Benedikt XVI Predigten 182

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KREUZWEG AM KOLOSSEUM

WORTE VON BENEDIKT XVI. Palatin

Karfreitag, 21. März 2008



Liebe Brüder und Schwestern!

Auch in diesem Jahr haben wir wieder den Kreuzweg, die Via Crucis, zurückgelegt und dabei der Stationen der Passion Christi im Glauben gedacht. Unsere Augen haben wieder das Leiden und die Todesangst gesehen, die unser Erlöser in der Stunde des großen Schmerzes ertragen mußte, die den Höhepunkt seiner irdischen Sendung anzeigte. Jesus stirbt am Kreuz und ruht im Grab. Der Karfreitag, der so sehr von menschlicher Trauer und religiösem Schweigen erfüllt ist, endet in der Stille der Betrachtung und des Gebets. Wenn wir nach Hause gehen, wollen auch »wir uns an die Brust schlagen« wie diejenigen, die beim Opfertod Jesu zugegen waren, und über alles Vorgefallene nachdenken (vgl. Lk Lc 23,48). Kann man etwa gleichgültig bleiben angesichts des Todes eines Gottes? Für uns, für unser Heil ist er Mensch geworden und am Kreuz gestorben.

Brüder und Schwestern, richten wir unsere Blicke, die oft von zerfahrenen und flüchtigen irdischen Interessen abgelenkt werden, heute auf Christus; halten wir inne, um uns in sein Kreuz zu versenken. Das Kreuz ist Quelle unsterblichen Lebens, es ist Schule der Gerechtigkeit und des Friedens, es ist universelles Erbe der Vergebung und des Erbarmens; es ist bleibender Beweis einer selbstlosen und unendlichen Liebe, die Gott dazu gedrängt hat, ein verwundbarer Mensch wie wir zu werden – bis zum Tod am Kreuz. Seine durchbohrten Arme öffnen sich für jeden Menschen und laden uns ein, uns ihm in der Gewißheit zu nähern, daß er uns aufnimmt und in einer Umarmung von unendlicher Zärtlichkeit an sich zieht: »Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen« (Jn 12,32), hatte er gesagt.

Durch den leidvollen Weg des Kreuzes sind die Menschen aller Zeiten, versöhnt und erlöst durch das Blut Christi, zu Freunden Gottes, zu Kindern des himmlischen Vaters geworden. »Freund!« nennt Jesus den Judas und richtet an ihn die letzte dramatische Aufforderung zur Umkehr; Freund nennt er jeden von uns, da er ein wahrer Freund aller ist. Leider sind die Menschen nicht immer dazu imstande, die Tiefe dieser grenzenlosen Liebe zu begreifen, die Gott für seine Geschöpfe hegt. Für ihn gibt es keinen Unterschied nach Rasse und Kultur. Jesus Christus ist gestorben, um die ganze Menschheit von der Unkenntnis Gottes, vom Kreis des Hasses und der Rache, von der Knechtschaft der Sünde zu befreien. Das Kreuz macht uns zu Geschwistern.

Wir fragen uns: Was aber haben wir mit dieser Gabe gemacht? Was haben wir mit der Offenbarung des Antlitzes Gottes in Christus, mit der Offenbarung der Liebe Gottes, die den Haß besiegt, gemacht? So viele auch in unserer Zeit kennen Gott nicht und können ihn nicht im gekreuzigten Christus finden; so viele sind auf der Suche nach einer Liebe und einer Freiheit, die Gott ausschließt; so viele glauben, Gott nicht zu brauchen. Liebe Freunde, nachdem wir miteinander das Leiden und Sterben Jesu erlebt haben, lassen wir heute Abend zu, daß sein Opfer am Kreuz uns anspricht; gestatten wir ihm, unsere menschlichen Gewißheiten in Frage zu stellen; öffnen wir ihm unser Herz: Jesus ist die Wahrheit, die uns frei macht zu lieben. Fürchten wir uns nicht! Durch sein Sterben hat der Herr die Sünder, also auch uns alle, gerettet. Der Apostel Petrus schreibt: Jesus »hat unsere Sünden mit seinem Leib auf das Holz des Kreuzes getragen, damit wir tot seien für die Sünden und für die Gerechtigkeit leben. Durch seine Wunden seid ihr geheilt« (1P 2,24). Das ist die Wahrheit des Karfreitags: Am Kreuz hat uns der Erlöser die Würde zurückgegeben, die uns zukommt; er hat uns zu Adoptivkindern Gottes gemacht, der uns nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen hat. Verweilen wir daher in Anbetung vor dem Kreuz. O Christus, gekreuzigter König, schenk uns die wahre Kenntnis von dir, die Freude, nach der wir uns sehnen, die Liebe, die unser Herz, das nach dem Unendlichen dürstet, erfüllt. Darum bitten wir dich heute Abend, Jesus, Sohn Gottes, der du für uns am Kreuz gestorben und am dritten Tag auferstanden bist. Am
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ANSPRACHE VON BENEDIKT XVI.

AN DIE TEILNEHMER DES GENERALKAPITELS DER

GESELLSCHAFT DER SALESIANER DES HL. JOHANNES BOSCO Montag, 31. März 2008


Eminenz,
liebe Mitglieder des Generalkapitels
der Salesianischen Kongregation!

