Benedikt XVI Predigten 36

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AN DIE GENERALOBEREN UND GENERALOBERINNEN

DER INSTITUTE GEWEIHTEN LEBENS UND DER

GESELLSCHAFTEN APOSTOLISCHEN LEBENS Audienzenhalle

Montag, 22. Mai 2006

Herr Kardinal,

verehrte Mitbrüder im bischöflichen und im priesterlichen Dienst,
liebe Brüder und Schwestern!

Es ist mir eine große Freude, mit euch, den Generaloberen und Generaloberinnen als Vertretern und Verantwortungsträgern des geweihten Lebens zusammenzutreffen. Ich richte an alle meinen herzlichen Gruß. Mit brüderlicher Zuneigung begrüße ich insbesondere Herrn Kardinal Franc Rodé und danke ihm, daß er zusammen mit anderen eurer Vertreter eure Empfindungen zum Ausdruck gebracht hat. Ich begrüße den Sekretär und die Mitarbeiter der Kongregation für die Institute geweihten Lebens und die Gesellschaften apostolischen Lebens, und ich bin dankbar für den Dienst, den dieses Dikasterium in einem so wichtigen Bereich wie dem des geweihten Lebens der Kirche leistet. Ich denke in diesem Augenblick mit aufrichtiger Dankbarkeit an alle Ordensleute, an die geweihten Personen und die Mitglieder der Gesellschaften apostolischen Lebens, die in der Kirche und in der Welt den »bonus odor Christi« (vgl. 2Co 2,15) verbreiten. Euch, höhere Obere und Oberinnen, bitte ich, denjenigen ein Wort besonderer Fürsorge zu überbringen, die sich in Schwierigkeiten befinden, den Alten und Kranken, denjenigen, die Augenblicke der Krise und der Einsamkeit durchmachen, denen, die leiden und verzagt sind, und gleichzeitig den jungen Männern und Frauen, die auch heute an die Türen eurer Häuser klopfen mit der Bitte, sich selbst Jesus Christus in der Radikalität des Evangeliums schenken zu dürfen.

Ich wünsche mir, daß diese Begegnung, dieser Moment tiefer Gemeinschaft mit dem Papst, für jeden von euch eine Ermutigung und Stärkung bei der Erfüllung einer Aufgabe sein möge, die immer anspruchsvoll ist und manchmal auf Widerspruch stößt. »Der Dienst der Autorität« erfordert ständige Präsenz und die Fähigkeit, zu beseelen und Anregungen zu geben, die Daseinsberechtigung des geweihten Lebens in Erinnerung zu rufen, den euch anvertrauten Menschen dabei zu helfen, mit stets sich erneuernder Treue dem Ruf des Heiligen Geistes zu entsprechen. Diese Aufgabe ist oft vom Kreuz begleitet und manchmal auch von einer Einsamkeit, die tiefes Verantwortungsbewußtsein erfordert, einen Großmut, der keine Irrwege kennt, und ständige Hingabe seiner selbst. Ihr seid berufen, eure Brüder und eure Schwestern zu stützen und zu leiten, in einer Zeit, die nicht einfach ist, und die vielfache Gefahren kennt. Heute haben die geweihten Männer und Frauen die Aufgabe, Zeugen der verwandelnden Gegenwart Gottes zu sein in einer Welt, die immer orientierungsloser ist und in der immer mehr Verwirrung herrscht, in einer Welt, in der Schattierungen an die Stelle deutlich erkennbarer Farben getreten sind. In der Lage zu sein, unsere Zeit mit dem Auge des Glaubens zu betrachten, bedeutet, die Fähigkeit zu haben, den Menschen, die Welt und die Geschichte im Licht des gekreuzigten und auferstandenen Christus zu sehen, dem einzigen »Leitstern für den Menschen zwischen den Bedingtheiten der immanentistischen Denkweise und den Verengungen einer technokratischen Logik« (Fides et ratio, 15).

Das geweihte Leben ist in den letzten Jahren wieder in einem Geist verstanden worden, der evangeliumsgemäßer, ekklesialer und apostolischer ist; aber wir dürfen nicht verkennen, daß manche konkreten Entscheidungen der Welt nicht das wahre und lebenspendende Antlitz Christi gezeigt haben. Denn die säkularisierte Kultur ist in den Verstand und das Herz nicht weniger geweihter Personen eingedrungen, die diese Kultur als eine Form des Zugangs zur Modernität verstehen und als eine Art, sich der gegenwärtigen Welt anzunähern. Die Folge ist, daß das geweihte Leben neben einem zweifellos vorhandenen großherzigen Aufschwung, der zum Zeugnis und zur Ganzhingabe fähig ist, heute auch die Gefahr der Mittelmäßigkeit, der Verbürgerlichung und des Konsumdenkens kennt. Jesus hat uns im Evangelium darauf hingewiesen, daß es zwei Wege gibt: den schmalen Weg, der zum Leben führt, und den anderen, den breiten Weg, der ins Verderben führt (vgl. Mt 7,13–14). Entweder nimmt man den lebendigen Gott durch den gehorsamen Dienst aus dem Glauben an oder man lehnt ihn ab: das ist und bleibt die wahre Alternative. Eine Vorbedingung für die Nachfolge Christi ist also der Verzicht, die Loslösung von allem, was er nicht ist. Der Herr will keine gebundenen, sondern freie Männer und Frauen, die imstande sind, alles zu verlassen, um ihm nachzufolgen und nur in ihm ihr ein und alles zu finden. Es ist nötig, mutige Entscheidungen auf persönlicher und gemeinschaftlicher Ebene zu treffen, die dem Leben der geweihten Personen neue Disziplin verleihen und sie dazu bringen, die allumfassende Dimension der »sequela Christi« neu zu entdecken.

