Centesimus annus 24


24 Die zweite Ursache der Krise ist zweifellos die Untauglichkeit des Wirtschaftssystems. Hier geht es nicht bloß um ein technisches Problem, sondern vielmehr um die Folgen der Verletzung der menschlichen Rechte auf wirtschaftliche Initiative, auf Eigentum und auf Freiheit im Bereich der Wirtschaft. Dazu kommt die kulturelle und nationale Dimension. Man kann den Menschen nicht einseitig von der Wirtschaft her begreifen und auch nicht auf Grund der bloßen Zugehörigkeit zu einer Klasse. Der Mensch wird am umfassendsten dann erfaßt, wenn er im Kontext seiner Kultur gesehen wird, das heißt wie er sich durch die Sprache, die eigene Geschichte und durch die Grundhaltungen in den entscheidenden Ereignissen des Lebens, in der Geburt, in der Liebe, im Tod, darstellt. Im Mittelpunkt jeder Kultur steht die Haltung, die der Mensch dem größten Geheimnis gegenüber einnimmt: dem Geheimnis Gottes. Die Kulturen der einzelnen Nationen sind im Grunde nur verschiedene Weisen, sich der Frage nach dem Sinn der eigenen Existenz zu stellen; wird diese Frage ausgeklammert, entarten die Kultur und die Moral der Völker. Deshalb hat sich der Kampf für die Verteidigung der Rechte der Arbeit spontan mit dem Kampf für die Kultur und die Rechte der Nation verbunden. Die wahre Ursache der jüngsten Ereignisse ist jedoch die vom Atheismus hervorgerufene geistige Leere. Sie hat die jungen Generationen ohne Orientierung gelassen und sie nicht selten veranlaßt, bei ihrer ununterdrückbaren Suche nach der eigenen Identität und nach dem Sinn des Lebens die religiösen Wurzeln der Kultur ihrer Nationen und die Person Christi selbst wiederzuentdecken als einzige Antwort auf die im Herzen jedes Menschen vorhandene Sehnsucht nach Glück, Wahrheit und Leben. Diesem Suchen ist das Zeugnis all derer entgegengekommen, die unter schwierigen Umständen und unter Verfolgungen Gott die Treue hielten. Der Marxismus hatte versprochen, das Verlangen nach Gott aus dem Herzen des Menschen zu tilgen. Die Ergebnisse aber haben bewiesen, daß dies nicht gelingen kann, ohne dieses Herz selber zu zerrütten.


25 Die Ereignisse des Jahres 1989 bieten ein Beispiel für den Erfolg des Verhandlungswillens und des evangelischen Geistes gegenüber einem Gegner, der entschlossen war, sich nicht von sittlichen Normen eingrenzen zu lassen. Sie sind eine Warnung für alle, die im Namen des politischen Realismus Recht und Moral aus der Politik verbannen wollen. Der Kampf, der zu den Veränderungen von 1989 führte, hat sicher Klarheit, Mäßigung, Leiden und Opfer verlangt; er ist in gewissem Sinne aus dem Gebet entstanden und wäre ohne ein grenzenloses Vertrauen in Gott, den Herrn der Geschichte, der das Herz der Menschen in seinen Händen hält, undenkbar

gewesen. Indem der Mensch sein Leiden für die Wahrheit und die Freiheit dem Leiden Christi am Kreuz hinzufügt, vermag er das Wunder des Friedens zu vollbringen, und ist imstande, den schmalen Pfad zu erkennen zwischen der Feigheit, die dem Bösen weicht, und der Gewalt, die sich zwar einbildet, das Böse zu bekämpfen, es aber in Wirklichkeit verschlimmert.

Man darf allerdings nicht die zahlreichen Bedingtheiten übersehen, von denen die Freiheit des einzelnen Menschen abhängt. Sie beeinflussen die Freiheit, aber bestimmen sie nicht; sie erleichtern mehr oder weniger ihre Ausübung, können sie aber nicht zerstören. Es ist nicht nur vom ethischen Standpunkt her nicht gestattet, die Natur des Menschen, der zur Freiheit geschaffen ist, zu übersehen. Es ist praktisch gar nicht möglich. Dort, wo sich die Gesellschaft so organisiert, daß der legitime Raum der Freiheit willkürlich eingeschränkt oder gar zerstört wird, löst sich das gesellschaftliche Leben nach und nach auf und verfällt schließlich.

