Kommentar zum Evangelium Mt 86

Sechsundachtzigste Homilie. Kap.XXVII,V.11-26.

86 Mt 27,11-26
1.

V.11: "Jesus aber stand vor dem Landpfleger, und es befragte ihn der Landpfleger und sagt: Bist Du der König der Juden? Jesus aber sprach zu ihm: Du sagst es. V.12: Und während er angeklagt wurde von den Hohenpriestern und den Ältesten, antwortete er nichts." 

   Siehst du, was Pilatus zuerst untersucht? Das, was die Jr allem, in allen Tonarten und immer wieder vorbrachten. Sie sahen wohl, dass sich Pilatus nichts aus ihrem Gesetze machte, deshalb legen sie Christo Vergehen gegen die öffentliche Ordnung zur Last. So machten sie es später auch mit den Aposteln, immer warfen sie ihnen vor, dass sie im Lande predigten, ein gewisser Jesus sei König, wobei sie von ihm wie von einem bloßen Menschen redeten und die Apostel in den Verdacht des Hochverrates brachten. Hieraus geht auch hervor, dass das Zerreißen des Gewandes und das Entsetzen nur Verstellung war. Sie verdrehten und verkehrten aber alles so, nur um ihn dem Tode zu überliefern. Darüber nun leitete Pilatus mit Christus ein Verhör ein. Wie antwortet da Christus? Er erwidert: "Du hast es gesagt" Er gesteht also zu, ein König zu sein, aber ein himmlischer König, was er nach einem anderen Evangelium noch klarer ausspricht, indem er Pilatus antwortete: "Mein Reich ist nicht von dieser Welt" (Jn 18,36), es sollten eben weder die Juden, noch der Landpfleger zu einer derartigen Beschuldigung einen Grund haben. Er fügt auch eine unwiderlegliche Erklärung bei: "Wenn ich von dieser Welt wäre, würden die Meinigen für mich kämpfen, damit ich nicht überliefert würde" (Jn 18,36). Um also diesen Verdacht von sich fernzuhalten, zahlte er Steuer, gebot, dass andere sie auch entrichten sollten, und zog sich zurück, als man ihn zum König machen wollte. 

   Warum aber, fragst du, berief er sich jetzt nicht auf diese Tatsachen, wo er doch des Hochverrates angeklagt wurde? Weil sie trotz zahlloser tatsächlicher Beweise seiner Macht, seiner Milde und Sanftmut absichtlich blind und böse waren, und weil das Gericht voreingenommen war. Daher gibt er auch keinerlei Bescheid, sondern schweigt, und wenn er auf die Beschwörung des Hohenpriesters und auf die Frage des Landpflegers kurz antwortet, so geschieht es nur, um nicht durch beharrliches Schweigen den Schein des Trotzes zu erwecken. Auf ihre ferneren Beschuldigungen entgegnet er dann nichts mehr, da er ja auch nicht erwarten konnte, sie zu überzeugen. So hatte es schon der Prophet zum voraus angedeutet: "In seiner Erniedrigung ward sein Gericht hinweggenommen" (Is 53,8). Über ein solches Verhalten wunderte sich der Landpfleger. Und es war auch zum Staunen, wenn man sah, wie große Sanftmut der Herr bezeigte und dass er schwieg, obwohl er so viel hätte sagen können. Sie beschuldigten ihn ja nicht, weil sie etwas Schlechtes von ihm wußten, sondern bloß aus Neid und Haß. Denn als die falschen Zeugen, die sie vorgeladen hatten, nichts auszusagen wußten, weshalb machten sie da noch weiter, und weshalb ließen sie nicht ab, als sie sahen, dass Judas tot war und Pilatus seine Hände wusch? Außerdem hatte Christus während dieser Zeit noch vieles getan, was sie hätten ernüchtern sollen: aber nichts war imstande, sie zu bessern. Was sagte darauf Pilatus? V.13: "Hörst Du nicht, welch schwere Dinge die wider Dich bezeugen?" 

   Er wollte, dass Jesus sich verteidige, um ihn dann freisprechen zu können. Deshalb richtete er diese Frage an ihn, und als Jesus keine Antwort gab, macht er einen anderen Versuch. Welchen denn? Es war Gepflogenheit der Juden, einen zum Tode Verurteilten freizulassen, und daraufhin versuchte es Pilatus, die Wahl auf ihn zu lenken. Er sagte gleichsam: Wenn ihr nicht wollet, dass er als unschuldig freigegeben wird, so nehmet ihn als begnadigten Missetäter zum Feste hin. Siehst du, wie die Ordnung auf den Kopf gestellt ist? Die Bitte um Freigabe eines Verurteil ten war gewöhnlich Sache des Volkes, das Freilassen Sache des Statthalters; jetzt aber geschieht das Umgekehrte, der Landpfleger bittet das Volk. Indes, auch das stimmt sie nicht milder, sie werden nur noch grausamer und schreien wie rasend vor leidenschaftlichem Neide. Sie hatten trotz seines Schweigens keine Anschuldigung gegen ihn durchsetzen können, sondern wurden zuschanden wegen seiner übergroßen Gerechtigkeit, und er trug den Sieg davon durch sein Schweigen, obgleich sie alles mögliche aussagten und sich wie rasend gebärdeten. V.19; "Während er aber auf dem Richterstuhle saß, schickte sein Weib zu ihn und ließ ihm sagen: Mache dir nichts zu tun mit diesem Gerechten! Denn viel habe ich heute im Traume gelitten seinetwegen." 

