Benedikt XVI Predigten 205

205

ABSCHLUSS DES MARIENMONATS MAI

WORTE VON BENEDIKT XVI. Petersplatz

Samstag, 3. Mai 2008

Liebe Brüder und Schwestern!


Wir beenden den Monat Mai mit dieser eindrucksvollen Marienandacht. Ich grüße euch herzlich und danke euch für eure Teilnahme. An erster Stelle grüße ich Herrn Kardinal Angelo Comastri; mit ihm grüße ich alle weiteren Kardinäle, Erzbischöfe, Bischöfe und Priester, die an dieser abendlichen Andacht teilgenommen haben. Mein Gruß gilt auch den geweihten Personen und euch allen, liebe gläubige Laien, die ihr die selige Jungfrau Maria durch eure Anwesenheit habt ehren wollen.

Wir feiern heute das Fest der Heimsuchung Marias und den Gedenktag des Unbefleckten Herzens Mariä. Das alles lädt uns ein, vertrauensvoll auf Maria zu schauen. Wir haben uns heute abend mit dem alten und immer aktuellen Rosenkranzgebet an sie gewandt. Wenn er nicht eine bloße mechanische Wiederholung der traditionellen Formeln ist, dann ist der Rosenkranz eine biblische Meditation, die uns in Begleitung der seligen Jungfrau die Geschehnisse des Lebens des Herrn vor Augen führt, wobei wir sie wie Maria in unserem Herzen bewahren. Im Monat Mai gibt es in vielen christlichen Gemeinschaften den schönen Brauch, den Rosenkranz im Familienkreis und in den Pfarreien in noch feierlicherer Weise zu beten. Jetzt, am Monatsende, soll aber diese gute Gewohnheit nicht nachlassen, sondern mit noch größerem Eifer fortgesetzt werden, damit das Licht des Glaubens in der Schule Marias noch heller in den Herzen der Christen und in ihren Häusern erstrahle.

Am heutigen Fest der Heimsuchung hören wir in der Liturgie erneut den Abschnitt des Lukasevangeliums, der Marias Weg von Nazaret zum Haus der älteren Kusine Elisabet erzählt. Wir können uns den Seelenzustand der Jungfrau nach der Verkündigung, als der Engel von ihr gegangen war, vorstellen. Maria trägt jetzt, geborgen in ihrem Schoß, ein großes Geheimnis in sich; sie weiß, daß etwas ganz Einzigartiges geschehen ist; sie ist sich bewußt, daß das letzte Kapitel der Heilsgeschichte der Welt begonnen hat. Aber um sie herum hat sich nichts verändert, und das Dorf Nazaret weiß nichts von dem, was ihr geschehen war.

Maria denkt aber zuerst nicht an sich selbst, sondern an die ältere Elisabet, die, wie sie erfahren hatte, hochschwanger war. Gedrängt vom Geheimnis der Liebe, das sie soeben in sich empfangen hat, macht sich Maria »eilends« auf den Weg, um ihr beizustehen. Das ist die einfache und zugleich erhabene Größe Marias! Als sie das Haus von Elisabet betritt, geschieht etwas, dessen Schönheit und tiefe Wirklichkeit kein Maler je wiedergeben könnte. Das innere Licht des Heiligen Geistes umstrahlt ihre Personen. Und Elisabet, vom Heiligen Geist erfüllt, ruft aus: »Gesegnet bist du mehr als alle anderen Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes. Wer bin ich, daß die Mutter meines Herrn zu mir kommt? In dem Augenblick, als ich deinen Gruß hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leib. Selig ist die, die geglaubt hat, daß sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ« (Lk 1,42–45).

Diese Worte könnten uns angesichts der konkreten Wirklichkeit übertrieben erscheinen. Elisabet ist eine von vielen älteren Frauen Israels, und Maria ist ein unbekanntes Mädchen aus einem abgelegenen Dorf in Galiläa. Was können sie sein, und was können sie tun in einer Welt, in der andere Menschen zählen und andere Mächte Gewicht haben? Aber Maria erstaunt uns von neuem; ihr Herz ist rein, ganz offen für das Licht Gottes; ihre Seele ist ohne Sünde, nicht vom Stolz und Egoismus beschwert. Elisabets Worte entfachen in ihrem Innern einen Lobpreis, der eine wahre und tiefe »theologische« Sicht der Geschichte ist: eine Vision, die wir von ihr ständig lernen sollen, denn ihr Glaube ist ohne Schatten und ohne Brüche. »Meine Seele preist die Größe des Herrn!« Maria erkennt die Größe Gottes. Das ist das erste unerläßliche Gefühl des Glaubens; das Gefühl, das dem Menschen Sicherheit gibt und ihn von der Angst befreit, auch inmitten der Stürme der Geschichte.

Indem sie die Oberfläche durchbricht, »sieht« Maria mit den Augen des Glaubens das Wirken Gottes in der Geschichte. Deshalb ist sie gesegnet, weil sie geglaubt hat: Denn durch den Glauben hat sie das Wort des Herrn aufgenommen und das menschgewordene Wort empfangen. Ihr Glaube hat sie sehen lassen, daß alle Throne der Mächtigen dieser Welt vorläufig sind, während Gottes Thron der einzige Fels ist, der sich nicht verändert und nicht einstürzt. Ihr Magnificat bleibt auch nach Jahrhunderten und Jahrtausenden die wahrste und tiefste Auslegung der Geschichte, während die von vielen Weisen dieser Welt vorgelegten Sichtweisen durch die Tatsachen im Laufe der Jahrhunderte dementiert wurden.