Der zur Freiheit geschaffene Mensch trägt in sich die Wunde der Ursünde, die ihn ständig zum Bösen treibt und erlösungsbedürftig macht. Diese Lehre ist nicht nur ein wesentlicher Bestandteil der christlichen Offenbarung, sondern sie besitzt auch einen großen hermeneutischen Wert, weil sie die Wirklichkeit des Menschen begreifen hilft. Der Mensch strebt zum Guten, aber er ist auch des Bösen fähig; er kann über sein unmittelbares Interesse hinausgehen und bleibt dennoch daran gebunden. Die Gesellschaftsordnung wird um so beständiger sein, je mehr sie dieser Tatsache, Rechnung trägt. Sie wird nicht das persönliche Interesse dem Gesamtinteresse der Gesellschaft entgegenstellen, sondern nach Möglichkeiten einer fruchtbaren Zusammenarbeit suchen. Denn wo das Interesse des einzelnen gewaltsam unterdrückt wird, wird es durch ein drückendes System bürokratischer Kontrolle ersetzt, das die Quellen der Initiative und Kreativität versiegen läßt. Wenn Menschen meinen, sie verfügten über das Geheimnis einer vollkommenen Gesellschaftsordnung, die das Böse unmöglich macht, dann glauben sie auch, daß sie für deren Verwirklichung jedes Mittel, auch Gewalt und Lüge, einsetzen dürfen. Die Politik wird dann zu einer "weltlichen Religion", die sich einbildet, das Paradies in dieser We1t zu errichten. Aber niemals wird irgendeine politische Gesellschaft, die ihre eigene Autonomie und ihre eigenen Gesetze besitzt (55), mit dem Reich Gottes verwechselt werden können. Das biblische Gleichnis vom guten Samen und vom Unkraut (vgl
Mt 13,24-30 Mt 13,36-43) lehrt uns aber, daß es allein Gott zusteht, die Söhne des Reiches und die Söhne des Bösen zu scheiden, und daß dieses Urteil erst am Ende der Zeiten stattfinden wird. Indem der Mensch sich anmaßt, dieses Urteil schon jetzt zu verkünden, setzt er sich an die Stelle Gottes und widersetzt sich seiner Geduld.

Durch den Opfertod Christi am Kreuz ist der Sieg des Reiches Gottes ein für allemal erworben. Doch Christ sein besagt immer den Kampf gegen die Anfechtungen und die Macht des Bösen. Erst am Ende der Geschichte wird der Herr zum Endgericht wiederkommen in Herrlichkeit (vgl. Mt 25,31) und den neuen Himmel und die neue Erde errichten (vgl, 2P 3,13 Ap 21,2). Solange aber die Geschichte währt, vollzieht sich der Kampf zwischen Gut und Böse im Herzen des Menschen.

Was uns die Schrift über die Bestimmung des Gottesreiches lehrt, ist nicht ohne Folgen für das Leben der weltlichen Gesellschaften, die der irdischen Wirklichkeit angehören mit aller Unvollkommenheit und Vorläufigkeit, mit der diese behaftet ist. Das Reich Gottes, das in der Welt gegenwärtig ist, ohne von der Welt zu sein, erleuchtet die Ordnung der menschlichen Gesellschaft, während die Kräfte der Gnade sie, durchdringen und beleben. So werden die Erfordernisse einer menschenwürdigen Gesellschaft besser erfaßt, die Abirrungen berichtigt und der Mut, für das Gute zu wirken, gestärkt. Zu dieser Aufgabe der Neubelebung der Welt des Menschen aus dem Evangelium sind, zusammen mit allen Menschen guten Willens, die Christen und in besonderer Weise die Laien aufgerufen (56).

(55) Vgl. II. VATIKANISCHES KONZIL, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, Nr. GS 36 GS 39.
(56) Vgl. Apostolisches Schreiben Christifideles laici (30. Dezember l988), Nr. CL 32-44: AAS 81 (1989) 431-481.


26 Die Ereignisse von 1989 haben sich vorwiegend in den Ländern Ost- und Mitteleuropas zugetragen; sie haben jedoch eine we1tweite Bedeutung, da von ihnen positive und negative Folgen ausgehen, die die ganze Menscheitsfamilie betreffen. Diese Folgen haben keinen mechanischen oder fatalistischen Charakter, sondern sind Herausforderungen an die menschliche Freiheit zur Mitarbeit am Heilsplan Gottes, der in der Geschichte handelt. Die erste Folge war in einigen Ländern die Begegnung zwischen Kirche und Arbeiterbewegung, die aus einer sittlichen und ausdrücklich christlichen Reaktion gegen eine weitverbreitete Situation der Ungerechtigkeit entstanden war. In der Überzeugung, die Proletarier müßten sich, um wirksam gegen die Unterdrückung zu kämpfen, die ökonomistischen und materialistischen Theorien des entstehenden Kapitalismus aneignen, geriet diese Bewegung für ungefähr ein Jahrhundert unter die Vorherrschaft des Marxismus.

In der Krise des Marxismus tauchen spontan die Formen des Arbeiterbewußtseins wieder auf, die eine Forderung nach Gerechtigkeit und Anerkennung der Würde der Arbeit zum Ausdruck bringen, wie sie der Soziallehre der Kirche entspricht (57). Die Arbeiterbewegung mündet in eine allgemeinere Bewegung der Werktätigen und der Menschen guten Willens für die Befreiung des Menschen und für die Bejahung seiner Rechte ein. Sie erfaßt heute viele Länder und, weit davon entfernt, sich der katholischen Kirche entgegenzustellen, blickt sie mit Interesse auf diese Kirche.