   Siehe, wieder ein Ereignis, das sie alle hätten zurückhalten sollen! Nach dem, was bisher die Geschichte gezeigt hatte, war auch der Traum nicht ohne Bedeutung. Weshalb hat nicht Pilatus den Traum gehabt? Entweder war seine Frau es mehr wert, oder er hätte vielleicht im Gegensatz zu ihr nichts darauf gegeben oder hätte nichts davon gesagt. Darum fügt es Gott, dass sie den Traum hatte, damit er so zur allgemeinen Kenntnis komme. Sie hatte indessen nicht einen einfachen Traum, sondern mußte auch viel leiden, damit der Mann aus Mitleid mit seinem Weibe nicht so rasch in den Tod Jesu willigte. Auch der Zeitpunkt war nicht ohne Bedeutung, da sie das Gesicht gerade in dieser Nacht gehabt hatte. Aber, sagt man, er fand es eben nicht für sicher, ihn freizulassen, da sie ihn beschuldigten, er habe sich zum König aufwerfen wollen. Er brauchte nur Beweise und Belege und sonstige Zeugnisse für den Hochverrat zu verlangen, z.B. ob Christus Heere sammle, Geld aufbringe, Waffen schmieden oder dergl. in Angriff nehmen lasse. Weil er sich aber ohne weiteres mit fortreißen läßt, verschont ihn auch Christus nicht mit dem Vorwurfe, der in den Worten liegt: "Der, welcher mich dir überantwortet hat, hat eine größere Sünde" (Jn 19,11). Es war Feigheit, dass Pilatus nachgab, ihn geißeln ließ und auslieferte. Er war also kein Mann, sondern ein Feigling, während die Hohenpriester Bösewichter und Missetäter waren. Als er nun in der Sitte, einen Verurteilten zum Osterfeste freizugeben, einen Ausweg gefunden hatte, was ersinnen da die Hohenpriester dagegen? V.20: "Sie überredeten die Scharen, dass sie Barbaras freibitten sollten."



2.

Merkst du, wie Jesus alle Sorgfalt aufwendet, um sie vor der Schuld zu bewahren, sie hingegen allen Eifer, um sich auch nicht den Schatten einer Entschuldigung übrigzulassen? Was hätte sich den gehört? Den Überführten freizulassen, oder den, der noch in Untersuchung stand? Wenn schon ein Geständiger loszulassen war, um so eher ein zweifelhafter Verbrecher. Sie konnten doch am Ende nicht glauben, dass der Herr schlimmer sei als ein geständiger Mörder. Darum sagte der Evangelist auch nicht einfach: Sie hatten einen Räuber, sondern "einen berüchtigten", d.h. einen, der wegen seiner Schlechtigkeit verrufen war, der unzählige Mord taten verübt hatte. Dessenungeachtet zogen sie ihn dem Erlöser der Welt vor ohne Scheu vor der heiligen Zeit oder den Grundsätzen der Menschlichkeit oder sonst einer ähnlichen Rücksicht; sie waren nun einmal vor Neid völlig verblendet. Und nicht genug, dass sie selbst böse sind, sie verhetzen auch noch das Volk und ziehen sich durch dessen Verführung ebenfalls die äußerste Strafe zu. Da sie also den Räuber forderten, fragte Pilatus: V.22: "Was soll ich dann mit Christus tun?" Dadurch, dass er ihnen die Wahl freigibt, macht er noch einen Versuch, sie zu bewegen, dass sie, wenn auch beschämt, Christum forderten. Es sollte alles auf ihr Ehrgefühl ankommen. Hätte er gesagt: Er hat nichts verbrochen, so hätte er ihre Hartnäckigkeit gesteigert; da er aber seine Rettung für eine Forderung der Menschlichkeit erklärt, gibt er seiner Beredsamkeit und seinem Ansinnen eine Kraft, der man nicht widerstehen kann. Aber trotzdem rufen sie: "Kreuzige ihn. V.23: Pilatus aber sprach: Was hat er denn Böses getan? Sie jedoch schrieen nur um so lauter: Gekreuzigt soll er werden! V.24: Als aber Pilatus sah, dass er nichts ausrichte, wusch er sich die Hände und sagte: Ich bin unschuldig." 

   Warum überlieferst du ihn dann aber? Warum hast du ihn nicht gerettet, wie der Hauptmann den Paulus? (Ac 24,7). Auch der wußte, dass er den Juden einen Gefallen erwiese; es entstand deswegen auch Aufruhr und Lärm; aber er blieb trotz all dem fest. Pilatus handelte nicht so, sondern äußerst unmännlich und feig, und alle entehrten sich in gleicher Weise. Er widerstand dem Volke nicht, das Volk nicht den Hohenpriestern[652] Und so hatte niemand eine Entschuldigung. Auch heißt es: "überlaut schrieen sie", d.h. immer noch heftiger riefen sie: "Gekreuzigt soll er werden." Sie wollten ihn nicht allein hinrichten, sondern als Verbrecher hinrichten, und obgleich der Richter dagegen war, so riefen sie doch unaufhörlich dasselbe. Siehst du da, wieviel Versuche Christus gemacht hat, um sie zu gewinnen? Wie er nämlich oft den Judas umzustimmen suchte, so wollte er auch die Juden aufrütteln, schon während der ganzen Zeit seiner Lehrtätigkeit und dann auch jetzt während der Gerichtsverhandlung. Als sie nun sahen, dass der Statthalter und Richter sich wusch und sagte: "Schuldlos bin ich an seinem Blute", da hätten sie durch seine Worte und durch seine Handlung erschüttert werden sollen, wie auch durch den Selbstmord des Judas und durch die Aufforderung des Pilatus, den anderen an seiner Statt zu wählen. Wenn der Ankläger und Verräter sich selbst verdammt, wenn der Richter die Schuld von sich wälzt, wenn ein so auffallender Traum seinetwegen eintritt, wenn Pilatus ihn, als Verurteilten, losfordert, wie wollen sich die Juden noch verteidigen? Wenn sie schon nicht schuldlos sein wollten, so brauchten sie ihm doch nicht einen Räuber vor zuziehen, der geständig und sehr berüchtigt war. Was tun sie also darauf? Als sie den Richter seine Hände waschen sahen mit den Worten: "Ich bin schuldlos", da schrieben sie: V.25: "Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder." 