Ich freue mich, euch heute zu begegnen, während eure Kapitelarbeiten nunmehr auf ihre Schlußphase zugehen. Ich danke zunächst dem Großrektor, Don Pascual Chávez Villanueva, für die Empfindungen, die er in euer aller Namen zum Ausdruck gebracht und in denen er den Willen der Kongregation bekräftigt hat, stets mit der Kirche und für die Kirche zu wirken, in vollem Einklang mit dem Nachfolger Petri. Ich danke ihm auch für den großherzigen Dienst, den er in den letzten sechs Jahren getan hat, und entbiete ihm meine guten Wünsche für den Auftrag, der ihm jetzt erneuert wurde. Ich begrüße auch die Mitglieder des neuen Generalrats, die den Großrektor bei seiner Aufgabe der Animation und der Leitung eurer ganzen Kongregation unterstützen werden.

In der Botschaft, die ich zu Beginn eurer Arbeiten an den Großrektor und durch ihn an euch, die Kapitelväter, gerichtet habe, habe ich einige Erwartungen zum Ausdruck gebracht, die die Kirche in die Salesianer setzt. Außerdem habe ich euch einige Überlegungen zum Weg eurer Kongregation unterbreitet. Heute möchte ich einige dieser Anregungen noch einmal aufgreifen und vertiefen, auch im Licht der Arbeit, die ihr verrichtet. Euer 26. Generalkapitel findet in einer Zeit großer sozialer, wirtschaftlicher und politischer Veränderungen statt – in einer Zeit ausgeprägter ethischer, kultureller und umweltbezogener Probleme sowie ungelöster Konflikte zwischen Ethnien und Nationen. Andererseits gibt es in unserer Zeit eine verstärkte Kommunikation zwischen den Völkern, neue Möglichkeiten zum gegenseitigen Kennenlernen und für den Dialog und einen lebendigeren Austausch über die geistlichen Werte, die dem Dasein Sinn verleihen. Besonders die Anfragen, mit denen die jungen Menschen sich an uns wenden, vor allem ihre Fragen zu den grundlegenden Problemen, verweisen auf das tiefe Verlangen nach einem erfüllten Leben, nach wahrer Liebe und konstruktiver Freiheit, das sie hegen. Es sind Situationen, die die Kirche und ihre Fähigkeit, heute das Evangelium Christi mit seiner ganzen Kraft der Hoffnung zu verkünden, in aller Deutlichkeit auf den Plan rufen. Ich wünsche daher aufrichtig, daß die ganze Salesianische Kongregation auch dank der Ergebnisse eures Generalkapitels mit neuem Schwung und Eifer die Sendung leben kann, für die der Heilige Geist sie durch die mütterliche Fürsprache Mariens, Hilfe der Christen, in der Kirche erweckt hat. Ich möchte heute euch und alle Salesianer ermutigen, den Weg dieser Sendung fortzusetzen, in voller Treue zu eurem ursprünglichen Charisma und nunmehr im Kontext des bevorstehenden 200. Jahrestages der Geburt Don Boscos.

Mit dem Thema »Da mihi animas, cetera tolle« hat euer Generalkapitel es sich zum Ziel gesetzt, die apostolische Leidenschaft in jedem Salesianer und in der ganzen Kongregation zu beleben. Das wird dabei helfen, das Profil des Salesianers deutlicher zu machen, so daß er sich seiner Identität als »zur Ehre Gottes« geweihte Person immer stärker bewußt wird und er immer mehr entflammt ist vom pastoralen Elan »für das Heil der Seelen«. Don Bosco wollte die Weiterführung seines Charismas in der Kirche durch die Wahl des geweihten Lebens gewährleisten. Auch heute kann die Salesianische Bewegung nur dann in charismatischer Treue wachsen, wenn in ihrem Innern auch weiterhin ein starker und lebenskräftiger Kern geweihter Personen bestehen bleibt. Um die Identität der ganzen Kongregation zu stärken, ist daher eure vorrangige Aufgabe die Festigung der Berufung jedes Salesianers, in Fülle die Treue zu seinem Ruf zum geweihten Leben zu verwirklichen. Die ganze Kongregation muß danach streben, stets »lebendige Erinnerung an die Lebens- und Handlungsweise Jesu als fleischgewordenes Wort gegenüber dem Vater und gegenüber den Brüdern und Schwestern« (Vita consecrata VC 22) zu sein. Christus sei der Mittelpunkt eures Lebens! Es ist nötig, sich von ihm ergreifen zu lassen, und mit ihm muß man stets neu beginnen. Alles übrige erachte man als Verlust, »weil die Erkenntnis Christi Jesu … alles übertrifft«, und alles halte man »für Unrat, um Christus zu gewinnen« (Ph 3,8). Daraus entsteht die leidenschaftliche Liebe zu Jesus, dem Herrn, das Streben, sich in ihn hineinzudenken, indem man seine Gefühle und seine Lebensform annimmt, das vertrauensvolle Sich-Hinschenken an den Vater, die Hingabe an den Evangelisierungsauftrag, die jeden Salesianer kennzeichnen müssen: Er muß sich erwählt fühlen, dem gehorsamen, armen und keuschen Christus nachzufolgen, gemäß der Lehre und dem Vorbild Don Boscos.

