Ecclesia in America DE 44

Die Laien und die Erneuerung der Kirche


44 „Die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Einheit der Kirche als das in der Einheit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes versammelte Volk Gottes unterstreicht, daß der Würde aller Getauften die Nachahmung und Nachfolge Christi, die gegenseitige Gemeinschaft und der Missionsauftrag gemeinsam entspricht“ (156). Deshalb sollen sich auch die Laien ihrer Würde als Getaufte bewußt sein. Die Hirten ihrerseits sollen „das Zeugnis und die aktive Verkündigung des Evangeliums seitens der Laien“ hochschätzen, „die als Glieder des Gottesvolkes in einer Spiritualität der Gemeinschaft ihre Brüder zur Begegnung mit dem lebendigen Christus führen. Die kirchliche Erneuerung in Amerika wird ohne die aktive Teilnahme der Laien nicht möglich sein. Daher kommt ihnen zum großen Teil die Verantwortung für die Zukunft der Kirche zu“ (157).

Es gibt zwei Bereiche, in denen die Berufung der Laien verwirklicht wird: der erste Bereich, der am ehesten ihrem Laienstand entspricht, umfasst die weltlichen Dinge, die zu regeln die Laien nach Gottes Willen berufen sind (158). In der Tat „wird das Evangelium durch die besondere Art dieses Wirkungsbereiches in die Strukturen dieser Welt hineingetragen, und durch ihr allseits heiligmäßiges Wirken weihen sie diese Welt Gott“ (159) . Durch die Laien „verwirklicht sich die Präsenz und Mission der Kirche in der Welt auf besondere Weise in der Verschiedenheit der Charismen und Ämter, die es im Laienstand gibt. Die Weltzugewandtheit ist das eigentliche Charakteristikum der Laien und ihrer Spiritualität, die sie in Familie und Gesellschaft, am Arbeitsplatz, in Kultur und Politik tätig werden läßt. Zur Evangelisierung dieser Lebensbereiche sind die Laien berufen. Auf einem Kontinent, wo der Wetteifer und der Hang zur Aggression, die Unmäßigkeit im Konsum und die Korruption zur Tagesordnung gehören, sind die Laien berufen, zutiefst Werte des Evangeliums, wie Barmherzigkeit, Vergebung, Aufrichtigkeit, Transparenz des Herzens und Geduld unter schwierigen Bedingungen zu verkörpern. Von den Laien wird eine große kreative Kraft bezüglich ihres Wirkens und ihrer Werke erwartet – als Ausdruck eines Lebens, das im Einklang mit dem Evangelium steht“ (160).

Amerika braucht Laien, die leitende Verantwortung innerhalb der Gesellschaft übernehmen können. Dringend müssen Männer und Frauen ausgebildet werden, die gemäß ihrer eigenen Berufung im öffentlichen Leben handlungsfähig sind und es auf das Allgemeinwohl hin orientieren. Wenn sie sich in der Politik betätigen, wobei hier Politik im eigentlichsten und edelsten Sinn als Verwaltung des Gemeinwohls verstanden wird, kann dies für die Laien auch ein Weg zur Heiligung sein. Deshalb ist es notwendig, daß sie sowohl in den Grundsätzen und Werten der kirchlichen Soziallehre unterwiesen werden, als auch grundlegende Kenntnisse über die Theologie des Laien erlangen. Die vertiefte Kenntnis ethischer Grundsätze und christlicher Moralwerte wird es ihnen ermöglichen, dieselben in ihren Lebensbereichen zu fördern und sie auch angesichts der sogenannten „Neutralität des Staates“ zu verkünden (161).

Es gibt noch einen zweiten Bereich, in dem viele Laien berufen sind tätig zu sein, und den man als „innerkirchlich“ bezeichnen könnte. Viele Laien in Amerika verspüren den berechtigten Wunsch, mit ihren Talenten und Charismen zum Aufbau der kirchlichen Gemeinschaft beizutragen und zwar „als Verkünder des Wortes im Namen der Kirche, als Katecheten, als jene, die Kranke und Inhaftierte besuchen, als Gruppenleiter usw.“ (162). Die Synodenväter haben den Wunsch geäußert, die Kirche möge einige dieser Aufgabenbereiche als Laienämter anerkennen, die in den Sakramenten der Taufe und Firmung begründet sind, wobei jedoch der spezifische Charakter des Weihesakramentes unangetastet bleibt. Es handelt sich dabei um ein sehr umfangreiches und komplexes Thema, zu dessen Studium ich bereits vor einiger Zeit eine Sonderkommission eingerichtet habe (163) und worüber die verschiedenen Behörden des Heiligen Stuhls nach und nach einige Richtlinien erlassen haben (164). Man muß die nützliche Zusammenarbeit gut ausgebildeter Laien – Männer und Frauen – in den verschiedenen Tätigkeitsbereichen innerhalb der Kirche fördern, wobei selbstverständlich eine Verwechslung mit den Weiheämtern und den Tätigkeitsbereichen, die diesen Ämtern vorbehalten sind, vermieden werden muß, so daß klar zwischen dem gemeinsamen Priestertum der Gläubigen und dem Amtspriestertum unterschieden wird.

