Benedikt XVI Predigten 155

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KONZERT ZU EHREN DES HEILIGEN VATERS

Audienzenhalle
Samstag, 27. Oktober 2007




Verehrte Herren Kardinäle,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
liebe Mitbrüder im bischöflichen und priesterlichen Dienst,
sehr geehrter Herr Prof. Gruber,
meine Damen und Herren!

Nach diesem bewegenden musikalischen Erlebnis möchte ich allen, die zu seiner Verwirklichung beigetragen haben, meinen herzlichen Dank aussprechen. An erster Stelle natürlich dem Symphonieorchester und dem Chor des Bayerischen Rundfunks mit den hervorragenden Solisten und ihrem großen Dirigenten Mariss Jansons. Die einfühlsame und mitreißende Interpretation von Beethovens 9. Symphonie – ein erneuter Beweis ihrer außerordentlichen Fähigkeiten – wird noch lange in mir nachklingen und als besonderes Geschenk in meiner Erinnerung bleiben. Danken möchte ich aber auch für die meisterhafte Wiedergabe des „Tu es Petrus“, das ja in Rom und für Sankt Peter geschaffen wurde und zu den großen Werken der Chor-Literatur zählt. Endlich danke ich Herrn Kardinal Friedrich Wetter und Herrn Prof. Thomas Gruber für die freundlichen und in die Tiefe gehenden Worte, mit denen sie das Geschenk dieses Konzertes gewissermaßen „überreicht“ haben.

Immer wieder versetzt mich die 9. Symphonie, dieses gewaltige Meisterwerk, das – wie Sie, lieber Herr Kardinal, bereits erwähnten – zum Weltkulturerbe gehört, in Staunen: Nach Jahren der Selbstisolierung und Zurückgezogenheit, in denen Beethoven mit inneren und äußeren Schwierigkeiten zu ringen hatte, die ihn in eine tiefe Lebensenttäuschung und Verbitterung stürzten und sein künstlerisches Schaffen zu ersticken drohten, überrascht im Jahr 1824 der inzwischen völlig taube Komponist das Publikum mit einer Komposition, welche die überkommene Form der Symphonie sprengt und sich im Zusammenwirken von Orchester, Chor und Solisten in ein außergewöhnliches Finale der Lebensbejahung und Freude steigert. Was war da geschehen?

Für aufmerksame Hörer läßt die Musik selbst etwas von dem erahnen, was diesem unerwarteten Ausbruch des Jubels zugrunde liegt. Die hier auskomponierte mitreißende Empfindung der Freude ist nicht leichtfertig und oberflächlich: sie ist mühselig errungen, mußte die innere Leere dessen überwinden, den die Gehörlosigkeit in die Vereinsamung getrieben hatte – die leeren Quinten zu Beginn des ersten Satzes und die immer wieder durchbrechenden finsteren Stimmungen sprechen davon.

Die lautlose Einsamkeit aber hatte Beethoven ein neues Hören gelehrt, das weit hinausging über die bloße Fähigkeit, beim Lesen oder Schreiben des Notentextes die Musik in der inneren Vorstellung klanglich zu erleben. Es kommt mir dabei ein geheimnisvolles Wort des Propheten Jesaja in den Sinn, als er von einem Sieg der Wahrheit und des Rechtes spricht und sagt: „An jenem Tag hören alle, die taub sind, sogar Worte, die nur geschrieben sind, und die Augen der Blinden sehen selbst im Dunkeln und Finstern“ (vgl. 29, 18-24). Das ist eine Anspielung auf ein Wahrnehmungsvermögen, das denen zuteil wird, die Gott mit der Gnade äußerer und innerer Befreiung beschenkt.

So brachten Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, als sie 1989 anläßlich des Mauerfalls in Ost- und West-Berlin unter Leonard Bernstein die eben gehörte Symphonie aufführten und den Text der „Ode an die Freude“ in „Freiheit, schöner Götterfunken“ umänderten, mehr als nur das Empfinden des historischen Momentes zum Ausdruck: Die wahre Freude wurzelt in der Freiheit, die letztlich nur Gott schenken kann. Er möchte uns – mitunter gerade auch in Zeiten innerer Leere und Vereinsamung – hellhörig machen für seine lautlose Gegenwart nicht nur „über’m Sternenzelt“, sondern auch in unserm Innersten. Dort glüht der Funke der göttlichen Liebe, die uns befreien kann zu dem, was wir eigentlich sind.

Mit einem herzlichen „Vergelt’s Gott“ erteile ich Ihnen allen meinen Segen.
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AN DIE TEILNEHMER DES 25. INTERNATIONALEN KONGRESSES

DER KATHOLISCHEN APOTHEKER Montag, 29. Oktober 2007



Herr Präsident,
liebe Freunde!

Es freut mich, Sie, die Mitglieder des Internationalen Kongresses der katholischen Apotheker, anläßlich Ihrer 25. Tagung zu empfangen, deren Thema lautet: »Die neuen Grenzen des pharmazeutischen Handelns«. Die derzeitige Entwicklung des Angebots an Medikamenten und der therapeutischen Möglichkeiten, die daraus erwachsen, führt dazu, daß die Apotheker über ihre immer umfassendere Rolle nachdenken, die sie ihrer Berufung entsprechend innehaben, besonders als Vermittler zwischen Arzt und Patienten. Sie sollen die Patienten lehren, von den Medikamenten in rechter Weise Gebrauch zu machen und sich vor allem der ethischen Folgen der Einnahme mancher Pharmaka bewußt zu sein. Auf diesem Gebiet ist es nicht möglich, die Gewissen zu betäuben, zum Beispiel in bezug auf die Auswirkungen der Moleküle, die darauf abzielen, die Einnistung eines Embryos zu verhindern oder das Leben einer Person zu verkürzen. Der Apotheker muß jeden zu größerer Menschlichkeit einladen, damit jedes Leben vom Augenblick seiner Empfängnis an bis zu seinem natürlichen Tod geschützt wird und die Pharmaka tatsächlich ihre therapeutische Funktion erfüllen. Anderseits darf keine Person bedenkenlos als Objekt benutzt werden, um therapeutische Experimente vorzunehmen; diese müssen gemäß den Protokollen unter Achtung der ethischen Grundregeln durchgeführt werden. Jede Behandlung, jedes Experiment muß ein eventuelles besseres Befinden der Person und nicht nur die Suche nach wissenschaftlichen Fortschritten zum Ziel haben. Das Streben nach dem Wohl der Menschheit darf nicht zum Nachteil des Wohls der Patienten erfolgen. Auf moralischem Gebiet ist Ihr Verband eingeladen, die Frage der Weigerung aus Gewissensgründen anzugehen, die ein Recht ist, das Ihrem Berufsstand zuerkannt werden muß, indem es Ihnen erlaubt, weder direkt noch indirekt an der Lieferung von Produkten mitzuwirken, die eindeutig unmoralischen Zwecken dienen, wie zum Beispiel der Abtreibung und der Euthanasie.

Es ist angebracht, daß sich die verschiedenen pharmazeutischen Strukturen wie Laboratorien und Krankenhäuser und alle unsere Zeitgenossen um Solidarität im therapeutischen Bereich bemühen, damit in jedem Land allen Bevölkerungsgruppen, insbesondere den ärmsten Schichten, der Zugang zu Behandlung und zu Medikamenten der Grundversorgung ermöglicht wird.