Der fortschreitende Säkularisierungsprozeß in der gegenwärtigen Kultur macht leider auch nicht vor den Gemeinschaften des geweihten Lebens halt. Man muß daher wachsam sein gegenüber Lebensformen und Lebensstilen, die die Gefahr mit sich bringen, das Zeugnis des Evangeliums abzuschwächen, die pastorale Tätigkeit unfruchtbar und die Antwort auf die Berufung kraftlos zu machen. Ich bitte euch daher, euren Mitbrüdern zu helfen, die Treue zur Berufung zu wahren und neu zu beleben. Das Gebet, das Jesus vor seinem Leiden an den Vater richtete, in seinem Namen alle Jünger, die er ihm gegeben hat, zu bewahren, auf daß keiner von ihnen verlorengehe (vgl. Joh 17,11–12), gilt besonders für die Berufungen zu einer besonderen Weihe. »Das geistliche Leben muß also im Programm [eurer Kongregation] an erster Stelle stehen« (vgl. Vita consecrata VC 93). Das Wort Gottes und die Liturgie seien die Quellen der Salesianischen Spiritualität! Besonders die tägliche »lectio divina« jedes Salesianers und die jeden Tag in der Gemeinschaft gefeierte Eucharistie mögen ihr Nahrung und Stütze sein. Daraus entsteht die wahre Spiritualität der apostolischen Hingabe und der kirchlichen Gemeinschaft. Die Treue zum Evangelium, das »sine glossa« gelebt wird, und zu eurer Lebensregel – vor allem ein einfacher Lebensstil und die kohärent gemäß dem Evangelium gelebte Armut, die treue Liebe zur Kirche und eure großherzige Selbsthingabe an die jungen Menschen, besonders an die ärmsten und die am meisten benachteiligten – werden das Aufblühen eurer Kongregation gewährleisten.

Don Bosco ist das leuchtende Vorbild eines von apostolischer Leidenschaft geprägten und im Dienst der Kirche in der Salesianischen Kongregation und Familie gelebten Lebens. In der Schule des hl. Giuseppe Cafasso lernte euer Gründer, das Motto »Da mihi animas, cetera tolle« anzunehmen als Synthese eines an der Gestalt und der Spiritualität des hl. Franz von Sales ausgerichteten Modells der Pastoralarbeit. Der Horizont, in dem dieses Modell seinen Platz hat, ist der des absoluten Primats der Liebe Gottes, einer Liebe, der es gelingt, leidenschaftliche Persönlichkeiten zu formen, die das Verlangen haben, zur Sendung Christi beizutragen, um die ganze Welt mit dem Feuer seiner Liebe zu entflammen (vgl. Lk Lc 12,49). Neben der leidenschaftlichen Liebe zu Gott ist ein weiteres Merkmal des Salesianischen Modells das Wissen um den unschätzbaren Wert der »Seelen«. Diese Wahrnehmung erzeugt als Kontrast dazu ein tiefes Bewußtsein der Sünde und ihrer verheerenden Folgen in der Zeit und in der Ewigkeit. Der Apostel ist berufen, am Erlösungswerk des Heilands mitzuarbeiten, damit niemand verlorengehe. »Die Seelen retten«, gerade entsprechend dem Wort des hl. Petrus, war also der einzige Daseinsgrund für Don Bosco. Der sel. Michele Rua, sein erster Nachfolger, faßte das ganze Leben eures geliebten Vaters und Gründers so zusammen: »Er machte keinen Schritt, sagte kein Wort, legte keine Hand an eine Unternehmung, die nicht das Heil der Jugend zum Ziel hatte … Ihm lag wirklich nichts anderes am Herzen als die Seelen.« So der sel. Michele Rua über Don Bosco.

Auch heute ist es dringend notwendig, im Herzen jedes Salesianers diese Leidenschaft zu nähren. So wird er keine Angst haben, mutig vorzudringen in die schwierigsten Bereiche der Tätigkeit der Evangelisierung zugunsten der jungen Menschen, besonders der materiell und geistlich ärmsten. Er wird die Geduld und den Mut haben, den Jugendlichen vorzuschlagen, dieselbe Ganzhingabe im geweihten Leben zu leben. Er wird ein offenes Herz haben, um die neuen Nöte der jungen Menschen zu erkennen und ihren Hilferuf zu hören, und er wird die bereits konsolidierten Bereiche des pastoralen Handelns eventuell anderen überlassen. Der Salesianer wird sich daher dem Totalitätsanspruch der Sendung durch ein einfaches, armes und strenges Leben stellen, wird die Lebensbedingungen der Ärmsten teilen und die Freude haben, denen, die im Leben weniger bekommen haben, mehr zu geben. So wird die apostolische Leidenschaft ansteckend sein und auch andere einbeziehen. Der Salesianer wird daher zum Förderer des apostolischen Bewußtseins, indem er vor allem den jungen Menschen hilft, Jesus, den Herrn, kennenzulernen und zu lieben, sich von ihm faszinieren zu lassen, den Einsatz für die Evangelisierung zu pflegen, den eigenen Altersgenossen Gutes tun zu wollen, Apostel anderer junger Menschen zu sein, wie der hl. Domenico Savio, die sel. Laura Vicuña und der sel. Cefirino Namuncurà sowie die fünf jungen seligen Märtyrer vom Oratorium von Poznan´. Liebe Salesianer, seid darum bemüht, Laien mit apostolischem Herzen auszubilden, indem ihr alle einladet, in der Heiligkeit des Lebens zu wandeln, die mutige Jünger und wahre Apostel heranreifen läßt.

