Benedikt XVI Predigten 51

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APOSTOLISCHE REISE VON BENEDIKT XVI.

NACH VALENCIA (SPANIEN) ZUM

V. WELTTREFFEN DER FAMILIEN

FESTLICHES TREFFEN

Stadt der Kunst und Wissenschaft
Samstag, 8. Juli 2006

Liebe Brüder und Schwestern!


Ich empfinde eine große Freude, an diesem Gebetstreffen teilzunehmen, bei dem wir das göttliche Geschenk der Familie feiern wollen. Allen, die kürzlich in dieser Stadt von Trauer heimgesucht wurden, bin ich ganz nahe im Gebet und in der Hoffnung auf den auferstandenen Christus, die auch in Augenblicken größten menschlichen Leids Mut und Licht spendet.

Vereint durch denselben Glauben an Christus, haben wir uns hier aus vielen Teilen der Welt versammelt – als eine Gemeinschaft, die dankbar anerkennt und begeistert davon Zeugnis gibt, daß der Mensch nach Gottes Bild und Ähnlichkeit geschaffen wurde, um zu lieben, und daß er sich nur dann vollkommen verwirklicht, wenn er sich selbst aufrichtig den anderen schenkt. Die Familie ist der bevorzugte Ort, wo jeder Mensch lernt, Liebe zu schenken und zu empfangen. Deshalb verleiht die Kirche ihrer pastoralen Sorge für diesen grundlegenden Bereich des Menschen beständig Ausdruck und sagt in ihrem Lehramt: »Gott ist die Liebe. Er hat die Menschen aus Liebe erschaffen und zur Liebe berufen. Als Mann und Frau erschaffen, hat er sie in der Ehe zu einer innigen Gemeinschaft des Lebens und der gegenseitigen Liebe berufen, so daß sie ›nicht mehr zwei, sondern eins‹ sind (Mt 19,6)« (Katechismus der katholischen Kirche. Kompendium, 337).

Das ist die Wahrheit, die die Kirche unablässig in der Welt verkündet. Mein geliebter Vorgänger Johannes Paul II. sagte: »Der Mensch ist nicht nur durch sein Menschsein als solches, sondern auch durch die personale Gemeinschaft, die Mann und Frau von Anfang an bilden, zum ›Abbild und Ebenbild‹ Gottes geworden… Der Mensch wird nicht so sehr im Augenblick seiner Einsamkeit als vielmehr im Augenblick der Gemeinschaft zum Abbild Gottes« (Katechese bei der Generalaudienz Am 14 Am 11 Am 1979,3 in O.R. dt., Nr. Dt 47,23 Dt 47,11 Dt 47, S. Dt 2). Deshalb habe ich die Einberufung dieses V. Welttreffens der Familien in Spanien bestätigt, in Valencia, das reich an Traditionen und stolz auf den christlichen Glauben ist, der in so vielen Familien gelebt und gepflegt wird.

Die Familie ist eine vermittelnde Institution zwischen dem Individuum und der Gesellschaft, und nichts kann sie gänzlich ersetzen. Sie beruht nämlich vor allem auf einer tiefen interpersonalen Beziehung zwischen Ehemann und Ehefrau, die von Zuneigung und gegenseitigem Verständnis getragen wird. Dazu erhält sie die reiche Hilfe Gottes im Sakrament der Ehe, das eine wahre Berufung zur Heiligkeit einschließt. Mögen die Kinder mehr die Momente der Harmonie und der Zuneigung der Eltern erfahren als eine Atmosphäre der Zwietracht und Gleichgültigkeit, denn die Liebe zwischen Vater und Mutter schenkt den Kindern eine große Sicherheit und lehrt sie die Schönheit der treuen und dauerhaften Liebe.

Die Familie ist ein notwendiges Gut für die Völker, ein unverzichtbares Fundament für die Gesellschaft und ein großer Schatz für die Eheleute während ihres ganzen Lebens. Sie ist ein unersetzliches Gut für die Kinder, die Frucht der Liebe und der großherzigen Ganzhingabe der Eltern sein sollen. Die ganze Wahrheit der Familie zu verkünden, die auf die Ehe als »Hauskirche und Heiligtum des Lebens« gegründet ist, dafür tragen alle eine große Verantwortung.

Vater und Mutter haben einander vor Gott das volle »Ja«-Wort gegeben, das die Grundlage des Sakraments ist, das sie vereint; ebenso müssen sie, damit die innere Beziehung der Familie vollständig ist, auch ein »Ja« der Annahme zu ihren Kindern sagen, den leiblichen oder adoptierten, die ihre eigene Persönlichkeit und ihren eigenen Charakter haben. So werden diese Kinder in einem Klima des Angenommenseins und der Liebe aufwachsen, und es ist zu hoffen, daß sie, wenn sie die nötige Reife haben, ihrerseits ein »Ja« zu denen sagen werden, die ihnen das Leben geschenkt haben.

Die Herausforderungen der heutigen Gesellschaft, die von Vereinzelung geprägt ist, wie sie vor allem im städtischen Bereich entsteht, machen es dringend erforderlich zu garantieren, daß die Familien nicht allein gelassen werden. Eine kleine Familie kann schwer überwindbaren Hindernissen gegenüberstehen, wenn sie spürt, daß sie von den anderen Verwandten und ihren Freunden isoliert ist. Deshalb hat die kirchliche Gemeinschaft die Verantwortung, Unterstützung, Anregung und spirituelle Nahrung anzubieten, die den Familienzusammenhalt stärkt, vor allem in Zeiten der Prüfung und kritischen Stunden. Sehr wichtig ist in dieser Hinsicht die Arbeit der Pfarrgemeinden ebenso wie jene der verschiedenen kirchlichen Vereinigungen, die als unterstützende Strukturen und naher Beistand der Kirche mitwirken sollen, daß die Familie im Glauben wächst.

Christus hat offenbart, was stets die höchste Quelle des Lebens für alle und daher auch für die Familie ist: »Das ist mein Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe. Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt« (Joh 15,12–13). Die Liebe Gottes hat sich in der Taufe über uns ergossen. Deshalb sind die Familien dazu berufen, diese Vollkommenheit der Liebe zu leben, denn der Herr macht sich zum Garanten dafür, daß uns das möglich ist durch die menschliche Liebe, feinfühlig, zärtlich, barmherzig wie die Liebe Christi.

Zusammen mit der Weitergabe des Glaubens und der Liebe des Herrn besteht eine der größten Aufgaben der Familien darin, freie und verantwortungsvolle Menschen heranzubilden. Deshalb sollen die Eltern ihren Kindern die Freiheit, deren Hüter sie einige Zeit lang sind, zurückgeben. Wenn die Kinder sehen, daß ihre Eltern – und überhaupt die Erwachsenen in ihrer Umgebung – ihr Leben trotz mancher Schwierigkeiten mit Freude und Begeisterung leben, wird auch in ihnen leichter die tiefe Lebensfreude wachsen, die ihnen helfen wird, mögliche Hindernisse und Widrigkeiten, die das Leben mit sich bringt, erfolgreich zu meistern. Wenn die Familie sich nicht in sich selbst verschließt, lernen die Kinder zudem, daß jede Person es wert ist, geliebt zu werden, und daß es eine grundsätzliche universale Brüderlichkeit zwischen allen Menschen gibt.

Dieses V. Welttreffen der Familien lädt uns dazu ein, über ein besonders wichtiges Thema nachzudenken, das uns vor eine große Verantwortung stellt: »Die Weitergabe des Glaubens in der Familie«. Das formuliert der Katechismus der katholischen Kirche sehr treffend: »Wie eine Mutter, die ihre Kinder sprechen und damit zu verstehen und zusammenzuleben lehrt, lehrt uns die Kirche, unsere Mutter, die Sprache des Glaubens, um uns in das Verständnis und das Leben des Glaubens einzuführen« (Nr. 171).

Wie es in der Taufliturgie durch die Übergabe der brennenden Kerze symbolisch ausgedrückt wird, sind die Eltern beteiligt am Geheimnis des neuen Lebens als Kinder Gottes, das durch das Taufwasser empfangen wird.

