel" das[612] Heer. Dann also, sagt er, fliehet, denn dann ist jede Hoffnung auf Rettung vorbei. Oft schon hatten Juden harte Kriege zu bestehen gehabt ,z.B. mit Sennacherib, dann mit Antiochus[613] . Damit sie sich nun nicht täuschten, stellt er es ausdrücklich in Abrede, dass es wieder eine solche Wendung nehmen werde, es sei schon ein Glück, sagt er, wenn man nur das nackte Leben rette. Darum warnt er auch, von den Dächern herunterzusteigen und ins Haus zu gehen, um ein Kleid zu holen, so unvermeidlich sei das Verderben, so unermeßlich das Unglück, so notwendig müsse, wer davon überrascht wird, umkommen. Deshalb führt er auch als Beispiel einen an, der auf dem Felde weilt, und sagt: "Auch er soll nicht heimkehren, um seinen Rock zu holen." Wenn nämlich die fliehen, die daheim sind, um so weniger darf, wer draußen ist, zu Hause Zuflucht suchen. 

   V.19: "Wehe aber den Schwangeren und den Säugenden." 

   Die einen können, wegen ihrer Schwerfälligkeit, nicht gut fliehen, da sie die Bürde ihrer Schwangerschaft tragen, die andern hindert das Band des Mitgefühls mit den Kindern, da sie nicht sich und den Säugling zu gleich retten können. Geld kann man leicht aufgeben und ohne Schwierigkeit wieder erwerben, ebenso Kleider; aber wie sollte man sich der Natur entziehen können? wie sollte eine Schwangere behend werden? wie wird eine Säugende ihr Kind im Stich lassen? Hierauf weist er wieder auf die Größe des Unglücks hin, indem er sagt: 

   V.20: "Betet aber, dass eure Flucht nicht im Winter geschehe oder am Sabbate. 

   V.21: Denn es wird dann eine große Bedrängnis sein, dergleichen von Anfang der Welt bis jetzt nicht gewesen ist, noch auch mehr sein wird." Siehst du, wie der Herr sich wieder an die Juden wendet und von dem Unheil, das sie treffen sollte, redet? Die Apostel sollten ja den Sabbat nicht mehr halten, noch in der Stadt verweilen, wenn Vespasian sein Werk tun würde. Die meisten von ihnen waren auch vorher schon gestorben, und wer von ihnen noch am Leben war, weilte damals in anderen Teilen der Erde. 

   Warum aber "nicht im Winter oder am Sabbate"? Nicht im Winter wegen der Rauheit dieser Jahreszeit; nicht an einem Sabbate, wegen der Beobachtung des Gesetzes. Es galt zu fliehen, und zwar schleunigst zu fliehen. An einem Sabbate hätten sich aber die Juden nicht zu fliehen getraut, um das Gesetz nicht zu übertreten, und im Winter auch nicht, wegen der damit verbundenen Schwierigkeiten. Deshalb sagte er: "Betet; denn es wird dann eine Bedrängnis sein, dergleichen nicht war noch sein wird." Man glaube aber nicht etwa, dass es sich hier um eine Übertreibung handle, man braucht nur die Geschichte des Josephus zur Hand zu nehmen, und man wird finden, dass die Worte lauter Wahrheit sind. Auch kann niemand einwenden, der Mann sei ein Christ gewesen und habe, um der Weissagung Glauben zu verschaffen, die Ereignisse übertrieben dargestellt. Denn er war ein Jude und zwar ein echter Jude und ein Eiferer, und lebte nach dem Auftreten Christi. Und was berichtet er? Dass jene Schrecknisse alles da gewesene Elend über boten und dass noch nie ein so fürchterlicher Krieg über das Volk herein gebrochen sei. Der Hunger war so groß, erzählt er, dass sogar die Mütter sich stritten und miteinander kämpften, um ihre Kinder zu verzehren und dass man sogar Toten noch oft den Leib zerstückelte. Nun möchte ich die Juden fragen, woher es kam, dass Gott eine so unerträgliche Rache über sie verhängte, die alles bisher Da gewesene, sei es unter den Juden oder sonstwo auf der Welt, an Grauenhaftigkeit überragte? Ist es nicht klar, dass es so kam, weil sie es gewagt hatten, den Herrn zu kreuzigen und zu verleugnen? Jedermann muß dies bestätigen, und vor allem bestätigen es die Tatsachen selbst. Bedenke nur, dass das Elend alle Begriffe überstieg, wenn weder die Vergangenheit noch alle Zukunft etwas Ärgeres aufzuweisen vermag. Niemand wird behaupten können, dass auf der ganzen Welt je in der Vergangenheit solches Elend hereingebrochen ist noch in der Zukunft kommen wird. Und es ist ganz gerecht so. Nie hat ein Mensch in der Vergangenheit eine so frevelhafte und schaudervolle Untat begangen, noch wird in der Zukunft eine begangen werden. Darum spricht der Herr: "Es wird dann eine große Bedrängnis sein, dergleichen von Anfang der Welt bis jetzt nicht gewesen ist, noch auch mehr sein wird. 

   V.22: "Und wenn diese Tage nicht abgekürzt worden wären, so würde nichts, was Fleisch ist, gerettet werden; ab er wegen der Auserwählten werden jene Tage abgekürzt werden." Damit deutet er an, dass sie noch fürchterlichere Strafen verdient hätten, als er gesagt hatte. Er meint hierbei die Tage des Krieges und der Belagerung der Welt. Der Sinn seiner Worte ist der: Hätte der Krieg der Römer gegen die Stadt noch länger gedauert, so wären alle Juden umgekommen[614] , sowohl die in der Fremde als die der Heimat. Denn man bekriegte die Juden nicht allein in Judäa, sondern ächtete und verfolgte sie, wo immer sie auch zerstreut waren; so groß war der Hass gegen sie.



2.

Wen meint er aber hier mit den "Auserwählten"? Gemeint sind die Gläubigen, die mitten unter den Juden geblieben waren. Damit nämlich die Juden nicht behaupten könnten, dieses Verderben sei wegen des Evangeliums und der Anbetung Christi über sie hereingebrochen, so zeigt Jesus, dass die Gläubigen keineswegs daran schuld sind, dass vielmehr alle Juden voll ständig dem Untergange verfallen wären, wenn es keine Christen gegeben hätte. Hätte es nämlich Gott zugelassen, dass der Krieg sich in die Länge gezogen hätte, so wäre keine Spur von den Juden übrig geblieben. Um aber die gläubig gewordenen Juden nicht mit den ungläubigen umkommen zu lassen. setzte er rasch dem Kampfe ein Ziel und machte dem Kriege ein Ende. Deshalb sagt er: "Wegen der Auserwählten werden sie abgekürzt werden." Durch diese Worte wollte er denen, die mitten unter den Juden geblieben waren, Trost gewähren, dass sie aufatmen könnten und nicht zu fürchten brauchten, sie würden mit umkommen. Wenn für sie in diesem Falle so gütig gesorgt wird, dass ihretwegen auch andere gerettet werden und um der Christen willen sogar die ungläubigen Juden zum Teil erhalten blieben, welche Ehre wird ihnen dann zur Zeit des Lohnes zuteil werden? Zugleich bot er ihnen einen Trost in ihren eigenen Gefahren, sie sollten sich nicht betrüben, da ja auch die Juden von denselben Leiden betroffen würden und doch nichts davon hätten, sondern nur das Verderben auf ihr Haupt lüden. 