Diesbezüglich haben die Synodenväter vorgeschlagen, daß die den Laien anvertrauten Aufgabenbereiche „wohl zu unterscheiden sind von jenen, die Stufen zum Weihepriesteramt darstellen“ (165) und die den Priesteramtskandidaten noch vor ihrer Priesterweihe übertragen werden. Ebenso hat man angemerkt, daß diese Laienaufgaben „nur an Personen – Männer und Frauen – übertragen werden dürfen, die sich die dafür vorgesehene Ausbildung entsprechend bestimmter Kriterien, wie eine gewisse Beständigkeit, wirkliche Bereitschaft hinsichtlich bestimmter Personengruppen und die Verpflichtung, seinem eigenen Hirten dafür auch Rechenschaft abzulegen, angeeignet haben“ (166). Wenn auch das innerkirchliche Apostolat der Laien angeregt werden muß, soll jedenfalls dafür gesorgt werden, daß dieses Apostolat mit dem eigentlichen Tätigkeitsbereich der Laien zusammenfällt, in dem diese auch nicht durch die Priester ersetzt werden können: nämlich im Bereich der zeitlichen Dinge.

Die Würde der Frau


45 Die Berufung der Frau verdient besondere Beachtung. Bereits bei anderer Gelegenheit war es mir ein Anliegen, meine Wertschätzung für den spezifischen Beitrag der Frau zum Fortschritt der Menschheit und meine Anerkennung ihrer berechtigten Bestrebungen, voll und ganz am kirchlichen, kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Leben teilzunehmen, zum Ausdruck zu bringen (167). Ohne diesen Beitrag würde ein Reichtum verloren gehen, den nur „der Genius der Frau“ (168) zum kirchlichen Leben und zur Gesellschaft selbst beitragen kann. Dies nicht anzuerkennen wäre eine historische Ungerechtigkeit, besonders in Amerika, wenn man den Beitrag der Frauen zur materiellen und kulturellen Entwicklung des Kontinents und zur Weitergabe und Bewahrung des Glaubens in Betracht zieht. In der Tat „war ihre Rolle vor allem im geweihten Leben, in der Erziehung und in der Gesundheitspflege entscheidend“ (169).

In verschiedenen Gegenden des amerikanischen Kontinents ist die Frau leider immer noch Objekt von Diskriminierung. Daher kann man sagen, daß das Gesicht der Armen in Amerika auch das Gesicht vieler Frauen ist. In diesem Sinne haben die Synodenväter von einem „weiblichen Aspekt der Armut“ gesprochen (170). Die Kirche fühlt sich verpflichtet, auf der Menschenwürde zu bestehen, die allen Menschen gemeinsam ist. Sie „bezeichnet die Diskriminierung, den sexuellen Mißbrauch und die männliche Vorherrschaft als im Widerspruch zum göttlichen Heilsplan stehend“ (171). Insbesondere beklagt sie die mitunter aufgrund von Programmen vorgenommene Sterilisation von Frauen, vor allem von armen und ausgestoßenen Frauen, als verabscheuungswürdig. Diese wird oft auf trügerische Weise praktiziert, ohne daß die Betroffenen davon wissen. Das ist um so schlimmer, als man dafür auch noch um internationale wirtschaftliche Hilfe nachsucht.

Die Kirche auf diesem Kontinent fühlt sich verpflichtet, sich intensiver um die Frauen zu kümmern und sie zu verteidigen, „so daß die amerikanische Gesellschaft dem in der Ehe gründenden Familienleben mehr Hilfe zukommen läßt, die Mutterschaft mehr in Schutz nimmt und die Würde aller Frauen mehr achtet“ (172). Man muß den amerikanischen Frauen helfen, aktiv und verantwortungsvoll am Leben und der Sendung der Kirche teilzunehmen (173). Auch müssen die Kenntnisse und die Zusammenarbeit der Frauen in leitenden Aufgaben der amerikanischen Gesellschaft anerkannt werden.