   Erst dann, als sie das Urteil gegen sich selbst gesprochen, ließ Pilatus der Sache ihren Lauf. Beachte auch hier, wie groß der Juden Wahnsinn ist. So weit bringt es die Leidenschaft und böse Begierde, dass man nicht mehr einsieht, was recht ist. Sei es darum, fluchet euch selbst; warum zieht ihr aber auch eure Kinder mit in den Fluch hinein? Trotzdem sie aber in solcher Wut gegen sich und ihre Kinder verfallen waren, ließ der Herr in seiner Liebe ihr Urteil, nicht allein soweit es die Kinder, sondern auch soweit es sie selbst betraf, nicht in Erfüllung gehen. Er nahm die einen wie die anderen, wenn sie sich bekehrten, gnädig auf und überhaufte sie mit Wohltaten. Zu ihnen gehörte Paulus, zu ihnen die Tausende, die in Jerusalem gläubig geworden waren. "Du nimmst wahr, Bruder", heißt es, "wieviel Tausende unter den Juden sind, die gläubig geworden" (Ac 21,20). Wenn manche hartnäckig blieben, so müssen sie sich selbst die verdiente Strafe zuschreiben. V.26: "Dann gab er ihnen den Barbaras frei, Jesum aber, welcher gegeißelt worden, überantwortete er ihnen, damit er gekreuzigt würde." Warum hatte er Jesus geißeln lassen? Entweder um auszudrücken, dass er verurteilt sei, oder um dem Gerichte einen Schein von Berechtigung zu geben, oder um den Juden gefällig zu sein. Es wäre aber seine Pflicht gewesen, sich zu weigern. Hatte er doch zuvor gesagt: "Nehmet ihr ihn und richtet ihn nach eurem Gesetze" (Jn 18,31).Es gab auch viele Gründe, die ihn und die Juden hätten umstimmen können: seine Zeichen und Wunder, die große Langmut, mit der er alles litt, und namentlich sein staunenswertes Schweigen. Hatte er durch seine Verteidigung und durch seine Gebete seine menschliche Natur gezeigt, so offenbarte er wieder seine Erhabenheit und übermenschliche Natur durch sein Schweigen und seine Geringschätzung gegenüber ihren Reden, um sie auf alle mögliche Weise zu seiner Bewunderung zu bewegen. Allein nichts machte auf sie Eindruck.



3.

Sobald einmal die Überlegung wie in einer Trunkenheit oder unbegreiflichen Raserei befangen ist, kann sich die niedergeschmetterte Seele, wenn sie nicht ganz stark ist, nur schwer wieder aufraffen. Schrecklich ist es, ja schrecklich, wenn man diesen bösen Leidenschaften Raum gibt. Deshalb muß man ihnen auf alle mögliche Weise den Zutritt verwehren und verschließen. Haben sie die Seele befallen und überwältigt, dann entfachen sie eine so lodernde Flamme, wie wenn Feuer das Holz ergreift. Ich beschwöre euch daher, nichts unversucht zu lassen, um ihnen den Eintritt zu versperren; beschwichtigt euch nicht mit dem gefährlichen Gedanken, der jeglicher Schlechtigkeit Tür und Tor öffnet. Was liegt an dem, was liegt an jenem? Daraus entsteht unendliches Unheil. Der Teufel ist gar niederträchtig, heimtückisch und eifrig, und läßt sich auf alles ein, um die Menschen zu verderben; kein Anlaß ist ihm zu geringfügig, um uns anzufechten. Siehe nur, er wollte Saul bewegen, auf die Faseleien einer Wahrsagerin zu hören. Hätte er ihm das aber von Anfang eingeflüstert, so hätte er nichts ausgerichtet. Wie wäre es auch möglich gewesen, da ja Saul die Wahrsagerinnen vertrieb? So bringt er ihn denn langsam und allmählich dazu. Da er wegen seines Ungehorsams gegen Samuel, in dessen Abwesenheit er die Opfer dargebracht hatte, getadelt wurde, erwiderte er: "Die Not war dringender wegen der Feinde" (1R 28,15). Wo er hätte weinen sollen, tut er, als ob nichts geschehen wäre. Später trug ihm Gott den Feldzug gegen die Amalekiter auf, und auch da ließ er sich Fehler zuschulden kommen. Dann begann er all seine Ungerechtigkeiten gegen David, und so sank er still und allmählich immer tiefer, unaufhaltsam, bis er sich selbst in den Abgrund des Verderbens gestürzt hatte. So ging der Teufel auch bei Kain zu Werke. Er trieb ihn nicht sogleich zum Brudermord an, dazu hätte er ihn nicht überredet, sondern zuerst verleitete er ihn, beim Opfer Minderwertiges darzubringen, als wäre das keine Sünde; dann entfachte er Neid und Eifersucht in ihm und flüstert ihm ein, auch daran sei nichts gelegen; endlich verführte er ihn zum Morde und zur Leugnung der Tat. Er ruhte also nicht eher, als bis er seine böse Absicht erreicht hatte. 

   Man soll daher gleich die ersten Versuchungen zurückweisen. Selbst wenn es bei den ersten Sünden bliebe, so dürfte man doch die ersten Fehler nicht geringschätzen; nun aber geht der böse Geist zu Größerem über, sobald man sie vernachlässigt. Deshalb muß man alle Mittel ergreifen, um die erste Sünde hintanzuhalten. Man darf also nicht darauf sehen, dass ein Fehler in sich unbedeutend ist, sondern dass er, wenn man ihn gering schätzt, die Ursache großer Sünden werden kann. Ja, wie befremdlich es auch klingen mag, so behaupte ich doch, man brauche sich nicht so sorglich vor den großen, als vor den kleinen und geringfügigen Sünden in acht zu nehmen. Bei jenen ist schon die Natur der Sünde geeignet abzustoßen, während die kleinen, ebendarum, weil sie klein sind, zur Gleichgültigkeit verleiten und eine ernstliche Anstrengung, sie zu meiden, nicht leicht aufkommen lassen. Daher kommt es, dass sie infolge unserer Untätigkeit bald groß werden, eine Erfahrung, die man auch bei leiblichen Übeln machen kann. Auf diesem Wege wurde auch bei Judas die böse Tat geboren. Wäre ihm das Stehlen der Armengelder nicht als eine Kleinigkeit vorgekommen, so hätte er sich kaum zu dem schändlichen Verrate hinreißen lassen. Hätten es die Juden nicht für etwas Geringfügiges gehalten, dass sie von Eifersucht erfaßt wurden, sie würden nicht so weit gegangen sein, Christum zu töten. Überhaupt kann man beobachten, dass alles Böse aus dieser Ursache hervorgeht. Niemand wird augenblicklich und mit einem Male zur Schlechtigkeit getrieben. Es liegt eben tatsächlich in unserer Seele ein gewisses Schamgefühl und eine Ehrfurcht vor dem Guten, so dass sie nicht plötzlich so schamlos werden kann, alles mit einem Male wegzuwerfen, sondern sie geht, wenn sie lau wird, langsam und allmählich dem Verderben entgegen. So kam auch der Götzendienst auf, indem man die Menschen über Gebühr ehrte, lebende und gestorbene; so kam es, dass man Bilder anbetete, ebenso, dass die Unzucht einriß, und so war es bei allem Bösen. Gib nur einmal acht! Da hat jemand in unschicklicher Weise gelacht, der eine macht ihm deswegen Vorwürfe, der aber weist die Warnung zurück und sagt: Da ist doch weiter nichts dabei. Darf man denn nicht lachen? Was liegt denn daran? So ergeben sich Neckereien, dann Zoten, schließlich eine schändliche Tat. Ein anderer wird gerügt, weil er den Nächsten verleumdet, geschmäht, schlecht über ihn redet; er setzt sich darüber hin weg mit der Bemerkung: Die üble Nachrede hat nichts auf sich. Die Folge davon ist bitterer Haß, unversöhnliche Feindschaft, endlose Schmähreden, von Schmähungen geht man zu Schlägereien über und von Schlägereien oft zum Totschlag.