Den Kindern den Glauben weiterzugeben, mit der Hilfe anderer Menschen und Institutionen wie der Pfarrgemeinde, der Schule oder den katholischen Vereinigungen, ist eine Verantwortung, welche die Eltern weder vergessen noch vernachlässigen oder völlig delegieren dürfen. »Die christliche Familie wird auch ›Hauskirche‹ genannt, weil die Familie die gemeinschaftliche und familiäre Natur der Kirche als Familie Gottes ausdrückt und verwirklicht. Alle Glieder der Familie üben gemäß der je eigenen Rolle das durch die Taufe erworbene Priestertum aus und tragen dazu bei, daß aus der Familie eine Gnadenund Gebetsgemeinschaft wird, eine Schule der menschlichen und christlichen Tugenden und ein Ort der ersten Verkündigung des Glaubens an die Kinder« (Katechismus der katholischen Kirche. Kompendium, 350). Und weiter: »Die Eltern, die an der göttlichen Vaterschaft teilhaben, sind für die Kinder die Erstverantwortlichen in der Erziehung und die ersten Glaubensboten. Sie haben die Pflicht, ihre Kinder als Personen und als Kinder Gottes zu lieben und zu achten… Insbesondere haben sie die Aufgabe, sie im christlichen Glauben zu erziehen« (ebd., 460).

Die Sprache des Glaubens erlernt man im Elternhaus, wo dieser Glaube wächst und durch Gebet und christliche Praxis gestärkt wird. In der Lesung aus dem Buch Deuteronomium haben wir das wiederholte Gebet für das auserwählte Volk, das »Shema Israel«, gehört, das auch Jesus in seinem Haus in Nazeret hörte und wiederholte. Er selbst hat sich in seinem öffentlichen Leben daran erinnert, wie uns das Markusevangelium berichtet (vgl. Mc 12,29). Dies ist der Glaube der Kirche, der von der Liebe Gottes kommt, durch eure Familien. Die Fülle dieses Glaubens in seiner wunderbaren Neuheit zu leben, ist ein großes Geschenk. Doch in Augenblicken, in denen sich Gottes Antlitz zu verbergen scheint, ist es schwer zu glauben und kostet große Mühe.

Dieses Treffen gibt neue Kraft, um weiterhin das Evangelium von der Familie zu verkünden, ihre Gültigkeit und Identität zu bestätigen, die auf die Ehe gegründet ist, offen für das großherzige Geschenk des Lebens und wo die Kinder in ihrem körperlichen und geistig-seelischen Wachstum begleitet werden. Auf diese Weise wird einem weit verbreiteten Hedonismus entgegengewirkt, der die menschlichen Beziehungen banalisiert und sie ihres echten Wertes und ihrer Schönheit entleert. Die Werte der Ehe zu fördern beeinträchtigt keineswegs die Fülle des Glücks, das Mann und Frau in ihrer gegenseitigen Liebe finden. Der Glaube und die christliche Ethik wollen die Liebe nicht ersticken, sondern sie reiner, stärker und wahrhaft frei machen. Deshalb muß die menschliche Liebe gereinigt werden, muß reifen und auch über sich selbst hinauswachsen, um vollkommen menschlich zu werden, um Ursprung wahrer, dauerhafter Freude zu sein (vgl. Ansprache in der Lateranbasilika, Am 5 Am 2006 in O.R. dt., Nr. Dt 26,30 Dt 26,6 Dt 26, S. Dt 8).

Ich lade also die Regierenden und die Gesetzgeber ein, über das offenkundige Gut nachzudenken, das der häusliche Herd in Frieden und Harmonie für den Menschen und für die Familie sicherstellt. Sie ist das vitale Zentrum der Gesellschaft, wie der Heilige Stuhl in der Charta der Familienrechte in Erinnerung bringt. Das Ziel von Gesetzen ist das umfassende Wohl des Menschen, die Antwort auf seine Bedürfnisse und Wünsche. Dies ist eine beachtliche Hilfe für die Gesellschaft, die sie nicht entbehren kann, und für die Völker bedeutet es Schutz und Reinigung. Darüber hinaus ist die Familie eine Schule der Humanisierung des Menschen, damit er wächst, um wahrhaft Mensch zu werden. In dieser Hinsicht vermittelt die Erfahrung, von den Eltern geliebt zu sein, den Söhnen und Töchtern das Bewußtsein von ihrer Würde als Kindern.

Das empfangene Geschöpf muß im Glauben erzogen werden, muß geliebt und beschützt werden. Die Kinder haben neben dem Grundrecht, geboren und im Glauben erzogen zu werden, auch das Recht auf ein Zuhause, das das Haus von Nazaret zum Vorbild hat, und sie haben das Recht darauf, vor Gefahren und Bedrohungen geschützt zu werden. Wir haben gehört, daß ich der »Großvater der Welt« genannt worden bin.

Ich möchte mich jetzt gern an die Großeltern wenden, die in den Familien so wichtig sind. Sie können – und tun es oft – die Zuneigung und Zärtlichkeit gewährleisten, die es jeder Mensch nötig hat zu geben und zu empfangen. Sie bieten den Enkeln die Perspektive der Zeit, sind Gedächtnis und Reichtum der Familien. Unter keinen Umständen dürfen sie aus dem Kreis der Familie ausgeschlossen werden. Sie sind ein Schatz, den wir den heranwachsenden Generationen nicht vorenthalten dürfen, vor allem wenn sie im Hinblick auf den nahenden Tod ihren Glauben bezeugen.

Ich möchte nun einen Teil des Gebets wiederholen, das ihr gesprochen habt, um für den guten Erfolg dieses Welttreffens der Familien zu beten:



O Gott, der du uns in der Heiligen Familie
ein vollkommenes Modell des Familienlebens geschenkt hast,
das im Glauben und im Gehorsam deinem Willen gegenüber gelebt wurde.
Hilf uns, Vorbild des Glaubens und der Liebe zu deinen Geboten zu sein.
Hilf uns bei unserem Auftrag, den Glauben an unsere Kinder weiterzugeben.
Öffne ihre Herzen, damit in ihnen
der Same des Glaubens wachse, den sie in der Taufe empfangen haben.
Stärke den Glauben unserer Jugendlichen,
damit sie in der Kenntnis Jesu wachsen.
Stärke die Liebe und die Treue in allen Ehen,
besonders in jenen, die Momente des Leidens und Schwierigkeiten durchmachen.
(. . .)
Vereint mit Josef und Maria,
bitten wir dich durch Jesus Christus, deinen Sohn, unsern Herrn. Amen.


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APOSTOLISCHE REISE

NACH VALENCIA (SPANIEN) ANLÄSSLICH

DES V. WELTTREFFENS DER FAMILIEN

ABSCHIEDSZEREMONIE

Flughafen Valencia-Manises
Sonntag, 9. Juli 2006

Majestäten,

Herr Präsident und verehrte Obrigkeiten,
meine Herren Kardinäle und Mitbrüder im Bischofsamt,
liebe Brüder und Schwestern!

1. Zum Abschluß meines schönen Aufenthaltes in Valencia aus Anlaß des V. Welttreffens der Familien danke ich Ihren Majestäten, den Königlichen Hoheiten, den Obrigkeiten des Landes, der »Generalitat« der Stadtgemeinde und der Provinz, sowie dem Erzbischof und euch allen für die liebenswürdige Gastfreundschaft, die ihr mir erwiesen, und für die Zuneigung, die ihr mir in allen Augenblicken meines Besuches dieser blühenden spanischen Levante gezeigt habt.

2. Ich vertraue darauf, daß diese Begegnung mit der Hilfe des Allerhöchsten und dem mütterlichen Schutz der Jungfrau Maria stets nachklingen möge wie ein froher Gesang der Liebe, des Lebens und des gemeinsamen Glaubens in den Familien und so der heutigen Welt helfen möge zu verstehen, daß der Ehebund, in dem Mann und Frau eine dauerhafte Verbindung eingehen, ein großes Gut für die ganze Menschheit ist.

3. Danke für eure Anwesenheit an diesem Ort. Ihr seid aus allen Erdteilen gekommen, was euch nicht wenige Opfer gekostet hat, die ihr auf euch genommen und dem Herrn dargeboten habt. Ich trage euch in meinem Herzen. Meine Empfindungen vereinen sich mit meinem Gebet dafür, daß der Allmächtige euch heute und immer segnen möge.



WORTE VON BENEDIKT XVI.