Liebe Schwestern und Brüder! Gehen wir nun mit dem Magnificat im Herzen nach Hause. Hegen wir in uns die gleichen Gefühle des Lobes und Dankes, die Maria dem Herrn entgegenbrachte, ihren Glauben und ihre Hoffnung, ihre Fügsamkeit in den Händen der göttlichen Vorsehung. Ahmen wir ihr Beispiel der Bereitschaft und Hochherzigkeit im Dienst an den Nächsten nach. Denn nur wenn wir die Liebe Gottes aufnehmen und unser Leben zu einem selbstlosen und hochherzigen Dienst am Nächsten machen, werden wir mit Freude den Herrn lobpreisen. Diese Gnade erwirke uns die Gottesmutter, die uns heute abend einlädt, in ihrem Unbefleckten Herzen Zuflucht zu finden. Euch allen erteile ich meinen Segen.



Juni 2008


AN DIE BISCHÖFE VON MALAYSIA, BRUNEI UND SINGAPUR

ANLÄSSLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES Freitag, 6. Juni 2008



Liebe Mitbrüder im Bischofsamt!

Ich freue mich, euch im Rahmen eures »Ad-limina«-Besuchs willkommen zu heißen. Durch ihn erneuert ihr die Bande der Gemeinschaft im Glauben und in der Liebe zwischen euch als Hirten des Gottesvolkes in Malaysia, Brunei und Singapur und dem Nachfolger Petri auf dem Bischofsstuhl von Rom. Ich danke euch für die freundlichen Worte, die Erzbischof Pakiam in eurem Namen an mich gerichtet hat, und ich versichere euch meines Gebets und meiner guten Wünsche für euch und für alle, die eurer Hirtensorge anvertraut sind.

Durch eine glückliche Fügung findet euer Besuch in der Stadt der Apostel Petrus und Paulus zu einer Zeit statt, in der sich die Kirche in der ganzen Welt auf die Feier eines Jahres vorbereitet, das dem hl. Paulus, dem großen Völkerapostel, gewidmet ist, aus Anlaß des 2000. Jahrestages seiner Geburt. Ich bete darum, daß ihr euch inspirieren laßt vom Vorbild dieses eifrigen Apostels, hervorragenden Lehrmeisters und mutigen Zeugen der Wahrheit des Evangeliums. Durch seine Fürsprache mögt ihr neuen Eifer verspüren für die große Missionsaufgabe, für die ihr wie der hl. Paulus auserwählt und berufen seid (vgl. Gal 1,15–16) – die Verkündigung des Evangeliums Jesu Christi in Malaysia, Brunei und Singapur. Mit den Worten, die der hl. Paulus an die Ältesten von Ephesus richtete, fordere ich euch auf: »Gebt acht auf euch und auf die ganze Herde, in der euch der Heilige Geist zu Bischöfen bestellt hat, damit ihr als Hirten für die Kirche Gottes sorgt, die er sich durch das Blut seines eigenen Sohnes erworben hat« (Ac 20,28).

»Der Glaube an Jesus ist ein Geschenk, das der Kirche zuteil wurde, das sie aber auch mit anderen teilen muß; er ist ihr kostbarstes Geschenk für Asien« (Ecclesia in Asia, 10). Erfreulicherweise zeigen die Völker Asiens ein starkes Verlangen nach Gott (vgl. ebd. 9). Indem ihr ihnen die Botschaft überliefert, die auch ihr empfangen habt (vgl. 1Co 15,3), sät ihr den Samen der Evangelisierung auf fruchtbaren Boden. Wenn der Glaube gedeihen soll, dann muß er in der asiatischen Erde tiefe Wurzeln schlagen, damit er nicht als Import aus dem Ausland betrachtet wird, der der Kultur und den Traditionen eures Volkes fremd ist. Eingedenk der Vorgehensweise des hl. Paulus, als er den Athenern die Gute Nachricht verkündigte (vgl. Apg 17,22–34), seid ihr berufen, den christlichen Glauben in einer Weise zu verkündigen, die im Einklang steht mit der »das asiatische Wesen kennzeichnenden natürlichen spirituellen Eingebung und moralischen Weisheit« (Ecclesia in Asia, 6), damit die Menschen ihn mit Freude annehmen und ihn sich zu eigen machen. Insbesondere müßt ihr dafür Sorge tragen, daß sie das christliche Evangelium keinesfalls mit weltlichen Prinzipien verwechseln, die mit der Aufklärung verbunden sind. Ihr sollt euch im Gegenteil »von der Liebe geleitet, an die Wahrheit halten« (Ep 4,15) und könnt so euren Mitbürgern helfen, den Weizen des Evangeliums von der Spreu des Materialismus und des Relativismus zu unterscheiden. Ihr könnt ihnen helfen, auf die dringenden Herausforderungen zu antworten, vor denen wir aufgrund der Aufklärung stehen. Der westlichen Christenheit sind sie seit über zwei Jahrhunderten vertraut, aber erst jetzt beginnen sie, auf andere Teile der Welt bedeutenden Einfluß zu nehmen. Wir müssen der »Diktatur der positivistischen Vernunft«, die Gott von der öffentlichen Debatte auszuschließen versucht, widerstehen und sollten gleichzeitig die »wahren Errungenschaften der Aufklärung« gern annehmen – besonders die Betonung der Menschenrechte und der Freiheit der Religion und ihrer Ausübung (vgl. Ansprache an das Kardinalskollegium und die Mitglieder der Römischen Kurie beim Weihnachtsempfang, 22. Dezember 2006; O.R. dt., Nr. 1, 5.1.2007, S. 6ff.). Indem ihr den universalen Charakter der Menschenrechte hervorhebt, der in der Würde der nach dem Bild Gottes geschaffenen menschlichen Person gründet, erfüllt ihr eine wichtige Evangelisierungsaufgabe, denn diese Lehre ist ein wesentlicher Aspekt des Evangeliums. Damit folgt ihr den Spuren des hl. Paulus: Er verstand es, die Wesensmerkmale des christlichen Glaubens und der christlichen Praxis so zum Ausdruck zu bringen, daß sie die Gemeinden der Heiden, zu denen er gesandt war, annehmen und sich zu eigen machen konnten.