In der Botschaft, die ich zu Beginn eures Generalkapitels an den Großrektor gerichtet habe, habe ich im Geiste allen Salesianern das Schreiben übergeben, das ich kürzlich an die Gläubigen von Rom gesandt habe, die Sorge über das betreffend, was ich einen großen »Bildungs- und Erziehungsnotstand« genannt habe. »Erziehen war nie einfach, und heute scheint es immer schwieriger zu werden. Nicht wenige Eltern und Lehrer sind daher versucht, sich ihrer Aufgabe zu entpflichten, und verstehen nicht einmal mehr, was wirklich die ihnen anvertraute Sendung ist. Zu viele Unsicherheiten und Zweifel kursieren nämlich in unserer Gesellschaft und in unserer Kultur, zu viele verzerrte Bilder werden von den Massenmedien verbreitet. So wird es schwierig, den jungen Generationen etwas Gültiges und Sicheres zu vermitteln, Verhaltensregeln und Ziele, für die zu leben es sich lohnt« (Ansprache anläßlich der Übergabe des Schreibens über die dringende Aufgabe der Erziehung an die Diözese Rm 23 Rm 2 Rm 2008 in O.R. dt., Nr. Dt 11 v. Dt 14 Dt 3 Dt 2008, Dt 7). Tatsächlich ist der schwerwiegendste Aspekt des Bildungs- und Erziehungsnotstands das Gefühl der Mutlosigkeit, das viele Erzieher, insbesondere Eltern und Lehrer, überkommt angesichts der Schwierigkeiten, die ihre Aufgabe heute mit sich bringt. In dem erwähnten Schreiben hielt ich fest: »Die Seele der Erziehung sowie des ganzen Lebens kann nur eine verläßliche Hoffnung sein. Heute ist unsere Hoffnung von vielen Seiten bedroht, und wir laufen Gefahr, wie die Heiden der Antike selbst wieder Menschen ›ohne Hoffnung und ohne Gott in der Welt‹ zu werden, wie der Apostel Paulus an die Christen von Ephesus schrieb (Ep 2,12). Gerade hieraus entsteht die vielleicht größte Schwierigkeit für eine echte Erziehungsarbeit, denn die Erziehungskrise wurzelt in einer Krise des Vertrauens in das Leben«, die im Grunde nichts anderes ist als Mißtrauen gegenüber dem Gott, der uns ins Leben gerufen hat. Bei der Erziehung der jungen Menschen ist es äußerst wichtig, daß die Familie ein aktives Subjekt ist. Sie hat oftmals Schwierigkeiten, den Herausforderungen der Erziehung zu begegnen; oft ist sie nicht in der Lage, den ihr zukommenden Beitrag zu leisten, oder sie ist abwesend. Die vorrangige Liebe und der Einsatz für die jungen Menschen, die Merkmal des Charismas Don Boscos sind, müssen zu einem ebensolchen Einsatz für die Einbeziehung und die Ausbildung der Familien werden. Eure Jugendpastoral muß sich also entschieden zur Familienpastoral hin öffnen. Sich um die Familien zu kümmern bedeutet nicht, der Arbeit für die Jugendlichen Kräfte zu entziehen, sondern es macht diese Arbeit dauerhafter und fruchtbarer. Ich ermutige euch daher, die Formen dieses Einsatzes zu vertiefen, die ihr bereits in Angriff genommen habt; das wird auch der Erziehung und der Evangelisierung der Jugendlichen zum Vorteil gereichen.

Angesichts dieser vielfältigen Aufgaben ist es notwendig, daß eure Kongregation besonders ihren Mitgliedern eine solide Ausbildung gewährleistet. Die Kirche braucht dringend Personen mit einem festen und tiefen Glauben, mit einer zeitgemäßen kulturellen Bildung, mit einem echten menschlichen Einfühlungsvermögen und einem starken pastoralen Sinn. Sie braucht geweihte Personen, die ihr Leben dafür hingeben, an diesen Fronten zu stehen. Nur so wird es möglich sein, fruchtbringend zu evangelisieren; den Gott Jesu Christi und so die Freude des Lebens zu verkünden. Dieses Bemühen um die Ausbildung muß daher eine Priorität für eure Kongregation sein. Sie muß auch weiterhin ihre Mitglieder mit großer Sorgfalt ausbilden, ohne sich mit Mittelmäßigkeit zu begnügen. Sie muß die Schwierigkeiten der Instabilität der Berufungen überwinden, indem sie eine solide geistliche Begleitung fördert und die erzieherische und pastorale Qualifizierung in der ständigen Weiterbildung gewährleistet.

Abschließend danke ich Gott für die Gegenwart eures Charismas im Dienst der Kirche. Ich ermutige euch, die Ziele zu verwirklichen, die euer Generalkapitel der ganzen Kongregation vorlegen wird. Ich versichere euch meines Gebets für die Umsetzung dessen, was der Heilige Geist euch zum Wohl der jungen Menschen, der Familien und aller Laien, die am Geist und an der Sendung Don Boscos teilhaben, rät. Mit diesen Empfindungen erteile ich jetzt euch allen als Unterpfand reicher himmlischer Gaben den Apostolischen Segen.



April 2008


AN DIE MITGLIEDER DER "PAPAL FOUNDATION" Freitag, 4. April 2008

Liebe Brüder im bischöflichen Dienst,

liebe Freunde in Christus!