Die Krise des Marxismus beseitigt nicht die Situationen von Ungerechtigkeit und Unterdrückung in der Welt; von ihnen holte sich der Marxismus seinen Zulauf, indem er sie als sein Werkzeug benutzte. Allen denen, die heute auf der Suche nach einer neuen und authentischen Theorie und Praxis der Befreiung sind, bietet die Kirche nicht nur ihre Soziallehre und überhaupt ihre Botschaft über den in Christus erlösten Menschen, sondern auch ihren konkreten Einsatz und ihre Hilfe für den Kampf gegen die Ausgrenzung und das Leiden an.

Das ehrliche Verlangen, auf der Seite der Unterdrückten zu stehen und nicht vom Lauf der Geschichte abgeschnitten zu werden, hat in jüngster Vergangenheit viele Gläubige dazu verleitet, auf verschiedene Weise einen gar nicht möglichen Kompromiß zwischen Marxismus und Christentum zu versuchen. Unsere Zeit ist dabei, all das zu überwinden, was an jenen Versuchen unzulässig war, und neigt dazu, wieder den positiven Wert einer authentischen Theologie der umfassenden menschlichen Befreiung geltend zu machen (58). Unter dieser Hinsicht erweisen sich die Ereignisse des Jahres 1989 auch für die Länder der Dritten Welt als bedeutsam, die auf der Suche nach dem Weg ihrer Entwicklung sind, so wie es die Länder Mittel- und Osteuropas gewesen sind.

(57) Vgl. Enzyklika Laborem exercens, Nr.
LE 20: a.a.O., 629-632.
(58) Vgl. KONGREGATION FÜR DIE GLAUBENSLEHRE, Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung Libertatis conscientia (22. März 1986): AAS 79(1987)554-599.


27 Die zweite Folgerung betrifft die Völker Europas. In den Jahren, in denen der Kommunismus herrschte, und auch schon vorher wurden zahlreiche individuelle und soziale, regionale und nationale Ungerechtigkeiten begangen. Viel Haß und Groll hat sich aufgestaut. Es besteht die Gefahr, daß sich nach dem Zusammenbruch der Diktatur diese Gefühle des Hasses und des Zornes neu entladen und ernste Konflikte und Trauer auslösen, sobald die moralische Kraft und das bewußte Bemühen, von der Wahrheit Zeugnis zu geben, nachlassen. Es ist zu wünschen, daß vor allem in den Herzen jener, die für die Gerechtigkeit kämpfen, nicht Haß und Gewalt triumphieren und in allen der Geist des Friedens und der Vergebung wachse.

Es müssen jedoch konkrete Schritte unternommen werden, um internationale Strukturen zu schaffen bzw. zu stärken, denen es im Fall von Konflikten zwischen den Nationen möglich ist, durch den entsprechenden Schiedsspruch einzugreifen. Auf diese Weise werden jeder Nation ihre Rechte gesichert, und gleichzeitig werden durch gerechte Übereinkunft und friedliche Schlichtung die Rechte der anderen gewahrt. Das alles ist besonders notwendig für die europäischen Nationen, die durch. das Band der gemeinsamen Kultur und tausendjährigen Geschichte eng miteinander verbunden sind. Für den moralischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau in den Ländern, die den Kommunismus aufgegeben haben, bedarf es einer großen Anstrengung. Über lange Zeit wurden die elementarsten Wirtschaftsbeziehungen verzerrt. Grundlegende Tugenden des Wirtschaftslebens, wie Zuverlässigkeit, Aufrichtigkeit, Fleiß, wurden entwürdigt. Es braucht einen geduldigen. materiellen und moralischen Wiederaufbau. Gleichzeitig fordern die von jahrelangen Entbehrungen zermürbten Völker von ihren Regierungen greifbare und schnelle Erfolge, was den Wohlstand betrifft, und eine angemessene Befriedigung ihrer berechtigten Ansprüche.

Der Zusammenbruch des Marxismus hatte natürlich Auswirkungen von großer Tragweite auf die Spaltung der Erde in voneinander abgeschlossene und miteinander eifersüchtig ringende Welten. Er rückt die Wirklichkeit der gegenseitigen Abhängigkeit der Völker klarer ins Licht und ebenso die Tatsache, daß die menschliche Arbeit von Natur aus dazu bestimmt ist, die Völker zu verbinden, nicht aber, sie zu spalten. Friede und Wohlergehen sind Güter, die dem ganzen Menschengeschlecht gehören. Es ist nicht möglich, sie zu Recht und auf Dauer zu genießen, wenn sie zum Schaden anderer Völker und Nationen gewonnen und bewahrt werden, indem sie ihre Rechte verletzen oder sie von den Quellen des Wohlstandes ausschließen.