Dieses paulinische Apostolat setzt ein Bemühen um den interreligiösen Dialog voraus. Ich ermutige euch, diese wichtige Arbeit fortzuführen und jeden Weg, der euch dabei offensteht, zu erkunden. Ich weiß, daß nicht in allen Gegenden, die ihr vertretet, die Religionsfreiheit im selben Maße gewährleistet ist. Zum Beispiel begegnen viele von euch ernsthaften Schwierigkeiten bei der Förderung des christlichen Religionsunterrichts an den Schulen. Laßt euch nicht entmutigen, sondern verkündigt auch weiterhin mit Überzeugung »den unergründlichen Reichtum Christi« (Ep 3,8), damit alle von der Liebe Gottes erfahren, die in Jesus offenbar wurde. Im Kontext eines offenen und aufrichtigen Dialogs mit Muslimen, Buddhisten, Hindus und den Angehörigen anderer Religionen, die in euren jeweiligen Ländern anwesend sind, helft ihr euren Mitbürgern, das Gesetz, das ihnen »ins Herz geschrieben ist« (Rm 2,15), zu erkennen und zu befolgen, indem ihr die Wahrheit des Evangeliums klar zum Ausdruck bringt. So kann eure Lehre viele Menschen erreichen und eine einheitliche Sicht des Gemeinwohls fördern. Das wiederum soll zu mehr Religionsfreiheit und größerem sozialen Zusammenhalt zwischen den Mitgliedern verschiedener ethnischer Gruppen beitragen, was dem Frieden und dem Wohlergehen der ganzen Gemeinschaft nur zuträglich sein kann.

Was die Seelsorge betrifft, die ihr eurem Volk zukommen laßt, so möchte ich euch ermutigen, euren Priestern besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Um das Bild zu gebrauchen, das uns der hl. Paulus in seinem Brief an den jungen Timotheus vor Augen führt: Haltet sie an, die Gabe Gottes wieder zu entfachen, die ihnen durch die Auflegung der Hände zuteil geworden ist (vgl. 2Tm 1,6). Seid ihnen Vater, Bruder und Freund, wie Paulus es für Timotheus und Titus war. Leitet sie durch euer Vorbild an und zeigt ihnen den Weg, um Christus, den Guten Hirten, nachzuahmen. Der hl. Paulus erklärte bekanntermaßen: »Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir« (Ga 2,20). Ihr sollt euer ganzes Leben und euer ganzes Verhalten an Christus ausrichten, so daß eure Priester sehen, was es heißt, als ein zweiter Christus – »alter Christus« – inmitten eures Volkes zu leben. Auf diese Weise spornt ihr sie an, ihr ganzes Leben »als lebendiges und heiliges Opfer darzubringen, das Gott gefällt« (Rm 12,1), und darüber hinaus werden mehr immer junge Männer dieses erhabene Leben des priesterlichen Dienstes anstreben.

Ich bin mir bewußt, daß es in den Gegenden, die ihr vertretet, Regionen gibt, in denen die Menschen nur selten einen Priester sehen, und andere, in denen die Menschen das Evangelium noch nicht kennen. Auch sie haben besonderen Anspruch auf eure Hirtensorge und euer Gebet, denn »wie sollen sie an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie hören, wenn niemand verkündigt«? (Rm 10,14). Hier bekommt die Ausbildung der Laien zusätzliche Bedeutung, damit die versprengten Kinder Gottes durch eine gute Katechese verstehen können, zu welcher Hoffnung sie berufen sind, zum »Reichtum der Herrlichkeit seines Erbes« (vgl. Eph Ep 1,18). So werden sie bereit sein, den Priester aufzunehmen, wenn er zu ihnen kommt. Sagt euren Katecheten, sowohl den Laien als auch den Ordensleuten, daß ich im Gebet ihrer gedenke und daß ich den enormen Beitrag, den sie zum Leben der christlichen Gemeinschaften in Malaysia, Brunei und Singapur leisten, sehr schätze. Ihre lebenswichtige Arbeit befähigt zahllose Männer, Frauen und Kinder, »die Liebe Christi zu verstehen, die alle Erkenntnis übersteigt«, und so »von der ganzen Fülle Gottes erfüllt« zu werden (Ep 3,19).