Dem Herrn gehören heißt, von seiner glühenden Liebe verbrannt zu werden, vom Glanz seiner Schönheit verwandelt zu werden: Unsere Kleinheit wird ihm als wohlriechendes Opfer dargebracht, damit es Zeugnis der Größe seiner Gegenwart für unsere Zeit wird, die es so nötig hat, vom Reichtum seiner Gnade erfüllt zu werden. Dem Herrn gehören: Das ist die Sendung der Männer und Frauen, die sich entschieden haben, dem keuschen, armen und gehorsamen Christus nachzufolgen, damit die Welt glaubt und gerettet wird: ganz Christus zu gehören und so zu einem beständigen Glaubensbekenntnis zu werden, zu einer unmißverständlichen Verkündigung der Wahrheit, die von der Verführung durch falsche Götzen befreit, von denen die Welt geblendet ist. Christus gehören bedeutet, im Herzen stets eine lebendige Flamme der Liebe brennen zu lassen, die fortwährend vom Reichtum des Glaubens genährt wird, und das nicht nur dann, wenn sie innere Freude mit sich bringt, sondern auch dann, wenn sie mit Schwierigkeiten, Trockenheit oder Leiden verbunden ist. Die Nahrung für das innere Leben ist das Gebet, das vertraute Gespräch der geweihten Seele mit dem göttlichen Bräutigam. Noch reichere Nahrung ist die tägliche Teilnahme am unaussprechlichen Geheimnis der göttlichen Eucharistie, in der der auferstandene Christus in der Wirklichkeit seines Fleisches ständig gegenwärtig wird.

Um ganz dem Herrn zu gehören, nehmen die geweihten Personen einen keuschen Lebensstil an. Die geweihte Jungfräulichkeit paßt nicht in den Rahmen der Logik dieser Welt; sie ist das »unvernünftigste« der christlichen Paradoxa, und nicht allen Menschen ist es gegeben, sie zu erfassen und zu leben (vgl. Mt 19,11–12). Ein keusches Leben führen bedeutet auch, auf das Geltungsbedürfnis zu verzichten und einen einfachen, bescheidenen Lebensstil anzunehmen. Die Ordensleute sind aufgerufen, ihn auch in der Wahl der Kleidung zu zeigen, einfacher Kleidung, die Zeichen der Armut sein soll, die in Vereinigung mit Christus gelebt wird, der reich war, aber arm wurde, um uns durch seine Armut reich zu machen (vgl. 2Co 8,9). So, und nur so, kann man dem gekreuzigten und armen Christus vorbehaltlos nachfolgen, indem man in sein Geheimnis eintaucht und sich seine selbstgewählte Demut, Armut und Sanftmut zu eigen macht.

Die letzte Vollversammlung der Kongregation für die Institute geweihten Leben und die Gesellschaften apostolischen Lebens stand unter dem Thema: »Der Dienst der Autorität«. Liebe Generalobere und Generaloberinnen, dies ist eine Gelegenheit, tiefer nachzudenken über das Ausüben von Autorität und Gehorsam, das immer mehr vom Evangelium inspiriert sein muß. Das Joch des Menschen, der berufen ist, die schwierige Aufgabe des Oberen oder der Oberin auf allen Ebenen auszuüben, wird um so leichter sein, je mehr die geweihten Personen den Wert des gelobten Gehorsams entdecken, dessen Vorbild der Gehorsam Abrahams, unseres Vaters im Glauben, und noch mehr der Gehorsam Christi ist. Es ist notwendig, Voluntarismus und Launen zu meiden, um die Logik des Kreuzes anzunehmen.

Abschließend läßt sich sagen, daß die geweihten Personen berufen sind, in der Welt ein glaubwürdiges und leuchtendes Zeichen des Evangeliums und seiner Paradoxa zu sein, ohne sich dem Denken dieser Welt anzugleichen, sondern in Wandlung begriffen und in der ständigen Erneuerung ihrer übernommenen Pflichten, um zu prüfen und zu erkennen, »was der Wille Gottes ist; was ihm gefällt, was gut und vollkommen ist« (Rm 12,2). Und genau das ist mein Wunsch, liebe Brüder und Schwestern, ein Wunsch, auf den ich die mütterliche Fürsprache der Jungfrau Maria herabrufe, des unübertrefflichen Vorbildes allen geweihten Lebens. Mit diesen Empfindungen erteile ich euch mit Zuneigung den Apostolischen Segen, in den ich gern alle Menschen einschließe, die zu euren verschiedenen geistlichen Familien gehören.
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APOSTOLISCHE REISE NACH POLEN

BEI DER ANKUNFT AUF DEM WARSCHAUER FLUGPLATZ Okecie, 25. Mai 2006




Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
meine Herren Kardinäle
und Mitbrüder im Bischofsamt,
liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Ich freue mich, heute unter euch zu sein, auf dem Boden der Polnischen Republik. Ich habe mir diesen Besuch in dem Land und bei dem Volk, aus dem mein geliebter Vorgänger, der Diener Gottes Johannes Paul II., kam, sehr gewünscht. Ich bin gekommen, um den Spuren seines Lebensweges zu folgen, von seiner Kindheit bis zur Abreise zum denkwürdigen Konklave von 1978. Auf diesem Weg will ich den Generationen von Gläubigen begegnen und sie besser kennenlernen, die ihn dem Dienst an Gott und an der Kirche geschenkt haben, und ebenso jene, die geboren und herangewachsen sind für den Herrn unter seiner pastoralen Leitung als Priester, als Bischof und als Papst. Unser gemeinsamer Weg wird von dem Motto begleitet: »Steht fest im Glauben«. Daran erinnere ich von Anfang an, um hervorzuheben, daß es sich nicht einfach um eine sentimentale, auch unter diesem Aspekt dennoch wertvolle Reise handelt, sondern um eine Reise des Glaubens, die in die Sendung eingeschrieben ist, die mir vom Herrn in der Person des Apostels Petrus anvertraut worden ist, der dazu berufen wurde, die Brüder im Glauben zu stärken (vgl. Lk Lc 22,32). Auch ich will aus der reichen Quelle eures Glaubens schöpfen, die seit mehr als einem Jahrtausend ununterbrochen hervorströmt.