Mögen Sie als katholische Apotheker unter der Führung des Heiligen Geistes aus dem Glaubensleben und aus der Lehre der Kirche die Grundsätze schöpfen, die Sie auf Ihrem Berufsweg an der Seite der Kranken inspirieren sollen, denn diese bedürfen einer menschlichen und moralischen Stütze, um Mut zu fassen und den inneren Antrieb zu finden, der ihnen Tag für Tag helfen wird! Es liegt an Ihnen, den jungen Menschen, die sich in die verschiedenen pharmazeutischen Berufe eingliedern, zu helfen, damit sie über die immer heikleren ethischen Implikationen ihrer Tätigkeit und ihrer Entscheidungen nachdenken. Dazu ist es wichtig, daß alle Katholiken, die im Gesundheitswesen tätig sind, und die Menschen guten Willens tätig werden und sich zusammenschließen, um ihre Bildung nicht nur fachlich, sondern auch im Hinblick auf die Fragen der Bioethik zu vertiefen und um diese Weiterbildung allen anzubieten, die diesen Beruf ausüben. Der Mensch als Abbild Gottes muß immer im Mittelpunkt der Forschungen und der Entscheidungen in der Biomedizin stehen. Das natürliche Prinzip der Pflicht, den Kranken zu behandeln, ist grundlegend. Die biomedizinischen Wissenschaften sollen dem Menschen dienen; geschieht das nicht, dann werden sie unmenschlich und gefühllos. Jede wissenschaftliche Erkenntnis im Bereich der Gesundheit und jedes therapeutische Handeln sollen dem kranken Menschen in seiner Ganzheit dienen; deshalb soll er aktiv an der Therapie, die bei ihm unter Respektierung seiner Autonomie angewandt wird, teilhaben.

Indem ich Sie und die Kranken, die Sie behandeln, der Fürsprache Unserer Lieben Frau und dem hl. Albertus Magnus anvertraue, erteile ich Ihnen und allen Mitgliedern Ihres Verbandes und Ihren Familien den Apostolischen Segen.

                                                     November 2007

AN DIE TEILNEHMER AN DER VON DER FOKOLAR-BEWEGUNG VERANSTALTETEN INTERNATIONALEN BEGEGNUNG

"NEUE FAMILIEN" Clementina-Saal

Samstag, 3. November 2007



Liebe Brüder und Schwestern!

Herzlich willkommen und Danke für euren Besuch! Ihr kommt aus den fünf Kontinenten und gehört der Bewegung »Neue Familien« an, die vor 40 Jahren im Umfeld der Fokolar-Bewegung entstanden ist. Somit seid ihr ein Zweig dieser Bewegung und bildet heute ein Netzwerk, zu dem mehr als 800.000 Familien gehören, die in 182 Nationen tätig sind und sich alle dafür einsetzen, aus ihrem Haus ein »Heim« zu machen, das in die Welt das Zeugnis eines vom Evangelium geprägten Familienlebens ausstrahlt. Jedem von euch gilt mein herzlicher Gruß, in den ich auch all jene einschließe, die mit euch zusammen zu dieser unserer Begegnung gekommen sind. Besonders grüße ich eure Hauptverantwortlichen, die euer aller Empfindungen zum Ausdruck gebracht und mir den Stil eurer Arbeit sowie die Ziele eurer Bewegung erläutert haben. Ich danke für die Grüße, die mir von Seiten Chiara Lubichs überbracht worden sind, der ich von Herzen meine guten Wünsche sende und der ich dafür danke, daß sie weiterhin mit Weisheit und in tiefer Treue zur Kirche die große Familie der Fokolar-Bewegung leitet.

Wie eben gesagt wurde, stellt ihr, liebe Familien und Eheleute, euch im Rahmen dieser großen und wohlverdienten Einrichtung in den Dienst an der Welt der Familien mit einer wichtigen und immer aktuellen pastoralen Tätigkeit, die sich an vier Leitworten orientiert: Spiritualität, Erziehung, soziales Bewußtsein und Solidarität. Ihr setzt euch in der Tat still und tiefgreifend für eine Evangelisierung ein, deren Ziel es ist, Zeugnis dafür abzulegen, daß nur die Einheit – ein Geschenk Gottes, der die Liebe ist – die Familie zu einem echten Hort der Liebe machen kann, ein Haus, in dem das Leben angenommen wird, und eine Schule der Tugenden und christlichen Werte für die Kinder. Angesichts der zahlreichen gesellschaftlichen und ökonomischen, der kulturellen und religiösen Herausforderungen, denen sich die zeitgenössische Gesellschaft in allen Teilen der Welt stellen muß, ist euer wirklich von der Vorsehung gewolltes Wirken ein Zeichen der Hoffnung und eine Ermutigung für die christlichen Familien, privilegierter »Raum« zu sein, in dem im täglichen Leben und auch unter vielen Schwierigkeiten die Schönheit verkündet wird, Christus in den Mittelpunkt zu stellen und seinem Evangelium treu zu folgen. Das Evangelium leben!

Das Thema eurer Begegnung: »Ein Haus, auf Felsen gebaut – Das gelebte Evangelium als Antwort auf die Probleme der Familie von heute« unterstreicht die Bedeutung dieses asketischen und pastoralen Weges. Das Geheimnis ist gerade dies: das Evangelium leben! Zu Recht habt ihr daher bei den Arbeiten der Versammlungen in den vergangenen Tagen nicht nur Beiträge vorgesehen, die die Situation darstellen, in der sich die Familie heute in den verschiedenen kulturellen Kontexten befindet, sondern darüber hinaus war vorgesehen, das Wort Gottes zu vertiefen und Zeugnisse zu hören, die zeigen, wie der Heilige Geist auch in komplexen und schwierigen Situationen in den Herzen und im Leben der Familie wirkt. Man denke an die Ungewißheiten der Verlobten in bezug auf definitive Entscheidungen für die Zukunft, an die Krise der Ehepaare, an Trennungen und Scheidungen, wie auch an die irregulären Verbindungen, an die Lebensbedingungen der Witwen, an die Familien in Schwierigkeiten, an die Aufnahme von Minderjährigen, die im Stich gelassen worden sind. Ich wünsche von Herzen, daß auch dank eures Einsatzes pastorale Strategien gefunden werden können, die darauf ausgerichtet sind, den wachsenden Nöten der zeitgenössischen Familie und den zahlreichen Herausforderungen, denen sie gegenübersteht, entgegenzukommen, damit ihre besondere Sendung in Kirche und Gesellschaft nicht fehlt.

In diesem Zusammenhang bemerkte mein verehrter und geschätzter Vorgänger Johannes Paul II. im nachsynodalen Apostolischen Schreiben Christifideles laici: »Ehepaar und Familie sind der primäre Ort des sozialen Engagements der Laien« (Nr. 40). Um diese ihre Berufung zu erfüllen, darf die Familie, im Bewußtsein, daß sie die Grundzelle der Gesellschaft ist, nicht vergessen, daß sie Kraft schöpfen kann aus der Gnade eines Sakramentes, das von Christus gewollt ist, um die Liebe zwischen Mann und Frau zu stärken: eine Liebe, die verstanden wird als tiefe und gegenseitige Selbsthingabe. In diesem Zusammenhang sagte Johannes Paul II. auch: »Deshalb empfängt die Familie die Sendung, die Liebe zu hüten, zu offenbaren und mitzuteilen als lebendigen Widerschein und wirkliche Teilhabe an der Liebe Gottes zu den Menschen und an der Liebe Christi, unseres Herrn, zu seiner Braut, der Kirche« (Familiaris consortio FC 17). Nach dem göttlichen Plan ist also die Familie ein heiliger und heiligender Ort, und die Kirche, die ihr seit jeher nahesteht, unterstützt sie heute noch mehr in ihrer Sendung, weil sie von innen und außen so sehr bedroht wird. Um der Entmutigung nicht nachzugeben, bedarf es der göttlichen Hilfe; deshalb ist es notwendig, daß jede christliche Familie vertrauensvoll auf die Heilige Familie blickt, diese ursprüngliche »Hauskirche«, in der »durch den geheimnisvollen Ratschluß Gottes … für viele Jahre der Sohn Gottes verborgen gelebt [hat]. Sie ist deshalb Urbild und Beispiel für alle christlichen Familien« (ebd., 86).

