Benedikt XVI Predigten 105

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AUDIENZ FÜR DIE TEILNEHMER AN DER PILGERFAHRT DES

HILFSWERKS FÜR DEN KRANKENTRANSPORT IN LOURDES (OFTAL)

UND DIE APOSTOLISCHE BLINDENBEWEGUNG

Petersdom

Samstag, 17. März 2007

Liebe Freunde von OFTAL und der Apostolischen Blindenbewegung!


Mit großer Freude begegne ich euch in der Vatikanbasilika, wo ihr an der von Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone geleiteten Eucharistiefeier teilgenommen habt. Herzlich grüße ich ihn wie auch Erzbischof Angelo Comastri, Generalvikar für die Vatikanstadt und Erzpriester der Vatikanbasilika, eure geistlichen Assistenten und einen jeden einzelnen von euch. Mein besonderer Gruß gilt dem Präsidenten von OFTAL, Msgr. Franco Degrandi, und dem Vizepräsidenten der Apostolischen Blindenbewegung, Dr. Francesco Scelzo, dem ich dafür danke, daß er eure jeweiligen Vereinigungen, die kurz nacheinander gegründet wurden, vorgestellt hat.

Die Apostolische Blindenbewegung entstand 1928 durch die Eingebung und den apostolischen Eifer Maria Mottas, einer von tiefem Glauben und großer Seelenstärke erfüllten blinden Lehrerin aus Monza. Das Föderative Hilfswerk für den Krankentransport in Lourdes (OFTAL) hingegen feiert sein 75jähriges Jubiläum: Es entstand 1913 auf Initiative von Msgr. Alessandro Rastelli, einem Priester aus der Diözese Vercelli, und wurde 1932 offiziell vom Erzbischof dieser Ortskirche gegründet. Daß auch ihr heute hier anwesend seid, ist ein Zeichen der Vorsehung. Denn obwohl sich die beiden Vereinigungen in vielerlei Hinsicht voneinander unterscheiden, haben sie doch einen grundlegenden Aspekt gemeinsam, den ich gleich hervorheben möchte. Ich beziehe mich auf die Tatsache, daß sowohl die Apostolische Blindenbewegung als auch OFTAL auf dem Evangelium gründende Erfahrungen brüderlichen Teilens sind, die behinderten, in diesem Fall kranken und blinden Menschen, ermöglichen, voll teilzunehmen am Leben der kirchlichen Gemeinschaft und am Aufbau der Zivilisation der Liebe. Zwei Wirklichkeiten, die, gemäß dem Thema des jüngsten Kirchentreffens in Verona, Zeugnis geben für den auferstandenen Christus, Hoffnung der Welt, und verdeutlichen, daß Glaube und christliche Freundschaft es möglich machen, jeden Zustand der Schwäche gemeinsam zu durchleben.

Bezeichnend ist in dieser Hinsicht die Erfahrung der beiden Gründer: Don Rastelli und Maria Motta. Nach einem Unfall, der ihn zu einem einmonatigen Krankenhausaufenthalt zwang, reiste Don Rastelli nach Lourdes. Die Erfahrung der Krankheit machte ihn besonders empfänglich für die Botschaft der Unbefleckten Jungfrau, die ihn aufrief, in die Grotte von Massabielle zurückzukehren, zunächst in Begleitung eines einzelnen Kranken – was überaus bedeutsam ist – und dann als Leiter der ersten diözesanen Wallfahrt mit über 300 Personen darunter 30 Kranken. Für die von Geburt an blinde Maria Motta war die Sehbehinderung durchaus kein Hindernis für ihre Berufung. Im Gegenteil: Der Heilige Geist machte aus ihr eine Apostelin der Blinden und verhalf ihrer Initiative zu einem Erfolg, der ihre eigenen Erwartungen weit übertraf. Aus diesem von ihr aufgebauten spirituellen »Netz« entwickelte sich eine regelrechte Vereinigung, der diözesane Gruppen aus allen Teilen Italiens angehören und die der sel. Johannes XXIII. unter dem Namen »Apostolische Blindenbewegung« anerkannte. In ihr lernen Blinde und Sehende den Stil der Gegenseitigkeit und des Teilens und engagieren sich im Bereich der Ausbildung, um sich in den Dienst an der apostolischen Mission der Kirche zu stellen.

Jede der beiden Vereinigungen trägt mit dem ihr eigenen spezifischen Charisma zum Aufbau der Kirche bei. Ihr, die Freunde von OFTAL, ermöglicht die Erfahrung der Wallfahrt mit den Kranken, ein starkes Zeichen des Glaubens und der Solidarität zwischen Menschen, die aus sich und der Abgeschlossenheit ihrer Probleme herausgehen, um zu einem gemeinsamen Ziel, einem Ort des Geistes, aufzubrechen: Lourdes, das Heilige Land, Loreto, Fatima und andere Wallfahrtsstätten. So helft ihr dem Volk Gottes, das Bewußtsein seiner Pilgerschaft in der Nachfolge Christi aufrechtzuerhalten, was aus der Heiligen Schrift deutlich hervorgeht. Denken wir an das Buch Exodus, über das die Liturgie uns in dieser österlichen Zeit nachdenken läßt; denken wir an das öffentliche Leben Jesu, das die Evangelien wie eine große Wallfahrt nach Jerusalem darstellen, wo sich sein »Exodus« vollziehen muß. Ihr, liebe Freunde der Apostolischen Blindenbewegung, seid eurerseits Vermittler einer euch eigenen besonderen Erfahrung, nämlich miteinander zu gehen, Seite an Seite, Blinde und Sehende. Ein Zeugnis, das zeigt, wie christliche Liebe ermöglicht, die Behinderung zu überwinden und das Anderssein auf positive Weise zu leben, als Gelegenheit, sich dem Mitmenschen zu öffnen, seinen Problemen, vor allem aber seinen Gaben Beachtung zu schenken und einander zu dienen.