Ich grüße den Herrn Präsidenten und danke ihm von Herzen für die Worte, die er im Namen der Verantwortlichen der Republik und im Namen der Nation an mich gerichtet hat. Ich grüße die Herren Kardinäle, die Erzbischöfe und Bischöfe. Einen Gruß richte ich auch an den Herrn Ministerpräsidenten und an die ganze Regierung, an die Vertreter des Parlaments und des Senats, an die Mitglieder des Diplomatischen Korps und seinen Doyen, den Apostolischen Nuntius in Polen. Ich freue mich über die Anwesenheit der lokalen Autoritäten, angeführt vom Bürgermeister von Warschau. Einen Gruß möchte ich auch an die Vertreter der Orthodoxen Kirche, der Evangelisch-Augsburgischen Kirche und der anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften richten. Mein Gruß gilt auch der jüdischen Gemeinde und den Anhängern des Islam. Schließlich grüße ich von Herzen die ganze Kirche in Polen: die Priester, die Ordensleute und Personen des geweihten Lebens, die Alumnen der Priesterseminare, alle Gläubigen, vor allem die Kranken, die Jugendlichen und die Kinder. Ich bitte euch, mich in Gedanken und im Gebet zu begleiten, damit diese Reise für uns alle fruchtbar werde und uns zur Vertiefung und zur Stärkung unseres Glaubens führe.

Ich habe gesagt, daß der Verlauf meines Weges auf dieser Polenreise von den Spuren des Lebens und des pastoralen Dienstes Karol Wojtylas und von dem Weg gekennzeichnet ist, den der Papst als Pilger in seiner Heimat zurückgelegt hat. Ich habe daher beschlossen, mich hauptsächlich in zwei Städten aufzuhalten, die Johannes Paul II. sehr liebte: in Warschau, der Hauptstadt Polens, und in Krakau, seinem Sitz als Erzbischof. In Warschau werde ich mit den Priestern, mit den anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften und mit den staatlichen Autoritäten zusammentreffen. Ich hoffe, daß diese Begegnungen für unseren gemeinsamen Glauben an Christus und für die soziale und politische Wirklichkeit, in der die Männer und Frauen von heute leben, reiche Früchte tragen. Vorgesehen ist auch ein kurzer Aufenthalt in Tschenstochau und eine Begegnung mit Vertretern der Ordensmänner und Ordensfrauen, mit den Seminaristen und den Mitgliedern der kirchlichen Bewegungen. Der gütige Blick Mariens wird uns bei unserer gemeinsamen Suche nach einer tiefen und treuen Verbundenheit mit Christus, ihrem Sohn, begleiten. Und schließlich werde ich in Krakau haltmachen, um mich von dort nach Wadowice, nach Kalwaria, nach Lagiewniki und zur Kathedrale auf dem Wawel zu begeben. Ich weiß wohl, daß dies die Orte sind, die Johannes Paul II. am meisten geliebt hat, weil sie mit seinem Wachstum im Glauben und mit seinem pastoralen Dienst verbunden sind. Auch eine Begegnung mit den Kranken und Leidenden wird nicht fehlen, an dem Ort, der für eine Zusammenkunft mit ihnen vielleicht am geeignetsten ist – das Heiligtum der Göttlichen Barmherzigkeit in Lagiewniki. Ebenso kann ich nicht fehlen, wenn sich die Jugendlichen zur Gebetsvigil versammeln. Ich werde gerne bei ihnen sein und hoffe, mich an ihrem Zeugnis eines jungen und starken Glaubens erfreuen zu können. Am Sonntag werden wir uns im Blonie-Park einfinden, um die feierliche Dankmesse zu feiern für das Pontifikat meines geliebten Vorgängers und für den Glauben, in dem er uns stets durch das Wort und das Beispiel seines Lebens gestärkt hat. Abschließend werde ich nach Auschwitz fahren. Dort hoffe ich, vor allem den Überlebenden des nationalsozialistischen Terrors aus verschiedenen Nationen zu begegnen, die die tragische Unterdrückung erlitten haben. Wir werden alle zusammen dafür beten, daß die Wunden des vergangenen Jahrhunderts durch die Behandlung heilen mögen, auf die der gute Gott uns hinweist, wenn er uns zur gegenseitigen Vergebung aufruft, und die er uns im Geheimnis seiner Barmherzigkeit anbietet.

»Steht fest im Glauben« – das ist das Leitwort dieser Apostolischen Reise. Ich wünsche sehr, daß diese Tage für uns alle – für die Gläubigen der Kirche in Polen und für mich selbst – eine Festigung im Glauben bewirken mögen. Für diejenigen, die nicht die Gnade des Glaubens besitzen, aber im Herzen den guten Willen hegen, möge mein Besuch eine Zeit der Brüderlichkeit, des Wohlwollens und der Hoffnung sein. Diese ewigen Werte der Menschheit bilden eine solide Grundlage, um eine bessere Welt zu schaffen, in der ein jeder materiellen Wohlstand und spirituelle Freude finden kann. Das wünsche ich dem ganzen polnischen Volk. Ich danke nochmals dem Herrn Präsidenten und dem polnischen Episkopat für die Einladung, umarme herzlich alle Polen und bitte sie, mich auf diesem Weg des Glaubens mit ihrem Gebet zu begleiten.