   Allein Christus wollte sie nicht nur trösten, sondern auch unmerklich und ohne Argwohn zu erwecken von den jüdischen Gebräuchen abbringen. Wenn nämlich keine Änderung mehr eintreten und kein Tempel mehr erstehen sollte, so hatte offenbar das Gesetz seine Geltung verloren. Unmittelbar lauteten seine Worte freilich nicht so, aber man konnte es aus dem völligen Untergange der Juden herauslesen. Er vermied es aber, offen davon zu sprechen, um ihnen nicht vor der Zeit wehe zu tun, weshalb er auch nicht von vornherein die Rede geradewegs darauf hinlenkte, sondern erst die Stadt beklagte, um die Jünger zu nötigen, dass sie unter Hinweis auf den Steinbau ihn fragten; so konnte er in der Form einer Antwort auf ihre Frage die ganze Zukunft entrollen. Beachte hierbei, wie gut der Hl. Geist es fügte, dass Johannes[615] nichts darüber berichtete. Es hätte den Anschein haben können, als schreibe er nur, was er aus der Geschichte wisse[616] . Die Männer aber, die vorher gestorben sind und nichts von all dem erlebt hatten, schreiben darüber. So steht die Kraft der Weissagung allseits in klarem Lichte da. 

   V.23: "Wenn euch dann jemand sagte: Siehe, hier ist Christus oder dort, glaubet es nicht! V.24: Es werden nämlich falsche Christusse und falsche Propheten aufstehen und werden große Zeichen und Wunder verrichten, so dass, wenn es geschehen könnte, auch die Auserwählten irregeführt würden. 

   V.25: Sehet, ich habe es euch vorausgesagt. 

   V.26: Wenn sie sonach zu euch sprechen: Sehet, er ist in der Wüste, gehet nicht zurück! sehet, dort in den Gemächern, glaubet es nicht! 

   V.27: Denn wie der Blitz aufgeht vom Aufgange und hinleuchtet bis zum Niedergange, so wird auch sein die Wiederkunft des Sohnes des Menschen. 

   V.28: Wo immer ein Leichnam ist, dort werden sich die Adler versammeln." 

   Nachdem der göttliche Heiland genug über das Schicksal Jerusalems geredet hatte, geht er schließlich über auf seine Wiederkunft und erklärt die Anzeichen derselben, deren Kenntnis nicht bloß den Aposteln, sondern auch uns und allen später Lebenden heilsam ist. "Dann" sagt er. Wann ist das? Hier und auch sonst, wie ich schon oft erklärt habe, drückt das Wort "dann" nicht einen unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem zuvor Erwähnten aus. Als er diese Aufeinanderfolge bezeichnen wollte, sprach er: "Sofort nach der Bedrängnis jener Tage." Wenn er nun hier nicht so spricht, sondern sagt:"dann", so bezieht sich das nicht auf die Zeit unmittelbar nachher, sondern auf die Zeit, in der das geschehen soll, von dessen Eintreten er redet. So ist es auch mit den Worten: "In jenen Tagen kommt Johannes der Täufer" (Mt 3,1). Da meint der Evangelist auch nicht die unmittelbar folgende Zeit, sondern eine um viele Jahre spätere, da sich ereignete, wovon er eben redete. Denn auch an der Stelle, wo er von der Geburt Jesu, von der Ankunft der Weisen und dem Ende des Herodes berichtet, fährt er alsbald fort: "In jenen Tagen trat Johannes der Täufer auf", obschon dreißig Jahre dazwischen lagen. Es ist eben der Schrift eigen, sich einer solchen Darstellungsweise zu bedienen. So ist es auch in unserem Falle. Der Herr übergeht die ganze Zeit, welche von der Eroberung Jerusalems bis zu dem Vorspiele der Vollendung verstreicht, und redet von der Zeit, die kurz vor der Vollendung liegt. 

   "Dann, wenn jemand euch sagt: Sieh, hier ist Christus oder dort, glaubet es nicht!" Um die Jünger vor einem Irrtum in Bezug auf den Ort seiner Wiederkunft zu bewahren, gibt er die eigentümlichen Merkmale seiner zweiten Ankunft und die Zeichen der Verführer an. Er sagt, nicht so, wie er das erste Mal in Bethlehem erschien, in einem unbedeutenden Winkel der Erde und anfänglich von niemand gekannt, werde er dann erscheinen, sondern offenkundig und mit aller Herrlichkeit, ohne dass es noch eines besonderen Heroldes bedürfte. Das ist aber ein ganz wichtiges Merkmal seiner Wiederkunft, dass sie nicht im verborgenen stattfinden wird. Beachte aber, wie er jetzt nichts von einem Kriege erwähnt, um das, was er von seiner Wiederkunft sagt, genau von dem Früheren zu unterscheiden; darum redet er nur von den Betrügern. Betrüger gab es auch zu den Zeiten der Apostel: "Sie werden kommen und viele betrügen"; aber vor seiner zweiten Ankunft werden weit gefährlichere Betrüger auftreten, "sie werden Zeichen und Wunder verrichten, so dass, wenn es geschehen könnte, auch die Auserwähl ten irregeführt würden". Gemeint ist der Antichrist, dem, wie er zeigt, manche dienen werden. Auch Paulus schreibt, nachdem er ihn den "Mann der Sünde" und den "Sohn des Verderbens" genannt, folgendermaßen über ihn: "Dessen Ankunft ist gemäß der Wirksamkeit des Satans in aller Kraft und in Zeichen und Wundern der Lüge und in jeglichem Betruge des Unrechtes für die, welche verloren gehen" (2Th 2,9 2Th 2,10). Sieh nun, wie der Herr die Jünger davor warnt: "Gehet nicht hinaus in die Wüste, gehet nicht hinein in die Kammern." Er sagt nicht: Gehet hin, aber glaubet nicht, sondern: Gehet nicht hinaus, gehet nicht hin. Denn der Betrug wird groß sein zu jener Zeit, sogar Zeichen werden zur Irreführung geschehen.



3.

Nachdem er nun erklärt hatte, wie der Antichrist erscheinen werde, nämlich an welchem Orte, gibt er auch an, wie er selbst kommen wird. Und wie wird er kommen? "Wie der Blitz ausgeht vom Ausgange und hinleuchtet bis zum Niedergange, so wird auch sein das Wiederkommen des Menschensohnes. Wo immer ein Leichnam ist, dort werden sich versammeln die Adler." Wie erscheint denn der Blitz? Er bedarf keines Boten, keines Heroldes, sondern mit einem Schlage ist er den Menschen auf der ganzen Erde sichtbar, ob sie nun in ihren Häusern oder in den Kammern weilen. So wird es auch bei der Wiederkunft des Herrn sein; allüberall wird man ihrer auf einmal inne wegen des Glanzes seiner Herrlichkeit. Dann erwähnt der Herr noch ein anderes Zeichen: "Wo ein Leichnam, da sind auch die Adler", sagt er, und weist damit auf die große Zahl der Engel, der Märtyrer und aller Heiligen hin. Hierauf spricht er von schreckenerregenden Wundern. Was für Wunder sind das? V.29: "Sogleich aber nach der Bedrängnis jener Tage wird die Sonne verfinstert werden," Welcher Tage und mit welcher Bedrängnis? Die Zeit des Antichrists und der falschen Propheten. Die Bedrängnis wird dann nämlich groß sein, weil die Betrüger so zahlreich sein werden. Aber sie wird nicht lange dauern. Denn wenn schon der jüdische Krieg wegen der Auserwählten abgekürzt wurde, um so mehr wird diese Prüfung ihretwillen beschränkt werden. Deshalb sagte der Herr nicht bloß: Nach der Bedrängnis, sondern: "Sogleich nach der Bedrängnis jener Tage wird die Sonne verfinstert werden." Es geschieht alles fast gleichzeitig: Die falschen Propheten und die falschen Christusse werden kommen und Wirrwarr anrichten und sofort wird auch er selbst da sein. Die Aufregung und Verwirrung, die dann in der Welt herrscht, wird nämlich nicht gering sein. 