Liebe Brüder und Schwestern, die demütige und heilige Familie von Nazaret, Ikone und Vorbild jeder menschlichen Familie, wird euch ihren himmlischen Beistand nicht fehlen lassen. Aber euer beständiger Rückgriff auf das Gebet, das Hören des Wortes Gottes und ein tiefes Leben aus den Sakramenten ist unerläßlich, ebenso wie das unablässige Bemühen, Christi Gebot der Liebe und der Vergebung zu leben. Die Liebe sucht nicht den eigenen Vorteil, sie trägt das erlittene Böse nicht nach, sondern freut sich an der Wahrheit. Die Liebe »erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand« (vgl. 1 Kor 13,5–7). Liebe Brüder und Schwestern, geht euren Weg weiter und seid Zeugen dieser Liebe, die euch immer mehr zum »Herzen« und »Sauerteig« der gesamten Bewegung »Neue Familien« machen wird. Ich versichere euch meines Gebetsgedenkens für jeden von euch, für eure Aktivitäten und für alle, denen ihr in eurem Apostolat begegnet. Voll Zuneigung erteile ich nun allen den Apostolischen Segen.



AN EINE DELEGATION DES KATHOLISCHEN STUDENTENVERBANDES ITALIENS (FUCI) Clementina-Saal

Freitag, 9. November 2007

Liebe junge Freunde des Katholischen Studentenverbandes Italiens!


Dieser euer Besuch zum Abschluß der Feiern anläßlich des 110. Gründungsjubiläums eurer Vereinigung, der »Federazione Universitaria Cattolica Italiana« (FUCI), ist mir besonders willkommen. Ich begrüße jeden von euch herzlich, angefangen bei den nationalen Präsidenten und dem kirchlichen Zentralassistenten, und danke ihnen für die Worte, die sie in eurem Namen an mich gerichtet haben. Ich begrüße Bischof Giuseppe Betori, Generalsekretär der Italienischen Bischofskonferenz, und Domenico Sigalini, Bischof von Palestrina und kirchlicher Generalassistent der Katholischen Aktion Italiens, die euch zu dieser Audienz begleitet haben und mit ihrer Anwesenheit die starke Verwurzelung der FUCI in der italienischen Kirche bezeugen. Ich begrüße die Assistenten aus den Diözesen und die Mitglieder der FUCI-Stiftung. Allen und jedem einzelnen spreche ich erneut die Wertschätzung der Kirche für die Arbeit aus, die eure Vereinigung im Dienst des Evangeliums in der Welt der Universitäten leistet.

Die FUCI feiert ihr 110-jähriges Bestehen: eine günstige Gelegenheit, um auf den zurückgelegten Weg und auf die Perspektiven für die Zukunft zu schauen. Das historische Gedächtnis zu bewahren stellt einen kostbaren Wert dar, weil wir uns durch das Nachdenken über die Gültigkeit und Beständigkeit der eigenen Wurzeln leichter dazu anspornen lassen, den eingeschlagenen Weg mit Enthusiasmus fortzusetzen. Bei diesem erfreulichen Anlaß greife ich gern die Worte auf, die vor nunmehr zehn Jahren mein verehrter und geliebter Vorgänger Johannes Paul II. anläßlich eures 100-jährigen Jubiläums an euch gerichtet hat: »Die Geschichte dieser hundert Jahre« – sagte er – »bestätigt, daß die Entwicklung der FUCI ein bedeutsames Kapitel im Leben der italienischen Kirche darstellt, besonders in jener großen und vielgestaltigen Laienbewegung, die in der Katholischen Aktion ihre tragende Achse hatte« (Insegnamenti di Giovanni Paolo II, XIX,1 [1996], S. 1110).

Sollte man etwa nicht anerkennen, daß die FUCI zur Bildung ganzer Generationen vorbildlicher Christen beigetragen hat, die das Evangelium in das Leben und mit dem Leben umzusetzen wußten, indem sie sich auf kultureller, gesellschaftlicher, sozialer und kirchlicher Ebene engagierten? Ich denke an erster Stelle an eure Altersgenossen, die seligen Piergiorgio Frassati und Alberto Marvelli; ich denke an bekannte Persönlichkeiten wie Aldo Moro und Vittorio Bachelet, die beide barbarisch ermordet wurden; nicht zu vergessen ist mein verehrter Vorgänger Paul VI., der in den schweren Jahren des Faschismus ein aufmerksamer und mutiger kirchlicher Zentralassistent der FUCI war, und ferner Msgr. Emilio Guano und Msgr. Franco Costa. Die letzten zehn Jahre waren darüber hinaus von dem entschiedenen Bemühen der FUCI geprägt, ihre universitätsbezogene Dimension wiederzuentdecken. Nach vielen Debatten und aufgeheizten Diskussionen ist es Mitte der Neunzigerjahre in Italien zu einer radikalen Reform des Hochschulsystems gekommen, das sich jetzt in neuer Gestalt mit vielversprechenden Perspektiven präsentiert, zugleich aber Elemente aufweist, die eine berechtigte Sorge wecken. Und ihr habt euch sowohl bei den letzten Kongressen wie in der Zeitschrift »Ricerca« ständig um die Neugestaltung des Universitätsstudiums, um die diesbezüglichen gesetzlichen Änderungen, um das Thema der Beteiligung der Studenten gekümmert und euch damit befaßt, wie die globale Dynamik der Kommunikation die Ausbildung und die Weitergabe des Wissens beeinflußt.

Gerade in diesem Bereich kann die FUCI auch heute ihr altes und immer aktuelles Charisma voll zum Ausdruck bringen: das heißt, das überzeugte Zeugnis der »möglichen Freundschaft« zwischen Vernunft und Glaube, das das ständige Bemühen einschließt, das Reifen im Glauben mit dem Wachstum im Studium und dem Erwerb des wissenschaftlichen Wissens zu verbinden. Bedeutsamen Wert erhält in diesem Zusammenhang das Wort, das euch so teuer ist: »Beim Studieren glauben«. In der Tat: Warum meint man, daß der Glaubende auf die freie Erforschung der Wahrheit verzichten müsse, und wer frei nach der Wahrheit sucht, auf den Glauben verzichten müsse? Es ist hingegen möglich, gerade während des Universitätsstudiums und dank diesem zu einer echten menschlichen, wissenschaftlichen und geistlichen Reifung zu gelangen. »Beim Studieren glauben « will heißen: erkennen, daß Studium und Forschung – besonders während der Jahre an der Universität – eine ihnen wesenseigene Kraft zur Erweiterung der Horizonte des menschlichen Verstandes besitzen, vorausgesetzt, das akademische Studium bewahrt ein anspruchsvolles, strenges, ernsthaftes, methodisches und fortschrittliches Profil. Ja, unter diesen Voraussetzungen stellt es einen Vorteil für die umfassende Formung der menschlichen Person dar, wie der sel. Giuseppe Tovini zu sagen pflegte, wenn er feststellte, daß die jungen Menschen durch das Studium niemals arm geworden wären, während sie ohne Studium niemals reich geworden wären.

Das Studium stellt zugleich eine von der Vorsehung bestimmte Gelegenheit dar, auf dem Weg des Glaubens voranzuschreiten, da sich durch den rechten Gebrauch der Vernunft das Herz des Menschen für das Hören der Stimme Gottes öffnet und dabei die Bedeutung der Unterscheidungsgabe und der Demut herausstellt. Gerade auf den Wert der Demut habe ich kürzlich in Loreto hingewiesen, als ich die italienischen Jugendlichen aufforderte, nicht dem Weg des Stolzes zu folgen, sondern dem eines realistischen, für die transzendente Dimension offenen Lebenssinnes. Heute wie in der Vergangenheit ist derjenige, der Jünger Christi sein will, aufgerufen, gegen den Strom zu schwimmen, sich nicht von eigennützigen und schmeichelnden Rufen verlocken zu lassen, die von verschiedenen Kanzeln stammen, wo Verhaltensweisen angepriesen werden, die von Arroganz und Gewalt, von Überheblichkeit und Erfolgsstreben um jeden Preis durchdrungen sind. In der modernen Gesellschaft ist leider ein manchmal zügelloser Wettlauf um äußeres Erscheinen und Haben zum Schaden des Seins festzustellen, und die Kirche – Lehrmeisterin in Menschlichkeit – wird es nicht müde, insbesondere die jungen Generationen, denen ihr angehört, zu ermahnen, wachsam zu bleiben und keine Angst davor zu haben, sich für »alternative« Wege zu entscheiden, die nur Christus weisen kann.