28 Für einige Länder Europas beginnt in gewissem Sinne die eigentliche Nachkriegszeit. Die radikale Neuordnung der bisherigen Kollektivwirtschaften bringt Probleme und Opfer mit sich, die sich mit jenen vergleichen lassen, die die westlichen Länder des Kontinents für ihren Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg auf sich nahmen. Es ist nur gerecht, daß die ehemals kommunistischen Länder in den derzeitigen Schwierigkeiten von der solidarischen Hilfe der anderen Nationen unterstützt werden. Natürlich müssen sie selbst die ersten Baumeister ihrer Entwicklung sein; aber es muß ihnen eine entsprechende Möglichkeit dazu geboten werden. Das kann nur mit der Hilfe der anderen Länder geschehen. Die derzeitige von Schwierigkeiten und Mangel geprägte Lage ist die Folge eines historischen Prozesses, in dem die ehemaligen kommunistischen Länder meist Objekt und nicht Subjekt waren. Sie befinden sich also nicht auf Grund ihrer freien Entscheidung oder auf Grund begangener Irrtümer in dieser Situation, sondern infolge tragischer geschichtlicher Ereignisse, die ihnen gewaltsam aufgezwungen wurden und die sie daran gehindert haben, den Weg der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung zu gehen.

Die Hilfe der anderen, vor allem der europäischen Länder, die an dieser Geschichte teilgenommen haben und dafür Mitverantwortung tragen, entspricht einer Verpflichtung der Gerechtigkeit. Aber sie entspricht auch dem Interesse und dem allgemeinen Wohl Europas. Europa wird nicht in Frieden leben können, wenn die vielfältigen Konflikte, die als Folge der Vergangenheit aufbrechen, sich durch wirtschaftlichen Niedergang, geistige Unzufriedenheit und Verzweiflung verschärfen.

Diese Forderung darf jedoch nicht dazu verleiten, die Bemühungen um Unterstützung und Hilfe an die Länder der Dritten Welt zu verringern, die oft unter noch schwereren Situationen der Not und Armut leiden (59). Es wird vielmehr außerordentlicher Anstrengungen bedürfen, um die Ressourcen, an denen es der Welt insgesamt nicht fehlt, für das Wirtschaftswachstum und die Entwicklung aller aufzubringen. Man wird die Prioritäten und die Werteskalen, auf Grund derer die wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen getroffen werden, neu definieren müssen. Gewaltige Mittel können durch den Abbau des riesigen Militärpotentials, das im Ost-WestKonflikt aufgebaut worden war, verfügbar gemacht werden. Sie könnten noch wesentlich gesteigert werden, wenn es gelingt, anstelle von Kriegen wirksame Verfahren für die Lösung von Konflikten festzulegen und damit das Prinzip der Rüstungskontrolle und der

Rüstungsbeschränkung in Verbindung mit geeigneten Maßnahmen gegen den Waffenhandel auch in den Ländern der Dritten Welt anzuwenden (60). Vor allem aber ist es notwendig, eine Denkweise aufzugeben, die die Armen der Erde - Personen und Völker - als eine Last und als unerwünschte Menschen ansieht, die das zu konsumieren beanspruchen, was andere erzeugt haben. Die Armen verlangen das Recht, an der Nutzung der materiellen Güter teilzuhaben und ihre Arbeitsfähigkeit einzubringen, um eine gerechtere und für alle glücklichere We1t aufzubauen. Die Hebung der Armen ist eine große Gelegenheit für das sittliche, kulturelle und wirtschaftliche Wachstum der gesamten Menschheit.

(59) Vgl. Ansprache am Sitz des Rates der C.E.A.O. anläßlich des X. Jahrestages des "Appells für den Sahel" (Ouagadougou, Burkina Faso, 29. Januar 1990): AAS 82(1990)816-821.
(60) Vgl. JOHANNES XXIII., Enzyklika Pacem in terris, III
PT 47-67: a.a.O., 286-288.


29 Schließlich darf die Entwicklung nicht ausschließlich ökonomisch, sondern im gesamtmenschlichen Sinn verstanden werden (61). Es geht nicht einfach darum, alle Völker auf das Niveau zu heben, dessen sich heute die reichsten Länder erfreuen. Es geht vielmehr darum, in solidarischer Zusammenarbeit ein menschenwürdigeres Leben aufzubauen, die Würde und Kreativität jedes einzelnen wirksam zu steigern, seine Fähigkeit, auf seine Berufung und damit auf den darin enthaltenen Anruf Gottes zu antworten. Auf dem Höhepunkt der Entwick1ung steht die Ausübung des Rechtes und der Pflicht, Gott zu suchen, ihn kennenzulernen und nach dieser Erkenntnis zu leben (62). In den totalitären und autoritären Regimes wurde das Prinzip des Vorrangs der Macht vor der Vernunft auf die Spitze getrieben. Der Mensch wurde gewaltsam zur Annahme einer Weltanschauung gezwungen, zu der er nicht durch das Bemühen der eigenen Vernunft und die Ausübung seiner Freiheit gelangt war. Dieses Prinzip muß zum Sturz gebracht werden, und die Rechte des menschlichen Gewissens, das nur der Wahrheit, sowohl der natürlichen wie der geoffenbarten, verpflichtet ist, müssen wieder voll zur Geltung kommen. In der Anerkennung dieser Rechte besteht die wesentliche Grundlage jeder wirklich freien politischen Ordnung (63). Es ist wichtig, dieses Prinzip heute aus drei Gründen neu einzuschärfen.