In dieser gesegneten österlichen Zeit, in der wir die glorreiche Auferstehung unseres Herrn feiern, heiße ich euch, die Vertreter der »Papal Foundation«, sehr herzlich willkommen.

»Der Herr ist wirklich auferstanden!« Das war es, was die Elf den Emmausjüngern antworteten, die Jesus erkannten, als er das Brot brach, und dann nach Jerusalem zu ihnen zurückgeeilt waren (vgl. Lk 24,33–40). Ihre Begegnung mit dem auferstandenen Herrn verwandelte ihre Trauer in Freude, ihre Enttäuschung in Hoffnung. Das Zeugnis ihres Glaubens weckt in uns die feste Überzeugung, daß Christus in unserer Mitte lebt und uns jene Gaben gewährt, die es uns ermöglichen, Boten der Hoffnung in der heutigen Welt zu sein. Die wahre Quelle des Liebesdienstes der Kirche, die bemüht ist, das Leid der Armen und Schwachen zu lindern, kann in ihrem unerschütterlichen Glauben gefunden werden, daß der Herr Sünde und Tod endgültig besiegt hat und sie durch den Dienst an ihren Brüdern und Schwestern dem Herrn selbst dient, bis er kommt in Herrlichkeit (vgl. Mt Mt 25,31 Deus caritas Est 19).

Liebe Freunde, es freut mich, bei dieser Gelegenheit meine Dankbarkeit für die hochherzige Unterstützung zum Ausdruck zu bringen, welche die »Papal Foundation« durch Hilfsprojekte und Stipendien bietet, die mir bei der Ausübung meines apostolischen Amtes für die Universalkirche eine große Hilfe sind. Ich bitte euch um euer Gebet und versichere euch des meinen. Mögen eure guten Werke stets zahlreicher werden und unsere Brüder und Schwestern mit der sicheren Hoffnung erfüllen, daß Jesus nie aufhören wird, in den Sakramenten sein Leben für uns hinzugeben, damit wir für die materiellen und geistlichen Bedürfnisse der gesamten Menschheitsfamilie sorgen können (vgl. Deus caritas Est 25).

Indem ich euch und alle euch Nahestehenden dem Schutz der seligen Jungfrau Maria empfehle, erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen als Unterpfand der Freude und des Friedens im auferstandenen Erlöser.

AN DIE TEILNEHMER EINES INTERNATIONALEN KONGRESSES

DES PÄPSTLICHEN INSTITUTES "JOHANNES PAUL II.

FÜR STUDIEN ÜBER EHE UND FAMILIE" Samstag, 5. April 2008

Meine Herren Kardinäle,

verehrte Brüder im Bischofs- und im Priesteramt,
liebe Brüder und Schwestern!

Mit großer Freude begegne ich euch anläßlich des Internationalen Kongresses »›Balsam für die Wunden‹. Eine Antwort auf die Verletzungen durch Abtreibung und Scheidung«, der vom Päpstlichen Institut »Johannes Paul II. für Studien über Ehe und Familie« in Zusammenarbeit mit den »Knights of Columbus« ausgerichtet wurde. Ich beglückwünsche euch zu der äußerst aktuellen und komplexen Thematik, die Gegenstand eurer Reflexion in diesen Tagen ist, und besonders zur Bezugnahme auf das Beispiel vom barmherzigen Samariter (Lk 10,25–37), das ihr als Grundlage gewählt habt, um euch den Verletzungen der Abtreibung und der Scheidung, die so viel Leid im Leben der Personen, der Familien und der Gesellschaft mit sich bringen, zu nähern. Ja, die Männer und Frauen unserer Tage liegen wirklich manchmal mittellos und verletzt am Rande der Straßen, auf denen wir gehen, oftmals ohne daß jemand ihren Hilferuf hört und sich ihnen nähert, um ihr Leid zu lindern und zu heilen. In der oft rein ideologisch geführten Debatte entsteht ihnen gegenüber eine Art Verschwörung des Stillschweigens. Nur in der Haltung der barmherzigen Liebe kann man sich nähern, um den Opfern Hilfe zu bringen, damit sie wieder aufstehen und den Lebensweg wieder aufnehmen können.

In einem kulturellen Umfeld, das von wachsendem Individualismus, von Hedonismus und allzu oft auch von Mangel an Solidarität und angemessener sozialer Unterstützung geprägt ist, neigt die menschliche Freiheit in ihrer Schwäche angesichts der Schwierigkeiten des Lebens zu Entscheidungen, die im Gegensatz stehen zur Unauflöslichkeit des Ehebundes oder zur gebotenen Achtung vor dem gerade erst empfangenen und noch im mütterlichen Schoß geborgenen menschlichen Leben. Scheidung und Abtreibung sind natürlich Entscheidungen unterschiedlicher Natur. Sie sind manchmal unter schwierigen und dramatischen Umständen herangereift, bringen oft Traumata mit sich und sind eine Quelle tiefen Leids für diejenigen, die sie treffen. Sie betreffen auch unschuldige Opfer: das gerade erst empfangene und noch ungeborene Kind und die in den Bruch der familiären Bindungen verwickelten Kinder. Bei allen lassen sie Wunden zurück, die das Leben für immer prägen. Das ethische Urteil der Kirche über die Scheidung und die vorsätzlich herbeigeführte Abtreibung ist klar und allgemein bekannt: Es handelt sich bei beiden um schwere Schuld, die in unterschiedlichem Maße und unter Vorbehalt der Abwägung subjektiver Verantwortlichkeiten die Würde der menschlichen Person verletzt, tiefes Unrecht in die menschlichen Beziehungen hineinbringt und Gott, den Garanten des Ehebundes und Urheber des Lebens, beleidigt. Dennoch hat die Kirche nach dem Vorbild ihres göttlichen Meisters stets die konkreten Personen vor Augen – vor allem die schwächsten und unschuldigsten, die Opfer der Ungerechtigkeiten und der Sünden, und auch jene Männer und Frauen, die derartige Handlungen vorgenommen und sich dadurch mit Schuld befleckt und innere Wunden davongetragen haben und nach Frieden und der Möglichkeit eines Neubeginns suchen.