Die Herausforderungen für die christliche Familie


46 Gott, der Schöpfer hat den ersten Mann und die erste Frau nach seinem Abbild geschaffen und ihnen den Auftrag gegeben: „Seid fruchtbar und vermehrt euch“ (Gn 1,28), wodurch er die Familie gründete. In diesem Heiligtum entsteht das Leben und dort wird es auch als Gottesgeschenk angenommen. Wird das Wort Gottes innerhalb der Familie häufig gelesen, so verwandelt es die Familie nach und nach zur Hauskirche, und es macht sie reich an Menschlichkeit und christlichen Tugenden. Dort entspringt auch die Quelle der Berufungen. Das familiäre Gebetsleben vor einem Bild der Muttergottes wird bewirken, daß die Familie, wie die Jünger Jesu, immer um die Mutter vereint bleibt (vgl. Apg Ac 1,14) 174 . Fast überall in Amerika wird die Institution Familie durch viele Gefahren bedroht, was für die Christen gleichzeitig eine Herausforderung darstellt. Zu erwähnen sind hier unter anderem die steigende Scheidungsrate, die Verbreitung der Abtreibung, des Kindermords und eine gegen die natürliche Empfängnis gerichtete Mentalität. Angesichts dieser Situation muß unterstrichen werden, „daß die Grundlage menschlichen Lebens die eheliche Beziehung zwischen Mann und Frau ist, die unter Christen ein Sakrament darstellt“ (175).

Daher muß dringend eine umfassende Katechese über das christliche Ideal der ehelichen Gemeinschaft und des Familienlebens betrieben werden, zu der auch die Spiritualität der Vaterschaft und der Mutterschaft gehört. Die Seelsorge muß der Rolle des Mannes als Gatte und Vater und der mit der Ehefrau zu teilenden Verantwortung für Ehe, Familie und Kindererziehung mehr Aufmerksamkeit schenken. Eine ernsthafte Unterweisung der Jugendlichen über die Ehe darf nicht unterlassen werden, wobei die katholische Lehre über dieses Sakrament unter theologischem, spirituellem und anthropologischem Aspekt mit aller Klarheit dargestellt werden muß. Auf einem Kontinent, der sich durch eine beachtenswerte demographische Entwicklung auszeichnet, wie es in Amerika der Fall ist, müssen die der Familie geltenden seelsorglichen Initiativen ständig zunehmen.

Damit die Familie wirklich eine „Hauskirche“ (176) ist, ist sie berufen, die Umgebung zu bilden, in der die Eltern den Glauben weitergeben, und sie „sollen […] durch Wort und Beispiel für ihre Kinder die ersten Glaubensboten sein“ (177). Auch darf in der Familie das Gebet nicht fehlen, in dem sich sowohl die Eheleute untereinander als auch mit ihren Kindern vereinen. Diesbezüglich sollen gemeinsame Zeiten des geistlichen Lebens gefördert werden, wie die Teilnahme an der Eucharistie an Feiertagen, der Empfang des Sakraments der Versöhnung, das tägliche Gebet innerhalb der Familie und konkrete Werke der Nächstenliebe. Auf diese Weise wird auch die eheliche Treue und die Familieneinheit gefestigt. In einem familiären Ambiente, das solche Wesenszüge trägt, wird es für die Kinder nicht schwierig sein, ihre Berufung für den Dienst in der Gemeinschaft und in der Kirche zu entdecken und besonders durch das Beispiel ihrer Eltern zu erfahren, daß das Familienleben ein Weg ist, die universale Berufung zur Heiligkeit zu verwirklichen (178).

Die Jugendlichen – Hoffnung für die Zukunft


47 Die Jugendlichen stellen eine große Kraft innerhalb der Gesellschaft und bei der Verkündigung des Evangeliums dar. „Sie bilden in vielen Ländern Amerikas einen sehr großen Teil der Bevölkerung, und in ihrer Begegnung mit dem lebendigen Christus liegen ihre Hoffnungen und Erwartungen einer größeren Gemeinschaft und Solidarität für Kirche und Gesellschaft in Amerika begründet“ (179). Die Bemühungen der Teilkirchen auf dem Kontinent bei der katechetischen Hinführung der Heranwachsenden zum Sakrament der Firmung sowie bei anderen Formen der Begleitung, die ihnen geboten werden, damit sie in ihrer Begegnung mit Christus und in ihrer Kenntnis des Evangeliums wachsen, sind evident. Der Ausbildungsprozeß bei den Jugendlichen soll beständig und dynamisch sein, er soll so geartet sein, daß dadurch den Jugendlichen geholfen wird, ihren Platz in Kirche und Gesellschaft zu finden. Daher soll die Jugendseelsorge eine bevorzugte Stellung bei der Fürsorge der Hirten und der Gemeinschaften einnehmen. Es gibt wirklich viele Jugendliche in Amerika, die den wahren Sinn ihres Lebens suchen und ein Verlangen nach Gott verspüren, doch oft mangelt es an den geeigneten Bedingungen, ihre Fähigkeiten zu verwirklichen und ihre Ziele zu erreichen. Leider führen fehlende Arbeitsmöglichkeiten und Zukunftsperspektiven zum Teil dazu, daß sie zu Randgruppen werden und zur Gewalt greifen. Die dabei entstehende Frustration führt häufig dazu, daß sie von der Suche nach Gott ablassen. Angesichts dieser sehr komplexen Situation „verpflichtet sich die Kirche, ihre pastorale und missionarische Option für die Jugendlichen aufrechtzuerhalten, damit sie heute dem lebendigen Christus begegnen können“ (180).