BEI DER GEBETSSTUNDE

IN DER PFARRKIRCHE VON RHÊMES-SAINT GEORGES Aosta-Tal

Sonntag, 23. Juli 2006

Nur einige kurze Gedanken zur Lesung, die wir gehört haben: Auf dem Hintergrund der dramatischen Lage im Nahen Osten bewegt uns die Schönheit dessen, was uns der Apostel Paulus darlegt (vgl. Eph Ep 2,13-18): Christus ist unser Friede. Er hat Juden und Heiden miteinander versöhnt, indem er sie in seinem Leib vereint hat. Er hat die Feindschaft in seinem Leib, am Kreuz, überwunden. Mit seinem Tod hat er die Feindschaft überwunden und uns alle in seinem Frieden vereint.


Noch stärker als die Schönheit dieser Darlegung bewegt uns jedoch der Gegensatz zur Wirklichkeit, in der wir leben und die wir sehen. Und im ersten Augenblick können wir nichts anderes tun als den Herrn zu fragen: »Aber Herr, was soll denn das heißen, daß dein Apostel zu uns sagt: ›Sie sind miteinander versöhnt‹? Wir sehen doch, daß sie in Wirklichkeit nicht miteinander versöhnt sind … Es herrscht noch immer Krieg zwischen Christen, Muslimen und Juden; und es gibt andere, die den Krieg anfachen, und alles ist noch immer voller Feindschaft und Gewalt. Wo ist die Wirkung deines Opfers? Wo ist in der Geschichte dieser Friede, von dem dein Apostel zu uns spricht?« Wir Menschen können nicht das Geheimnis der Geschichte verstehen, das Geheimnis der menschlichen Freiheit, »nein« zu sagen zum Frieden Gottes.

Wir können nicht das ganze Geheimnis der Beziehung Gott–Mensch verstehen, das Geheimnis des Handelns Gottes und unserer Antwort. Wir müssen das Geheimnis als solches annehmen. Der Herr gibt uns jedoch Elemente für eine Antwort. Ein erstes Element – das Versöhnungswerk des Herrn, sein Opfer – ist nicht wirkungslos geblieben. Es gibt die große Wirklichkeit der Gemeinschaft der Universalkirche, der Kirche aller Völker, das Netz der eucharistischen Gemeinschaft, das über die Grenzen der Kulturen, der Zivilisationen, der Völker, der Zeiten hinausgeht. Es gibt diese Gemeinschaft, es gibt diese »Inseln des Friedens« im Leib Christi. Es gibt sie. Und sie sind Kräfte des Friedens in der Welt. Wenn wir in die Geschichte zurückblicken, dann können wir die großen Heiligen der Nächstenliebe sehen, die »Oasen« dieses Friedens Gottes in der Welt geschaffen haben, immer wieder sein Licht entzündeten und immer wieder auch fähig waren, zu versöhnen und Frieden zu schaffen. Es gibt die Märtyrer, die mit Christus gelitten haben, die dieses Zeugnis vom Frieden abgelegt haben, von der Liebe, die der Gewalt eine Grenze setzt.

Und wenn wir sehen, daß es die Wirklichkeit des Friedens gibt – auch wenn die andere Wirklichkeit geblieben ist –, dann können wir die Botschaft dieses Briefes des hl. Paulus an die Epheser tiefer verstehen. Der Herr hat am Kreuz gesiegt. Er hat nicht mit einem neuen Reich gesiegt, mit einer Kraft, die stärker ist als die anderen Kräfte und fähig, diese zu zerstören; er hat nicht auf menschliche Weise gesiegt, wie wir es uns vorstellen, mit einem Reich, das stärker ist als das andere Reich. Er hat mit einer Liebe gesiegt, die in der Lage ist, bis zum Tod zu gehen. Das ist die neue Weise, auf die Gott siegt: Er setzt der Gewalt keine stärkere Gewalt entgegen. Er setzt der Gewalt genau das Gegenteil entgegen: die Liebe bis zum Ende, sein Kreuz. Das ist die demütige Weise, auf die Gott siegt: Durch seine Liebe – und nur so ist es möglich – setzt er der Gewalt eine Grenze. Diese Weise zu siegen scheint uns sehr langsam zu sein, aber sie ist die wahre Weise, um das Böse zu besiegen, um die Gewalt zu besiegen, und wir müssen uns dieser göttlichen Weise zu siegen anvertrauen.

Uns anvertrauen heißt, aktiv in diese göttliche Liebe einzutreten, an dieser Friedensarbeit teilzuhaben, um uns auf einer Linie zu befinden mit dem, was der Herr sagt: »Selig, die Frieden stiften, die Frieden wirken, denn sie sind Kinder Gottes«. Wir müssen soweit wie möglich allen Leidenden unsere Liebe bringen, denn wir wissen, daß der Richter des Jüngsten Gerichts sich mit den Leidenden identifiziert. Was wir also den Leidenden tun, das tun wir dem obersten Richter über unser Leben. Das ist wichtig: daß wir in diesem Augenblick der Welt seinen Sieg bringen können, indem wir aktiv an seiner Liebe teilhaben. Heute, in einer multikulturellen und multireligiösen Welt, sind viele versucht zu sagen: »Es ist besser für den Frieden in der Welt, zwischen den Religionen und den Kulturen, nicht zuviel von der Besonderheit des Christentums zu sprechen, also von Jesus, der Kirche, den Sakramenten. Begnügen wir uns mit den Dingen, die uns mehr oder weniger gemeinsam sein können…«. Aber das ist nicht wahr. Gerade in diesem Augenblick – einem Augenblick, in dem der Name Gottes großen Mißbrauch erfährt – brauchen wir den Gott, der am Kreuz siegt, der nicht mit Gewalt siegt, sondern mit seiner Liebe. Gerade in diesem Augenblick brauchen wir das Antlitz Christi, um das wahre Antlitz Gottes kennenzulernen und so dieser Welt Versöhnung und Licht zu bringen. Daher müssen wir zusammen mit der Liebe, mit der Liebesbotschaft, mit all dem, was wir für die Leidenden in dieser Welt tun können, auch das Zeugnis dieses Gottes bringen, das Zeugnis von Gottes Sieg eben durch die Gewaltlosigkeit seines Kreuzes.

So kommen wir zum Ausgangspunkt zurück. Was wir tun können, ist Zeugnis ablegen von der Liebe, vom Glauben. Vor allem können wir unsere Stimme zu Gott erheben: Wir können beten! Wir sind uns sicher, daß unser Vater den Ruf seiner Kinder hört. In der Messe, wenn wir uns auf die heilige Kommunion vorbereiten, auf den Empfang des Leibes Christi, der uns vereint, beten wir mit der Kirche: »Erlöse uns, Herr, von allem Bösen, und gib Frieden in unseren Tagen«. Das möge unser Gebet zu dieser Stunde sein: »Erlöse uns von allem Bösen und schenke uns Frieden. « Nicht morgen oder übermorgen: Schenke uns, Herr, den Frieden heute! Amen.
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GRUSSWORTE VON BENEDIKT XVI.

BEI DER ANKUNFT IN CASTELGANDOLFO Loggia der Päpstlichen Residenz

Freitag, 28. Juli 2006

Liebe Freunde!


Von ganzem Herzen möchte ich euch kurz begrüßen.

Ich freue mich, in eurer wunderschönen Stadt zu sein, in diesem Palast, der eine neu restaurierte Fassade von außerordentlicher Schönheit besitzt. Einige Wochen lang werde ich bei euch bleiben.

Wir werden sie hoffentlich in Frieden verleben und mit dem Segen des Herrn, als dessen Unterpfand ich euch jetzt meinen Segen erteile: ›Es segne euch der allmächtige Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist.‹

Euch allen wünsche ich ein gesegnetes Abendessen; wir sehen uns am Sonntag wieder, so Gott will.
                                                        August 2006


INTERVIEW MIT PAPST BENEDIKT XVI. Castelgandolfo

Samstag, 5. August 2006

Frage: Heiliger Vater, im September besuchen Sie Deutschland, genauer gesagt, natürlich Bayern. „Der Papst hat Sehnsucht nach seiner Heimat", haben Ihre Mitarbeiter während der Vorbereitung berichtet. Welche Themen wollen Sie besonders ansprechen, und gehört der Begriff „Heimat" auch zu den Werten, die Sie den Menschen besonders nahe bringen wollen?