   Wie aber wird er kommen? Die ganze Schöpfung wird dabei umgestaltet werden: "die Sonne wird verfinstert werden", nicht weil sie verschwindet, sondern weil sie überboten wird durch das Licht seiner Ankunft. "Und die Sterne werden herunterfallen"; welchen Zweck hätten sie dann auch noch, wenn es keine Nacht mehr gibt? "Und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden." Das ist ganz natürlich, da sie sehen, was für eine gewaltige Umwälzung vor sich geht. Wenn sie nämlich bei der Entstehung der Sterne bebten und staunten<f>"als die Gestirne erschaffen wurden, priesen mich mit lauter Stimme alle Engel", heißt es<f>Job 38,7 <LXX></f> , wie sollten sie nicht um so mehr beben und erschauern, wenn sie sehen, wie alles umgestaltet wird, wie ihre Mitgeschöpfe Rechenschaft ablegen müssen, wie die ganze Welt den fürchterlichen Richterstuhl umsteht, und alle Geschlechter von Adam bis zu seiner Ankunft sich wegen aller ihrer Werke zu verantworten haben? V.30: "Dann wird das Zeichen des Menschensohnes am Himmel erscheinen", d.h. das Kreuz, das strahlender sein wird als die Sonne; sie wird nämlich verfinstert und verschwindet, sobald das Kreuz erscheint, das gar nicht gesehen werden könnte, wenn es nicht heller leuchtete als die Sonne. Wes wegen erscheint aber dieses Zeichen? Um die unverschämten Juden vollends zum Schweigen zu bringen. Denn im Kreuze liegt für Christus die stärkste Rechtfertigung: und wenn er daher zu jenem Gerichte erscheint, wird er nicht allein auf seine Wundmale, sondern auch auf die schmachvolle Art seines Todes hinweisen. "Dann werden die Stämme wehklagen." Es wird gar keiner Anklage bedürfen. Sobald sie das Kreuz erblicken, werden sie in Wehklagen ausbrechen, dass sie aus seinem Tode keinen Nutzen gezogen; dass sie den gekreuzigt haben, den sie hätten anbeten sollen. Siehst du, wie fürchterlich der göttliche Heiland seine Ankunft schildert? wie er das Gemüt seiner Jünger aufrichtet? Er stellt zuerst die Schrecknisse vor Augen, dann das Erfreuliche, um sie auch dadurch zu trösten und zu erquicken. Dabei erinnert er sie wieder an sein Leiden und seine Auferstehung und sagt, das Kreuz werde in glänzender Gestalt erscheinen, um ihnen die Scheu und Angst zu nehmen, wenn sie dann sehen werden, wie es als Zeichen seiner Ankunft vorhergeht. Ein anderer Evangelist vermerkt: "Sie werden sehen, wen sie durchbohrt haben"<f> Jn 19,37 u. Za 12,10 </f> . Sie werden also wehklagen, weil sie erkennen werden, dass es Christus ist. Nach der Erwähnung des Kreuzes fuhr der Herr fort: 

   V.30: "Sie werden den Menschensohn kommen sehen", nicht mehr auf dem Kreuze, sondern: "auf den Wolken des Himmels mit großer Macht und Herrlichkeit." 

   Wenn du vom Kreuze reden hörst, sagt er, so darfst du dir nicht wieder etwas Widerwärtiges vorstellen, denn er wird kommen mit großer Macht und Herrlichkeit. Er bringt es nur mit, auf dass ihre Sünde sich selbst verurteile. Es ist so, wie wenn einer von einem Steine verwundet wurde und den Stein oder die blutgetränkten Kleider mitbringt. Auf einer Wolke ist der Herr aufgefahren, auf einer Wolke kommt er wieder: "Bei diesem Anblicke werden die Völker in Klagen ausbrechen." Doch bei dem Klagen und dem Schrecken wird es noch nicht sein Bewenden haben, sondern durch ihr Klagen werden sie selbst ihr Urteil fällen und sich verdammen. Dann V.31: "wird er seine Engel aussenden mit mächtiger Posaune und sie werden seine Auserwählten sammeln von den vier Winden her, von dem einen Ende der Himmel bis zu deren anderem." Wenn du das hörst, so denke an die Strafe derer, die zurückbleiben. Außer der Strafe, die ich bereits erwähnte, wird auch diese sie noch treffen. Wie er oben gesagt hatte, dass sie rufen werden: "Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn"<f>Mt 23,39</f> , so sagt er hier, dass sie "wehklagen" werden. Nachdem er ihnen nämlich entsetzliche Kriege in Aussicht gestellt hatte, sollten sie erfahren, dass ihrer nach den Schrecknissen hienieden auch noch die Folterqualen dort drüben harren, daher sagt er, dass sie wehklagen, von den Auserwählten gesondert und in die Hölle geworfen werden. Sodann muntert er seine Jünger auf durch den Hinweis, wie groß einerseits das Elend, dem sie entgehen, und wie groß anderseits der Lohn ist, den sie erhalten werden.



4.

Wenn aber Christus so öffentlich kommt, wozu läßt er die Erwählten noch durch Engel rufen? Um sie auch dadurch zu ehren. Paulus berichtet an jener Stelle, wo er über die Auferstehung handelt, dass sie in die Wolken entrückt werden. "Der Herr selbst wird bei dem Zurufe und bei der Stimme eines Erzengels herabsteigen" (1Th 4,17). Die Engel werden also die Auferstandenen sammeln und werden sie dann in die Wolken entrücken; und das alles geschieht urplötzlich, in einem Augenblick. Der Herr bleibt nicht in der Höhe, wenn er sie ruft, sondern steigt beim Posaunenschall in eigener Person herab. Was sollen aber die Posaunen und das Blasen? Sie geben das Zeichen zur Auferstehung, zur Wonne und drücken das Staunen über die Vorgänge und das Weh der Zurückgelassenen aus. O, wie schrecklich ist dieser Tag! Wir sollten uns eigentlich freuen über eine solche Kunde, und wir sind statt dessen voll Angst, Niedergeschlagenheit und Traurigkeit, Oder geht es nur mir so, während ihr es voll Freude höret? Mich überfällt Schrecken bei diesem Berichte, ich jammere, klage und seufze aus der Tiefe meines Herzens. Denn mein Los ist nicht die Glückseligkeit dieser, sondern das Geschick jener, von denen nachher die Rede ist, der Jungfrauen und des bösen Knechtes, der das empfangene Talent vergraben hatte. 