4.

Also verführt der böse Feind erst zu Kleinem, dann zu Großem, und nach großen Sünden zur Verzweiflung, wob ei er einen neuen, nicht minder schlimmen Kunstgriff als zuvor anwendet. Denn nicht so sehr das Sündigen ist es, das ins Unheil stürzt, als vielmehr das Verzweifeln. Wer nach einem Fehler auf der Hut ist und bald Buße tut. macht das Geschehene wie der gut; wer hingegen den Mut sinken läßt und sich nicht bekehrt, der bringt sich um die Möglichkeit seine Tat wieder gut zu machen. weil er die Heilmittel der Reue nicht anwendet. Noch einer dritten, besonders schlimmen List bedient sich der Teufel, Indem er der Sünde den Mantel der Frömmigkeit umhängt. Woher nimmt aber der Teufel die Macht, dass er in seiner Täuschung so weit gehen kann? Höre und hüte dich vor seinen Trugschlüssen. Christus hat durch Paulus angeordnet, dass sich das Weib vom Manne nicht trennen darf, dass sie sich einander nicht entzieh en sollen, außer mit gegenseitiger Einwilligung (1Co 7,5). Da haben nun manche Frauen aus Liebe zur Enthaltsamkeit ihre Männer verlassen in der Meinung ein frommes Werk zu tun, haben aber die Männer damit zum Ehebruch getrieben. Bedenke nur, was das für ein gewaltiges Übel ist, eine solche Schuld auf sich zu nehmen, und zuletzt als große Verbrecherinnengerügt zu werden und die schwersten Strafen zu büßen und ihre Angehörigen in den Abgrund des Verderbens zu stürzen? Andere wieder enthalten sich dem Fasten zuliebe ganz von Speisen und kommen nach und nach so weit, dass sie die Nahrung ganz verabscheuen, wodurch auch sie sich die schwersten Strafen zuziehen. Der Grund dafür liegt darin, dass man die eigenen Meinungen über die Satzungen der Hl. Schrift stellt. So hatten auch bei den Korinthern einige geglaubt, es sei Vollkommenheit, alles, auch das Verbotene, ohne Unterschied zu genießen; indessen nicht Vollkommenheit war es, sondern der ärgste Frevel gegen das Gesetz. Daher tadelte sie auch Paulus scharf und sprach sie der schwersten Strafen schuldig. Andere hielten es für Frömmigkeit, wenn sie sich das Haar wachsen ließen. Auch das war untersagt als ein Zeichen großer Schamlosigkeit. Andere wieder erklär ten es für etwas Gutes, unmäßig dem Schmerze über die Sünden nachzuhängen. Aber auch das ist eine teuflische List. Beweis dafür ist Judas, denn das war der Grund, warum er sich erhängte. Daher forderte Paulus, aus Besorgnis, dem Unzüchtigen möchte es ähnlich ergehen, die Korinther auf, ihn bald diesem Zustande zu entreißen: "Damit der so Geartete nicht in übermäßiger Trauer verschlungen werde" (2Co 2,7). Dann zeigt er noch, dass ein solcher Zustand eine List des Teufels ist: "Damit wir nicht übervorteilt würden vom Satan, denn seine Absichten sind uns nicht unbekannt" (2Co 2,11), dass er nämlich bei den Versuchungen mit großer Tücke vorgeht. 

   Wenn er frei und offen uns anfeindete, wäre der Sieg leicht und bequem; aber auch jetzt wird dies der Fall sein, wenn wir nur auf der Hut sind. Gott hat uns ja gegen alle seine Schliche gewappnet. Um dich zu überzeugen, dass man das Kleine nicht verachten dürfe, ermahnt er dich: "Wer zu seinem Bruder gesagt hat: Tor! wird der Gehenna verfallen sein", und: "Wer mit begehrlichen Augen ein Weib ansieht, hat die Ehe mit ihr gebrochen" (Mt 5,22 Mt 5,28). Er spricht Wehe über die Lachenden, sucht überall die Anfänge und Keime des Bösen zu beseitigen, und erklärt, dass man auch über jedes müßige Wort Rechenschaft geben muß. Deshalb wachte Job sogar über die Gedanken seiner Kinder. Über das Verzweifeln heißt es: "Wer fällt, steht der nicht wieder auf? kehrt sich nicht wieder her, wer sich gewandt?" (Jr 8,4), desgleichen: "Ich will nicht den Tod des Sünders, sondern dass er sich bekehre und lebe" (Ez 18,23), und: "Heute, wenn ihr seine Stimme höret usw." (Ps 94,8). Andere ähnliche Sprüche und Beisspiele bietet die Schrift in Hülle und Fülle. Dass man sich aber hüten soll, sich unter dem Scheine der Frömmigkeit zugrunde zu richten, lehrt Paulus, wenn er sagt: "Damit er nicht durch das Übermaß der Trauer verschlungen werde" (2Co 2,7). 