Papst Benedikt XVI: Ja, das auf jeden Fall. Der Grund des Besuchs war eigentlich eben doch wirklich der, dass ich noch einmal die Orte, die Menschen sehen wollte, wo ich groß geworden bin, die mich geprägt und mein Leben geformt haben, und diesen Menschen danken wollte. Und dann natürlich auch eine Botschaft ausrichten, die über das eigene Land hinausgeht, wie es meinem Auftrag entspricht. Die Themen habe ich mir ganz schlicht von den liturgischen Daten vorgeben lassen. Das Grundthema ist eigentlich, dass wir Gott wieder entdecken müssen und nicht irgendeinen Gott, sondern den Gott mit einem menschlichen Antlitz, denn wenn wir Jesus Christus sehen, sehen wir Gott. Dass wir von daher dann die Wege zueinander finden müssen in der Familie, zwischen den Generationen; und dann zwischen den Kulturen, den Völkern, und die Wege der Versöhnung und des friedlichen Miteinanders in dieser Welt. Die Wege, die nach vorn führen, finden wir nicht, wenn wir nicht sozusagen Licht von oben haben. Ich habe also keine ganz spezifischen Themen ausgewählt, sondern die Liturgie leitet mich, die Grundbotschaft des Glaubens zu sagen, die natürlich in der Aktualität von heute verortet ist, in der wir vor allen Dingen nach der Zusammenarbeit der Völker, nach den Möglichkeiten der Versöhnung und des Friedens fragen.

Frage: Als Papst sind Sie ja zuständig für die gesamte Kirche in der ganzen Welt. Aber Ihr Besuch in Deutschland lenkt natürlich auch den Blick auf die Situation der Katholiken in Deutschland. Alle Beobachter sind sich einig: die Stimmung ist gut, nicht zuletzt durch Ihre Wahl. Aber die alten Probleme, die sind natürlich geblieben, zum Beispiel nur einige Schlagworte: Immer weniger Kirchgänger, immer weniger Taufen, überhaupt immer weniger Einfluss auf das gesellschaftliche Leben. Wie sieht Ihre Beschreibung der aktuellen Lage der katholischen Kirche in Deutschland aus?

Papst Benedikt XVI: Nun, ich würde zunächst sagen, Deutschland gehört zum Westen, wenn auch mit seiner ganz spezifischen Färbung und Tönung. Und in der Welt des Westens erleben wir ja heute eine neue Welle einer drastischen Aufklärung oder Laizität, wie immer Sie das nennen wollen. Glaube ist schwierig geworden, weil die Welt, die wir antreffen, ganz von uns selber gemacht ist und sozusagen Gott in ihr nicht mehr direkt vorkommt. Ihr trinkt nicht aus der Quelle, sondern aus dem, was uns schon abgefüllt entgegen kommt. Die Menschen haben die Welt sich selber rekonstruiert, und ihn dahinter noch zu finden, ist schwierig geworden. Das ist also nicht spezifisch für Deutschland, sondern etwas, was sich in der ganzen Welt, vor allen Dingen in der westlichen Welt zeigt. Andererseits wird der Westen jetzt stark berührt von anderen Kulturen, in denen das originär Religiöse sehr stark ist, die auch erschrecken über die Kälte Gott gegenüber, die sie im Westen vorfinden. Und diese Präsenz des Heiligen in anderen Kulturen, wenn auch in vielfältigen Verschattungen, rührt dann auch wieder an die westliche Welt, rührt uns an, die wir im Kreuzungspunkt so vieler Kulturen stehen. Und auch aus dem Eigenen des Menschen im Westen und in Deutschland steigt immer wieder die Frage nach etwas Größerem auf. Wir sehen das in der Jugend, bei der doch ein Suchen nach Mehr da ist, dass irgendwo das Phänomen Religion, wie man sagt, wiederkehrt, auch wenn die Suchbewegung oft eher unbestimmt sind. Aber die Kirche ist damit wieder da, der Glaube bietet sich als Antwort an. Und ich denke, dass eben gerade dieser Besuch, wie schon vorher Köln, eine Gelegenheit ist, dass man sieht, dass es schön ist zu glauben; dass die Freude einer großen, universalen Gemeinschaft etwas Tragendes hat, dass dahinter etwas steht und dass so mit neuen Suchbewegungen auch neue Aufbrüche zum Glauben da sind, die uns zueinander führen und die dann auch der Gesellschaft im ganzen dienen.

Frage: Heiliger Vater, vor einem Jahr genau waren Sie in Köln bei der Jugend; und da haben Sie, glaube ich, auch mitbekommen, dass die Jugend wahnsinnig aufnahmebereit ist, dass Sie persönlich sehr gut angekommen sind. Haben Sie bei dieser Reise vielleicht auch eine spezielle Botschaft an die jungen Leute?

Papst Benedikt XVI: Ich würde zunächst einmal sagen: Die Botschaft ist: Ich freu’ mich, dass es junge Menschen gibt, die beieinander sein wollen, die im Glauben beieinander sein wollen, und die eben etwas Gutes tun wollen. Denn die Bereitschaft zum Guten ist in der Jugend sehr stark. Die vielen Volontariate…! Die Suche, in den Nöten dieser Welt selbst auch etwas auszurichten, ist etwas Großes. Darin zu ermutigen, wäre ein erster Impuls: Macht weiter! Sucht nach Gelegenheiten, Gutes zu tun! Die Welt braucht solchen Willen, braucht solchen Einsatz. Und dann würde ich sagen, ein spezielles Wort wäre vielleicht: Der Mut zu endgültigen Entscheidungen! Es ist viel Großmut in der Jugend da, aber das Risiko, sich ein Leben lang zu binden, sei’s in der Ehe, sei’s im Priestertum, das wird gescheut. Die Welt ist in dramatischer Bewegung. Ständig. Kann ich jetzt schon über das ganze Leben mit seinen unabsehbaren künftigen Ereignissen verfügen? Binde ich da nicht meine Freiheit selber und nehme etwas von meiner Beweglichkeit weg? Den Mut zu wecken, endgültige Entscheidungen zu wagen, die in Wirklichkeit erst Wachstum und Vorwärtsbewegung, das Große im Leben ermöglichen, die nicht die Freiheit zerstören, sondern ihr erst die richtige Richtung im Raum geben: das zu riskieren – diesen Sprung sozusagen ins Endgültige – und damit das Leben erst richtig ganz anzunehmen, das würde ich schon gern weitergeben.

Frage: Heiliger Vater, eine Frage zur außenpolitischen Situation. Die Hoffnung auf Frieden im Nahen Osten ist in den vergangenen Wochen wieder erheblich geringer geworden. Welche Möglichkeiten sehen Sie für den Heiligen Stuhl hier in Anbetracht der aktuellen Situation? Wie können Sie die Situation, die Entwicklung im Nahen Osten positiv beeinflussen?

Papst Benedikt XVI: Wir haben natürlich keine politischen Möglichkeiten, und wir wollen auch keine politische Macht. Aber wir wollen an die Christen und an alle, die sich dem Wort des Heiligen Stuhls irgendwie verbunden oder von ihm angesprochen wissen, appellieren, dass dort überall die Kräfte mobilisiert werden, die erkennen: Krieg ist für alle die schlechteste Lösung. Er bringt für niemanden etwas, auch für die scheinbaren Sieger nichts – wir wissen es in Europa von den beiden Weltkriegen her sehr genau –, sondern das, was alle brauchen, ist der Friede. Und es gibt ja eine starke christliche Gemeinschaft im Libanon, es gibt unter den Arabern Christen, es gibt in Israel Christen, und Christen der ganzen Welt sorgen sich um diese uns allen teuren Länder. Die moralischen Kräfte, die da bereit sind, um einsichtig zu machen, dass die einzige Lösung ist: „Wir müssen miteinander leben", die wollen wir mobilisieren. Die Politiker müssen dann die Wege finden, wie das möglichst schnell und vor allen Dingen dauerhaft geschehen kann.

Frage: Als Bischof von Rom sind Sie Nachfolger des Heiligen Petrus. Wie könnte denn das Petrusamt heute zeitgemäß aussehen? Und sehen Sie einen Spannungsbogen auch zwischen einerseits dem Primat des Papstes und andererseits der Vorstellung von der Kollegialität der Bischöfe?