   Ich meine, dass wir eine solche Herrlichkeit, eine so schöne Hoffnung auf den Lohn verlieren sollen und zwar für immer und ewig, weil wir uns auch nicht im mindesten darum bemühen. Wäre die Anstrengung und das Gesetz schwer, so müßten wir dennoch alles tun, nur hätte dann mancher Saumselige eine scheinbare Ausrede, eine eitle zwar, aber immerhin eine scheinbare, nämlich die Schwere der Gebote, die Härte der Anstrengung, die Länge der Zeit, die Unerträglichkeit der Bürde. Nun aber kann man nichts dergleichen vorschützen, und das gerade wird uns dann nicht weniger als die Hölle peinigen, dass wir trotz der geringen Mühe und der unbedeutenden Anstrengung den Himmel und sein unaussprechliches Glück eingebüßt haben. Es dauert ja nur kurze Zeit, erforderte nur wenig Mühe und trotzdem sind wir träge und saumselig gewesen. Auf Erden hat man zu kämpfen, im Himmel kommt der Lohn; von den Menschen wird man geplagt, von Gott ausgezeichnet; zwei Tage dauert der Lauf, den Preis genießt man die ganze Ewigkeit hindurch; der Leib ist verweslich, solange das Ringen währt, unverweslich, wenn man die Ehre dafür genießt. Außerdem ist zu er wägen, dass derjenige, der nicht für Christus etwas Schmerz leiden will, diesem unbedingt auf andere Weise verfällt. Du bist doch, wenn du um Christi willen nicht stirbst, deshalb noch nicht unsterblich, und kannst, wenn du das Geld um Christi willen nicht weggibst, es beim Tode gleichwohl nicht mitnehmen. Er verlangt von dir nur, was du unaufgefordert hergeben wirst, weil du sterben mußt; er wünscht nur, dass du aus freien Stücken tust, was du notgedrungen auch tun mußt. Er stellt nur die eine Bedingung, dass seinetwegen geschehe, was von selbst in Folge der natürlichen Ordnung notwendig eintritt und geschieht. 

   Siehst du also, wie leicht der Kampf ist? Was dir unbedingt und notwendigerweise widerfahren muß, das nimm freiwillig auf sich um meinetwillen; wofern nur diese Willigkeit vorhanden ist, betrachte ich deinen Gehorsam für hinreichend. Das Gold, das du anderen leihen willst, leihe mir und es wird dir mehr und sicherer Zinsen tragen; den Leib, den du in den Dienst anderer stellen willst, stelle in meinen Dienst, und ich werde auf das reichlichste deine Mühen entlohnen. Sonst gibst du bei Geschäften demjenigen den Vorzug, der mehr bietet, so beim Geldausleihen, beim Handel, beim Kriegsdienste; nur bei Christus, der doch mehr, je unendlich mehr als alle anderen bietet, willst du diesen Grundsatz nicht gelten lassen. Was ist das doch für ein abscheulicher Kampf? was für ein verderblicher Haß? Wie willst du Verzeihung und Entschuldigung finden, wenn du Gott nicht einmal den Menschen vorziehen magst in Dingen, wo du Menschen den Menschen vorziehst? Warum übergibst du deinen Schatz der Erde? Vertraue ihn meiner Hand an, sagt er. Erachtest du den Herrn der Erde nicht für verläßlicher als die Erde? Sie gibt dir wieder, was du auslegst, oft nicht einmal so viel; er zahlt dir auch noch Lohn dafür, dass er ihn behütet, so innig liebt er uns. Willst du also auf Zinsen ausleihen, er ist bereit dazu; willst du säen, er nimmt die Saat auf; willst du bauen, er lädt dich ein und sagt: baue bei mir. Warum läufst du zu den Armen, zu den Bettlern, denn das sind die Menschen? Eile zu Gott, der dir für Kleinigkeiten großen Entgelt bietet. Allein, trotzdem wir dergleichen hören, wir kehren uns dennoch nicht daran, sondern jagen dorthin, wo Kampf, Krieg, Streit, Rechtshändel und Erpressung unser harrt.



5.

Handelt Gott also nicht gerecht, wenn er uns von sich weist und uns züchtigt, da er sich uns gänzlich hingibt, während wir widerstreben? Das ist doch vollkommen klar. Denn, sagt er, willst du dich schmücken, mein ist der Schmuck; willst du dich kleiden, mein sind die Kleider; willst du speisen, von mir ist der Tisch; willst du reisen, mein ist der Weg; willst du erben, von mir kommt die Erbschaft; willst du in die Heimat, in die Stadt zurückkehren, ich habe sie gebaut und errichtet; oder willst du bauen, mein sind die Gezelte. Für alles, was ich gebe, verlange ich keinen Lohn, ja, ich mache mich sogar noch zu deinem Schuldner, wenn du nur all mein Eigentum benützen willst. Kann es eine Großmut geben, die dieser gleich käme? Ich bin Vater, Bruder, Bräutigam, Familie, Nahrung, Gewand, Wurzel, Baugrund; alles, was du wünschest, bin ich; an nichts fehlt es dir. Ich werde auch dein Diener sein, denn ich bin gekommen, um zu dienen, nicht um mich bedienen zu lassen (Mt 20,28). Ebenso bin ich Freund, Glied, Kopf, Bruder, Schwester, Mutter, alles bin ich, du mußt mir nur Vertrauen entgegenbringen. Deinetwegen bin ich arm, deinetwegen ohne Heim, deinetwegen gekreuzigt, deinetwegen begraben worden; droben bin ich dein Anwalt beim Vater, hienieden bin ich der Gesandte des Vaters an dich. Du bist mir alles: Bruder, Miterbe, Freund, Glied. Was willst du noch mehr? Warum kehrst du mir, deinem Liebhaber, den Rücken? Warum mühst du dich für die Welt ab? Warum schöpfst du in ein durchlöchertes Faß? So tut nämlich, wer für das irdische Leben schafft. Warum wirfst du dich ins Feuer? warum ringst du mit der Luft? warum läufst du umsonst? Hat nicht jede Kunst ihren Zweck? Das ist doch allgemein bekannt. So nenne auch du mir den Zweck deines weltlichen Jagens. Du kannst es nicht, denn: "Eitelkeit über Eitelkeit und alles ist Eitelkeit" (Qo 1,2). Steige einmal mit mir in die Grüfte hinab, zeige mir deinen Vater, zeige mir den Weib. Wo ist der Mann in den goldenen Gewändern? wo der, welcher im Wagen ausfuhr? der ein Herr besaß und die Feldbinde trug, vor welchem Herolde einhergingen? der die einen hinrichten, andere ins Gefängnis werfen ließ? der tötete, wenn er wollte, und frei ließ, wenn es ihm gefiel? Ich sehe nichts als Gebeine, Maden und Spinnen; all jener Glanz ist nur Erde, alles ist nur Einbildung, alles nur Traum und Schatten, ein bloßes Märchen, ein Bild. Ja nicht einmal ein Bild: das Bild stellt doch etwas vor, hier fehlt auch das. 