Die Kirche hat die vorrangige Pflicht, sich diesen Personen mit Liebe und Einfühlungsvermögen, mit mütterlicher Fürsorge und Aufmerksamkeit zu nähern, um die barmherzige Nähe Gottes in Jesus Christus zu verkündigen. Er ist, wie die Kirchenväter lehren, der wahre barmherzige Samariter, der sich zu unserem Nächsten gemacht hat, der Öl und Wein auf unsere Wunden gießt und uns in die Herberge, die Kirche, führt, in der er uns zur Heilung seinen Dienern anvertraut und selbst im voraus für unsere Gesundung bezahlt. Ja, das Evangelium der Liebe und des Lebens ist immer auch »Evangelium der Barmherzigkeit«, das sich an den konkreten Menschen und Sünder richtet, der wir sind, um ihn nach jedem Fallen aufzuheben, um ihn von allen Wunden zu heilen. Mein geliebter Vorgänger, der Diener Gottes Johannes Paul II., dessen dritten Todestag wir gerade begangen haben, sagte anläßlich der Weihe des neuen Heiligtums der Göttlichen Barmherzigkeit in Krakau, »daß es für den Menschen keine andere Quelle der Hoffnung als das Erbarmen Gottes geben kann« (17.8.2002). Von dieser Barmherzigkeit ausgehend setzt die Kirche ein unerschütterliches Vertrauen in den Menschen und seine Fähigkeit, wieder gesund zu werden. Sie weiß, daß die menschliche Freiheit mit Hilfe der Gnade zur endgültigen und treuen Selbsthingabe fähig ist, die die Ehe eines Mannes und einer Frau als unauflöslichen Bund möglich macht, daß die menschliche Freiheit auch unter schwierigsten Umständen zu außerordentlichen Taten des Opfers und der Solidarität fähig ist, um das Leben eines neuen Menschen anzunehmen. So sieht man, daß das »Nein« der Kirche in ihren moralischen Weisungen, auf das die Aufmerksamkeit der öffentlichen Meinung manchmal einseitig fixiert ist, in Wirklichkeit ein großes »Ja« ist zur Würde der menschlichen Person, zu ihrem Leben und zu ihrer Fähigkeit zu lieben. Es ist der Ausdruck des ständigen Vertrauens, daß die Menschen trotz ihrer Schwächen in der Lage sind, die hohe Berufung zu erfüllen, für die sie geschaffen worden sind: die Berufung zu lieben.

Bei derselben Gelegenheit fuhr Johannes Paul II. fort: Wir müssen »dieses Feuer des Erbarmens an die Welt weitergeben. Im Erbarmen Gottes wird die Welt Frieden … finden«. Hier setzt die große Aufgabe der Jünger Jesu, des Herrn, ein, die Weggefährten vieler Brüder, Männer und Frauen guten Willens, sind. Ihr Programm, das Programm des barmherzigen Samariters, »ist das ›sehende Herz‹. Dieses Herz sieht, wo Liebe not tut und handelt danach« (Deus caritas Est 31). In diesen Tagen der Reflexion und des Dialogs habt ihr euch über die Opfer gebeugt, die von den Wunden der Scheidung und der Abtreibung geschlagen sind. Ihr habt vor allem das manchmal traumatische Leid erfaßt, das die sogenannten »Scheidungskinder« trifft und das ihr Leben zeichnet und ihnen den Weg sogar sehr erschweren kann. Wenn der Ehebund zerbricht, so leiden darunter nämlich zwangsläufig vor allem die Kinder, die das lebendige Zeichen seiner Unauflöslichkeit sind. Durch solidarische und pastorale Aufmerksamkeit muß also dafür Sorge getragen werden, daß die Kinder nicht zu unschuldigen Opfern der Konflikte der Eltern werden, die sich scheiden lassen. Auch muß die Fortdauer der Bindung an ihre Eltern soweit wie möglich gewährleistet sein, ebenso wie die Beziehung zur eigenen familiären und sozialen Herkunft, die für ein ausgewogenes psychologisches und menschliches Wachstum unentbehrlich ist.