Papst Benedikt XVI: Ein Spannungsbogen ist es natürlich, und soll es auch sein. Vielheit und Einheit müssen immer wieder zueinander finden, und dieses Zueinander muss in den wechselnden Weltsituationen auch immer neu eingespielt werden. Ja, heute haben wir eine neue Polyphonie der Kulturen, in der nicht mehr Europa allein determiniert, sondern die Christengemeinden der verschiedenen Kontinente ihr eigenes Gewicht, ihre eigene Farbe annehmen. Dieses Zusammenspiel müssen wir immer wieder neu lernen. Wir haben dafür verschiedene Instrumente entwickelt. Die so genannten Ad-Limina-Besuche, die es immer gab, werden jetzt viel mehr genutzt, um wirklich mit allen Instanzen des Heiligen Stuhls und eben auch mit mir zu reden. Ich spreche mit jedem einzelnen Bischof persönlich. Ich habe inzwischen mit fast allen Bischöfen Afrikas und vielen aus Asien sprechen können. Jetzt wird Mitteleuropa, Deutschland, Schweiz dran sein, und in solchen Begegnungen, wo dann eben wirklich Zentrum und Peripherie einander treffen und freimütig austauschen, wächst dann das richtige Ineinander in diesem Spannungsbogen. Dann haben wir weitere Instrumente: die Synode, das Konsistorium, das ich jetzt regelmäßig halten werde und entwickeln möchte, wo man ohne große Tagesordnung anstehende Probleme miteinander bespricht und nach Lösungen sucht. Wir wissen einerseits, dass der Papst kein absoluter Monarch ist, sondern sozusagen das Ganze verkörpern muss in dem gemeinsamen Hinhören auf Christus. Aber das Bewusstsein dafür, dass es sozusagen eine vereinigende Instanz braucht, die auch Unabhängigkeit von den politischen Kräften verschafft und die dafür sorgt, dass sich Christianismen nicht zu sehr mit Nationalitäten identifizieren: diese Einsicht, dass es eine solche übergreifende Instanz braucht, die im Zusammenspiel des Ganzen Einheit schafft und andererseits die Vielheit aufnimmt, annimmt und fördert, die ist sehr stark. Insofern gibt es in dem Sinn, glaube ich, wirklich auch eine innere Zustimmung zum Petrusamt in dem Willen, es so weiter zu entwickeln, dass es dem Willen des Herrn und den Anforderungen der Zeit entspricht.

Frage: Deutschland als Land der Reformation ist natürlich in besonderer Weise vom Miteinander der Konfessionen geprägt. Das ökumenische Miteinander ist natürlich ein sensibles Gebilde, das immer mal wieder in Schwierigkeiten geraten kann. Welche Möglichkeiten sehen Sie, gerade das Verhältnis zur evangelischen Kirche zu verbessern, oder welche Schwierigkeiten sehen Sie auch auf diesem Weg?

Papst Benedikt XVI: Vielleicht ist es wichtig, zunächst einmal zu sagen, dass die evangelische Kirche ja sehr vielgestaltig ist. In Deutschland haben wir, wenn ich recht weiß, drei größere Gemeinschaften: Lutheraner, Reformierte, Preußische Union. Dazu bilden sich im Großmaß jetzt auch Freikirchen und innerhalb der klassischen Kirchen Bewegungen wie die „Bekennende Kirche" und so weiter. Es ist also auch ein vielstimmiges Gefüge, mit dem wir in Respekt vor den vielen Stimmen und in der Suche nach der Einheit in Dialog treten und in Zusammenarbeit kommen müssen. Das erste ist, dass wir alle miteinander in dieser Gesellschaft uns darum mühen sollten, die großen ethischen Richtlinien deutlich zu machen – selber zu finden und zu verwirklichen – und so der Gesellschaft den ethischen Zusammenhalt zu geben, ohne den sie eben nicht die Absicht der Politik – Gerechtigkeit für alle, ein gutes Miteinanderleben, den Frieden – verwirklichen kann. Und da geschieht ja schon sehr viel, dass wir in dieser Weise angesichts der großen moralischen Herausforderungen wirklich miteinander verbunden sind aus dem gemeinsamen christlichen Grund heraus. Und dass wir dann natürlich als nächstes Gott bezeugen in einer Welt, die sich schwer tut, ihn zu finden, wie wir gesagt haben, dass wir den Gott mit dem menschlichen Antlitz Jesu Christi sichtbar machen und den Menschen so den Zugang zu den Quellen geben, ohne die die Moral verkümmert und ihre Maßstäbe verliert, und auch die Freude geben, dass wir nicht isoliert sind in der Welt. So erst entsteht die Freude an der Größe des Menschen, dass er nicht ein missglücktes Evolutionsprodukt, sondern Bild Gottes ist. In diesen beiden Ebenen die großen ethischen Maßstäbe – und von innen her und auf sie hin die Gegenwart Gottes, eines konkreten Gottes – zu zeigen. Und wenn wir das tun, und danach vor allem auch alle einzelnen Gruppierungen den Glauben nicht partikularistisch, sondern immer aus seinen tiefsten Gründen her zu leben versuchen, dann werden wir vielleicht trotzdem nicht so schnell zu äußeren Einheiten kommen, aber dann werden wir zu einer inneren Einheit reifen, die, so Gott will, eines Tages dann auch äußere Formen von Einheit bringt.

Frage: Thema Familie: Vor etwa einem Monat waren Sie in Valencia beim Familienkongress. Und wer gut hingehört hat – wir von Radio Vatikan versuchen, das zu tun –, hat gemerkt, dass Sie nie das Wort Homo-Ehe angesprochen haben, nie von Abtreibung, nie von Verhütung gesprochen haben. Aufmerksame Beobachter sagen sich: Interessant! Offenbar ist seine Intention, den Glauben zu verkünden und nicht als Moralapostel durch die Welt zu reisen. Können Sie das kommentieren?

Papst Benedikt XVI: Ja natürlich. Zuerst muss man sagen: Ich hatte ganze zwei mal zwanzig Minuten Zeit. Und wenn man nur so viel Zeit zur Verfügung hat, kann man nicht gleich mit dem Neinsagen daher kommen. Man muss ja erst wissen, was wir überhaupt wollen, nicht wahr. Und das Christentum, der Katholizismus ist nicht eine Ansammlung von Verboten, sondern eine positive Option. Und die wieder sehen ist ganz wichtig, weil die fast ganz aus dem Blickfeld verschwunden ist. Man hat so viel gehört, was man nicht darf, dass man jetzt hingegen sagen muss: Wir haben aber eine positive Idee, dass Mann und Frau zueinander geschaffen sind, dass sozusagen es die Skala Sexualität, Eros, Agape, die Dimensionen der Liebe gibt und dass auf die Weise dann zunächst Ehe als beglücktes Ineinander von Mann und Frau und dann als Familie wächst. Dass Kontinuität der Generationen geschieht, in der die Versöhnung der Generationen erfolgt und in der dann auch die Kulturen sich begegnen können. Zunächst einmal also herausstellen, was wir wollen, ist einfach wichtig. Dann kann man auch sehen, warum wir irgendetwas nicht wollen. Und ich glaube, man muss ja sehen, dass es nicht eine katholische Erfindung ist, dass Mann und Frau zueinander geschaffen sind, damit die Menschheit weiterlebt – das wissen eigentlich alle Kulturen. Was die Abtreibung angeht, gehört sie nicht ins sechste, sondern ins fünfte Gebot „Du sollst nicht töten!" Und das sollten wir eigentlich als selbstverständlich voraussetzen und müssen immer wieder betonen: Der Mensch fängt im Mutterschoß an und bleibt Mensch bis zu seinem letzen Atemzug. Daher muss er immer als Mensch respektiert werden. Aber das wird einsichtig, wenn zuvor das Positive gesagt ist.

Frage: Heiliger Vater, meine Frage schließt in gewisser Weise an die von Pater von Gemmingen an. Weltweit erhoffen sich Gläubige Antworten auf die global drängenden Probleme von der katholischen Kirche. Stichwort hier AIDS und Überbevölkerung: Warum stellt die katholische Kirche die Moral so heraus und über die Lösungsansätze für dieses Schicksalsproblem der Menschen, beispielsweise im afrikanischen Kontinent.