Die kirchliche Seelsorge erreicht viele dieser Heranwachsenden und Jugendlichen durch die Lebendigkeit der christlichen Familien, durch Katechese, Institutionen im Bereich der katholischen Erziehung und das Gemeinschaftsleben der Pfarreien. Doch gibt es viele Jugendliche, besonders unter denen, die unter Armut in ihren verschiedenen Ausdrucksformen leiden, die außerhalb des kirchlichen Tätigkeitsbereiches bleiben. Daher sollen die jungen, mit einem reifen missionarischen Bewußtsein ausgestatteten Christen die Apostel für ihre Altersgenossen sein. Es bedarf einer Seelsorge, die die Jugendlichen in ihrer eigenen Umgebung, wie Schulen, Universitäten, Arbeitsplatz oder ländliche Gegenden, erreicht, und die deren Sensibilität ein besonderes Augenmerk schenkt. In Pfarreien und Diözesen wäre es auch angebracht, eine Jugendseelsorge zu entwickeln, welche die Entwicklungen der Jugendwelt in Betracht zieht, den Dialog mit ihnen sucht und die günstigen Gelegenheiten zu Begegnungen im größeren Rahmen nicht verpaßt, eine Jugendseelsorge, die Initiativen vor Ort unterstützt und dabei aus all dem Nutzen zieht, was bereits auf interdiözesaner und internationaler Ebene verwirklicht wurde.

Was soll man angesichts der Jugendlichen unternehmen, die ein für Heranwachsende typisches Verhalten von Unbeständigkeit aufweisen und Schwierigkeiten signalisieren, wenn es darum geht, ernsthafte und dauerhafte Verpflichtungen einzugehen? Bei einem solchen Mangel an Reife sollte man die Jugendlichen einladen, mutig zu sein, wobei man ihnen helfen muß, den Wert einer für das ganze Leben eingegangenen Verpflichtung zu schätzen, wie es beim Priestertum, beim geweihten Leben und bei der christlichen Ehe der Fall ist (181).

Begleitung des Kindes bei seiner Begegnung mit Christus


48 Die Kinder sind ein Geschenk und Zeichen der Gegenwart Gottes. „Man muß das Kind von der Taufe bis zu seiner Erstkommunion bei seiner Begegnung mit Christus begleiten, denn es gehört zur lebendigen Glaubens-, Hoffnungs- und Liebesgemeinschaft“ (182). Die Kirche anerkennt die Bemühungen der Eltern, Lehrer und derer, die im pastoralen, sozialen und gesundheitlichen Dienst tätig sind, sowie all jener, die mit derselben Haltung im Dienst der Familie und der Kinder wirken, wie sie Jesus Christus einnahm: „Laßt die Kinder zu mir kommen; hindert sie nicht daran! Denn Menschen wie ihnen gehört das Himmelreich“ (Mt 19,14).

Mit Recht beklagen und verurteilen die Synodenväter die schmerzvollen Lebensbedingungen so vieler Kinder in ganz Amerika, die ihrer Würde und Unschuld und oft auch ihres Lebens beraubt werden. „Diese Lebensbedingungen schließen Gewalt, Armut, Obdachlosigkeit, Mangel an gesundheitlicher Fürsorge und Erziehung, durch Drogen und Alkohol bedingte Schäden und andere Zustände der Verlassenheit und des Mißbrauchs mit ein“ (183). Diesbezüglich erwähnte man auf der Synode ganz besonders die Problematik des sexuellen Mißbrauchs der Kinder und der Kinderprostitution. Auch die Eltern erließen einen dringenden Aufruf „an alle, die in der Gesellschaft Machtpositionen einnehmen, damit sie in erster Linie all das tun, was in ihrer Macht steht, um das Leid der Kinder in Amerika zu lindern“ (184).