Liebe Mitbrüder im Bischofsamt, nach eurer Rückkehr in eure jeweiligen Länder »freut euch zu jeder Zeit! Betet ohne Unterlaß! Dankt für alles; denn das will Gott von euch, die ihr Christus Jesus gehört« (1Th 5,16). Ich vertraue euch alle sowie eure Priester, Ordensleute und gläubigen Laien der Fürsprache Marias, Mutter der Kirche, an und erteile von Herzen meinen Apostolischen Segen als Unterpfand der Freude und des Friedens im Herrn.



AN DIE TEILNEHMER DER VOLLVERSAMMLUNG DES

PÄPSTLICHEN RATES FÜR DEN INTERRELIGIÖSEN DIALOG Samstag, 7. Juni 2008



Eminenz,
liebe Brüder im bischöflichen Dienst,
meine Damen und Herren!

Ich freue mich, daß ich die Gelegenheit habe, euch zum Abschluß der zehnten Vollversammlung des Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog zu begegnen. Euch allen, die ihr an dieser wichtigen Zusammenkunft teilgenommen habt, möchte ich meine herzlichen Grüße aussprechen. Ich danke vor allem Kardinal Jean-Louis Tauran für seine freundlichen Worte.

»Dialog in veritate et caritate (in Wahrheit und Liebe) – Pastorale Orientierungen « lautet das Thema eurer Vollversammlung. Ich freue mich zu erfahren, daß ihr im Laufe dieser Tage versucht habt, zu einem tieferen Verständnis der Begegnung der katholischen Kirche mit Menschen anderer religiöser Überlieferungen zu kommen. Ihr habt die umfassendere Absicht des Dialogs – die Wahrheit zu entdecken – und seinen Beweggrund untersucht, der die Liebe ist, im Gehorsam gegenüber dem göttlichen Auftrag, welcher der Kirche von unserem Herrn Jesus Christus anvertraut ist.

Bei meiner Amtseinführung habe ich erklärt, »daß die Kirche auch weiterhin Brücken der Freundschaft mit den Anhängern aller Religionen bauen will, um das wahre Wohl jedes Menschen und der ganzen Gesellschaft zu suchen« (Begegnung mit Vertretern verschiedener Kirchen und kirchlicher Gemeinschaften sowie anderer religiöser Traditionen, in O.R. dt., Nr. 20, 20.5.2005, S. 8). Durch den Dienst der Nachfolger des Petrus, einschließlich der Arbeit des Päpstlichen Rats für den Interreligiösen Dialog sowie der Bemühungen der Ortsbischöfe und des Gottesvolkes auf der ganzen Welt, reicht die Kirche den Anhängern anderer Religionen weiter die Hand. Auf diese Weise verleiht sie diesem Wunsch nach Begegnung und Zusammenarbeit in Wahrheit und Frieden Ausdruck. Nach den Worten meines verehrten Vorgängers Papst Paul VI. hat die Kirche vor allem die Verantwortung, der Wahrheit zu dienen – »Wahrheit über Gott, Wahrheit über den Menschen und seine geheimnisvolle Bestimmung, Wahrheit über die Welt, eine schwierige Wahrheit, die wir im Wort Gottes suchen« (Evangelii nuntiandi EN 78).

Menschen suchen Antworten auf einige der grundlegenden existentiellen Fragen: Was ist der Ursprung und die Bestimmung der Menschen? Was ist Gut und Böse? Was erwartet die Menschen nach dem Ende ihres irdischen Daseins? Alle Menschen haben die natürliche Aufgabe und die moralische Verpflichtung, die Wahrheit zu suchen. Wenn diese einmal erkannt ist, sind sie gebunden, an ihr festzuhalten und ihr ganzes Leben in Übereinstimmung mit ihren Forderungen zu gestalten (vgl. Nostra Aetate NAE 1 Dignitatis humanae, 2).

Liebe Freunde, »Caritas Christi urget nos« (2Co 5,14). Es ist die Liebe Christi, welche die Kirche drängt, jedem Menschen, ohne Unterschiede, über die Grenzen der sichtbaren Kirche hinaus die Hand zu reichen. Die Quelle der kirchlichen Sendung ist die göttliche Liebe. Diese Liebe wird in Christus offenbart und durch das Wirken des Heiligen Geistes gegenwärtig gemacht. Alle Aktivitäten der Kirche müssen von Liebe durchdrungen sein (vgl. Ad gentes, 2–5; Evangelii nuntiandi EN 26, Dialog und Mission, 9).