Papst Benedikt XVI: Ja nun, das ist die Frage: Stellen wir wirklich die Moral so heraus? Ich würde sagen – so hat es sich mir auch im Gespräch mit den afrikanischen Bischöfen immer mehr kristallisiert: Das grundlegende Stichwort, wenn wir in diesen Sachen vorankommen wollen, heißt Erziehung, Edukation, Bildung. Fortschritt kann nur Fortschritt sein, wenn er dem Menschen dient und wenn der Mensch selber wächst: wenn in ihm nicht nur das technische Können wächst, sondern auch seine moralische Potenz. Und ich denke, das eigentliche Problem unserer historischen Situation ist das Ungleichgewicht zwischen dem ungeheuren rapiden Anwachsen dessen, was wir technisch können, und unserm moralischen Vermögen, das nicht mitgewachsen ist. Und deswegen ist die Bildung des Menschen das eigentliche Rezept, der Schlüssel von allem, und das ist auch unser Weg. Und zwar hat diese Bildung, kurz gesagt, zwei Dimensionen: Zunächst einmal müssen wir natürlich etwas lernen: Wissen, Können erwerben, Know-How, wie man so schön sagt. Und dafür hat Europa, Amerika, in den letzten Jahrzehnten viel getan, und das ist etwas Wichtiges. Aber wenn man nur Know-How weitergibt, nur beibringt, wie man Maschinen macht und mit ihnen umgeht, und wie man Verhütungsmittel anwendet, dann braucht man sich nicht zu wundern, dass am Schluss Krieg herauskommt und AIDS-Epidemien. Sondern wir brauchen zwei Dimensionen, es muss die Bildung des Herzens, wenn ich’s so sagen darf, mit dazukommen, durch die der Mensch Maßstäbe gewinnt und dann auch seine Technik richtig gebrauchen lernt. Und das ist es, was wir zu tun versuchen. Wir haben in ganz Afrika und auch in vielen Ländern Asiens ein großes Netz von Schulen aller Stufen, wo zunächst Lernen möglich ist, wo wirklich Kenntnis erworben werden kann, berufliche Befähigung erworben wird und dadurch Unabhängigkeit und Freiheit möglich wird. Aber wir versuchen in diesen Schulen eben nicht nur Know-How weiter zu geben, sondern auch die Menschen zu formen, so dass sie den Willen zur Versöhnung haben und dass sie wissen: Wir müssen aufbauen und nicht zerstören; dass sie Maßstäbe haben, wie sie miteinander leben können. In Afrika ist zum großen Teil das Miteinander von Moslems und Christen ganz vorbildlich. Bischöfe haben gemeinsame Komitees mit den Moslems, wie in Konflikten Frieden gestiftet werden kann. Und dieses doppelte Netz der Schulen, des Lernens und des menschlichen Bildens ist wichtig. Es wird dann ergänzt durch ein Netz von Krankenhäusern und von Pflegestationen, die bis in die letzten Dörfer hineinreichen. Und vielerorts ist ja nach all den Zerstörungen der Kriege die Kirche die letzte intakte Macht geblieben – nicht Macht: Realität, wo geheilt wird, wo auch AIDS geheilt wird, und andererseits Erziehung vermittelt wird, die hilft, richtig miteinander umzugehen. Insofern, glaube ich, sollte das Bild korrigiert werden, dass wir nur mit lauter „Nein" um uns herumwerfen. Es geschieht gerade in Afrika sehr viel, damit die verschiedenen Dimensionen der Bildung sich ergänzen können und damit die Überwindung der Gewalt und die Überwindung auch dieser Epidemien – es kommt ja auch Malaria und Tuberkulose dazu – möglich wird.

Frage: Heiliger Vater, von Europa aus hat sich das Christentum in alle Welt verbreitet. Nun sagen viele, die sich mit der Sache beschäftigen, die Zukunft der Kirche liegt auf anderen Kontinenten. Trifft das zu? Und anders gefragt: Welche Zukunft hat es in Europa, in dem Christentum eher zur Privatsache einer Minderheit verkümmert?

Papst Benedikt XVI: Ich würde es zunächst ein bisschen nuancieren. Entstanden ist das Christentum ja im vorderen Orient, wie wir wissen. Und lange Zeit hat es dort auch seinen Schwerpunkt gehabt und sich viel weiter nach Asien ausgedehnt, als uns heute nach der Veränderung durch den Islam bewusst ist. Allerdings hat es dann eben dadurch seine Achse erheblich nach dem Westen und nach Europa verschoben, und Europa – darauf sind wir auch stolz und freuen uns – hat das Christentum in seiner großen auch intellektuellen und kulturellen Gestalt weiter ausgebildet. Aber ich glaube, es ist schon wichtig, an die Christen im Orient zu erinnern, denn im Moment besteht die Gefahr, dass die Christen, die dort immer noch eine wichtige Minderheit sind, auswandern. Und dass gerade diese Ursprungsorte des Christentums leer werden von Christen, was eine große Gefahr ist. Wir müssen denen sehr helfen, dort bleiben zu können. Aber nun zu ihrer Frage: Europa war dann ohne Zweifel Zentrum des Christentums und der missionarischen Bewegung. Heute treten die andern Kontinente, die anderen Kulturen mit gleichem Gewicht in das Konzert der Weltgeschichte ein. Und insofern wird die Kirche vielstimmiger, und das ist auch gut so, dass die eigenen Temperamente, die eigenen Begabungen Afrikas, Asiens und Amerikas, besonders auch Lateinamerikas erscheinen können. Alle natürlich immer auch betroffen nicht nur von dem Wort des Christentums, sondern von der säkularen Botschaft dieser Welt, die die Zerreißprobe, die wir in uns selber hatten, auch in diese Kontinente hineinträgt. Alle Bischöfe aus den andern Erdteilen sagen, wir brauchen weiterhin Europa, auch wenn Europa nun einem größeren Ganzen zugehört. Wir haben weiter eine Verantwortung dafür. Unsere Erfahrungen, die theologische Wissenschaft, die hier gebildet wurde, alles, was wir an liturgischer Erfahrung, an Brauchtum, auch an ökumenischer Erfahrung gesammelt haben: all das ist auch für die anderen Kontinente wichtig. Insofern ist bedeutsam, dass wir jetzt nicht kapitulieren und sagen: „Naja, wir sind nur noch eine Minderheit, schauen wir mal, dass wir wenigstens in der Zahl beieinander bleiben", sondern weiterhin dynamisch bleiben und in Austausch treten. Dann werden Kräfte von dort auch zu uns kommen. Es gibt ja heute indische und afrikanische Priester in Europa, ebenso in Kanada, wo viele afrikanische Priester arbeiten, interessanterweise. Es gibt dieses gegenseitige Geben und Nehmen. Aber wenn wir auch in Zukunft mehr Empfangende werden, sollten wir immer auch Gebende bleiben und dazu den Mut und die Dynamik entwickeln.

Frage: Es ist teilweise schon angesprochen worden, Heiliger Vater. Moderne Gesellschaften orientieren sich in wichtigen Entscheidungen zu Politik und Wissenschaft nicht an den christlichen Werten, und wenn die Kirche bemerkt wird – das wissen wir aus Umfragen –, dann oft als warnende Stimme oder gar als bremsende Stimme. Müsste die Kirche nicht aus dieser defensiven Rolle heraus und positiver in die Zukunft blicken und auch positiver gestalten?

Papst Benedikt XVI: Ja, ich würde sagen, das ist auf jeden Fall ein Auftrag an uns, dass wir deutlicher machen, was wir denn positiv wollen. Dass wir es vor allen Dingen im Miteinander der Kulturen und der Religionen zur Geltung bringen. Denn der afrikanische Kontinent, die afrikanische Seele, auch die asiatische Seele ist erschreckt, bei uns eine kalte Rationalität zu sehen. Wichtig ist zu zeigen, dass es nicht nur dieses gibt. Und umgekehrt, für unsere laizistische Welt ist es wichtig zu sehen, dass für den Dialog mit den anderen Welten gerade auch der christliche Glaube nicht ein Hindernis, sondern eine Brücke ist. Man darf nicht meinen, die rein rationale Kultur, die hätte es aufgrund ihrer Toleranz leichter, mit den anderen Religionen zu Rande zu kommen. Ihr fehlt weitgehend das religiöse Organ und gerade damit eigentlich der Bezugspunkt, auf den hin die anderen ansprechen und angesprochen werden wollen. Insofern müssen wir zeigen, können wir zeigen, dass gerade für die neue Interkulturalität, in der wir leben, die pure, von Gott losgelöste Rationalität nicht genügt, sondern eine weite Rationalität nötig ist, die Gott in der Einheit mit der Vernunft sieht, und dass unser christlicher Glaube, der sich in Europa entwickelt hat, auch ein Mittel ist, um Vernunft und Kultur zueinander zu bringen und in einer verständnisvollen Einheit auch des Handelns miteinander zu halten. In dem Sinn haben wir, glaube ich, einen großen Auftrag, dass wir zeigen: Dieses Wort, das wir haben, gehört nicht in die Mottenkiste der Geschichte, sondern es ist jetzt gerade notwendig.