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APOSTOLISCHE REISE NACH POLEN

BEGEGNUNG MIT DEM POLNISCHEN KLERUS Warschau-Kathedrale, 25. Mai 2006

»Zunächst danke ich meinem Gott durch Jesus Christus für euch alle… Denn ich sehne mich danach, euch zu sehen; ich möchte euch geistliche Gaben vermitteln, damit ihr dadurch gestärkt werdet, oder besser: damit wir, wenn ich bei euch bin, miteinander Zuspruch empfangen durch euren und meinen Glauben« (Röm 1,8–12).


Mit diesen Worten des Apostels Paulus wende ich mich an euch, liebe Priester, denn in ihnen finde ich meine heutigen Empfindungen und Gedanken, Wünsche und Gebete vollkommen wiedergegeben. Ich grüße insbesondere den Erzbischof von Warschau und Primas von Polen, Kardinal Józef Glemp, und gratuliere ihm herzlich zum 50jährigen Jubiläum seiner Priesterweihe, das genau auf den heutigen Tag fällt. Ich bin nach Polen gekommen, in das geliebte Vaterland meines großen Vorgängers Johannes Paul II., um – wie er es gewöhnlich tat – aus dieser Atmosphäre des Glaubens zu schöpfen, in der ihr lebt, und um »euch geistliche Gaben zu vermitteln, damit ihr gestärkt werdet«. Ich habe die Zuversicht, daß durch »mein Pilgern in diesen Tagen euer und mein Glaube Zuspruch empfangen wird«.

Ich treffe heute in der Kathedrale von Warschau mit euch zusammen, die mit jedem Stein an die schmerzliche Geschichte eurer Hauptstadt und eures Landes erinnert. Welche Prüfungen habt ihr vor nicht sehr langer Zeit durchmachen müssen! Wir erinnern uns der heroischen Glaubenszeugen, die für Gott und die Menschen ihr Leben opferten, der kanonisierten Heiligen und der einfachen Menschen, die in Rechtschaffenheit, Wahrhaftigkeit und Güte ausharrten, ohne je der Entmutigung nachzugeben. In dieser Kathedrale denke ich besonders an den Diener Gottes Kardinal Stefan Wyszynski, der von euch »der Primas des Millenniums« genannt wird und der in der Hingabe an Christus und seine Mutter der Kirche auch inmitten langer schmerzlicher Prüfungen treu zu dienen wußte. Wir erinnern uns voll Anerkennung und Dankbarkeit derer, die sich nicht von den Mächten der Finsternis überwältigen ließen, und wir lernen von ihnen den Mut zu Konsequenz und Beständigkeit in der Treue zum Evangelium Christi.

Ich treffe mich heute mit euch, den Priestern, die von Christus berufen sind, ihm im neuen Jahrtausend zu dienen. Ihr seid aus dem Volk erwählt und in den Dingen, die Gott betreffen, eingesetzt, um Gaben und Opfer für die Sünden darzubringen. Glaubt an die Macht eures Priestertums! Kraft des Sakraments habt ihr alles empfangen, was ihr seid. Wenn ihr die Worte »ich« oder »mein« aussprecht (»Ich spreche dich los… Das ist mein Leib…«), tut ihr es nicht in eurem Namen, sondern im Namen Christi, »in persona Christi«, der sich eurer Lippen und eurer Hände, eures Opfergeistes und eurer Begabung bedienen will. Im Augenblick eurer Weihe, durch das liturgische Zeichen der Handauflegung, hat Christus euch unter seinen besonderen Schutz gestellt: Ihr seid unter seinen Händen und in seinem Herzen geborgen. Taucht ein in seine Liebe, und schenkt ihm eure Liebe! Als eure Hände mit dem Chrisamöl, dem Zeichen des Heiligen Geistes, gesalbt wurden, wurden sie dazu bestimmt, dem Herrn als seine Hände in der Welt von heute zu dienen. Sie können nicht mehr dem Egoismus dienen, sondern müssen in der Welt das Zeugnis seiner Liebe vermitteln.

Die Größe des Priestertums Christi kann Furcht einflößen. Man kann versucht sein, mit Petrus auszurufen: »Herr, geh weg von mir; ich bin ein Sünder« (Lc 5,8), denn es fällt uns schwer zu glauben, daß Christus gerade uns berufen hat. Hätte er nicht einen anderen, einen fähigeren, heiligeren wählen können? Aber Jesus hat gerade jeden von uns voll Liebe angeschaut, und auf seinen Blick müssen wir vertrauen. Lassen wir uns nicht von der Eile antreiben, so als wäre die Zeit, die Christus im stillen Gebet gewidmet wird, verlorene Zeit. Gerade dort wachsen die wunderbarsten Früchte des pastoralen Dienstes. Man darf sich nicht dadurch entmutigen lassen, daß das Gebet Anstrengung erfordert, ebensowenig durch den Eindruck, daß Jesus schweigt. Er schweigt, aber er handelt. In diesem Zusammenhang möchte ich gern die im vergangenen Jahr in Köln gemachte Erfahrung in Erinnerung rufen. Ich war damals Zeuge eines tiefen, unvergeßlichen Schweigens von einer Million junger Menschen im Augenblick der Anbetung des Allerheiligsten Sakraments! Diese betende Stille vereinte uns, spendete uns viel Trost. In einer Welt, in der es soviel Lärm, soviel Verwirrung gibt, ist die stille Anbetung des in der Hostie verborgenen Jesus notwendig. Pflegt eifrig das Gebet der Anbetung, und lehrt die Gläubigen dieses Gebet. Vor allem die leidgeprüften Personen werden darin Trost und Licht finden.