Ja, liebe Freunde, Jesus ruft alle seine Freunde dazu auf, ihrem Dasein eine einfache und solidarische Lebensweise zu geben, aufrichtige und selbstlose Gefühlsbeziehungen zu den anderen anzuknüpfen. Von euch, liebe junge Studenten, wird verlangt, euch beim Studium in ehrlicher Weise zu engagieren, indem ihr ein reifes Verantwortungsbewußtsein und ein gemeinsames Interesse für das Gemeinwohl pflegt. Mögen daher die Universitätsjahre ein Übungsplatz des überzeugten und mutigen Zeugnisses für das Evangelium sein. Um diese eure Sendung erfüllen zu können, versucht eine innige Freundschaft mit dem göttlichen Meister aufzubauen, indem ihr euch in die Schule Mariens, Sitz der Weisheit, begebt! Ihrer mütterlichen Fürsprache vertraue ich euch an, und während ich euch meines Gebetsgedenkens versichere, erteile ich allen von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen, den ich gern auf eure Familien und alle Menschen, die euch lieb sind, ausweite.
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AN DIE MITGLIEDER DER PORTUGIESISCHEN BISCHOFSKONFERENZ ANLÄSSLICH

IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES Samstag, 10. November 2007

Herr Kardinalpatriarch,

liebe portugiesische Bischöfe!

Mit großer Freude empfange ich euch heute im Haus des Petrus, mit der Kraft Gottes, die der feste Pfeiler jener Brücke ist, die ihr berufen seid zu sein und die ihr zwischen der Menschheit und ihrer höchsten Bestimmung, der heiligsten Dreifaltigkeit, bauen sollt. Acht Jahre nach eurem letzten »Ad limina«-Besuch findet ihr das Antlitz Petri verändert vor, nicht aber das Herz und auch nicht die Arme, die euch umfangen und euch in der Kraft Gottes stärken, der uns stützt und uns zu Brüdern in Christus, dem Herrn, macht. »Gnade sei mit euch und Friede in Fülle« (1P 1,2). Mit diesen Willkommensworten grüße ich alle und danke dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Erzbischof Jorge Ortiga, für den Bericht, den er über Leben und Situation eurer Diözesen vorgestellt hat, und für die ergebenen Empfindungen, die er mir im Namen aller zum Ausdruck gebracht hat. Ich erwidere sie mit aufrichtiger Zuneigung und versichere euch meines Gebetes für euch und für alle, die eurer Hirtensorge anvertraut sind.

Liebe Bischöfe von Portugal, ihr habt die Heilige Pforte des Großen Jubiläums 2000 durchschritten und die Diözesanwallfahrten angeführt. Dabei habt ihr die Gläubigen eingeladen, in Christus als die Wohnstätte ihrer innigsten und aufrichtigsten Wünsche – das heißt als Haus Gottes – einzutreten und zu verweilen; zugleich habt ihr sie aufgefordert, abzuwägen, inwieweit sich diese Wünsche erfüllt haben, das heißt, wie weit das Wort Gottes im Leben und Sein des einzelnen Fleisch angenommen hat, nach dem Beispiel des Apostels Paulus, der gesagt hat: »Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir« (Ga 2,20). Konkretes Zeichen dieser Fleischwerdung ist, das Leben Christi, das in mich eindringt, an die anderen weiterzugeben. »Ich kann Christus nicht allein für mich haben, ich kann ihm zugehören nur in der Gemeinschaft mit allen, die die Seinigen geworden sind oder werden sollen … Wir werden ›ein Leib‹, eine ineinander verschmolzene Existenz« (Deus caritas Est 14). Dieser »Leib« Christi, der die Menschheit aller Zeiten und Orte umfaßt, ist die Kirche. Der hl. Ambrosius sah ihre vorweggenommene Gestalt in dem »heiligen Boden «, den Gott dem Mose gezeigt hat: »Leg deine Schuhe ab, denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden« (Ex 3,5); und dort wurde ihm dann befohlen: »… stell dich hierher zu mir!« (Dt 5,31). Diesen Befehl überträgt der heilige Bischof von Mailand für seine Gläubigen in folgende Worte: »Du bleibst mit mir (mit Gott), wenn du in der Kirche bleibst (…) Bleib deshalb in der Kirche, bleib dort, wo ich dir erschienen bin: dort bin ich mit dir. Wo die Kirche ist, dort findest du den festesten Stützpunkt für deinen Geist; dort, wo ich im brennenden Dornbusch erschienen bin, ist der Grund deiner Seele. Denn ich bin dir in der Kirche erschienen, wie in der Vergangenheit im brennenden Dornbusch. Du bist der Dornbusch, ich bin das Feuer; Feuer im Dornbusch bin ich in deinem Fleisch. Dafür bin ich das Feuer: um dich zu erleuchten, um deine Dornen, deine Sünden zu tilgen und dir mein Wohlwollen zu zeigen (Epistulae extra collectionem: Ep. 14;41–42). Diese Worte bringen gut die Lebensweise und die Aufforderung zum Ausdruck, die Gott den Pilgern des Großen Jubiläums hinterlassen hat.

In diesem Augenblick möchte ich zusammen mit euch Christus, dem Herrn, für die große Barmherzigkeit danken, die er seiner in Portugal pilgernden Kirche in den Tagen des Heiligen Jahres und in den nachfolgenden Jahren erwiesen hat. Sie waren vom Geist des Jubiläums durchdrungen, der euch ohne Angst die Grenzen und Mängel gezeigt hat, die euch brotlos gemacht haben, so daß ihr den Weg zum Vaterhaus eingeschlagen habt, wo es Brot in Fülle gibt. In der Tat spürt man die gleiche Atmosphäre wie die des Jubiläums in vielen Initiativen, die ihr in diesen Jahren unternommen habt: die Zählung der Besucher der Sonntagsmesse, die Wiederaufnahme des synodalen Weges, die Durchführung der »statio eucharistica« oder der Volksmission in einigen Diözesen, entsprechend den alten und neuen Bedingungen, die landesweite Begegnung von kirchlichen Bewegungen und neuen Gemeinschaften sowie die Veranstaltung des Familienkongresses; der seitens der Kirche und des Staates in einem neuen Konkordat zum Ausdruck gebrachte Wille, dem Menschen zu dienen; die Zustimmung zur vorbildlichen Heiligkeit in der Person der neuen Seligen … Während dieses langen Pilgerweges beklagten die Christen oft die fehlende Teilhabe am Gemeinschaftsleben und nahmen sich vor, neue Formen der Integration in die Gemeinschaften zu finden. Das Losungswort lautete und lautet noch: Wege der Gemeinschaft bauen. Es ist notwendig, die Organisation der portugiesischen kirchlichen Gemeinschaft und die Mentalität ihrer Glieder zu verändern, damit eine dem II. Vatikanischen Konzil entsprechende Kirche entsteht, in der die Rolle des Klerus und der Laien genau bestimmt ist. Dabei ist die Tatsache zu berücksichtigen, daß wir seit unserer Taufe und unserer Eingliederung in die Familie der Kinder Gottes alle eins sind und zugleich mitverantwortlich für das Wachstum der Kirche.