a) Die alten Formen des Totalitarismus und Autoritarismus sind noch nicht vollständig besiegt, und es besteht die Gefahr, daß sie neuen Auftrieb bekommen. Das drängt zu einem erneuerten Bemühen um Zusammenarbeit und Solidarität zwischen allen Ländern.

b) Es gibt in den Industrieländern bisweilen eine geradezu besessene Propaganda für die rein utilitaristischen Werte, verbunden mit einer Enthemmung der Triebe und einem Drang zum unmittelbaren Genuß, die ein Erkennen und Anerkennen einer Werthierarchie im Leben geradezu unmöglich macht.

c) In einigen Ländern zeigen sich neue Formen eines religiösen Fundamentalismus. Verschleiert, aber auch offen wird den Bürgern eines anderen Glaubensbekenntnisses die freie Ausübung ihrer bürgerlichen und religiösen Rechte verwehrt. Sie werden daran gehindert, sich voll am kulturellen Geschehen zu beteiligen. Der Kirche wird das Recht auf freie Verkündigung des Evangeliums eingeschränkt. Menschen, die diese Botschaft hören, wird verboten, sie anzunehmen und sich zu Christus zu bekehren. Ohne die Achtung des natürlichen Grundrechtes, die Wahrheit zu erkennen und nach ihr zu leben, gibt es keinen echten Fortschritt. Aus diesem Recht folgt als seine Verwirklichung und Vertiefung das Recht, Jesus Christus, der das wahre Gut des Menschen ist, frei zu entdecken und anzunehmen (64).

(61) Vgl. Enzyklika Sollicitudo rei socialis, Nr.
SRS 27-28: a.a.O., 547-550; PAUL VI., Enzyklika Populorum progressio, Nr. PP 43-44: a.a.O., 278f.
(62) Vgl. Enzyklika Sollicitudo rei socialis, Nr. SRS 29-31: a.a.O., 550-556.
(63) Vgl. Schlußakte von Helsinki und Wiener Abkommen; LEO XIII., Enzyklika Libertas praestantissimum, Nr. 5: a.a.O., 215-217.
(64) Vgl. Enzyklika Redemptoris missio (7. Dezember 1990), Nr. RMi 7: L'Osservatore Romano, 23. Januar 1991.


IV. Kapitel: Das Privateigentum und die universale Bestimmung der Güter

30 In Rerum novarum machte Leo XIII. gegen den Sozialismus seiner Zeit nachdrücklich den natürlichen Charakter des Rechtes auf privates Eigentum mit verschiedenen Argumenten geltend (65). Dieses für die Autonomie und Entwicklung der Menschen grundlegende Recht ist von der Kirche bis in unsere Tage stets verteidigt worden. Ebenso lehrt die Kirche, daß der Güterbesitz kein absolutes Recht darstellt, sondern in seiner Rechtsnatur die ihm eigenen Grenzen in sich trägt.

Zugleich mit der Verkündigung des Rechtes auf Privateigentum stellte der Papst mit gleicher Eindringlichkeit fest, daß der "Gebrauch" der Güter, der der Freiheit anvertraut ist, der ursprünglichen Zielbestimmung der geschaffenen Güter für alle und dem im Evangelium bekundeten Willen Jesu Christi untergeordnet sei. So schrieb er: "Es ergeht also die Mahnung ... an die mit G1ücksgütern Gesegneten ... Die auffälligen Drohungen Jesu Christi an die Reichen müßten diese mit Furcht erfüllen, denn dem ewigen Richter wird einst strengste Rechenschaft über den Gebrauch der Güter dieses Lebens abgelegt werden müssen". Und indem er den hl. Thomas von Aquin zitiert, fährt er fort: "Fragt man nun, wie der Gebrauch des Besitzes beschaffen sein müsse, so antwortet die Kirche ( ... ): "Der Mensch muß die äußeren Dinge nicht wie ein Eigentum, sondern wie gemeinsames Gut betrachten"", denn "über den Gesetzen und den Urteilen der Menschen steht das Gesetz und der Richtspruch Christi" (66).