Die Gläubigen erwarten von den Priestern nur eines: daß sie darauf spezialisiert sind, die Begegnung des Menschen mit Gott zu fördern. Vom Priester wird nicht verlangt, daß er Experte in der Wirtschaft, im Bauwesen oder in der Politik ist. Von ihm erwartet man, daß er Experte im geistlichen Leben ist. Zu diesem Zweck muß ein junger Priester, wenn er seine ersten Schritte tut, sich an einen erfahrenen Lehrmeister wenden können, der ihm hilft, sich nicht in den vielen Angeboten der Kultur des Augenblicks zu verirren. Angesichts der Versuchungen des Relativismus oder der Permissivität ist es keineswegs notwendig, daß der Priester alle aktuellen, dem Wandel unterworfenen Denkströmungen kennt. Was die Gläubigen von ihm erwarten, ist, daß er Zeuge der im offenbarten Wort enthaltenen ewigen Weisheit ist. Das Bemühen um die Qualität des persönlichen Gebets und um eine gute theologische Ausbildung trägt im Leben Früchte. Das Leben unter dem Einfluß des Totalitarismus kann die unbewußte Neigung hervorgerufen haben, sich unter einer äußeren Maske zu verbergen und folglich, in einer gewissen Form der Heuchelei nachzugeben. Es ist klar, daß das der Wahrhaftigkeit der brüderlichen Beziehungen nicht zugute kommt und zu einer übertriebenen Konzentration auf sich selbst führen kann. In Wirklichkeit gelangt man nur zur affektiven Reife, wenn das Herz Gott anhängt. Christus braucht Priester, die reif und mannhaft sind, fähig, eine wahre geistliche Vaterschaft zu auszuüben. Damit das geschieht, bedarf es der Aufrichtigkeit mit sich selbst, der Öffnung gegenüber dem geistlichen Begleiter und des Vertrauens auf die göttliche Barmherzigkeit.

Papst Johannes Paul II. hat anläßlich des Großen Jubiläums die Christen mehrmals aufgerufen, Buße zu tun für die in der Vergangenheit begangene Untreue. Wir glauben, daß die Kirche heilig ist, aber in ihr sind Menschen, die Sünder sind. Man muß es vermeiden, sich nur mit denen identifizieren zu wollen, die ohne Sünde sind. Wie hätte die Kirche die Sünder aus ihren Reihen ausschließen können? Zu ihrem Heil ist Jesus Mensch geworden, ist gestorben und auferstanden. Deshalb muß man lernen, die christliche Buße aufrichtig zu leben. Indem wir sie praktizieren, bekennen wir die persönlichen Sünden vereint mit den anderen, vor ihnen und vor Gott. Man muß sich aber auch vor der Anmaßung hüten, sich als Richter über die vergangenen Generationen aufspielen zu wollen, die zu anderen Zeiten und unter anderen Umständen gelebt haben. Es bedarf demütiger Aufrichtigkeit, um die Sünden der Vergangenheit nicht zu leugnen und dennoch falschen Anschuldigungen nicht stattzugeben, wenn wirkliche Beweise fehlen oder man die andersartigen Vorverständnisse von damals nicht kennt. Die »confessio peccati«, um einen Ausdruck des hl. Augustinus zu benutzen, muß außerdem immer von der »confessio laudis« – vom Bekenntnis des Lobes – begleitet sein. Indem wir um Vergebung für das in der Vergangenheit begangene Böse bitten, sollen wir auch an das mit Hilfe der göttlichen Gnade vollbrachte Gute denken, das zwar in zerbrechlichen Gefäßen aufbewahrt wird, aber oft hervorragende Früchte getragen hat.

Die Kirche in Polen steht heute vor einer großen pastoralen Herausforderung: die Fürsorge für die Gläubigen, die das Land verlassen haben. Das Übel der Arbeitslosigkeit zwingt viele Personen, ins Ausland zu gehen. Es ist ein weitverbreitetes Phänomen. Wenn die Familien auf diese Weise getrennt werden, wenn die sozialen Bindungen reißen, kann die Kirche nicht gleichgültig bleiben. Es ist notwendig, daß die Personen, die das Land verlassen, von Priestern begleitet werden, die in Verbindung mit den Ortskirchen die Pastoralarbeit unter den Emigranten übernehmen. Die Kirche in Polen hat schon zahlreiche Priester und Ordensfrauen hervorgebracht, die ihren Dienst nicht nur für die Polen im Ausland ausüben, sondern auch – und manchmal unter den schwierigsten Umständen – in den Missionen Afrikas, Asiens, Lateinamerikas und anderer Gebiete. Liebe Priester, vergeßt diese Missionare nicht. Das Geschenk so vieler Berufungen, mit denen Gott eure Kirche gesegnet hat, muß aus einer wahrhaft katholischen Perspektive heraus angenommen werden. Polnische Priester, habt keine Angst, eure sichere und vertraute Welt zu verlassen, um dort zu dienen, wo es an Priestern mangelt und wo euer Großmut reiche Frucht tragen kann.