Elemente der Gemeinschaft mit anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften


49 Die Bemühungen um Gemeinschaft zwischen der katholischen Kirche und anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften haben ihre Wurzeln in der Taufe, die von ihnen allen gespendet wird (185). Diese Bemühungen werden durch Gebet, Dialog und gemeinsame Aktionen genährt. Die Synodenväter wollten ihren besonderen Willen „zur Zusammenarbeit im bereits begonnenen Dialog mit der orthodoxen Kirche zum Ausdruck bringen, mit der wir sehr vieles im Glauben, in den Sakramenten und in der Frömmigkeit gemeinsam haben“ (186). Seitens der Synode gibt es vielerlei konkrete Vorschläge hinsichtlich der Gesamtheit der nicht katholischen christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften. In erster Linie wird vorgeschlagen, „daß die katholischen Hirten und Gläubigen die Begegnung mit Christen verschiedener Konfessionen innerhalb der Zusammenarbeit im Namen des Evangeliums fördern, um so auf den Schrei der Armen zu reagieren durch den Einsatz für Gerechtigkeit, durch das gemeinsame Gebet für die Einheit, durch die Teilnahme an gemeinsamen Wortgottesdiensten und durch den erlebten Glauben an den lebendigen Christus“ (187). Gefördert werden müssen auch, soweit dies angebracht und nutzbringend ist, die sich aus den verschiedenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften zusammensetzenden Versammlungen von Experten, um den ökumenischen Dialog zu erleichtern. Die Ökumene muß Gegenstand der Reflexion und des Erfahrungsaustausches zwischen den verschiedenen katholischen Bischofskonferenzen des Kontinents sein.

Wenn auch das Zweite Vatikanische Konzil sich auf alle Getauften und Christgläubigen „als Brüder im Herrn“ (188) beruft, so muß man doch klar jene christlichen Gemeinschaften, mit denen es möglich ist, Beziehungen einzugehen und die durch den ökumenischen Geist inspiriert sind, von den Sekten, Kultgemeinschaften und anderen pseudoreligiösen Bewegungen unterscheiden.

Kirchliche Beziehungen zu den jüdischen Gemeinschaften


50 In der amerikanischen Gesellschaft existieren auch jüdische Gemeinschaften, mit denen die katholische Kirche in den letzten Jahren immer stärker zusammenarbeitet (189). Innerhalb der Heilsgeschichte ist unsere besondere Beziehung zum jüdischen Volk evident. Aus diesem Volk ging Jesus hervor, und er setzte den Anfang seiner Kirche innerhalb des jüdischen Volkes. Ein Großteil der Heiligen Schrift, die wir Christen als das Wort Gottes lesen, stellt ein gemeinsames geistiges Erbe dar, das wir mit den Juden gemeinsam haben (190). Daher muß ihnen gegenüber jede negative Haltung vermieden werden, „denn, um die Welt zu segnen, ist es notwendig, daß zuvor Juden und Christen für einander ein Segen sind“ (191).

Nichtchristliche Religionen


51 „Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was bei diesen Religionen wahr und heilig ist“ (192). Daher wollen die Katholiken hinsichtlich der anderen Religionen die Elemente der Wahrheit unterstreichen, wo auch immer diese zu finden sind. Gleichzeitig aber bezeugen sie die Neuheit der Offenbarung Christi, die in ihrer Integrität von der Kirche bewahrt wird (193). Bei einer solch konsequenten Einstellung lehnen die Katholiken jegliche Diskriminierung und Verfolgung von Menschen wegen Rasse, Hautfarbe, Lebensumständen oder Religion als dem Geist Christi entgegengesetzt ab. Unterschiedliche Religionszugehörigkeit darf niemals der Grund für Gewalt und Krieg sein. Im Gegenteil, Menschen verschiedener Glaubensrichtungen sollen sich, eben weil sie sich zu ihrer Religion bekennen, veranlaßt fühlen, für Frieden und Gerechtigkeit zu arbeiten.

„Moslems, Christen und Juden nennen Abraham ihren Vater. Diese Tatsache muß in Amerika die Garantie dafür sein, daß die drei Gemeinschaften harmonisch zusammenleben und gemeinsam für das Allgemeinwohl arbeiten. Auch soll die Kirche in Amerika sich bemühen, den gegenseitigen Respekt zu mehren und die guten Beziehungen zu den einheimischen amerikanischen Religionen zu verbessern“ (194). Dieselbe Haltung muß den Hindus, Buddhisten und anderen Religionen gegenüber eingenommen werden, die sich durch die jüngsten Einwanderungen aus orientalischen Ländern auf amerikanischem Boden angesiedelt haben.