   Da wir nun das wissen, wollen wir alle Tore, durch welche die Lässigen auf Abwege geraten, mit der Weisheit aus der Schrift verrammeln. Sage nicht etwa: Was hat es auf sich, wenn ich ein schönes Weib vorwitzig anblicke? Wenn du im Herzen die Ehe brichst, wirst du es bald auch äußerlich wagen. Sage nicht: Was liegt daran, wenn ich diesem Armen nichts gebe? Wenn du diesen übergehst, wirst du auch einen zweiten übersehen, wenn jenen, dann auch einen dritten. Sage ferner nicht: Was macht es, wenn ich das Eigentum des Nächsten begehre? Gerade das war ja schuld, dass Achab fiel. Freilich bezahlte er den Preis, aber doch wider Willen des Besitzers; nicht durch Gewalt, sondern in Güte muß man Käufe abschließen. Wenn nun den, der den gebührenden Preis bezahlte, eine solche Strafe traf, weil er den Besitzer zum Verkaufe zwang, welche Strafe wird man erst verdienen, wenn man das nicht tut, sondern den Besitzer beraubt, noch dazu jetzt, wo man unter dem Gesetze der Gnade lebt. Um also der Strafe zu entgehen, hüten wir uns vor Gewalt und Raub jeder Art; meiden wir nicht nur die Sünden, sondern auch, was dazu führt, und lassen wir uns dagegen die Tugend eifrigst angelegen sein. So werden wir den ewigen Lohn erhalten durch die Gnade und Güte unseres Herrn Jesus Christus, dem Ehre gebührt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen!





Siebenundachtzigste Homilie. Kap.XXVII,V.27-44.

87 Mt 27,27-44
1.

V.27: "Da nahmen die Soldaten des Landpflegers Jesum hinein in das Gerichtshaus und versammelten um ihn die ganze Truppe, V.28: und sie zogen ihn aus und legten ihm einen Scharlachmantel um, V.29: und sie flochten eine Krone aus Dornen und setzten sie auf sein Haupt, und gaben ein Rohr in seine Rechte. Und sie beugten das Knie vor ihm, höhnten ihn und sagten: Sei gegrüßt, König der Juden." 

   Wie auf Vereinbarung hin boten damals alle dem Teufel Gelegenheit zum Frohlocken. Es begreift sich noch, dass die Juden vor Neid und Scheelsucht vergingen und deshalb gegen den Herrn tobten, aber woher, aus welcher Ursache taten es auch die Soldaten? Ist es nicht klar, dass der Teufel damals in all diesen Menschen wütete? Sie machten sich in ihrer Grausamkeit und Roheit eine Freude aus der Mißhandlung des Herrn. Wo sie hätten niedergeschlagen sein und weinen sollen, wie es ja auch das Volk tat, da tun sie gerade das Gegenteil, sie mißhandeln und treten ihn, vielleicht auch um den Juden einen Gefallen zu leisten oder um ihrer eigenen Bosheit die Zügel schießen zu lassen. Die Mißhandlungen sind von der verschiedenste Art. Bald schlagen sie das göttliche Haupt mit Fäusten, bald verhöhnen sie es durch die Dornenkrone, bald hauen sie mit dem Rohr darauf, diese elenden, verruchten Menschen. Nachdem aber Christus solche Mißhandlungen erduldet hat, sollen wir uns da noch etwas daraus machen, wenn es uns ebenso geht? Es wurde ja auch das Äußerste geleistet an Hohn. Nicht etwa nur ein Glied, nein, der ganze Leib ohne Ausnahme wurde mißhandelt, das Haupt durch die Krone, durch die Schläge mit dem Rohr und mit Fäusten, das Antlitz durch Anspeien, die Wangen durch Streiche, der ganze Leib durch die Geißelung, durch das Bekleiden mit dem Mantel und die spöttische Anbetung, die Hand durch das Rohr, das man ihm als Szepter gegeben hatte, der Mund durch das Darreichen des Essigs. Gibt es noch etwas Abscheulicheres, etwas Schimpflicheres? Was da geschah, spottet jeder Beschreibung. Alles betreiben sie so, als fürchteten sie, es könnte etwas an der Untat fehlen. Die Propheten hatten sie mit eigenen Händen um gebracht, Christum töten sie durch das Urteil des Richters, und sie werden Mörder, indem sie ihn verurteilen und vor ihrem eigenen Gericht, wie auch bei Pilatus schuldig sprechen und sagen: "Sein Blut komme über uns und unsere Kinder."Sie mißhandeln und beschimpfen ihn selbst, indem sie ihn fesseln und fortführen, und sind auch schuld, dass ihn die Soldaten verhöhnen; dann nageln sie ihn an, schmähen und bespeien ihn und treiben ihren Spott mit ihm. Dazu hat Pilatus gar nichts beigetragen, sondern alles haben sie allein getan, sie sind alles zugleich geworden: Ankläger, Richter und Henker. 