Frage: Heiliger Vater, Stichwort Papstreisen. Sie sind ja im Vatikan, vielleicht zu ihrem eigenen Leidwesen, ein bisschen weit weg von den Menschen und von der Welt abgeschlossen, auch hier wunderbar in Castelgandolfo. Aber Sie werden auf der anderen Seite bald achtzig Jahre alt. Meinen Sie, Sie können mit Gottes Hilfe noch viele Reisen machen? Haben Sie eine Ahnung, welche möchten Sie machen? Ins Heilige Land? Brasilien? Wissen Sie schon?

Papst Benedikt XVI: Nun, ganz so einsam bin ich nicht. Natürlich gibt es sozusagen die Burg, die den Zutritt schwierig macht, aber es gibt eine päpstliche Familie, jeden Tag viele Besuche, vor allen Dingen, wenn ich in Rom bin. Die Bischöfe kommen, andere Menschen kommen, Staatsbesuche, die aber auch persönlich und nicht nur politisch mit mir reden wollen. Insofern ist es doch eine Vielfalt von Begegnungen, die mir Gott sei Dank immer geschenkt wird. Und das ist ja auch wichtig, nicht wahr, dass der Sitz des Petrusnachfolgers ein Ort der Begegnungen ist. Seit Johannes XXIII. hat sich eingependelt, dass nun auch die Gegenbewegung da ist, dass Päpste Besuche machen. Ich muss sagen, ich fühle mich nicht sehr stark, um noch viele große Reisen anzuzetteln, aber wo sie eine Botschaft ausrichten können, wo sie wirklich einem Wunsch entsprechen, da möchte ich in den Dosierungen, die mir möglich sind, hingehen. Es ist vorgesehen: Nächstes Jahr trifft sich in Brasilien die CELAM, die Vereinigung der lateinamerikanischen Bischofskonferenzen; und dort dabei zu sein ist, glaube ich, ein wichtiger Vorgang in dem ganzen Drama, das Südamerika einerseits erlebt, und in der ganzen Kraft der Hoffnung, die dort auch wirksam ist. Dann möchte ich ins Heilige Land gehen und hoffentlich es in Frieden betreten können. Und im Übrigen wird man sehen, was die Vorsehung an mich heranträgt.

Frage: Darf ich noch mal nachhaken. Die Österreicher sprechen ja auch deutsch und erwarten Sie in Mariazell…

Papst Benedikt XVI: Ja, das ist vereinbart. Das habe ich einfach so ein bisschen leichtsinnig versprochen. Es hat mir so gut gefallen dort, dass ich gesagt habe, ja: Zur Magna Mater Austriae komme ich wieder. Und das war natürlich sofort eine Zusage, die ich auch einhalten werde und gern einhalte.

Frage: Und darf ich noch nachhaken: Ich bewundere Sie jeden Mittwoch, wenn Sie die Generalaudienz halten. 50.000 Leute kommen da. Das ist ja mühsam, wahnsinnig mühsam. Hält man das durch?

Papst Benedikt XVI: Ja, der liebe Gott wird mir schon die Kraft geben dann. Und wenn man sieht, dass Zustimmung kommt, ermutigt das natürlich auch.

Frage: Heiliger Vater, Sie haben gerade gesagt: Leichtsinnigerweise haben Sie das zugesagt. Heißt das, Sie lassen sich trotz dieses Amtes, trotz dieser vielen protokollarischen Dinge, ihre Spontaneität auch nicht nehmen?

Papst Benedikt XVI: Ich versuche es jedenfalls. Denn soviel auch fixiert ist, ein bisschen möchte ich doch auch das Eigene behalten, zu verwirklichen versuchen.

Frage: Heiliger Vater, die Frauen in der katholischen Kirche sind sehr aktiv in vielen Funktionen. Müssten sie nicht deutlich sichtbarer tätig sein, also auch in höheren Positionen in der Kirche?

Papst Benedikt XVI: Ja, darüber wird natürlich sehr nachgedacht. Sie wissen, dass wir uns durch den Glauben, durch die Konstitution des Apostelkollegiums bestimmt und nicht dazu ermächtigt fühlen, Frauen die Priesterweihe zu erteilen. Aber man sollte auch nicht meinen, in der Kirche ist nur jemand etwas, der ein Priester ist. Es gibt eben ganz viele Aufträge und Funktionen in der Kirchengeschichte. Von den Schwestern der Kirchenväter angefangen bis ins Mittelalter, wo große Frauen eine sehr bestimmende Rolle ausgeübt haben. Und in die Neuzeit herein: Denken wir an Hildegard von Bingen, die kraftvoll protestiert hat gegen Bischöfe und Papst. Und Katharina von Siena und Birgitta von Schweden. So in die Neuzeit herein müssen die Frauen und müssen wir ja auch immer wieder mit ihnen zusammen den richtigen Platz für sie suchen. Es ist jetzt so, dass sie in den Kongregationen sehr gegenwärtig sind. Und es gibt ein juristisches Problem: Jurisdiktion, also die Möglichkeit rechtlich bindender Entscheidungen, ist nach dem Kirchenrecht an Weihe gebunden. Insofern gibt es dann da auch wieder Grenzen. Aber ich glaube, die Frauen selber werden mit ihrem Schwung und ihrer Kraft, mit ihrem Übergewicht sozusagen, mit ihrer „geistlichen Potenz" sich ihren Platz zu verschaffen wissen. Und wir sollten versuchen, auf Gott zu hören, dass wir den auch nicht behindern, sondern uns freuen, dass das Weibliche in der Kirche, wie es sich gehört – von der Muttergottes und von Maria Magdalena an – seine kraftvolle Stelle erhält.

Frage: Heiliger Vater, man spricht in letzter Zeit von einer neuen Faszination des Katholischen. Wie steht es denn um die Lebenskraft und um die Zukunftsfähigkeit dieser doch eigentlich uralten Institution?

Papst Benedikt XVI: Ja, ich würde sagen: Es hat schon der ganze Pontifikat von Johannes Paul II. die Menschen aufhorchen lassen und sie versammelt. Was bei seinem Tod vor sich gegangen ist, bleibt geschichtlich also etwas ganz Einzigartiges, wie da Hunderttausende diszipliniert sich auf dem Petersplatz drängen, stundenlang dastehen und eigentlich umfallen müssten in dieser Situation und doch durchhalten und von innen her bewegt sind. Und wir haben es wieder erlebt bei meiner Amtsübernahme und in Köln. Das ist schon etwas sehr Schönes, dass das Gemeinschaftserlebnis dann zugleich ein Glaubenserlebnis wird; dass man Gemeinschaft nicht nur irgendwo erfährt, sondern dass sie gerade dort, wo Orte des Glaubens sind, lebendig wird und auch dem Katholischen seine Leuchtkraft gibt. Natürlich muss es dann im Alltag durchgehalten werden. Die beiden Dinge müssen miteinander gehen. Einerseits die großen Augenblicke, wo man sieht, es ist schön, dabei zu sein, Gott ist da, und wir sind eine große versöhnte Gemeinschaft über die Grenzen hinweg. Wir haben der Menschheit etwas zu geben, und uns wird von Gott, von der Kirche etwas gegeben. Und dann muss man daraus natürlich den Schwung schöpfen, die eben auch mühsamen Wanderungen durch den Alltag zu bestehen und von solchen Lichtpunkten her auf sie hin zu leben und damit auch andere in die Weggemeinschaft einzuladen. Aber ich möchte die Gelegenheit doch benützen, um zu sagen: Ich bin ja ganz beschämt über all das, was an Vorbereitungen für meinen Besuch geschehen ist, was Menschen da alles tun, nicht wahr. Mein Haus ist angestrichen worden, eine Berufsschule hat den Zaun gemacht. Der evangelische Religionslehrer hat mitgewirkt an meinem Zaun. Und das ist ja jetzt nur eine Kleinigkeit, aber ein Zeichen für ganz Vieles, was getan wird. Das finde ich so großartig, und ich beziehe es nicht auf mich, sondern es ist einfach ein Wille, dieser Gemeinschaft im Glauben zuzugehören und alle miteinander zu dienen. Diese Solidarität zu zeigen und dabei uns vom Herrn her inspirieren zu lassen: das ist für mich etwas Bewegendes, und dafür möchte ich auch ganz herzlich danken.