Diese vom Konzil eröffnete Ekklesiologie der Gemeinschaft, von der die portugiesische Kirche sich in der Folge des Großen Jubiläums besonders herausgefordert fühlt, ist – meine lieben Mitbrüder – der sichere Weg, den wir gehen müssen. Wir dürfen aber gegebenenfalls Hindernisse wie eine Verflachung des Ursprungs, die Demokratisierung in der Zuteilung der sakramentalen Ämter, die Gleichstellung zwischen geweihtem Amt und den entstandenen Diensten, die Debatte darüber, welches der Mitglieder der Gemeinschaft das Erste sei, nicht aus den Augen verlieren (eine nutzlose Debatte, insofern der Herr Jesus schon entschieden hat, daß der Letzte der Erste sein wird). Damit will ich nicht sagen, daß man über die richtige Ordnung in der Kirche und über die Zuteilung der Kompetenzen nicht diskutieren darf. Es wird immer Ungleichheiten geben, die eine Korrektur erfordern. Solche Fragen dürfen uns aber nicht von der wahren Sendung der Kirche abbringen. Diese darf nicht in erster Linie von sich selbst sprechen, sondern muß von Gott sprechen. Die wesentlichen Elemente des christlichen Begriffs von »Gemeinschaft« finden wir im Text des ersten Johannesbriefes: »Was wir gesehen und gehört haben, das verkünden wir auch euch, damit auch ihr Gemeinschaft mit uns habt« (1,3). Hier wird der Ursprung von Gemeinschaft deutlich: die Vereinigung Gottes mit dem Menschen, die Christus in Person ist; die Begegnung mit Christus schafft die Gemeinschaft mit ihm und, in ihm, mit dem Vater im Heiligen Geist. So sehen wir – wie ich in meiner ersten Enzyklika geschrieben habe –, daß »am Anfang des Christseins nicht ein ethischer Entschluß oder eine große Idee steht, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt« (Deus caritas Est 1). Die Evangelisierung der Menschen und der menschlichen Gemeinschaften hängt im Grund davon ab, ob diese Begegnung mit Jesus Christus gegeben ist oder nicht.

Wir wissen, daß die erste Begegnung auf vielfältige Weise geschehen kann, wie es zahlreiche Biographien von Heiligen bestätigen (sie vorzustellen gehört zur Evangelisierung, die immer von Vorbildern im Denken und in der Lebensführung begleitet sein muß), aber die christliche Initiation des Menschen geschieht normalerweise über die Kirche: Der göttliche Heilsplan erfordert die Kirche. Angesichts der wachsenden Anzahl von nichtpraktizierenden Christen in euren Diözesen ist es vielleicht der Mühe wert, »die Wirksamkeit der aktuellen Initiationswege zu überprüfen, damit den bzw. dem Gläubigen durch die erzieherische Tätigkeit unserer Gemeinden geholfen werde, in einem fortschreitenden Reifungsprozeß zu einer authentisch eucharistischen Lebenseinstellung zu gelangen, um so fähig zu sein, in einer unserer Zeit angemessenen Weise jedem Rede und Antwort zu stehen« (Nachsynodales Apostolisches Schreiben Sacramentum caritatis, 18).

Liebe Bischöfe von Portugal, vor vier Wochen seid ihr im Heiligtum von Fatima mit dem Kardinalstaatssekretär zusammengetroffen, den ich als meinen Sonderdelegaten zum Abschluß der Feierlichkeiten anläßlich der Erscheinungen Unserer Lieben Frau vor neunzig Jahren entsandt habe. Ich denke gern an Fatima als Schule des Glaubens mit der Jungfrau Maria als Lehrerin. Dort hat sie ihren Lehrstuhl errichtet, um die kleinen Seher und dann die Volksscharen die ewigen Wahrheiten und die Kunst des Betens, des Glaubens und der Liebe zu lehren. In der demütigen Haltung von Schülern, die die Lektion lernen müssen, sollt ihr der so herausragenden Lehrerin und Mutter des ganzen Christus jeden von euch anvertrauen, ebenso eure Priester, die direkten Mitarbeiter bei der Leitung der Herde, die Ordensmänner und Ordensfrauen, die den Himmel auf Erden vorwegnehmen, und die gläubigen Laien, die die Erde nach dem Bild des Himmels formen. Indem ich für alle auf die Fürsprache Unserer Lieben Frau von Fatima das Licht und die Kraft des Heiligen Geistes erbitte, erteile ich euch meinen Apostolischen Segen.



AN DIE BRUDERSCHAFTEN DER ITALIENISCHEN DIÖZESEN Petersplatz

Samstag, 10. November 2007




Liebe Brüder und Schwestern!

Ich freue mich, euch zu empfangen, und begrüße euch alle, die ihr die weite und vielgestaltige Welt der Bruderschaften vertretet, die in jeder Region und Diözese Italiens präsent sind. Ich begrüße die Bischöfe, die euch begleiten, insbesondere Msgr. Armando Brambilla, Weihbischof in Rom und Delegat der Italienischen Bischofskonferenz für die Bruderschaften und Sodalitäten, und danke ihm für die Worte, die er in eurem Namen an mich gerichtet hat. Ich begrüße Dr. Francesco Antonetti, Präsident des Verbandes, dem die italienischen Bruderschaften wie auch die Mitglieder der Leitungsräte und eure kirchlichen Assistenten angehören. Ihr, liebe Freunde, seid in euren charakteristischen Gewändern, die an alte, fest im Volk Gottes verwurzelte Traditionen erinnern, auf dem Petersplatz zusammengekommen. Danke für euren Besuch, der eine vielstimmige Glaubensbekundung sein will und zugleich eine Geste, die eure treue Verbundenheit mit dem Nachfolger Petri zum Ausdruck bringt.

Muß man da nicht sogleich an die Bedeutung und den Einfluß erinnern, den die Bruderschaften in den christlichen Gemeinschaften Italiens seit den ersten Jahrhunderten des vergangenen Jahrtausends ausgeübt haben? Viele von ihnen, die von seeleneifrigen Menschen ins Leben gerufen wurden, sind rasch zu Zusammenschlüssen gläubiger Laien geworden, denen es darum ging, einige Merkmale der Volksfrömmigkeit, die an das Leben Jesu Christi, besonders an sein Leiden, seinen Tod und seine Auferstehung, und an die Verehrung der Jungfrau Maria und der Heiligen gebunden sind, ins Licht zu rücken und fast immer mit konkreten Werken der Barmherzigkeit und Solidarität zu verbinden. So haben sich eure Bruderschaften von Anfang an durch ihre typischen Formen der Volksfrömmigkeit ausgezeichnet, zu denen viele karitative Initiativen für die Armen, Kranken und Leidenden hinzukamen; in dieses Wetteifern großzügiger Hilfe für die Bedürftigen wurden zahlreiche Freiwillige aus allen Gesellschaftsschichten eingebunden. Man versteht diesen Geist brüderlicher Liebe besser, wenn man bedenkt, daß der Beginn ihrer Entstehung ins Mittelalter fällt, als es noch keine fest strukturierten Formen öffentlicher Hilfe gab, die soziale und gesundheitsfürsorgliche Maßnahmen für die schwächsten Gruppen der Gemeinschaft gewährleistet hätten. Diese Situation dauerte in den folgenden Jahrhunderten an, ja wir könnten sagen, bis in unsere Tage hinein, wo trotz des gestiegenen wirtschaftlichen Wohlstands die Mißstände der Armut dennoch nicht verschwunden sind und daher auf dem Gebiet der Solidarität heute, wie in der Vergangenheit, noch viel zu tun bleibt.