   Und das wird bei uns in voller Versammlung vorgelesen. Damit nämlich die Heiden uns nicht vorwerfen können, wir teilten dem Volke und den Laien nur das Glänzende und Herrliche im Leben Jesus mit, wie die Zeichen und Wunder, das Schmachvolle aber verhehlten wir, deshalb hat der Hl. Geist in seiner Gnade es so eingerichtet, dass alle diese Begebenheiten verlesen werden, wenn sich an dem Hochfeste Männer und Frauen in großer Zahl, und überhaupt alle ohne Ausnahme am großen Osterabend versammeln; wenn alle Welt zugegen ist, dann wird es mit lauter Stimme verkündet. Und trotzdem es verlesen wird, obschon alle wissen, glaubt man doch, dass Christus Gott ist. Unter anderem ist auch das ein Grund, ihn anzubeten, weil er sich würdigte, um unseretwillen sich so weit zu erniedrigen, dass er solches litt und uns in jeglicher Tugend unterwies. Wir sollen mithin seine Leidensgeschichte fleißig lesen und wir werden reichen Nutzen und den größten Vorteil daraus ziehen. Wenn du nämlich siehst, wie er durch Gebärden und Tätlichkeiten verspottet, mit so viel Hohn angebetet, ins Gesicht geschlagen und das Fürchterlichste leidet, wirst du, und wärest du auch ein Stein, doch weich werden wie Wachs und alle Hoffart aus der Seele wegschaffen. Vernimm also auch noch, was folgt. Und als sie ihn verspottet hatten, V.31: "führten sie ihn fort, um ihn zu kreuzigen", und sie zogen ihm die Kleider aus und nahmen sie für sich; dann setzten sie sich nieder, um zu warten, bis er stürbe. Sie verteilten seine Kleider, wie es bei ganz gemeinen und verworfenen Verbrechern geschieht, die niemanden haben und ganz verlassen sind. Sie verteilten seine Kleider, durch die so große Wunder geschehen waren. Aber jetzt wirken sie nichts, da Christus ihre geheimnisvolle Kraft zurückhielt. Auch in diesem Vorgange lag eine weitere nicht geringe Beschimpfung. Alle Schandtaten verübten sie an ihm, als wäre er, wie gesagt, ein ehrloser und verworfener, ja der allergemeinste Mensch. Mit den zwei Räubern gingen sie nicht so um; gegen Christus erlaubten sie sich alles. Deshalb stellten sie auch sein Kreuz zwischen beiden auf, damit ihre Verruchtheit auch auf ihn falle. V.34: "Und sie gaben ihm Essig zu trinken", um ihn auch damit zu verhöhnen; er mochte ihn jedoch nicht. Ein anderer Evangelist berichtet, er habe gekostet und dann gesagt: "Es ist vollbracht" (Jn 19,30). Was bedeutet das: "Es ist vollbracht"? Das heißt, die Prophezeiung über ihn ist in Erfüllung gegangen: "Sie gaben in meine Speise Galle und in meinem Durste tränkten sie mich mit Essig" (Ps 68,22). Aber auch da wird nicht gesagt, er habe getrunken; denn es ist kein Unterschied zwischen dem bloßen Kosten und nicht Trinken, es bedeutet ein und dasselbe. Aber auch hierbei bleiben sie bei ihrem Taumel nicht stehen. Nachdem sie den Herrn entkleidet, gekreuzigt und ihm Essig angeboten, gehen sie weiter: sie schmähen ihn, während er am Kreuze angenagelt hängt, ebenso tun auch die Vorübergehenden. Das war weil er ein Betrüger und Verführer, ein Prahler und eitler Großsprecher sei. Deshalb hatten sie ihn auch öffentlich gekreuzigt, um ihn in den Augen aller Welt bloßzustellen; deshalb hatte es auch durch die Hände oder Soldaten geschehen müssen, damit die Schmach um so größer sei, da ja dies alles an einem öffentlichen Gerichtshof vor sich ging.



2.

Indessen, wen hätte die Menge, die ihm unter Tränen folgte, nicht rühren müssen? Nur diese Vertierten nicht. So würdigt der Herr die einen einer Anrede, die anderen nicht. Nachdem sie alles nach Herzenswunsch getan, suchen sie auch sein Ansehen herabzuwürdigen, weil sie fürchteten, er könnte wieder auferstehen. Darum führen sie ihre Reden öffentlich vor allem Volke, kreuzigen Räuber mit ihm und sagen, um ihn als Betrüger hinzustellen: V.40: "Der Du den Tempel niederreißen und binnen drei Tagen wieder aufbauest, steige herab vom Kreuze." Bei Pilatus richteten sie nämlich nichts aus, als sie ihn baten, die Begründung des Urteils zu entfernen, die da lautete: "Der König der Juden"; im Gegenteil, er bestand darauf mit den Worten: "Was ich geschrieben habe, bleibt geschrieben"; deshalb versuchten sie selbst durch ihre Verhöhnung zu zeigen, dass Christus kein König sei. Daher sagten sie außerdem noch: V.42: "Wenn er Israels König ist, so steige er jetzt herab vom Kreuze", und: "Andern hat er geholfen, sich selbst kann er nicht helfen", damit wollten sie zugleich seine früheren Wundertaten entkräften; ferner: V.43: "Wenn er Gottes Sohn ist und er ihn liebt, so befreie er ihn nun." 

   O, ihr Bösewichter und Ausbünde von Bosheit! Waren etwa die Propheten keine Propheten, waren die Gerechten nicht gerecht, weil Gott sie nicht aus den Gefahren entrißt? Sie waren es, trotzdem es ihnen so erging. Läßt sich darum etwas mit eurer Torheit vergleichen? Wenn das Hereinbrechen von Unglück ihr Ansehen bei euch nicht schädigte, wenn sie Propheten blieben, trotz der Drangsalen, die ihnen widerfuhren, so durftet ihr bei Christus um so weniger Anstoß nehmen, da er doch stets durch Taten und Worte eure falsche Meinung schon zum voraus richtiggestellt hatte. Aber mit all ihren Reden und Handlungen erreichten die Juden nichts, nicht einmal in jenem Augenblicke. Eben als sie so redeten, da bekannte der Mensch, der sein ganzes Leben in der äußersten Schlechtigkeit. mit Mordtaten und Einbrüchen zugebracht hatte, dass Jesus König ist, und sprach von seinem Reich. Auch das Volk bejammerte ihn. Freilich hatte es den Anschein, als ob diese Vorgänge für Leute, die den Zweck des Leidensgeheimnisses nicht kannten, das Gegenteil bekundeten, nämlich dass er ohne Kraft und Macht sei; indessen auch durch das Gegenteil brach sich die Wahrheit Bahn. 

   Wenn wir nun diese Geschichte hören, wollen wir uns waffnen gegen jede Regung des Zornes und Grolles. Und wenn du merkst, dass dein Herz aufflammt, so drücke das Kreuz als Siegel auf deine Brust, gedenke der Ereignisse jener Zeit und du wirst durch die Erinnerung an diese Vorgänge allen Groll wie Staub abschütteln. Beherzige, was Christus redete, was er tat; beherzige, dass er der Herr ist, du ein Knecht; dass er deinetwegen leidet, du aus eigener Schuld; er für jene, die von ihm Wohltaten empfangen hatten und ihn kreuzigten, du für dich selbst; er für die Übeltäter, du oft von solchen, denen du Unrecht getan; er vor den Augen der ganzen Stadt oder vielmehr das ganzen Judenvolkes, Fremder und Einheimischer, an die er Worte voll Liebe gerichtet hatte, du im Beisein weniger. Was ihm aber den schwersten Schimpf antat, war, dass er auch von seinen Jüngern verlassen wurde. Seine ehemaligen Anhänger waren entwichen, Feinde und Widersacher hatten ihn ergriffen, schlugen und mißhandelten, lästerten, verhöhnten, verlachten und verspotteten ihn: unten die Juden und Soldaten, oben zu beiden Seiten die Schächer; denn auch beide Mörder beschimpften und schmähten ihn. Wie kann aber Lukas schreiben, einer machte ihm Vorwürfe? Beides trifft zu. Zuerst hatten ihn beide geschmäht, später nicht mehr. Damit man nicht etwa meine, die Sache sei abgekartet oder der Räuber sei kein Räuber gewesen, zeigt er dir durch das Schmähen, dass er noch am Kreuze ein Räuber und Feind war, aber plötzlich sich änderte. Das alles mußt du also erwägen, dann wirst du tugendhaft sein. Oder hast du etwas Derartiges zu leiden, wie dein Herr? Du bist öffentlich beschimpft worden? Aber doch nicht so abscheulich. Du wirst mißhandelt? Aber nicht am ganzen Leibe, wirst nicht wie er gegeißelt und entblößt. Und wenn du geschlagen wurdest, dann gewiß nicht so grausam.