Liebe Brüder und Schwestern, die Kirche braucht auch euren Beitrag, um dem Willen des Herrn treu und vollkommen zu entsprechen. Gleiches kann von der bürgerlichen Gesellschaft gesagt werden: Die Menschheit braucht eure Gaben, die eine Verheißung des Reiches Gottes sind. Die Begrenztheit und Bescheidenheit eurer Ressourcen soll euch nicht erschrecken: Gott gefällt es, seine Werke mit einfachen Mitteln zu vollbringen. Er bittet jedoch, ihm einen hochherzigen Glauben entgegenzubringen! Im Grunde ist es das, was euch hierher geführt hat: um am Grab des hl. Petrus das Geschenk eines festeren Glauben zu erflehen. Morgen werdet ihr eure Wallfahrt an zwei marianischen Stätten beenden: die Apostolische Blindenbewegung in der Basilika »Santa Maria Maggiore« und OFTAL im Marienwallfahrtsort »Madonna del Divino Amore«. Macht euch also ausgehend von diesem Moment der Gnade, beseelt vom Glauben Petri und Marias, auf den Weg! Und geht mit diesem Glauben auf eurem Weg weiter, begleitet von meinem Gebet und meinem Segen, den ich von Herzen den hier Anwesenden, allen anderen Mitgliedern und den euch nahestehenden Menschen erteile.


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BESUCH IM RÖMISCHEN JUGENDGEFÄNGNIS "CASAL DEL MARMO"

GRUSSWORTE VON BENEDIKT XVI. Turnhalle der Strafanstalt

IV. Sonntag der Fastenzeit, 18. März 2007

Liebe junge Männer und Frauen!


Ich möchte euch vor allem danken für eure Freude, danken für diese Vorbereitung. Es ist für mich eine große Freude, euch mit meinem Besuch ein wenig Licht geschenkt zu haben. Damit schließt nun unsere Begegnung, damit schließt mein kurzer, aber intensiver Besuch. Es ist, wie schon gesagt, mein erster Kontakt mit der Welt der Gefängnisse, seit ich Papst bin. Ich habe mit Aufmerksamkeit die Worte des Direktors, des Kommandanten und eines Vertreters von euch gehört und danke euch für die herzlichen Gefühle, die ihr mir gegenüber zum Ausdruck gebracht habt, sowie auch für eure Glückwünsche zu meinem Namenstag. Zudem habe ich gehört, daß unter euch noch die Erinnerung an Kardinal Casaroli lebendig ist, der hier ganz vertraut »Padre Agostino« genannt wurde. Er hat mehrmals mit mir über diese Erfahrungen gesprochen, wo er sich stets allen jungen Männern und Frauen hier in diesem Gefängnis sehr freundschaftlich nahe fühlte.

Ihr, liebe Jugendliche, kommt aus verschiedenen Nationen: Ich würde gern noch länger bei euch bleiben, aber leider ist meine Zeit begrenzt. Vielleicht werden wir uns ein anderes Mal für längere Zeit treffen können. Ihr sollt trotzdem wissen, daß euch der Papst gern hat und euch voll Liebe nahe ist. Sodann möchte ich diese Gelegenheit ergreifen, um alle, die im Gefängnis sitzen, und alle, die auf verschiedene Weise im Strafvollzugsbereich arbeiten, zu grüßen.

Liebe Jugendliche, heute ist für euch ein Festtag, wie gesagt wurde: Der Papst ist euch besuchen gekommen, anwesend sind der Justizminister, verschiedene Autoritäten, der Kardinalvikar, der Weihbischof, euer Kaplan, viele andere Persönlichkeiten und Freunde. Es ist also ein Tag der Freude. Die Liturgie dieses Sonntags beginnt mit einer Aufforderung sich zu freuen: »Freue dich!« lautet das erste Wort, mit dem die Messe beginnt. Aber wie kann man glücklich sein, wenn man leidet, wenn man ohne Freiheit ist, wenn man sich verlassen fühlt?

Während der Messe haben wir daran erinnert, daß Gott uns liebt: Das ist die Quelle der wahren Freude. Auch wenn man alles hat, was man sich wünscht, ist man manchmal unglücklich; hingegen könnte einer gar nichts besitzen, nicht einmal die Freiheit oder Gesundheit, und dennoch mit sich selbst in Frieden leben und sich freuen, wenn er Gott im Herzen hat. Hier liegt also das Geheimnis: Gott muß immer den ersten Platz in unserem Leben einnehmen. Und das wahre Antlitz Gottes hat uns Jesus offenbart. Liebe Freunde, bevor ich euch verlasse, versichere ich euch aus ganzem Herzen, daß ich weiterhin vor dem Herrn an euch denken werde. Ihr werdet immer in meinen Gebeten gegenwärtig sein.

Ich spreche euch im voraus meine Glückwünsche zum kommenden Osterfest aus und segne euch alle. Der Herr begleite euch stets mit seiner Gnade und geleite euch in eurem künftigen Leben.



BEGEGNUNG MIT DEM PROFESSORENKOLLEGIUM

DER KATHOLISCH-THEOLOGISCHEN FAKULTÄT TÜBINGEN

ANSPRACHE VON PAPST BENEDIKT XVI. Mittwoch, 21. März 2007

Lieber Herr Bischof,

werter Herr Dekan,
verehrte Herren Kollegen, wenn ich so sagen darf!

Ich danke Ihnen für diesen Besuch und darf sagen, daß ich mich wirklich von Herzen darüber freue. Einmal ist die Begegnung mit der eigenen Vergangenheit ja immer etwas Schönes, weil sie etwas Verjüngendes an sich hat. Aber es ist dann doch mehr als eine nostalgische Begegnung. Sie, Herr Bischof, haben ja selber davon gesprochen, daß es auch ein Zeichen ist, ein Zeichen einerseits dafür, wie mir die Theologie am Herzen liegt – wie könnte es anders sein –, da ich meine eigentliche Berufung eigentlich darin gesehen hatte, Professor zu sein, auch wenn der liebe Gott es dann plötzlich anders gewollt hat mit mir. Aber eben auch umgekehrt, ein Zeichen von Ihrer Seite, daß Sie die innere Einheit von theologischer Forschung, theologischer Lehre und Arbeit und Hirtendienst in der Kirche sehen und damit die Ganzheit des kirchlichen Mühens um den Menschen, um die Welt, um unsere Zukunft.