   Und wenn das Entsetzliche nur auch hier sein Ende hätte! Nun aber sind Ehre, Üppigkeit, Glanz zwar nur Schatten und leere Worte, was aber damit zusammenhängt, ist nicht mehr bloß Schatten und leerer Schall, sondern ist bleibend, wird uns hinüber begleiten und vor aller Augen offenbar werden: die Räubereien, die Übervorteilungen, die Unzüchtigkeiten, die Ehebrüche, die tausend andere Untaten; all das besteht nicht nur im Bilde oder ist in Asche zerfallen, sondern Worte wie Werke sind im Jenseits aufgezeichnet. Wie entsetzt werden unsere Augen auf Christus blicken? Wenn jemand den Anblick seines Vaters nicht ertragen kann, wenn er sich einer Verfehlung gegen ihn bewußt ist, wie wird er dann dem ins Auge sehen können, der noch unendlich milder als ein Vater ist? Wie sollen wir das ertragen? Wir werden einst vor den Richterstuhl Christi hintreten müssen und die allerstrengste Prüfung bestehen. Wer etwa an das einstige Gericht nicht glaubt, der sehe hin auf die irdischen Verhältnisse, auf die Verurteilten in den Kerkern, in den Bergwerken, in den Kloaken, auf die Besessenen, die Wahnsinnigen, die unheilbaren Kranken. auf die Leute, die mit beständiger Armut ringen, die Hunger leiden müssen, die von unerträglichem Leid betroffen oder die gefangen sind. Sie würden jetzt nicht von solchen Leiden heimgesucht, wenn nicht auch aller anderen, die ähnliche Sünden begangen haben, Rache und Strafe harrte. Wenn die anderen hier solchen Heimsuchungen entgehen, so mußt du daraus den Schluß ziehen, dass es jedenfalls nach dem Tode etwas gibt. Denn da Gott mit allen gleich verfährt, könnte er nicht die einen strafen und die anderen, die gleiche oder noch schwerere Sünden begangen haben, straflos ausgehen lassen, wenn er ihnen nicht im Jenseits eine Strafe vorbehalten hätte. Auf Grund solcher Erwägungen und Beispiele wollen wir uns also demütigen, und die an das Gericht nicht glaubten, sollen fürder daran glauben und sich bessern, damit wir hienieden des Himmelreiches würdig leben, und dann den Lohn im Jenseits empfangen durch die Gnade und Güte unseres Herrn Jesus Christus, dessen Ehre währt in alle Ewigkeit.. Amen!





Siebenundsiebzigste Homilie. Kap.XXIV,V.32-51.

77 Mt 24,32-51
1.

V.32: "Vom Feigenbaum aber lernet das Gleichnis: Wenn bereits sein Zweig saftig wird und die Blätter hervorkommen, so wisseet ihr, dass der Sommer nahe ist; V.33: so auch ihr, wenn ihr dieses alles sehet, wisset, dass er nahe vor der Türe." 

   Da der Herr gesagt hatte: "Sofort nach der Bedrängnis jener Tage", suchten die Jünger zu erfahren, wann das wäre, und wünschten namentlich den Tag zu wissen, an welchem er eintreffen sollte. So erzählt er denn das Gleichnis vom Feigenbaum, um zu zeigen, dass keine lange Zeit verstreichen, sondern alles rasch hintereinander geschehen und dann seine Wiederkunft erfolgen werde. Das drückt er aber nicht allein durch das Gleichnis, sondern auch durch die darauffolgenden Worte aus: "Wisset, dass er nahe ist vor der Türe." Er weissagt aber auch noch etwas anderes, nämlich dass nach dem Sturme hienieden für die Gerechten ein geistiger Sommer und Friede, für die Sünder dagegen nach dem Sommer an jenem Tage der Winter eintreten wird. Letzteres liegt in den folgenden Worten, dass dieser Tag anbrecen wird, während sie sich der Schwelgerei hingeben. Durch das Gleichnis vom Feigenbaum wollte er aber nicht bloß den erwähnten Zeitpunkt kundtun das hätte er auch auf andere Weise ausdrücken können , sondern er wollte damit auch die Versicherung geben, dass seine Worte unbedingt in Erfüllung gehen werden. Mit derselben Notwendigkeit, wie das eine, werde auch das andere eintreten. Denn wo immer er das unbedingte Eintreffen bezeichnen will, bedient er sich des Hinweises auf Naturnotwendigkeiten; auch der hl. Paulus macht es so. Darum sagt der HJerr, als er von der ASuferstehung sprach: "Wenn nicht das Weizenkorn in die Ersde fällt und stirbt, so bleibt es alleion; wenn es aber stirbt, bringt es viele Frucht" (Jn 12,24-25). Dasselbe Beispiel bringt auch der hl.Paulus, wo er von der Auferstehung spricht:"Unverständiger! Was du säest, wird nicht belebt, wenn es nicht zuvor erstirbt" (1Co 15,36). Um aber zu verhindert, dass die Jünger sofort wieder auif die Frage nach dem "wann?" zurückkommen, erinnert er sie noch einmal an das Vorausgehende. V.34: "Wahrlich, ich sage euch, dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis dioeses alles geschioeht." 

   Was meint er mit dem: "Alles dieses"? Das Geschick Jerusalems, die Kriege, die Hungersnot, die Pest, die Erdbeben, die falschen Messiasse, die Pseudopropheten, die allgemeine Verbreitung des Evangeliums, die Aufstände, die Unruhen, kurz alle Ereignisse, die wir erwähnt haben und die bis zur Wiederkunft des Herrn eintreten werden. Wie konnte er aber dann sagen: "Dieses Geschlecht"? Er meint damit nicht die damals lebenden Menschen. sondern die Gläubigen. Geschlecht bedeutet ja nicht nur Menschen, die zeitlich, sondern auch jene, die religiös und bürgerlich zusammengehören; so wenn es heißt: "Das ist das Geschlecht derer, die Gott suchen" (Ps 23,6). Was er vorher gesagt hatte: "Alles muß geschehen", und: "Das Evangelium wird gepredigt werden", das deutet er auch jetzt an, indem er erklärt, alles das werde bestimmt eintreten, und das Geschlecht der Gläubigen werde fortbestehen, ohne durch eines der erwähnten Ereignisse vernichtet zu werden. Jerusalem wird zugrunde gehen, der größte Teil der Juden vertilgt werden, doch dieses Geschlecht wird alles überstehen: Hunger, Pest, Erdbeben, Kriegswirren, falsche Messiasse, Lügenpropheten, Betrüger, Verräter, Ärgernisse, falsche Brüder und alle sonstigen Prüfungen dieser Art. Hierauf sucht ert sie noch mehr im Glauben zu festigen und sagt: V.35: "Der Himmel und die Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen", d.h.alle diese festen und unerschütterlichen Himmelskörper werden eher zusammenbrechen, als dass eines meiner Worte unerfüllt bliebe. Und wer etwa Widerspruch erheben wollte, der prüfe das Gesagte, und wenn er findet, dass es wahr ist[617] , so lasse er sich durch die Vergangenheit zum Glauiben an die Zukunft führen, er untersuche alles aufs sorgfältigste, und er wird erkennen, dass die Erfüllung für die Wahrheit der Weissagung zeugt. 