Die Nachfolger Leos XIII. haben die Doppelaussage wiederholt: die Notwendigkeit und damit die Erlaubtheit des Privateigentums und zugleich die Grenzen, die auf ihm lasten (67). Auch das II. Vatikanische Konzil hat die traditionelle Lehre wieder vorgelegt mit Worten, die es verdienen, genau wiedergegeben zu werden: "Darum soll der Mensch, der sich dieser Güter bedient, die äußeren Dinge, die er rechtmäßig besitzt, nicht nur als ihm persönlich zu eigen, sondern er muß sie zugleich auch als Gemeingut ansehen in dem Sinn, daß sie nicht ihm allein, sondern auch anderen von Nutzen sein können". Und etwas später heißt es: "Privateigentum oder ein gewisses Maß an Verfügungsmacht über äußere Güter vermitteln den unbedingt nötigen Raum für eigenverantwortliche Gestaltung des persönlichen Lebens jedes einzelnen

und seiner Familie; sie müssen als eine Art Verlängerung der menschlichen Freiheit betrachtet werden ... Aber auch das Privateigentum selbst hat eine ihm wesentliche soziale Seite; sie hat ihre Grundlage in der Widmung der Erdengüter an alle" (68). Dieselbe Lehre habe ich zuerst in der Ansprache an die III. Konferenz der lateinamerikanischen Bischöfe in Puebla und dann in den Enzykliken Laborem exercens und Sollicitudo rei socialis aufgegriffen (69).

(65) Vgl. Enzyklika Rerum novarum, Nr. 3-12; 38-39: a.a.O., 99-107; 131-133.
(66) Ebd., Nr. 18; 19: a.a.O., 111-113f.
(67) Vgl. PIUS XI., Enzyk1ika Quadragesimo anno, II: a.a.O., 191; PIUS XII, Radiobotschaft vom 1. Juni 1941: a.a.O., 199; JOHANNES XXIII., Enzyklika Mater et Magistra: a.a.O.,
MM 428-429; PAUL VI., Enzyklika Populorum progressio, Nr. PP 22-24: a.a.O., 268f.
(68) Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, Nr. GS 69 GS 71.
(69) Vgl. Ansprache an die lateinamerikanischen Bischöfe in Puebla (28. Januar l979), III,4: AAS 71(1979)199-201; Enzyklika Laborem exercens, Nr. LE 14: a.a.O., 612-616; Enzyklika Sollicitudo rei socialis, Nr. SRS 42: a.a.O., 572-574.


31 Wenn man diese Lehre, über das Recht auf Eigentum und die Gemeinbestimmung der Güter im Hinblick auf unsere Zeit wieder liest, kann man sich die Frage nach dem Ursprung der Güter stellen, die den Lebensunterhalt des Menschen bilden, seine Bedürfnisse befriedigen und Objekt seiner Rechte sind.

Der erste Ursprung alles Guten ist Gottes Handeln selbst, der die Welt und den Menschen geschaffen und dem Menschen die Erde übergeben hat, damit er sie sich durch seine Arbeit unterwerfe und ihre Früchte genieße (vgl.
Gn 1,28-29). Gott hat die Erde dem ganzen Menschengeschlecht geschenkt, ohne jemanden auszuschließen oder zu bevorzugen, auf daß sie alle seine Mitglieder ernähre. Hier liegt die Wurzel der universalen Bestimmung der Güter der Erde. Sie ist auf Grund ihrer Fruchtbarkeit und Fähigkeit, die Bedürfnisse des Menschen zu erfüllen, die erste Gabe Gottes für den Lebensunterhalt des Menschen. Doch die Erde schenkt ihre Früchte nicht ohne eine bewußte Antwort des Menschen auf die Gabe Gottes, das heißt ohne Arbeit. Durch die Arbeit gelingt es dem Menschen, sich unter Gebrauch seines Verstandes und seiner Freiheit die Erde zu unterwerfen und zu seiner würdigen Wohnstatt zu machen. Auf diese Weise macht er sich einen Teil der Erde zu eigen, den er sich durch Arbeit erworben hat. Hier liegt der Ursprung des Privateigentums. Natürlich hat der Mensch auch die Verantwortung, nicht zu verhindern, daß andere Menschen ihren Anteil an der Gabe Gottes erhalten, ja, er muß mit ihnen zusammenarbeiten, so daß sie miteinander über die ganze Erde herrschen.

In der Geschichte finden sich am Beginn jeder menschlichen Gesellschaft stets diese beiden Faktoren: die Arbeit und die Erde. Nicht immer aber stehen sie im selben Verhältnis zueinander. Früher erschien die natürliche Fruchtbarkeit der Erde als der Hauptfaktor des Reichtums, was sie auch tatsächlich war, während die Arbeit eine Art Hilfe und Unterstützung dieser Fruchtbarkeit war. Heute aber wird die menschliche Arbeit als Produktionsfaktor der geistigen und materiellen Reichtümer immer wichtiger. Zudem wird offenkundig, daß die Arbeit des einen und die Arbeit der anderen ineinandergreifen und sich verflechten. Arbeiten ist heute mehr denn je ein Arbeiten mit den anderen und ein Arbeiten für die anderen: Arbeiten besagt, etwas für jemanden tun. Die Arbeit ist um so fruchtbarer und produktiver, je mehr der Mensch imstande ist, die Produktivkraft der Erde und die wahren Bedürfnisse des anderen Menschen zu erkennen, für den die Arbeit getan wird.