Steht fest im Glauben! Auch euch vertraue ich dieses Leitwort meiner Pilgerreise an. Seid wahrhaftig in eurem Leben und in eurem Dienst. Führt, indem ihr den Blick auf Christus richtet, ein einfaches Leben, in Solidarität mit den Gläubigen, zu denen ihr gesandt seid. Dient allen; seid in den Pfarreien und in den Beichtstühlen erreichbar, begleitet die neuen Bewegungen und Vereinigungen, stützt die Familien, vernachlässigt nicht die Verbindung mit den Jugendlichen, denkt an die Armen und die Verlassenen. Wenn ihr aus dem Glauben lebt, wird euch der Heilige Geist eingeben, was ihr sagen und wie ihr dienen sollt. Ihr werdet immer auf die Hilfe Marias zählen können, die der Kirche im Glauben vorangeht. Ich fordere euch auf, sie immer mit dem euch gut bekannten Worten anzurufen: »Wir sind dir nahe, wir denken an dich, wir wachen mit dir.«

Allen meinen Segen!
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APOSTOLISCHE REISE NACH POLEN

ÖKUMENISCHES TREFFEN Warschau, 25. Mai 2006

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!


»Gnade sei mit euch und Friede von Ihm, der ist und der war und der kommt, und von den sieben Geistern vor seinem Thron, und von Jesus Christus; er ist der treue Zeuge, der Erstgeborene der Toten, der Herrscher über die Könige der Erde« (Offb 1,4–5). Mit den Worten der Offenbarung, mit denen der hl. Johannes die sieben Kirchen in Asien grüßt, möchte ich meinen herzlichen Gruß an alle hier Anwesenden richten, vor allem an die Vertreter der Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, die im Polnischen Ökumenischen Rat zusammengeschlossen sind. Ich danke dem Vorsitzenden dieses Rates, Erzbischof Jeremiasz von der Autokephalen Orthodoxen Kirche, für seine Begrüßung und die Worte geistlicher Einheit, die er soeben an mich gerichtet hat. Ich grüße Erzbischof Alfons Nossol, den Vorsitzenden des Ökumenischen Rates der Polnischen Bischofskonferenz.

Uns verbindet heute hier der Wunsch, einander zu begegnen, um im gemeinsamen Gebet unserem Herrn Jesus Christus Herrlichkeit und Ehre zu erweisen: »Er liebt uns und hat uns von unseren Sünden erlöst durch sein Blut; er hat uns zu Königen gemacht und zu Priestern vor Gott, seinem Vater« (Offb 1,5–6). Wir sind unserem Herrn dankbar, weil er uns zusammenführt, uns seinen Geist schenkt und uns erlaubt – jenseits dessen, was uns noch trennt –, »Abba, Vater« zu rufen. Wir sind davon überzeugt, daß er selbst unablässig für uns eintritt und für uns bittet: »So sollen sie vollendet sein in der Einheit, damit die Welt erkennt, daß du mich gesandt hast und die Meinen ebenso geliebt hast wie mich« (Jn 17,23). Zusammen mit euch danke ich für das Geschenk dieser Begegnung zum gemeinsamen Gebet. Ich sehe in ihr eine der Etappen, um die feste Absicht zu verwirklichen, die ich zu Beginn meines Pontifikats ausgesprochen habe: die Wiederherstellung der vollen und sichtbaren Einheit unter den Christen als eine Priorität meines Amtes zu betrachten. Als mein geliebter Vorgänger, der Diener Gottes Johannes Paul II., im Jahre 1991 die Dreifaltigkeitskirche besuchte, betonte er: »So sehr wir auch nach der Einheit streben, sie bleibt immer ein Geschenk des Heiligen Geistes. Wir werden nur in dem Ausmaß gut gerüstet sein, dieses Geschenk zu empfangen, indem wir ihm unseren Geist und unser Herz geöffnet haben durch christliches Leben und besonders durch das Gebet« (Ansprache Johannes Pauls II. vor dem Polnischen Ökumenischen Rat in Warschau; in O.R. dt., Nr. 35, 30.8.1991, S. 14). In der Tat wird es uns nicht möglich sein, allein mit unseren Kräften die Einheit »herzustellen«. »Wir können sie nur empfangen als Geschenk des Heiligen Geistes«, wie ich im vergangenen Jahr bei der ökumenischen Begegnung in Köln gesagt habe (in O.R. dt., Nr. 35, 2.9.2005, S. 11). Deshalb müssen unsere ökumenischen Bestrebungen vom Gebet, von der gegenseitigen Vergebung und von der Heiligkeit des Lebens eines jeden von uns durchdrungen sein. Ich bringe meine Freude darüber zum Ausdruck, daß hier in Polen der Polnische Ökumenische Rat und die römisch-katholische Kirche zahlreiche Initiativen in diesem Bereich unternehmen.