Ihr habt eure Aufmerksamkeit auch auf das Drama der vorsätzlich herbeigeführten Abtreibung gerichtet, die tiefe und manchmal unauslöschliche Zeichen hinterläßt bei der Frau, die sie vornimmt, und bei den Personen in ihrem Umfeld. Sie hat verheerende Folgen für die Familie und für die Gesellschaft, auch aufgrund der materialistischen Mentalität der Verachtung der Lebens, die sie fördert. Wieviel egoistische Mittäterschaft liegt oft an der Wurzel einer leidvollen Entscheidung, der viele Frauen allein gegenüberstanden und durch die sie im Herzen eine Wunde tragen, die noch nicht vernarbt ist! Wenn auch das Getane ein schweres Unrecht bleibt und in sich selbst nicht wiedergutzumachen ist, so mache ich mir doch die Worte zu eigen, die in der Enzyklika Evangelium vitae an die Frauen gerichtet sind, die eine Abtreibung vorgenommen haben: »Laßt euch nicht von Mutlosigkeit ergreifen und gebt die Hoffnung nicht auf. Sucht vielmehr das Geschehene zu verstehen und interpretiert es in seiner Wahrheit. Falls ihr es noch nicht getan habt, öffnet euch voll Demut und Vertrauen der Reue: Der Vater allen Erbarmens wartet auf euch, um euch im Sakrament der Versöhnung seine Vergebung und seinen Frieden anzubieten. Eben diesem Vater und seiner Barmherzigkeit dürft ihr hoffnungsvoll euer Kind anvertrauen« (Nr. 99).

All jenen sozialen und pastoralen Initiativen, die auf die Versöhnung und Heilung der durch das Drama der Abtreibung und der Scheidung verwundeten Personen ausgerichtet sind, spreche ich meine tiefe Anerkennung aus. Sie sind zusammen mit vielen anderen Formen des Einsatzes wesentliche Elemente für den Aufbau jener Zivilisation der Liebe, derer die Menschheit heute mehr denn je bedarf.

Indem ich den Herrn und barmherzigen Gott bitte, euch Jesus, dem barmherzigen Samariter, immer ähnlicher zu machen, damit sein Geist euch lehre, die Wirklichkeit der leidenden Brüder mit neuen Augen zu betrachten, euch helfe, nach neuen Maßstäben zu denken, und euch ansporne, mit großherzigem Elan im Hinblick auf eine echte Zivilisation der Liebe und des Lebens zu handeln, erteile ich allen einen besonderen Apostolischen Segen.



AN DIE TEILNEHMER DER VOLLVERSAMMLUNG

DES PÄPSTLICHEN RATES FÜR DIE FAMILIE Samstag, 5. April 2008

Meine Herren Kardinäle,

verehrte Brüder im Bischofs- und Priesteramt,
liebe Brüder und Schwestern!

Ich freue mich über das Zusammentreffen mit euch zum Abschluß der XVIII. Vollversammlung des Päpstlichen Rates für die Familie, deren Thema lautete: »Die Großeltern: Ihr Zeugnis und ihre Gegenwart in der Familie«. Ich danke euch, daß ihr meinen Vorschlag von Valencia aufgenommen habt, wo ich sagte: »Unter keinen Umständen dürfen sie [die Großeltern] aus dem Kreis der Familie ausgeschlossen werden. Sie sind ein Schatz, den wir den heranwachsenden Generationen nicht vorenthalten dürfen, vor allem wenn sie ihren Glauben bezeugen.« Ich begrüße besonders Kardinal Ricardo Vidal, Erzbischof von Cebu, Mitglied des Leitungsausschusses, der die Gefühle von euch allen zum Ausdruck gebracht hat, und denke ganz herzlich an den lieben Kardinal Alfonso López Trujillo, der das Dikasterium seit 18 Jahren mit Hingabe und Kompetenz leitet. Wir vermissen ihn unter uns. Ihm gilt unser Wunsch für eine rasche Genesung und unser Gebet.

Das Thema, mit dem ihr euch auseinandergesetzt habt, ist allen sehr vertraut. Wer erinnert sich nicht an seine Großeltern? Wer kann ihre Anwesenheit und ihr Zeugnis in der eigenen Familie vergessen? Wie viele von uns tragen zum Zeichen für Kontinuität und Dankbarkeit den Namen ihrer Großeltern! In den Familien ist es üblich, nach dem Hinscheiden der Großeltern ihrer am Jahrestag ihres Todes mit einer Seelenmesse und, wenn möglich, mit einem Besuch am Grab zu gedenken. Solche und andere Liebes- und Glaubensgesten sind Ausdruck unserer Dankbarkeit ihnen gegenüber. Sie haben sich für uns hingegeben, sich aufgeopfert, in bestimmten Fällen auch hingeopfert.

Die Kirche hat den Großeltern stets dadurch besondere Aufmerksamkeit erwiesen, daß sie ihren großen Reichtum unter dem menschlichen und sozialen wie auch unter dem religiösen und spirituellen Gesichtspunkt anerkannte. Meine verehrten Vorgänger Paul VI. und Johannes Paul II. – dessen dritten Todestag wir vor wenigen Tagen begangen haben – haben in ihren Ansprachen wiederholt die Hochachtung hervorgehoben, die die kirchliche Gemeinschaft für die alten Menschen, für ihre Hingabe und Spiritualität hat. Im besonderen rief Johannes Paul II. während des Jubiläumsjahres 2000 im September auf dem Petersplatz die Welt der »Senioren« zusammen; bei dieser Gelegenheit sagte er: »Trotz der Einschränkungen, die mit dem Alter verbunden sind, bewahre ich mir die Lebensfreude. Dafür danke ich dem Herrn. Es ist schön, sich bis zum Ende für die Sache Gottes zu verzehren.« Diese Worte sind in der Botschaft enthalten, die der Papst ein Jahr zuvor, im Oktober 1999, an die alten Menschen gerichtet hatte und die ihre menschliche, soziale und kulturelle Aktualität unversehrt bewahrt.