Ich habe natürlich gestern abend im Blick auf diesen Vormittag etwas in meinen Erinnerungen zu kramen begonnen. Und da ist mir eine Erinnerung gekommen, die mit dem sehr zusammenpaßt, was Sie, Herr Dekan, eben ausgeführt haben. Nämlich die Erinnerung an den Großen Senat. Ich weiß nicht, ob es auch jetzt noch so ist, daß alle Berufungen durch den Großen Senat gehen. Das war dann sehr interessant, wenn, sagen wir, ein Lehrstuhl für Mathematik zu besetzen war oder meinetwegen für Assyriologie oder für Festkörperphysik oder ich weiß nicht was, war der Zuspruch von Seiten der anderen Fakultäten sehr gering, und das ganze hatte sich eigentlich schnell geregelt, weil kaum jemand mitzureden wagte. Schon etwas anders war es bei den geisteswissenschaftlichen Fächern. Und bei den theologischen Lehrstühlen beider Fakultäten war es so, daß eigentlich alle mitsprachen und daß man sah, daß alle Professoren der Universität sich irgendwie in Theologie zuständig fühlten, das Gefühl hatten, da mitentscheiden zu können und zu müssen; daß ihnen die Theologie auch besonders am Herzen lag, so daß man einerseits spürte, daß die Kollegen der anderen Fakultäten die Theologie irgendwie als Herzstück der Universität ansehen, und zum anderen, daß eben Theologie etwas ist, was alle angeht, wovon sich alle betroffen fühlten und worin sich alle irgendwie auch zuständig wußten. Anders gesagt, wenn ich das überlege, heißt es ja, daß gerade im Disput um theologische Lehrstühle Universität als Universität erfahrbar wurde. Ich freue mich zu hören, daß es jetzt diese Kooptationen gibt, stärker als bisher, obwohl Tübingen sich immer schon darum gemüht hat. Ich weiß nicht, ob es noch das Leibniz-Kolleg gibt, in dem ich dabei war, aber jedenfalls ist die moderne Universität doch sehr davon bedroht, eine Ansammlung gleichsam von Fachhochschulen zu werden, die mehr äußerlich-institutionell verbunden sind, als daß sie eine innere Einheit von Universitas bilden könnten.

Theologie war offenbar etwas, wo Universitas da war und wo sich zeigte, daß doch das Ganze zusammengehört, daß eben ein gemeinsames Fragen und eine gemeinsame Aufgabe, ein gemeinsames Wozu zugrunde liegt. Darin kann man zum einen, denke ich, eine hohe Anerkennung für die Theologie sehen. In dieser Zeit – in der jedenfalls in den lateinischen Ländern die Laizität des Staates und der staatlichen Institutionen bis zum äußersten betont wird und daher das Außen-vor-bleiben-Müssen all dessen, was mit Kirche, Christentum, Glaube zu tun hat – ist das, denke ich, ein besonders wichtiger Vorgang, der sichtbar macht, daß es doch die Verknotungen gibt, aus denen dieses Gebilde, das wir Theologie nennen (das ja auch mit Kirche und Glaube im Christentum grundlegend zu tun hat) nicht herauszutrennen ist, und insofern dann doch das In-Sein und Mit-Sein des christlichen Fragens, Denkens und Antwortens in diesem Gebilde unserer europäischen Wirklichkeiten – so laikal sie in einer Hinsicht sind und auch sein müssen – deutlich wird.

Ich sage, es ist einerseits ein Erscheinen dessen, daß gerade Theologie weiterhin irgendwie Universität mitkonstituiert, aber es ist andererseits natürlich auch ein ungeheurer Anspruch an die Theologie, dieser Erwartung zu genügen, ihr gerecht zu werden und den Dienst zu tun, den man ihr zutraut und den man von ihr erwartet. Ich freue mich, daß das inzwischen auch sehr konkret – viel mehr noch als damals – in Kooptationen sichtbar wird, daß das inneruniversitäre Gespräch sie doch wirklich Universität sein läßt und in ein gemeinsames Fragen und auch Antworten hineinbindet. Aber ich meine, es ist eben auch ein Anlaß nachzudenken, wie weit wir imstande sind – nicht nur in Tübingen, sondern auch anderswo – diesem Anspruch zu genügen. Denn die Universität und die Gesellschaft, die Menschheit braucht Fragen, aber sie braucht auch Antworten. Und ich glaube, daß da für die Theologie – nicht nur für die Theologie – eine gewisse Dialektik zwischen der strengen Wissenschaftlichkeit und der sie immer wieder auch durchbrechenden, über sie hinausreichenden größeren Frage nach der Wahrheit sichtbar wird.

Ich möchte das an einem Beispiel verdeutlichen. Ein Exeget, ein Ausleger der Heiligen Schrift, muß sie als ein historisches Werk »secundum artem«, also in der strengen Wissenschaftlichkeit, die wir kennen, auslegen nach all den historischen Komponenten, die das verlangt, nach all der Methodik, die das braucht. Aber das allein reicht doch nicht aus, damit er Theologe ist. Würde er nur das tun, dann würde Theologie oder jedenfalls Bibelauslegung etwas Gleichartiges sein wie Ägyptologie oder Assyriologie oder sonstige Spezialisierungen. Damit er Theologe ist und den Dienst für die Universität, und – ich wage zu sagen – für die Menschheit tut, den man von ihm erwartet, muß er darüber hinaus doch fragen: Ist das eigentlich wahr, was da gesagt wird? Und wenn es wahr ist, geht es uns an? Und wie geht es uns an? Und wie können wir erkennen, daß es wahr ist und daß es uns angeht? In diesem Sinne, glaube ich, ist die Theologie immer über die Wissenschaftlichkeit hinaus und doch in der Wissenschaftlichkeit gefragt und angerufen. Die Universität, die Menschheit braucht Fragen. Wo nicht mehr gefragt wird, und bis zu den Fragen hin, die auf den Grund gehen, die über alle Spezialisierungen hinausreichen, da erhalten wir auch keine Antworten mehr. Nur wenn wir fragen und mit unseren Fragen radikal sind, so radikal, wie es die Theologie sein muß, über alle Spezialisierungen hinweg, können wir hoffen, Antworten auf diese grundlegenden Fragen zu erhalten, die uns alle angehen. Wir müssen zuallererst fragen. Wer nicht fragt, erhält keine Antwort. Aber zur Theologie, würde ich hinzufügen, gehört neben dem Mut des Fragens auch die Demut, auf die Antworten zu hören, die uns der christliche Glaube gibt; die Demut, in diesen Antworten die Vernunft dieser Antworten zu vernehmen, und sie dadurch auch wieder als Antworten unserer Zeit und uns selber zugänglich machen zu können und so nicht nur Universität zu konstituieren, sondern den Menschen zu helfen, zu leben. Zu diesem Auftrag wünsche ich Ihnen Gottes Segen.

AN DIE TEILNEHMER DER VOLLVERSAMMLUNG

DES PÄPSTLICHEN RATES FÜR DIE

PASTORAL IM KRANKENDIENST Donnerstag, 22. März 2007

Herr Kardinal,

verehrte Mitbrüder im Bischofs- und im Priesteramt,
liebe Brüder und Schwestern!