Die Bruderschaften sind jedoch nicht einfache Gesellschaften für gegenseitige Hilfe oder philanthropische Vereinigungen, sondern ein Miteinander von Brüdern, die, weil sie in dem Bewußtsein, lebendiger Teil der Kirche zu sein, das Evangelium leben wollen, sich vornehmen, das Gebot der Nächstenliebe in die Tat umzusetzen, das dazu drängt, das Herz für die anderen, besonders die Bedrängten und Notleidenden, zu öffnen. Die Liebe des Evangeliums – Liebe zu Gott und zu den Brüdern – ist das Unterscheidungsmerkmal und das Lebensprogramm jedes Jüngers Christi und jeder kirchlichen Gemeinschaft. In der Heiligen Schrift wird ganz klar, daß die Gottesliebe eng mit der Liebe zum Nächsten verbunden ist (vgl. Mk 12,29–31). »Der Liebesdienst« – schrieb ich in der Enzyklika Deus caritas est – »ist für die Kirche nicht eine Art Wohlfahrtsaktivität, die man auch anderen überlassen könnte, sondern er gehört zu ihrem Wesen, ist unverzichtbarer Wesensausdruck ihrer selbst« (Nr. 25). Um den Brüdern die fürsorgliche Liebe des himmlischen Vaters zu vermitteln, ist es jedoch notwendig, aus der Quelle zu schöpfen, die Gott selbst ist – durch ausgedehnte Gebetszeiten, durch das ständige Hören seines Wortes und ein Leben, das seinen Mittelpunkt ganz im Herrn hat und von den Sakramenten, besonders der Eucharistie, gespeist wird.

In einer Zeit großer Veränderungen, die wir gerade durchleben, braucht die Kirche in Italien auch euch, liebe Freunde, um die Verkündigung des Evangeliums der Liebe auf alten und neuen Wegen zu allen gelangen zu lassen. Mögen eure verdienstvollen Bruderschaften, im festen Fundament des Glaubens an Christus verwurzelt, mit der einzigartigen Vielfalt von Charismen und der kirchlichen Lebenskraft, die sie auszeichnet, durch ihren Einsatz an den vielen Fronten der Neuevangelisierung weiterhin die Botschaft vom Heil unter dem Volk verbreiten! Ihr werdet diese eure wichtige Sendung erfüllen können, wenn ihr immer eine tiefe Liebe zum Herrn und einen fügsamen Gehorsam gegenüber euren Bischöfen pflegt. Unter diesen Voraussetzungen werden eure Bruderschaften, wenn sie an den bewährten Eigenschaften der »Evangelizität« und der »Kirchlichkeit« festhalten, weiterhin volksnahe Schulen gelebten Glaubens und Schmieden der Heiligkeit sein; sie werden auch in Zukunft in der Gesellschaft evangeliumsgemäßer »Sauerteig« sein und zur Auslösung jenes geistlichen Wiedererwachens beitragen, das wir uns alle wünschen.

Es ist also ein weites Feld, auf dem ihr, liebe Freunde, arbeiten müßt, und ich ermutige euch dazu, die Initiativen und Aktivitäten jeder eurer Bruderschaften zu vermehren. Ich bitte euch vor allem darum, eure geistliche Bildung zu pflegen und nach der Heiligkeit zu streben, indem ihr den Vorbildern echter christlicher Frömmigkeit folgt, an denen es in der Geschichte eurer Bruderschaften nicht fehlt. Nicht wenige eurer Mitbrüder haben sich im Laufe der Jahrhunderte durch Mut und starken Glauben, manchmal bis zum Opfer des Lebens, als ehrliche und hochherzige Arbeiter des Evangeliums ausgezeichnet. Folgt ihren Spuren! Heute ist es noch nötiger, einen echten asketischen und missionarischen Elan zu pflegen, um sich den vielen Herausforderungen der modernen Zeit zu stellen. Es beschütze und leite euch die Heilige Jungfrau, und eure Schutzheiligen mögen euch vom Himmel her beistehen! Mit diesen Gefühlen spreche ich für euch, die ihr hier anwesend seid, und für jede Bruderschaft in Italien den Wunsch für ein fruchtbares Apostolat aus und, während ich euch meines Gebetsgedenkens versichere, segne ich alle von Herzen.



AN HERRN SUPRAPTO MARTOSEMOTO,

NEUER BOTSCHAFTER DER REPUBLIK INDONESIEN

BEIM HL. STUHL Montag, 12. November 2007

Herr Botschafter!


Mit Freude begrüße ich Sie im Vatikan zur Überreichung des Beglaubigungsschreibens, mit dem Sie als außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter der Republik Indonesien beim Heiligen Stuhl akkreditiert werden. Ich danke Ihnen sehr herzlich für die Grüße, die Sie mir von seiten der Regierung Indonesiens und des indonesischen Volkes überbracht haben, und bitte Sie höflichst, Präsident Susilo Bambang Yudhoyono meine Grüße und die Versicherung meines Gebetes für den Frieden und das Wohlergehen der Nation und ihrer Bürger zu übermitteln.

Exzellenz, Sie haben von der Verpflichtung Indonesiens gesprochen, eine Politik zu verfolgen, die darauf abzielt, die edlen Ziele der Demokratie und der sozialen Eintracht zu fördern, die in der Verfassung enthalten sind und in der nationalen Philosophie der Pancasila einen beredten Ausdruck finden. Diese Entschlossenheit – die Opfer verlangt sowie entschiedene Bemühungen, das Gemeinwohl zu erkennen und zu fördern, sowie die Zusammenarbeit aller politischen und sozialen Gruppen – ist unverzichtbar, um die Kräfte der Frontenbildung und des Konflikts zu überwinden, die Erneuerung des wirtschaftlichen Lebens voranzubringen und eine gerechte demokratische Ordnung zu konsolidieren, unter voller Achtung der Rechte jedes Individuums und jeder Gemeinschaft.

Eine der größten Bedrohungen für Indonesiens angestrebtes Ideal der nationalen Einheit ist zur Zeit sicherlich das Phänomen des internationalen Terrorismus. Ich weiß es zutiefst zu schätzen, daß Sie die Position der Regierung bekräftigt haben, terroristische Gewalt, unter welchem Vorwand auch immer sie stattfindet, als Verbrechen zu verurteilen, das durch seine Verachtung des menschlichen Lebens und der Freiheit die Grundlagen der Gesellschaft untergräbt. Das gilt besonders dann, wenn der heilige Name Gottes als Rechtfertigung für derartige Handlungen angerufen wird. In Treue gegenüber der Lehre ihres Meisters verurteilt die Kirche auf allen Ebenen die Manipulierung der Religion für politische Zwecke, und sie mahnt dringend zur Anwendung des humanitären Völkerrechts in jedem Aspekt des Kampfes gegen den Terrorismus (vgl. Botschaft zur Feier des Weltfriedenstages 2007, 14; in O.R. dt., Nr. 51/52, 22.12.2006, S. 10).

Als multireligiöses Land mit der zahlenmäßig größten muslimischen Bevölkerung jeder Nation der Welt spielt Indonesien eine wichtige und positive Rolle bei der Förderung der interreligiösen Zusammenarbeit, sowohl innerhalb seiner Grenzen als auch in der internationalen Gemeinschaft. Dialog, Achtung der Überzeugungen anderer und Zusammenarbeit im Dienst des Friedens sind das sicherste Mittel zur Gewährleistung sozialer Eintracht.

Diese gehören zu den edelsten Zielen, die Männer und Frauen guten Willens vereinen können, und insbesondere all diejenigen, die den einen Gott verehren, der der Schöpfer und segenspendende Herr der gesamten Menschheitsfamilie ist. Eine vielversprechende Entwicklung ist in diesem Zusammenhang die wachsende Zusammenarbeit zwischen Christen und Muslimen in Indonesien, die besonders auf die Abwendung ethnischer und religiöser Konflikte in Krisengebieten ausgerichtet ist.