»Siehe, er kommt mit den Wolken, und jedes Auge wird ihn sehen, auch alle, die ihn durchbohrt haben« (Ap 1,7). Die Worte aus der Offenbarung erinnern uns daran, daß wir alle auf dem Weg zur endgültigen Begegnung mit Christus sind, wenn er vor uns den Sinn der Geschichte der Menschheit enthüllen wird, deren Mittelpunkt das Kreuz seines heilbringenden Opfers ist. Als Gemeinschaft von Jüngern sind wir auf dem Weg zu jener Begegnung mit der Hoffnung und dem Vertrauen, daß es für uns der Tag des Heils sein wird, der Tag der Erfüllung all dessen, wonach wir uns sehnen, dank unserer Bereitschaft, uns von der gegenseitigen Liebe leiten zu lassen, die sein Geist in uns weckt. Wir gründen dieses Vertrauen nicht auf unsere Verdienste, sondern auf das Gebet, in dem Christus den Sinn seines Kommens auf die Erde und seines Erlösungstodes enthüllt: »Vater, ich will, daß alle, die du mir gegeben hast, dort bei mir sind, wo ich bin. Sie sollen meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast, weil du mich schon geliebt hast vor der Erschaffung der Welt« (Jn 17,24). Auf dem Weg zur Begegnung mit Christus, der »mit den Wolken« kommt, verkünden wir mit unserem Leben seinen Tod und preisen wir seine Auferstehung, bis er kommt in Herrlichkeit. Wir spüren die Last der Verantwortung, die all das mit sich bringt; die Botschaft Christi soll nämlich durch den Einsatz derer, die an ihn glauben und berufen sind, Zeugnis davon zu geben, daß er wirklich vom Vater gesandt ist (vgl. Joh Jn 17,23), jeden Menschen auf Erden erreichen. Es ist daher notwendig, daß wir bei der Verkündigung des Evangeliums von dem Bestreben bewegt sind, gegenseitige Beziehungen aufrichtiger Liebe zu pflegen, damit im Lichte dieser Beziehungen alle erkennen, daß der Vater seinen Sohn gesandt hat und daß er die Kirche und jeden von uns liebt, so wie er Ihn geliebt hat (vgl. ebd.). Aufgabe der Jünger Christi, Aufgabe eines jeden von uns ist es daher, nach einer solchen Einheit zu streben, so daß wir als Christen zum sichtbaren Zeichen seiner heilbringenden Botschaft werden, die an jeden Menschen gerichtet ist.

Gestattet mir, noch einmal Bezug zu nehmen auf die ökumenische Begegnung, die in dieser Kirche unter Teilnahme eures großen Landsmannes Johannes Paul II. stattgefunden hat, und auf seine Ansprache, in der er die Sicht der Bemühungen, die auf die volle Einheit der Christen abzielen, folgendermaßen umriß: »Vor uns steht die Aufgabe, Schritt für Schritt die Hindernisse auf dem Weg zu dieser Gemeinschaft zu überwinden und gemeinsam in jener Einheit zu wachsen, die Christus zu Beginn seiner Kirche geschenkt hat, die eins ist. Die Bedeutung dieser Aufgabe läßt Hast und Ungeduld nicht zu, aber die Pflicht, dem Willen Christi zu entsprechen, verlangt, daß wir fest bleiben auf dem Weg zum Frieden und zur Einheit unter allen Christen. Wir wissen, daß nicht wir es sind, die die Wunden der Spaltung heilen und die Einheit wiederherstellen können – wir sind nur Werkzeuge in der Hand Gottes. Die Einheit der Christen wird ein Geschenk Gottes zu seiner Zeit der Gnade sein. Demütig streben wir hin zu diesem Tag, indem wir in Liebe, gegenseitiger Vergebung und gegenseitigem Vertrauen wachsen« (Ansprache Johannes Pauls II. vor dem Polnischen Ökumenischen Rat in Warschau; in O.R. dt., Nr. 35, 30.8.1991, S. 14).

Seit jener Begegnung hat sich viel verändert. Gott hat uns erlaubt, viele Schritte zu gegenseitigem Verständnis und zur Annäherung zu machen. Erlaubt mir, eure Aufmerksamkeit auf einige ökumenische Ereignisse zu lenken, die in jenem Zeitraum weltweit stattgefunden haben: die Veröffentlichung der Enzyklika Ut unum sint; die christologischen Übereinstimmungen mit den vorchalkedonischen Kirchen; die Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre in Augsburg; die Begegnung anläßlich des Großen Jubiläums des Jahres 2000 und das ökumenische Gedächtnis der Glaubenszeugen des 20. Jahrhunderts; die Wiederaufnahme des katholisch-orthodoxen Dialogs auf Weltebene; das Begräbnis Johannes Pauls II. mit der Teilnahme fast aller Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften. Ich weiß, daß auch hier in Polen dieses brüderliche Streben nach der Einheit konkrete Erfolge aufweisen kann. Ich möchte in diesem Zusammenhang erwähnen: die im Jahr 2000 ebenfalls in diesem Gotteshaus erfolgte Unterzeichnung der Erklärung zur gegenseitigen Anerkennung der Gültigkeit der Taufe durch die römisch- katholische Kirche und die im Polnischen Ökumenischen Rat vereinten Kirchen; die Einrichtung der Kommission für die Beziehungen zwischen der Polnischen Bischofskonferenz und dem Polnischen Ökumenischen Rat, der die katholischen Bischöfe und die Führer der anderen Kirchen angehören; die Einrichtung der bilateralen Kommissionen für den theologischen Dialog zwischen Katholiken und Orthodoxen, Lutheranern, Mitgliedern der polnischen Nationalkirche, Mariaviten und Adventisten; die Veröffentlichung der ökumenischen Übersetzung des Neuen Testaments und der Psalmen; die Initiative mit dem Namen »Weihnachtshilfswerk für Kinder«, in dem die karitativen Organisationen der katholischen sowie der orthodoxen und der evangelischen Kirche zusammenarbeiten.