3.

Bedenke ferner, wer es ist, der mißhandelt wurde, und von wem, weswegen und wann? und, was das schlimmste ist, dass trotz dieser Schändlichkeiten niemand auftrat, der die Unmenschen getadelt und gerügt hätte; wie im Gegenteil alle es guthießen, in den Spott und Hohn einstimmten und den Herrn als Prahler, Betrüger und Verführer schmähten, der seine Reden nicht durch Taten beweisen könne. Er aber schweigt zu allem, um uns zu lehren, dass die Langmut das beste Heilmittel ist. Obgleich wir aber solche Lehren hören, so kennen wir doch nicht einmal den Knechten gegenüber Mäßigung, sondern toben und schlagen ärger um uns als Wildesel. Bei Beleidigungen gegen unsere Person sind wir wild und unmenschlich, bei Beleidigungen Gottes aber bleiben wir gleichgültig,. Und wenn es sich um Freunde handelt, machen wir es ebenso. Wenn die jemand kränkt, können wir es nicht ertragen, wenn man sie beschimpft, werden wir grimmiger als wilde Tiere, selbst wenn wir diese Leidensgeschichte jeden Tag lesen. Der eine Jünger verriet ihn, die übrigen ließen ihn im Stiche und frohen. Menschen, die Wohltaten von ihm empfangen, spieen ihn an, der Knecht des Hohenpriesters gab ihm einen Backenstreich, die Soldaten schlugen ihn ins Gesicht, die Vorübergehenden verspotteten und schmähten ihn, die Schächer machten ihm Vorwürfe, aber er fuhr niemanden mit einem Worte an, alle überwand er durch sein Schweigen, um dir durch dieses Verhalten die Lehre zu geben, dass du, je sanftmütiger du duldest, desto glänzender über deine Übeltäter siegen und um so mehr von allen bewundert werden wirst. Wer sollte auch einen Menschen nicht bewundern, der gelassen die Beschimpfungen von seiten seiner Feinde hinnimmt? Wie man von einem, der mit Recht gestraft wird, aber die Strafe geduldig erträgt, oft meint, er leide ungerecht, so hat man anderseits einen, der ungerecht leiden muß und dabei unwillig wird, im Verdachte, dass sein Leiden verdient sei. Abgesehen davon, dass er sich auch noch lächerlich macht, weil er sich wie ein Sklave von seinem Zorne hinreißen läßt und er seinen Adel wegwirft. Einen solchen Menschen darf man gar nicht mehr frei nennen, selbst wenn er Herr über tausend Knechte wäre. 

   Aber es hat dich jemand sehr gereizt? Was verschlägt das? Dann muß sich gerade deine Tugend bewähren. Wenn niemand da ist, der sie neckt, dann sehen wir auch die wilden Tiere ruhig, die ja nicht immer wild sind, sondern nur wenn man sie reizt. Wenn nun auch wir nur solange gelassen sind, als uns niemand aufbringt, was hat das viel zu bedeuten? Die Tiere haben oft Ursache, in Zorn zu geraten, und sind somit völlig zu entschuldigen, da man sie durch Stoßen und Stechen erregt, außerdem haben sie keine Vernunft und die Wildheit liegt in ihrer Natur. Womit aber, sage mir, könntest du dich rechtfertigen, wenn du wütest und tobst? Was ist dir denn so Entsetzliches widerfahren? Man hat dich beraubt? So mußt du es eben ertragen, damit du um so größeren Gewinn daraus ziehest. Man hat dich um deinen guten Ruf gebracht; Was liegt daran? Bist du weise, so kommst du deshalb nicht zu kurz. Wenn du aber keinen Schaden nimmst, weshalb zürnst du, da man dir nichts Böses zugefügt, sondern noch Vorteil gebracht hat? Wer nämlich den Toren Ehre erweist, macht sie nur noch aufgeblasener; wer hingegen die Einsichtigen schmäht und geringschätzt, macht sie noch stärker. Denn die Leichtsinnigen kommen mehr durch Ehren als durch Verdemütigungen zu Schaden. Wer uns verachtet, ist uns, sofern wir vernünftig denken, Anlaß zur Tugend; wer uns dagegen ehrt, facht unseren Hochmut an, gibt uns Stoff zur Einbildung, Eitelkeit und Nachlässigkeit und verweichlicht unsere Seele. Zum Beweis dienen die Väter, die ihre Söhne öfter tadeln als loben, da sie fürchten, sie könnten sonst ausarten. Ebenso wenden auch die Lehrer diese Mittel bei ihnen an. Wenn man daher schon jemand meiden soll, so sind es eher die Schmeichler, als die Beleidiger: denn für Leute, die nicht auf der Hut sind, ist Schmeichelei ein Köder, der verderblicher wirkt und schwerer zu ertragen ist als Beschimpfung. Zudem erntet man für Verachtung einen weit größeren Lohn und mehr Bewunderung, da ein Mann, der sich schmähen läßt, ohne aufgebracht zu werden, ein wunderbareses Schauspiel ist als einer, der geschlagen und gestochen wird, ohne niederzusinken. Und wie ist es möglich, nicht aufgebracht zu werden, fragt man? Es hat dich jemand beschimpft? Mache das Zeichen des Kreuzes auf die Brust; denke an das Leiden des Herrn und aller Zorn erlischt. Erwäge nicht bloß den Schimpf, sondern auch, ob dir nicht einmal vom Beleidiger auch etwas Gutes erwiesen worden, und alsbald wirst du ruhig werden. Vor allem aber denke an die Gottesfurcht, und sogleich wirst du besonnen und nachsichtig sein.