So ist es die Liebe, die jeden Gläubigen drängt, dem anderen zuzuhören und nach Bereichen der Zusammenarbeit zu suchen. Sie ermutigt die christlichen Partner im Dialog mit den Anhängern anderer Religionen, den Glauben an Christus, der »der Weg und die Wahrheit und das Leben « (Jn 14,6) ist, vorzuschlagen, aber nicht aufzuzwingen. Wie ich in meinen jüngsten Enzykliken gesagt habe, hat uns der christliche Glaube gezeigt, »daß Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe nicht bloß Ideale, sondern Wirklichkeit dichtester Art sind« (Spe salvi, 39). »Der Liebesdienst ist für die Kirche nicht eine Art Wohlfahrtsaktivität, die man auch anderen überlassen könnte, sondern er gehört zu ihrem Wesen, ist unverzichtbarer Wesensausdruck ihrer selbst« (Deus caritas Est 25).

Die große Zunahme interreligiöser Treffen überall auf der Welt ruft heute nach Unterscheidung. In dieser Hinsicht freue ich mich festzustellen, daß ihr im Laufe dieser Tage über pastorale Orientierungen für den interreligiösen Dialog nachgedacht habt. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist die Aufmerksamkeit auf geistliche Elemente gerichtet worden, welche den verschiedenen religiösen Traditionen gemeinsam sind. Auf vielerlei Weise hat das geholfen, Brücken des Verständnisses über religiöse Grenzen hinweg zu bauen. Während eurer Diskussionen habt ihr einige Punkte von praktischem Interesse in den interreligiösen Beziehungen betrachtet: die Identität der Dialogpartner, die religiöse Erziehung in den Schulen, Bekehrung, Proselytismus, Reziprozität, Religionsfreiheit und die Rolle religiöser Führer in der Gesellschaft. Das sind wichtige Fragen, die von religiösen Führern, die in pluralistischen Gesellschaften leben und arbeiten, genau beachtet werden müssen.

Es ist wichtig, die Notwendigkeit der Ausbildung derjenigen herauszustellen, die den interreligiösen Dialog voranbringen. Wenn der Dialog authentisch sein soll, muß es sich um einen Weg des Glaubens handeln. Wie notwendig ist es daher für die Beförderer des Dialogs, in ihrem eigenen Glauben gut ausgebildet und über den Glauben anderer gut informiert zu sein. Aus diesem Grund ermutige ich die Bemühungen des Päpstlichen Rats für den Interreligiösen Dialog, Ausbildungskurse und -programme zum interreligiösen Dialog für verschiedene christliche Gruppen zu organisieren, vor allem für Seminaristen und junge Menschen in den Hochschulbildungseinrichtungen.

Interreligiöse Zusammenarbeit schafft Möglichkeiten, die höchsten Ideale jeder religiösen Tradition zum Ausdruck zu bringen. Hilfe für die Kranken, Beistand für die Opfer von Naturkatastrophen oder Gewalt, Sorge für die alten und armen Menschen: dies sind einige der Bereiche, in denen Menschen verschiedener Religionen zusammenarbeiten. Ich ermutige alle, die von der Lehre ihrer Religion dazu bewegt werden, den leidenden Mitgliedern der Gesellschaft zu helfen.

Liebe Freunde, zum Ende eurer Vollversammlung danke ich euch für die Arbeit, die ihr geleistet habt. Ich bitte euch, eurer christlichen Herde und allen unseren Freunden anderer Religionen die Botschaft guten Willens des Nachfolgers Petri zu überbringen. Gerne erteile ich euch meinen Apostolischen Segen als Unterpfand der Gnade und des Friedens in Jesus Christus, unserem Herrn und Heiland.

AN DIE TEILNEHMER DES VI. SYMPOSION DER DOZENTEN DER EUROPÄISCHEN UNIVERSITÄTEN ZUM THEMA:

"DIE HORIZONTE DER VERNUNFT AUSWEITEN.

PERSPEKTIVEN FÜR DIE PHILOSOPHIE" Samstag, 7. Juni 2008



Meine Herren Kardinäle,
verehrte Brüder im bischöflichen und priesterlichen Dienst,
sehr geehrte Dozenten!

Es ist für mich ein Grund zu großer Freude, Ihnen anläßlich des VI. Europäischen Symposions der Universitätsdozenten zu begegnen, das unter dem Thema »Die Horizonte der Vernunft ausweiten. Perspektiven für die Philosophie« steht und von den Dozenten der Universitäten Roms gefördert sowie vom Büro für die Hochschulseelsorge des Vikariats von Rom in Zusammenarbeit mit den Institutionen der Region Latium, der Provinz und der Gemeinde Rom organisiert wurde. Ich danke Herrn Kardinal Camillo Ruini und Herrn Professor Cesare Mirabelli, die Ihre Empfindungen zum Ausdruck gebracht haben, und heiße alle Anwesenden herzlich willkommen.