KAPITEL V

WEG ZUR SOLIDARITÄT

« Daran werden alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt »

(Jn 13,35)

Die Solidarität, Frucht der Gemeinschaft


52 „Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40 vgl. Mt 25,45). Das Bewußtsein der Gemeinschaft mit Jesus Christus und den Brüdern und Schwestern, das wiederum Frucht der Umkehr ist, führt dazu, daß wir dem Nächsten in all seinen materiellen und geistigen Nöten und Bedürfnissen dienen, damit in allen Menschen das Antlitz Christi aufleuchte. Deshalb „ist die Solidarität Frucht der Gemeinschaft, die auf dem Geheimnis des einen Gottes in drei Personen und auf dem Geheimnis des Sohnes Gottes gründet, der für alle Mensch geworden und gestorben ist. Sie kommt in der Liebe der Christen zum Ausdruck, die das Wohl der Mitmenschen, besonders aber derer suchen, die dessen am meisten bedürfen“ (195).

Von daher erwächst auch für die amerikanischen Teilkirchen die Pflicht zur gegenseitigen Solidarität und die Pflicht, die geistigen Gaben und materiellen Güter zu teilen, mit denen Gott sie gesegnet hat. So hat Gott auch die Bereitschaft der Menschen begünstigt, dort zum Einsatz zu gelangen, wo es am notwendigsten ist. Ausgehend vom Evangelium soll eine Kultur der Solidarität gestärkt werden, die zu geeigneten Initiativen führt, um den Armen und Ausgegrenzten zu helfen, insbesondere den Flüchtlingen, die sich gezwungen sehen, Volk und Land zu verlassen, um der Gewalt zu entfliehen. Die Kirche in Amerika muß auch die internationalen Organisationen des Kontinent dazu anhalten, eine Wirtschaftsordnung zu etablieren, in der nicht nur das Kriterium der Bereicherung vorherrscht, sondern auch das des Strebens nach nationalem und internationalem Gemeinwohl, in der eine gerechte Güterverteilung existiert und die ganzheitliche Förderung der Völker im Vordergrund steht (196).

Die Lehre der Kirche – Ausdruck der Anforderungen für die Umkehr


53 Während Relativismus und Subjektivismus sich in besorgniserregender Weise im Bereich der Morallehre ausbreiten, ist die Kirche in Amerika berufen, mit neuer Kraft zu verkünden, daß die Umkehr an die Zugehörigkeit zur Person Jesu Christi mit all den dazugehörigen und durch das Lehramt der Kirche dargelegten theologischen und moralischen Implikationen gebunden ist. Man muß diesbezüglich die „Rolle“ anerkennen, „die die Theologen, Katecheten und Religionslehrer in Treue zum Lehramt durch ihre Darlegung der kirchlichen Lehre spielen; sie arbeiten dabei gemeinsam und direkt an der rechten Gewissensbildung der Gläubigen mit“ (197). Wenn wir daran glauben, daß Jesus die Wahrheit ist (vgl. Joh Jn 14,6), dann haben wir auch den innigen Wunsch, seine Zeugen zu sein, um so unseren Brüdern und Schwestern die volle Wahrheit nahezubringen, die im Gottessohn liegt, der um des Heiles des Menschengeschlechtes willen Mensch geworden, gestorben und auferstanden ist. „Auf diese Weise können wir in dieser Welt lebendige Leuchten des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe sein“ (198).

Die Soziallehre der Kirche


54 Angesichts der in Amerika bestehenden großen sozialen Probleme verschiedenster Art weiß der Katholik, daß er in der kirchlichen Soziallehre die Antwort findet, von der ausgehend man konkrete Lösungsmöglichkeiten suchen kann. Diese Lehre zu verbreiten stellt also eine wahre seelsorgliche Priorität dar. Deshalb ist es wichtig, „daß in Amerika die für die Evangelisierung Zuständigen – also die Bischöfe, Priester, Lehrer, Seelsorger etc. – diesen Schatz der kirchlichen Soziallehre annehmen, sich durch ihn erleuchten lassen und dadurch fähig werden, die heutige Realität genau zu analysieren und Wege zu finden, um aktiv zu werden“ (199). Diesbezüglich muß man die Ausbildung tatkräftiger Laien fördern, die im Namen des Glaubens an Christus die Verwandlung der irdischen Realität in Angriff nehmen. Außerdem ist es angebracht, das Studium dieser Lehre in allen Bereichen der amerikanischen Teilkirchen zu fördern und zu unterstützen. Ganz besonders gilt dies für den Bereich der Universitäten, damit sie einen noch höheren Bekanntheitsgrad erreicht und in der amerikanischen Gesellschaft zur Anwendung gelangt.