   Die Elemente erwähnt der Herr, um seinerseits zu erkennen zu geben, dass die Kirche mehr wert ist als Himmel und Erde, anderseits um sich auch dadurch als Schöpfer des Alls hinzustellen. Da er nämlich vom Weltende ge sprochen hatte, einem Ereignis, an das viele nicht glaubten, beruft er sich auf die Elemente, um seine unaussprechliche Macht darzutun und mit besonderem Nachdruck hervorzuheben, dass er der Herr über alles ist; auf diese Weise will er seinen Worten selbst bei den ärgsten Zweiflern Glau ben verschaffen. V.36: "Über jenen Tag aber und die Stunde weiß niemand etwas, auch nicht die Engel des Himmels, und auch der SDohn niocht, nur der Vater allein." Durch seine Worte: "auch die Engel nicht" legt er den Jüngern Schweigen auf, damit sie nicht Dinge zu erfahren suchten, die selbst jene nicht wissen. Durch die Worte: "auch der Sohn nicht" weist er nicht nur eine Belehrung, sondern auch jede Frage ab. Dass dieses wirklich seine Ab sicht war, siehst du daraus, dass er sie nach der Auferstehung noch kräftiger zum Schweigen verwies, weil er bemerkt hatte, sie seien noch neugieriger geworden. Jetzt erwähnt er noch viele großartige Wunder; später sagt er einfach: "Nicht an euch ist es, Zeiten oder Augenblicke zu kennen" (Ac 1,7). Auf dass sie aber nicht entgegneten: Wir sind in Verlegenheit, wir sind zurückgesetzt, wir sind nicht einmal das wert, setzt er bei: "welche der Vater gesetzt hat in selbsteigener Gewalt". Es lag ihm nämlich sehr am Herzen, sie zu ehren und ihnen nichts zu verheimlichen. Deshalb schreibt er die Sache dem Vater zu, um ihnen so eine gewisse Scheu einzuflößen, und hält dadurch ihre Frage darüber hintan. Wäre dem nicht so, wüßte er es nicht, wann sollte er es dann erfahren? Etwa zugleich mit uns? Wer möchte so etwas behaupten? Den Vater kennt er ganz genau, so genau wie dieser den Sohn, und diesen Tag sollte er nicht wissen? Ferner, der Geist durchforscht auch die Tiefe der Gottheit, und er sollte die Zeit des Gerichtes nicht wissen? Er weiß, wie er zu richten hat, und kennt die Geheimnisse eines jeden; was aber viel unbedeutender ist, sollte er nicht wissen? Wenn "alles durch ihn geworden ist und ohne ihn nichts geworden ist" (Jn 1,3), wie sollte ihm jener Tag unbekannt sein? Denn wer die Ewigkeit gründet, hat offenbar auch die Zeiten gemacht, dann aber auch jenen Tag, und er sollte ihn nicht kennen, nachdem er ihn geschaffen?



2.

Ihr behauptet, seine Wesenheit zu kennen, und der Sohn, der im Schoße des Vaters ist, sollte jenen Tag nicht wissen? Und doch ist die Wesenheit weit erhabener, unendlich erhabener als die Tage. Euch selbst schreibet ihr das Größere zu, und dem Sohne wollt ihr nicht einmal das Geringere zugestehen, "in welchem doch alle Schätze der Weisheit und des Wissens verborgen sind"? (Col 2,3). Aber so sicher ihr nichts von der Wesenheit Gottes wisset, wenn ihr es auch tausendmal voll Wahnwitz behauptet, so sicher kennt der Sohn jenen Tag und weiß ihn ganz bestimmt. Daher konnte er alles angeben, die Zeit, die Umstände und bis zur Türe selbst hinführen[618] , den Tag aber offenbarte er nicht. Er sagt gleichsam: Fragst du mich nach Tag und Stunde, so wirst du von mir nichts erfahren; fragst du nach den Zeitverhältnissen und den Vorbereitungen dazu, so will ich dir alles genau erzählen, ohne etwas zu verheimlichen. Dass ich es wohl weiß, habe ich wiederholt bewiesen, durch Angabe der Zwischenräume und aller bevorstehenden Ereignisse und der Zeit, die zwischen heute und jenem Tage liegt[619] , und ich habe dich sogar bis an die Türe geführt. Wenn ich dir die Türe nicht öffne, so geschieht es, weil es so für dich gut ist. Auf dass es dir auch anderweitig klar werde, dass dieses Schweigen nicht auf Unwissenheit beruhte, so beachte, wie er den schon erwähnten Anzeichen noch ein anderes beifügte: V.38: "Wie sie in den Tagen Noes waren, aßen und tranken, zur Ehe nahmen und zur Ehe gaben, V.39: bis zu dem Tage, an welchem die Sündflut hereinbrach, und alle hinwegraffte, so wird auch die Wiederkunft des Menschensohnes sein. 

   In diesen Worten tat der Herr kund, wie schnell und unerwartet er kommen werde, zu einer Zeit, wo die meisten in Schwelgerei leben. Das gleiche betont auch Paulus, wenn er schreibt: "Wenn sie sagen: Friede und Sicherheit, alsdann entsteht ihnen urplötzlich Verderben", und um auf das Unerwartete hinzuweisen, fügt er bei: "wie die Geburtswehen einer Schwangeren" (1Th 5,3). Wie kann nun Christus sagen: "Nach der Trübsal jener Tage"? Wenn nach Pauli Worten zu dieser Zeit Schwelgerei, Friede und Sicherheit herrscht, wie darf er sprechen: "Nach der Bedrängnis jener Tage"? Wenn man in Schwelgerei lebt, wie kann dann von Bedrängnis die Rede sein? Schwelgerei und Friede wird nur bei den Gleichgültigen herrschen. Daher sagte auch Paulus nicht: Wenn Friede herrscht, sondern: "Wenn sie sagen: Friede und Sicherheit", um ihre Gleichgültigkeit anzudeuten, weil sie nämlich wie die Leute zur Zeit Noes bei so gewaltigem Elend schwelgen können. Die Gerechten waren nicht so, sie lebten in Bedrängnis und Trübsal. Damit weist er darauf hin, dass bei der Ankunft des Antichrists die Gottlosen und jene, die an ihrem eigenen Heile verzweifeln, ihre frevelhaften Lüste auf die Spitze treiben werden. Dann wird es Schwelgerei, Schmäuse und Zechgelage geben. Aus diesem Grunde hauptsächlich führt er ein für die Sachlage geeignetes Beispiel an. Wie nämlich während des Baues der Arche, so sagt er, die Menschen nicht glaubten, sondern ruhig sie ansahen und schwelgten, als sollte gar nichts Schlimmes eintreten, trotzdem sie vor ihren Augen entstand und auf das drohende Verderben hinwies, so wird es auch dann sein; der Antichrist wird erscheinen und dann wird das Weltende und darauf die Strafe und unerträgliche Pein folgen, die Menschen aber werden im Rausche ihrer Bosheit nicht einmal die nahenden Schrecken merken. Deshalb sagt Paulus: "Wie die Geburtswehen einer Schwangeren", so wird jener Schreck und Schmerz über sie kommen. Warum beruft sich aber der Herr nicht auf den Untergang Sodomas? Er wollte ein Beispiel anführen, das alle anging und trotz der Vorhersagung keinen Glauben fand. Da nämlich die Menge nicht an die Zukunft glaubte, wollte er durch den Hinweis auf die Vergangenheit ihr Gemüt erschüttern; durch seine bisherigen Reden zeigt er aber, dass er auch der Urheber der Vergangenheit ist. Darauf erwähnt der Herr wieder ein anderes Zeichen, um auf alle mögliche Weise darzutun, dass ihm der Tag[620] durchaus nicht unbekannt ist. Was für ein Zeichen ist das? V.40: "Dann werden zwei sein auf dem Felde: einer wird aufgenommen und einer wird zurückgelassen. V.41: Zwei Frauen mahlen in der Mühle, eine wird aufgenommen und eine wird zurückgelassen. V.42: Wachet demnach, weil ihr nicht wisset, zu welcher Stunde euer Herr kommt." 