In Kontinuität mit dem europäischen Treffen der Universitätsdozenten vom letzten Jahr setzt sich Ihr Symposion mit einem Thema von großer akademischer und kultureller Bedeutung auseinander. Ich möchte dem Organisationskomitee meine Dankbarkeit für diese Wahl zum Ausdruck bringen, die es uns unter anderem gestattet, den 10. Jahrestag der Veröffentlichung der Enzyklika Fides et ratio meines geliebten Vorgängers Papst Johannes Paul II. feierlich zu begehen. Bereits bei jener Gelegenheit brachten fünfzig Dozenten für Philosophie der staatlichen und päpstlichen Universitäten Roms dem Papst ihre Dankbarkeit mit einer Erklärung zum Ausdruck, in der sie die Dringlichkeit einer erneuerten Stärkung des Studiums der Philosophie in den Universitäten und Schulen bekräftigten. Da ich diese Sorge teile und die fruchtbare Zusammenarbeit zwischen den Dozenten der verschiedenen römischen und europäischen Athenäen ermutige, möchte ich an die Dozenten für Philosophie eine besondere Einladung richten, vertrauensvoll in der philosophischen Forschung fortzufahren, dabei intellektuelle Energien aufzubieten und die jungen Generationen in diese Aufgabe mit einzubeziehen.

Die Geschehnisse in den seit der Veröffentlichung der Enzyklika vergangenen zehn Jahren haben immer deutlicher das geschichtliche und kulturelle Szenarium aufgezeigt, in das die philosophische Forschung vorzudringen berufen ist. Die Krise der Moderne ist nämlich nicht gleichbedeutend mit dem Niedergang der Philosophie; die Philosophie muß sich im Gegenteil auf einem neuen Weg der Forschung engagieren, um das wahre Wesen dieser Krise zu verstehen (vgl. Ansprache an die Dozenten der europäischen Universitäten, 23. Juni 2007) und neue Perspektiven auszumachen, die der Orientierung dienen können. Wird die Moderne richtig verstanden, so offenbart sie eine »anthropologische Frage«, die sich in viel komplexerer und vielschichtiger Art präsentiert, als dies in den philosophischen Reflexionen der letzten Jahrhunderte vor allem in Europa der Fall war. Ohne die unternommenen Versuche herabzumindern, bleibt noch viel, was untersucht und erfaßt werden muß. Die Moderne ist kein bloßes historisch bestimmtes kulturelles Phänomen; sie impliziert in Wirklichkeit einen neuen Entwurf, ein genaueres Verständnis vom Wesen des Menschen. Es ist nicht schwierig, in den Schriften angesehener zeitgenössischer Denker eine aufrichtige Reflexion zu den Schwierigkeiten zu finden, die ein Hindernis für die Lösung dieser langandauernden Krise sind. Die Öffnung, die einige Autoren gegenüber der Religion und insbesondere gegenüber dem Christentum vorschlagen, ist ein offensichtliches Zeichen für den ehrlichen Wunsch, die philosophische Reflexion aus der Selbstgenügsamkeit heraustreten zu lassen.

Seit Beginn meines Pontifikats habe ich die Anfragen, die an mich von den Männern und Frauen unserer Zeit gerichtet werden, aufmerksam gehört, und im Licht dieser Erwartungen wollte ich einen Vorschlag zur Forschung bieten, der, wie es mir scheint, für die erneuerte Stärkung der Philosophie und für ihre unersetzliche Rolle innerhalb der akademischen und kulturellen Welt Interesse wecken kann. Sie haben dies zum Gegenstand der Reflexion während Ihres Symposions gemacht: es handelt sich um den Vorschlag, »die Horizonte der Vernunft auszuweiten«. Das ermöglicht es mir, mit euch über diesen Vorschlag nachzudenken wie unter Freunden, die einen gemeinsamen Weg der Forschung aufnehmen wollen. Ich möchte von einer tiefen Überzeugung ausgehen, die ich mehrere Male zum Ausdruck gebracht habe: »Der christliche Glaube hat […] gegen die Götter der Religionen für den Gott der Philosophen, das heißt gegen den Mythos der Gewohnheit allein für die Wahrheit des Seins selbst optiert« (J. Ratzinger, Einführung in das Christentum, München 1968, 6. Aufl. 2005, S. 131). Diese Aussage, die den Weg des Christentums von seinen Anfängen an widerspiegelt, offenbart sich im historisch-kulturellen Kontext, innerhalb dessen wir leben, als in jeder Hinsicht aktuell. Denn nur ausgehend von dieser zugleich geschichtlichen und theologischen Prämisse ist es möglich, den neuen Erwartungen der philosophischen Reflexion zu begegnen. Die Gefahr, daß die Religion, auch die christliche, als subreptives Phänomen instrumentalisiert wird, ist auch heute sehr konkret.