Um dieses Ziel zu erreichen, wird es von Nutzen sein, ein Kompendium bzw. eine autorisierte Zusammenfassung der katholischen Soziallehre zu veröffentlichen, was einer Art „Katechismus“ gleichkäme, der die Beziehung zwischen dieser Lehre und der Neuevangelisierung darlegt. Der Teil, den der Katechismus der Katholischen Kirche dieser Materie im Hinblick auf das siebente Gebot des Dekalogs widmet, könnte einen Ausgangspunkt für diesen „Katechismus der katholischen Soziallehre“ darstellen. Natürlich würde sich dieses Werk, wie auch zuvor derKatechismus der Katholischen Kirche, darauf beschränken, lediglich die allgemeinen Prinzipien zu formulieren und es späteren Ausarbeitungen überlassen, jene Problembereiche zu behandeln, die sich aus den verschiedenen Situationen vor Ort ergeben (200) .

In der kirchlichen Soziallehre nimmt das Recht auf eine würdige Arbeit einen besonderen Stellenwert ein. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit, in vielen amerikanischen Ländern und angesichts der harten Bedingungen, denen nicht wenige Arbeiter in Industrie und Landwirtschaft ausgesetzt sind, „ist es notwendig, die Arbeit als eine Dimension der Selbstverwirklichung und der Würde der menschlichen Person zu bewerten. Es ist die ethische Verantwortung einer organisierten Gesellschaft, eine Arbeitskultur zu fördern und zu unterstützen“ (201).

Globalisierung der Solidarität


55 Das komplexe Phänomen der Globalisierung ist, wie ich zuvor erwähnt hatte, eines der Charakteristika der heutigen Welt, das besonders in Amerika zutage tritt. Innerhalb dieser vielschichtigen Realität hat der wirtschaftliche Aspekt eine ganz besondere Bedeutung. Die Kirche bietet durch ihre Soziallehre einen wertvollen Beitrag zur Problematik, welche durch die derzeitige wirtschaftliche Globalisierung entsteht. Ihre moralische Sichtweise in dieser Angelegenheit „stützt sich auf die drei grundlegenden Ecksteine der Menschenwürde, der Solidarität und des Subsidiaritätsprinzips“ (202). Die wirtschaftliche Globalisierung muß im Lichte der Grundsätze sozialer Gerechtigkeit analysiert werden, wobei die vorrangige Option für die Armen zu achten ist, da sie befähigt werden sollen, sich in einer globalisierten Wirtschaft und angesichts der Ansprüche des internationalen Gemeinwohls zu schützen. In Wirklichkeit „ist die kirchliche Soziallehre die moralische Vision, die versucht, die Regierungen, die Institutionen und Privatorganisationen zu unterstützen, damit sie an einer Zukunft arbeiten, die mit der Würde einer jeden Person im Einklang steht. Aus dieser Sichtweise können die Fragen hinsichtlich der Auslandsverschuldung der Länder, der internen politischen Korruption und der Diskriminierung innerhalb des eigenen Landes und auf internationaler Ebene bewertet werden“ (203).

Die Kirche in Amerika ist nicht nur dazu berufen, einen höheren Grad an Integration innerhalb der Länder zu fördern und so dazu beizutragen, eine wahre Kultur globalisierter Solidarität zu schaffen (204), sondern sich auch mit legitimen Mitteln für die Verringerung der negativen Auswirkungen der Globalisierung einzusetzen, wie zum Beispiel die Herrschaft der Stärkeren über die Schwächeren, besonders im wirtschaftlichen Bereich, oder den Werteverlust der einheimischen Kulturen zugunsten einer falsch verstandenen Vereinheitlichung.

Zum Himmel schreiende soziale Sünden


56 Im Lichte der kirchlichen Soziallehre nimmt man auch deutlicher die Schwere der „sozialen Sünden zur Kenntnis, die zum Himmel schreien, weil sie Gewalt erzeugen und den Frieden und die Harmonie zwischen den Gemeinschaften innerhalb eines Staates und zwischen den verschiedenen Ländern und Teilen des Kontinents zerstören“ (205). Zu diesen Sünden sind auch „der Drogenhandel, die Geldwäsche, die Korruption in sämtlichen Bereichen, die Schrecken der Gewalt, die Aufrüstung, die Rassendiskriminierung, die Ungleichheit innerhalb der sozialen Schichten und die vernunftlose Zerstörung der Natur zu zählen“ (206). Diese Sünden zeigen eine tiefe Krise auf, die wir dem verloren gegangenen Sinn für Gott und dem Abhandenkommen moralischer Grundsätze zu verdanken haben, welche eigentlich das Leben eines jeden Menschen bestimmen sollten. Ohne irgend einen moralischen Bezugspunkt verfällt der Mensch einem uneingeschränkten Drang nach Reichtum und Macht, welcher jegliche am Evangelium orientierte Sichtweise der sozialen Wirklichkeit verdunkelt.