Wir bemerken viele Fortschritte auf dem Gebiet des Ökumenismus, und dennoch erwarten wir immer noch etwas mehr. Gestattet mir, heute zwei Fragen etwas detaillierter anzusprechen. Die erste betrifft den karitativen Dienst der Kirchen. Zahlreiche Brüder und Schwestern erwarten von uns die Gabe der Liebe, des Vertrauens, des Zeugnisses, des konkreten geistlichen und materiellen Beistands. Auf diese Frage habe ich in meiner ersten Enzyklika Deus caritas est Bezug genommen, indem ich sagte: »Die in der Gottesliebe verankerte Nächstenliebe ist zunächst ein Auftrag an jeden einzelnen Gläubigen, aber sie ist ebenfalls ein Auftrag an die gesamte kirchliche Gemeinschaft, und dies auf all ihren Ebenen: von der Ortsgemeinde über die Teilkirche bis zur Universalkirche als ganzer. Auch die Kirche als Gemeinschaft muß Liebe üben« (Nr. 20). Wir dürfen nicht die wesentliche Idee vergessen, die von Anfang an die sehr feste Grundlage der Einheit der Jünger bildete: »Innerhalb der Gemeinschaft der Gläubigen darf es keine Armut derart geben, daß jemandem die für ein menschenwürdiges Leben nötigen Güter versagt bleiben« (ebd.). Diese Idee ist immer zeitgemäß, auch wenn sich im Laufe der Jahrhunderte die Formen der brüderlichen Hilfe geändert haben; die Annahme der heutigen karitativen Herausforderungen hängt in hohem Maße von unserer gemeinsamen Zusammenarbeit ab. Ich freue mich, daß diese Frage in der Form zahlreicher ökumenischer Initiativen ein breites Echo in der Welt findet. Ich stelle mit Anerkennung fest, daß in der Gemeinschaft der katholischen Kirche und in den anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften verschiedene neue Formen karitativen Wirkens Verbreitung gefunden und alte sich mit neuer Kraft entfaltet haben – Formen, die häufig Evangelisierung und Liebeswerk miteinander verbinden (vgl. ebd., Nr. 30b). Es scheint, daß es trotz aller Unterschiede, die im Bereich des interkonfessionellen Dialogs überwunden werden müssen, berechtigt ist, wenn man der ökumenischen Gemeinschaft der Jünger Christi auf der Suche nach der vollen Einheit den karitativen Einsatz zuerkennt. Wir können uns alle in die Zusammenarbeit zur Unterstützung der Bedürftigen eingliedern, indem wir dieses Netz gegenseitiger Beziehungen nutzen, das Frucht des Dialogs unter uns und des gemeinsamen Handelns ist. Im Geist des Gebots des Evangeliums müssen wir diese aufmerksame Fürsorge gegenüber den bedürftigen Brüdern und Schwestern übernehmen, wer auch immer sie sind. Dazu habe ich in meiner Enzyklika geschrieben, daß »für eine Entwicklung der Welt zum Besseren hin die gemeinsame Stimme der Christen und ihr Einsatz nötig ist, damit ›der Achtung der Rechte und der Bedürfnisse aller, besonders der Armen, der Gedemütigten und der Schutzlosen zum Sieg verholfen wird‹« (ebd.). Allen, die an unserer Begegnung teilnehmen, wünsche ich heute, daß die Ausübung der brüderlichen »caritas« uns einander immer mehr näher bringen und unser Zeugnis für Christus vor der Welt glaubhafter machen möge.

Die zweite Frage, auf die ich eingehen möchte, betrifft das Ehe- und Familienleben. Wir wissen, daß in den christlichen Gemeinschaften, die dazu berufen sind, die Liebe zu bezeugen, die Familie einen besonderen Platz einnimmt. In der heutigen Welt, in der internationale und interkulturelle Beziehungen zunehmen, entscheiden sich immer häufiger junge Menschen, die aus verschiedenen Traditionen, aus verschiedenen Religionen, aus verschiedenen christlichen Konfessionen kommen, zur Gründung einer Familie. Oft ist das für die jungen Menschen selbst und für ihre Angehörigen eine schwere Entscheidung, die verschiedene Gefahren mit sich bringt, welche sowohl die Beständigkeit im Glauben als auch die künftige Ordnung in der Familie betreffen sowie die Herstellung einer Atmosphäre der Einheit der Familie und geeigneter Bedingungen für das geistliche Wachstum der Kinder. Dennoch kann die Entscheidung gerade dank der Verbreitung des ökumenischen Dialogs auf breiterer Ebene zur Herausbildung einer praktischen Werkstätte der Einheit führen. Dazu bedarf es von seiten beider junger Menschen sowie von seiten der Gemeinschaften, aus denen sie stammen, des gegenseitigen Wohlwollens, des Verständnisses und der Glaubensreife. Ich möchte der Bilateralen Kommission des Rates für die Fragen des Ökumenismus der Polnischen Bischofskonferenz und des Polnischen Ökumenischen Rates meine Wertschätzung zum Ausdruck bringen. Sie hat die Ausarbeitung eines Dokuments in die Wege geleitet, in dem die gemeinsame christliche Lehre zu Ehe und Familie vorgestellt wird, für alle annehmbare Grundsätze zur interkonfessionellen Eheschließung festgelegt werden und auf ein gemeinsames Programm pastoraler Sorge für solche Ehen hingewiesen wird. Ich wünsche allen, daß in einer so schwierigen Frage das gegenseitige Vertrauen zwischen den Kirchen wachsen möge, sowie die Zusammenarbeit, die die Rechte und die Verantwortung der Eheleute für die religiöse Bildung der eigenen Familie und für die Erziehung der Kinder vollständig respektiert.

»Ich habe ihnen deinen Namen bekannt gemacht und werde ihn bekannt machen, damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen ist und damit ich in ihnen bin« (Jn 17,26). Brüder und Schwestern, indem wir unser ganzes Vertrauen auf Christus setzen, der uns seinen Namen bekannt macht, gehen wir jeden Tag auf die Fülle brüderlicher Versöhnung zu. Sein Gebet möge bewirken, daß die Gemeinschaft seiner Jünger auf Erden in ihrem Geheimnis und in ihrer sichtbaren Einheit immer mehr zu einer Gemeinschaft der Liebe werde, in der sich die Einheit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes widerspiegelt.



Benedikt XVI Predigten 36