Das Christentum ist jedoch, wie ich in der Enzyklika Spe salvi in Erinnerung gerufen habe, nicht nur eine informative, sondern eine performative Botschaft (vgl. Nr. 2). Das bedeutet, daß der christliche Glaube seit jeher nicht in einer abstrakten Welt der Ideen verschlossen werden kann, sondern in eine geschichtliche und konkrete Erfahrung eingesenkt werden muß, die den Menschen in der tiefsten Wahrheit seines Daseins erreicht. Diese Erfahrung, die durch die neuen kulturellen und ideologischen Situationen bedingt ist, ist der Ort, den die theologische Forschung abwägen muß und bezüglich dessen es dringlich ist, einen fruchtbaren Dialog mit der Philosophie aufzunehmen. Wenn das Verständnis des Christentums als wirkliche Umformung des Daseins des Menschen die philosophische Reflexion einerseits zu einer neuen Annäherung an die Religion drängt, so ermutigt es sie andererseits dazu, nicht das Vertrauen in die Erkenntnismöglichkeit der Wirklichkeit zu verlieren. Der Vorschlag der »Ausweitung der Horizonte der Vernunft« ist somit nicht einfach unter die neuen theologischen und philosophischen Denklinien zu zählen, sondern muß als die Forderung nach einer »neuen Öffnung« zur Wirklichkeit verstanden werden, zu der der Mensch in seiner Einheit und Ganzheit gerufen ist, indem die alten Vorurteile und Reduktionismen überwunden werden, um so auch den Weg hin zu einem wahren Verständnis der Moderne zu eröffnen. Dem Wunsch nach einer Fülle des Menschseins muß entsprochen werden: er erwartet angemessene Antworten. Der christliche Glaube ist dazu aufgerufen, sich dieser historischen Dringlichkeit anzunehmen und alle Menschen guten Willens in ein derartiges Unternehmen mit hineinzunehmen. Der heute geforderte neue Dialog zwischen Glaube und Vernunft kann nicht in der Begrifflichkeit und in den Weisen geschehen, in denen er in der Vergangenheit erfolgte. Wenn er nicht zu einer sterilen intellektuellen Übung verfallen will, muß er von der aktuellen konkreten Lage des Menschen ausgehen und über diese eine Reflexion anstellen, die deren ontologisch-metaphysische Wahrheit aufgreift.

Liebe Freunde, Sie haben einen sehr anspruchsvollen Weg vor sich. Vor allem ist es notwendig, hochrangige akademische Zentren zu fördern, in denen die Philosophie mit den anderen Disziplinen, insbesondere mit der Theologie, in einen Dialog eintreten kann und auf diese Weise neue kulturelle Synthesen begünstigt, die dazu geeignet sind, dem Weg der Gesellschaft Orientierung zu verleihen. Die europäische Dimension Ihrer Zusammenkunft in Rom – Sie stammen in der Tat aus 26 Ländern – kann eine sicher ergiebige Auseinandersetzung und einen fruchtbaren Austausch fördern. Ich vertraue darauf, daß die katholischen akademischen Institutionen zur Realisierung wahrer Kulturlaboratorien bereit sind. Ich möchte euch auch einladen, die Jugend zum Engagement in den philosophischen Studien zu ermutigen und insofern angemessene Initiativen zur universitären Orientierung zu unterstützen. Ich bin sicher, daß die jungen Generationen mit ihrer Begeisterung großherzig den Erwartungen der Kirche und der Gesellschaft zu entsprechen wissen.

In wenigen Tagen werde ich die Freude haben, das Paulus-Jahr zu eröffnen, in dessen Verlauf wir des Völkerapostels gedenken werden: Ich hoffe, daß diese einzigartige Initiative für Sie alle eine günstige Gelegenheit bildet, auf den Spuren dieses großen Apostels die geschichtliche Fruchtbarkeit des Evangeliums und seine außerordentlichen Möglichkeiten auch für die zeitgenössische Kultur neu zu entdecken. Mit diesem Wunsch erteile ich allen meinen Segen.

AN DIE GEMEINSCHAFT DER

PÄPSTLICHEN DIPLOMATENAKADEMIE Montag, 9. Juni 2008



Verehrter Mitbruder,
liebe Priester der Päpstlichen Diplomatenakademie!

Ich freue mich, euch zu empfangen und heiße euch alle herzlich willkommen. Zunächst begrüße ich euren Präsidenten, Erzbischof Beniamino Stella, und danke ihm für die ehrerbietigen Worte, die er im Namen aller an mich gerichtet hat. Ich begrüße seine Mitarbeiter, und besonders herzlich begrüße ich euch, liebe Alumnen. Unsere heutige Begegnung findet im Juni statt, einem Monat, in dem im christlichen Volk die Verehrung des Heiligsten Herzens Jesu besonders lebendig ist. Es ist der nie erlöschende Feuerherd, aus dem wir Liebe und Barmherzigkeit schöpfen, um sie allen Gliedern des Gottesvolkes zu bezeugen und unter ihnen zu verbreiten. Aus dieser Quelle müssen vor allem wir Priester schöpfen, damit wir im Rahmen der verschiedenen Dienste, die die Vorsehung uns anvertraut, den anderen die göttliche Liebe vermitteln können.

Jeder von euch, liebe Priester, möge immer mehr in der Erkenntnis dieser göttlichen Liebe wachsen: Nur so werdet ihr mit kompromißloser Treue die Sendung erfüllen können, auf die ihr euch in diesen Studienjahren vorbereitet. Der apostolische und diplomatische Dienst für den Heiligen Stuhl, den ihr dort versehen werdet, wohin man euch sendet, verlangt Fähigkeiten, die man nicht improvisieren kann: Nutzt daher diese Ausbildungszeit, um später in der Lage zu sein, jeder Situation auf angemessene Weise zu begegnen. Bei eurer täglichen Arbeit werdet ihr mit kirchlichen Realitäten in Berührung kommen, die ihr verstehen und unterstützen müßt; oft werdet ihr fern von eurer Heimat in Ländern leben, die ihr kennen- und liebenlernen werdet; ihr werdet die Welt der bilateralen und multilateralen Diplomatie betreten und müßt bereit sein, nicht nur eure diplomatische Erfahrung, sondern auch und vor allem euer priesterliches Zeugnis einzubringen. Das, was am meisten zählt – über die notwendige und pflichtgemäße juristische, theologische und diplomatische Ausbildung hinaus –, ist daher die Ausrichtung eures Lebens und eurer Arbeit auf eine treue Liebe zu Christus und zur Kirche, die in euch eine offene und einladende pastorale Aufmerksamkeit gegenüber allen hervorruft.