Es ist mir eine Freude, euch aus Anlaß der Vollversammlung des Päpstlichen Rates für die Pastoral im Krankendienst zu empfangen. Mein herzlicher Gruß richtet sich an jeden von euch, die ihr aus verschiedenen Teilen der Welt gekommen seid als wertvoller Ausdruck des Einsatzes der Teilkirchen, der Institute des geweihten Lebens und der zahlreichen Werke der christlichen Gemeinschaft im Gesundheitswesen. Ich danke Herrn Kardinal Javier Lozano Barragán, dem Präsidenten des Dikasteriums, für die freundlichen Worte, mit denen er die gemeinsamen Empfindungen zum Ausdruck gebracht und mir die Ziele veranschaulicht hat, die zur Zeit Gegenstand eurer Arbeiten sind. Mit Dankbarkeit grüße ich den Sekretär, den Untersekretär, die anwesenden Offiziale und Konsultoren sowie die weiteren Mitarbeiter.

Der Zweck dieser eurer Versammlung besteht nicht darin, ein bestimmtes Thema zu vertiefen, sondern den Stand der Verwirklichung des zuvor von euch aufgestellten Programms zu prüfen und die künftigen Ziele entsprechend festzulegen. Die Begegnung mit euch bei einer Gelegenheit wie dieser schenkt mir daher die Freude, sozusagen jeden von euch in eurem kirchlichen Dienst die konkrete Nähe des Nachfolgers Petri und durch ihn des gesamten Bischofskollegiums spüren zu lassen. Die Pastoral im Krankendienst ist in der Tat ein Bereich, der dem Evangelium besonders entspricht und der das Wirken Jesu, des barmherzigen Samariters der Menschheit, unmittelbar in Erinnerung ruft. Als er durch die Dörfer Palästinas zog und die Frohe Botschaft vom Reich Gottes verkündete, begleitete Er seine Verkündigung stets mit den Zeichen, die er an den Kranken vollbrachte, indem er alle heilte, die sich in den Fesseln von Krankheiten und Leiden aller Art befanden. Die Gesundheit des Menschen, des ganzen Menschen, war das Zeichen, das Christus wählte, um die Nähe Gottes, seine barmherzige Liebe, die Geist, Seele und Leib heilt, zu offenbaren. Dies, liebe Freunde, sei stets der grundlegende Bezugspunkt für jede eurer Initiativen: die Nachfolge Christi, den die Evangelien uns als den göttlichen »Arzt« aufzeigen.

Es ist diese biblische Perspektive, die das natürliche ethische Prinzip der Pflicht zur Behandlung der Kranken aufwertet, auf dessen Grundlage jedes menschliche Leben geschützt werden muß, wie es den jeweiligen Schwierigkeiten, in denen es sich befindet, und unseren konkreten Hilfsmöglichkeiten entspricht. Dem Menschen zu helfen ist eine Pflicht, sowohl um einem Grundrecht der Person Rechenschaft zu tragen, als auch deshalb, weil die Fürsorge für die Einzelnen der Allgemeinheit zugute kommt. Die Medizin macht dadurch Fortschritte, daß sie es akzeptiert, Diagnosen und Behandlungsmethoden immer wieder in Frage zu stellen, indem sie davon ausgeht, daß einmal erworbene Daten und vermeintliche Grenzen überwunden werden können. Im Übrigen werden die Achtung und das Vertrauen gegenüber den Mitarbeitern im Krankendienst nach der Gewißheit bemessen, daß diese »Pflichtverteidiger« des Lebens niemals eine menschliche Existenz, und sei diese auch noch so schweren Behinderungen unterworfen, geringschätzen und daß sie Behandlungsversuche stets zu unterstützen wissen werden. Das Bemühen um die Behandlung muß daher jeden Menschen einschließen in der Absicht, sein ganzes Leben abzudecken. Der moderne Begriff von Gesundheitspflege besteht nämlich in der Förderung des Menschen: von der Behandlung der Kranken bis hin zur Präventivbehandlung, mit der Suche nach größerer menschlicher Entfaltung durch die Förderung einer angemessenen familiären und sozialen Umwelt.

Diese ethische Perspektive, die auf der Würde der menschlichen Person und den mit ihr verbundenen Grundrechten und Grundpflichten gründet, wird vom Gebot der Liebe, dem Herzstück der christlichen Botschaft, bestätigt und verstärkt. Die christlichen Mitarbeiter im Krankendienst wissen daher gut, daß es eine sehr enge und unauflösliche Verbindung gibt zwischen der Qualität ihres fachlichen Dienstes und der Tugend der Nächstenliebe, zu der Christus sie ruft: Gerade indem sie ihre Arbeit gut tun, bringen sie das Zeugnis der Liebe Gottes zu den Menschen. Die Liebe als Aufgabe der Kirche, die ich zum Gegenstand der Reflexion in meiner Enzyklika Deus caritas est gemacht habe, wird in der Krankenpflege auf besonders bedeutsame Weise verwirklicht. Das belegt die Kirchengeschichte durch zahllose Zeugnisse von Männern und Frauen, die – allein oder gemeinschaftlich – in diesem Bereich gewirkt haben. Daher konnte ich in der Enzyklika unter den Heiligen, die auf vorbildliche Weise die Nächstenliebe geübt haben, als beispielhafte Gestalten Johannes von Gott, Camillo de Lellis und Giuseppe B. Cottolengo nennen, die dem armen und leidenden Christus in den kranken Menschen gedient haben.

Liebe Brüder und Schwestern, gestattet mir also, euch heute die Reflexionen, die ich in der Enzyklika dargelegt habe, zusammen mit den entsprechenden pastoralen Leitlinien zum karitativen Dienst der Kirche als einer »Gemeinschaft der Liebe«, im Geiste noch einmal zu überreichen. Und zur Enzyklika kann ich jetzt auch das vor kurzem veröffentlichte Nachsynodale Apostolische Schreiben hinzufügen, das ausführlich und detailliert die Eucharistie als »Sakrament der Liebe« behandelt. Die Eucharistie ist es, aus der die Pastoral im Krankendienst stets die Kraft schöpfen kann, um dem Menschen wirksam zu helfen und ihn seiner ihm eigenen Würde gemäß zu fördern. In den Krankenhäusern und Kliniken ist die Kapelle das schlagende Herz, in dem Jesus sich ohne Unterlaß dem himmlischen Vater für das Leben der Menschheit hingibt. Die Eucharistie, die den Kranken würdevoll und im Geist des Gebets gespendet wird, ist die Lebenskraft, die sie tröstet und die ihren Herzen inneres Licht schenkt, damit sie mit Glauben und mit Hoffnung ihre Krankheit und ihr Leiden leben. Ich vertraue euch also auch dieses kürzlich erschienene Dokument an: Macht es euch zu eigen, wendet es auf den Bereich der Gesundheitspastoral an, indem ihr ihm angemessene geistliche und seelsorgerliche Weisungen entnehmt. Ich bringe euch meine besten Wünsche für eure Arbeiten in diesen Tagen zum Ausdruck und begleite sie mit einem besonderen Gebetsgedenken.