32 Aber besonders in der heutigen Zeit gibt: es noch eine andere Form von Eigentum, der keine geringere Bedeutung als dem Besitz der Erde zukommt: Es ist das der Besitz von Wissen, von Technik und von Können. Der Reichtum der Industrienationen beruht zu einem viel größeren Teil auf dieser Art des Eigentums als auf dem der natürlichen Ressourcen.

Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß der Mensch mit den anderen Menschen arbeitet, daß er an einem "Gemeinschaftswerk teilnimmt, das immer weitere Kreise umfaßt. Wer ein Produkt erstellt, tut das außer zum persönlichen Gebrauch im allgemeinen dafür, daß andere davon Gebrauch machen können, nachdem sie den durch freie Verhandlung vereinbarten gerechten Preis gezahlt haben. Gerade die Fähigkeit, die Bedürfnisse der anderen Menschen und die Kombinationen der geeignetsten Produktionsfaktoren für ihre Befriedigung rechtzeitig zu erkennen, ist eine bedeutende Quelle des Reichtums in der modernen Gesellschaft. Viele Güter können gar nicht durch die Arbeitskraft nur eines einzelnen wirksam erstellt werden, sondern sie erfordern die Zusammenarbeit vieler für dasselbe Ziel. Einen solchen Produktionsprozeß zu organisieren, seinen Bestand zu planen, dafür zu sorgen, daß er, unter Übernahme der notwendigen Risiken, der Befriedigung der Bedürfnisse positiv entspricht: auch das ist eine Quelle des Reichtums in der heutigen Gesellschaft. So wird die Rolle der geordneten und schöpferischen menschlichen Arbeit immer offensichtlicher und entscheidender. Aber ebenso sichtbar wird - als wesentlich zu dieser Arbeit gehörend - die Bedeutung der wirtschaftlichen Initiative und des Unternehmertums (70).

Ein solcher Vorgang, der eine vom Christentum seit jeher vertretene Wahrheit über den Menschen konkret ins Licht rückt, muß mit Aufmerksamkeit und Wohlwollen betrachtet werden. Die wichtigste Ressource des Menschen ist in der Tat, zusammen mit der Erde, der Mensch selbst. Sein Verstand entdeckt die Produktivkraft der Erde und die Vielfalt der Formen, wie die menschlichen Bedürfnisse befriedigt werden können. Seine geordnete Arbeit in solidarischer Zusammenarbeit ermöglicht die Erstellung von immer umfassenderen und zuverlässigeren Arbeitsgemeinschaften zur Umgestaltung der natürlichen und menschlichen Umwelt. In diesen Prozeß sind wichtige Tugenden mit einbezogen, wie Fleiß, Umsicht beim Eingehen zumutbarer Risiken, Zuverlässigkeit und Treue in den zwischenmenschlichen Beziehungen, Festigkeit bei der Durchführung von schwierigen und schmerzvollen, aber für die Betriebsgemeinschaft notwendigen Entscheidungen und bei der Bewältigung etwaiger Schicksa1sschläge.

Die moderne Betriebswirtschaft enthält durchaus positive Aspekte. Ihre Wurzel ist die Freiheit des Menschen, die sich in der Wirtschaft wie auf vielen anderen Gebieten verwirklicht. Die Wirtschaft ist ein Teilbereich des vielfältigen menschlichen Tuns, und in ihr gilt, wie auf jedem anderen Gebiet, das Recht auf Freiheit sowie die Pflicht, von ihr verantwortlichen Gebrauch zu machen. Aber hier gibt es spezifische Unterschiede zwischen den Tendenzen der modernen Gesellschaft und jenen der Vergangenheit. War früher der entscheidende Produktionsfaktor die Erde und später das Kapital, verstanden als Gesamtbestand an Maschinen und

Produktionsmitteln, so ist heute der entscheidende Faktor immer mehr der Mensch selbst, das heißt seine Erkenntnisfähigkeit in Form wissenschaftlicher Einsicht, seine Fähigkeit, Organisation in Solidarität zu erstellen, und sein Vermögen, das Bedürfnis des anderen wahrzunehmen und zu befriedigen.

(70) Vgl. Enzyklika Sollicitudo rei socialis, Nr.
SRS 15: a.a.O., 528-531.