Obwohl die Katholiken in Indonesien eine kleine Minderheit sind, ist es ihr Wunsch, in ganzer Fülle am Leben der Nation teilzunehmen, um »ihren Beitrag zum materiellen und geistiggeistlichen Fortschritt der Gesellschaft zu leisten und Stifter von Zusammenhalt und Eintracht zu sein« (vgl. Ansprache an das beim Heiligen Stuhl akkreditierte Diplomatische Korps beim Neujahrsempfang, 8. Januar 2007; in O.R. dt., Nr. 3, 19.1.2007). Durch ihr Netzwerk von Einrichtungen zur Erziehung und Gesundheitsfürsorge möchten sie ungeachtet der Religion einen wichtigen Dienst für ihre Brüder und Schwestern anbieten, und die ethischen Werte vermitteln, die für den wahren zivilen Fortschritt und das friedliche Zusammenleben grundlegend sind. Während ihr Recht auf freie Religionsausübung in vollkommener Gleichheit mit ihren Mitbürgern durch die nationale Verfassung gewährleistet wird, verlangt der Schutz dieses menschlichen Grundrechts die ständige Wachsamkeit von seiten aller. In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, daß Indonesien kürzlich dem »International Covenant on Civil and Political Rights« beigetreten ist, und ich bin zuversichtlich, daß dies dazu beitragen wird, die Freiheit und rechtmäßige Autonomie der einzelnen Christen und ihrer Einrichtungen weiterhin zu festigen.

Da Indonesien jetzt einen Sitz als nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen innehat, ergreife ich die Gelegenheit, um meine Zuversicht zum Ausdruck zu bringen, daß die Grundsätze, an denen sich die nationale Politik der Befriedung, des Dialogs und der Toleranz ausrichtet, Indonesien befähigen wird, einen fruchtbringenden Beitrag zur Lösung globaler Konflikte und zur Förderung eines Friedens zu leisten, der auf internationaler Solidarität und Sorge für die ganzheitliche Entwicklung der Individuen und der Völker gründet.

Exzellenz, zu Beginn Ihrer Sendung als Vertreter der Republik Indonesien beim Heiligen Stuhl bitte ich Sie, meine persönlichen guten Wünsche für den Erfolg Ihrer wichtigen Arbeit entgegenzunehmen. Seien Sie versichert, daß Sie stets darauf zählen können, daß die Dikasterien des Heiligen Stuhls Ihnen bei der Erfüllung Ihrer hohen Verantwortlichkeiten zur Seite stehen und Sie unterstützen werden. Auf Sie und Ihre Familie sowie auf das ganze geliebte indonesische Volk rufe ich von Herzen den überreichen Segen des allmächtigen Gottes herab.



AN DIE TEILNEHMER DER BEGEGNUNG DER

GENERALOBEREN DER MISSIONSGESELLSCHAFTEN

DES APOSTOLISCHEN LEBENS Konsistoriensaal

Freitag, 16. November 2007


Eminenz,
Exzellenzen,
liebe Patres!

Es ist mir eine besondere Freude, euch, die Generaloberen der Missionsgesellschaften des apostolischen Lebens, zu begrüßen. Eure Versammlung hier in Rom, die auf Einladung der Kongregation für die Evangelisierung der Völker stattfindet, bringt die Oberen der fünfzehn Missionsgesellschaften päpstlichen Rechts und der sechs Missionsgesellschaften diözesanen Rechts zusammen. Sie ist ein beredtes Zeugnis für die andauernde Lebenskraft des missionarischen Eifers in der Kirche und für den Geist der Gemeinschaft, der eure Mitglieder und ihre vielfältigen Aktivitäten mit dem Nachfolger Petri und seinem universalen apostolischen Dienst verbindet.

Eure Begegnung ist auch ein konkretes Zeichen für die historische Beziehung zwischen den verschiedenen Missionsgesellschaften des apostolischen Lebens und der Kongregation für die Evangelisierung der Völker. In diesen Tagen habt ihr nach neuen Wegen zur Festigung und Stärkung dieser wichtigen Beziehung gesucht. Wie das Zweite Vatikanische Konzil bemerkte, gilt der Auftrag Christi, allen Geschöpfen das Evangelium zu predigen, zuerst und unmittelbar dem Bischofskollegium »cum et sub Petro« (vgl. Ad gentes AGD 38). Innerhalb der hierarchischen Einheit des Leibes Christi, mit dem Reichtum der Vielzahl der vom Heiligen Geist geschenkten Gaben und Charismen, bleibt die Gemeinschaft mit den Nachfolgern der Apostel stets der Prüfstein und die Gewährleistung der geistlichen Fruchtbarkeit aller missionarischen Tätigkeit. Denn die Gemeinschaft der Kirche in Glaube, Hoffnung und Liebe ist selbst das Zeichen und der Vorgeschmack jener Einheit und jenes Friedens, der in Christus Gottes Plan für die ganze Menschheitsfamilie ist.

Eines der vielversprechenden Zeichen einer Erneuerung des missionarischen Bewußtseins der Kirche in den letzten Jahrzehnten ist der wachsende Wunsch vieler Laien, alleinstehender oder verheirateter Männer und Frauen, großherzig in der »missio ad gentes« mitzuarbeiten. Wie das Konzil hervorgehoben hat, ist die Arbeit der Evangelisierung eine grundlegende Pflicht, die dem ganzen Gottesvolk auferlegt ist, und alle Getauften sind zu einem »lebendigen Bewußtsein der eigenen Verantwortung um die Ausbreitung des Evangeliums« (Ad gentes AGD 36) aufgerufen. Während einige Missionsgesellschaften schon lange eng mit den Laien, Männern und Frauen, zusammenarbeiten, haben andere erst vor kurzem Formen der Einbindung von Laien in ihr Apostolat entwickelt. In Anbetracht des Ausmaßes und der Bedeutung des Beitrags dieser Mitarbeiter zur Arbeit der verschiedenen Gesellschaften sollten die angemessenen Formen ihrer Mitarbeit natürlich durch besondere Statuten und klare Richtlinien bestimmt werden, welche die dem entsprechenden Institut eigene kirchenrechtliche Identität achten.

Liebe Freunde, unsere heutige Begegnung ist mir eine willkommene Gelegenheit, euch und allen ehemaligen und gegenwärtigen Mitgliedern eurer Gesellschaften für euren beständigen Einsatz für die Sendung der Kirche zu danken. Wie in der Vergangenheit, so verlassen auch heute die Missionare weiterhin ihre Familie und ihre Heimat, oft unter großen Opfern, mit dem einzigen Ziel, die Frohe Botschaft Christi zu verkündigen und ihm in ihren Brüdern und Schwestern zu dienen. Auch in unserer Zeit haben viele von ihnen ihre Verkündigung durch das Vergießen ihres Blutes heldenhaft bekräftigt und dazu beigetragen, die Kirche in weit entfernten Ländern aufzubauen. Heute haben die veränderten Verhältnisse vielfach zu einem Rückgang der Zahl der jungen Menschen geführt, die von Missionsgesellschaften angezogen werden, und dementsprechend zu einer Abnahme des missionarischen Impulses. Dennoch steckt, wie der verstorbene Papst Johannes Paul II. stets betonte, die Sendung »ad gentes« noch in den Anfängen, und der Herr fordert uns – jeden von uns – auf, uns mit allen Kräften für den Dienst an ihr einzusetzen (vgl. Redemptoris missio RMi 1). »Die Ernte ist groß« (Mt 9,37)! Im Bewußtsein der Herausforderungen, denen ihr gegenübersteht, ermutige ich euch, treu den Spuren eurer Gründer zu folgen und die Charismen sowie den missionarischen Eifer, die ihr von ihnen geerbt habt, zur Flamme zu entfachen, im Vertrauen, daß Christus euch auch weiterhin in eurer Arbeit beistehen und eure Verkündigung durch Zeichen seiner Gegenwart und Macht bekräftigen wird (vgl. Mk Mc 16,20).

Von Herzen empfehle ich euch und die Mitglieder und Mitarbeiter eurer verschiedenen Gemeinschaften dem liebenden Schutz Marias, Mutter der Kirche. Euch allen erteile ich gern meinen Apostolischen Segen als Unterpfand der Weisheit, der Kraft und des Friedens im Herrn.