Indem ich den mütterlichen Schutz der allerseligsten Jungfrau Maria, »Salus infirmorum«, herabrufe, erteile ich euch, die ihr hier anwesend seid, euren Mitarbeitern zuhause und allen euren Angehörigen von Herzen den Apostolischen Segen.

AN DIE TEILNEHMER EINES KONGRESSES

DER KOMMISSION DER BISCHOFSKONFERENZEN DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFT (COMECE) Samstag, 24. März 2007



Meine Herren Kardinäle,
verehrte Mitbrüder im bischöflichen Dienst,
verehrte Abgeordnete,
sehr geehrte Damen und Herren!

Es freut mich ganz besonders, Sie so zahlreich in dieser Audienz zu empfangen. Sie findet am Vortag des 50. Jahrestages der Römischen Verträge statt, die am 25. März 1957 unterzeichnet wurden. Damals vollendete sich ein wichtiger Abschnitt für Europa, das nach dem Zweiten Weltkrieg völlig verarmt war und eine Zukunft in Frieden und größerem wirtschaftlichen und sozialen Wohlstand aufbauen wollte, ohne die unterschiedlichen nationalen Identitäten aufzulösen oder zu verneinen. Ich grüße den Vorsitzenden der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft, Bischof Adrianus Herman van Luyn von Rotterdam, und ich danke ihm für die freundlichen Worte, die er an mich gerichtet hat. Weiter grüße ich die anderen Bischöfe, die hohen Persönlichkeiten und alle, die an der Tagung teilnehmen, die in diesen Tagen von der ComECE veranstaltet wurde, um über Europa nachzudenken.

Dieser Kontinent hat seit jenem März vor fünfzig Jahren einen langen Weg zurückgelegt, der zur Versöhnung der beiden »Lungen« – des Ostens und des Westens – geführt hat, die durch eine gemeinsame Geschichte verbunden sind, aber willkürlich durch einen Vorhang der Ungerechtigkeit getrennt waren. Die wirtschaftliche Integration hat die politische Integration angeregt und die noch immer mühsam vorangehende Suche nach einer institutionellen Struktur gefördert, die für eine Europäische Union angemessen ist, die nunmehr 27 Mitgliedsländer zählt und danach strebt, in der Welt ein global handelndes Subjekt zu werden.

In diesen Jahren verspürte man immer mehr das Bedürfnis, ein gesundes Gleichgewicht zwischen der wirtschaftlichen und der sozialen Dimension durch eine Politik herzustellen, die imstande war, Reichtum hervorzubringen und die Konkurrenzfähigkeit zu erhöhen, ohne jedoch die berechtigten Erwartungen der Armen und Ausgegrenzten zu vernachlässigen. Unter dem demographischen Gesichtspunkt hingegen muß man leider feststellen, daß Europa anscheinend einen Weg eingeschlagen hat, der es zum Abschied von der Geschichte führen könnte. Das könnte nicht nur das wirtschaftliche Wachstum gefährden, sondern auch enorme Schwierigkeiten für den sozialen Zusammenhalt hervorrufen und vor allem einen gefährlichen Individualismus fördern, der die Folgen für die Zukunft nicht beachtet. Man könnte beinahe denken, daß Europa das Vertrauen in die eigene Zukunft verliert. Des weiteren wird, was zum Beispiel den Umweltschutz oder den geordneten Zugang zu den Energiequellen und -investitionen betrifft, die Solidarität nicht nur im internationalen, sondern auch im nationalen Bereich nur mühsam gefördert. Es zeigt sich, daß der europäische Einigungsprozeß selbst nicht von allen geteilt wird aufgrund des verbreiteten Eindrucks, daß manche »Kapitel« des Europa-Projekts »geschrieben« wurden, ohne die Erwartungen der Bürger angemessen zu berücksichtigen.

Aus all dem geht klar hervor, daß man nicht meinen darf, ein echtes »gemeinsames Haus« bauen zu können, wenn die den Völkern dieses unseres Kontinents eigene Identität vernachlässigt wird. Es handelt sich in der Tat zunächst um eine geschichtliche, kulturelle und moralische Identität und erst an zweiter Stelle um eine geographische, wirtschaftliche oder politische; um eine Identität, die aus einem Gesamt von universalen Werten besteht, zu deren Formung das Christentum beigetragen hat; somit hat es nicht nur eine historische, sondern eine gründende Rolle gegenüber Europa übernommen. Diese Werte, die die Seele des Kontinents bilden, müssen im Europa des dritten Jahrtausends als »Sauerteig « der Zivilisation bestehen bleiben. Denn kämen sie abhanden – wie könnte der »alte« Kontinent weiterhin die Funktion eines »Sauerteigs« für die ganze Welt erfüllen? Wenn die Regierungen der Union anläßlich des 50. Jahrestages der Römischen Verträge sich ihren Bürgern »annähern« wollen – wie könnten sie ein so wesentliches Element der europäischen Identität wie das Christentum ausschließen, mit dem sich eine große Mehrheit der Bürger weiterhin identifiziert? Ist es nicht Grund zur Überraschung, daß das heutige Europa einerseits danach strebt, sich als eine Wertegemeinschaft darzustellen, andererseits aber immer öfter zu bestreiten scheint, daß es universale und absolute Werte gibt? Führt diese einzigartige Form der »Apostasie« von sich selbst, noch bevor sie Apostasie von Gott ist, Europa vielleicht nicht dazu, an der eigenen Identität zu zweifeln? Schließlich wird so die Überzeugung verbreitet, daß die »Güterabwägung« der einzige Weg für die moralische Unterscheidung und daß das Gemeinwohl ein Synonym für Kompromiß sei. Der Kompromiß kann wohl ein legitimer Ausgleich von verschiedenen Einzelinteressen sein; er verwandelt sich aber jedesmal in Gemeinübel, wenn er Vereinbarungen mit sich bringt, die für die Natur des Menschen schädlich sind.