33 Es ist jedoch notwendig, auf die mit diesem Vorgang zusammenhängenden Gefahren und Probleme hinzuweisen. Viele Menschen, vielleicht die große Mehrheit, verfügen heute nicht über Mittel, die ihnen tatsächlich und auf menschenwürdige Weise den Eintritt in ein Betriebssystem erlauben, in dem die Arbeit eine wahrhaft zentrale Stellung einnimmt. Sie haben keine Möglichkeit, jene Grundkenntnisse zu erwerben, die es ihnen ermöglichen würden, ihre Kreativität zum Ausdruck zu bringen und ihre Leistungsfähigkeit zu entfalten. Sie haben keine Gelegenheit, in das Gefüge von Beziehungen und Kommunikationen einzutreten, das ihnen die Erfahrung vermitteln würde, daß ihre Fähigkeiten geschätzt und gebraucht werden. Um es kurz zu sagen: Sie sind, wenn auch nicht gerade Ausgebeutete, doch weithin Randexistenzen; die wirtschaftliche Entwicklung geht über ihre Köpfe hinweg, wenn sie nicht sogar die ohnehin schon engen Räume ihrer traditionellen Subsistenzwirtschaften noch weiter einschränkt. Unfähig, der Konkurrenz von Waren standzuhalten, die auf neue Weise hergestellt werden und Bedürfnissen begegnen, die sie früher mit herkömmlichen Organisationsformen zu bewältigen gewohnt waren, angelockt vom Glanz eines zur Schau gestellten, aber für sie unerreichbaren Reichtums und gleichzeitig getrieben von der Not, drängen sich diese Menschen in den Städten der Dritten We1t zusammen, wo sie oft kulturell entwurzelt sich in Situationen drohender Unsicherheit befinden, ohne Möglichkeit zur Integration. Ihnen wird de facto keine Menschenwürde zuerkannt, und manchmal versucht man sie durch eine zwangsweise vorgenommene menschenunwürdige Bevölkerungskontrolle aus der Geschichte zu eliminieren.

Viele andere Menschen leben, auch wenn sie nicht völlige Randexistenzen sind, in einem Milieu, wo der Kampf um das Notwendigste den absoluten Vorrang hat. Dort herrschen noch die Regeln des Kapitalismus der Gründerzeit mit einer Erbarmungslosigkeit, die jener der finstersten Jahre der ersten Industrialisierungsphase in nichts nachsteht. In anderen Fällen ist noch der Boden der Grundfaktor der Wirtschaft. Jene aber, die ihn bebauen, sind von seinem Besitz ausgeschlossen und befinden sich in der Lage halber Sklaven (71). In solchen Fallen kann man noch heute wie zur Zeit von Rerum novarum von einer unmenschlichen Ausbeutung sprechen. Trotz der großen Veränderungen, die in den fortgeschrittenen Gesellschaften stattgefunden haben, ist das menschliche Defizit des Kapitalismus mit der daraus sich ergebenden Herrschaft der Dinge über die Menschen keineswegs überwunden; ja, für die Armen kam, zum Mangel an materiellen Gütern noch der Mangel an Wissen und Bildung hinzu, der es ihnen unmöglich macht, sich aus ihrer Lage erniedrigender Unterwerfung zu befreien.

Unter ähnlichen Bedingungen lebt leider noch immer die große Mehrheit der Bewohner der Dritten Welt. Es wäre jedoch falsch, diese Dritte Welt in einem bloß räumlichen Sinn zu verstehen. In ihr wurden in manchen Gegenden und in einigen gesellschaftlichen Bereichen Entwicklungsprozesse gefördert, die sich nicht so sehr auf die Erschließung materiellen Reichtums als vielmehr auf die der "menschlichen Ressourcen" konzentriert haben.

Noch vor wenigen Jahren wurde behauptet, die Entwicklung würde von der Isolierung der ärmsten Länder vom Weltmarkt und davon abhängen, daß sie nur auf ihre eigenen Kräfte vertrauen. Die jüngste Erfahrung aber hat bewiesen, daß die Länder, die sich ausgeschlossen haben, Stagnation und Rückgang erlitten haben; eine Entwicklung hingegen haben jene Länder durchgemacht, denen es gelungen ist, in das allgemeine Gefüge der internationalen Wirtschaftsbeziehungen einzutreten. Das größte Problem scheint also darin zu bestehen, einen gerechten Zugang zum internationalen Markt zu erhalten, der nicht auf dem einseitigen Prinzip der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, sondern auf der Erschließung menschlicher Ressourcen beruht (72).

Dritte-Welt-Aspekte treten jedoch auch in den Industrieländern dort auf, wo der ununterbrochene Wandel in den Produktionsweisen und im Konsumverhalten bereits erworbene Kenntnisse und langjährige Berufserfahrungen abwertet und ein ständiges Bemühen der Umschulung und Anpassung erfordert. Jene, denen es nicht gelingt, mit der Zeit Schritt zu halten, werden leicht an den Rand gedrängt. Mit ihnen werden die Alten, die Jugendlichen, denen der Einstieg in die Gesellschaft nicht gelingt, und allgemein die Schwachen und die sogenannte Vierte Welt zu Randgruppen. Auch die Situation der Frau ist unter diesen Bedingungen alles eher als leicht.

(71) Vgl. Enzyklika Laborem exercens, Nr.
LE 21: a.a.O., 632-634.
(72) Vgl. PAUL VI., Enzyklika Populorum progressio, Nr. PP 33-43: a.a.O., 273-278.


Centesimus annus 24