Eure Vollversammlung hat sich mit dem Thema der Präsenz der Großeltern in Familie, Kirche und Gesellschaft mit einem Blick auseinandergesetzt, der die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft zu erfassen vermag. Wir wollen diese drei Momente kurz analysieren. In der Vergangenheit hatten die Großeltern eine wichtige Rolle im Leben und Wachsen der Familie. Auch in vorgerücktem Alter waren sie weiterhin mit ihren Kindern, ihren Enkeln und sogar Urenkeln zusammen und gaben ein lebendiges Zeugnis liebevoller Sorge, Aufopferung und tagtäglicher vorbehaltloser Hingabe. Sie waren Zeugen einer persönlichen und gemeinsamen Geschichte, die in ihren Erinnerungen und in ihrer Weisheit weiterlebte. Heute hat die wirtschaftliche und soziale Entwicklung tiefgreifende Veränderungen im Familienleben mit sich gebracht. Die Alten, darunter viele Großeltern, kommen sich oft wie auf einer Art »Parkplatz« vor: Manche merken, daß sie der Familie zur Last fallen, und ziehen es vor, alleine oder in Altenheimen zu leben – mit allen Konsequenzen, die diese Entscheidungen mit sich bringen.

Die »Kultur des Todes«, die auch das Lebensalter der Senioren bedroht, scheint leider immer weiter voranzuschreiten. Mit wachsender Hartnäckigkeit gelangt man sogar dazu, die Euthanasie als Lösung für die Bewältigung gewisser schwieriger Situationen vorzuschlagen. Es ist daher notwendig, das Alter mit seinen Problemen, die auch mit den neuen familiären und sozialen Rahmenbedingungen aufgrund der modernen Entwicklung zusammenhängen, immer aufmerksam und im Licht der Wahrheit über den Menschen, die Familie und die Gemeinschaft zu bewerten. Es gilt, immer energisch auf alles zu reagieren, was die Gesellschaft entmenschlicht. Die Pfarr- und Diözesangemeinden werden von dieser Problematik nachdrücklich auf den Plan gerufen und versuchen, auf die heutigen Bedürfnisse der alten Menschen einzugehen. Es gibt kirchliche Vereinigungen und Bewegungen, die sich dieses wichtigen und dringenden Anliegens angenommen haben. Es ist erforderlich, sich zusammenzuschließen, um gemeinsam jede Form der Ausgrenzung zu überwinden, denn von der individualistischen Gesinnung werden nicht nur sie – die Großväter, Großmütter, die alten Menschen – überrollt, sondern alle. Wenn die Großeltern, wie es oft und von vielen Seiten heißt, eine wertvolle Ressource darstellen, müssen konsequente Entscheidungen getroffen und umgesetzt werden, die es gestatten, sie so gut wie möglich aufzuwerten.

Die Großeltern sollen wieder in der Familie, in der Kirche und in der Gesellschaft lebendig gegenwärtig sein. Was die Familie betrifft, so sollen die Großeltern weiterhin Zeugen der Einheit und der Werte sein, die auf der Treue zu einer einzigen Liebe gründen, die den Glauben und die Lebensfreude hervorbringt. Die sogenannten neuen Familienmodelle und der sich verbreitende Relativismus haben diese Grundwerte der Kernzelle der Familie geschwächt. Die Übel unserer Gesellschaft – wie ihr im Verlauf eurer Arbeiten mit Recht festgestellt habt – bedürfen dringend der Heilmittel. Könnte man angesichts der Krise der Familie nicht vielleicht einen Neuanfang setzen mit der Gegenwart und dem Zeugnis derjenigen – nämlich der Großeltern –, die über eine größere Überzeugungskraft für Werte und Vorhaben verfügen? Man kann nämlich die Zukunft nicht planen, ohne auf eine Vergangenheit zurückzugreifen, die voller bedeutsamer Erfahrungen und geistlicher und moralischer Bezugspunkte ist. Wenn ich an die Großeltern, an ihr Zeugnis der Liebe und Treue zum Leben denke, fallen mir die biblischen Gestalten von Abraham und Sara, Elisabet und Zacharias, Joachim und Anna sowie auch die hochbetagten Simeon und Hanna oder auch Nikodemus ein: sie alle erinnern uns daran, daß der Herr von einem jeden in jedem Lebensalter das Einbringen seiner Talente fordert.

Richten wir nun den Blick auf das VI. Welttreffen der Familien, das im Januar 2009 in Mexiko stattfinden wird. Ich begrüße Kardinal Norberto Rivera Carrera, Erzbischof von Mexiko-Stadt, der hier anwesend ist, und danke ihm für alles, was er in diesen Vorbereitungsmonaten zusammen mit seinen Mitarbeitern bereits verwirklicht hat. Alle christlichen Familien der Welt blicken auf diese der Kirche »immer treue« Nation, die allen Familien der Welt ihre Tore öffnen wird. Ich lade die kirchlichen Gemeinschaften, besonders die Familiengruppen, die Bewegungen und Vereine für Familien, ein, sich geistlich auf dieses gnadenreiche Ereignis vorzubereiten. Verehrte und liebe Brüder, ich danke euch noch einmal für euren Besuch und für die in diesen Tagen vollbrachte Arbeit; ich versichere euch meines Gedenkens im Gebet und erteile euch und euren Lieben von Herzen den Apostolischen Segen.



Benedikt XVI Predigten 182