Eine Gemeinschaft, die aufgebaut wird, ohne die echte Würde des Menschen zu achten, insofern sie vergißt, daß jede Person als Abbild Gottes geschaffen ist, gereicht am Ende niemandem zum Wohl. Deshalb scheint es immer unerläßlicher, daß sich Europa vor dieser heute so weit verbreiteten pragmatischen Haltung hüte, die den Kompromiß über die wesentlichen menschlichen Werte systematisch rechtfertigt, als handle es sich um die unvermeidliche Annahme eines vermeintlich kleineren Übels. Ein derartiger, als ausgewogen und realistisch präsentierter Pragmatismus ist im Grunde nicht so, gerade weil er jene Dimension der Werte und Ideale verneint, die der menschlichen Natur innewohnen. Wenn dann einem solchen Pragmatismus laizistische und relativistische Tendenzen und Strömungen eingepflanzt werden, verweigert man am Ende den Christen das Recht, sich als solche in die öffentliche Debatte einzubringen, oder es wird im besten Fall ihr Beitrag mit dem Vorwurf herabgesetzt, sie wollten unberechtigte Privilegien schützen. Im aktuellen geschichtlichen Moment und angesichts der vielen damit verbundenen Herausforderungen kann die Europäische Union, wenn sie ein guter Garant des Rechtsstaates und ein wirksamer Förderer der universalen Werte sein will, nicht umhin, mit Klarheit das sichere Dasein einer beständigen und bleibenden menschlichen Natur anzuerkennen, die Quelle gemeinsamer Rechte für jeden einzelnen ist, einschließlich derer, die sie verneinen. In diesem Kontext ist das Recht auf Verweigerung aus Gewissensgründen jedesmal, wenn die grundlegenden Menschenrechte verletzt werden, zu schützen.

Liebe Freunde, ich weiß, wie schwer es für die Christen ist, diese Wahrheit über den Menschen tapfer zu verteidigen. Aber werdet nicht müde, und verliert nicht den Mut! Ihr wißt: Ihr habt die Aufgabe, mit der Hilfe Gottes ein »neues Europa« zu bauen, das realistisch, aber nicht zynisch ist, reich an Idealen und frei von naiven Illusionen und sich an der ewigen und lebensspendenden Wahrheit des Evangeliums inspiriert. Seid deshalb auf europäischer Ebene aktiv präsent in der öffentlichen Debatte, dies im Bewußtsein, daß sie nun integrierender Teil der nationalen Debatte ist, und begleitet diesen Einsatz mit einem wirksamen kulturellen Handeln. Beugt euch nicht der Logik der Macht als Selbstzweck! Eine ständige Anregung und Stütze sei euch die Mahnung Christi: Wenn das Salz seinen Geschmack verliert, taugt es zu nichts mehr; es wird weggeworfen und zertreten (vgl. Mt Mt 5,13). Der Herr mache alle eure Anstrengungen fruchtbar und helfe euch, die in der heutigen Gesellschaft vorhandenen positiven Elemente zu erkennen und zur Geltung zu bringen, gleichzeitig aber all das mutig anzuklagen, was gegen die Würde des Menschen ist.

Ich bin sicher, daß Gott die hochherzigen Bemühungen derer segnen wird, die im Geist des Dienstes tätig sind, um ein gemeinsames europäisches Haus zu bauen, wo jeder kulturelle, soziale und politische Beitrag das Gemeinwohl zum Ziel hat. Euch, die ihr schon in verschiedener Weise mit diesem wichtigen menschlichen und evangeliumsgemäßen Vorhaben befaßt seid, spreche ich meine Unterstützung und meine lebhafte Ermutigung aus. Ich versichere euch vor allem eines Gedenkens im Gebet. Während ich den mütterlichen Schutz Marias, der Mutter des menschgewordenen Wortes, anrufe, erteile ich euch und euren Familien und Gemeinschaften von Herzen meinen liebevollen Segen.

AN DIE MITGLIEDER DER KIRCHLICHEN BEWEGUNG

"COMUNIONE E LIBERAZIONE" Petersplatz

Samstag, 24. März 2007




Liebe Brüder und Schwestern!

Es ist für mich eine große Freude, euch heute aus Anlaß des 25. Jahrestages der päpstlichen Anerkennung der Fraternität »Comunione e Liberazione« hier auf dem Petersplatz zu empfangen. Ich richte an jeden einzelnen von euch meinen herzlichen Gruß, besonders an die hier anwesenden Bischöfe, die Priester und die Verantwortlichen. Ganz besonders begrüße ich den Vorsitzenden eurer Fraternität, Don Julián Carrón, und danke ihm für die schönen und tiefen Worte, die er im Namen von euch allen an mich gerichtet hat.

Mein erster Gedanke geht zu eurem Gründer, Msgr. Luigi Giussani, an den mich so viele Erinnerungen binden und der mir zu einem echten Freund geworden war. Die letzte Begegnung fand, wie Msgr. Carrón erwähnte, im Februar vor zwei Jahren im Mailänder Dom statt, als mich der geliebte Johannes Paul II. entsandte, um dem Trauergottesdienst für Don Giussani vorzustehen. Der Heilige Geist hat durch ihn in der Kirche eine Bewegung, eure Bewegung, erweckt, die von der Schönheit des Christseins Zeugnis geben sollte in einer Zeit, in der sich immer mehr die Meinung verbreitete, das Christentum sei etwas Anstrengendes und bedrückend zu leben. Don Giussani bemühte sich daher, in den jungen Menschen die Liebe zu Christus, der »Weg, Wahrheit und Leben« ist, wiederzuerwecken, indem er immer wieder darauf hinwies, daß allein Er der Weg zur Erfüllung der tiefsten Sehnsüchte des menschlichen Herzens ist und daß Christus uns nicht trotz unseres Menschseins rettet, sondern durch es. Wie ich in der Predigt bei der Trauermesse für ihn in Erinnerung rief, war dieser mutige Priester, der in einem Haus arm an Brot, aber reich an Musik – wie er selbst gern sagte – aufgewachsen war, von Anfang an berührt, ja getroffen von der Sehnsucht nach der Schönheit, aber nicht nach irgendeiner Schönheit: Er suchte nach der Schönheit selbst, nach der unendlichen Schönheit, die er in Christus fand. Wie sollte ich mich zudem nicht an die vielen Begegnungen und Kontakte von Don Giussani mit meinem verehrten Vorgänger Johannes Paul II. erinnern? Bei einem euch wichtigen Anlaß wollte der Papst noch einmal betonen, daß die ursprüngliche pädagogische Intuition von »Comunione e Liberazione« darin bestehe, auf faszinierende Weise und im Einklang mit der zeitgenössischen Kultur das christliche Ereignis – verstanden als Quelle neuer Werte und fähig, der gesamten Existenz Orientierung zu geben – neu anzubieten.