Frage: Heiliger Vater, Sie sprachen gerade das Gemeinschaftserlebnis an. Sie kommen nun zum zweiten Mal nach Ihrer Wahl zu einem Besuch nach Deutschland. Die Stimmung bei dem Weltjugendtag – oder ganz anders gelagert bei der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland – ist irgendwie ausgewechselt. Man hat den Eindruck, die Deutschen sind weltoffener geworden, toleranter geworden, freudiger geworden. Was wünschen Sie sich von uns Deutschen noch?

Papst Benedikt XVI: Nun, ich würde sagen: An sich ist natürlich schon seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine innere Umgestaltung der deutschen Gesellschaft, auch der deutschen Mentalität da, die durch die Wiedervereinigung noch verstärkt worden ist. Wir sind einfach viel stärker in die Weltgesellschaft hineingewachsen und natürlich auch von ihrer Mentalität mit berührt. Und es kommen eben auch Seiten des deutschen Charakters zum Vorschein, die man ihm früher nicht zugetraut hat. Und vielleicht sind wir auch ein bisschen zu sehr als immer ganz diszipliniert und zurückhaltend hingestellt worden. Das war schon in uns da – . Ich finde es sehr schön, wenn jetzt mehr zum Vorschein kommt, wenn alle sehen: Die Deutschen sind nicht bloß reserviert und pünktlich und diszipliniert, sie sind auch spontan, fröhlich, gastfreundlich. Das ist etwas sehr Schönes. Und was soll ich wünschen: Dass diese Tugenden weiter entwickelt werden, und dass sie vom christlichen Glauben her noch weiter Schwung und Tragfähigkeit bekommen.

Frage: Heiliger Vater, ihr Vorgänger hat eine wahnsinnige Menge an Christen selig und heilig gesprochen. Manche Leute sagen, es ist sogar ein bisschen zuviel. Frage: Selig- und Heiligsprechungen bringen ja der Kirche eigentlich nur etwas, wenn diese Leute auch wirklich als Vorbilder wahrgenommen werden. Kann man da was tun – und Deutschland produziert ja relativ wenig Selige und Heilige im Vergleich zu anderen Ländern –, damit dieser pastorale Ansatz: „Wir brauchen Selig- und Heiligsprechungen" wirklich auch was bringt? Kann man da was machen?

Papst Benedikt XVI: Also ich hatte ja anfangs auch ein bisschen die Meinung, dass uns die große Menge der Seligsprechungen fast erdrückt und dass man vielleicht mehr auswählen sollte – Gestalten, die dann deutlich ins Bewusstsein treten. Inzwischen hab’ ich ja die Seligsprechungen dezentralisiert, um jeweils am Ort – denn sie gehören zu bestimmten Orten – diese Gestalten sichtbar zu machen. Vielleicht interessiert ein Heiliger aus Guatemala uns in Deutschland nicht so und umgekehrt einer aus Altötting interessiert vielleicht nicht so in Los Angeles. Also insofern, glaube ich, ist auch diese Dezentralität, der ja die Kollegialität der Bischöfe – ihre kollegialen Strukturen – entspricht, etwas, was gerade an diesem Punkt angebracht ist. Dass die Länder ihre Gestalten haben und dass sie dort zu ihrer Wirkung kommen. Ich habe auch gesehen, dass diese Seligsprechungen dort ungeheuer viele Menschen ansprechen und die Leute sehen: „Ja, das ist ja einer von uns!" und dann auf ihn zugehen und von ihm her inspiriert werden. Er gehört zu denen, und wir freuen uns, dass es dort so viele gibt. Und wenn wir allmählich durch die Weltgesellschaft auch mit denen bekannter werden, ist das schön. Aber zunächst mal ist es wichtig, dass es eben auch da die Vielfalt gibt. Und in dem Sinn ist es dann wichtig, dass wir in Deutschland auch unsere eigenen Gestalten sehen lernen und uns daran freuen dürfen. Daneben stehen dann die Heiligsprechungen mit großen Gestalten, die alle der ganzen Kirche zugedacht sind. Ich würde sagen, die einzelnen Bischofskonferenzen sollten auswählen, sollen sehen, wer passt zu uns, wer sagt uns etwas, und sollten dann diese nicht so vielen Gestalten wirklich einprägsam sichtbar machen über die Katechese, die Predigt; vielleicht kann man auch Filme über solche Gestalten lancieren – ich könnte mir schöne Filme vorstellen. Ich kenne natürlich nur die Kirchenväter. Einen Film über Augustinus, über Gregor von Nazianz und seine ganz eigenartige Gestalt (weil er immer wieder davongelaufen ist, weil es ihm zuviel wurde und so) zu bringen und zu zeigen: Es gibt ja nicht nur unsere verflixten Situationen, die uns jetzt im Film beschäftigen, es gibt wunderbare Gestalten der Geschichte, die nicht langweilig sind, sondern Gegenwart haben. Also jedenfalls versuchen, die Leute nicht mit allzu viel zu überschütten, aber für viele solche Gestalten sichtbar zu machen, die gegenwärtig sind und die uns inspirieren.

Frage: Geschichten, in denen womöglich auch Humor enthalten ist? 1989 wurde Ihnen in München der Karl Valentin-Orden überreicht. Welche Rolle spielen eigentlich Humor und die Leichtigkeit des Seins im Leben eines Papstes?

Papst Benedikt XVI: (Papst lacht) Ich bin nicht ein Mensch, dem dauernd viele Witze einfallen. Aber sozusagen das Lustige im Leben zu sehen, und die fröhliche Seite daran und alles nicht ganz so tragisch zu nehmen, das ist mir schon sehr wichtig, und ich würde sagen: für mein Amt auch notwendig. Irgendein Schriftsteller hatte gesagt, die Engel können fliegen, weil sie sich leicht nehmen. Und wir könnten auch ein bisschen mehr fliegen, sozusagen, wenn wir uns nicht ganz so schwergewichtig nehmen würden.

Frage: Wenn man ein solches Amt hat wie Sie, Heiliger Vater, wird man natürlich viel von außen beobachtet. Dritte sprechen über Sie. Und mir ist aufgefallen bei der Lektüre, dass viele Beobachter sagen, der Papst Benedikt ist im Vergleich zu Kardinal Ratzinger eine andere Persönlichkeit. Wie ist denn Ihre eigene Sicht auf Sie, wenn ich mir diese Frage erlauben darf?

Papst Benedikt XVI: Ich bin ja schon mehrmals zerteilt worden in den frühen Professor und den mittleren Professor – in den frühen Kardinal und in den späten. Jetzt kommt noch eine Teilung dazu. Natürlich prägen die Umstände und die Situation und auch die Menschen, weil man hier verschiedene Verantwortungen hat. Aber sagen wir: Mein Grundnaturell und auch meine Grundvision ist gewachsen, aber in allen wesentlichen Dingen doch identisch geblieben. Ich freue mich, wenn jetzt auch Seiten wahrgenommen werden, die vorher nicht so wahrgenommen worden sind.

Frage: Und darf man so sagen, Sie genießen Ihr Amt, es ist keine Last?

Papst Benedikt XVI: Das wäre ein bisschen zuviel, weil es doch mühsam ist. Aber ich versuche jedenfalls, die Freude daran zu finden.

Frage: Auch im Namen meiner Kollegen darf ich mich für dieses Gespräch, für diese Weltpremiere, sehr herzlich bedanken. Wir freuen uns auf Ihren Besuch in Deutschland, in Bayern. Auf Wiedersehen!
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