   Mit all dem beweist er, dass er den Tag kennt, und hält doch die Jünger vom Fragen ab. Er sprach aber von den Tagen Noes und von den "zwei in einem Bette" (Lc 17,34), um anzuzeigen, dass er ganz unerwartet kommen wird, während man ganz sorglos dahinlebt. Ebenso ist das Beispiel von den zwei Frauen und der Mühle ein Hinweis auf die Sorglosigkeit der Menschen. Ferner sagt er, dass Knechte und Herren aufgenommen und zurückgelassen werden, Unbeschäftigte und Arbeiter, Menschen mit und ohne Rang, wie es im Alten Bunde heißt: "Von dem, der auf dem Throne sitzt, bis zu der Sklavin in der Mühle" (Ex 11,5).Da er nämlich gelehrt hatte, dass die Reichen nur schwer selig werden, zeigt er jetzt, dass auch sie nicht gänzlich zugrunde gehen, ebensowenig als alle Armen selig werden, sondern sowohl die einen wie die anderen werden teils gerettet werden, teils verloren gehen. Meines Ermessens gibt Christus auch zu verstehen, dass seine Wiederkunft bei Nacht stattfinden wird. Dasselbe sagt auch Lukas (Lc 17,34). Siehst du also, wie er alles genau weiß. Hierauf sucht er wieder einer Frage der Jünger vorzubeugen, indem er fortfährt: "Wachet also, denn ihr wisset nicht, zu welcher Stunde euer Herr kommt." Er sagte nicht: Ich weiß nicht, sondern: Ihr wisset nicht." Denn nachdem er sie fast vor die Stunde hingeführt und gestellt hat, schneidet er ihnen wieder die Frage ab, weil er will, dass sie jederzeit bereit sein sollen. Deshalb sagt er: "Wachet", um anzudeuten, dass er die Zeit aus diesem Grunde nicht mitgeteilt hatte. V.43: "Das aber bedenket; wenn der Hausvater wüßte, zu welcher Stunde der Dieb käme, so würde er wach bleiben und ließe nicht in sein Haus einbrechen. V.44: Deswegen seid auch ihr bereit, weil der Menschensohn zu einer Stunde kommen wird, zu welcher ihr es nicht vermutet." Darum befiehlt Jesus seinen Jüngern zu wachen und stets bereit zu sein, deshalb sagt er, wenn ihr es nicht gewärtiget, wird er kommen, weil er will, dass sie allezeit kampfbereit und in der Tugend beflissen seien. Er will sagen: Wüßten die Leute, wann sie sterben müssen, dann würden sie sicher zu jener Stunde Eifer zeigen.



3.

Damit sie nun nicht bloß an jenem Tage eifrig wären, sondern jederzeit, so offenbart er ihnen weder im allgemeinen noch im besonderen den Tag, weil er will, dass sie desselben immer gewärtig seien. Ebendarum hat er auch das Lebensende eines jeden einzelnen im Dunkel gelassen. Ferner legt er sich hier mit unverhüllter Offenheit wie nirgends sonst den Namen "Herr" bei. An dieser Stelle geißelt er, glaube ich, die Nachlässigen, dass sie nicht einmal so viel Eifer auf ihre Seele verwenden, wie Leute, die einen Dieb fürchten, auf ihr Geld. Diese treibt die Befürchtung zur Wachsamkeit, nichts aus ihrem Hause rauben zu lassen; ihr aber, will der Herr sagen, wisset, und zwar ganz gewiß, dass er kommen wird, und seid trotzdem nicht wachsam und bereit, nicht unvorbereitet von hier abgerufen zu werden. Daher wird jener Tag die Schlafenden zu ihrem Verderben überraschen. Wie der Hausvater sich hütete, wenn er wüßte[621] , so werdet auch ihr dem Unheil entgehen, wenn ihr gerüstet seid. Nachdem er vom Gericht gesprochen, wendet sich Jesus schließlich an die Lehrer und spricht von Strafe und Lohn. Hierbei handelt er zuerst von den Tugendhaften, dann von den Sündern und schließt seine Rede mit dem, was Furcht einflößen soll. Zuerst sagt er daher: V.45: "Wer ist also der getreue und kluge Knecht, welchen der Herr über sein Hausgesinde gesetzt hat, um ihnen zur rechten Zeit die Speise zu geben? V.46: Selig jener Knecht, welchen sein Herr, wenn er ankommt, also tun sieht. V.47: Wahrlich, ich sage euch, über alle seine Besitztümer wird er ihn setzen." 

   Sage mir doch, deuten auch diese Worte darauf hin, dass der Herr[622] nicht kenne? Denn wenn du dies aus den Worten herausliesest; "Auch der Sohn weiß es nicht", was sagst du dann dazu, wenn er spricht: "Wer ist demnach usw.?" Oder willst du behaupten, er wisse auch das nicht? Fort mit solchen Reden! Nicht einmal ein Wahnsinniger würde solche Torheiten sagen; ließe sich dort noch ein Grund dafür an führen, so ist es hier ganz ausgeschlossen. Als der Herr fragte: "Petrus, liebst du mich?" (Jn 21,15), oder als er fragte: "Wohin habt ihr ihn gelegt?" (Jn 11,34), geschah das aus Unwissenheit? Auch der Vater drückt sich ähnlich aus. So sprach er: "Adam, wo bist du?" (Gn 3,9), und: "Der Ruf Sodomas und Gomorrhas ist vielfach zu mir gedrungen. Ich will also hinabgehen und sehen, ob sie wirklich nach dem Rufe, welcher zu mir gekommen ist, getan haben; wenn nicht, damit ich es wisse" (Gn 18,20-21). An anderen Stellen wieder: "Ob sie etwas hören, ob sie etwas einsehen" (Ez 2,5 Ez 2,7). Und im Evangelium: "Vielleicht werden sie meinen Sohn achten" (Mt 21,37); lauter Reden, wie man sie braucht, wenn man etwas nicht weiß. Allein nicht aus Unwissenheit sprach er so, sondern um auf diese Weise seine Absicht zu erreichen: bei Adam, um ihn zur Anklage seiner Sünde zu bewegen, bei Sodoma, um uns zu unterweisen, dass wir nicht eher urteilen sollen, als bis wir den Tatbestand kennen, bei dem Propheten, um zu bewerkstelligen, dass die Einsichtslosen nicht glauben, die Weissagung habe den Ungehorsam mit Notwendigkeit herbeigeführt, in dem Gleichnisse des Evangeliums, um zu zeigen, dass sie wirklich den Sohn hätten achten sollen; an unserer Stelle endlich, um die Jünger einerseits von unnötigem Grübeln und Vorwitz abzuhalten, und anderseits darauf hinzuweisen, wie selten und schätzenswert ein solcher Fall sei. Siehe also, wie groß die Unwissenheit wäre, die in seinen Worten läge, wenn er nicht einmal wüßte, wen er eingesetzt hat. Preist er doch den Knecht selig mit den Worten: "Selig jener Knecht", ohne zu sagen, wer es ist. "Wer ist der, den der Herr gesetzt über sein Hausgesinde?" und: Selig jener Knecht, welchen sein Herr also tun sieht", heißt es. 