Das Ereignis, welches das Leben des Gründers verändern sollte, hat auch das Leben vieler seiner geistlichen Söhne und Töchter »getroffen« und vielfältigen religiösen und kirchlichen Erfahrungen Raum gegeben, die die Geschichte eurer großen und reich gestalteten geistlichen Familie prägen. »Comunione e Liberazione« ist eine gemeinschaftliche Glaubenserfahrung, die in der Kirche nicht aus einem organisatorischen Willen der Hierarchie entstanden ist, sondern aus einer erneuerten Begegnung mit Christus und damit, so können wir sagen, aus einem letztlich vom Heiligen Geist herrührenden Impuls hervorgegangen ist. Noch heute bietet sie sich als eine Möglichkeit an, den christlichen Glauben in tiefer und aktualisierter Weise zu leben – einerseits durch eine völlige Treue und Gemeinschaft mit dem Nachfolger des Petrus und mit den Bischöfen, die die Leitung der Kirche gewährleisten; andererseits durch eine Spontaneität und Freiheit, die neue, prophetische Umsetzungen apostolischer und missionarischer Vorhaben ermöglichen.

Liebe Freunde, eure Bewegung fügt sich so in jene reiche Blüte von Vereinigungen, Bewegungen und neuen kirchlichen Gruppierungen ein, die, wie von der Vorsehung bestimmt, vom Heiligen Geist nach dem II. Vatikanischen Konzil in der Kirche erweckt worden sind. Jede Gabe des Geistes steht ursprünglich und notwendigerweise im Dienst der Auferbauung des Leibes Christi, indem sie ein Zeugnis bietet von der unermeßlichen Liebe Gottes für das Leben jedes Menschen. Die Wirklichkeit der kirchlichen Bewegungen ist daher Zeichen für die Fruchtbarkeit des Geistes des Herrn, damit sich in der Welt der Sieg des auferstandenen Christus zeige und sich der Missionsauftrag erfülle, der an die ganze Kirche ergangen ist. In der Botschaft zum Weltkongreß der kirchlichen Bewegungen am 27. Mai 1998 hat der Diener Gottes Johannes Paul II. ein weiteres Mal wiederholt, daß in der Kirche kein Gegensatz oder Widerspruch zwischen der institutionellen und der charismatischen Dimension besteht – ein bedeutender Ausdruck für diese charismatische Dimension sind eben die kirchlichen Bewegungen –, weil beide gleich wesentlich für die göttliche Verfassung des Volkes Gottes sind. In der Kirche sind auch die wesentlichen Institutionen charismatisch, und auf der anderen Seite müssen sich auch die Charismen in der einen oder anderen Weise institutionalisieren, damit ihnen Kohärenz und Kontinuität beschieden ist. So wirken beide Dimensionen, die ja vom selben Heiligen Geist für denselben Leib Christi hervorgebracht worden sind, zusammen, um das Geheimnis und das Heilswirken Christi in der Welt zu vergegenwärtigen. Daraus erklärt sich die Aufmerksamkeit, mit der der Papst und die Bischöfe auf den Reichtum der charismatischen Gaben in der heutigen Zeit schauen. In diesem Zusammenhang habe ich kürzlich bei einer Begegnung mit dem Klerus und den Pfarrern von Rom mit Bezug auf die Aufforderung des hl. Paulus im Ersten Brief an die Thessalonicher, die Charismen nicht auszulöschen, gesagt, daß wir dankbar sein sollen, wenn uns der Herr neue Gaben schenkt, auch wenn sie manchmal unbequem sind. Da aber die Kirche eine ist, müssen sich die Bewegungen, wenn sie wirklich Gaben des Heiligen Geistes sind, natürlich in die kirchliche Gemeinschaft einfügen und ihr so dienen, daß sie im geduldigen Dialog mit den Hirten aufbauende Elemente für die Kirche von heute und morgen darstellen können.

Liebe Brüder und Schwestern, der verstorbene Johannes Paul II. hat euch bei einer anderen für euch sehr wichtigen Gelegenheit mit diesem Auftrag betraut: »Geht und bringt in die ganze Welt die Wahrheit, die Schönheit und den Frieden, die im Erlöser Christus einander begegnen«. Don Giussani hat diese Worte zum Programm der gesamten Bewegung gemacht, und für »Comunione e Liberazione« war es der Anfang eines missionarischen Frühlings, der euch in achtzig Länder geführt hat. Heute lade ich euch dazu ein, auf diesem Weg weiterzugehen mit einem tiefen Glauben, der persönlich geprägt und fest verwurzelt ist im Leib Christi, der Kirche, die die Gegenwärtigkeit Jesu bei uns gewährleistet. Beenden wir unser Treffen, indem wir mit dem Gebet des Angelus unsere Gedanken der Muttergottes zuwenden. Für sie hegte Don Giussani eine große Verehrung, die genährt wurde von der Anrufung »Veni Sancte Spiritus, veni per Mariam« und vom Gebet des Hymnus an die Jungfrau Maria von Dante Alighieri, den auch ihr heute früh angestimmt habt. Es begleite euch die selige Jungfrau, die euch helfen möge, in jeder Lebenslage großherzig euer »Ja« zum Willen Gottes zu sprechen. Ihr könnt, liebe Freunde, auf mein beständiges Gebetsgedenken zählen, während ich euch, die ihr hier anwesend seid, und eure gesamte geistliche Familie herzlich segne.

AN DIE LEITER UND MITGLIEDER DER ITALIENISCHEN HANDWERKERVEREINIGUNG "CONFARTIGIANATO" Audienzenhalle

Samstag, 31. März 2007

Liebe Freunde!


Über euren Besuch freue ich mich sehr, und ich richte an jeden von euch meinen herzlichen Gruß. Insbesondere begrüße ich euren Vorsitzenden, Herrn Giorgio Natalino Guerrini, und danke ihm für die freundlichen Worte, die er im Namen aller an mich gerichtet hat. Mein ehrerbietiger Gruß gilt auch den anderen Leitern und Mitgliedern eurer Vereinigung, die auf über 60 Jahre intensiver Arbeit zurückblickt.