Nicht selten führt dies dazu, daß einige öffentliche Instanzen die soziale Situation vernachlässigen. In vielen amerikanischen Ländern herrscht immer mehr ein als „Neoliberalismus“ bekanntes System, das den Menschen lediglich unter wirtschaftlichen Aspekten betrachtet und Gewinn und Marktgesetze als absolute Maßstäbe setzt, was zu Lasten der Menschenwürde und der Achtung der Person und der Völker geht. Dieses besagte System verwandelt sich mitunter in eine ideologische Rechtfertigung von Einstellungen und Handlungsweisen im sozialen und politischen Bereich, welche die Schwächsten an den Rand drängen. In der Tat nimmt die Armut immer mehr zu. Die Armen sind die Opfer bestimmter politischer Richtungen und oftmals ungerechter Strukturen (207).

Die beste Antwort durch das Evangelium auf diese dramatische Situation ist die Förderung der Solidarität und des Friedens, die die Gerechtigkeit effektiv verwirklichen. Deshalb soll auch jenen Zuspruch und Hilfe zukommen, die als beispielhaft in der Verwaltung der öffentlichen Gelder und der Gerechtigkeit gelten. Ebenso soll der Demokratisierungsprozeß unterstützt werden, der in Amerika im Gange ist (208), da in einer Demokratie die Kontrollmöglichkeiten zur Vermeidung von Mißbrauch größer sind.

„Der Rechtsstaat ist die notwendige Bedingung zur Errichtung einer wahren Demokratie“ (209). Damit diese sich entwickeln kann, bedarf es einer präzisen Unterweisung der Bürger sowie einer Förderung der öffentlichen Ordnung und des Friedens innerhalb des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Es gibt wirklich „keine echte und stabile Demokratie ohne soziale Gerechtigkeit. Daher ist es notwendig, daß die Kirche der Gewissensbildung mehr Aufmerksamkeit schenkt, Sozialarbeiter für das öffentliche Leben auf allen Ebenen ausbildet, die ethische Erziehung, die Befolgung des Gesetzes und der Menschenrechte fördert und sich noch mehr um die ethische Unterweisung der Politiker bemüht“ (210).

Das Fundament der Menschenrechte


57 Man sollte daran erinnern, daß das Fundament, auf dem alle Menschenrechte basieren, die Würde der Person ist. In der Tat „ist das größte göttliche Werk, nämlich der Mensch, Abbild und Ebenbild Gottes. Jesus nahm unsere Natur an, nicht jedoch die Sünde; er förderte und verteidigte die Würde einer jeden menschlichen Person ohne Ausnahme; und er starb für die Freiheit aller. Das Evangelium zeigt uns, wie Jesus Christus die zentrale Stellung der menschlichen Person innerhalb der Ordnung der Natur (vgl. Lk Lc 12,22-29), der Gesellschaft und der Religion sogar im Hinblick auf das Gesetz (vgl. Mt Mt 2,27) hervorhebt, indem er den Mann und auch die Frau (vgl. Jn 8,11) und die Kinder (vgl. Mt Mt 19,13-15) verteidigt, die seinerzeit einen zweitrangigen Platz in der Gesellschaft einnahmen. Aus dieser Menschenwürde, insofern der Mensch als Kind Gottes betrachtet wird, gehen die Menschenrechte und auch des Menschen Pflichten hervor“ (211). Aus diesem Grunde „ist jeglicher Angriff auf die Menschenwürde auch gleichzeitig ein Angriff auf Gott selbst, dessen Abbild der Mensch ist“ (212). Diese Würde ist allen Menschen ohne Ausnahme gemein, da alle nach dem Abbild Gottes geschaffen wurden (vgl. Gen Gn 1,26). Die Antwort Jesu auf die Frage: „Und wer ist mein Nächster?“ (Lc 10,29) erfordert von jedem eine Haltung der Achtung der Würde des anderen sowie eine Haltung der Fürsorge für ihn, auch wenn es sich um einen Fremden oder um einen Feind handelt (vgl. Lk Lc 10,30-37). In ganz Amerika hat das Bewußtsein für die Achtung der Menschenrechte in letzter Zeit ständig zugenommen, aber dennoch bleibt vieles zu tun übrig, zieht man die Verletzung der Personenrechte und gesellschaftlicher Gruppen in Betracht, die es immer noch auf diesem Kontinent gibt.


Ecclesia in America DE 44