AN DIE TEILNEHMER DER XXII. INTERNATIONALEN KONFERENZ

DES PÄPSTLICHEN RATES FÜR DIE PASTORAL IM KRANKENDIENST Clementina-Saal

Samstag, 17. November 2007

Herr Kardinal,

verehrte Mitbrüder im bischöflichen und im priesterlichen Dienst,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Schwestern und Brüder!

Es ist mir eine Freude, euch anläßlich dieser Internationalen Konferenz zu begegnen, die vom Päpstlichen Rat für die Pastoral im Krankendienst einberufen wurde. Ich begrüße jeden einzelnen, an erster Stelle Herrn Kardinal Javier Lozano Barragán und danke ihm für die freundlichen Worte, die er im Namen aller an mich gerichtet hat. Zusammen mit ihm begrüße ich den Sekretär und die übrigen Mitglieder des Päpstlichen Rates sowie die hier anwesenden Autoritäten und alle anderen, die an diesem Treffen teilgenommen haben, um über die Seelsorge an den alten kranken Menschen nachzudenken. Es handelt sich um einen zentralen Aspekt der heutigen Pastoral im Krankendienst, die auf Grund des erhöhten Durchschnittsalters einen immer größeren Anteil der Bevölkerung betrifft, der vielfache Bedürfnisse, aber zweifellos auch wertvolle menschliche und geistliche Fähigkeiten hat.

Da das menschliche Leben in allen seinen Phasen höchste Achtung verdient, gilt das in gewisser Hinsicht noch mehr, wenn es von Alter und Krankheit gezeichnet ist. Das Alter ist der letzte Abschnitt unseres irdischen Pilgerweges, der aus verschiedenen Phasen besteht, von denen jede ihre Licht- und ihre Schattenseiten hat. Man fragt sich: Hat das Dasein eines alten und kranken Menschen mit großen gesundheitlichen Schwierigkeiten noch einen Sinn? Wenn die Krankheit so weit fortgeschritten ist, warum soll man das Leben noch länger schützen und nicht vielmehr die Euthanasie als Befreiung in Betracht ziehen? Ist es möglich, die Krankheit als eine menschliche Erfahrung zu verstehen, die man geduldig und mutig annehmen kann?

Mit diesen Fragen müssen sich diejenigen befassen, die berufen sind, die betagten Kranken zu begleiten, besonders dann, wenn diese scheinbar keine Möglichkeit der Gesundung mehr haben. Das heutige Leistungsdenken neigt oft dazu, diese unsere leidenden Schwestern und Brüder auszugrenzen, als seien sie nur eine »Last« und »ein Problem« für die Gesellschaft. Wer einen Sinn für die Menschenwürde hat, weiß, daß sie gerade in diesem schweren Krankheitszustand zu achten und zu stützen sind. Ja, es ist richtig, daß, wenn nötig, palliative Behandlungsmethoden angewandt werden, die zwar nicht heilen können, aber doch imstande sind, die mit der Krankheit verbundenen Leiden zu lindern. Aber neben der unerläßlichen klinischen Behandlung ist es auch notwendig, eine echte und konkrete Liebesfähigkeit zu zeigen, denn die Kranken brauchen Verständnis, Trost und ständige Ermutigung und Begleitung. Den alten Menschen muß insbesondere geholfen werden, daß sie den Weg ihres letzten irdischen Lebensabschnitts in bewußter und menschlicher Weise gehen können, um sich in Ruhe gut auf den Tod vorzubereiten, der – wir Christen wissen es – der Übergang und die Heimkehr zum himmlischen Vater bedeutet, der voll Zärtlichkeit und Erbarmen ist.

Ich möchte hinzufügen, daß diese notwendige Seelsorge für die betagten Kranken die Familien mit einbeziehen muß. Im allgemeinen ist es angebracht, alles zu versuchen, damit die Familien sie aufnehmen und sie mit Verständnis liebevoll umsorgen, so daß die alten kranken Menschen ihren letzten Lebensabschnitt zu Hause verbringen und sich in der Geborgenheit der Familie auf den Tod vorbereiten können. Und im Fall einer stationären Behandlung ist es wichtig, daß die Verbindung des Patienten mit seinen Angehörigen und seiner Umgebung nicht abreißt. In den schweren Stunden soll der Kranke mit Hilfe der Seelsorge ermutigt werden und die Kraft finden, seine schwere Prüfung durch Gebet und den Trost der Sakramente zu bestehen. Er soll von seinen Brüdern und Schwestern im Glauben umgeben sein, die bereit sind, ihm zuzuhören und seine Gefühle zu teilen. Das ist eigentlich das wahre Ziel der Seelsorge im Dienst an den betagten Personen, besonders wenn sie krank, und noch mehr, wenn sie schwer krank sind.

Bei mehreren Anlässen hat mein verehrter Vorgänger Johannes Paul II., der besonders während seiner Krankheit ein vorbildliches Zeugnis des Glaubens und des Mutes abgelegt hat, die Wissenschaftler und die Ärzte aufgefordert, sich in der Forschung um die Vorbeugung und Heilung von Krankheiten zu bemühen, die mit dem Alterungsprozeß verbunden sind. Sie dürfen aber nie der Versuchung erliegen, auf Maßnahmen zurückzugreifen, die das Leben des betagten Kranken verkürzen, also Maßnahmen, die in Wirklichkeit eine Form von Euthanasie sind. Die Wissenschaftler, die Forscher, die Ärzte, die Krankenpfleger sowie die Politiker, die Verwaltungskräfte und die Krankenseelsorger dürfen nicht vergessen, daß »die Versuchung zur Euthanasie« eines »der alarmierendsten Symptome der ›Kultur des Todes‹ ist, die vor allem in den Wohlstandsgesellschaften um sich greift« (Evangelium vitae EV 64). Das Leben des Menschen ist ein Geschenk Gottes, das zu hüten wir alle immer berufen sind. Diese Pflicht betrifft auch die im Gesundheitsdienst Tätigen, deren besondere Aufgabe es ist, sich zu »Dienern des Lebens« in allen seinen Phasen zu machen, besonders in denen, die von Gebrechlichkeit und Krankheit gezeichnet sind. Notwendig ist ein gemeinsames Bemühen, damit das menschliche Leben nicht nur in den katholischen Krankenhäusern geachtet wird, sondern überall, wo Kranke behandelt werden.

Für die Christen ist es der Glaube an Christus, der die Krankheit und den Zustand der betagten Person sowie alle anderen Ereignisse und Phasen des Daseins erhellt. Durch seinen Tod am Kreuz hat Jesus dem menschlichen Leiden einen transzendenten Wert und eine transzendente Bedeutung verliehen. Angesichts des Leidens und der Krankheit sind die Gläubigen eingeladen, die innere Gelassenheit nicht zu verlieren, denn nichts, auch nicht der Tod, kann uns von der Liebe Christi scheiden. In ihm und mit ihm ist es möglich, jede physische und geistliche Prüfung anzunehmen und zu bewältigen und gerade im Augenblick größter Schwäche die Früchte der Erlösung zu spüren. Der auferstandene Herr offenbart sich denen, die an ihn glauben, als der Lebendige, der das Dasein verwandelt und auch der Krankheit und dem Tod einen heilbringenden Sinn gibt.

Liebe Schwestern und Brüder! Während ich auf jeden von euch und auf eure tägliche Arbeit den mütterlichen Schutz Marias, »Salus infirmorum«, und der Heiligen herabrufe, die ihr Leben im Dienst an den Kranken hingegeben haben, fordere ich euch auf, immer zur Verbreitung des »Evangeliums des Lebens« beizutragen. Mit diesen Empfindungen erteile ich euch von Herzen den Apostolischen Segen, in den ich gern eure Lieben, eure Mitarbeiter und besonders die betagten kranken Menschen einschließe.
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Benedikt XVI Predigten 155