Die »Confartigianato«, die 1946 auf der Grundlage der Beitrittsfreiheit gegründet wurde und den Mitgliedern von Handwerksbetrieben und Kleinunternehmen aller Orte, Sektoren und kulturellen Hintergründe offensteht, hat unzweifelhaft einen Beitrag geleistet zum Aufbau der modernen italienischen Nation. Sie war unter einigen wichtigen Gesichtspunkten bezeichnend für ihre soziale und wirtschaftliche, künstlerische und kulturelle Entwicklung, und sie hat dem Fortschritt Italiens sein eigenes stilistisches Gepräge verliehen. Wenn nämlich bis vor einigen Jahrzehnten der Begriff »Handwerker« an etwas »Altes und Malerisches« denken ließ, an etwas, was mit dem Bild der Schmiede oder der Schusterwerkstatt in Zusammenhang gebracht wurde, so bedeutet er heute vielmehr Unabhängigkeit, Kreativität und individuelle Gestaltung in der Produktion von Gütern und Dienstleistungen.

Liebe Freunde, eure Anwesenheit gibt mir Gelegenheit, über einen wichtigen Aspekt der menschlichen Erfahrung nachzudenken. Ich beziehe mich auf die Arbeitswelt, die in diesem geschichtlichen Augenblick im Mittelpunkt umfassender wirtschaftlicher und sozialer Veränderungen, immer rascherer und komplexerer Umwandlungen steht. An mehreren Stellen der Bibel wird der wahre Sinn der menschlichen Arbeit hervorgehoben, vom Buch Genesis an, wo wir lesen, wie der Schöpfer den Menschen nach seinem Bild formte und ihm auftrug, den Ackerboden zu bestellen (vgl. Gen 2,5–6). Die Arbeit gehört daher zum ursprünglichen Seinszustand des Menschen. Aufgrund der Sünde der Stammeltern geschah es leider, daß sie Mühsal und Plage wurde (vgl. Gen 3,6–8), aber im göttlichen Plan bleibt ihr Wert unverändert. Und die Kirche, die dem Wort Gottes treu ist, ruft ständig den Grundsatz in Erinnerung, nach dem »die Arbeit für den Menschen … und nicht der Mensch für die Arbeit« da ist (Laborem exercens LE 6). So verkündet sie ohne Unterlaß den Vorrang des Menschen vor seiner Hände Werk und erinnert daran, daß alles auf den wahren Fortschritt der menschlichen Person und auf das Gemeinwohl ausgerichtet sein muß: das Kapital, die Wissenschaft, die Technik, die öffentlichen Mittel und auch das Privateigentum.

Das ist in eben den Handwerksunternehmen, die ihr vertretet und die sich an der Lehre des Evangeliums und an den Grundsätzen der Soziallehre der Kirche orientieren, gut umgesetzt worden. Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern, was das Kompendium der Soziallehre der Kirche diesbezüglich sagt: »Die Arbeit in den kleinen und mittleren Betrieben, die handwerkliche und die selbständige Arbeit können zu einer Gelegenheit werden, das Arbeitsleben menschlicher zu gestalten, sei es durch die Möglichkeit, in einer überschaubaren Gemeinschaft positive zwischenmenschliche Beziehungen zu pflegen, sei es durch die Vorteile, die sich aus einem Mehr an Initiative und Unternehmergeist ergeben« (Nr. 315).

Liebe Handwerker, aus Anlaß des Großen Jubiläums des Jahres 2000 hat mein Vorgänger Johannes Paul II. einige bedeutsame Worte an euch gerichtet, die unveränderte Aktualität und Dringlichkeit behalten. Heute möchte ich sie symbolisch noch einmal der ganzen »Confartigianato« anvertrauen. Der geliebte Papst sagte zu euch: »Ihr könnt, liebe Handwerker, jenen Werten, die seit jeher eure Aktivitäten bestimmen, wieder neue Kraft und Gestalt verleihen: dem Qualitätsbewußtsein und Unternehmungsgeist, der Förderung künstlerischer Fähigkeiten, der Freiheit und Zusammenarbeit, dem richtigen Verhältnis von Technologie und Umwelt, der Verwurzelung in der Familie und den guten nachbarschaftlichen Beziehungen«. Und er fügte hinzu: »Die Kultur des Handwerks hat es in der Vergangenheit vermocht, großartige Gelegenheiten zur Begegnung zwischen den Völkern zu schaffen, und verlieh den nachfolgenden Zeiten eine wundervolle Synthese von Kultur und Glauben« (Predigt von Papst Johannes Paul II. bei der Heiligjahrfeier der Handwerker, 19.3.2000; in O.R. dt., Nr. 12, v. 24.3.2000, S. 2).

Liebe Freunde, fahrt damit fort, die Kultur der handwerklichen Produktion mit Beharrlichkeit und Ausdauer zu bewahren und wertzuschätzen. Sie kann große Gelegenheiten für einen ausgewogenen wirtschaftlichen Fortschritt und zur Begegnung zwischen Menschen und Völkern ins Leben rufen. Bemüht euch als Christen darüber hinaus, das »Evangelium der Arbeit« zu leben und zu bezeugen, im Bewußtsein, daß der Herr alle Getauften zur Heiligkeit durch ihre tägliche Arbeit beruft. Diesbezüglich sagt der hl. Josemaría Escrivá, ein Heiliger unserer Zeit: »Da Christus die Arbeit auf sich genommen hat, erscheint sie uns als erlöste und erlösende Wirklichkeit, nicht nur als der Lebensbereich des Menschen, sondern auch als Mittel und Weg der Heiligkeit, als etwas, das geheiligt werden kann und selbst heiligt« (Christus begegnen. Predigten, Nr. 47).

Es helfe euch bei dieser Aufgabe, die zum wertvollen Dienst an der Evangelisierung wird, die Jungfrau Maria, die in arbeitsamer Verborgenheit lebte, und der hl. Josef, der Patron der Kirche und euer besonderer Schutzpatron. In der Schule der Familie von Nazaret könnt ihr leichter lernen, ein konsequentes Glaubensleben mit der Mühsal und den Schwierigkeiten der Arbeit, dem persönlichen Nutzen und dem solidarischen Einsatz für die Notleidenden zu verbinden. Während ich euch noch einmal meine Dankbarkeit für euren Besuch zum Ausdruck bringe, versichere ich jeden von euch mit euren verschiedenen Tätigkeiten eines besonderen Gebetsgedenkens und segne euch und eure Angehörigen von Herzen.

April 2007


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Benedikt XVI Predigten 105