Um diese Aufgabe treu zu erfüllen, strebt schon jetzt danach, »im Glauben an den Sohn Gottes« zu leben (Ga 2,20). Bemüht euch also, Hirten nach dem Herzen Christi zu sein, die im täglichen vertrauten Gespräch mit ihm stehen. Die Einheit mit Jesus ist das Geheimnis des wahren Erfolgs jedes priesterlichen Dienstes. Welcher Arbeit auch immer ihr in der Kirche nachgehen werden – tragt stets Sorge dafür, wahre Freunde Jesu zu sein, treue Freunde, die ihm begegnet sind und die gelernt haben, ihn über alles zu lieben. Die Gemeinschaft mit ihm, dem göttlichen Meister unserer Seelen, wird euch auch in den kompliziertesten und schwierigsten Augenblicken innere Ruhe und Frieden gewähren.

Hineingezogen in den Strudel frenetischer Aktivität läuft die Menschheit oft Gefahr, den Sinn des Lebens zu verlieren, und gleichzeitig zieht eine gewisse Gegenwartskultur jeden absoluten Wert und selbst die Möglichkeit, das Wahre und das Gute zu erkennen, in Zweifel. Daher ist es notwendig, die Gegenwart Gottes zu bezeugen, eines Gottes, der den Menschen versteht und der zu seinem Herzen spricht. Eure Aufgabe wird es sein, durch eure Lebensweise mehr noch als durch eure Worte die frohe und trostreiche Botschaft des Evangeliums der Liebe zu verkünden – manchmal in einem Umfeld, das sehr weit entfernt ist von der christlichen Erfahrung. Seid daher jeden Tag fügsame Hörer des Wortes Gottes, lebt in diesem Wort und von diesem Wort, um es in eurem priesterlichen Wirken gegenwärtig zu machen. Verkündet die Wahrheit, die Christus ist. Das Gebet, die Betrachtung und das Hören auf Gottes Wort sollen für euch das tägliche Brot sein. Wenn in euch die Gemeinschaft mit Jesus wächst, wenn ihr von ihm und nicht nur für ihn lebt, dann werdet ihr in eurem Umfeld seine Liebe und seine Freude ausstrahlen.

Neben dem täglichen Hören des Wortes Gottes muß die Eucharistiefeier das Herz und der Mittelpunkt eures Tagesablaufes und eures ganzen Dienstes sein. Der Priester lebt wie jeder Getaufte von der eucharistischen Gemeinschaft mit dem Herrn. Man kann nicht täglich den Herrn empfangen, die furchteinflößenden und herrlichen Worte »das ist mein Leib, das ist mein Blut« sprechen, man kann nicht den Leib und das Blut des Herrn in die Hände nehmen, ohne sich von ihm ergreifen zu lassen, ohne sich von seiner Anziehungskraft erobern zu lassen, ohne sich von seiner grenzenlosen Liebe innerlich verwandeln zu lassen. Die Eucharistie möge für euch zur Schule des Lebens werden, in der das Opfer Christi am Kreuz euch die völlige Selbsthingabe an die Brüder lehrt. Der päpstliche Vertreter ist in seiner Mission dazu berufen, dieses Zeugnis der Annahme gegenüber dem Nächsten zu geben, als Frucht ständiger Vereinigung mit Christus.

Liebe Priester der Diplomatenakademie, ich danke euch noch einmal für euren Besuch, der es mir gestattet, die große Bedeutung der Rolle und Funktion der Apostolischen Nuntien hervorzuheben. Gleichzeitig gibt er mir Gelegenheit, allen zu danken, die in den Nuntiaturen und im diplomatischen Dienst des Heiligen Stuhls tätig sind. Einen besonderen Gruß und gute Wünsche richte ich an diejenigen unter euch, die jetzt die Akademie verlassen, um ihr erstes Amt zu übernehmen: Der Herr stehe euch bei und begleite euch mit seiner Gnade. Euch alle, liebe Brüder, vertraue ich dem Schutz der heiligen Muttergottes an, Vorbild und Trost aller, die nach der Heiligkeit streben und sich dem Reich Gottes widmen. Es wache über euch der Patron der Päpstlichen Diplomatenakademie, der heilige Abt Antonius, der hl. Petrus und der hl. Paulus, dessen Jubiläumsjahr aus Anlaß des 2000. Jahrestages seiner Geburt nunmehr unmittelbar bevorsteht. Es begleite euch stets auch mein Gebet und der Segen, den ich von Herzen einem jeden von euch, den Ordensschwestern, den Mitarbeitern der Akademie und allen euren Angehörigen erteile.
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