   Alles das gilt indessen nicht bloß von den Talenten, sondern auch vom Worte, von den Kräften, von den Charismen und von allen übernatürlichen Gaben, die einer empfangen hat. Ja, auch auf die weltlichen Machthaber ließe sich das Gleichnis anwenden. Jeder soll nämlich das, was er besitzt, sei es Weisheit oder Gewalt oder Reichtum oder sonst etwas, zum allgemeinen Wohle verwenden, nicht aber zum Nachteile seiner Mitmenschen oder zum eigenen Verderben. Deshalb verlangt der Herr von den Knechten zwei Dinge: Klugheit und Treue. Die Sünde hat nämlich ihre Quelle in der Einsichtslosigkeit. Treu heißt er ihn, weil er vom Eigentum des Herrn nichts veruntreut oder zweck und planlos verwendet hatte, und klug, weil er die anvertrauten Güter in gebührender Weise zu verwalten wußte. Beides ist ja auch notwendig, wir dürfen die Güter des Herrn nicht unterschlagen und sollen sorglich damit umgehen. Fehlt das eine, dann ist auch das andere mangelhaft. Denn wenn du auch treu bist und nicht stiehlst, wenn du aber verschwenderisch und nachlässig bist, so verdienst du großen Tadel; und wenn du zwar haushälterisch zu sein verstehst, dabei aber untreu bist, so ist auch das kein geringes Vergehen. Beherzigen auch wir es, wenn wir Vermögen besitzen. Die Lehren des Herrn gelten ja nicht bloß den Jüngern, sondern auch den Reichen. Beiden ist Reichtum anvertraut: den Lehrern der wichtigere, euch Reich der geringere. Wenn nun die Lehrer das Bedeutendere austeilen, wie groß muß dann eure Schuld sein, wenn ihr bei dem Geringfügigeren keine Hochherzigkeit, ja ich will nicht sagen Hochherzigkeit, nicht einmal Dankbarkeit bekunden wollt[623] ? Aber anstatt von der Strafe derer, welche dem zuwiderhandeln, lasset uns jetzt vom Lohne desjenigen sprechen, der recht handelt."Wahrlich, ich sage euch, über alle seine Güter wird er ihn setzen." Kann es eine Ehre geben, die dieser gleicht? Wer ist beredt genug, um die Würde, die Seligkeit des Menschen zu schildern, den der König des Himmels, der Herr des Alls über alle seine Güter setzten wird? Eben darum nannte er ihn auch klug, weil er es verstand, das Große über dem Kleinen nicht aus dem Auge zu verlieren, sondern durch Enthaltsamkeit hier auf Erden den Himmel zu gewinnen.



4.

Im folgenden macht es der Herr wie immer; Er unterweist den Zuhörer nicht allein über den Lohn, der den Guten bereitet ist, sondern auch über die Strafe, die den Bösen droht. Daher fuhr er fort: V.48: "Wenn aber der böse Knecht in seinem Herzen spricht; Es läßt mein Herr sich Zeit zum Kommen, V.49: und anfängt seine Mitknechte zu schlagen, dagegen mit den Säufern ißt und trinkt, V.50: da wird der Herr jenes Knechtes an einem Tage kommen, an welchem er es nicht vermutet, und zu einer Stunde, in welcher er es nicht weiß, V.51: und er wird ihn ausscheiden und ihm seinen Platz bei den Heuchlern anweisen. Dort wird Weinen und Zähneknirschen sein." Es könnte da jemand einwenden: Siehst du, welche Folgen es hatte, dass jener Tag unbekannt blieb? "Der Herr läßt sich Zeit", sagt der Knecht; dem möchte ich entgegnen: Nicht weil der Tag unbekannt war, handelte der Knecht so, sondern weil er selbst nichtsnutzig war. Warum kam denn der kluge und getreue Knecht nicht auf solche Gedanken? Wie, Elender, wenn der Herr auch säumt, erwartest du überhaupt, dass er kommt? weshalb kümmerst du dich dann nicht darum? Wir lernen also daraus, dass der Herr auch nicht säumt. Der böse Knecht meinte es bloß so, aber der Herr hatte dies nicht gesagt; daher auch seine Rüge. Dass er nicht säumt, magst du aus den Worten Pauli entnehmen: "Der Herr ist nahe; in nichts sei bekümmert" (Ph 4,56), und: "Der da kommen soll, wird kommen und nicht säumen" (He 10,37). Vernimm auch das Folgende und beachte, wie der Herr unablässig daran erinnert, dass der Tag unbekannt ist, um zu zeigen, dass es so den Knechten frommt und dazu beiträgt, sie aufzurütteln und anzuspornen. Wenn nun aber einzelne keinen Nutzen daraus ziehen? Nun, manche haben sich auch andere vorteilhafte Gelegenheiten nicht zu nutze gemacht; trotzdem tut der Herr immer wieder, was von ihm abhängt. Was sagt also im Folgenden? "Kommen wird er an einem Tage, an dem er es nicht erwartet, und zu einer Stunde, in der er es nicht weiß" und wird aufs strengste mit ihm verfahren. Siehst du, wie er bei jeder Gelegenheit betont, warum er sie über den Tag im Ungewissen läßt? Er will zeigen, dass es für sie so besser ist, auf dass sie jeder Zeit gerüstet seien. Denn daran liegt ihm gar so viel, dass wir stets wachsam seien; weil wir nämlich im Glücke erschlaffen, im Unglück niedergeschlagen werden, darum verkündet er überall, dass gerade dann Unheil über uns kommt, wenn wir uns gehen lassen. Wie er es vorher an dem Beispiele Noes zeigte, so weist er auch hier darauf hin und sagt: Während jener Knecht Gelage hält, während er Schläge austeilt, da ereilt ihn die namenlose Strafe. 

   Indessen, wir wollen nicht nur auf die Strafe achten, die den Knecht traf, sondern auch schauen, ob wir nicht etwa im geheimen ebenso handeln. So z.B. gleichen ihm jene Menschen, die Geld besitzen, aber den Bedürftigen nichts geben. Auch du bist ja nur Verwalter deines Geldes, nicht anders als ein Verwalter von Kirchenvermögen. Ein solcher hat nicht die Gewalt, eure Beisteuer für die Armen nach Willkür und Belieben zu verausgaben, ebenso darfst auch du mit deinem Vermögen nicht machen, was du willst. Magst du auch dein gesamtes Hab und Gut vom Vater geerbt haben und rechtmäßig besitzen, so ist dennoch alles Gottes Eigentum. Du verlangst ferner, dass man deine Beiträge sorgsam verwalte; meinst du, Gott werde es dulden, dass seine Gaben ohne Umstände verschleudert werden, und werde uns nicht vielmehr dafür um so strenger zur Rechenschaft ziehen? Ja, ganz gewiß! Eben deshalb hat er dir sein Vermögen überlassen, damit du den Armen zur rechten Zeit Nahrung gebest. Was heißt: zur rechten Zeit? Dann, wenn jemand bedürftig ist, wenn er hungert. Wie du nämlich deinem Mitknechte etwas zur Verwaltung gegeben hast, so verlangt auch der Herr von dir, dass du wirtschaftest, wie es sich gehört. Er hätte es dir nehmen können, aber er hat es dir gelassen, damit du einen Antrieb hättest, die Tugend zu üben, damit die gegenseitige Liebe mehr entfacht werde, wenn die einen in ihren Bedürfnissen auf die anderen angewiesen sind. Anstatt nun zu geben, was du empfangen hast, schlägst du auch noch andere. Wenn nun schon tadelnswert ist, wer nichts gibt, wie kann man auf Verzeihung rechnen, wenn man auch noch andere schlägt?






Kommentar zum Evangelium Mt 76