4.

Außerdem nimm dir auch an deinen Sklaven ein Beispiel. Wenn du siehst, wie einer von ihnen bei deinem Schimpfen schweigt, so beherzige dabei, dass es doch möglich ist, tugendhaft zu sein, verurteile deine eigene Heftigkeit und ziehe die Lehre daraus, vorkommenden Falls Beschimpfung nicht mit Schimpf zu beantworten, dann wirst du dich bei Beleidigungen auch nicht betrüben. Sage dir, wer schimpft, ist von Sinnen und ist toll, und du wirst bei einer Beschimpfung nicht aufgebracht werden, wie wir ja auch Besessene, wenn sie uns schlagen, viel mehr bemitleiden anstatt uns aufregen. So mußt auch du handeln. Habe Mitleid mit dem, der dich beschimpft, denn er liegt unter den Krallen eines wilden Tieres, des Zornes, eines bösen Dämons, des Grolls. Befreie ihn aus der Gewalt des bösen Geistes, da er sonst gar bald ins Verderben stürzt. Darin besteht eben das Wesen dieser Krankheit, dass es gar keiner Frist bedarf, um den Befallenen zu vernichten, weshalb auch jemand sagte: "Der Augenblick des Zornes wird ihm zum Fall" (Si 1,28). Er wollte damit namentlich andeuten, welche Gewalt der Zorn ausübt, da er keine besonders lange Frist braucht, sondern in kurzer Zeit viel Unheil stiftet, so dass er bei seiner Stärke ganz unbezwingbar wird, wenn er längere Zeit anhält. Ich wünschte, die Seele des Beschimpfenden und des Tugendhaften ganz unverhüllt vorführen zu können, um zu zeigen, was beide für Menschen sind. Da würdest du sehen, wie die eine einem aufgewühlten Meere, die andere einem friedlichen See gleicht, der von solch wilden Winden gar nicht gestört wird oder sie leicht abwehrt. Wer schmäht, läßt nichts unversucht, um zu kränken; findet er nun seine Hoffnung gescheitert, so hört er schließlich von selbst auf und geht gebessert hinweg. Ein erzürnter Mensch muß sich selbst scharf verurteilen, während einer, der nicht erzürnt ist, sich nichts vorzuwerfen hat. Hat man einmal gegen jemanden aufzutreten, so läßt es sich auch ohne Zorn tun, ja viel leichter und vernünftiger als im Zorne, da einem dabei nichts Widerwärtiges unterläuft. Wenn wir nur wollten, dann fänden wir in uns das Gute und wären mit Gottes Gnade imstande, uns unsere Ruhe und Ehre zu wahren. Warum suchst du auch deine Ehre bei anderen? Ehre dich selbst und niemand wird imstande sein, dich zu beleidigen; wenn du dich aber selbst entehrst, so wirst du keine wahre Ehre finden, und mögen auch alle dir Ehre zollen. Wie uns niemand schaden kann, wenn wir es nicht selbst tun, so kann uns auch niemand Schaden antun, wenn wir uns nicht selbst beschimpfen. Gesetzt, es würde alle Welt einen angesehenen, hochgestellten Mann als Ehebrecher, Dieb, Einbrecher, Mörder, Räuber beschimpfen; was für eine Schande wird dann auf ihn fallen, wenn er sich nicht erbittert, nicht aufbraust, sofern er sich nur keiner solchen Tat bewußt ist? Gar keine. 

   Wie so, entgegnest du, wenn doch viele Leute eine solche Meinung von ihm hegen? Er ist trotzdem nicht beschimpft worden, vielmehr haben sich diese Leute durch ihre verkehrte Meinung von ihm nur selber entehrt. Sage mir, wen beschämt man, wenn man die Sonne für finster hält, das Gestirn oder sich selbst? Offenbar sich selbst, da man eine Ansicht äußerst, als wäre man blind oder irrsinnig. Ebenso würdigt man sich aber auch herab, wenn man die Schlechten für gut hält und umgekehrt. Daher muß man mit besonderem Eifer sein Gewissen rein halten und sich keine Blöße und keinen Anlaß zu einem Verdachte gegen seine Person geben; wenn dann die anderen, trotz eines solchen Betragens, dennoch Toren sein wollen, so darf man sich nicht sonderlich darum kümmern und grämen. Ist man gut, so kann es einem ja doch nichts ausmachen, wenn man in den Verdacht der Schlechtigkeit kommt, während der andere, der ohne allen Grund Böses argwöhnt, sich den schwersten Schaden zuzieht; wie ja auch ein Bösewicht nichts dabei gewinnt, wenn man ihn für besser hält, sondern nur noch leichtsinniger wird und ein um so strengeres Gericht zu gewärtigen hat. Hätte man seine wahre Meinung von ihm, so könnte ein solcher wohl sich demütigen und zur Erkenntnis seiner Sünden gelangen; bleibt es aber verborgen, was er ist, so wird er ganz gefühllos. Die Fehlenden können ja kaum durch allgemeinen Tadel zur Umkehr gebracht werden; wie sollen dann Leute, die in der Bosheit dahinleben, zur Einsicht kommen, wenn man sie, anstatt zu tadeln, auch noch belobt? Hörst du nicht, wie auch Paulus es rügt, dass die Korinther den Unzüchtigen durch ihren Beifall und ihre Ehrenbezeigungen in der Bosheit bestärkten, anstatt ihn zur Erkenntnis seiner Sünde zu bewegen? Darum bitte ich euch, kehren wir uns nicht daran, was die Leute von uns halten, ob sie uns schmähen oder ehren; lasset uns vielmehr unser ganzen Trachten darauf richten, dass wir uns keiner Schlechtigkeit bewußt seien und uns nicht selbst entehren. Dann werden wir sowohl hienieden als im Jenseits zu hoher Ehre gelangen; möge sie uns alle zuteil werden durch die Gnade und Güte unseres Herrn Jesus Christus, dem die Ehre gebührt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen!






Kommentar zum Evangelium Mt 86